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Lauter, wilder , Mascha

Drinnen, ein perfekt beleuchteter Garten. Vor ihm ein Pool, so groß wie ein Schwimmbecken im Freibad, umringt von Statuen von irgendwelchen nackten Griechen; es schaut aus wie im Schlossgarten. „Sag mal, wie viel Geld haben deine Eltern eigentlich?“, fragt er Sebastian, der gerade versucht sein angekotztes Hemd abzustreifen. Der stößt einen abschätzigen Ton aus. „Ach scheiß auf das Geld!“ Er schmeißt das Hemd gegen die Wand. „Willst du‘s sehen?“ „Was?“ „Das Geld.“ „Wie, ist das hier?“ „Der Tresor ist voll davon, komm mit!“, sagt Sebas tian und Ralf folgt ihm ins Nebenzimmer. Es sieht aus wie ein Büro; alle Wände voll mit Bücherregalen und ein überdimensionaler Schreibtisch aus ziemlich schönem Holz. Sebastian nimmt ein Bild von der Wand und dahinter kommt eine Tresortür zum Vorschein. Er dreht ein paar Mal an dem Rad, bis es klickt und die Tür aufspringt. Was sich dahinter befindet hat Ralf in seinem Leben noch nie in echt gesehen: Stapelweise Geldscheine! Der Tresor ist zum bersten voll davon.

„Willst du was?!“ Die Frage war anscheinend rhetorisch gemeint, denn Sebastian drückt Ralf noch während er sie ausspricht ein Bündel Geld in die Hand. „Spinnst du, leg das zurück!“, Ralf lässt das Bündel direkt auf den Boden fallen, als wolle er keine Fingerabdrücke darauf hinterlassen. „Scheiß dich nicht an, die merken rein gar nichts davon. Weißt du wie oft ich mich hier bediene?!“, sagt Sebastian. „Du beklaust deine Eltern.“, sagt Ralf, mehr zu sich selbst als zu seinem Gegenüber, während er versucht, die Situation zu begreifen. „So ist das. wow.“„Zumindest bin ich kein arrogantes Arschloch.“„Glaubst du!“ Einen Moment herrscht Stille. Dann entweicht Sebastian ein Seufzen. „Du lasst mich erbärmlicher dastehen, als ich eh schon bin.“ Ein empörtes Schnaufen kommt von Ralf. „Wenn du‘s eh weißt, wieso tust es dann?!“ “Du hältst mich also für ein Arschloch und du? Du machst alles richtig im Leben oder was? Immer nur lernen? Macht dich das glücklich?” Jetzt war Ralf an der Reihe, aufgebracht zu werden, aber er schluckt seinen Widerspruch hinunter. Sebastian lacht. Zuerst nur kurz, doch dann bricht er in ein lautes Gelächter aus. Die Atmosphäre lockert sich ein wenig, als Ralf erkennt, dass es ein ehrliches Lachen ist. „Wir sind zwei Vollidioten, du und ich. Jeder lebt sein eigenes Extrem..“, sagt Sebastian und klopft Ralf auf die Schulter. Plötzlich klingelt es. Erst kurz, dann Sturm. Über die Kamera am Eingang sieht man dass die anderen vom Ball draußen vor der Tür stehen. Ralf und Sebastian schauen sich an. „Und was jetzt?“ “Ah, die sollen uns gern haben.”, sagt Sebastian und schaltet die Klingel aus.

