Magazin der Zentrifuge
empfohlen ZNE! zur nachahmung Glück ist machbar
ommer 2014 Ausgabe 2 | Frühjahr–S
ir weg! Nachhaltigkeit? Geh m ngress 3.Nürnberger Business Ko Helden des Alltags
ropolregion? Großes Kino in der Met n auf der Spur Mit Ästhetik dem Neue Die Alchemie
-2-
Inha
lt
Editorial „Nachhaltigkeit?“ Geh mir weg!
Die vorliegende zweite Ausgabe des Zentrifuge Magazins (Frühjahr/Sommer 2014) erscheint punktgenau zum 3. Nürnberger Businesskongress, der sich in diesem Jahr mit „Innovation, Nachhaltigkeit und Glück“ beschäftigt. Im Zuge einer Kooperation der Zentrifuge mit dem Fachbereich Verbale Kommunikation der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm sind zwei Beiträge für diese Aus gabe entstanden: Ein Interview mit Martin Wagner vom Studio Franken des Bayerischen Rundfunks über den Franken Tatort und ein Portrait über den Businesskongress und dessen Macher. Die Studierenden schrieben noch einige weitere sehr lesenswerte Artikel, die wir jedoch aus Kosten- bzw. Platzgründen nicht in dieser Ausgabe unterbringen konnten. Diese Artikel und noch einige mehr finden Sie online im Kreativblog der Zentrifuge On-Index.de. Herzlichen Dank an Prof. Max Ackermann und seine Studierenden für ihr Engagement und die super Arbeit. Das Ausstellungs-Projekt „zur nachahmung empfohlen“ beschäftigt sich mit Ästhetik und Nachhaltigkeit – im Interview gibt die Kuratorin Adrienne Goehler Anregungen für den Nürnberger Raum, der ja schon einiges in Sachen Nachhaltigkeit vorzuweisen hat und eine Vorreiterrolle spielen könnte im Zusammenspiel von Ästhetik, Nachhaltigkeit und Innovation. Mit einem Artikel über Alchemie steuert Thony Christie einen Beitrag zum Ausstellungsprojekt „Beziehungsalchemie“ bei, das uns im Mai in Kooperation mit „Bamberg liest“ beschäftigt. Die Vermischung von Verhältnissen, die NeuOrdnung und -Bewertung von Wirklichkeit und das Schaffen ungeahnter Essenzen kommt dem Zentrifuge-Prinzip schon sehr nahe ... sofern man die Welt idealistisch zu sehen vermag.
3. Nürnberger Business Kongress Expeditionen in Nachhaltigkeit und Ästhetik ZNE! zur nachahmung empfohlen Glück ist machbar Einblicke in die Glücksforschung Mit Ästhetik dem Neuen auf der Spur Forschende Kunst Zentrifuge Großes Kino in der Metropolregion? Tatort in Nürnberg Helden der Wandels Innovationslabor Zentrifuge Die Alchemie Einblicke in die Geschichte Zentrifuge Projekte, Termine, Kooperationen
Herzliche Grüße Ihr Michael Schels
-3-
04 –
05
08–
09
10– 11 12–1
3
14–1
5
16–1
7
18–1
9
20– 2
2
„Nachhaltigkeit“? Geh mir weg! Ein Besser-Kongress und seine Themen
Text: Wolfgang Hirsch und Melanie Reschke Illustration: Thomas Bode
Kongresse ... gibt es viele. Aber was wird das nun? Eine „Zusammenkunft“, ganz im alten Sinn des Wortes „Kongress“? Mehr noch. Ein Versuch, etwas besser oder doch wenigstens anders zu machen. Eine kleine Gruppe von Menschen – Visionäre könnte man sagen – hat sich zusammen geschlossen, um gemeinsam den 3. Nürnberger Business Kongress auf die Beine zu stellen, der am 21. März 2014 in der IHK Nürnberg stattfindet. Unter den Organisatoren u.a. Ronald Zehmeister aus dem Denk-Labor der Zentrifuge, Anne-Kathrin Kirchhoff von der Brand Planning Agentur SWELL sowie Sigrid
Limberg-Strohmaier und Peter Klein von Integral Systemics, die genauso für Beratung und Change Management wie für ZenBuddhismus stehen. Auf der Referentenliste des Kongresses finden sich u.a. Prof. Dr. Karlheinz Ruckriegel, Glücks-Forscher und Professor für Volkswirtschaftslehre an der TH Nürnberg, oder Andreas Fehr von Bluepingu, einem „nachhaltigen Regionalportal“. Aller Ziel ist es, überstrapazierte Begriffe wie „Nachhaltigkeit“ und „Innovation“ wieder mit Leben zu füllen. Geh mir weg! Ob Fairtrade-Klamotten, das trendigste Biofutter oder Regenerative Energien ...
-4-
„Nachhaltigkeit“ verfolgt uns. Und viele können es schon nicht mehr hören. Wohin man sieht, mit dem Buzzword wird geworben, um Kunden, Wähler und Vertrauen. Und nicht selten wird’s banal, oder: eine Lüge. Auch Ronald Zehmeister von der Zentri fuge muss gestehen, dass „Nachhaltigkeit“ heute niemanden mehr zum Jubeln bringt. Das aber gelte es zu verändern. D.h. man sollte das Positive aus dem drögen Schlagwort herauskitzeln. Gar nicht so einfach, steht einem doch auch dieses „Du musst aber“ der Nachhaltigkeit im Weg. Glaubt man den Organisatoren, soll der neue Kongress nicht, wie üblich, mit einem mahnenden Zeigefinger vor der nächsten
Katastrophe warnen. Andreas Fehr von Bluepingu e.V. meint: „Nachhaltigkeit ist eher Zukunftsfähigkeit. Unternehmen, die erfolgreich bleiben wollen, sollten die Zeichen der Zeit erkennen und alte Vorgehensweisen überdenken.“ Auch Sigrid Limberg-Strohmaier und Peter Klein von Integral Systemics sind der Ansicht, dass es Zeit ist für einen Paradigmenwechsel: ,,Das alte ‚Höher, weiter, schneller!’ kommt an eine Grenze, was eine Veränderung in den Köpfen der Menschen nach sich zieht.’’ Erkennen? Ja. Aber das eigene Handeln kann damit zu tun haben. Davon wollen Veranstal tungen wie der diesjährige Business Kongress künden. Denn: ,,Es ist ein Lernprozess, wir müssen in die Themen hineinwachsen. Aber dem Herzen folgen, heißt auch Risiken eingehen. Das braucht Mut.“ Geh voraus! Alle am Kongress Beteiligten „brennen“ förmlich, doch jeder auf seine Weise und für Themen, die – auf den ersten Blick – weit voneinander entfernt sind. Diese Menschen kommen aus ganz verschiedenen Bereichen: Wirtschaft, Kunst oder Philosophie. Was sie eint, ist die Idee eines ganzheitlichen Umgangs mit Möglichkeiten. Und: „Wenn verschiedene Menschen für etwas brennen“, so Sigrid Limberg-Stohmaier, „ergibt sich daraus vielleicht ein Ofenfeuer, das nicht mehr so leicht auszublasen ist.“ In den Gesprächen mit den Organisatoren und Referenten des Kongresses wird eines klar, wie intensiv sie sich mit den Themen Innovation und Nachhaltigkeit auseinander setzen, von der Kommunikation bis zur Markt wirtschaft. Jetzt könnten einige denken: Ja klar, so wie sich viele Firmen und Unternehmer nur scheinbar mit diesen Dingen beschäftigen – um ihre Wäsche ,,grün’’ zu waschen und vorzutäuschen, was gerade zeitgemäß scheint: ein ökologisches Image. Aber wie schaut es bei den Organisatoren des Kongresses selbst aus? Die prüfen beispielsweise alle Sponsoren und Partner genauestens auf ihre Nachhaltigkeit. Geldgeber und Unterstützer des Kongresses werden nicht nur unter die Lupe, sondern nachgerade unter ein Mikroskop gelegt und gegebenenfalls auch abgewiesen. Und das, obwohl Sponsoren schwer zu finden sind. Und all die Mühe ehrenamtlich? Oder: Warum planen diese Menschen einen Kongress, der die Welt „nachhaltiger“ und „innovativer“ machen soll, ohne selbst etwas davon zu haben? Na ja, es hilft den beteiligten Organisationen ...
