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100-Jährige mit moderner Tech nik wieder in Schuss gebracht WEHRSANIERUNG

Über seine vier Wehrfelder ist das Kraftwerk Laufenburg am Hochrhein in der Lage, ein tausendjährliches Hochwasser problemlos abzuführen. In einem langwierigen Sanierungsprozess wurden bereits drei der vier Wehrfelder auf den Stand der Technik gebracht.

Foto: Energiedienst

HUNDERTJÄHRIGE MIT MODERNER TECHNIK WIEDER IN SCHUSS GEBRACHT

Seit fast einem Jahrzehnt läuft bereits die in Etappen vollzogene Sanierung der Wehrfelder des traditionsreichen Kraftwerks Laufenburg am Hochrhein. Eine herausfordernde und komplexe Aufgabe, bei der zugleich großes Know-how und Fingerspitzengefühl gefragt sind, um die 100 Jahre alten Bauteile des Getriebes wieder perfekt auf Vordermann zu bringen. Für drei der vier Wehrfelder hat der Wasserkraft- und Stahlwasserbauspezialist Wiegert & Bähr aus dem Schwarzwald bereits die betagten Windwerke und Wehrbrückenlager saniert. In wenigen Wochen soll nun das einzige auf Schweizer Seite gelegene Wehrfeld folgen. Projektleiter Roland Kistner und der Verantwortliche für die Stauanlagen und die Maschinentechnik im Asset Management Thomas Kohlbrenner, beide in Diensten der Kraftwerksbetreiberin Energiedienst Holding AG, erläuterten in einem Online-Interview die wesentlichen Herausforderungen dieses Mammutprojekts.

Der Bau des Kraftwerks Laufenburg war zweifellos eine Pionierleistung erster Güte – und zugleich ein flussbauliches Wagnis: Schließlich wurde das Kraftwerk, das in den Jahren zwischen 1909 und 1914 realisiert wurde, als erstes seiner Art quer zur Fließrichtung des Gewässers errichtet. Und dabei wurde es auf höchst solidem Fundament gebaut, wie Thomas Kohlbrenner, der Verantwortliche für die Stauanlagen und die Maschinentechnik bei Energiedienst Holding AG, bestätigt: „Der Standort Laufenburg hat sich als Kraftwerksstandort aufgrund der geologischen Bedingungen geradezu angeboten: Bedingt durch den Untergrund, einem eiszeitlich entstandenen Riegel aus rotem Gneis, bildete sich hier eine Engstelle, wo sich die Kraft des Rheins besonders gut und effektiv nutzen ließ.“ Die Anlage, die heute von der Energiedienst Holding AG betrieben wird, kam bei ihrer Inbetriebnahme kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs auf 40 MW Leistung und galt damals als das leistungsstärkste Kraftwerk Europas. Die Jahreserzeugung lag bei 310 Millionen kWh. Seit 1994 sind zehn Straflo-Maschineneinheiten installiert – mit einer Gesamtleistung von 106 MW. Nach wie vor ein wichtiger Leistungsträger innerhalb der Rheinkraftwerke, für den allerdings die Zeit für eine Generalsanierung gekommen war. Noch nie zuvor in seiner langen Geschichte war das Stauwehr einer umfassenden Sanierung unterzogen worden.

HOCHWASSERSCHUTZ BLEIBT GEWÄHRLEISTET Seit 2012 läuft nun die sukzessive Sanierung der Wehrfelder. Es gilt, den zentralen sicherheitstechnischen Aspekt im Hinblick auf den Hochwasserschutz am Standort zu gewährleisten – auch während der Bauarbeiten. „Die Wehranlage ist auf ein 1000-jährliches Hochwasser ausgelegt. Das heißt, dass sie ein Bemessungshochwasser von 5.200 m3/s ohne Überströmung abführen kann, ohne dabei Schaden zu nehmen. Dies gelingt, wenn die