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Bei der Youki 2019 gab es, wie jedes Jahr, ein grandioses Abendprogramm und vor allem Line-up: Neben Bands vom Pink-Girl Noise Rock Camp und einem Wohnzimmerkonzert von MD Baby trat am Freitag unter anderem Mascha auf. Mascha? Who the fuck is Mascha? – Mascha aka Mascha Peleshko ist eine 27-jährige Künstlerin, sie macht hauptsächlich random shit auf ihrem Laptop, so nennt sie das zumindest liebevoll. Sie macht Musik und alles, was ihr sonst in den Sinn kommt. Die Stimmung bei Maschas Auftritt war berauschend. Zuerst stand die Künstlerin im gepunkteten Jump-suit auf der Bühne, zwei neue Outfits befanden sich darunter: Einmal wechselte sie ins blau-schwarze Dirndl und dann in ein gestreiftes Wickelkleid. Mascha singt, schreit, rappt ins Mikrophon und liefert dabei eine einnehmende Performance ab. Am Samstag wollen wir sie interviewen. Sie sitzt im Festivalcenter beim Tisch des Filmworkshops. Als wir sie nach einem Interview fragen, freut sie sich, begleitet uns sofort und schon geht es los.

Du bist dieses Jahr nicht zum ersten Mal hier, wie bist du zur Youki gekommen?

Ich bin schon zum dritten Mal bei der Youki und ich finde es wahnsinnig schön und verbinde sehr viel Persönliches und viele Emotionen damit. Ich mag das Familiäre hier und dass die Leute extrem open minded sind, aber halt nicht so dieses fake, sondern einfach: „Hey! Lass uns mal leiwand sein, setzten wir uns hin und machen jetzt einen FilmWorkshop und malen Dinge an die Wand. Es ist ein sehr hippiesquer vibe, und wenn ich in den 70ern aufgewachsen wär, fuck ich wär sowas von ein Hippie. Wie ich zu meiner ersten Einreichung vor drei Jahren gekommen bin, weiß ich gar nicht mehr.

Was war das Schönste, das du auf der diesjährigen Youki erlebt hast?

Ich glaub, die Afterparty am Freitag, auch wenn ich nicht so lange da war. Ich mag es die Menschen, die hier ihre Arbeiten präsentieren, auch in einem sehr ungezwungenen Rahmen zu erleben, wo sie einfach sagen: „Fuck it, ich mach jetzt nen fucking sexy Lapdance“ Und es ist urlustig und jeder freut sich. Ich bin so ein Mensch, der den behind the Scene stuff mehr genießt.

Wie bist du zur Musik gekommen?

Das ist eine sehr komplizierte Frage. Ich habe Klavierunterricht gehabt, als ich klein war, aber so richtig angefangen Musik zu machen und damit in die Öffentlichkeit zu gehen, habe ich erst vor zweieinhalb, wahrscheinlich bald drei Jahren.

Wie ist das vor zwei, drei Jahren plötzlich passiert?

Ich glaube, es war eine Mischung aus sehr lieben, talentierten Freunden, die mich einfach unglaublich inspiriert haben und meinem Exfreund, der mir Ab leton gegeben hat, weil seine Band sich aufgelöst hat. Das war glaub ich das Beste, was mir passiert ist, musikalisch betrachtet, weil ich mir dann einfach Tutorials angeschaut habe und dachte: „Hey cool, ich kann meine eigenen Beats basteln, fucking DIY!“ Also hab ich mir gedacht, mach ich einfach alles DIY und so bin ich dann zur Musik, in der Form wie ich sie heute mache, gekommen.

Bei unserer Facebook–Recherche ist uns etwas aufgefallen: Du gibst die Sowjetunion als deine Heimatstadt an. Wieso das?

Voll, das ist schon länger her. Ich bin in den Überresten der Sowjetunion aufgewachsen und komme ursprünglich aus der Ostukraine. Ich bin aber relativ früh, mit circa neun Jahren, nach Österreich gezogen. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass irgend so ein Sowjet-Ding sehr tief in mir drin schlummert und es kommt immer wieder durch. Ich weiß es nicht, es ist eine Mischung aus Gag und irgendwie unterbewusstem Verarbeiten von Einflüssen, glaube ich.

Was für eine Rolle spielt diese Prägung für dich?