Glück – als das Gut der Zukunft Aber Prof. Dr. Karlheinz Ruckriegel kennt eine weitere Antwort: „Die Glücksforschung hat bestätigt, dass Menschen, die aus intrinsischer Überzeugung handeln, glücklicher sind, als Menschen, die aus extrinsischer Überzeugung Hand anlegen“. Was der Volkswirtschaftler Ruckriegel damit meint? Nun, wenn der ein zige Grund des Schaffens Geld ist, also ein extrinsischer, dann wird uns das nur kurzfristig glücklich machen. Will man dagegen aus innerer Überzeugung etwas erreichen, wird man feststellen, dass die Arbeit selber glücklich macht. Das Glücksempfinden nimmt zwar mit einem höheren Einkommen zu, aber eben nur so weit bis alle Grundbedürfnisse gedeckt sind. Ab dieser Grenze fühlt man sich mit noch mehr Geld nicht zufriedener, schon weil man sich zu schnell daran gewöhnt. Hier kommen nun ganz andere Notwendigkeiten ins Spiel, die so genannten „psychologischen Grundbedürfnisse“: Zugehörigkeit, Kompetenz und Autonomie. Also: Zwischenmenschliche Beziehungen, Beiträge zur Gesellschaft und persönliches Wachstum. All diese Bestandteile finden sich auch im Business Kongress und seiner Organisation: Man kommt mit verschie densten Leuten zusammen, wächst selbst am Projekt und bereichert obendrein noch die Gesellschaft. ,,Z’’ – ein Prozess für Innovationen Auch der Philosoph und Zukunftsforscher Ronald Zehmeister bedient sich einer Moti vation von innen. Um ihn herum werden Ideen entwickelt, die auf den Beweggründen der Beteiligten basieren. „Der Z-Prozess“, so Zehmeister, „ist das methodische Vorgehen, das in der Zentrifuge, als einem großen Netz werk und Projektinitiator, gelebt wird.“ In Phase 1 kommen unterschiedlichste Menschen zusammen, die sich zunächst ein mal von ihren Vorurteilen befreien, gemeinsam die gewohnten Bahnen und alten Denkmuster verlassen. Zunächst ist kein Ziel vorgegeben, wichtig ist in erster Linie eine Begegnung zu ermöglichen, die Offenheit begünstigt. Para doxerweise legt man in Phase 1 keine Ziele fest, damit sie in Phase 2 umso besser zu finden sind. In Phase 2 lässt man dann die Ideen fließen. Es wird das, was in den Beteiligten – bewusst oder nur unbewusst – vorgeht, zur Sprache gebracht. Auf diese Weise entstehen viele neue und innovative Zugänge. In Phase 3, der Phase der Umsetzung, wird nun klar, was man alles tun und wo man ansetzen kann.
-5-
Anfänglich keine Ziele vorzugeben, sondern zu entdecken, unterscheidet den Z-Prozess von anderen Ideenfindungsprozessen. Und von der Planung bis zum Programm des 3. Business Kongresses sind der Z-Prozess und sein Wirken gut ersichtlich. Weil es besser werden soll „Mit dem 3. Business Kongress wurde ein schönes Format gefunden.“ – „Etwas, wo sich Menschen berühren und inspirieren lassen können’’, so die Initiatoren. „Entscheidend ist das gemeinsame Entwickeln und Voneinander Lernen. Die eine Lösung gibt es nicht. Es ist an der Zeit, die Komplexität der Themen zu begreifen, sie differenzierter, aber eben auch ganzheitlich zu erfassen. Denn das Thema „Nachhaltigkeit“ ist viel breiter zu betrachten, als man meint.’’ Hieraus ergibt sich, was sich seit dem ersten und zweiten Kongress entwickelt hat. Mittlerweile wurden neue Kompetenzen dazugewonnen, die sich gegenseitig befruch ten. Neue Kompetenzen jedoch versprechen neue Qualitäten. Das ist ganz im Sinne von Frau Limberg-Strohmaier, lebt doch „... jeder Kongress von den Menschen, die an ihm beteiligt sind“. Der Nürnberger Business Kongress im Internet: www.businesskongress.com
Nach Haltig
in der Perle die Muschel im Spiegel des Brunnens schaut sich die Wolken an sie knistern schaut sich die Kugel an den Ästen der Bäume an sie fließen schaut sich einen Mann mit einem runden Mädchen an auf dem Kopf des Himmels fühlen sie sich drehen
von Alessandra Brisotto
-6-
Anzeige
Anzeige
- 7-
Expeditionen in Ă„sthetik und Nachhaltigkeit zur nachahmung empfohlen!
-8-
Š Jennifer Allora & Guillermo Calzadilla, anschlaege.de; From Under Discussion, 2004/2005
Die Endlichkeit der Energiereserven, die Ver schärfung des Klimas, das Schwinden der Biodiversität, Wasserknappheit, Überproduk tion von Konsumgütern, Vermüllung, die Verheerungen der Atomkraft ... sind als Verun sicherung tief in die öffentliche Wahrnehmung eingedrungen. Weltweit stellen sich Menschen Fragen nach individuellen Handlungsmöglich keiten. Wir brauchen Visionen eines zukunfts fähigen Lebens, die sich mit Sinn(lichkeit), Lust und Leidenschaft des eigenen Handelns verbinden. Sinn und Ziel der Wanderausstellung „zur nachahmung empfohlen!“ (ZNE!) ist, diesen komplexen Herausforderungen mit unter schiedlichsten Ansätzen aus Kunst und Wissenschaft zu begegnen. ZNE! rückt die kulturelle und ästhetische Dimension der Nachhaltigkeit ins Sinnen bewusstsein, um so der beobachtbaren Vernutzung des Begriffs entgegen zu wirken. Sie sensibilisiert dafür, dass Nachhaltigkeit, die sich als gestaltend versteht, nicht ohne die Künste und Wissenschaften auskommt; von ihnen ist das Denken in Übergängen, Provisorien, Modellen und Projekten zu lernen. Die über 50 Positionen aus Kunst, Design, Architektur und technischen Erfindungen fordern die Wahrnehmung heraus, verknüpfen Ästhetik und Nachhaltigkeit, stiften an, laden zur Nachahmung ein. Sie legen Fragen frei, die hinter den Antworten verborgen sind. Die Verbreitung der Gedanken mit den Mitteln der Künste, der Wissenschaften und durch Erfindungen. Drei Fragen an Adrienne Goehler, Initiatorin und Kuratorin der Ausstellung ZNE!: PILOT: Nachhaltigkeit ist ein strapazierter, manchmal gar missbrauchter Begriff. Kann die Ästhetik die Nachhaltigkeit retten? Adrienne Goehler: Sie vermag diesem schal gewordenen Begriff neues Leben, neuen Geist
© David Smithson: Solar Powered Electrical Chair (2012)
und Sinnlichkeit einzuhauchen. Denn ich bin davon überzeugt, dass Nachhaltigkeit neu aufgeladen und radikalisiert werden muss, um sich entfalten zu können. Die ästhetische Dimension eröffnet die Chance, der Vernutz ung des Gedankens der Nachhaltigkeit durch die Reduktion auf „drei Säulen“entgegen zu wirken. Über die Wahrnehmung, die Sinne, Sinnlichkeit, Sinnhaftigkeit, das Sinnenbe wusstsein, wie das Rudolf zur Lippe nennt. Nachhaltigkeit braucht eine gesellschaftliche Vision davon, wie die multiplen Verknüpfungen des vorhandenen Reichtums an Wissen und Erfahrung entfaltet werden können. PILOT: Wie kann man Ästhetik konkret machen? Adrienne Goehler: Sie ist ganz konkret erfahr bar über die Objekte der Ausstellung, die Installationen, Videos, beim Durchwaten von kniehohen Plastiktüten, der Sichtbar machungen von gemeinhin Unsichtbarem, über einen“solar powered electric chair“, der die Frage nach Demokratie und Partizipation neu stellt, ein Windrad, dass aus gebrauchten Batterien Strom erzeugt.
