Ausgabe 2_2022: holzBAUKULTUR

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BAUKULTUR Zeitschrift des DAI Verband Deutscher Architekten- und Ingenieurvereine e.V.

2022

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Schwerpunkte Bauen mit Holz Nachhaltigkeit Modulbau Vorfertigung

BAUKULTUR

holz


Der Cradle to Cradle-zertifizierte Holzwerkstoff GCC macht auch ein 6,5 m freispannendes räumliches Tragwerk bei einer statischen Höhe von nur 27 cm möglich.

Weitere Informationen zu GCC finden Sie in dieser Ausgabe und unter www.megawood.com/gcc

©MRSS Design | ©NOVO-TECH GmbH & Co. KG

Ein Meisterwerk der Statik mit GCC


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editorial

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LIEBE LESERINNEN UND LESER, VEREHRTE FREUNDE DER BAUKULTUR, seit Dezember 2021 gibt es mit dem Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen unter der Leitung von Bundesministerin Klara Geywitz wieder ein eigenständiges Bauressort innerhalb der Bundesregierung. Ich freue mich sehr, über die Aufgabe als Staatssekretär bei der Umsetzung der im Koalitionsvertrag der Regierungspartner vereinbarten Ziele in der laufenden Legislaturperiode in diesem neuen Haus mitzuwirken. Die vor uns liegenden Aufgaben sind ambitioniert, spannend und vielfältig. Um den hohen Bedarf an bezahlbarem Wohnraum in breiten Teilen der Bevölkerung zu decken, hat sich die Bundesregierung ehrgeizige Ziele gesetzt. Wir wollen den Bau von 400.000 Wohnungen pro Jahr ermöglichen, davon 100.000 öffentlich gefördert. Diese Aufgabe stellt uns vor eine Vielzahl an Herausforderungen, die wir in einem breiten Bündnis mit unseren Partnern in den Ländern, den Kommunen und in der Bau- und Wohnungswirtschaft lösen müssen. Um nur einige zu nennen: Wir müssen mehr bezahlbares Bauland für den Wohnungsbau mobilisieren. Wir müssen Lösungen für den Fachkräftemangel auf dem Bau finden. Wir müssen das Planen und das Bauen schneller, effizienter und kostengünstiger machen. Gleichzeitig müssen wir die Klima- und Nachhaltigkeitsziele der Bundesregierung im Neubau und im Gebäudebestand erreichen. Und schließlich: Das Bauwesen muss auch einer bestimmten gestalterischen Qualität entsprechen. Der Bund als Förderer sowie größter Bauherr und Betreiber von Gebäuden ist sich seiner Vorbildrolle für öffentliche und private Bauherren in der Bundesrepublik bewusst. Mit Einrichtungen, wie der Bundesstiftung Bauakademie und der Bundesstiftung Baukultur, verfolgen wir das Ziel, das Wissen zu Qualitäten in Architektur, Städtebau und Stadtentwicklung zu mehren, zu bündeln und in die Breite der Gesellschaft zu vermitteln. Mit dem Deutschen Architekturpreis vergibt das BMWSB zudem einen Staatspreis, der das Miteinander von Baukultur und nachhaltigem Bauen im Blick hat. Im Innovationsprogramm Zukunft Bau des BMWSB ist die Forschung zu Roh- und Baustoffen und zu den Möglichkeiten ihres innovativen Einsatzes seit Jahren fester Bestandteil. Auch die Bauforschung trägt damit zur Erreichung unserer bau- und wohnungspolitischen Ziele bei. Holz und Lehm sind traditionelle und nachhaltige Baustoffe. Zahllose Bauwerke im Bundesgebiet zeugen von ihren breiten Verwendungsund Gestaltungsmöglichkeiten sowie ihrer Sicherheit und Langlebigkeit.

Holz ist dabei einer der wichtigsten nachwachsenden Baustoffe, der gute Baustoffeigenschaften mit vorteilhaften bauphysikalischen Eigenheiten vereint. Mit der im Jahr 2021 neu etablierten Nachhaltigkeitsklasse in der Bundesförderung für Effiziente Gebäude (BEG) wurde eine Möglichkeit geschaffen, den Einsatz treibhausgasarmer Baustoffe positiv in der Bewertungssystematik der Investitionsförderung abzubilden. Vorerst ist diese Möglichkeit dem Neubau vorbehalten. Das BMWSB arbeitet aber bereits an Lösungen für den Bestandsbereich. Holz birgt auch Chancen für das serielle und modulare Bauen. Mit der Vorfertigung von Gebäudetypen und Modulen lassen sich sowohl gestalterisch hochwertige Lösungen für anspruchsvolle Bauaufgaben finden als auch Bauzeiten und -kosten verringern. Zahlreiche bereits realisierte oder in Planung befindliche Bauvorhaben zeigen die Möglichkeiten des Werkstoffs Holz, um auch mehrgeschossige Gebäude und sogar ganze Wohnquartiere zu realisieren. Zudem kann der Rohstoff Holz vergleichsweise einfach je nach Behandlungsweise entsorgt oder im Sinne einer Kreislaufwirtschaft wiederverwendet werden. Auch im Hinblick auf die Sicherheit der Rohstoffversorgung und der Preisstabilität sind nachwachsende Holzbaustoffe aus regionalem Anbau ökonomisch und ökologisch vorteilhaft. Holz erfährt als Baustoff eine internationale Renaissance. Das konnte man an mehreren Beiträgen auf der 17. Architektur Biennale Venedig im vergangenen Jahr ablesen. Insbesondere die holzreichen Länder Skandinaviens und die USA widmeten ihre Beiträge der historischen Bedeutung des Pionier-Rohstoffs Holz bei der Besiedlung und Kultivierung ihrer Länder, bei der Deckung des Wohnraumbedarfs und in der Raumgestaltung, auch unter den angesprochenen aktuellen Blickpunkten. Die Erreichung unserer hochgesteckten Ziele im Bauwesen kann nur im Verbund gelingen. Ihre Erfahrung und Ihr Wissen zu den komplexen Prozessen und Zusammenhängen im Bauwesen sind dabei überaus wertvoll. Ihr

Dr. Rolf Bösinger Staatssekretär im Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen


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DAI bundesweit

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Kiel

Pinneberg

DAI Festschrift Anlässlich des 150-jährigen Jubiläums des DAI im vergangenen Jahr erscheint in Kürze eine Festschrift, in der nicht nur die Geschichte des Dachverbandes umfassend dargestellt wird. Es wird auch ein Blick in die Zukunft gewagt. Darüber hinaus berichten die einzelnen Mitgliedsvereine über ihre Aktivitäten und Projekte. Gerne können Sie die Publikation zum Subskriptionspreis heute schon vorbestellen:

Osnabrück

Berlin-Brandenburg

Leipzig Düsseldorf

Oberhessen Wiesbaden Aschaffenburg

Telefon: 030 – 214 731 74 Mail: kontakt@dai.org

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DAI Mitgliedsverein

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kein DAI Mitgliedsverein DAI Mitgliedsverein mit Textbeitrag in der vorliegenden Ausgabe

DAI MITGLIEDSVEREINE AIV Aschaffenburg AIV Aschersleben-Staßfurt AIV Bad Hersfeld AIV Braunschweig AIV Frankfurt AIV Hanau AIV Hannover AIV Hildesheim AIV Koblenz

AIV KölnBonn AIV Konstanz AIV Leipzig AIV Marburg AIV Mark Sauerland AIV Oberhessen AIV Schweinfurt AIV Stuttgart AIV Ulm

AIV Würzburg AIV zu Berlin-Brandenburg AIV zu Magdeburg Mittelrheinischer AIV Darmstadt Münchener AIV Münsterländer AIV Oldenburgischer AIV Ruhrländischer AIV zu Essen Schwäbischer AIV Augsburg


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inhalt

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Rubriken Nachrichten Kolumne Bundesstiftung Baukultur Wirtschaft + Recht

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DAI aktuell Aus dem Präsidium

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DAI regional Münchener AIV: Nachruf

10–24 10–11 12–13 14–15 16–17 18–19 20–21 22–23 24

Schwerpunkte: Bauen mit Holz, Nachhaltigkeit, Modulbau, Vorfertigung ITBS Ingenieurgesellschaft mbH: Fußgängerbrücke in Bad Mergentheim Kaden + Lager GmbH: Aufstockung in Berlin Arc Architekten Partnerschaft mbH: Dombauhütte in Passau noa* network of architecture: Hotel in Südtirol Seiler Linhart Architekten AG: Bankgebäude in der Schweiz Sozialbau Kempten GmbH: Wohnhochhaus in Kempten Fischer Rüdenauer Architekten PartmbH: Kinderhaus in Walting Kersten Kopp Architekten GmbH: Kindertagesstätte in Berlin

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Advertorials | Anzeigen Holzius GmbH: Wohngebäude MaxAcht in Stuttgart Lignatur AG: Erweiterungsbauten für die Stiftung Tanne in Langnau Keimfarben GmbH: Wohnquartier Lagom am Ammersee Kebony AS: Depot für das Deutsche Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven NOVO-TECH Trading GmbH & Co. KG: Nachhaltigkeit durch Kreislaufwirtschaft elka-Holzwerke GmbH: CO2-Zertifizierung für esb Markenprodukte GUTEX Holzfaserplattenwerk: Wohngebäude in Schönau HELIX Schraubfundamente GmbH & Co. KG: Moderne Pfahlgründung

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Titel: Hotel in Südtirol von noa* network of architecture (Foto: Alex Filz)

Editorial Dr. Rolf Bösinger DAI bundesweit Inhalt

Autoren | Vorschau | Impressum


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nachrichten

DACH+HOLZ Wie viele andere für das Frühjahr geplante Fachmessen wurde auch die DACH+HOLZ International aufgrund der anhaltenden Coronapandemie auf den Sommer verschoben. Sie findet nun vom 5.–8.7.2022 in Köln statt. Über 300 Aussteller aus 18 Ländern werden ihre Neuentwicklungen aus den Bereichen Holzbau, Dach, Fassade, Ausbau, Klempnertechnik und Metallbearbeitung vorstellen. www.dach-holz.com

FENSTERBAU FRONTALE Auch die Nürnberger Doppelmesse FENSTERBAU FRONTALE und HOLZ-HANDWERK wurde neu terminiert und auf den 12.– 15.7.2022 verlegt. Erwartet werden über 560 Aussteller, davon die Hälfte international. Geboten werden Innovationen und wegweisende Technologien für Industrie, Handwerk und Automation, die Architect‘s Area, das FENSTERBAU FRONTALE FORUM sowie zahlreiche Sonderschauen. www.frontale.de

Deutscher Fassadenpreis für VHF Der Deutsche Fassadenpreis 2022 für Vorgehängte Hinterlüftete Fassaden (VHF) prämiert außergewöhnliche Architekturfassaden, die innovative und nachhaltige Lösungen mit fachgerechter Ausführung vereinen. Noch bis 20.5.2022 können sich Architekten und ihre Bauherren bewerben. www.fvhf.de WDVS im Holzbau Wissenschaftler des Fraunhofer WKI und der TU Braunschweig haben Modelle zur Vorhersage des Gesamtverhaltens von Wärmedämmverbundsystemen (WDVS) im Holzbau entwickelt. Die Ergebnisse

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WDVS-Probekörper im Druckversuch (links), die ermittelten Verformungen (Mitte) und das simulierte Trag- und Verformungsverhalten einer „identischen“ Probe (rechts) (Grafik: © TU Braunschweig, Xinyi Li)

fließen in einen Leitfaden ein. Damit wird es zukünftig leichter, neue Komponenten in bereits zugelassene WDVS zu integrieren. Außerdem eröffnen sich Wege für Materialinnovationen mit nachwachsenden Rohstoffen. Bereits zugelassene WDVS können dank der neuen Erkenntnisse optimiert werden. www.wki.fraunhofer.de

Baukulturdialog Der Baukulturdialog „Holz(um-)bau und Handwerk“ am 23.3.2022 in Arnsberg thematisiert die Rolle von Holzbau und Handwerk in einer neuen Umbaukultur. Im Versuch, die enormen Emissionen, die durch das Bauwesen entstehen, zu reduzieren, hat der Umbau bestehender Substanz ein hohes Potenzial. Durch die Möglichkeit zu hoher Vorfertigung, serieller Produktion und durch seine leichte Bauweise ist Holz ein geeignetes und natürliches Umbaumaterial. Veranstalter ist die Bundesstiftung Baukultur. www.bundesstiftung-baukultur.de

Mad arkitekter. Die Berliner Galerie Aedes präsentiert den Entwurf noch bis 10.3.2022 in der Ausstellung „Mad About Dugnad. Gemeinsam arbeiten, besser bauen“. www.aedes-arc.de GeschmacksSache Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten: Was ist Geschmack? Wer definiert ihn? Und wie zeigt sich guter oder schlechter Geschmack? Mit der Ausstellung „GeschmacksSache – Vorbildliches Design um 1900“ stellt das Landesmuseum Württemberg noch bis 1.5.2022 ausgewählte Stücke aus der „Sammlung der Geschmacksverirrungen“ von Gustav Pazaurek vor, dem ehemaligen Direktor des Stuttgarter Landesgewerbemuseums.

Ausschnitt aus dem Ausstellungsplakat (© Landesmuseum Württemberg, Foto: Hendrik Zwietasch)

www.landesmuseum-stuttgart.de

Mad About Dugnad Das derzeit in Berlin in Planung befindliche Holzhochhaus Woho gilt als städtebauliches und soziales Pilotprojekt. Es stammt von dem norwegischen Architekturbüro

Neue Nachbar*innen Die Sammlung des Architekturmuseums der TU München wächst beständig. Zahlreiche Neuzugänge des Archivs werden beispielhaft als „neue Nachbar*innen“ mit Objekten des Altbestandes in einen spannungsvollen Dialog gebracht. Ziel der vom 10.3.–5.6.2022 gezeigten Ausstellung ist es, die Sammlung als ein dynamisches Reservoir des Wissens zu präsentieren, aus dem wertvolle Erkenntnisse zu unserer gebauten Umwelt gewonnen werden können. www.architekturmuseum.de

Holzhochhaus Woho in Berlin-Kreuberg (Visualisierung: Mad arkitekter)

Modell eines Wohn- und Geschäftshauses mit Kinos von Otto Steidle, München, 1994–1999 (Foto: Architekturmuseum der TUM)


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kolumne

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HOLZ(UM-)BAU UND HANDWERK Gefördert durch technische Entwicklungen und ein steigendes ökologisches Bewusstsein in der Bevölkerung erobert der Holzbau die Stadt und wächst in Pionierbauten zu spektakulären Hochhäusern. Lange wurde bei Holzbau nur an ländliche Gebiete und geringe Gebäudehöhen gedacht, da hohe Bauwerke aufgrund von Brandschutzanforderungen nur schwer realisierbar waren. Einige Bundesländer bauen nun Hemmnisse ab und geben Impulse für eine neue Holzbaukultur. Holz ist vielseitig und lässt sich in traditioneller wie moderner Architektur, im Bestand wie im Neubau einsetzen, was ihn zu einem guten Baustoff einer zukunftsfähigen Baukultur macht. Inzwischen wissen wir: Mehr als 30 % der CO2-Emissionen in Deutschland stammen aus der Nutzung und dem Bau von Gebäuden. Damit ist das Bauwesen im Dialog um Klimaschutz ein wichtiger Faktor. Holz kann in vielen Fällen, im Bestandsumbau wie im Neubau, andere Baustoffe ersetzen, und ist dabei klimaschonender. So braucht die Verarbeitung von Bäumen zu Bauholz deutlich weniger fossile Energie als z. B. die Herstellung von Stahl, Beton oder Aluminium. Neben der Verbindung von Natur und Technik veranschaulicht der Holzbau auch, wie sich jahrtausendealte Handwerkskünste durch neue Fertigungsweisen und Digitalisierung ergänzen lassen. Das Handwerk im Holzbau hat sich technisch weiterentwickelt und dennoch traditionelle Stärken bewahrt. Ob digitale Aufmaße, automatisierte Zuschnitte oder die Verwendung von 3D-Modellen – der Holzbau hat sich neue Arbeitsweisen und damit erweiterte Einsatzgebiete erschlossen. unten Mehrgeschossiges Wohngebäude aus Holz im Bau (Foto: © Adobe Stock, Imagenet, 283277743)

Im Holzmodulbau lassen sich ganze Raummodule vorfertigen, was neben rekordverdächtigen Bauzeiten und geringen Toleranzen eine hohe Kostensicherheit bietet. Der Holzhybridbau kombiniert verschiedene Baustoffe und profitiert dabei von deren spezifischen Eigenschaften. Hier zeigt sich die Analogie zum Gründerzeitbau, in dem durch Handwerkskönnen massive Außenwände mit Holzbalkendecken kombiniert wurden, um langlebige Gebäude zu schaffen. Doch Holz als Baustoff überzeugt vor allem auch durch die sinnliche und haptische Qualität, von der die Atmosphäre in Holzbauten geprägt wird. Denn ein Kernaspekt nachhaltiger Architektur ist und bleibt die Wertschätzung und die damit einhergehende lange Lebensdauer. Die Verbindung von Handwerk und dem Baustoff Holz greift die Bundesstiftung Baukultur auf und veranstaltet am 23.3.2022 den Baukulturdialog „Holz(um-)bau und Handwerk“ im „Haus der Baukultur“ in Arnsberg-Neheim, in Kooperation mit der Südwestfalen Agentur. Arnsberg, eine vom Fachwerkstil geprägte Stadt, veranschaulicht, wie Holzbau und Handwerk regionale Identität und Baukultur sichtbar machen. Das Projekt der Regionale 2025 „Bauen mit Holz“ hebt die Holz- und Forstwirtschaft als Kernbranche in Südwestfalen hervor. Mit dem „Haus der Baukultur“ soll zudem ein Kompetenzzentrum zur Förderung regionsspezifischer und nachhaltiger Bau- sowie Handwerkskultur geschaffen werden. Der Baukulturdialog thematisiert im Austausch mit vielfältigen Akteuren die Rolle von Holzbau und Handwerk in einer neuen Umbaukultur. Im Umbau nimmt der Holzbau eine wesentliche Rolle ein. Mehr als die Hälfte des Bauvolumens Deutschlands fließt inzwischen in den Bestand. Holz ist leicht und damit gut geeignet, um z. B. Wohnraum auf bestehenden Gebäuden zu schaffen und so weitere Bodenversiegelung zu vermeiden. Auch komplexe innerstädtische Lagen von Bestandsprojekten profitieren von den Materialeigenschaften und den Fertigungstechniken des Holzbaus. Viele Umbauprojekte mit Holz lassen sich bei laufendem Betrieb umsetzen. Anwohnende im Umfeld können sich außerdem über verkürzte Bauzeiten und reduzierten Baulärm freuen. Eine Holz-Umbaukultur verbindet natürlichen Baustoff mit Handwerk und Technik, Alt mit Neu und lässt so Projekte mit einer individuellen Architektursprache entstehen. Natalie Hipp www.bundesstiftung-baukultur.de


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wirtschaft + recht

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§§ Die in Berlin, München, Frankfurt und Wien ansässige Kanzlei Zirngibl Rechtsanwälte Partnerschaft mbB ist Premiumpartner des DAI. Zu ihren bundesweiten Arbeitsschwerpunkten zählen das Immobilien-, Bau- sowie das Vergaberecht.

NEUES AUS DEM... ...Bau- und Architektenrecht

...Vergaberecht

Mindestsatzklagen für „Altfälle“ weiterhin möglich!

Öffentliche Auftraggeber unterliegen keinem Kontrahierungszwang!

Nachdem der EuGH im Jahr 2019 entschieden hatte, dass das zwingende Preisrecht der HOAI gegen die Dienstleistungsrichtlinie verstieß, war unklar, ob Mindestsatzklagen unter Berufung auf § 7 HOAI 2013 weiterhin möglich waren oder nicht. Hierzu hat sich in Deutschland eine divergierende Rechtsprechung entwickelt, die dazu führte, dass der Bundesgerichtshof (BGH) sich in einem Vorabentscheidungsverfahren zur Klärung dieser Frage an den EuGH wandte.

Öffentliche Auftraggeber unterliegen keinem Kontrahierungszwang. Sie sind also grundsätzlich nicht verpflichtet, den Zuschlag in einem Vergabeverfahren zu erteilen. Diesen Grundsatz bestätigte das Oberlandesgericht Rostock in seiner Entscheidung vom 30.09.2021 (17 Verg 5/21).

Der EuGH hat nun mit seinem Urteil vom 18.01.2022 (Az.: C-261/20) entschieden, dass nationale Gerichte § 7 HOAI 2013 nicht allein deshalb nicht anwenden dürfen, weil er gegen eine Richtlinie des Unionsrechts verstößt. § 7 HOAI 2013 ist für die entsprechenden „Altfälle“ zwischen Privatpersonen (in Abgrenzung zur öffentlichen Hand bzw. öffentlicher Stellen) daher weiterhin anwendbar und das zwingende Preisrecht verbindlich. Das Urteil betrifft vor dem 31.12.2020 geschlossene Planerverträge, bei denen ein Honorar vereinbart wurde, das unterhalb der Mindestsätze gemäß § 7 HOAI 2013 lag. Sofern für entsprechende „Altfälle“ Mindestsatz- oder Aufstockungsklagen im Raum stehen, sollte vor dem Hintergrund dieser EuGH-Entscheidung geprüft werden, ob auf den Mindestsätzen beruhende Honoraransprüche im Einzelfall durchgesetzt werden können. Zudem gilt es zu prüfen, ob und inwiefern die Bundesrepublik Deutschland von Auftraggebern in Anspruch genommen werden kann, wenn sie zur Zahlung des Mindestsatzes verpflichtet werden, obwohl sie einen geringeren Preis vereinbart hatten. Rechtsanwalt Lukas Ritter, LL.M. (TCD)

Streitgegenstand war die Aufhebung eines Verfahrens zur Vergabe von Bauleistungen. Nachdem die Vergabestelle nur ein Angebot erhalten hatte, welches die vorab erstellte Kostenschätzung um mehr als das doppelte überstieg, hob sie das Verfahren auf. Gegen diese Aufhebung zog die benachteiligte Bieterin bis vor das OLG Rostock. Auftraggeber sind grundsätzlich berechtigt, das Vergabeverfahren aufzuheben, wenn auch das wirtschaftlichste Angebot erheblich über dem Preis liegt, der nach einer ordnungsgemäßen Schätzung des Auftragswertes ermittelt worden war. Das OLG Rostock stellte fest, dass die Vergabestelle das Vergabeverfahren bezüglich der Kosten auf einer unzureichenden Grundlage eingeleitet hatte. Jedoch bekräftigte das Gericht, dass Bieter eine Verfahrensaufhebung auch dann hinnehmen müssen, wenn dafür kein gesetzlicher Grund vorliegt. Der öffentliche Auftraggeber ist in dieser Situation auch nicht darauf beschränkt, durch Verhandlungen mit dem Bieter doch noch ein wirtschaftliches Angebot zu erzielen. Eine Zuschlagsverpflichtung würde der Freiheit der Vergabestellen, den Zuschnitt, Inhalt und die Vertragsbedingungen des öffentlichen Auftrags selbst zu bestimmen, zuwiderlaufen. In einem solchen Fall bleibt dem Bieter also lediglich die Möglichkeit, einen Schadensersatzanspruch geltend zu machen. Rechtsanwältin Sarah Lisa Bohn

Ansprechpartner Berlin: RA Lars Robbe Tel.: 030–880331–231, Mail: l.robbe@zl-legal.de, www.zl-legal.de Ansprechpartner München: RA Dr. Ulrich May Tel.: 089–29050–231, Mail: u.may@zl-legal.de, www.zl-legal.de


DAI aktuell | DAI regional

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AUS DEM PRÄSIDIUM Die vergangenen Wochen waren mit Blick auf die baupolitische Situation im Land lebhaft. Die Verbände hatten unisono ihr Unverständnis hinsichtlich des abrupten Stopps der energetischen Förderung zum Ausdruck gebracht. Die Entscheidung und Ankündigung der vorherigen Bundesregierung, einen Teil der Förderung – die für das Effizienzhaus 55 – bis Ende Januar 2022 auslaufen zu lassen, hatte für einen regelrechten Antragsboom zu Jahresbeginn gesorgt. Die Mittel waren schneller erschöpft als gedacht. Hier hat sich auch gezeigt, dass eine breit angelegte Förderung gewisse Mitnahmeeffekte erzeugt. Darum ist es für die Zukunft wichtig, ein Förderregime

zu entwickeln, das noch genauer auf das Ziel, in wenigen Jahrzehnten einen möglichst klimaneutralen Gebäudebestand zu haben, einzahlt. Hier laufen viele Gespräche, und die Diskussion ist in vollem Gange. Auch die Bundesstiftung Baukultur hat angekündigt, sich verstärkt dem Thema zu widmen und titelt für die nächsten Werkstätten und den Konvent am 3./4.5.2022 in Potsdam „Mit Freude klimaeffizient Bauen und Sanieren“. Das ist und bleibt die zentrale Herausforderung: In den Ballungsräumen Wohnraum zu schaffen, der die Nachfrage im günstigen Segment bedient, den großen Bestand an Gebäuden klimatechnisch auf Vordermann zu brin-

gen und dabei nicht die baukulturellen Qualitätsansprüche aus dem Blick zu verlieren. Ach ja, da war ja noch ein Thema: Bodenwende. Ohne Grund und Boden schlicht kein Haus, keine Wohnung, kein sonstiges Gebäude. Diese Diskussion wird nach der Erarbeitung ausführlicher Wahlprüfsteine im vergangenen Herbst jetzt auch in den Fachzeitschriften und Online-Portalen weitergeführt. Es braucht aber mehr politische Breite. Darum werden alle diese Themen auch vom DAI Präsidium in den kommenden Wochen und Monaten weiter konstruktiv begleitet. Udo Sonnenberg

Münchener AIV

NACHRUF

Norbert Koch (Foto: Koch+Partner)

Norbert Koch, Regierungsbaumeister Architekt BDA, geboren am 26.7.1939 als Sohn einer Künstlerin und eines Architekten in Würzburg, ist am 28.11.2021 überraschend verstorben.

Nach dem Studium der Architektur an der TU München absolvierte Norbert Koch das Referendariat bei der Bayerischen Staatsbauverwaltung, das er 1968 mit der 2. Staatsprüfung abschloss. Anschließend war er maßgeblich am Aufbau des Instituts für Städtebau, Landesplanung und Raumordnung an der TU München beteiligt, dessen Leiter er bis 1972 war. Sein eigenes Büro gründete Norbert Koch 1970. Stadtplanung war für ihn Leidenschaft, sie hat ihn sein Berufsleben lang begleitet: zu Beginn mit Gutachten für die Stadt Laufen, später mit Planungen für das ehemalige Flughafengelände in Riem oder auch international mit den Planungen eines Stadtteils für 60.000 Einwohner in Qingdao. Auch in den neuen Bundesländern war er mit Erfolg in Dresden und Erfurt tätig. Untrennbar ist sein Name mit dem Münchener Flughafen verbunden. Nach der Mitarbeit am Terminal 1 gewann er den Wettbewerb zu Terminal 2 und realisierte auch in einem weiteren Abschnitt den sog. Satelliten. Auch wenn die Zusammenarbeit mit dem Münchener Flughafen unschön endete, hat Norbert Koch maßgeblich zum international gerühmten Erscheinungsbild dieses Flughafens beigetragen. Als Koch+Partner Architekten und Stadtplaner entwickelte sich das Büro zu einem weltweit gefragten Planungsbüro. Für die Erweiterung der BMW Hauptniederlassung wurde es im Rahmen des German Design Award 2014 ausgezeichnet. Vielfach prämiert wurde es außerdem für die Nachhaltigkeit und Energieeffizienz verschiedener Neu- und Umbauten, wie z. B. für die Sanierung der denkmalgeschützten Siemens-Werkswohnungssiedlungen in München. Seit 2016 ist das Büro Koch+Partner Teil der Obermeyer Gruppe. Seit 1975 war Norbert Koch Mitglied im Münchener Architekten- und Ingenieur-Verein. Er unterstützte den Verein gemeinsam mit seinen Partnern in vielfacher Hinsicht. Von 1995–2001 war er 1. Vorsitzender und später Ehrenmitglied. Was Norbert Koch vor allem auszeichnete, war seine Tatkraft, sein langer Atem. Es war ihm immer ein Anliegen, Ausgleich zu schaffen und Verbindungen zu knüpfen: Zwischen Architekten und Ingenieuren, freien und beamteten Kollegen, den jeweiligen fachlichen Sparten, nicht zuletzt zwischen Architektur und Städtebau. Norbert Koch war ein engagierter, ideenund erfolgreicher Architekt und Städteplaner, ein positiv denkender und handelnder Kollege. So wollen wir ihn ehrend in Erinnerung behalten. Friedrich Geiger


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holzBAUKULTUR

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KONSTRUKTIV GESCHÜTZT

Fußgänger- und Radwegbrücke in Bad Mergentheim Wer vom Kurpark in Bad Mergentheim in die Innenstadt möchte, muss den Fluss überqueren. Und weil die aus den 1930er Jahren stammende Bestandsbrücke inzwischen viele Schäden aufwies, entschied sich der Verwaltungsrat der Kurverwaltung für den Bau einer neuen Brücke aus Holz. Im Fokus hatten der Bauherr und die mit der Planung beauftragte ITBS Ingenieurgesellschaft mbH dabei eine Konstruktion, die hohe Ansprüche an Ästhetik, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit erfüllt. Der Rückbau der Ursprungskonstruktion erfolgte bis auf die Stahlbetonpfeiler, die im Anschluss fachgerecht saniert wurden. Auf den sanierten Pfeilern errichtete die mit den Bauarbeiten betraute Schaffitzel Holzindustrie GmbH + Co. KG eine neue Brücke in Holzbauweise, die seither mit einer Länge von 93 m inklusive Vorlandbrücken die Tauber überspannt. Große Öffnungsbreite Die Basis der neuen Brücke bildet ein einfach durchlaufender mehrfeldriger Gerberträger. Zwischen den freien Enden der Ausleger ist ein separater Brückenträger („Einhängeträger“) gelenkig gelagert, sodass eine große Öffnungsbreite erzielt werden konnte. In den Vorlandbereichen kragen die Träger um etwa 5,50 m über die beiden Pfeiler am Ufer aus. Das 15 m lange Mittelstück wurde als Lückenschluss eingehängt und mit Schattenfugen ausgebildet. Gestufte Ausformung Im Querschnitt setzt sich die Brücke aus zwei blockverleimten Brettschichtholzträgern zusammen, wobei die beiden Träger über verzinkte Stahlteile gekoppelt sind. Der abnehmende Querschnitt orientiert sich mit seiner gestuften Ausformung an der Statik und dem Produktionsprozess von blockverleimten Holzträgern, bei dem die sich verjüngenden

Brettschichtholzträger einfach liegend aufeinander geklebt werden. In der Summe verbaute die Stadt für diese Konstruktion fast 200 m3 Brettschichtholz und konnte über diesen Weg rund 162 t CO2 binden. Konstruktiver Holzschutz Im Sinne einer möglichst langlebigen, nachhaltigen Konstruktion stellte der konstruktive Holzschutz ein wichtiges Detail dar. Die Stahlbeton-Fahrbahnplatten ragen daher beidseitig 25 cm über die Holzkonstruktion hinaus. Aus Korrosionsschutzgründen wurde der Beton mit verzinkter Bewehrung hergestellt. Unterseitige Tropfkanten verhindern ein Unterwandern des Brückenkörpers durch ablaufendes Regenwasser. Die Brettschichtholz-Brückenträger sind um 30° nach unten geneigt, um Schlagregen besser standhalten zu können, und an allen Vorsprüngen wurden schließlich Tropfnuten in das Holz eingefräst. Doppelte Abdichtung Eine als Verschleiß- und Koppelungsplatte auf der Oberseite der Brettschichtholzträger montierte Furnierschichtplatte trägt trapezförmige Kanthölzer als Unterkonstruktion für die Stahlbetonplatten des Belages. Zusätzlich wurde in dieser Ebene eine vollflächige erste Abdichtungslage aus EPDM


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links Die neue Kurparkbrücke in Bad Mergentheim überspannt mit einer Länge von ca. 93 m und einer Breite von ca. 3 m die Tauber

rechts Die abgetreppte Form der blockverklebten Brettschichtholzträger trägt zu einem verbesserten, konstruktiven Witterungsschutz bei

verlegt. Im Bereich der Fahrbahn-Plattenstöße wurden Entwässerungsrinnen quer eingebaut und die Fugen nochmals darüber dauerelastisch abgedichtet, sodass zwei vollwertige Abdichtungsebenen entstanden. Die Fahrbahnplatten sichern eingeklebte Gewindestangen an den Hochpunkten der Unterkonstruktion, während die Geländerpfosten erst nachträglich auf den Stahlbetonplatten befestigt wurden. Elektronisches Monitoring Die Überwachung der Holzfeuchte übernimmt ein elektronisches Monitoringsystem, dessen Messdaten an eine zentrale Überwachungsstelle übermittelt werden. So lassen sich Unregelmäßigkeiten frühzeitig erkennen und eventuelle Probleme ausmachen, bevor Schäden auftreten. Gleichzeitig ergeben sich durch das System längere Wartungsintervalle. Aufbau und Montage Um die Bauzeit vor Ort so kurz wie möglich zu halten, wurden die in der Brückenlängsachse mittig gekoppelten Blockträger vorab im Werk zusammengebaut. Auch das Monitoringsystem und die erste Abdichtungsebene wurden im Werk aufgebracht. Nur der Mittelstoß am eingehängten Brückengerberträger und an den drei Längsstößen der Brückenträger blieb zunächst offen. Mithilfe eines Kranes von 700 t wurden die vier gekoppelten Brückenträger vor Ort an nur einem Tag montiert. Isabel Utz, Christian Rapp Fotos: Via Studios

Montage des Einhängeträgers (Foto: Schaffitzel Holzindustrie)

© Lutz Ebert Design, Herrenberg

SB aCu e H FFITZEL n mit Holz und Ideen Schreinerei Beck, Hechingen

Zimmerei Goldbrunner Holzbau, Wangen im Allgäu © www.salzwerke.de

© Aerial Promos, Lemmer, NL

Gemeinsam lösen wir Ihre Herausforderung mit allerhöchster Qualität, Kompetenz und Flexibilität. Als moderner Brettschichtholzhersteller fertigen wir Projekte mit besonderen Maßstäben und bieten Ihnen Lieferungen oder komplette konstruktive sowie bauliche Ausführungen.

© Phototree Patrick Kunkel, Lindau

Hallenbau • Brückenbau • Kreativbau • Bret tschichtholz

Wir bringen Ideen aus Holz zum Tragen Fuß- und Radwegbrücke in Delfzijl, Niederlande

Lagerhalle Südwestdeutsche Salzwerke, Heilbronn

Schaffitzel Holzindustrie GmbH + Co. KG • 74523 Schwäbisch Hall • 07907 / 9870 - 0 • Holzbau@Schaffitzel.de • www.Schaffitzel.de


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