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Die Mitläufer sind immer auch Gegner

Ein Gespräch mit Dr. Hans-Joachim Maaz über die Sehnsucht nach Geführt-Werden und die Rückeroberung unserer Autonomie

Für viele Gruppen ist das ein Problem: Die meisten Menschen lehnen Führung und Führer ab – haben aber selbst nie gelernt, autonom und selbstverantwortlich zu handeln. Entweder bekämpfen sie Menschen mit Führungsqualität – oder unterwerfen sich ihnen. In beiden Fällen entsteht Abhängigkeit. Wie lernen wir mehr Selbstverantwortung? Wie werden wir widerstandsfähiger gegen Manipulation? Und was können Gemeinschaften – Gruppen, Teams, Dörfer – tun, um ihre Mitglieder darin zu unterstützen? Diese Fragen stellen wir, Christa Dregger­Barthels und Bernhard Wallner, dem Psychoanalytiker Dr. Hans­Joachim Maaz.

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Wieso entsteht so oft Abhängigkeit von charismatischen Führern?

Hans Joachim Maaz: Die meisten Menschen sind zu Abhängigkeit erzogen worden. Sie erleben das oft nicht einmal mehr als leidvoll. Denn für sie ist es normal, das zu tun, was die Eltern, die Lehrer, der Mainstream sagt. Deshalb spreche ich von Normopathie: Das Gestörte wird für normal gehalten. Es machen ja alle so. Und dann kann es nicht falsch sein.

Das überträgt sich dann auch auf soziale Gruppen. Ich orientiere mich an denen, die mir was zu sagen haben oder die ich verehren kann. Wenn man zum Anhänger wird, hat man soziale Vorteile, gehört dazu, wird anerkannt.

Aber dann werden diese Idole auch bekämpft. Warum? Wir haben entweder die begeisterten Mitläufer, die dann schnell auch zu Mittätern werden. Oder die, die dagegen sind. Die sind aber genauso abhängig. Aus verschiedenen persönlichen oder sozialen Gründen, die man analysieren kann, entwickeln sie Protest. Aber sie bleiben abhängig von dem, wogegen sie sind. Denn auch sie sind nicht bei sich selbst. Und dann gibt es Menschen, die vom Anhänger zum enttäuschten Verfolger werden.

Dr. Hans­Joachim Maaz, geb. 1943, war von 1980 bis 2008 Chefarzt der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik im Diakoniewerk Halle (Saale) und langjähriger Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für analytische Psychotherapie und Tiefenpsychologie (DGAPT). Der breiten Öffentlichkeit wurde Hans­Joachim Maaz durch sein Buch «Der Gefühlsstau. Psychogramm der DDR» (1990) bekannt. Hans­Joachim Maaz meldet sich immer wieder zur gesellschaftlichen Situation in unserem Land zu Wort. Aktuell zum Thema: Das falsche Leben – Ursachen und Folgen unserer normopathischen Gesellschaft. C.H. Beck, 6. Aufl., 2020. 256 S. Fr. 27.90/€ 16.95.

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