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Soziokratie –
Betriebssystem für Selbstverantwortung
Mehrheitsbeschlüsse, pyramidenförmige Hierarchien, Konsensfindung in langen Diskussionen sind nicht nachhaltig. Immer mehr Gemeinschaften wenden Soziokratie an. Sie geht auf den Unternehmer Gerard Endenburg aus Rotterdam und den Reformpädagogen und Quäker Kees Boeke zurück. Wir fassen die Funktionsprinzipien zusammen.
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Soziokratie besteht aus vier Elementen:
• Die soziokratische Wahl
• Der Konsent
• Das Kreisprinzip
• Die doppelte Bindung
Eine soziokratische Wahl besteht aus drei Runden: In der ersten Runde schlägt jeder reihum offen und transparent einen Menschen vor, den er oder sie in der Position sehen möchte – und begründet die eigene Wahl. In einer zweiten Runde kann jeder im Kreis seine Meinung noch einmal ändern und auf die neuen Informationen eingehen. Jetzt kann man sich auf wenige Kandidaten fokussieren.
Vor der dritten Runde macht die Moderation aus allen Nennungen einen Vorschlag – und anschliessend kann jeder im Kreis Stellung nehmen, also wählen.
Dazu gibt es drei Möglichkeiten: Das Einverständnis, die Enthaltung oder einen schwerwiegenden Einwand. Erhält die vorgeschlagene Person keinen schwerwiegenden Einwand ist sie gewählt. Bei einem schwerwiegenden Einwand wird nachverhandelt.
Konsent: Ein Kreis bearbeitet ein Problem und jemand macht einen abstimmungsfähigen Vorschlag. Dann gibt es zunächst eine Runde für Verständnisfragen. Erst in der zweiten Runde, falls es sie noch braucht, geht es um Meinungsäusserungen. Jeder hat das Recht auf einen schwerwiegenden Einwand. Die Moderation fasst immer wieder das Gesagte zusammen und macht Vorschläge, die Einwände zu integrieren. Auf diese Weise entwickelt sich der ursprüngliche Vorschlag weiter, gewinnt an Komplexität, modifiziert sich an einigen Stellen, wird tragfähiger – bis alle dahinter stehen können. Damit ist eine Entscheidung getroffen, die von allen aktiv erarbeitet wurde und die alle mitverantworten.
Einen schwerwiegenden Einwand zu erheben, verlangt Mut und Selbstverantwortung. Die Gruppe wird jetzt im Gespräch herausfinden, wie der Vorschlag so modifiziert werden kann, dass er den Einwand integriert. Der Einwendende ist verpflichtet, an der Integration mitzuarbeiten. Wenn es gar keine Lösung gibt und er der einzige ist, der nicht mit der Entscheidung leben kann, kann es auch bedeuten, dass er den Kreis oder das Projekt verlässt.
Das Kreisprinzip: Die Soziokratie trifft alle Entscheidungen in einem System verschiedener Kreise. Ein Kreis ist eine Gruppe von Menschen, die sich für ein gemeinsames Ziel verantwortlich fühlen. Innerhalb ihrer Domäne, die jeweils genau definiert ist, treffen sie ihre Entscheidungen autonom.
Jedes Mitglied eines soziokratischen Unternehmens sollte Teil eines Kreises sein. So ist gewährt, dass alle Mitverantwortung für das Ganze tragen. Die Entscheidungen und Prozesse werden protokolliert, so dass sie auch für Menschen nachvollziehbar sind, die nicht dabei waren.
Doppelte Bindung: Neben den Arbeitskreisen gibt es den Allgemeinen Kreis oder Koordinationskreis, bei dem alle Informationen zusammenlaufen. Jeder Kreis wählt eine Person, die ihn im Allgemeinen Kreis vertritt. Und der Allgemeine Kreis bestimmt zusätzlich einen Vertreter für jeden Fachkreis. Durch diese doppelte Bindung, also zwei Personen, die in beiden Kreisen sind, ist gewährt, dass alle Informationen, aber auch Spannungen, Emotionen, Zweifel in beide Richtungen fliessen.
Christa Dregger