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Land schafft Leben

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108 Experteninterview MENSCH & UMWELT

Wirtschaft und Klimakrise

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Dr. Stephan Schulmeister ist selbständiger Wirtschaftsforscher und Universitätslektor in Wien und war Mitarbeiter am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung. Seine Arbeitsgebiete sind Industrieökonomie, Innovation und internationaler Wettbewerb, Außenwirtschaft und internationale Wirtschaftsbeziehungen, Finanzmärkte und Unternehmensstrategien.

(CMS) Nachdem auch das Bauen und Sanieren wichtige Themen im Schaffensbereich des Ökonomen sind, hat er uns exklusiv ein paar Fragen beantwortet. Die Grundvoraussetzung ökologischer Nachhaltigkeit bestehe laut Stephan Schulmeister in der Klimaneutralität. Die NettoEmissionen von Treibhausgasen, insbesondere von CO2, müssen also bei null liegen. Soll die EU dieses Ziel bis 2050 erreichen, bedarf es gewaltiger Investitionen. Ebenfalls wichtig wäre es, konkrete Schritte in Richtung einer ökosozialen Kreislaufwirtschaft zu gehen und den Kapitalismus so zu bändigen. Um den sozialen Zusammenhalt zu stärken, müsse der Sozialstaat in vielen Bereichen modernisiert werden.

PASSIVHAUSmagazin: Für wie wichtig halten Sie das energieeffiziente, nachhaltige Bauen und Sanieren im Hinblick auf die Klimakrise und ihre Auswirkungen? Stephan Schulmeister: Eine umfassende energetische Sanierung des Gebäudebestands durch Kombination besserer Dämmung, Einsatz von Photovoltaik, Stromspeichern und Wärmepumpen ist eine der wichtigsten Maßnahmen zur Bekämpfung der Erderwärmung, aber auch der ökonomischen und sozialen Krise. Denn der mit Wohnen bzw. sonstiger Gebäudenutzung verbundene Strom- und Wärmebedarf trägt – direkt und indirekt – erheblich zu den CO2-Emissionen bei. Gleichzeitig würden durch die entsprechenden, relativ arbeitsintensiven Investitionen sehr viel Jobs geschaffen werden. Für den Neubau gelten diese Argumente erst recht.

PASSIVHAUSmagazin: Welche Maßnahmen würden Sie als Ökonom zur rascheren Reduktion der CO2-Emissionen setzen? Stephan Schulmeister: Es braucht ein langfristig orientiertes Gesamtkonzept. Neben der

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„DIE BEWÄLTIGUNG DER WIRTSCHAFTS- UND KLIMAKRISE ERFORDERT EINE NEUE ART GESTALTENDER UND DIE MENSCHEN AKTIVIERENDER POLITIK, DAS AUFSTELLEN VON UNTERSTÜTZUNGS- UND FÖRDERTÖPFEN WIRD NICHT REICHEN.“

„KLIMANEUTRALE PROJEKTE KÖNNEN NUR DANN ERFOLGREICH UMGESETZT WERDEN, WENN DIE STROMERZEUGUNG AUS ERNEUERBAREN ENERGIEN, INSBESONDERE DURCH PHOTOVOLTAIK UND WINDKRAFTWERKE, MASSIV AUSGEBAUT WIRD.“

Stephan Schulmeister gilt als einer der renommiertesten Wirtschaftsforscher Österreichs.

energetischen Erneuerung des Gebäudebestands braucht es die Schaffung eines transeuropäischen Eisenbahnnetzes als Alternative zum Flugverkehr, Übergang zu Elektroantrieb (primär auf Basis von Batterien, bei LKW auch durch Wasserstoff) im Straßenverkehr, Ausbau der öffentlichen Nahverkehrsinfrastruktur, Umstellung der Industrieproduktion – insbesondere in energieintensiven Branchen wie Stahl, Zement, Papier, Chemie – auf den Einsatz von Wasserstoff. Für all diese Projekte muss die Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen, primär Sonne und Wind, massiv ausgebaut werden. Um solche Investitionen verlässlich rentabel zu machen, müssten in der EU stetig steigende Preispfade für Erdöl, Erdgas und Kohle festgelegt werden, und zwar durch eine flexible Mengensteuer, welche die Differenz zu den jeweiligen Weltmarktpreisen abschöpft. Da diese (ebenso wie die Preise der CO2Zertifikate) extrem schwanken, können weder CO2Steuern noch der Emissionshandel die Erwartung verankern, dass fossile Energie stetig teurer wird.

PASSIVHAUSmagazin: Was sagen Sie zu den derzeitigen Problemen bzw. der enormen Preissteigerung in der Bau-/Rohstoffbeschaffung? Stephan Schulmeister: Dass bei einzelnen Rohstoffen Produktionsengpässe bestehen, mag stimmen. Dass aber nahezu alle Rohstoffe seit fast einem Jahr dramatisch steigen, deutet auf massive Spekulation auf den Derivatmärkten hin.

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