Sarah Binder, Sarah Kanawin, Simon Sailer und Florian Wagner (Hg_innen)
How I Got Lost Six Feet Under Your Mother Ein Serienbuch
zaglossus
1
2
Sarah Binder, Sarah Kanawin, Simon Sailer und Florian Wagner (Hg_innen)
How I Got Lost Six Feet Under Your Mother Ein Serienbuch
zaglossus
3
Wir bedanken uns für die Förderungen durch die Basisgruppe Theater-, Filmund Medienwissenschaft, die Fakultätsvertretung für Geistes- und Kulturwissenschaften, die Fakultätsvertretung Human- und Sozialwissenschaften, die Institutsgruppe Germanistik, die Institutsgruppe Philosophie, die Basisgruppe Internationale Entwicklung, die Studienrichtungsvertretung/Institutsgruppe Geschichte, die Institutsgruppe Bildungswissenschaft und die Österreichische HochschülerInnenschaft an der Universität Wien. Gefördertes Sonderprojekt der HochschülerInnenschaft an der Universität Wien.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © Zaglossus e. U., Wien, 2013 2., unveränderte Auflage 2014 Bis inkl. Juni 2018: Alle Rechte vorbehalten. Danach ist dieses Projekt lizensiert als Inhalt der Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-KeineBearbeitung 3.0 Unported-Lizenz. Um eine Kopie der Lizenz zu sehen, besuchen Sie http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/.
Lektorat: Nicole Alecu de Flers, Erika Doucette Druck: Prime Rate Kft., Budapest Printed in Hungary ISBN 978-3-902902-05-4 Zaglossus e. U. Vereinsgasse 33/12+25, A-1020 Wien E-Mail: info@zaglossus.eu www.zaglossus.eu
4
Inhalt
How I Got Lost Six Feet Under Your Mother: Ein Vorwort Astrid Hanisch Dead-End Street: Über antirassistische Strategien und deren Scheitern in der Lindenstraße
7
15
Jana Jedličková Good Gays, Dead Gays, and the Heteronormative Threesome: Representation of LGB Characters in Czech Fictional TV Series 31 Sebastian Klausner Stop Being a Sissy and Act Tough: ‚Sissy Jew‘ und ‚Tough Jew‘ in Curb Your Enthusiasm und Band of Brothers
47
Sarah Kanawin Antiintellektualismus in Friends und How I Met Your Mother
63
Georg Lotz Race vs. Class bei Malcolm in the Middle
79
Florian Wagner Geschlecht – Geschichte – Utopie: Emanzipation im Star-Trek-Franchise
93
Anne Ganzert The Italian American Family in Reality TV, or Sono tutti nella mafia?
111
Martin Fritz und Carmen Sulzenbacher Was wir mit Buffy denken können
125 5
Frank Max Müller Erinnerung an Aids: Angels in America und der Mythos vom Ende der Krise
139
Helga Haberler Quaking Well-Established Lines? Orientations in the Reality Show The Real L Word
155
Veronika Zwing Erzähl du mir nicht, wie es passiert ist! Über die Rolle der Serie Cuéntame cómo pasó im spanischen Erinnerungsdiskurs
171
Saša Miletić American Horror Story: Das Horrorhaus als das Ende der Familie?
