Claudia Unterweger: "Talking Back" (Zaglossus 2016)

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Claudia Unterweger Talking Back Strategien Schwarzer รถsterreichischer Geschichtsschreibung

zaglossus



Claudia Unterweger

Talking BACK Strategien Schwarzer รถsterreichischer Geschichtsschreibung

zaglossus


Gefördert von der Hochschüler*innenschaft an der Universität Wien sowie von der Österreichischen Hochschüler_innenschaft. Gedruckt mit Unterstützung der Kulturabteilung der Stadt Wien, Wissenschafts- und Forschungsförderung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © Zaglossus e. U., Wien, 2016 1. Auflage 2016 Alle Rechte vorbehalten Druck: Prime Rate Kft., Budapest Printed in Hungary ISBN 978-3-902902-40-5 Zaglossus e. U. Vereinsgasse 33/12+25, A-1020 Wien E-Mail: info@zaglossus.eu www.zaglossus.eu


The Receiver If the great Sun Ra is right then, space_is_the_place. Don’t wait. See the light, embrace your fate, grip it tightly at the waist, and caress it, as you would a lover. Hold it close and trust, become another You.U.topia is a planet calling you. A liberated place where all flows in abundance: your future, your present and your past.

By Njideka Stephanie Iroh, 2015 in the context of the project Bodies of Knowledge Multiplying Marginalised Subjectivities of Utopia through Art and Storytelling



Inhalt 1 Einleitung, zentrale Begriffe und Verortung

11

1.1 Zu den Begriffen Rassifizierung, „Rasse“ und race

16

1.2 Zur Dichotomie Schwarz und weiß (und den Graubereichen)

19

1.3 Der Begriff Menschen afrikanischer Herkunft und die Idee des Ursprungs

25

1.4 Zur Herstellung von Geschlecht: die Begriffe Frau* und Mann*

28

1.5 Naheverhältnis zum Gegenstand als Chance und Herausforderung

32

2 Eine Schwarze Bewegung greift Raum: Die Recherchegruppe zu Schwarzer österreichischer Geschichte

42

2.1 Talking back als zentraler Ansatz

43

2.2 Gesellschaftlicher und politischer Kontext

45

2.3 Organisationsgeschichte und Zielsetzungen

53

2.4 Rechercheverlauf und Projektergebnisse

67

2.4.1 Lückenhafte Quellenlage und eigen-sinniges Handeln

70

2.4.2 Rassisierende und objektisierende Formen der Repräsentation, koloniale Herrschaftsverhältnisse und Momente des Widerstands

74


2.4.3 Verharmlosung in der traditionellen Historiografie

79

2.4.4 Eigene Vermittlungsformen Schwarzer selbstbestimmter Positionen

81

3 Zur Bedeutung von kollektivem Gedächtnis, Sprache und Wissen

87

3.1 Kollektives Gedächtnis und Geschichtspolitik

87

3.1.1 Kollektives Gedächtnis und Erinnerung

87

3.1.2 Minority histories und Geschichte als Instrument politischer Befreiungsbewegungen 92 3.1.3 Reflexion über Gayatri Chakravorty Spivak und das Sprechen als Subalterne

96

3.2 Diskurs und das Herstellen von Bedeutung

100

3.2.1 Stuart Hall: Sprache als Zeichensystem zur Bedeutungsproduktion

100

3.2.2 Diskurs, Wissen und Macht

104

3.3 Anwendung der historischen Diskursanalyse nach Achim Landwehr

108

4 Schwarze Geschichte: Repräsentationen Schwarzer Frauen*

121

4.1 Von Gura bis Elaine B.: die sexualisierte Schwarze Frau*

125

4.2 Die Kämpferin: Josefine Soliman und die Schwarze Frauen*geschichte

130


4.3 Von Phillis Wheatley bis Ursula Rucker: weitere Pionierinnen

139

4.4 Von Queen Nzinga bis Angela Davis: African Queens und African-Sein

153

4.5 „Our fellow sisters“

165

4.6 Schwarze Frauen*geschichte: Welches Wissen wird unterdrückt?

169

5 Schwarze Geschichte: Repräsentationen Schwarzer Männer* 171 5.1 Von Monostatos bis Seibane Wague: der kriminalisierte Schwarze Mann*