Ich denke schon eine große, weil die Ukraine grundsätzlich ein Land mit unglaublich vielen musikalisch talentierten Menschen ist. Musik ist dort Teil des Alltags. Seien das jetzt irgendwelche Volkslieder, die am Land gesungen werden, oder in größeren Städten, wo dann sehr viele Straßenmusiker, unglaublich talentierte Straßenmusiker, großartige Musik machen. Das überrascht mich jedes Mal, wenn ich zurückfahre. Einfach nur zu sehen, wie musikalisch die Ukraine eigentlich ist.

Deine künstlerische Tätigkeit ist sehr vielfältig, du rappst, machst Beats und hast unter anderem einen Schlagersong komponiert. Woher kommt diese Vielfalt?

Das ist eine gute Frage. Ich versuche möglichst ungefiltert an meinen eigenen kreativen Prozess ranzugehen und habe das Gefühl, dass das Menschen auch meistens abholt, weil ich einen Kontext dazu gebe, wenn ich von einem Schlager zum Rap gehe. Funktioniert nicht immer, es ist manchmal riskant. Ich glaube der Prozess ist mir einfach viel wichtiger als das Produkt.

In deinem Schlager „Liebe siegt“ singst du über häusliche Gewalt. Was hat dich dazu inspiriert?

Zwei Dinge: Einerseits die Berichterstattung rund um die Frauenmorde, das war sehr aktuell zu der Zeit. Mich hat die Art und Weise, wie darüber berichtet wurde, unglaublich wütend gemacht. Es wurde so dargestellt, als wär das alles urweit weg und als wären das irgendwelche Kriminalepisoden von der Bulle von Tölz oder so. Aber es ist halt vieler Leute Alltag. Man muss dazu sagen, es ist mein sehr persönlicher subjektiver Ausdruck, wie ich dieses Thema wahrgenommen habe, weil nicht jeder mit diesen Inhalten und Themen so umgeht wie ich. Ich fand es sehr spannend, das in einem Schlagersong zu verarbeiten. Das erste war die Berichterstattung rund um die Frauenmorde und der zweite Grund war, dass ich damals herausgeschrien habe, dass ich jetzt alle Genres bediene und keine Fucks mehr gebe. Man hat mir dann gesagt: “Hey du hast keinen Schlager.” Und ich war so: “Hmm interessantes Timing, let´s fucking do that!”

Welche Reaktionen hast du auf “Liebe siegt” bekommen und wie war dein Gefühl dabei?

Mein persönliches Gefühl war gemischt. Einerseits hab ich mich unglaublich gefreut, dass es die Runde macht und tatsächlich auch gehofft, dass es ein Thema ist, das durch die Medien geht und bestenfalls in den Mittelpunkt gerückt wird, in einer guten Art und Weise. Andererseits hab ich auch Bedenken gehabt: Wie arg soll etwas provozieren? Wenn wir provozieren, erreicht es dann Leute? Es heißt ja immer als kunstschaffender Mensch soll man auch Menschen erreichen und die Frage ist, wie erreicht man konservative Haushalte? So etwas Provokatives wie „Liebe siegt“ erreicht vielleicht nicht unbedingt konservative Haushalte, aber vielleicht einzelne Frauen aus diesen Haushalten, die das zum Beispiel in ihrem Facebook-Feed sehen und denken: „Wow das ist heftig, das hat mich berührt“. Ich hab nicht damit gerechnet, dass ich sehr viele Nachrichten von Betroffenen kriegen würde, das hat mich überrascht. Viele fremde Menschen haben mir geschrieben, dass ihnen sowas auch passiert ist oder sehr persönliche Geschichten geteilt. Oder Freunde von mir, von denen ich das nicht wusste, haben mir erzählt, dass sie in gewalttätigen Haushalten aufgewachsen sind und wie sehr sie das psychisch und körperlich belastet hat. Vor allem in Österreich ist das ein extremes Tabuthema und ich glaube, dass

das stark mit dem katholischen Einfluss zusammenhängt. Deswegen thematisiere ich das im Musikvideo auch. Denn die Familie ist ja heilig. Ich finde grundsätzlich ist Familie etwas sehr Schönes und hoffe, dass jeder eine schöne Familie hat. Aber ich glaube auch nicht, dass man mit dem Kopf durch die Wand Werte schützen sollte, einfach nur weil es Werte sind. Wir sind alle Menschen und wir brauchen ein Umfeld, in dem wir uns sicher und wohl fühlen.

