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EDITORIAL Unter dem Motto «Kommt die EM – geht die Fankultur» formierte sich 2002 der Widerstand der Schweizer und Österreichischen Fanszenen gegenüber der Europameisterschaft 2008. Für Unmut sorgte vor allem die Sicherheitshysterie, die bei Vereinen, Verband, Politik und in der breiten Masse der Bevölkerung ausbrach. In einer länderübergreifenden Aktion wurden bei diversen Spielen der Gastgeberländer Spruchbänder mit diesem Slogan hochgehalten.
Fankultur heisst … Die EM ist zwar längst vorbei, der Begriff der Fankultur ist indes erst in den letzten Jahren in Mode gekommen. Er wird von den hartgesottenen Fans der Stehplatzrampen selber gerne verwendet, die für eine «lebendige» und «farbige» Fankultur kämpfen; eine Kultur, die aus ihrer Optik alle Elemente einschliesst, die sie so lieben. Das sind die ausgeklügelten Choreografien bei Spielbeginn, ihr lebendiges Liedgut sowie die von der Öffentlichkeit verteufelten, von der Kurve selber aber heiss geliebten farbigen Feuerwerks-Fanfaren. Nach dem Abbruch des Zürcher Stadtderbys vor einem Jahr in Folge eines Fackelwurfs in die GC-Kurve schrieb die FCZ-Südkurve in ihrem Communiqué unmissverständlich: «Pyrotechnik bleibt integraler Bestandteil unserer Fankultur.» Fankultur ist nun mal ein weiter und dehnbarer Begriff. Manche Fans verstehen darunter in erster Linie das gemeinsame Erlebnis am Spieltag. Ein Bier, eine Wurst, ein Schwatz, ein Tor – wobei letzteres am wenigsten zwingend dazuge hören muss. Der Matchbesuch als soziales Ereignis.
Die Schweizer Stadien sind so gut besucht wie noch nie. Besonders die Fankurven erlebten in jüngster Zeit einen erstaunlichen Zuwachs. Gleichzeitig wurde auch immer häufiger über sie berichtet – selten objektiv, selten vielseitig und selten tiefer gehend. Dem wollen wir mit diesem Sonderheft «Fankultur» entgegen wirken, indem wir versuchen, der Vielseitigkeit des Themas gerecht zu werden und auch verschiedene Blickwinkel zu wählen. So wollen wir den Dialog zwischen den verschiedenen Interessengruppen schärfen, indem Zusammenhänge und Entwicklungen erläutert und Standpunkte beleuchtet werden, was Verständnis schaffen und die teilweise mit (zu) harten Bandagen geführte Diskussion neu beleben soll. Entstanden ist dieses ZWÖLF-Sonderheft in Zusammenarbeit mit dem Museum des FC Zürich, in dem von Oktober 2012 bis Sommer 2013 die Ausstellung «Fankultur – Szenen aus dem Stadion» gezeigt wird. Und nun wünschen wir euch eine gute, interessante und faszinierende Reise durch die Welt der Fankultur. Euer ZWÖLF-Team
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«Zweiundzwanzig spielen Fussball, Tausende und Zehntausende sehen zu. Sie stehen um das Spielfeld herum, kritisieren, johlen, pfeifen, geben ihr sachverständiges Urteil ab, feuern die Spieler an, bejubeln ihre Lieblinge, beklatschen einzelne Leistungen, reissen den Schiedsrichter herunter, fanatisieren sich, spielen innerlich mit. Sie verfallen der Fussballpsychose, und
sie benehmen sich auf dem Sportplatz, als hinge nicht nur ihr eigenes Wohl und Wehe, sondern das Wohl und Wehe der ganzen Welt von dem Ausgang dieses lumpigen Fussballspiels ab». Sozialdemokrat Helmut Wagner, 1931
INHALTSVERZEICHNIS
Faszination Fankurve
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Liebe, Glaube, Unvernunft
Der Runde Tisch
10
Diskussion mit Vertretern von Vereinen, Politik, Liga und Fans
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Fankurve YB
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Vom Verlust des Humors
24
In den Achtzigern nahmen Hooligans die Stadien in ihren Würgegriff
Fankurve FCZ
32 34
Vom Sonntagsausflug zum Saubannerzug
Die Nati-Fans
46 50
54 56
Der unerwünschte Fan
Die Gegentribüne
60
Liebt sie ihre Ultras noch?
