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Arbeit: Neu definiert
Einst das sprichwörtliche halbe Leben, beginnt sich die Arbeit und unser Verhältnis zu ihr zusehends zu wandeln. Das sorgt für Spannung zwischen Arbeitgeber:innen und -nehmer:innen, aber auch zu philosophischen Zwiespälten beim Streben nach einer Balance zwischen Karriere und Leben.
Text: Daniel Feichtner
Arbeit formt seit jeher unsere Gesellschaft ebenso, wie sie von unserer Gesellschaft geformt wird. Kein Wunder also, dass sich mit dem immer schneller vonstattengehenden gesellschaftlichen Wandel auch das Prinzip der Arbeit verändert. Dagegen mögen sich manche sträuben, während andere die Entwicklung für längst überfällig halten. Fakt ist jedoch: Mit Technologisierung, Digitalisierung und Automatisierung im Nacken, getrieben durch den Generationenwechsel und befeuert durch die vergangenen Jahre der Pandemie, bahnen sich große Veränderungen an.
TIEFERE URSACHE
New Work ist das Schlagwort, das die Runde macht. Begriffe wie Flexibilisierung und Remote Work fallen mit zunehmender Häufigkeit, während aus der viel zitierten Work-Life-Balance das WorkLife-Blending, also das Verschwimmen der Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben, geworden ist. Doch sie sind nur Symptome, ist Sabine Platzer-Werlberger, stellvertretende Landesgeschäftsführerin des Arbeitsmarktservice Tirol überzeugt. „Dahinter steht ein Paradigmenwechsel dahingehend, was Arbeit für das gesamte Leben bedeutet“, meint sie. „Man merkt zunehmend das Bedürfnis, sinnvollere Tätigkeiten im Job zu verfolgen.“ Dabei wird auch dem emotionalen Wohlbefinden mehr Wert beigemessen: „Aspekte wie Betriebsklima und die Atmosphäre am Arbeitsplatz haben an Stellenwert gewonnen.“ Kurz gesagt: Menschen wollen sich wohlfühlen, sowohl bei dem, was sie tun, als auch dabei, wofür, wie und wo sie es tun.
PERSÖNLICH NACHHALTIG
Zudem wünschen sich Arbeitnehmer:innen eine Arbeit, die so gestaltet werden kann, dass noch Zeit, Energie und Gesundheit vorhanden ist, um sich anderweitig zu betätigen. „Und das ist keine schlechte Bewegung, glaube ich“, sagt die Expertin. Von den gut 1.100 Langzeitarbeitslosen in Tirol sei der größte Teil gesundheitlich schwer angeschlagen. „Phänomene wie Langzeitdepression und Burnout haben die physischen Leiden schon längst überholt.“ Arbeit darf deswegen für viele kein Selbstzweck sein. Vielmehr wünscht sich die gerade in die Arbeitswelt eintretende Generation Tätigkeiten, die zwar Sinn stiften, aber ihnen auch die Möglichkeit geben, sich über sie hinaus zu betätigen und zu verwirklichen. Arbeit ist damit nicht mehr nur direkter Profit, sondern soll langfristig den Weg zu mehr ebnen.
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Spotify erlaubt seinen Mitarbeiter:innen auf Wunsch von überall aus zu arbeiten – nur Zeitzonenkonflikte müssen vermieden werden.
DocuSign räumt Mitarbeiter:innen einen zusätzlichen freien Tag pro Quartal sowie einen weihnachtlichen Betriebsurlaub ein, der nicht vom Urlaubskonto abgezogen wird. Zudem stehen jährlich drei Volunteer Days zu, die für gemeinnützige Arbeit genutzt werden können.
Malwarebytes
ermöglicht es seinen US-amerikanischen Angestellten, so viele Urlaubstage wie gewünscht zu nehmen, solange Deadlines eingehalten werden.
Die BMW Group lässt ihre CEOs von Auszubildenden in Sachen mobile Geräte, soziale Netzwerke und digitale Technologie schulen. So wird Wissen in die andere Richtung transferiert und der Nachwuchs kann sich nicht nur einbringen, sondern auch ein Netzwerk aufbauen.