187
Die Autor_innen
202
6
How I Got Lost Six Feet Under Your Mother Ein Vorwort
1. Dieses Buch ist im Rahmen von kritTFM entstanden. Der Verein zur Förderung kritischer Theater-, Film- und Medienwissenschaft wurde 2011 von den Herausgeber_innen dieses Sammelbandes gegründet, um einen Rahmen für kritische wissenschaftliche Arbeit zu bieten. Wissenschaft mit einem expliziten und grundsätzlich gesellschaftskritischen Anspruch hat es in den etablierten Bereichen oft schwer. Im Wissenschaftsbetrieb von heute werden Menschen, denen es um mehr geht als um ihr Prestige oder das des Instituts, oft als Störfaktor empfunden. Eine Erfahrung, die einige von uns persönlich machen mussten. Damit diese Arbeit dennoch stattfinden kann, riefen wir kritTFM ins Leben. Zu Beginn des Prozesses, aus dem sich der vorliegende Band entwickelt hat, war von einem Buch noch gar keine Rede. Und es gab noch nicht einmal kritTFM. Alles begann beim gemeinsamen Serienschauen. In kleiner Runde trafen sich einige Interessierte wöchentlich, um über verschiedene Serien, die zu einem Überthema zusammengestellt wurden, zu diskutieren. Dies bedeutete, einerseits Spaß zu haben und andererseits die jeweilige Seherfahrung danach gemeinsam im Gespräch zu reflektieren. Das Konzept funktionierte erstaunlich gut. Die Debatten waren lebhaft und boten die Möglichkeit, die eigene Rezeption jener der anderen gegenüberzustellen. Die Serien gaben Anlass, die unterschiedlichsten Themen und die Möglichkeiten, sie medial zur Darstellung zu bringen, zu diskutieren. Irgendwann begann in den Köpfen einiger die Idee zu gären, die Arbeit auf andere Weise fortzusetzen. Das handgreifliche Ergebnis jener Fortsetzung ist dieser Band. 7
2. Uns war bewusst, dass über Serien schon sehr viel geschrieben wurde. Auch kannten wir die Probleme, die vielen dieser Texte immanent sind. Meist handelt es sich entweder um lieblose Pflichtübungen publikationswütiger Akademiker_innen oder aber um den Versuch, die eigene Lieblingsserie – begeistert, aber oft vorschnell – zum subversiven Meisterstück zu erklären. Häufig gelangen diese Texte nicht einmal über eine Beschreibung hinaus, begnügen sich damit, den Inhalt der Serie wiederzugeben und uns dabei die Frage fühlen zu lassen: Ist das nicht subversiv? Insbesondere in politisch linken Kontexten ist das Rezeptionsmotiv weitverbreitet, nicht primär die Serie, sondern die Gesellschaft mit der Serie zu kritisieren. Das ist unserer Ansicht nach eine Form der Fernsehkritik, die auf halbem Wege stehen bleibt. Emanzipatorischer Fernsehkritik sollte es darum gehen, nicht die Gesellschaft mit der Serie, sondern die Gesellschaft und die Serie zu kritisieren, was auch eine kritische Hinterfragung der eigenen Rezeptionsmuster (Stichwort: Subversive Reading) und der Eskapismen, aus denen sie sich speisen, notwendig macht. Wer versucht, Antisemitismus mit South Park, patriarchale Verhältnisse mit Buffy the Vampire Slayer oder Antiintellektualismus mit The Simpsons zu kritisieren, läuft Gefahr, gegenläufige Lesarten, die nicht unbedingt eine Fehlrezeption darstellen, sondern in diesen Serien durchaus angelegt sind, auszublenden. Dem Impuls, der behandelten Serie, die natürlich oft mit großem Vergnügen und Genuss konsumiert wurde, ein positives Attest auszustellen, ist zu misstrauen. Der Impuls selbst und seine gesellschaftlichen Implikationen müssten Gegenstand kritischer Untersuchung sein. Eine weitere Falle, in die Serienrezipient_innen allzu oft tappen, ist, dass sie außer Acht lassen, selbst Teil einer Zielgruppe zu sein. So manche Tendenzen der Fernsehkritik lassen sich auf diesen unbewussten Blick zurückführen. Feuilletonist_innen und Kritiker_innen neigen dazu, sich für die Einzigen zu halten, die Serien in einer etwas distanzierten und verfügenden Weise sehen. 8
Sie vergessen dabei, dass manche Serien mittlerweile genau auf dieses kühle und sich überlegen fühlende Publikum zielen. Von dieser Kritik wollen wir uns selbst auch nicht ohne Weiteres ausnehmen. Deshalb war unsere Idee auch nicht, einfach einen weiteren Sammelband den schon existierenden hinzuzufügen. Stattdessen ging es uns darum, diese Probleme in unsere Reflexion miteinzubeziehen. Wir wollten fragen, wie es dazu kommt, dass wir unsere Lieblingsserien so gern zur politischen Kritik erhöhen, anstatt über ihre Eingebundenheit in gesellschaftliche Zusammenhänge zu reflektieren. Die Frage also, die uns zuvorderst beschäftigte, war die nach der gesellschaftlichen Funktion von Fernsehserien, nach den Mechanismen ihrer Produktion, Rezeption und Meta-Rezeption.