173

5.2 Der Hof-M*: der Schwarze Mann* als Fetischobjekt

185

5.3 Angelo X: Vorkämpfer für die Bürgerrechte

187

5.4 „Brothers“ als Brüderschaft Schwarzer Männer*

190

6 Fazit: Strategien der Schwarzen österreichischen Geschichte

202

Glossar

213

Anhang

219

Quellenverzeichnis

237

Abbildungsverzeichnis

246



1 Einleitung, zentrale Begriffe und Verortung Die österreichische Geschichtsschreibung über Menschen afrikanischer Herkunft spiegelt deren gegenwärtige Repräsentation in der österreichischen Öffentlichkeit wider. Sichtbar als stumme, fremd-definierte Objekte und zugleich unsichtbar als handelnde Subjekte tauchen sie im Diskurs vorwiegend als exotisierte oder kriminalisierte „Andere“ auf. Verborgen bleiben häufig Realitäten und Erzählungen aus Schwarzer1 Perspektive. Im Bestreben, die historischen und gegenwärtigen Erfahrungen Schwarzer Menschen in Österreich sichtbar zu machen, setzte die 2005 in Wien gegründete Recherchegruppe zu Schwarzer österreichischer Geschichte den herrschenden Bildern im medialen österreichischen Mainstream eine Reihe von Narrativen aus emanzipatorischem Schwarzem Blickwinkel entgegen. Durch das Forschen zur historischen und gegenwärtigen Situation Schwarzer Menschen als 1

Ich verwende den Begriff Schwarz als Ausdruck für die untergeordnete soziale Position, die rassistisch diskriminierten Menschen zugewiesen wird. Die Geschichte des Begriffs Schwarz und dessen Bedeutung im Rahmen der vorliegenden Untersuchung erläutere ich im Kapitel 1.2.

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Talking Back

gesellschaftlich unterrepräsentierter Gruppe wollten die Aktivist_innen2 ein eigenes Gedächtnis erzeugen und sich in ein größeres Kollektivgedächtnis oder mehrere davon einschreiben. Dahinter stand das Anliegen der Aktivist_ innen, Schwarzen Menschen unterschiedlichster Herkunft die Identifikation als spezifische soziale Gruppe zu ermöglichen und sich so gemeinsam für ihre Bürger- und Menschenrechte im heutigen Österreich starkzumachen. Die Recherchegruppe forschte zu historisch überlieferten, genderspezifischen österreichischen Darstellungstraditionen und zu deren Auswirkungen auf die Lebensrealitäten Schwarzer Menschen seit dem 18. Jahrhundert bis heute, und sie entwarf eigene Gegenbilder dazu. Ihre Vorgangsweise verstanden die Aktivist_innen als talking back3. Ich untersuche diese Selbstrepräsentationen der Recherchegruppe dahingehend, wie und mit welchen Zielsetzungen in ihnen Historisches verarbeitet wurde vor dem Hintergrund der Subjektstärkung der Aktivist_innen in der Gegenwart. Es geht mir dabei nicht darum, die Geschichtsschreibung der Akteur_innen mit jener anderer Historiker_innen zu vergleichen. Vielmehr soll die spezifische Vergangenheitserzählung der Recherchegruppe im Kontext ihrer Entstehung analysiert werden. Die zentrale Frage ist folgende: Welche Strategien hat die Recherchegruppe in ihrer Geschichtsschreibung angewendet, um die Repräsentation Schwarzer Menschen in der Gegenwart zu korrigieren?

2

Um auf die soziale Konstruktion von Geschlecht aufmerksam zu machen, greife ich u. a. auf die Schreibweise mit Unterstrich zurück. Im Kapitel 1.4 lege ich meinen Umgang mit gendersensibler Sprache detaillierter dar.

3

Auf die Definition des Begriffs talking back aus Sicht der Recherchegruppe gehe ich im Kapitel 2.1 näher ein.

12


EINLEITUNG, zentrale Begriffe und Verortung

Das erste Kapitel umfasst die Einführung in die Thematik und eine Klärung der zentralen Begriffe, etwa der Begriffe Rassifizierung und race, Schwarz und weiß, afrikanische Herkunft, wobei ich auf Ansätze aus den Postcolonial Studies zurückgreife. Unabdingbar ist auch eine Erläuterung meines Gebrauchs der Begriffe Frau* und Mann*4. Da ich selbst Teilnehmerin an der Recherchegruppe war, spiegeln sich auch meine Erinnerungen und Erfahrungen in der vorliegenden Untersuchung wider. Ich möchte daher meinen wissenschaftlichen Standpunkt als Wissensproduzentin in doppelter Hinsicht darlegen. Als historisch Forschende, die selbst als Akteurin am Projekt beteiligt war, nähere ich mich der Frage, was meine Nähe zum Gegenstand für meine Forschung bedeutet. Als Orientierung dienen mir afrozentrische feministische Wissenschaftstheorien, feministische Standpunkttheorien, feministische StandpunktEpistemologie und feministische Forschungstheorien aus dem deutschsprachigen Raum. Im zweiten Kapitel stelle ich die Recherchegruppe vor. Nach einer Erläuterung der Strategie des talking back im Sinne von bell hooks, schildere ich den Entstehungsprozess des Kollektivs und lege dar, in welchem gesellschaftlichen Kontext das Projekt Schwarze österreichische Geschichte 2005/2006 seinen Ausgang nahm. Vorgestellt werden die Akteur_innen, ihre Motive, politischen Standpunkte und Zielsetzungen. Danach folgt eine Beschreibung des Arbeitsprozesses der Gruppe. Wie sah ihre theoretische und praktische Herangehensweise an das historiografische Unterfangen aus? Welchen Herausforderungen musste sie sich stellen? Im weiteren Verlauf des Kapitels wird 4

