2 minute read

Leistungsfähigerer Staat gefragt  Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph M. Schmidt

Foto: AdobeStock©gorodenkoff

Leistungsfähigerer Staat gefragt

Deutschland braucht viel mehr Risikobereitschaft und Eigenverantwortung und weniger eine Fehlervermeidungskultur.

Deutschland hatte in den letzten Jahren ein gutes finanzpolitisches Konzept. In konjunkturell normalen Zeiten schreiten wir regelgebunden voran, dafür haben wir die Schuldenbremse im Grundgesetz. In Krisenzeiten haben wir dann hinreichend Reserven aufgebaut, um einem Abschwung mit einem starken finanzpolitischen Impuls etwas entgegenzusetzen. Vor der

Corona-Pandemie hat sich Deutschland so durch Wachstum und eine gewisse Ausgabendisziplin große Spielräume erarbeitet. So konnten wir uns in der Krise eine etwas höhere Staatsschuldenquote erlauben. Eine um wenige Prozentpunkte erhöhte Quote macht nicht so viel aus, allerdings nur, solange der feste Wille da ist, nach der

Krise zu soliden Staatsfinanzen zurückzukehren. Die nächste Krise wird kommen, und für diese müssen wir durch solide Staatsfinanzen gewappnet sein.

Grundsätzlich können wir zufrieden sein, in einem Staat zu leben, bei dem die Verwaltung in normalen Zeiten so gut funktioniert. Es gibt jedoch

Bereiche, in denen die Anpassungsfähigkeit besser sein könnte. Im Bildungssektor etwa haben wir während der Corona-Pandemie ein Desaster erlebt. Wir befinden uns jetzt im zweiten Herbst, aber die digitalisierte Bildung ist immer noch nicht in der Realität angekommen. Es reicht nicht, einfach ein paar Tablets zu kaufen, da muss sich viel mehr ändern. In der nächsten Legislaturperiode wird das ein großes Thema. Deutschland muss die Frage beantworten, wie der Staat in der Fläche leistungsfähiger wird, auf allen Ebenen. Mehr Risikobereitschaft und Eigenverantwortung fördern, weniger Fehlervermeidungskultur lautet meines Erachtens das Leitbild. Das wird schwierig.

Im Bildungsbereich manifestiert sich auch ein großes Verteilungsproblem. Nicht die angebliche große Ungleichheit der Vermögen ist das wahre Problem, im internationalen Vergleich stehen wir hier ganz gut da. Bildung ist der eigentliche Schlüssel, um der wahren Ungleichheit von Chancen beizukommen. Es muss viel mehr geschehen, um abgehängte Schüler wieder an den benötigten Leistungsstand heranzuführen. Wenn Bildung schon Länderhoheit ist, dann sollte zumindest Transparenz bei den Ergebnissen herrschen. Das ist mitnichten so, und das ist ein echter Skandal.

Die sozialen Sicherungssysteme sind ein weiterer großer Schwachpunkt der Bundesrepublik, insbesondere bekanntlich das System der gesetzlichen Rente. Natürlich brauchen wir drei Säulen der Altersvorsorge, umlagefinanziert, betrieblich und privat. Nur kann man bei der gesetzlichen Rentenversicherung aber nicht ewig die Beiträge erhöhen und das Rentenniveau senken. Deshalb müssen wir eine dritte Stellschraube in den Blick nehmen,

und das ist die steigende Lebenserwartung. Wenn wir uns jetzt einig werden könnten, dass wir eine formelbasierte Erweiterung der Lebensarbeitszeit verabreden, schritthaltend mit den Veränderungen der Demographie, verliefe der Übergang in die Zukunft für jeden absehbar und ohne größere sozialpolitische Brüche. l

Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph M. Schmidt

Präsident RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung

This article is from: