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Ökologische Durchgängigkeit mit Hydro-Fischliften hergestellt FISCHLIFT BALDENEYSEE
An der Wehranlage des Baldeneysee in Nordrhein-Westfalen gelangen die Fische seit dem Sommer 2020 über ein innovatives Fischlifsystem ins Oberwasser.
Fotos: Ruhrverband & Georg Baumann
ÖKOLOGISCHE DURCHGÄNGIGKEIT AM BALDENEYSEE MIT INNOVATIVEN HYDRO-FISCHLIFTEN HERGESTELLT
An der Staustufe Baldeneysee im Süden der Stadt Essen hat der Ruhrverband im Sommer 2020 ein innovatives Fischliftsystem in Betrieb genommen. Aufgrund des Höhenunterschieds von fast 9 m zwischen Ober- und Unterwasser an der Wehranlage und den beengten Platzverhältnissen konnte eine konventionelle Fischaufstiegsanlage nicht realisiert werden. Um unter diesen schwierigen Bedingungen die ökologische Durchgängigkeit gewährleisten zu können, entschloss sich der Ruhrverband für den Einsatz des Fischliftsystems der beiden Entwickler Baumann Hydrotec GmbH & Co. KG und Hydro-Energie Roth GmbH. Das wegweisende System ist als eine Art Schleuse konzipiert, bei der auch schwimmschwache Arten durch ein als Kolben ausgeführtes Fischpassbecken kräftesparend zwischen Unter-und Oberwasser wechseln können. Um den Gewässerbewohnern eine kontinuierliche Wanderung zu ermöglichen, wurden zwei abwechselnd auf- und abfahrende Fischlifte nebeneinander errichtet. Seit der Inbetriebnahme haben die Betreiber durchwegs positive Betriebserfahrungen mit dem System gesammelt. Eine in Bälde beginnende zweijährige Monitoringphase soll die Funktionsfähigkeit sowie die Übertragbarkeit auf andere Standorte belegen.
Der Baldeneysee an der Ruhr im Süden von Essen wurde zwischen 1931 und 1933 angelegt, um die Selbstreinigungskraft des Gewässers für die Trinkwasserversorgung zu verbessern. Als größter der fünf Ruhrstauseen fasst das Reservoir rund 8,3 Millionen m³ Wasser. Am rechten Ufer der mit drei Wehrwalzen ausgeführten Wehranlage befindet sich das Wasserkraftwerk Baldeney, das im Besitz von RWE steht. Der Baldeneysee wird vom Ruhrverband betrieben. Das Wasserkraftwerk wurde gemeinsam mit der Stauanlage 1933 erstmals in Betrieb genommen und nutzt zur Stromgewinnung zwei Kaplan-Turbinen mit einer gesamten Ausbauwassermenge von 140 m³/s. Unter Volllast
Zum Einheben der bis zu 5 t schweren Bauteile musste auf der Schleusenanlage ein Spezialkran aufgestellt werden.
Unterwasserbetonarbeiten an der Trennmauer
Anlieferung und Einheben von Rohrelementen im Juni 2019
erreicht jede Maschine eine Engpassleistung von rund 5 MW, im Regeljahr erzeugt das Kraftwerk rund 28 GWh Ökostrom.
EXPERTENKOMMISSION EINBERUFEN
Um den Vorgaben der EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) gerecht zu werden, die bis 2027 für alle europäischen Gewässer einen guten ökologischen Zustand fordert, berief der Ruhrverband für das Stauwehr Baldeney vor rund zehn Jahren eine Expertenkommission ein. Diese sollte für den Standort eine geeignete Lösung entwickeln, um die in der WRRL vorgeschriebene ökologische Durchgängigkeit am Baldeneysee zu ermöglichen, erklärt Ruhrverband-Projektleiter Ulrich Rudzinski: „Der Höhenunterschied am Stauwehr zwischen Ober- und Unterwasser beträgt 8,7 m. Wegen der stark verbauten Grundstücke neben der Wehranlage wäre die Errichtung eines Beckenpasses nur unter erheblichem Aufwand und hohen Baukosten möglich gewesen. Zudem hätte die Fischtreppe bei diesem Höhenunterschied aus etwa 90 Becken bestanden, deren Überwindung für viele Fischarten eine zu große Anstrengung bedeutet hätte.“ Im Rahmen der Ideenfindung und den technischen Voruntersuchungen wurde die Expertenkommission auf ein innovatives Fischliftsystem am Wasserkraftwerk Neumühle im Allgäu aufmerksam, dessen Einsatz auch für den Baldeneysee vielversprechend erschien.