3. Uns war bei der Umsetzung dieser Ideen in einem Sammelband wichtig, zu versuchen, einen unkonventionellen Weg zu gehen. Dennoch haben wir das Buchprojekt vergleichsweise gewöhnlich gestartet und einen Call for Papers in deutscher und englischer Sprache an möglichst viele Stellen in ganz Europa geschickt, an denen wir Serien-Interessierte vermuteten. Bei der Auswahl der Autor_innen war es uns ein Anliegen, dass mindestens die Hälfte von ihnen Autorinnen sind. Der zweite Schritt war, die Autor_innen aller Einreichungen, die uns interessant erschienen und die zum Konzept passten, für ein Workshop-Wochenende nach Wien einzuladen, da es uns wichtig war, dass sich alle, die an diesem Buch mitarbeiteten, kennenlernten und eine inhaltliche Auseinandersetzung stattfinden konnte. Es sollte ausdrücklich nicht darum gehen, einen Vortrag zu halten und ihn als biografischen Beleg für diese Tätigkeit später in einem Sammelband abgedruckt zu sehen. Vielmehr stand für uns im Vordergrund, scheinbare Gewissheiten – sowohl unsere als auch die der Autor_innen – infrage zu stellen und im ständigen Kontakt weiter an den Texten zu arbeiten. Während dieser zwei Tage wurde in großen und kleinen 9
Gruppen über Textentwürfe und Theorien diskutiert, wurden neue Perspektiven aufgemacht und andere verworfen. Ein Teil der Arbeit ist also gemeinsam geschehen und konnte in die anschließend verfassten Texte einfließen. Die Diskussionen, die an dem Wochenende stattfanden, waren sehr lebhaft und kontrovers. Die Konflikte wurden häufig dadurch ausgelöst, dass Teilnehmer_innen schon relativ genaue Vorstellungen ihres Beitrags und Zugangs hatten oder beispielsweise die angesprochene Skepsis gegenüber der, uns allen eigenen, Begeisterung für Popkultur grundsätzlich nicht teilten. So drehten sich in manchen Gruppen die Diskussionen wiederholt um ähnliche prinzipielle Fragen. Insgesamt war uns wichtig, Grundvoraussetzungen bezüglich einer kritischen Sicht auf Gesellschaft gemeinsam zu erarbeiten. Da uns der Anspruch einer kritisch-theoretischen Auseinandersetzung entscheidend schien, die Autor_innen jedoch aus unterschiedlichen Zusammenhängen mit unterschiedlichen Ansätzen in das Projekt kamen, hielten wir während des gemeinsamen Workshop-Wochenendes eine Einheit für ausführlichere theoretische Auseinandersetzungen frei. Unter dem Diskussionstitel Die Serie, die ich mir wünsche, würde ich mir selbst gar nicht ansehen? hatten wir drei Texte herausgesucht, die helfen sollten, darüber zu sprechen, welche Anforderungen wir an Serien haben, inwieweit es wünschenswert wäre, diese Utopien umzusetzen, und was dies bedeuten würde. Als Texte hatten wir Beyond True Blood’s Sensationalism, ein Blog-Transcript von der Feminist-FrequencyBloggerin Anita Sarkeesian, Fernsehen als Ideologie von Theodor W. Adorno und die Resolution des Rats der Drei vom 10.4.1923 von Dziga Vertov ausgesucht und im Vorfeld des Workshop-Wochenendes allen Autor_innen zur Verfügung gestellt. In der Diskussion wurde jedoch fast ausschließlich über den Text von Adorno gesprochen, gegen den es von einigen eine starke Abwehrhaltung gab, die in der Diskussion dann auch sehr viel Raum einnahm. Wir fanden, dass in Fernsehen als Ideologie viel Kritik an Motiven und Konventionen, die gerade in aktuellen Serien eine 10
große Rolle spielen, formuliert wird. Insofern ist es für uns nicht leicht zu sagen, was genau hinter dem unvorhergesehenen Ablauf der Diskussion steckte. Einige fanden den Text von Adorno sehr wohl anregend und haben auch Motive daraus verarbeitet, andere haben den Zeitpunkt der Diskussion, die am Abend des ersten Tages im Anschluss an die Kleingruppen-Arbeit stattfand, oder die Größe der Gruppe von etwa 20 Personen als diskussionshemmend empfunden. Womöglich war auch die Idee, innerhalb eines Projekts, das darauf ausgerichtet war, Themen gemeinsam zu erarbeiten, Texte zur Diskussion vorzugeben, unpassend oder wir haben die Vorbehalte, die es gegenüber der Kritischen Theorie gibt, unterschätzt. Letztlich führte es dazu, dass diese gezielte theoretische Auseinandersetzung am Workshop-Wochenende nicht so recht klappen wollte. Wir hoffen jedenfalls, dass die Beiträge in diesem Buch, die sich auf Kritische Theorie beziehen, genauso offen aufgenommen werden wie jene, die dies nicht tun. Was die Arbeit an den, hier