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Ausgelaugt. Wie stressig Schule für die Kleinsten ist

Den Kopf freibekommen

Kathrin Sevecke, Direktorin der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hall und Innsbruck, spricht über Stresszustände bei Kindern, richtige Hilfsmöglichkeiten und plädiert für einen offeneren Umgang in der Gesellschaft mit psychosomatischen Beschwerden.

text: Philipp Buchacher

„Es braucht Offenheit, eine tolerante Gesellschaft und einen Blick darauf, was man präventiv machen kann.“

Kathrin Sevecke

In Tirol gibt es derzeit 37

stationäre Kinder- und Jugendpsychiatrieplätze

Mittlerweile ist das laufende Schuljahr wieder im vollen Gange. Einhergehend reihen sich mündliche Prüfungen und

Schularbeiten oft nahtlos aneinander.

Flatternde Nerven bei Schulkindern allen Alters sind dabei vorprogrammiert.

Doch manchmal wird aus diesen Momenten des Schulstresses ein Dauerzustand, der sich dann in vermehrten

Angst- und Panikattacken widerspiegelt. Schätzungen zufolge leidet in Österreich rund ein Fünftel der Bevölkerung unter psychischen Belastungen, darunter auch immer mehr Kinder und

Jugendliche.

Wie also mit Drucksituationen am besten umgehen? „Beim Stress geht es immer um ein Austarieren von Anspannung und Entspannung“, so Kathrin Sevecke, Direktorin der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hall und Innsbruck.

Dass eine Schularbeit oder Prüfung mit einer erhöhten Anspannung verbunden ist, sei normal. Kritisch werde es erst, wenn Symptome über die Anforderungssituation hinaus bestehen bleiben und es für Kinder und Jugendliche nicht mehr möglich ist, den Stresspegel wieder auf ein gemäßigteres Level zu senken. Als Ursachen sieht Sevecke zum einen den von außen kommenden Stress, etwa durch eine Überbelastung vieler gleichzeitiger Projekte, und zum anderen einen selbst gemachten, den die Expertin in einem oft schon im Kinder- und Jugendalter überbordenden Leistungsdenken erkennt, bei der nur die beste Note gut genug sei.

Wenn diese Stressfaktoren zu einem Dauerzustand geistiger Anstrengung werden, kann dies in weiteren Beschwerden münden, die in extremen Fällen zu Essstörungen, Selbstverletzung, Depression oder Suizid führen. Schlafstörungen, Appetitlosigkeit oder

univ.-prof. dr. in Kathrin Sevecke

ist seit 2013 Direktorin der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hall und Innsbruck und hat die stellvertretende Leitung des Department Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und medizinische Psychologie in Innsbruck inne.

Ursprünglich aus Nordrhein-Westfalen ist Sevecke zudem seit 2020 Präsidentin der österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Häufen sich Angst- und Panikattacken, hilft eine therapeutische Behandlung, diese in den Griff zu bekommen.

In Tirol nehmen derzeit 13.000 Personen

therapeutische Hilfe in Anspruch Heißhunger können da als erste Anzeichen auftreten. Auch Stimmungsschwankungen, ein Sicheinigeln oder ein Kontaktabbruch mit Gleichaltrigen können auffälliges Verhalten darstellen, bei denen man aufmerksam werden sollte. Gerade wenn dieser Zustand länger als ein paar Tage anhält, muss eingegriffen werden: „Da sollten die Alarmglocken schrillen und ein Kontakt zum Helfersystem aufgebaut werden“, so Sevecke.

Gegen falsche Vorurteile

Der Kontakt zum Helfersystem kann in einem ambulanten Beratungstermin münden. Im Erstgespräch wird dann anhand der Krankengeschichte eruiert, wie man Betroffenen am besten helfen könne: „Der erste Termin ist in der Regel dafür da, einzugrenzen, seit wann es Verhaltensaufälligkeiten gibt. Auf dieser Basis wird dann beraten, welche weiteren Behandlungen es benötigt“, erklärt die Expertin.