PRÄMIERTES SYSTEM
Entwickelt wurde der Fischlift für die ca. 5 m hohe Wehranlage des Kraftwerks Neumühle von der Baumann Hydrotec GmbH & Co. KG und der Hydro-Energie Roth GmbH ab dem Jahr 2011. Das seit September 2014 im Dauerbetrieb stehende System wurde als eine Art Schleuse konzipiert, bei der die Fische durch ein als Schwimmkolben ausgeführtes Fischpassbecken aufsteigen können. Das Becken zum Fischtransport befindet sich innerhalb eines vertikal platzierten GFK-Rohres und wird durch den Schleusenwasserstand ohne mechanisches Windwerk rein hydraulisch bewegt. Im Gegensatz zu einer Schleuse verändert sich die Wassertiefe im aufschwimmenden Becken nur vergleichsweise wenig, wodurch die Fische für sie unmerklich und kräftesparend auf ein das höhere Niveau gehoben werden. „Von Mitte September 2013 bis September 2014 wurden am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) detaillierte numerische Simulationsstudien und gegenständliche Modelluntersuchungen sowie ethohydraulische Versuche für die Anpassung des Fischliftes an den Standort Baldeney durchgeführt, welche die Funktionsfähigkeit verdeutlichten. Bei diesen Versuchen konnten einige funktionsverbessernde Details ermittelt werden. So wirkte während der Laborversuche eine horizontale Durchströmung für die Fische noch attraktiver, und der Ausschwimmvorgang konnte deutlich verkürzt werden. Zudem wurde das Einschwimmen in den Fischlift in der unteren Position durch einen besonders gestalteten Einstiegsbereich beschleunigt“, erklären die Entwickler Andreas Roth und Georg Baumann, die für ihren Hydro-Fischlift 2015 den deutschen Innovationspreis für Klima und Umwelt erhielten. Roth merkt an, dass am KIT auch Untersuchungen zum Fischabstieg durchgeführt wurden. Für die Fischart Lachssmolt wurde dabei eine bemerkenswerte Abstiegsrate von 98 Prozent festgestellt. Rudzinski ergänzt, dass das System auch beim Land Nordrhein-Westfahlen hohen Anklang fand, wel-
Die hydraulisch bewegten Transportbecken der parallel nebeneinander angeordneten Fischlifte befinden sich in vertikalen Röhren aus GFK-Material.
Die Unterwasserarbeiten bei massiv eingeschränkten Sichtverhältnissen wurden von Spezialtauchern erledigt. Einschwimmen der Ausflussrinne, über welche die Fische nach dem Ausstieg aus dem Lift in den Baldeneysee gelangen.
ches 80 Prozent der Projektkosten finanzierte. Mit dem Pilotprojekt am Baldeneysee sollten fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen werden, um das System als offiziell anerkannte Fischaufstiegshilfe in die sogenannten Regelblätter aufzunehmen, wodurch der Einsatz auch an anderen Standorten ermöglicht wird.
HERAUSFORDERNDES PROJEKT
Im Mai 2018 startete die Umsetzungsphase des für den Standort Baldeneysee adaptierten Fischliftsystems. Um den Gewässerbewohnern eine kontinuierliche Passage zwischen Unter- und Oberwasserbereich zu gewährleisten, wurden zwei alternierend auf- und abfahrende Fischlifte parallel nebeneinander errichtet. „Zwei Fischlifte waren auch aufgrund der Gewässergröße der Ruhr erforderlich. Es wird erwartet, dass es ‚Wanderwellen‘ gibt, also gleichzeitig eine sehr große Anzahl von Fischen wandern will. Bei sehr großen Gewässern kann daher auch die Installation von z. B. vier oder mehr Liften sinnvoll und wirtschaftlich sein. Bei kleineren Gewässern werden mehrere Lifte nicht als erforderlich erachtet. Man geht davon aus, dass wandermotivierte Fische durchaus länger als eine halbe Stunde auf die Wandergelegenheit warten bzw. die Wartezeit mit Suchen verbringen“, erklärt Roth. Das Auf- bzw. Abstiegsintervall eines Transportbeckens nimmt lediglich rund 5 Minuten in Anspruch. Zudem werden für den Betrieb der Liftanlagen je Fischlift nur 0,25 m³/s Wasser benötigt. Als Anreiz zum Ein- und Ausschwimmen dienen im Unter- und Oberwasserbereich Lockströmungen, deren ideale Fließgeschwindigkeit im Wasserbaulabor anhand Tests mit lebendigen Fischen ermittelt wurde. Nach dem Ausstieg im Oberwasserbereich schwimmen die Fische in einer durch das Bestandsgebäude verlaufenden Rinne in den Baldeneysee. Errichtet wurden die beiden Lifte zwischen dem Wasserkraftwerk und der Schiffschleuse neben der Wehranlage am Standort eines aufgelassenen Rückpumpwerks. Die ursprünglich veranschlagten Baukosten in Höhe von 5,4 Millionen Euro erhöhten sich auf rund 6,8 Millionen Euro. Die Gründe dafür waren vielfältig: So rief die öffentliche Ausschreibung des Ruhrverbands in der überhitzten Baukonjunktur der vergangenen Jahre nur ein geringes Bieterinter-
Torsten Baumann, der Sohn von Georg Baumann, erläutert die Funktion der Fischliftanlagen.
Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen, Regierungspräsidentin Birgitta Radermacher von der Bezirksregierung Düsseldorf, Ruhrverbandsvorstandsvorsitzender Prof. Norbert Jardin, NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser, Ruhrverbandsvorständin Dr. Antje Mohr und der Verbandsratsvorsitzende Franz-Josef Britz (v.l.) bei der Inbetriebnahmefeier im August 2020.
esse hervor, was sich letztlich in höheren Preisen als erwartet niederschlug. Hinzu kamen nicht vorhersehbare Bauzeitverzögerungen durch Hochwasserereignisse und eine mehrmonatige Wartezeit auf einen für die Arbeiten unbedingt erforderlichen Spezialkran. Mehrfach mussten wegen Abweichungen des Bauwerksbestands von den über 80 Jahre alten Originalplänen zusätzliche statische Nachweise geführt werden, was ebenso wie die zusätzlichen Messeinrichtungen aufgrund des Pilotcharakters die Baukosten weiter in die Höhe trieb. „Das Projekt war eine sehr interessante, innovative und anspruchsvolle Baumaßnahme, die uns und die beteiligten Unternehmen für mehrere Jahre extrem gefordert hat und bei der wir an die Grenze des Machbaren gegangen sind“, resümiert Ulrich Rudzinski. Andreas Roth weist ergänzend darauf hin, dass der Hydro-Fischlift auch mit variablen Stauwasserständen funktioniert: „Selbst wenn sich während der Ausstiegsphase der Wasserstand im Oberwasser verändert, funktioniert das Aus- und Einsteigen weiterhin bzw. durchgehend. Meines Wissens kann nur dieses System bei variablen Stauwasserständen einen permanent an den Stauwasserstand angepassten Ein- und Ausstieg bieten und stellt somit ein besonderes Alleinstellungsmerkmal dar. Darüber hinaus ist zum Hoch- und Runterfahren keine Fremdenergie erforderlich. Die Fische im Lift befinden sich in einem quasi abgeschlossenen Behältnis und merken nichts von der Auf- oder Abbewegung. Zudem entstehen keine signifikanten Druckänderungen oder störenden Strömungen.“
ERSTE BETRIEBSERFAHRUNGEN SEHR POSITIV
Am 17. August des Vorjahres wurde das Fischliftsystem Baldeney durch die NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser im Beisein der Düsseldorfer Regierungspräsidentin Birgitta Radermacher, des Essener Oberbürgermeisters Thomas Kufen, der Vorstände des Ruhrverbands Prof. Norbert Jardin und Dr. Antje Mohr, offiziell in Betrieb genommen. „Ich freue mich sehr, dass dieses Pilotprojekt bereits von den Fischen angenommen wird. Der Fischlift ist ein Bestandteil unserer Maßnahmen, die nordrhein-westfälischen Gewässer weiter ökologisch zu entwickeln und zu renaturieren. Sie sollen helfen, möglichst vielen Tieren und Pflanzen wieder natürliche Lebensräume zu bieten. Daher unterstützen wir als Landesregierung solche Renaturierungsprojekte mit Fördermitteln und Know-how“, sagte Umweltministerin Ursula Heinen-Esser. Seit Anfang Juli 2020 wurden die technischen Bauteile, die Steuerungs- und Fernwartungstechnik, die Monitoringsysteme und das Datenmanagement des Fischliftsystems ausgiebig getestet. Die ersten Versuche lieferten sehr positiv Ergebnisse. „Bereits in der ersten Testphase haben jede Mengen Rotaugen, Barsche und kleinere Fischschwärme die neue Aufstiegsmöglichkeit in den Baldeneysee genutzt, obwohl zu dieser Jahreszeit eigentlich keine ausgeprägten Fischwanderungen stattfinden. Selbst ein kapitaler Wels wurde durch die Beobachtungskameras registriert. Diese Erkenntnisse stimmen uns sehr optimistisch, dass das neue Liftsystem wie geplant von den Fischen angenommen wird“, erläuterte Vorstandsvorsitzender Prof. Norbert Jardin. Mit der offiziellen Inbetriebnahme startete auch die rund 1-jährige Einfahrphase des Systems. In dieser Zeit wurde die automatische Steuerung des Systems konfiguriert, so dass die Lifte zukünftig bedarfsgerecht die Fische von der unteren Ruhr in den Baldeneysee befördern können. Zu berücksichtigen waren dabei unterschiedliche Wasserstände und Abflüsse der Ruhr sowie die jahreszeitlich schwankenden Wanderungsintensitäten der Fische. An die Einstellphase schließt 2021 eine etwa zweijährige Monitoringphase an, um den Erfolg des Pilotprojekts nachzuweisen und die Übertragbarkeit auf andere Standorte und Rahmenbedingungen sicherzustellen.
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