SABINE PLATZER-WERLBERGER, STV. LANDESGESCHÄFSTFÜHRERIN, AMS TIROL
NEUES DENKEN
Genau diesen Generationenwechsel sieht Nina Beyrl, Leiterin des Bereichs HR Consulting bei der Managementberatung Conos, als wichtigen Faktor, der gerade an den Grundfesten der Arbeitswelt rüttelt. „Heute unterscheiden sich die Lebenssituationen vieler Menschen drastisch voneinander, selbst wenn sie im selben Alter sind“, erklärt Beyrl. „Manche planen ihre Familie mit 20, andere erst mit 40.“ Dieses deutlich größere Spektrum an Möglichkeiten, seine Zukunft zu gestalten, verändert auch das Verhältnis von Arbeitnehmer:innen zu ihrer beruflichen Tätigkeit. Zugleich stellt es neue Herausforderungen an Arbeitgeber:innen. „Allerdings ist das natürlich kein Obstkorb, den man da will“, meint Beyrl. Bislang seien Benefits nach dem Gießkannenprinzip angeboten worden. Doch mit den variableren Lebenswegen und -wünschen der Arbeitnehmer:innen haben solche Angebote viel an Attraktivität verloren. „Sehe ich mir den Tourismus an, ist das eine Branche, die durchaus Menschen anzieht, die viel arbeiten wollen, um schnell voranzukommen. Mit der Viertagewoche ist denen nicht geholfen.“
ALLEINSTELLUNGSMERKMALE
Für Unternehmer:innen ist das eine neue und auch unbequeme Situation, die viel Aufmerksamkeit und Aufwand verlangt. Weil es „die eine“ Lösung für alle nicht mehr gibt, ist Kommunikation ebenso gefragt wie Planung – nicht nur, um neue Mitarbeiter:innen zu finden, sondern vor allem um die bereits vorhandenen zu binden und zu motivieren. Dabei spielen allerdings nicht alle Branchen mit den gleichen Karten. „Remote Work wird der Einzelhandel nicht bieten können“, meint Beyrl. „Und im Tourismus werden sich viele Betriebe mit einer Flexibilisierung der Arbeitszeiten schwertun.“ Das macht die Mitarbeiter:innensuche schwierig.
Zugleich leiden einige Branchen auch an merklichem Imageverlust – wohl nicht zuletzt, weil sie Arbeitnehmer:innen in manchen Aspekten weniger entgegenkommen können oder zumindest bislang weniger entgegengekommen sind. „Manche Jobs haben einfach auch an Wertigkeit verloren“, ergänzt Beyrl. Doch ein Grund aufzugeben sei das nicht. Im Gegenteil: „Als Betrieb kann man meiner Meinung nach sehr gut gegensteuern.“ Denn wenn jemand – im Bereich des Möglichen – gute Bedingungen für seine Mitarbeiter:innen schaffe, werde sich das auch herumsprechen. So könne man sich als guter Arbeitgeber in einer schlecht dastehenden Branche besonders gut hervortun.
STÄRKEN IM FOKUS
Um der aktuellen Situation in ihrer Gesamtheit Herr zu werden, wird gerade in Dienstleistungsbranchen wie dem Tourismus ein ebenso grundsätzlicher Paradigmenwechsel nötig sein. Davon ist Helmut List, Managing Partner und Standortleiter der Tourismusberatung Kohl & Partner, überzeugt. „Trotz aller Herausforderungen brauchen wir ein positives Mindset“, ist er sich sicher. Anstelle von verlorenem Stolz müsse nach
vorne geblickt und sich auf die Vorteile besonnen werden, die der Sektor bieten kann. Denn auch wenn es im Tourismus häufig schwierig sei, freie Wochenenden, geregelte und vorhersagbare Arbeitszeiten und mehr zu bieten: Wenn sich die Branche den nötigen Konzeptveränderungen öffnet, sind auch neue Mitarbeiter:innenmodelle denkbar. Ein Umdenken braucht es dabei auf allen Ebenen. Vor allem sieht er aber die Betriebe in der Verantwortung. „Die Qualität der Führungskräfte ist ein nachhaltiger Schlüssel zum Erfolg“, meint List. „Zeitgemäße Führungskompetenzen müssen erlernt werden. Und dann ist das Schaffen von attraktiven Arbeitsbedingungen nicht nur ein Muss, sondern eine Chance.“
HÖREN & PROBLEME LÖSEN
Dabei, dass vor allem die Führungskräfte in der Pflicht stehen, diesen Wandel herbeizuführen, gibt ihm Nina Beyrl recht – und sieht die Verantwortung sogar noch ein wenig schwerer wiegen: „Wenn Mitarbeiter schon mit den metaphorischen Bauchschmerzen ins Büro kommen, dann geht’s nicht um aufregende Benefits, sondern um die Rahmenbedingungen.“ Und dafür sei viel Kommunikation nötig – weit über das „Wie geht’s? Auch viel zu tun gerade?“ am Gang hinaus. „Das ist ebenso wenig zielführend wie eine 17-seitige Mitarbeiterbefragung“, meint die HR-Expertin. Stattdessen gelte es Situationen zu schaffen, in der Dinge thematisiert werden können – und dann muss zugehört werden, anstatt an Problemen vorbeizureden. Für Führungskräfte bedeute das nicht zuletzt, auch in die eigene Persönlichkeitsentwicklung zu investieren. „Denn je ‚aufgeräumter‘ und reflektierter man selber ist, desto eher erkennt man, wenn es wo nicht passt“, ist sie überzeugt.