PILOT: Als Zentrifuge versuchen wir, ästhe tische Dimensionen zu erschließen und gehen dabei auch auf die Wirtschaft zu. Wie beurteilen Sie diese Initiative? Welche Chancen, welche Risiken sehen Sie? Adrienne Goehler: Für eine kraftvolle und anhaltende Verbindung von Ästhetik und Nachhaltigkeit brauchen wir neue Fördergefäße, neue Möglichkeitsräume, die das Interdisziplinäre nicht nur zwischen den Wissenschaften, sondern zwischen Wissenschaften, Künsten und ErfinderInnen ermutigen. Denn Nachhaltigkeit kann nur im Zusammenwirken entstehen. Deshalb müsste es einen „Fonds für Ästhetik und Nachhaltigkeit (FÄN)“ geben, um dessen Gelder man sich gleichermaßen mit künstlerischen, erfinderischen und wissenschaftlichen Fragestellungen zu einem nachhaltigen Leben und Arbeiten bewerben kann. Diesen Fonds würde ich gerne bald realisiert sehen, mit ressortübergreifendem öffentlichen und privaten Geldern. Vielleicht kann Nürnberg ja den Anfang machen! ZNE! im Internet: www.z-n-e.info
Adrienne Goehler Die diplomierte Psychologin war Präsidentin der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Berlin sowie Kuratorin des Hauptstadtkulturfonds. Sie lebt und arbeitet als Publizistin und Kuratorin in Berlin. Seit 2010 tourt die von ihr kuratierte Ausstellung „zur nachahmung empfohlen! – Expeditionen in Ästhetik und Nachhaltigkeit“ national und international. © Michael Koller
-9-
Glück ist machbar
Einblicke in die Glücksforschung
Text: Prof. Dr. Karlheinz Ruckriegel Illustration: Anton Hantschel
Mittlerweile ist die Glücksforschung eine anerkannte Richtung innerhalb der Ökonomie, die auch sehr „in“ ist. Die interdisziplinäre Glücksforschung geht der Frage nach, wovon Glück (im Sinne von subjektivem Wohlbefinden) abhängt. Die Glücksforschung beschäftigt sich mit dem subjektiven Wohl befinden, also mit dem Glücklichsein, nicht aber mit dem Zufallsglück (z.B. der Frage der Wahrscheinlichkeit eines Lottogewinnes), dem Glückhaben. Es gibt zwei Ausprägungen des subjektiven Wohlbefindens: „Emotionales“ Wohlbefinden im Sinne eines „Glücklichseins“ im Moment (gemessen etwa am Verhältnis zwischen positiven und negativen Gefühlen im Tagesdurchschnitt). Hier geht es um das Wohlbefinden, das Menschen erleben, während sie ihr Leben leben. „Kognitives“ Wohlbefinden: „Glücklichsein“ als dauerhaftes Gefühl, als generelle „Zufriedenheit“ mit dem Leben. Hier findet eine Abwägung zwischen dem was man will (den Erwartungen/Zielen/Wünschen) und dem was man hat, statt. Es geht also um das Urteil, das Menschen fällen, wenn sie ihr Leben bewerten, wobei es hier entscheidend auf die Ziele an kommt, die Menschen für sich selbst setzen. Weltweit werden hier die Menschen nach ihrer Zufriedenheit auf einer Skala von null (ganz und gar unzufrieden) bis zehn (ganz und gar zufrieden) befragt. Glückliche Menschen haben im Tages durchschnitt deutlich mehr positive als nega tiven Gefühle und sind mit ihrem Leben im hohen Maße zufrieden.
© Steffen Giersch
Die interdisziplinäre Glücksforschung hat sich intensiv mit der Frage beschäftigt, welche Faktoren für unser subjektives Wohlbefinden wichtig sind. Man spricht in diesem Zu sammenhang auch von den sogenannten „Glücksfaktoren“, die Quellen des subjektiven Wohlbefindens sind. Im Einzelnen wurden von der Glücksforschung folgende Faktoren identifiziert: • Gelingende/liebevolle soziale Beziehun gen (Partnerschaft, Familie, Freunde, Kollegen, Nachbarn, …) • Physische und psychische Gesundheit • Engagement und befriedigende Erwerbsund/oder Nichterwerbs-Arbeit bzw. Muße (etwas, das wir um seiner selbst willen tun, nicht als Mittel zu etwas anderem) • Persönliche Freiheit • Innere Haltung (im Hinblick auf Lebens ziele/Prioritäten, Dankbarkeit, Optimis mus, Vermeidung von sozialen Verglei chen und Grübeleien, Leben im Hier und Jetzt, Emotionsmanagement, …) und Lebensphilosophie (Spiritualität, d.h. eine persönliche Suche nach dem Sinn des Lebens bzw. Religiösität) • Mittel zur Befriedigung der materiellen (Grund-)Bedürfnisse und finanzielle Sicherheit. Man braucht Geld zum Leben, zur Abdeckung der materiellen (Grund-)Bedürfnisse und auch finanzielle Sicherheit ist wichtig. Aber man sollte die Bedeutung des Geldes nicht überschätzen. Man gewöhnt sich schnell an mehr Einkommen, wenn erst einmal die
Prof. Dr. Karlheinz Ruckriegel Karlheinz Ruckriegel ist seit 1995 Professor an der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm, Fakultät Betriebswirtschaft. Er hält Seminare über die Umsetzung der Ergebnisse der Glücksforschung im Management, seine Lehrgebiete sind Volkswirtschaftlehre, insb. Makroökonomie, Geld und Kredit, Behavioral Economics sowie interdisziplinäre Glücksforschung.
-10-
materiellen (Grund-)Bedürfnisse gedeckt sind. Mehr Einkommen macht dann nicht mehr glücklicher. Weltweite Befragungen zur Lebenszufriedenheit im Zeitablauf geben eine klare Auskunft: Obwohl in den westlichen Industrieländern die Einkommen seit den 1960er-Jahren massiv gestiegen sind, nahm die durchschnittliche Zufriedenheit in diesen Ländern seither kaum mehr zu. Wer etwas dafür tut, glücklicher zu werden, fühlt sich nicht nur subjektiv besser, sondern hat auch mehr Energie, ist kreativer, stärkt sein Immunsystem, festigt seine Beziehungen, arbeitet produktiver und erhöht seine Lebenserwartung. Die Jan./Feb. 2012 Ausgabe des Harvard Business Review (und die April-Ausgabe 2012, das in Deutsch erscheinenden Harvard Business Manager) beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit „The Value of Happiness“, und zwar für den Einzelnen, die Unternehmen und für die Gesellschaft:„Why write about happiness …? Because emerging research from neuroscience, psychology, and economics makes the link between a thriving workforce and better business performance absolutely clear.” so das Editorial im Harvard Business Review (S. 77). Dass der Harvard Business Review dem Thema Happiness eine solche breite Aufmerksamkeit geschenkt hat, hängt schlichtweg damit zusammen, dass glückliche /zufriedene MitarbeiterInnen das Beste sind, was Unternehmen sich wünschen können, da sich dies auch unmittelbar in besseren betrieblichen Ergebnissen niederschlägt. Neue Ansätze der Managementlehre, die aus der Glücksforschung entstanden sind, liefern die Grundlagen für eine Umsetzung einer Happiness-Strategie in den Unternehmen. In Deutschland wird das Thema Glück/ Zufriedenheit auf der Arbeit auch angesichts der zunehmenden Arbeitskräfteknappheit aufgrund der demografischen Entwicklung schon bald ein zentrales Kriterium für die Wahl des „richtigen“ Unternehmens sein.
Konkrete Veränderungen in der betrieblichen Praxis müssen an drei Stellschrauben ansetzen: bei der Mitarbeiterführung, im Jobverständnis bzw. bei der Arbeitsplatzgestaltung und bei der Work-Life-Balance. Mitarbeiterführung – ohne soziale Kompetenz geht es nicht Zentrale Bedeutung kommt der Mitarbeiter führung zu. Hier ist in Deutschland noch viel zu tun. Worum geht es im Einzelnen? Interesse am Wohlergehen zeigen, sich um den Mitarbeiter kümmern, ihn ernst nehmen, höflich sein und auf Höflichkeit beim Umgang der Mitarbeitern untereinander Wert legen und dies auch durchsetzen, Informationen teilen, Leistungs-Feedback geben, Weiter bildung des einzelnen Mitarbeiters fördern, Vorbildfunktion der Führungskräfte ausfüllen, Entscheidungsspielräume schaffen, Teamarbeit und gutes Arbeitsklima fördern, Fairness zeigen, Anerkennung geben („Wer keine Anerkennung sät, wird auch keine Leistung ernten.“). Es kommt also insbesondere auf sozial kompetente Führungskräfte an.
Arbeitsplatzgestaltung Von Job zur Berufung Die Einstellung zur Arbeit hat einen größeren Einfluss auf die Zufriedenheit mit dem Leben und mit der Arbeit als Einkommen und berufliches Ansehen. Geht es beim Jobverständnis um eine lästige Pflicht und nur ums Geldverdienen und steht beim Karriereverständnis die Motivation durch äußere Faktoren wie Geld und Vorwärtskommen bei Einfluss und Ansehen im Mittelpunkt, so bringt beim Berufungserleben die Arbeit an sich die Erfüllung. Zwar sind Gehalt und Aufstieg auch wichtig. Man arbeitet aber hauptsächlich, weil die Beschäftigung Freude bereitet. Das Unternehmen kann die Voraussetzungen dafür schaffen, dass eine Arbeit als Berufung begriffen wird.
Bei der Arbeitsplatzgestaltung ist dabei auf folgende Punkte zu achten: • Arbeit muss eine Vielzahl von Talenten und Fertigkeiten erfordern • Mitarbeiter müssen eine bestimmte Aufgabe ganz, also vom Anfang bis zum Ende, erfüllen können • Mitarbeiter müssen das Gefühl haben, dass ihre Arbeit für andere Menschen eine Bedeutung hat, etwa durch Qualität und Nützlichkeit der Produkte, Umweltver träglichkeit, Ausbildungsbemühungen bei jungen Menschen, Unterstützung gesell schaftlicher Projekte im sozialen, wissen schaftlichen und kulturellen Bereich. Vereinbarkeit von Familie und Beruf – Glück und Zufriedenheit sind nicht teilbar Die Zufriedenheit mit der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben meint vor allem eine Verbesserung der Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf. Denn ohne eine hinreichende Work-Life-Balance lässt sich nachhaltig keine Zufriedenheit erzielen. Und darunter leiden letztlich auch die Arbeitsergebnisse. „We’ve learned a lot about how to make people happy. We’d be stupid not to use that knowledge.” Harvard Business Review , Jan./Feb. 2012, S.77
-11-
Mit Ästhetik dem Neuen auf der Spur Beim dem Projekt „Forschende Kunst“ arbeitet die Zentrifuge mit Partnern aus Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft heraus, wie „das Neue“ durch Konzentration auf die Wahrnehmung wirksam wird. Text: Dennis Dreher und Michael Schels Illustration: Nina Mietz
Forschende Kunst wirkt auf den ersten Blick gestaltlos. Die Beteiligten haben gänzlich unterschiedliche Auffassungen davon, welches Konzept dem Projekt zugrunde liegt und wie man es verstehen darf. Einig sind sie sich, dass die Frage nach einem (vorgefassten) Konzept bei Forschende Kunst keine Rolle spielen darf. Den Künstler denken wir uns ja gerne als einen, der etwas erschafft. Den Forscher dagegen als jemanden, der die Schöpfung auseinander nimmt um zu verstehen, wie sie funktioniert. Das erscheint widersprüchlich, ist es aber nur auf den ersten Blick. Forscher und Künstler begegnen sich im Experiment. Während der eine dabei den Blick auf das Resultat verengt, eröffnen sich beim anderen neue Perspektiven. Der Künstler arbeitet nicht mit einer klaren Fragestellung und absehbaren Antworten. Er begibt sich in einen Prozess, der ihm selbst teilweise entzogen ist und folgt seinem ästhetischen Gespür. Dort, so die These, kann sich echte Innovation ereignen. Weltveränderung fängt im Inneren an Es geht bei Forschende Kunst nicht um einen Erkenntnisgewinn, der sich in harten Zahlen dokumentieren ließe, sondern um ein neues Denkkonzept. Es soll aufrütteln, zum Neudenken anregen. Der erste Teil des Projekts
im Sommer 2013 stand deshalb auch unter dem Motto „umwelten“. Gezielt wurde das Wort als Verb verwendet und meint somit einen Prozess der Weltveränderung, der im Inneren ansetzt. Für Alessandra Brisotto ist es vor allem ein innerer Prozess. Die Erkenntnis sei bei einem Künstler immer durch seine Emotionalität gefiltert, erklärt sie. Natürlich wirke die Ratio dort mit hinein. Sie bleibe aber von der emotional gefilterten Wahrnehmung nicht unbeeinflusst. Ein Künstler, so sieht sie es, sei eine Art Staudamm, der die Wirklichkeit auffängt, sie selektiv ausgibt und in Energie verwandelt. Eher abstrakt beschreibt hingegen Ronald Zehmeister das Projekt mit Hilfe von Immanuel Kant. Statt die Vernunft in den Vordergrund zu rücken oder moralisch zu argumentieren, wende sich Forschende Kunst der ästhetischen Seite des Menschen zu: Der reinen Urteilskraft. Zusammenspiel in der Musik Ohne Umweg rührt die Musik an unsere Emotionen: Ihr kann sich niemand ganz entziehen. In dieser Eigenschaft ist sie besonders wertvoll für Forschende Kunst, denn für Interessierte aus allen Disziplinen eignet sie sich als Grundlage für den gemein samen Diskurs. Im Zuge dieses Projekts kristallisiert sich der Z-Prozess heraus, eine ästhetisch geprägte Methodik interdisziplinärer Zusammenarbeit: Zunächst wird dabei ein offener und einfühlsamer Kommunikationsund Entwicklungsraum etabliert. Die Gruppe arbeitet anfangs bewusst ohne eine konkrete Zielsetzung. Erst am Ende werden Ziele und weitere Schritte geplant. Auch die Mitwirkenden an Forschende Kunst 2 stammen aus ganz verschiedenen Arbeits- und Denkwelten. Sie sind Musiker, Designer und Informatiker, Eventmanager, Unternehmensberater, Schriftsteller, Jour nalisten, Wissenschaftler und Zukunftsfor scher. Im Thema Musik begegnen sich ihre
-12-
Gedanken und indem sie die Musik nicht nur diskutieren, sondern tatsächlich erfahren, entstehen zusätzliche Impulse. Das Verfahren stößt Überlegungen zur Wirkmächtigkeit von Musik an und richtet die Aufmerksamkeit auf die Arbeit des Musikers. Bereits jetzt haben die Teilnehmer des Workshops zahlreiche Visionen entwickelt, wie die Zukunft der Musik aussehen könnte. Noch ist ihre Arbeit nicht abgeschlossen, aber es werden Konturen und sogar Vorformen von Resultaten erkennbar. Die abschließenden Ergebnisse sowie alles weitere, das im Rahmen des Projekts entsteht, werden im Sommer 2014 in einer Publikation dokumentiert. Wie kann ich suchen, was ich noch nicht weiSS? Zu den Resultaten, die „Forschende Kunst“ bereits jetzt zeitigt, zählt auch „Forschende Kunst junior“. Die Kernfrage lautet hier: „Wie kann ich suchen, was ich noch nicht weiß?“ Diese Frage wird gemeinsam mit jungen Menschen vertieft. Bei den Workshops werden Fragen erarbeitet und gesammelt, die die SchülerInnen beschäftigen. Fragen können z.B. sein: Was ist meine kulturelle Identität? Wie nehme ich andere Kulturen wahr? Was begeistert mich? Wie kann ich mich ausdrücken? Wie erlebe ich mich in der Umwelt? Ein wichtiger Baustein dabei ist, den Prozess zu dokumentieren und gemeinsam mit den SchülerInnen eine Präsentation der Ergebnisse zu erarbeiten. Dies kann eine Projektmappe sein, auch eine Ausstellung innerhalb oder außerhalb der Schule ist denkbar. Von der Planung bis zur Präsen tation sind die SchülerInnen Schritt für Schritt mit eingebunden. Der Prozess lebt von der offenen Begegnung und bietet viel Raum zur Wahrnehmung und Entfaltung von Potenzialen – individuell und in der Gruppe. Die Vision dabei ist, einen Raum zu schaffen,
„Motiv 03 -Keine Zeit für Muße?“ © Nina Metz
„Forschende Kunst 1: umwelten“ hat im Sommer 2013 die Grundlage geschaffen für ein differenziertes und zielgerichtetes Verständnis des Projekts. In diesen Prozess waren neben fünf ausgewählten Bildenden Künstlern zwei Ingenieure, ein Wissenschaftler, ein Unter nehmensberater, ein Zukunftsforscher, eine Schriftstellerin und ein Journalist eingebunden. Aus dem in dieser Konstellation erarbeiteten Know-how entstand „Forschende Kunst 2: Musik“ mit dem Ziel, diesen Prozess für Unter nehmen wirksam zu machen und Impulse für ein neues Innovationsverständnis zu setzen.
in dem Jugendliche und Kinder lernen, ihre Persönlichkeiten, Ideen, Wünsche und Träume zu leben und auszudrücken. Ästhetisches Besinnen Forschende Kunst inspirierte außerdem einige Teilnehmer zu dem in Gründung befind lichen Institut für ästhetisches Besinnen. Es entwickelt Methoden und Prozesse, um die Wahrnehmung zu schulen. „Ästhetisches Besinnen“ heißt zuallererst, auf das zu achten, was einem im Augenblick begegnet und dessen
Qualitäten beurteilen und schätzen zu lernen. Man lerne durch das Institut für ästhetisches Besinnen bewusst wahrzunehmen, erkunde die Dimensionen des Denkens und Handelns und schärfe die Urteilskraft, so Mitinitiator Otmar Potjans. Derart geschult wende man sich dem zu, was einen angeht und was man gestalten kann. Man erfahre sich dabei bewusst als schöpferisches Wesen. www.forschende-kunst.de
-13-
Gelegenheit zur Weltverbesserung Weltverbessern finden die beiden Designerinnen Nina Metz und Petra Wöhrmann prima. Sie möchten mit ihrem freien Projekt „Gelegenheit zur Weltverbesserung“ durch visualisierte Ge danken zum Hinterfragen und Verinnerlichen, zum Erkennen und sich Dingen bewusst werden animieren. Ihr Credo: Durch Erkennen und durch das Leben der daraus entstehenden ganz persönlichen Konsequenzen lässt sich die Welt verändern. Oder auch nicht. So ist das mit Gelegenheiten. www.gelegenheit-zur-weltverbesserung.de
2
1 7
5
GroSSes Kino in der Metropolregion?
Schau ma mal.
Ein Interview mit Martin Wagner, Leiter des Studio Franken des Bayerischen Rundfunks, über den Franken Tatort und das lange Hin und Her um den Film- und Fernsehstandort Nürnberg. Die Fragen stellten Philip Chrobot und Daniel Duzy Illustration: Anton Hantschel
PILOT: Endlich bekommt Nürnberg auch seinen Tatort. Warum hat es so lange gedauert, Nürnberg aus dem filmischen Dornröschenschlaf zu wecken? Wagner: Die Zentrale des Bayerischen Rund funks liegt in München. Da guckt man nicht unbedingt immer in andere Gegenden, sondern sagt: „Wir genügen uns selbst. Und wir drehen da, wo wir sind!“ Außerdem ist der Münchner Tatort extrem erfolgreich. Deshalb zögerte man natürlich zu sagen: „Jetzt machen wir auch woanders einen!“ Doch der Bayerische Rundfunk hat sich bewegt, ist gesprungen, und wir werden den Tatort hier drehen.
PILOT: Hat dabei der alte Konflikt zwischen Franken und Bayern eine Rolle gespielt? Wagner: Aus Nürnberger und Fränkischer Sicht hat es damit zu tun. Nach dem Motto: „Da werden wir mal wieder benachteiligt!“ Ich persönlich stamme aus Franken, arbeite dort, komme aber vom Bayerischen Rundfunk. Für mich sind eher die vorher genannten Gründe ausschlaggebend. Bayern München ändert seine Mannschaft ja auch nicht, weil jemand sagt: „Da sollte einer vom Club mitspielen.“ Der Intendant des Bayerischen Rundfunks, Ulrich Willhelm, hat jedoch festgestellt, dass Franken auch einen Tatort braucht.
-14-
PILOT: Es gab Geldprobleme, und man sprach davon, dass gar keine Mittel dafür zur Verfügung stünden. Wie wurde das Problem gelöst? Wagner: Wir haben verschiedene Bereiche im Bayerischen Fernsehen. Der Bereich für „Spielfilme“ muss jetzt zugunsten der Frankentatorte an anderen Ecken einsparen. Es ist ganz klar, es wird die Münchner Tatorte weiter geben und zudem gibt es die fränk ischen. Bei den Heimatkrimis wird nun ein bisschen Pause gemacht, da Geld ja nur einmal ausgegeben werden kann.
PILOT: Eine Forderung der regionalistischen „Partei für Franken“ lautet: „Die Beiträge, die die Franken an die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zahlen, sollen auch in Franken ausgegeben werden!“ Wird nun die gleiche Menge Geld in einen Frankentatort investiert wie in den Münchner? Wagner: Ja. Der wird genauso teuer oder genauso preiswert. Aus diesem Grund dauert auch alles so lang. Seit dem Tag, an dem bekannt wurde, dass gedreht wird, haben wir ständig Anfragen wie: „Wann fängt es an? Wo spielt das? Wer sind die Hauptdarsteller?“ Doch solche Entscheidungen brauchen Zeit, z. B. reden Autorinnen und Autoren mit einander und ringen darum, die beste Idee umzusetzen. PILOT: Inwieweit ist das Studio Franken selbst in den Dreh eingebunden? Wagner: Wir werden nicht involviert sein. Es gibt kein Nürnberger Produktionsteam, das solch ein Großprojekt stemmen könnte. Auch wird, nach meinem Kenntnisstand, keines entwickelt. Bei Tatort-Produktionen ist es üblich, dass im Regelfall mit größeren Produktionsfirmen, z. B. aus München, gearbeitet wird. Unsere Teams im Studio Franken sind im Wesentlichen für kleinere Produktionen wie für die aktuelle Berichterstattung oder Dokumentationen, unterwegs. Ein Tatort ist da schon eine andere Hausnummer. PILOT: Ist es dann nicht eigentlich doch eine Münchner Produktion, die nur in Nürnberg spielt? Wagner: Aus regionalpolitischen Gründen kann ich die Frage verstehen. „Jetzt kommen die Münchner daher, drehen, und keiner von uns ist dabei.“ Aber das ist bei Produktionsfirmen meistens so. Selbst wenn wir das mit einem fränkischen Team machen würden, hätte das nur einmal im Jahr was zu tun. Letztendlich gilt: Welches Filmteam dahinter steht, ist einem Zuschauer, der um 20.15 Uhr einschaltet, ziemlich egal. PILOT: Ein mausgrauer Anzug, eine penibel gescheitelte Frisur, unterwegs auf einem City Roller, trottelig und mit breitem Dialekt: So wurde 2003 der Hauptkommissar der Nürnberger Mordkommission, Erich Hackl, gespielt von Thomas Schmauser, im Tatort dargestellt. Der damalige CSUGeneralsekretär und heutige Finanz- und Heimatminister Dr. Markus Söder forderte eine Wiedergutmachung für diese „Blamage“. Und tatsächlich fragen sich Viele in der Metropolregion: „Wie werden wir nun dargestellt?“
Wagner: Ich hoffe wirklich, dass wir nicht als Bratwurst- und Lebkuchenesser lächerlich gemacht werden. Aber so wie ich die zuständige Redakteurin kenne und einschätze, wird ein anderes Bild von Nürnberg gezeichnet werden. Nämlich das einer modernen Großstadt mit einem historischen Stadtkern. Doch wie immer werden einige Nörgler noch was finden. PILOT: Wird der Schauspieler Thomas Schmauser im neuen Tatort eine zweite Chance bekommen? Wagner: Leider kenne ich die Besetzungsliste nicht. Aber vielleicht schleicht er mal durch das Bild. Ich denke aber eher nicht. Er selbst hat gesagt, dass er sich nicht als Tatort-Kommissar sieht. PILOT: Hat Nürnberg als Tatort die gleichen Qualitäten wie München? Wagner: Ich bin guter Dinge, dass der Frankentatort ein super Tatort wird. Oft müssen Serien aber eine Entwicklung durchmachen, bis sie sich etablieren. Auf der anderen Seite gibt es Filme, bei denen die Zuschauer unmittelbar nach der Erstausstrahlung eine Fortsetzung herbeisehnen. PILOT: Worin sehen Sie den größten Unterschied zwischen München und Nürnberg? Wagner: Nürnberg hat eine ganz eigene Geschichte und das merkt man auch. Hier herrscht ein ganz anderes Flair. Ich habe das Gefühl, dass Nürnberg etwas rauer, realistischer, bodennäher ist und nicht so abgehoben daherkommt. PILOT: Vor kurzem gab es eine Führung für „Location Scouts“ der Filmindustrie durch die Straßen der Stadt. Gibt es für Sie persönlich interessante Drehorte hier? Hat die Stadt etwas zu bieten, was andere Standorte nicht haben? Wagner: Da gibt es jede Menge, aber ich würde ungern einzelne Orte benennen. Nürnberg ist eine lebendige und moderne Stadt, nicht das, was jeder im Kopf hat.
PILOT: Wird die Stadtgrenze auch einmal überschritten? Ist z.B. die Nürnberg-FürthProblematik interessant für den Zuschauer? Wagner: Ich denke nicht. Denn es wird kein Heimatkrimi. Der Tatort richtet sich an ein Publikum aus ganz Deutschland. Es muss daher darauf geachtet werden, welche regionalen Besonderheiten man bundesweit ausstrahlen kann. Jeder soll das verstehen können. Ein Tatort muss in ganz Deutschland funktionieren. Ein Heimatkrimi aber funktioniert nur in Bayern. PILOT: Wie sieht es dann mit dem fränkischen Dialekt aus? Können die Kommissare dann sagen: „Allmächd, etz is da Däda endwischd!“? Wagner: Ich lebe hier in der Stadt, und wenn ich unterwegs bin oder einkaufen gehe, höre ich wirklich kaum noch Dialekt. Es wird also ein gepflegtes Fränkisch zu hören sein. Und wenn man sich die Liste der Hauptdarsteller anschaut – unter anderem stammen sie aus Würzburg und Hamburg -, sieht man, dass Nürnbergerisch nicht die vorherrschende Sprache sein soll. PILOT: Und wie kann es in Zukunft weitergehen? Wird Nürnberg durch den Tatort endlich als Film- und Fernsehstandort etabliert? Bemühen sich die Stadt und der Bayerische Rundfunk um weitere Produktionen? Wagner: „Fernsehstandort“ würde ich in Anführungszeichen setzen. Wenn der erste Frankentatort ein Erfolg wird, gibt es eine Fortsetzung. Ich wage jedoch zu bezweifeln, dass sich deshalb gleich Produktionsfirmen hier niederlassen. Jedenfalls nicht, wenn in der Stadt nur einmal im Jahr ein Tatort spielt. Wenn alles gut geht, gibt es einen spannenden ersten fränkischen Tatort im Jahr 2014. Und dann sehen wir weiter.
Martin Wagner Seit 1979 beim Bayerischen Rundfunk.1989 ging Martin Wagner als Nahost-Korrespondent der ARD nach Tel Aviv. Seine Arbeit als BR-HörfunkKorrespondent in Washington begann mit den Anschlägen auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington am 11. September 2001. Nach seiner Rückkehr wurde er Leiter der Redaktion Politik, Studio Berlin und Ausland. Seit August 2009 leitet er das Studio Franken. © Bayrischer Rundfunk; Heuse
-15-
Helden des Wandels
An der Zukunft arbeiten. Kunst und Wirtschaft zusammendenken. Wie geht das? Und wie schwer ist das ? Das Innovationslabor Zentrifuge in Nürnberg gibt erste Antworten .