Schützen des Stauwehrs funktionsgemäß öffnen. Dabei können drei der vier Wehrfelder bereits diese Kapazität erreichen“, erklärt Thomas Kohlbrenner. Somit bleibt auch in den Sanierungsphasen, in denen jeweils ein Wehrfeld saniert wird, gemäß Stauanlagenverordnung der volle Hochwasserschutz erhalten. Jedes der vier Wehrfelder verfügt dabei über zwei eigene Rollschützen, mit denen der Rheinpegel reguliert werden kann. Roland Kistner: „Die Wehrfeldverschlüsse bestehen jeweils aus einem 220 Tonnen schweren Ober- und einem 180 Tonnen schweren Unterschütz, wobei das Unterschütz von der Sohle nach oben gezogen und das Oberschütz für den Verschluss von oben nach unten abgesenkt werden kann. Das Oberschütz dient im Regelbetrieb der Feinregulierung des Rheinpegels.“ Um diese gewaltigen Bauteile bewegen zu können, braucht es auch entsprechende Getriebe und Gewerke. Die Dimensionen der alten Bauteile sind daher auch beeindruckend. Die größten Zahnräder des Getriebes bringen 18 Tonnen auf die Waage, die Gallketten rund 6 Tonnen. Das Handling solcher Komponenten stellt somit an sich schon eine Herausforderung dar.

EIN HAUCH VON „ARCHÄOLOGIE“ „Die Seitenschilder, die für den Schutz der Gallkette beim Hoch- und Runterfahren sorgen, waren besonders schwierig zu demontieren“, berichtet Projektleiter Roland Kistner. „Die Bauteile waren zum Teil schon etwas verwunden, und das Heikelste war: Man wusste nicht mehr so genau, wie man die ausbauen sollte. Zum Glück konnte sich ein älterer Mitarbeiter noch erinnern, wie das geht. Da mussten wir uns herantasten – es hatte etwas von ‚Archäologie‘.“ Dabei räumt Thomas Kohlbrenner ein, dass es an den alten Plänen nicht gelegen sei – im Gegenteil: „Die alten Tuschezeichnungen auf A0 sind beeindruckend, da ist jede Niete eingezeichnet. Zudem sind diese Zeichnungen sehr übersichtlich. Was jedoch fehlt, sind direkte Protokolle. Wenn heute eine Demontage am Programm steht, wird diese minutiös geplant und vor allem mit Fotos dokumentiert. Mit den abgelegten Fotos und Protokollen sollte dies für unsere Nachfolger in ferner Zukunft einfacher sein.“ Als äußerst komplex beschreibt Roland Kistner auch die Getriebe mit ihren zahlreichen Wellen und Zahnrädern. „Am Windwerk oberhalb der Wehrfelder durchdringen einander eine Vielzahl an Wellen, Ritzel und Zahnrädern, was auf den ersten Blick verwirrend wirkt. Es ist fast wie in einem Uhrwerk: ein Wirrwarr.“ Die Aufgabe, diese komplexe Anordnung auseinanderzunehmen und sämtliche Bauteile einer Komplettsanierung zuzuführen, wurde von den Profis des Schwarzwälder Wasserkraft- und Stahlwasserbauspezialisten Wiegert & Bähr übernommen. Im Wesentlichen war das Team aus Renchen für die Demontage der Windwerke und Wehrbrückenlager sowie für deren Montage und Wiederinbetriebnahme verantwortlich. Tatkräftig unterstützt wurden sie dabei auch von den Kraftwerksmitarbeitern.

Foto: PI Mitterfellner

Foto: Energiedienst

Foto: Energiedienst

Sämtliche Lager wurden demontiert, bis in die kleinsten Einzelteile zerlegt, geprüft, saniert und letztlich wieder remontiert. Die Dimensionen der über 100-jährigen Bauteile sind enorm. Das schwerste Zahnrad wiegt über 18 Tonnen.

STAHLKOLOSSE WERDEN SANIERT Der Auftakt für die Arbeiten erfolgte im Jahr 2012 mit der Revision von Wehrfeld 4, dem zum deutschen Ufer nächstgelegenen Wehrfeld. Erstmalig wurden die teils gigantischen Zahnräder demontiert, die nicht nur ob ihres Gewichts und ihrer Dimensionen eine Herausforderung darstellten. „Die Zahnräder wa-

Kraftwerk Laufenburg – Eine Investition für Generationen

1908 wurde die Energiedienst Holding AG als „Kraftwerk Laufenburg AG“ gegründet, um ein Wasserkraftwerk zu errichten. Das Kraftwerk, das zwischen 1909 und 1914 realisiert wurde, war mit einer Leistung von 40 Megawatt (MW) damals das leistungsstärkste in Europa, die Jahresstromproduktion der zehn Francis-Maschinen-Gruppen lag bei 310 Millionen Kilowattstunden (kWh). Aufgrund des rasch steigenden Energiebedarfs wurde das Kraftwerk schon Ende der 1920er Jahre erstmals ausgebaut. Weitere Modernisierungen folgten. Seit 1994 produzieren zehn moderne Straflo-Maschinen-Gruppen Strom mit einer Leistung von 106 MW. Sie liefern im Durchschnittsjahr rund 700 GWh sauberen Strom. Die Energiedienst Gruppe betreibt daneben selbst noch weitere Kraftwerke am Hochrhein und ist an mehreren anderen beteiligt.