HIER, UM ZU BLEIBEN
Bei einem sind sich alle drei Expert:innen einig: New Work und die Veränderungen, die damit einhergehen, sind hier, um zu bleiben. Von alleine werden sich die Probleme nicht lösen – und damit werden auch die Turbulenzen am Arbeitsmarkt nicht einfach verschwinden. „Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass es nicht mehr so wird wie früher“, prognostiziert Helmut List mit Blick auf den Tourismus. „Mitarbeiter:innen können sich ihre Arbeitgeber aussuchen. Und davon wird auch intensiv Gebrauch gemacht.“ Kurzfristig sieht er eine weitere Verschärfung der Lage, was unweigerlich zu einer gewissen Marktbereinigung führen werde, aber Unternehmen, die die Sache professionell angehen, eine Chance gibt, zu profitieren.
ANPASSUNG & AUTOMATISIERUNG
Auf einen längeren Zeitraum gedacht, sieht Sabine Platzer-Werlberger vor allem Technologie als Treiber, aber auch als Werkzeug: „Die Automatisierung wird weiterhin viele Berufsfelder mittelfristig von Grund auf verändern. Nicht nur, weil Positionen nicht mehr besetzt werden können, sondern auch, weil sich Mitarbeiter:innen etwas völlig anderes von ihrem Arbeitsplatz erwarten.“ Um diesen Bedürfnissen gerecht zu werden, sei Automatisierung ein wichtiger Hebel, zumindest in vielen Bereichen. Dienstleistungsorientierte Branchen werden davon allerdings nur bedingt profitieren können. Deswegen werde sich dort ein Scheideweg auftun: Qualität, persönlicher Kontakt und Individualisierung werden deutlich teurer werden. Parallel wird dazu aber ein großes, automatisiertes und leistbareres Segment entstehen. „Hebel, um all das kontrolliert voranzutreiben und zu steuern, gibt es viele“, meint sie. Adäquate Bezahlung sei ein wichtiger davon, aber nicht der einzige. Generell brauche es ebenso wirtschaftliche wie auch politische und nicht zuletzt gesellschaftliche Entscheidungen. „Wie wir mit dem Wandel umgehen, ist gestaltbar“, sagt Platzer-Werlberger. „Und natürlich können nicht alle Unternehmen den gleichen Weg gehen.“
Zu wenige Hände
Was steckt hinter dem Mitarbeiter:innenmangel?
Immer wieder werden Stimmen aus der Wirtschaft laut, die behaupten, Menschen wollten nicht mehr arbeiten. „Als langjährige Beobachterin kann ich klar sagen: Das stimmt so nicht“, verneint Sabine Platzer-Werlberger vom AMS Tirol. Das lasse sich auch mit Zahlen belegen: Es ist in Tirol noch nie so viel gearbeitet worden wie aktuell – und das auch spezifisch in Branchen wie der Gastronomie und Hotellerie, die unter eklatantem Mitarbeiter:innenmangel leiden. Fakt ist, dass Covid das Wachstum in vielen Sektoren zwar gebremst, es aber nur sehr punktuell und kurzzeitig vollständig zum Stillstand gebracht hat. Und die meisten Branchen sind spätestens seit Jahresbeginn auf Aufholjagd – insbesondere jene, die während der Pandemie mit dem schwerwiegendsten Ausfällen zu kämpfen hatten und entsprechend Personal abgebaut haben. Das wird ihnen nun zum Verhängnis. „Wir haben keinen Fachkräftemangel“, bestätigt Helmut List von Kohl & Partner im Hinblick auf den Tourismus, „vielmehr kämpfen wir mit einem Fachkräftebedarf.“ Nicht zuletzt durch den demografischen Wandel und den Strukturen am Arbeitsmarkt verursacht, wird sich diese Situation auch langfristig nicht entspannen, glaubt er. „Deswegen muss die Branche Digitalisierung, Automatisierung und Systematisierung da, wo sie sinnvoll sind, als Chance sehen.“