Sevecke wünscht sich, dass der Zeitpunkt, an dem Eltern mit ihren Kindern Hilfe aufsuchen, früher stattfinden sollte: „Zu uns kommen Personen meist in einem deutlich schlechteren Zustand, als wir es uns wünschen würden.“ Grund dafür sieht die Medizinerin in einer immer noch präsenten Stigmatisierung psychischer Erkrankungen. So habe eine dahingehende Erkrankung immer noch nicht den gleichen Stellenwert wie eine körperliche. Die Thematik sei mit einer unbegründeten Scham und Schuld behaftet, was sich etwa in der öffentlichen Auffassung erkennen lässt: „Es macht einfach einen klaren Unterschied in den Köpfen, ob ein Kind ein Antibiotikum aufgrund einer Infektion nehmen muss oder ein Antidepressivum wegen Stimmungsschwierigkeiten.“

Die soziale Komponente, die dem Thema eine zusätzliche Ebene aus Unwissenheit, Scham und Vorurteilen hinzufügt, manifestiere sich auch gegenüber therapeutischen Behandlungen, die von vielen in der Gesellschaft immer noch als Akt der Bestrafung angesehen werden: „Wir sind keine Erziehungsan-

Häufen sich Angst- und Panikattacken, hilft eine therapeutische Behandlung, diese in den Griff zu bekommen.

stalt und kein Ort, wo man aufgrund schlechten Benehmens hinkommt“, macht Sevecke klar. Pauschale Vorurteile gegenüber Personen, die psychiatrische Hilfe aufsuchen, seien in der breiten Gesellschaft gang und gäbe. Diesen werden dann geistige Einschränkungen nachgesagt, oder die Schuld an der Erkrankung wird im Elternhaus gesucht. Auch mit falschen Vorurteilen, wie etwa, dass die Behandlungen rein über Medikamente ablaufen, müsse aufgeräumt werden. Die Angebote sind bunt und vielfältig und reichen von Einzelgesprächen und Familiengesprächen über Reit-, Kletter-, Musik-, Hunde-, Tanz-, Ergo-, Physio- bis zur Kunsttherapie. „Wir sind ein Ort verschiedenster Therapiekonzepte und ein Raum des Schutzes und der Sicherheit.“ Es soll auch an einer dauerhaften Entstigmatisierung der Thematiken in der öffentlichen Wahrnehmung gearbeitet werden: „Es braucht Offenheit, eine tolerante Gesellschaft und einen Blick darauf, was man präventiv machen kann“, plädiert die Ärztin.

Vorbeugung und Hilfe

Präventive Maßnahmen seien auch der Dreh- und Angelpunkt, um rasch eingreifen zu können, so die Direktorin und verweist dabei auf Videos und Selbsthilfeinformationen aus dem

Von den derzeit 13.000 Personen, die therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen, sind 30 % Männer 70 % Frauen

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HILFE UND BERATUNG

bei psychischen Problemen gibt es in Tirol unter folgenden Adressen

Alle Infos zu den Angeboten unter: www.psychosozialeangebote.tirol

Psychosozialer Krisendienst - Kostenlose telefonische Beratung Tel.: 0800 400 120 MO-SO: 8-20 Uhr

Fit4School Hotline: Beratung für Schüler:innen, Eltern und Lehrpersonen Tel.: 0512 561 734 MO-FR: 14-15 Uhr

Psychosoziale Zentren Tirol: Anlaufstellen vor Ort in Innsbruck, Imst, Wörgl und Lienz www.psz.tirol Tel.: 050 500 MO-FR: 9-14 Uhr

Besonders die Zeiten des Lockdowns und der Pandemie haben bei Kindern Spuren hinterlassen. Sieben Schulpsycholog:innen sind in Tirol derzeit im Einsatz, die als Erstkontakt für Schüler bei mentalen Problemen dienen.

„Es macht einfach einen klaren Unterschied in den Köpfen, ob ein Kind ein Antibiotikum nehmen muss oder ein Antidepressivum.“

Kathrin Sevecke

Internet. Als erste Anlaufstelle seien diese auf jeden Fall zu empfehlen. Neben der Selbstinformation durch das Internet seien Schulen als erste Anlaufstelle für Präventionsarbeit ein Muss. Auf dieser Ebene sieht Sevecke in Tirol noch Nachholbedarf. Schulpsychotherapien werden erst in sieben Schulen angeboten, da müsse gerade vom Land noch mehr kommen, appelliert sie.

Dieses Manko an staatlich geförderter Unterstützung im psychosozialen Bereich erkenne Sevecke in ihrem Bereich nicht erst seit der Coronapandemie, jedoch habe diese noch mal zusätzlich Öl ins Feuer gegossen. Denn die Zahl der Patient:innen, die um Hilfe ansuchen, ist in den letzten drei Jahren der Isolation und dauerhaften Krisen stark nach oben gegangen. Mehr Hilfesuchende, aber gleichbleibendes Personal heißt dementsprechend längere Wartezeiten auf einen der wenigen Therapieplätze in Tirol, die für die Familien zudem noch eine finanzielle Belastung darstellen können. Gerade vonseiten des Landes müsse die Unterstützung umfassender ausfallen. Psychische Hilfe dürfe keine finanzielle Frage sein, erklärt Sevecke abschließend.

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