vorliegenden, Texten anbelangt, haben wir die Autor_innen dazu angehalten, verstärkt Literatur von Wissenschaftlerinnen in ihre Beiträge einzubeziehen. Dies führte zumindest zu einer Auseinandersetzung damit, dass es eine zu geringe Repräsentation von Frauen in der Wissenschaft gibt. Sowohl im Kanon der Film- und Fernsehwissenschaft als auch in jenem der Gesellschaftstheorie sind Frauen immer noch massiv unterrepräsentiert und ihre Texte viel weniger verfügbar als die ihrer männlichen Kollegen. Auch in diesem Sammelband ist es jedoch leider nur teilweise gelungen, den männlichen Überhang in den Literaturlisten zurückzudrängen. Ein weiterer Punkt, den wir hier erwähnen möchten, ist, dass nicht alle Workshop-Teilnehmer_innen dann auch wirklich Texte geschrieben haben. Für uns ist es insofern wichtig, darauf hinzuweisen, als wir einerseits mit dieser Transparenz Autor_innen ermutigen möchten, indem wir zeigen, dass Autor_innen auch hin und wieder Texte nicht fertigstellen, und andererseits auch unser Bedauern ausdrücken möchten, dass einige Arbeiten, deren Konzeption wir interessant fanden, deshalb leider in diesem Buch fehlen. 11
4. Die hier gesammelten Texte wurden ausführlich diskutiert und mehrfach überarbeitet. Allen ist gemein, dass sie auf unterschiedliche Weise versuchen, die behandelten Serien zu kritisieren, und die Vielfalt, in der dies passiert, ist spannend und bereichernd. Die kritisch-analytischen Ansprüche, die wir für das Projekt formuliert hatten, waren, wie aus der Beschreibung des Projektablaufs ersichtlich wird, sehr hoch. Auch diejenigen unter den Herausgeber_innen, die selbst Beiträge beigesteuert haben, mussten merken, dass es nicht so leicht ist, all diese Ideen und Anforderungen in einem Text umzusetzen. Die sehr unterschiedlichen Zugänge der Autor_innen waren jedoch meist produktiv und führten mitunter zu regen Auseinandersetzungen bei der redaktionellen Arbeit, deren Gründlichkeit uns sehr wichtig war. Anzumerken ist an dieser Stelle auch, dass uns bezüglich des Textformats die Nähe zum behandelten Gegenstand wichtiger war als das Einhalten wissenschaftlicher Konventionen. Die Forcierung von gesellschafts-, herrschafts-, und selbstkritischer Auseinandersetzung mit Fernsehserien und ihren kulturindustriellen Identifikationsangeboten, welche von uns angestrebt wurde, ist in den Beiträgen weitgehend vorhanden. Unter welchen Bedingungen Fernsehserien produziert werden und wie die Gesellschaft in sie hineinwirkt, wird ebenfalls in so manchem Text dieses Bandes thematisiert. Einige Beiträge rücken eine Kritik an regressiven Elementen, die in den Serien enthalten sind, ins Zentrum, während die interessante Spannung zwischen Intention und Endprodukt vergleichsweise wenig behandelt wurde. Mehrere Texte befassen sich auch mit dem Umstand, dass es sich bei kulturindustriellen Produkten um Erscheinungen einer warenproduzierenden Gesellschaft handelt, und manche Ansätze greifen zudem die Methode der Reflexion über das den eigenen Serienkonsum leitende Begehren auf. Nicht zuletzt uns selbst ist bewusst geworden, dass die eigenen Rezeptionsgewohnheiten zu hinterfragen oft mit schmerzhaften Erkenntnissen einhergeht, 12
und wir sind umso glücklicher, dass sich einige Autor_innen darauf eingelassen haben, sich selbst und die Gesellschaft genauer unter die Lupe zu nehmen.
5. Wie beschrieben, war der Weg zu diesem Buch ein langer, mit vielen unterschiedlichen Menschen und verschiedenen Stationen. Bereits in den Workshops prallten zum Teil unterschiedliche Meinungen aufeinander, genauso wie die Redaktionsarbeit oft kontrovers war. Diese Auseinandersetzungen und der lange Prozess, den alle Texte durchliefen, haben – so hoffen wir – sowohl dieses Buch als Ganzes als auch die einzelnen Texte bereichert. Die Beiträge rücken Fragen ins Zentrum, die sowohl in der vorherrschenden wissenschaftlichen als auch in der feuilletonistischen Auseinandersetzung mit Fernsehserien eher an den Rand gedrängt werden. Sie liefern damit Impulse für eine gesellschaftsund ideologiekritische Auseinandersetzung mit seriellen Waren und den Verhältnissen, in denen sie produziert und rezipiert werden. Wir wünschen eine angenehme Lektüre und hoffen, mit diesem Sammelband zu weiterer emanzipatorischer Medien- und Gesellschaftskritik anzustiften.
Die Herausgeber_innen
13