Text: Martin Beyer
Als Ronald Zehmeister 2010 zum ersten Mal mit der Zentrifuge in Berührung kommt, ist ihm sofort klar: „That’s it!“ Der Zukunfts forscher spürt, dass dieses Projekt seiner Zeit um einige Jahre voraus ist und neue Formen der Arbeit und des Lebens bereits erfahrbar sind. „Wo es woanders noch um Konzepte und Folienpräsentationen geht, wird hier vieles schon real gelebt; vieles wird intuitiv richtig gemacht, was man ansonsten nur in Lehrbüchern sieht.“ Die Zentrifuge hat sich von einem kleinen Verbund, der seit 2008 Kunstausstellungen in einer ehemaligen Fabrikhalle Auf AEG organisiert, längst zu einem Denk- und Inno vationslabor entwickelt. Spricht man mit dem Kernteam der Zentrifuge, erhält man einen intensiven Einblick in den Maschinenraum der Kultur- und Kreativwirtschaft. Das groSSe UND zwischen Kunst, Kultur und Wirtschaft Kultur- und Kreativwirtschaft, was ist das überhaupt für ein Begriffsmonster? Stark gemacht wurde der Begriff auf Initiative der Bundesregierung, er soll eine Lobbygruppe stärken, die von Lobbyarbeit bisher nicht viel gehalten hat. Gemeint sind die Künstler und Kreativen, die meistens allein oder in sehr kleinen Gruppen ihre Ziele verfolgen,
Martin Beyer geb. 1976, ist promovierter Germanist und Dozent für kreatives Schreiben und Storytelling in Bamberg. 2009 erschien sein Roman „Alle Wasser laufen ins Meer“, er wurde mit dem Walter-Kempowski-Literaturpreis und dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet. Beyer kuratiert das jährlich stattfindende Literaturfestival „Bamberg liest“, zudem ist er Mitinitiator des Bildungsprojekts „Märchenakademie“.
denen es wirtschaftlich oft bescheiden geht, die – in 11 Teilsparten zusammengefasst – aber insgesamt mit 64 Milliarden Euro an Bruttowertschöpfung auf Rang drei der Großbranchen rangieren. Die Initiative erzielt Erfolge, gesamtgesellschaftlich konnte sie aber den tiefen Graben zwischen Kunst und Wirtschaft noch kaum verkleinern. An diesem Punkt setzt die Zentrifuge an, die man als das große UND zwischen den Gegensätzen bezeichnen könnte. Nur: Ihre Macher leiden durchaus darunter, machen sie doch regelmäßig die Erfahrung, zwischen den Stühlen zu sitzen. Sobald sie sich stärker der Wirtschaft zuwenden, haben sie das Gefühl, den Kontakt zur lebendigen Kunstszene zu verlieren. Umgekehrt tun sich die Künstler schwer zu akzeptieren, dass eine „wirtschaftliche Denke“ kein Teufelszeug ist, sondern eine notwendige Professionalisierung bedeuten kann. Powered by Z Dieses Dilemma, dieses Hin-und-hergerissenSein ist aber zugleich die große Stärke des Projekts, auch wenn das paradox klingen mag. Beide „Lager“, die Kunst und die Wirt schaft, sind noch immer durch viele Vorurteile und Klischees voneinander getrennt. Andererseits setzt sich in Wirtschaftskreisen
© Andrea M. Müller
-16-
die Einsicht durch, dass es mit den alten Modellen, den alten Operationen und den alten Kennzahlen nicht mehr weitergeht. Wirtschaft und auch Politik scheitern daran, die großen gesellschaftlichen Veränderungen zu moderieren, ihnen fehlen die Narrative für den Wandel. Und woher sollen die neuen Ideen, die „Verrückung“ der Wahrnehmung, das freie Denken und das Experiment kommen, wenn nicht aus der Kunst- und Kreativszene? Der Philosoph Peter Sloterdijk hat jüngst in einem Interview die Philosophie vor eine Entscheidung gestellt: „Sie ist heute auf dem Punkt, entweder in eine akademische Posthistoire überzugehen, in der sie sich selbst überflüssig macht – oder sie muss sich ein Exil in den Künsten suchen. Die bildende Kunst ist ein großartiges Asyl für eine Philosophie, die sich auf diese Metamorphose einlässt.“ Könnte das nicht auch für die Wirtschaft gelten? Sie muss ja nicht gleich ins Exil gehen. „Die Künste drücken praktisch und performativ etwas aus, was man ansonsten über ewig lange Abhandlungen ausdrücken müsste“, sagt Ronald Zehmeister. Er ist überzeugt: Auch in der Wirtschaft gibt es immer stärkere Tendenzen, von der Kunst zu lernen, von ihrer Intuition, von ihrem anderen Blick auf die Dinge. Es gibt also eine Nachfrage, aber bisher kaum ein Angebot bzw. niemanden, der es vermitteln konnte. Hier klingt das leidgeprüfte „Wir sind das UND zwischen den Gegensätzen“ der Zentrifuge plötzlich wie eine große Chance, den Begriff Kultur- und Kreativwirtschaft tatsächlich zum Leben zu erwecken. Der Rest ist eine Sache des Wording, des Marketing, und das bereitet den Zentrifuglern einige Schwierigkeiten. Wie sollen sie genau erklären, was sie da tun? Wie überwinden sie die Vorurteile und Klischees, wie schaffen sie Akzeptanz und Vertrauen? Es geht, wie sich zeigt, nur über den persönlichen Einsatz. Ständig. Die Zentrifugler müssen
immer wieder die eigene Geschichte erzählen, über ihre Erfahrungen berichten, über ihre Erfolgserlebnisse, über die Orte, an denen sie wirken. Ingenieure der Seele Da gibt es zum Beispiel die Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis „Durchgängiges Engi neering“ des Verbands Deutscher Ingenieure (VDI). Ist die Berufsbezeichnung des Ingenieurs nicht dazu geeignet, Kunst und Wirtschaft zu verbinden, fragt man sich in Nürnberg. Schriftsteller hat man früher die „Ingenieure der Seele“ genannt, der Ingenieur selbst wird, davon ist Zehmeister überzeugt, in wenigen Jahren immer mehr von einem Künstler haben, der nicht nur auf Fakten und Zahlen setzt, sondern vermehrt auch auf Kreativität und Intuition. Wie verändern sich also Lebens- und Arbeitswelten? Was heißt es in Zukunft, ein Ingenieur zu sein? Was macht einen Künstler aus? An solchen Fragen zu arbeiten, diese Fragen überhaupt zu stellen, genau das wollen die Macher der Zentrifuge leisten.
Im aktuellen Projekt „Forschende Kunst“ etwa geht es darum, die unterschiedlichen Wirklichkeiten von Künstlern, Ingenieuren und Projektmanagern erfahrbar zu machen und Verbindungen auszuloten, die nicht an der Oberfläche sichtbar sind. Ein offener, interdisziplinärer Ansatz, bei dem es alle Beteiligten anfangs aushalten müssen, nur wenige Orientierungspunkte zu haben. Die Zentrifuge als Exportschlager? Die Vertreter der Wirtschaft muss die Zentrifuge noch behutsam zu diesen Prozessen einladen, sie auf das Gelände locken mit Schnupperveranstaltungen, ihnen für eine Stunde den Kopf verrücken. Und ein solcher Kopfverrücker ist Ronald Zehmeister gerne. „Wir sagen: Begeben Sie sich für eine kurze Zeit in diesen Erfahrungsraum. Lassen Sie das wirken. Wenn es wertvoll war, können wir weiterarbeiten.“ Die von der Zentrifuge angestoßenen Prozesse hören dabei nicht an den Landes grenzen auf: Alessandra Brisotto ist für
Anzeige
Kreative Energie Image gute Ideen
… werten Sie Ihr
mit
n
!