Mittels aufwändigem Sandstrahlverfahren wurden die Teile der Fachwerkskonstruktion aus nicht schweißbarem Walzstahl gereinigt.

Der Großteil der Lager, Ritzler und Zahnräder konnte erhalten und erfolgreich saniert werden. Zum Glück verfügte man auch noch über Ketten in Reserve, die dank ihrer Rindertalgummantelung bis heute in perfektem Zustand sind.

Foto: Energiedienst

ren zum Teil zentimeterdick mit altem Haftfett bedeckt, das aufwändig im Trockeneisstrahlverfahren mit CO2-Granulat entfernt werden musste. Danach konnten die einzelnen Bauteile einer Materialprüfung und anschließend einer Sanierung unterzogen werden. Mit dem Aufbringen eines neuen Korrosionsschutzes waren sie danach wieder bereit für den Wiedereinbau“, erzählt Roland Kistner, der darauf verweist, dass nur sehr wenige Komponenten neu gefertigt werden mussten, der Großteil wiederverwendet werden konnte: „Das Gros der Lager und Gehäuse konnte erhalten werden, lediglich einige Lagerschalen wurden erneuert – und natürlich einige der schnelllaufenden Zahnräder, die doch schon recht abgenutzt waren.“ Dies traf vor allem auf Wehrfeld 2 zu, das von 2019 bis 2020 saniert wurde. Da die innenliegenden Wehrfelder 2 und 3 tiefer sind als 1 und 4, weisen diese auch einen höheren hydraulischen Abfluss auf. Im Zuge des Ausbaus zeigte sich, dass hier eine deutlich stärkere Abnutzung der Zahnräder vorlag. Das Team von Wiegert & Bähr erneuerte demnach nicht nur die verschlissenen Ritzel und Zahnräder, sondern auch einige der Gleitlager. Bei den alten Zahnrädern aus Stahlguss wurde die Zahngeometrie im Gussverfahren hergestellt. Bei jenen Ritzeln und Zahnrädern, die neu gefertigt wurden, kam ein hochwertiger Vergütungsstahl zum Einsatz. Um die Laufruhe in den Getriebestufen zu erhöhen, wurden diese mit einer Evolventenverzahnung ausgeführt. Diese moderne Verzahnungsart stellt die Minimierung von gegenseitigem Gleiten und damit verbundener Abnutzung und Wärmeentwicklung sowie eine gleichmäßige Übertragung von Drehmomenten und eine konstante Übersetzung sicher. Die Demontage wie die Remontagearbeiten erstreckten sich in der Regel über drei bis vier Monate.

Foto: Energiedienst LOGISTISCHE KNACKNÜSSE Die besondere Situierung des Kraftwerks als zweistaatliche Anlage zwischen Deutschland und der Schweiz bringt gerade für ein derartiges Projekt einiges an logistischen Herausforderungen mit sich. Roland Kistner: „Es ist so geregelt, dass sämtliche ausgebauten Teile auf die Schweizer Seite hin abtransportiert werden müssen. Nach der Sanierung in deutschen Unternehmen müssen sie wieder auf die Schweizer Seite verfrachtet werden. Da ein sehr gutes Verhältnis zum Zoll besteht, funktioniert dieser permanente grenzüberschreitende Transfer ausgezeichnet.“ Was die Unmengen von Sand und Abfall angeht, der beim Sandstrahlen an den Wehrfeldern 2 bis 4 anfiel, so musste dieser nach dem Verursacherprinzip entsorgt werden. Konkret wurde der Sand – alleine an der Wehranlage waren es 65 bis 68 Tonnen – über Lkw-große Staubsauger angesaugt und in so genannte „Big Bags“ verstaut, die gemäß Vorgaben des Landratsamtes entsorgt werden mussten. Dem Verursacherprinzip folgend wird also der bei Wehrfeld 1 anfallende Sand auf Schweizer Seite fachgerecht entsorgt werden müssen. Dass die Abstimmung mit den beauftragten Unternehmen bislang sehr gut funktionierte, führt der Projektleiter auf ein hohes Arbeitsethos und auf eine Vertrauensbasis zurück, die man sich im Rahmen der Zusammenarbeit über die letzten Jahre aufgebaut habe: „Ein Projekt dieser Größenordnung lässt sich nur im Verbund mit Partnern realisieren, die einander vertrauen. Disziplin und ein langer Atem sind dabei das Wichtigste. Andererseits ist es auch wichtig, alle Mitarbeiter für einen achtsamen Umgang mit den alten Bauteilen zu