Die Kurve des Herrn
Fans als Studienobjekte
Der Chor hinterm Tor
Fankurve FCB
86
Heiss uffs Spiel, heiser drno
Schnipsel: Die Pyros
Schnipsel: Das Bier Fanzines
88 89–95
97 100
Der Blick von unten
Fankurve GC
102
Schnipsel: Die Kurvenorganisation
104
Beziehungskrise
107
Ivan Ergić über die Entfremdung der Spieler von den Fans
Die neuen 68er
64
Sonderausstellung «Fankultur»
110 112
Das Programm im FCZ-Museum
68
Lesetipps
114
Erlesene Fankultur
Impressum Cover: Jeana Hadley
84
Josef Zindel rät: «Auch mal wegschauen»
Das Stadion als Männlichkeitsreservat
Forscher im Stadion
78
Die Nachwuchs-Ultras des FC Wiesendangen
Zwang zum Siegen
Ihr im Stadion, ich vor dem Fernseher
Fankurve FCL
Die Wisi-Kurve
40
Die Zeitung «Sport» als Zeitzeuge einer unruhigen Dekade
Der TV-Fan
76
Angriff auf die Grundrechte?
Deutschland: Der gescheiterte Dialog Italien: Die Ultras brechen England: Goldrausch und Stimmungskrise
Die vierte Gewalt in der Fankurve
Die Wilden Siebziger
Rechtsfragen
Blick über die Grenze
Die farbigsten Fans der Schweiz
Medienereignis Fussballfan
72
Die Schweizer Cupfinals
38
Der Kuh-Krux-Klan
Die ersten Ultras
Aufstieg aus der Bruchbude
Fangesänge
Politik und Kurvendiskussionen
Auswärtsreisen
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Höhepunkt des Fussballjahres
Schnipsel: Die Welle
Schatten der Gewalt
Fankurve FCSG
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FC Zürich – FC Liverpool 1977 Bild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv
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FC Basel – Grasshopper Club Zürich 1998 Bild: Pius Koller
Liebe, Glaube, Unvernunft Die Fankurve ist mehr als das bunte Stimmungszentrum in einem Stadion. Sie ist Projektionsfläche für Wünsche und Träume, Sinnbild für Treue und Leidenschaft, Stätte kreativer Verwirklichung und Ort der Rebellion. Eine Liebeserklärung an die in Verruf geratene Problemzone des modernen Fussballs. Text: Diego Stocker / Bild: StAAG/RBA
8 Als Schiedsrichter Stephan Studer am späten Abend des 27. April 2012 im Sittener Tourbillon mit seinem letzten Pfiff die Cupfinal-Qualifikation des FC Luzern besiegelt, geschieht der Reihe nach ungefähr Folgendes (das Gedächtnisprotokoll ist aus alkoholbedingten Gründen leicht beschädigt): Der halbvolle Plastikbecher, den ich eben noch in der Hand hielt, ist nicht mehr da. Im Block beginnt es zu brennen und vom Himmel regnet es Bier. Ein gewaltiger Endorphinblitz durchzuckt meinen Körper. Der euphorisierte Versuch, den Kollegen neben mir in guter alter Pogomanier seitwärts anzuspringen, scheitert, weil im selben Moment von hinten ein blauweisses Menschenknäuel angeflogen kommt und mich mehrere Stufen mit nach unten reisst. Wieder auf den Beinen sind rund um mich herum alle total am Ausflippen. Spieler und Fans werden eins – alles verschmilzt für ein paar magische Augenblicke zu einem einzigen Grossen und Ganzen. 800 heisere Stimmen vereinen sich zum schönsten Chor der Welt. Die Siegesarien werden mit so viel Inbrunst in den Walliser Sternenhimmel geschmettert, dass es selbst den Fans mit der rauesten Schale die Tränen in die Augen treibt. Für einen Moment scheint es, als sei aller Zynismus aus der Welt verschwunden. Der Rest der Nacht verflüchtigt sich in kollektivem Rausch, mit freundlicher Unterstützung der Polizei, die auf der Rückfahrt pflichtbewusst die Zufahrt zu sämtlichen Autobahnraststätten zwischen Sion und Luzern sperrt, was den Nachschub von Mineralwasser verunmöglicht und mich zwingt, meinen Durst aus dem unerschöpflichen WodkaVorrat der famosen Nord Boyz zu stillen.