auf
Prepress
Keyvisual
CMS
…
Corporate Design
Fotomanipulation
Online-Shop
Fotografie Bildbearbeitung
Logo
Web SCHLUND DESIGN – Ihr Partner für Web & Print Tel. 09126 286 007
rs@schlund-design.de
www.schlund-design.de
Literatur und internationale Perspektiven zuständig. Sie hat viele Drähte nach Italien, mit Venedig gibt es erste Kooperationen. Für die Zukunft könnte sie sich die Zentrifuge gut als eine Art Nomadenprojekt vorstellen: „Unsere Erfahrungen und Kompetenzen und auch unser Engagement sind für eine Welt im Wandel sicherlich von großem Wert.“ Die Zentrifuge als Exportschlager? Bevor es soweit ist, muss erst der Wirtschafts- und Kulturraum in Deutschland erobert werden. Vereinsvorstand Michael Schels ist sich sicher: „Die ständige Herausforderung ist, authentisch zu bleiben, die Konzentration zu schärfen und die Achtsamkeit für das Wichtige aufrechtzuerhalten. Dann wirken die zentrifugalen Kräfte weiter.“ www.zentrifuge-nuernberg.de www.forschende-kunst.de www.engineering2050.de
Anzeige
Die Alchemie
Beitrag zur Rekonstruktion eines verkannten Begriffs Text: Thony Christie
Die Alchemie ist in die Welt der Mythen und Legenden verbannt. Magie oder Aberglaube? Sie hat ganz und gar nichts gemeinsam mit rationalem Denken oder einer Wissenschaft. Eine Beschäftigung für Betrüger, Schwindler oder gar Verrückte, aber nichts für anständige Forscher. Sogar die Historiker haben für mehr als zwei Jahrhunderte die Finger von der Alchemie gelassen. Niemand wollte etwas wissen von diesem Unfug. Aber stimmt dieses Bild oder besteht es nur aus irgendwelchen Missverständnissen und Vorurteilen? Moderne historische Forschung aus den letzten circa fünfzig Jahren haben klar und deutlich gezeigt, dass dieses gängige Bild der Alchemie total falsch ist. Aber wie war es wirklich, woher kommt sie und was war oder ist überhaupt die Alchemie? Die ältesten Alchemie-Dokumente, der Corpus alchemicum graecum, stammen aus dem zweiten und dritten Jahrhundert n. Chr., aus dem hellenistischen Ägypten. Sie wurden von Kunsthandwerkern, Metall-, Schmuck, und Farbpigmentbearbeitern, Färbern, Töpfern usw. geschrieben. Sie bestehen aus Rezepten für unterschiedliche halbchemische Prozesse. Was aber bedeutet Alchemie oder besser Chemie? Das „al“ ist ja nur der arabische bestimmte Artikel. Es gibt verschiedene mögliche Etymologien, aber die wahrscheinlichste der ursprünglichen Bezeichnungen ist chemia – das kommt von dem griechischen Wort cheo,
was so viel bedeutet wie schmelzen. Wir begegnen dem ersten namhaften Alche misten, Zosimos, am Anfang des vierten Jahrhunderts. Die meisten seiner Schriften sind verschwunden, aber genug sind geblie ben um uns ein Bild seiner Tätigkeiten zu machen. Er versucht, auf der Basis griechisch philosophischer Materietheorie unedle Metalle in Gold und Silber zu verwandeln. Es gibt nichts Magisches hier, er geht systematisch und sehr wissenschaftlich vor, obwohl wir heute wissen, dass seine Bemühungen zum Scheitern verdammt waren. Nach Zosimos verschwindet die antike Wissenschaft im Westen in der Versenkung, aber es gibt immer wieder alchemistische Schriften in Byzanz und Alexandrien bis zum achten Jahrhundert. Alchemie taucht im achten Jahrhundert wieder im islamischen Reich als „al-kīmiyā“ auf. Hier wächst Alchemie zu einer großen Wissenschaft, über mehrere Jahrhunderte haben viele Gelehrte alchemistische Schriften verfasst. Am wichtigsten ist das so genannte Corpus Gabirianum, eine Sammlung von mehr als dreitausend Schriften. Sie wird Abū Mūsā Dschābir ibn Hayyān zugeschrieben, wurde aber mit Sicherheit von mehrere Autoren über mehr als hundert Jahre verfasst. Diese Sammlung beschäftigt sich mit dem Stein der Weisen, ein Elixier um unedle Metalle, in Silber oder Gold zu verwandeln oder um das Leben zu verbessen und zu verlängern.
Thony Christie geb. 1951, Studium Mathematik, englische Philologie, Geschichte und Philosophie mit Schwerpunkt Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftstheorie an der FAU Erlangen-Nürnberg. Freiberuflicher Lehrer für Englisch und Mathematik, wissenschaftlicher Übersetzer und Lektor sowie Wissenschaftshistoriker mit dem Hauptarbeitsgebiet Evolution der mathematischen Wissenschaften von 1409 bis 1759. Sein Wissenschaftsgeschichtsblog „Renaissance Mathematicus“ erhielt den Cliopatria Award in History Blogging for 2010 als bester individueller Blog.
-18-
Genauso wie bei Zosimos sind diese Schriften in höchstem Grade wissenschaftlich. Sie beinhalten Beschreibungen vieler chemischer Prozesse. Die Vermengung chemischer Stoffe, die Trennung chemischer Stoffe, die Destillation, die Reinigung chemischer Stoffe, die Entschlackung von Metallen und vieles mehr. Dies geht einher mit der detaillierten Beschreibung der notwendigen Apparate um solche Prozessen durchzuführen. Diese Literatur beschäftigt sich auch mit der Her stellung von Pigmenten, Farbstoffen, Medi kamenten und vielen anderen Stoffen, die wir heute der industriellen Chemie zuordnen würden. Die arabische alchemistische Literatur wird von Historikern auch als Grundlage der modernen Chemie gesehen. Am 11. Februar 1144 kam die Alchemie in den Westen zurück. Robert von Chester schrieb in seiner De compositione alchemiae eine Übersetzung aus dem Arabischen: „Ich habe dieses Buch übersetzt, weil fast niemand in unserer lateinischen Welt weiß, was Al chemie ist und was Zusammensetzung ist. Fertig gestellt Februar 11. Anno 1144.“ Roberts Übersetzung folgten viele alchemistische Übersetzungen aus dem Arabischen und bald entstanden viele neue Werke von europäischen Autoren. Im Mittelalter wächst die Popularität der Alchemie und am Anfang der Frühmoderne genoss sie einen überwiegend positiven Ruf. Während der Renaissance propagierte Paracelsus eine alchemistische Medizin und
„Ein Alchemist in seinem Labor“ Anhänger von David Teniers der Jüngere © Wellcome Library London
diese legte die Grundsteine für die Pharma kologie. Am Anfang des 17. Jahrhunderts etablierte Landgraf Moritz von Hessen-Kassel, ein glühender Verfechter der Alchemie, den ersten Lehrstuhl für Chemie an der Marburger Universität. Eigentlich einen Lehrstuhl für Chymiatie (dem der Heilkunde verpflichteten Teil der Chemie), d.h. der paracelsischen Alchemie. Im 17. Jahrhundert hatten auch die sogenannten Begründer der modernen Chemie, Andreas Libavius, Jan Baptist van Helmont und Robert Boyle tiefe Wurzeln in
der Alchemie. Erst am Anfang des 18. Jahrhun derts trennen sich die Wege von Alchemie und ihrer Tochter, der Chemie. Wenn die Chemie historisch betrachtet solche Wurzeln in der Alchemie hatte – wieso entwickelte dann die Alchemie so einen schlechten Ruf? Im 18. Jahrhundert haben die Gelehrten der Aufklärung, die sich als Vorreiter einer empirischen Wissenschaft, basierend auf Fakten, verstanden, sich von den sogenannten okkulten Wissenschaften (d.h. Astrologie, Alchemie und Magia Naturalis), die
-19-
sie als Aberglauben betrachteten, distanziert. Die Verfechter der neuen Chemie haben, um sich einen besseren Ruf zu erwerben, Alchemie gleichgesetzt mit Transmutation und die früheren Verbindungen ihres Faches mit der Alchemie abgestritten. Bis zum 19. Jahrhundert hat sich ihre Lügen-Kampagne durchgesetzt und die Chemie – die Tochter – hat mit Erfolg die Alchemie – ihre Mutter – der Vergessenheit anheim gegeben.
© Lorenza Boisi
© Andreas Hildebrand
© Eckehard Fuchs
Ausstellung
Beziehungsalchemie 25.04.–01.06.14, Zentrifuge
Malerei von Paola Alborghetti, Lorenza Boisi, Eckehard Fuchs, Andreas Hildebrandt. In Kooperation mit „Bamberg liest“ Warum verfangen sich bestimmte Menschen in unserem Netz – und andere nicht? Manche Menschen berühren uns, manche lassen wir nach einem Augenblick wieder los. Besteht die Welt nur aus solchen Beziehungszufällen, oder wo schleicht sich die Vorsehung ein? Wa rum verändert sie sich, die Welt, und warum bleiben wir manchmal doch dieselben? Die Alchemie lehrte einst die Verwandelbarkeit aller Dinge und Stoffe, und auch heute sa
gen wir uns, wir können alles sein. Alles und nichts. Die Ausstellung Beziehungsalchemie dringt zu dem vor, was Bilder vermögen – zu der Kraft, mit dem Betrachter zu sprechen. In Beziehung gebracht werden vier Positionen malerischen Schaffens, von Künstlern aus Deutschland und Italien. Zwei Länder, die sich seit langem mit unterschiedlichen Sehnsüch ten begegnen, die ein besonderes Beziehungs geflecht verbindet. So möchten wir Sie in der Nürnberger Zentrifuge zu einem, alchemi stisch gesprochen, Großen Werk einladen, in dem Flüchtiges zum Bild wird und Zufälle eine Bestimmung finden.