Foto: Energiedienst

Foto: Energiedienst Roland Kistner, Projektleiter bei Energiedienst

Weihnachten 2022 soll das Sanierungsprojekt an den Wehrfeldern abgeschlossen sein.

sensibilisieren. Nur so lassen sich über einen derart langen Zeitraum Schäden vermeiden“, sagt Roland Kistner.

NACHHALTIGE INSTANDSETZUNG Die beiden Verantwortlichen von Energiedienst betonen, dass auch von Seiten der Behörden, die erst unlängst eine Sicherheitsüberprüfung der Stauanlage durchgeführt hatten, die Projektabwicklung positiv gesehen wird. „Es wird goutiert, dass wir großes Augenmerk auf eine nachhaltige Instandsetzung legen und dass wir auch moderne Technik integrieren – und zwar dort, wo es sinnvoll ist. Wir schauen uns an, wo es eventuell Verbesserungsoptionen gibt. Wie zum Beispiel in Sachen Schmiereinrichtungen: Früher wurde eher nach Gefühl und Gutdünken geschmiert. Nun haben wir für jedes Wehrfeld eine eigene Schmieranlage installiert, die die Bauteile nach Bedarf schmiert. Zusätzlich informieren neue Temperatursensoren in den schnelllaufenden Lagern über die aktuellen Temperaturen und mögliche Tendenzen“, erklärt Thomas Kohlbrenner. Letztlich wurde somit nicht nur die Sicherheit an der Anlage verbessert, sondern auch deren Funktionalität, Fehlererkennung und Bedienbarkeit. Bestimmte Parameter werden jetzt automatisch überwacht und sind in der Leitzentrale in Echtzeit abrufbar. „Auch unsere Partner haben dabei sehr gute Ideen eingebracht. Wie etwa die Firma Wiegert & Bähr, die den Vorschlag gemacht hat, Splitterlacke einzusetzen. Die haben den großen Vorteil, dass es visuell sofort ins Auge sticht, wenn sich eine Schraube ungewollt lockert oder ein Bauteil bricht“, erklärt Roland Kistner, und sein Kollege ergänzt: „Geändert haben wir auch die Einhausungen für die Getriebe, die früher abgeschlossene Blechkästen waren. Heute ist die Technik gut sichtbar und trotzdem geschützt hinter Plexiglas.“

TEILPROJEKT ENDE 2022 ABGESCHLOSSEN In wenigen Wochen wird nun Wehrfeld 1 auf Schweizer Seite in Angriff genommen – mit denselben Partnern und mit dem Know-how aus drei erfolgreich sanierten Wehrfeldern. Das Teilprojekt, das sämtliche Getriebe samt Fachwerksbrücke und Einhausung umfasst, soll Weihnachten 2022 vollendet sein, betont der Projektleiter. Doch damit sind beileibe nicht alle Sanierungsaufgaben am Kraftwerk Laufenburg abgeschlossen. „Wenn wir mit dem Wehrfeld 1 fertig sind, werden die Schützen ins Trockendock gezogen, um sie ebenfalls zu sanieren und mit neuem Korrosionsschutz zu versehen. Außerdem steht längerfristig auch noch die Erneuerung der Stockzahndichtungen, jenen Unterwasserverbindungen zwischen Schütze und Sohle aus Eichenholz mit einem Eigengewicht von 280 Tonnen, auf dem Programm. Uns wird nicht langweilig“, sagt Roland Kistner. Mit den umfangreichen Sanierungsarbeiten schafft die Energiedienst Holding AG die Voraussetzungen dafür, dass das traditionsreiche Kraftwerk leistungsfähig bleibt und betriebsfit in sein zweites Jahrhundert gehen kann.

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Thomas Kohlbrenner, Verantwortlicher für Stauanlagen und Maschinentechnik im Asset Management

Foto: Energiedienst

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