"die beste Zeit", Januar-März 2020

Page 42

Die Neugier bewahren

10 Jahre Tonleiter – Zeitgenössische Musik im Skulpturenpark Waldfrieden

In diesem Winter feiert die Konzertreihe Tonleiter im Skulpturenpark Waldfrieden ihr zehnjähriges Jubiläum. Der Komponist Detlev Glanert sagte einmal im Pavillon des Skulpturenparks: „Ein Publikum, das sich die Neugier bewahrt, wird auch die Kunst nicht verlieren.“ Neugier ist eine Folge des Staunens oder des Erstaunens. Für Goethe war das Erstaunen das Höchste, wozu der Mensch gelangen kann. Und Thomas von Aquin definierte das Staunen mit der Sehnsucht nach Wissen. Wäre das ideale Publikum also eines mit einer intuitiven Neugier? Das Interesse an der Konzertreihe Tonleiter ist vermutlich zu einem großen Teil mit der Neugier auf unbekannte, noch nie gehörte Musik zu erklären. Wie vielfältig die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts ist, wie sehr sie ihre Wurzeln auch in vergangenen Jahrhunderten hat, wie stark sie sich gleichzeitig mit der heutigen Welt, mit der Natur, mit anderen Künsten auseinandersetzt - all dem kann das Publikum in den Konzerten nachspüren. Und sicherlich sind die Besucher des Skulpturenparks Menschen, die sich mit der nötigen Muße immer wieder neugierig auf die Suche nach noch nie gesehenen Formen, noch nie gestellten Fragen oder nach neuen Antworten machen und sich deswegen für die Kunst Tony Craggs und anderer zeitgenössischer Bildhauer begeistern können. Tony Cragg selbst war es, der mich mit seinem Wunsch nach einer Reihe für zeitgenössische Musik konfrontierte und dafür begeisterte, diese Idee zu verwirklichen. Schon vorher hatte mich sein Engagement mit der Gründung eines Skulpturenparks hier in Wuppertal sehr beeindruckt, in einer Stadt, die ich als gebürtiger Berliner heute nach über 20 Jahren tatsächlich als meine Heimat bezeichnen kann. Als ich 1996 im Sinfonieorchester Wuppertal als Klarinettist engagiert wurde, blieb mir die Stadt noch viele Jahre fremd. Aber ich merkte, dass es überaus bereichernd sein kann, sich über den eigentlichen Beruf des Klarinettisten hinaus für die Kultur dieser Stadt zu engagieren.

In meiner Berliner Zeit als Student spielte ich viele Konzerte mit zeitgenössischen Werken und lernte dabei zahlreiche junge, aber auch etablierte Komponisten der damaligen Zeit kennen. Ich fragte mich immer wieder, warum die Menschen scharenweise Ausstellungen zeitgenössischer Maler besuchten, sich bei der sogenannten Neuen Musik aber schwertaten. Der klassische Aufbau eines Sinfoniekonzerts sah im Idealfall folgendermaßen aus: zu Beginn ein zeitgenössisches Werk, danach ein Solokonzert und nach der Pause eine klassische oder romantische Symphonie. Zeitgenössische Musik hatte mit dieser Konzertform sein Publikum gefunden. Aber Konzerte mit ausschließlich Neuer Musik wurden nur von einem kleinen Kreis Interessierter besucht. Den Zugang zu einer neuen Komposition finde selbst ich als Interpret häufig erst kurz vor der Aufführung. Wie schwierig muss das erst für die Zuhörenden sein, die das Werk im Konzert zum ersten Mal hören. Schließlich existiert Musik als Kunstwerk – im Gegensatz zu bildender Kunst – nur zum Zeitpunkt ihrer Aufführung. Mein erstes Anliegen bei der Konzipierung der Reihe Tonleiter war es, die Konzertsituation für das Publikum interessanter und verständlicher zu machen. Ich wollte zwischen Komponistin/Komponist und Zuhörenden vermitteln. Hinzu kam der ganz persönliche Wunsch, Werke aufzuführen, die schon etwas älter waren, aber in den meisten Konzertreihen Neuer Musik „verloren“ gegangen waren. Viele großartige Werke des 20. Jahrhunderts wurden nicht mehr gespielt, weil in erster Linie jungen Zeitgenossen ein Forum geboten werden sollte.

Bei meiner Planung der Konzerte stieß ich immer wieder auf Überschneidungspunkte der Komponierenden, ihrer Werke oder den zugrunde liegenden Ideen. Es war mir deswegen wichtig, verschiedenste Kompositionen unter einen thematischen Bogen zu bringen. Dabei zeigt dann gerade die jeweils unterschiedliche Sichtweise der Komponistinnen und Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts deren Besonderheiten im musikalischen Ausdruck, in der Klangfarbe und in dem, was sie den Zuhörenden mit ihrer Musik erzählen möchten.

40

dbz_01.20_inhalt_15.12.a.indd 40

16.12.19 19:17


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook

Articles inside

Ausstellungen, Bühne, Musik, Kino

14min
pages 67-73

Impressum

2min
pages 74-76

Preis der Wuppertaler Literatur Biennale 2020

2min
page 66

Neue Kunstbücher vorgestellt von Thomas Hirsch

5min
pages 64-65

Kunst und Wissenschaft treffen sich bei den Bergischen Klimagesprächen 2019

9min
pages 60-63

Kulturtipps

4min
pages 54-55

Das Theater Anderwelten bespielt die Bühne der Wuppertaler Oper

6min
pages 56-59

Das Teo Otto Theater in Remscheid

7min
pages 44-47

Martin Kindervater gelingt eine bunte Inszenierung von Albert Camus‘ düsterstem Stück „Das Missverständnis

9min
pages 48-51

Kulturnotizen

5min
pages 52-53

Zehn Jahre Tonleiter – zeitgenössische Musik im Skulpturenpark Waldfrieden

5min
pages 42-43

Tanz und Film verbinden die Welt

9min
pages 38-41

Musiktheater in Hagen und Wuppertal

9min
pages 28-33

Neueinstudierung: Ein Stück von Pina Bausch

6min
pages 34-37

Blockbuster-Ausstellung in Düsseldorfs K20

8min
pages 22-27

Bazon Brock: Friedrich Engels frisst Cola wie die Revolution ihre Kinder

6min
pages 11-13

Der Künstler Detlef Bach über seine Collagen/Montagen zum Thema Friedrich Engels

4min
pages 8-10

Die Ausstellung „Ein Gespenst geht um in Europa“ in der Kunsthalle Wuppertal Barmen

2min
pages 14-15

Das Von der Heydt-Museum Wuppertal zeigt den Land-Art-Künstler Hannsjörg Voth

5min
pages 16-21
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.