-20-
Vernissage: Fr, 25.04.14, 19 Uhr Finissage: So, 01.06.2014, 15–18 Uhr Öffnungszeiten: Do/Fr 17–20 Uhr, Sa 15–18 Uhr Ort: Zentrifuge, Muggenhofer Straße 141, Nürnberg Mit Begleitprogramm, u.a.: Tandemlesung aus „e–und“ mit Alessandra Brisotto und Isabel Bederna, Freitag, 16. Mai 2014, 19 Uhr
, Kooperationen
, Termine
Projekte Praxisseminar
CSR Kommunikation Eine Veranstaltung im Rahmen des Projekts CSR Regio.net. In Kooperation mit Zentrifuge und Unternehmen Ehrensache – das Corporate Volunteering Netzwerk Nürnberg. CSR wirkt vor allem im eigenen Unternehmen. Verantwortliche Unternehmensführung wirkt jedoch auch nach außen zu zahlreichen Kooperationspartnern und einer kritischen Öffentlichkeit. Deshalb spielt die Kommunika tion eine zentrale Rolle in der CSR Strategie. Dabei geht es nicht nur darum, Erfolge positiv darzustellen, sondern die Erfüllung von CSR-Zielen zu dokumentieren. Anne Kirchhof von der Kommunikationsagentur SWELL erläutert einführend, wie es gelingen kann, alle Herausforderungen der CSR Kommunikation 360° im Blick zu behalten. Christine Weinreich von concern stellt anschließend ein Tool zur Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten vor. Termin: Di, 08.04.2014, 14:30–18:30 Uhr Ort: Zentrifuge, Muggenhofer Straße 141, Nürnberg Dozentinnen: Anne Kirchhof, Swell und Christine Weinreich, concern Eintritt frei, Anmeldung erbeten bei Birgit Kretz, E-Mail: kretz@iska-nuernberg.de
IMPRESSUM PILOT – Magazin der Zentrifuge Zweite Ausgabe Frühjahr/Sommer 2014 Herausgeber: Zentrifuge e.V. V.i.S.d.P.: Michael Schels Zentrifuge – Kommunikation, Kunst und Kultur e.V. Muggenhofer Straße 141 90429 Nürnberg E-Mail: info@zentrifuge-nuernberg.de www.zentrifuge-nuernberg.de www.facebook.com/zentrifuge www.twitter.com/zentrifuge
Vortrag
Alchemie
Kunst? Wissenschaft? Philosophie? Religion? Das Wort Alchemie beschwört das Bild einer schäbigen und finsteren Gestalt in einem schummerigen Gewölbe umgeben von brodelnden Gefäßen voller merkwürdiger rauchender und zischender Mixturen herauf. Ein halb verrückter Zauberer, der versucht, das Geheimnis des ewigen Lebens zu entdecken oder Blei in Gold zu verwandeln. Aber stimmt dieses Bild? Dieser Vortrag ist ein Streifzug durch die Geschichte der Alchemie mit besonderer Betonung auf seine Beziehungen zu anderen Aspekten des Lebens. Die Beziehung zwischen Alchemie und Wissenschaft und insbesondere Chemie in der Frühmoderne, die Beziehung zwischen Alchemie und Kunst, die Beziehung zwischen Alchemie und Philosophie, die Beziehung zwischen Alchemie und Religion und die Beziehung zwischen Alchemie und Medizin. Zum Schluss ein Blick auf die Ziele der Alchemie und die Leistungen der modernen Wissenschaft. Termin: Sa, 24. Mai 2014, 19:30 Uhr Ort: Zentrifuge, Muggenhofer Straße 141, Nürnberg Referent: Thony Christie Eintritt: € 10,—; ermäßigt € 7,—
Idee, Konzept: Michael Schels, Ronald Zehmeister, Andreas Obermann Redaktion: Michael Schels Illustrationen: Anton Hantschel Bildbearbeitung: Andreas Obermann Titel: Anton Hantschel Layout: Ramona Obermann Beratung Gestaltung & Druck: Robert Schlund Druck: Nova.Druck Goppert GmbH Auflage: 2.500 Stück
-21-
Publikationen Zwei jüngst erschienene Publikationen wurden durch Ausstellungen in der Zentrifuge inspi riert: Ein Motiv aus der ersten Ausstellung in der Zentrifuge (ERFAHRUNGsPRODUKTion, 2008/2009) ziert den Titel einer Neuerschei nung des Transcript Verlags, Bielefeld: Repräsentationen von Arbeit – Transdiszipli näre Analysen und künstlerische Produktionen. Inklusive Interview mit den Künstlerinnen Anja Schoeller und Kerstin Polzin. Und Lajos Keresztes hat den Bildband „Wert_Stoff_Wandlung“ heraus gegeben, erschienen im Echter Verlag Würzburg. Die darin gezeigten Motive waren 2011 erstmals in der Zentrifuge zu sehen – im Rahmen der Ausstellung „Materie am falschen Ort“. © Lajos Keresztes
Kooperationen ARTMUC
REST.ART.WORK
Arte Laguna
Die Zentrifuge kooperiert mit der ARTMUC Messe in München, da wir finden, dass dies ein unterstützenswertes Projekt ist, das KünstlerInnen die Möglichkeit gibt, sich in einem professionellen Rahmen zu präsentieren. Die ARTMUC Messe in München (29. Mai bis 1. Juni 2014) bietet rund 100 Künstlern, Projekten, Kollektiven und Vereinen die Möglichkeit, ihre Werke genreübergreifend auf der Praterinsel im Herzen Münchens zu zeigen.
Bildende Kunst, Konzerte, Theateraktionen und multimediale Projektionen im öffentlichen Raum, Krakau, 16.5. bis 8.6.2014 .
Der „Arte Laguna“ Kunstpreis ist ein internationaler Wettbewerb, der die Förderung und Aufwertung der zeitgenössischen Kunst zum Ziel hat. Die Ausstellung der Finalisten wird im Arsenale von Venedig sein. Im Rahmen der Kooperation der Zentrifuge mit dem „Arte Laguna“ Kunstpreis findet im Juli 2014 eine Ausstellung in der Zentrifuge mit einem/einer Stipendiaten/-in statt, der/die zu einem vom Amt für Internationale Beziehungen Nürnberg geförderten Künstleraustausch nach Nürnberg eingeladen wird.
Als neuer Schnittpunkt im Kunstmarkt treffen bei ARTMUC neugierige Besucher, Galeristen und Sammler direkt und hautnah auf die Macher ihrer Kunst, die Künstler selbst. www.artmuc.info
2014 feiern Krakau und Nürnberg das 35. Jubiläum ihrer Städtepartnerschaft. Das Nürnberger Haus in Krakau, die Stiftung Transporter Kultury und der Verein Kulturtransporter realisieren – in Kooperation mit der Zentrifuge – das Projekt REST.ART. WORK. Dieses umfasst die Organisation von Ausstellungen bildender Kunst, Konzerte, Theateraktionen und multimediale Projektionen im öffentlichen Raum sowie großformatige Wandmalereien auf Wänden Krakauer Bürgerhäuser. Es ist eine Fortsetzung der langjährigen gemeinsamen Projekte der Künstler aus Krakau und Nürnberg, die in Form von deutsch-polnischen Kunstbiennalen verstanden und veranstaltet werden. Als Ort für das Vorhaben wurde der Krakauer Stadtteil Kazimierz gewählt, insbesondere die Straßen Wawrzyńca, Gazowa, Podgórska, und die Promenade an der Weichsel. www.kulturtransporter.de
www.artelagunaprize.com
Das PILOT Magazin kooperiert mit ON!, dem Kreativblog der Zentrifuge. Weitere Artikel, Interviews und News finden Sie unter www.on-index.de.
-22-
Anzeige
Anzeige
Flyer Broschüren Visitenkarten Poster Illustrationen uvm
Die Gegenwart ist die zukünftige Erinnerung – entsprechend sollte man sie gestalten.
Ramona Obermann
Gerhard Uhlenbruck
Grafikdesign & Illustration
Exzellente Beratung zu Zukunftsthemen Strategieentwicklung Angewandte Zukunftsforschung Vorträge Workshops
09127 59 43 073 0152 22 59 33 45 ramona.obermann@posteo.de www.ramonaobermann.jimdo.de Anzeige
Sprache und Kultur in Entwicklung Italienisch – Deutsch – Französisch – Latein
Sprachkurse und Nachhilfe n für Sie, auf jedem Niveau n für Schüler und Studenten n für Firmen n auch als Einzelstunden
Die etwas andere Sprachvermittlung n Führung-Konversationskurse in Italienisch n Sprachreisen nach Italien n Kulturprojekte Sprachen schaffen eine breitere Perspektive und lassen neue Kontakte und neue Möglichkeiten auf den internationalen Arbeitsmärkten entstehen. Tel. +49 162 9260333 | www.acasa8.wordpress.com
sensing | Ronald Zehmeister (MBA) www.sensing-system.de | info@sensing-system.de T 0175.9 30 03 45 Anzeige