Du schreibst Kunst mit C, also Cunst. Warum?

Ich finde „cunt“ ist so ein schreckliches Wort, einfach schirch und ich will das irgendwie positiv konnotieren. Ich bin nämlich der Meinung, dass man Wörter zurückerobern kann und es ist schon eine Anspielung auf „cunt“. Wenn man als Frau Musik macht, ist es nach wie vor manchmal schwer, vor allem, wenn es kritische Inhalte sind. Man wird sehr schnell als Hexe oder Verrückte bezeichnet. Es wird besser, aber wir sind noch lange nicht an einem Punkt, an dem ich mir keine Gedanken mehr machen muss, wenn ich etwas Kritisches online stelle.

Wie gehst du mit Hasspostings um?

Ich habe ein Lied namens “Sigi Maurer” geschrieben, darin ging es um die Craft-Bier Causa, das ist schon einige Zeit her. Ich hab damals ein Video von dem Lied, das ich in meinem Wohnzimmer singe, auf Facebook hochgeladen und dachte, das bleibt sowieso in meiner Bubble. Ich persönlich fands sogar eher lustig, aber mein Humor ist sehr eigen, wie ich feststellen musste. Als ich damit dann in der Österreich, der Heute und der Krone gelandet bin, habe ich schnell festgestellt, nein, das ist nichts, wo sich alle einig sind, im Gegenteil. Damals musste ich wirklich mit sehr vielen Nachrichten umgehen und ich habe mein Bestes gegeben, auf alle, die in haltliche Argumente hatten, zu antworten und meinen Standpunkt klarzustellen. Das fand ich persönlich wichtig, denn wenn man schon eine Diskussion starten will, was auch der Sinn sein sollte, muss man auch darauf antworten. Also habe ich wirklich auf jeden Kommentar, der inhaltlich etwas zu bieten hatte, geantwortet.

Wie, außer durch Musik, drückst du dich künstlerisch noch aus?

Ich glaube es gibt keine einzige Form, in der ich mich nicht ausdrücken will. Ich sage immer scherzhaft, ich bin ein Mensch mit sehr vielen Hobbys, aber das ist glaube ich wirklich etwas Zwangsneurotisches in mir. Mich interessieren unglaublich viele Dinge und ich bin jemand, der sehr schnell inspiriert und enthusiastisch ist. Ich glaube mittlerweile, oder bin vielleicht gerade dabei herauszufinden, dass Texte schreiben und Musik machen wahrscheinlich die künstlerischen Sprachen sind, an denen ich mich am meisten bediene.

Jetzt noch eine Frage zum Thema des Festivals:

Was bedeutet Dekadenz für dich?

Dekadenz ist für mich alles, was über die Basics der Lebenserhaltung hinausgeht und in einer vielfachen Ausführung vorhanden ist. Ich finde, dass wir in Europa sehr oft unterschätzen wie dekadent wir wirklich leben. Ich vergesse das selbst oft, wenn ich durch Wien gehe und irgendwelche Freunde kommen vorbei und sagen: „Oh mein Gott! Die lebenswerteste Stadt der Welt und all die Häuser.“ Oder: „Hat da Sissi gewohnt? Das ist wunderschön, was ist das alles?“ Das erinnert mich immer daran, dass wir extrem dankbar sein sollten, dass wir so viele Ressourcen und die Möglichkeit haben, etwas zu schaffen. Das ist meine Meinung zu Dekadenz. Ist das eine Meinung zu Dekadenz?

Danke für das Interview!

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