Auch die Hintergründe meiner Schreibweise der Begriffe Frau bzw. Mann mit einem Asterisk (*) lege ich in Kapitel 1.4 dar.

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Talking Back

geschildert, welche Ergebnisse im Zuge der Arbeit der Gruppe entstanden und in welcher Weise sie veröffentlicht wurden. Im darauffolgenden Kapitel stelle ich jene Theorie-Ansätze vor, die mir als wissenschaftliches Handwerkszeug dienen, um die Narrative über die Vergangenheit in den Selbstrepräsentationen der Recherchegruppe untersuchen zu können. Der erste Abschnitt beschäftigt sich mit Fragen zu Gedächtnistheorie und Geschichtspolitik. Wie lässt sich kollektives Gedächtnis herstellen? In welcher Weise spielt die Gegenwart eine Rolle dabei, wie Vergangenheit wahrgenommen und Geschichte geschrieben wird? Und wozu dient gemeinsames Erinnern an Vergangenes? Darauf aufbauend umreiße ich, in welcher Weise Geschichtsschreibung als Instrument politischer Befreiungsbewegungen dienen kann und durch welche Erzählstrategien minority histories gekennzeichnet sind. Als zentral in diesem Zusammenhang erachte ich Gayatri Spivaks Überlegungen zum Sprechen als Subalterne. Daher gehe ich der Frage nach, welche Bedeutung dies im Hinblick auf das öffentliche Sprechen der Recherchegruppe haben kann. Die Auffassung, dass Geschichte und Wissen über Vergangenes nicht unveränderlich sind, sondern mithilfe von Sprache immer wieder neu hergestellt werden, ist einer der zentralen Standpunkte, auf denen diese Untersuchung aufbaut. Um zu verdeutlichen, in welcher Weise demgemäß Bedeutung und Wirklichkeit immer wieder aufs Neue konstruiert werden, dienen mir Theorien zu Repräsentation, Semiotik und Diskurs. Dabei nehme ich Bezug auf Stuart Halls Modell der Repräsentation und auf seine Interpretation von de Saussures Modell der Sprache als Zeichensystem der Bedeutungsproduktion. Die Ansicht, 14


EINLEITUNG, zentrale Begriffe und Verortung

dass Wissen im gesellschaftlichen Kontext auch Macht bedeutet und damit Konsequenzen für das Subjekt hat, soll mithilfe Halls Analyse zu diskurstheoretischen Positionen Michel Foucaults verdeutlicht werden. Um die Strategien der Vergangenheitserzählung der Recherchegruppe sichtbar zu machen, bediene ich mich der historischen Diskursanalyse nach Achim Landwehr (2008). Diese wissenschaftliche Methode soll mir helfen, die soziokulturellen Wirklichkeiten zu erläutern und die Verbindungen zwischen Text und (Entstehungs-)Kontext zu verdeutlichen. Das vierte und das fünfte Kapitel umfassen die Analyse der Selbstrepräsentationen der Recherchegruppe. Den Fokus lege ich dabei auf die Repräsentation von race, Geschlecht und Ethnizität. Auf sprachlicher und bildlicher Makroebene und zum Teil auch auf der Mikroebene analysiere ich die rhetorischen Strategien, mithilfe derer historische Figuren als „Schwarze Frauen*“ und „Schwarze Männer*“ gezeichnet werden. Darüber hinaus untersuche ich, vor welchem zeitgenössischen Hintergrund diese Repräsentationen von Geschlecht, Ethnizität und race entstehen. Anhand dieser Darstellungen versuche ich herauszufiltern, wie die Autor_innen minority history konstruieren, und verdeutliche, in welcher Weise das Erleben der Gegenwart und die Konstruktion von Vergangenheit einander beeinflussen. Das Ziel meiner Untersuchung ist es, zu zeigen, wie spezifisch die Schwarzen Aktivist_innen der Recherchegruppe Vergangenheit darstellen und welcher historiografischer Strategien sie sich beim Schreiben der Schwarzen österreichischen Geschichte bedienen, um auf diesem Weg die gegenwärtige Repräsentation Schwarzer Menschen zu korrigieren.

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