Am Tag danach bin ich kaputt. Meine Stimme ist weg und dort, wo mein Kopf sein sollte, befindet sich eine Kartonschachtel, in welcher ein Bataillon Protectas-Zwerge mit Reissnägeln um sich wirft. In meinem Innern entfacht sich ein Streitgespräch zwischen Herz und Verstand. Das Herz freut sich über eine magische Nacht voll von überbordenden Emotionen, die man in solcher Intensität wohl nur als Fussballfan erlebt. Der Verstand findet, dass stundenlanges ekstatisches Singen und Rumhüpfen sowie die kindliche Freude an mannigfaltigen Verstössen gegen das Sprengstoffgesetz ein grenzwertiges Freizeitvergnügen für jemand ist, der – wie man so schön sagt – «auch keine zwanzig mehr ist». Meine Stimme verbündet sich mit meinem Verstand und sagt: «Ich bin zu alt für die Fankurve!» Meine Partnerin, die das zufällig hört, verdreht nur die Augen: «Vergiss es!» Sie kennt mich in gewissen Dingen besser als ich mich selbst und weiss genau, dass beim Fussball mein Verstand gegen mein Herz niemals eine Chance haben wird. Meinen ersten FCL-Match sah ich im Jahr 1978. Ich sass neben meinem Vater auf der Holztribüne des alten Allmendstadions, wo rund um mich herum rauchende Senioren das Spielgeschehen fachmännisch mit Kraftausdrücken aus dem genitalreferenziellen Bereich kommentierten. Ich fand das schön, starrte aber trotzdem nur die ganze Zeit auf die gegenüberliegenden Stehplätze – total gebannt vom wilden Treiben des harten Kerns der Fans. Bald schon musste mein Vater wieder alleine den Schiedsrichter beschimpfen. Mich zog es mit aller Kraft in die Fankurve. Ich bekam von meiner Mutter einen dicken blauweissen Wollschal geschenkt, den ich auch im Hochsommer an den Spielen trug. Dann nagelte ich ein blaues und ein weisses Bettlaken an eine mächtige Holzstange, die ungefähr doppelt
Faszination Fankurve so gross war wie ich. Das Resultat war meine erste Fahne. Ein wahres Monstrum – nach Lesart heutiger Sicherheitsreglemente eine potenzielle Mordwaffe. Abenteuerspielplatz Stadion
fühl auflöste. Ich könnte die endlos dauernden Sekunden unmittelbar vor dem Hochziehen einer Choreo beschreiben. Wenn mein Blick zu meinen engsten Weggefährten wandert, die in den Wochen zuvor unendlich viel Zeit für diesen kurzen Augenblick geopfert haben. Wenn ich sehe, wie ihnen vor Anspannung der Schweiss auf die Stirn tritt, weil ihnen wichtig ist, was sie tun, und mein Herz vor Zuneigung und Stolz fast platzt. Ich könnte das tri- Die Losung der Fankurve umphale Gefühl beschrei- heisst: Do it yourself! Was ben, wenn einem Sieg beim für ein herzerwärmender Erzrivalen die Krone der Anachronismus in unserer akustischen und optischen kaufrauschgeprägten Zeit. Überlegenheit aufgesetzt Die Fankurve ist der Punk wird. Ich könnte vom Herz- des 21. Jahrhunderts. klopfen erzählen, das sich noch immer ganz automatisch einstellt, wenn am Tag einer Auswärtsfahrt der Wecker losgeht. Ich könnte all das tun und würde damit trotzdem nur an der Oberfläche meiner Gefühle kratzen.
Ich hatte das Glück, in einer Zeit gross zu werden, in der «Family Corners» noch nicht erfunden worden waren. Ich wurde nicht gezwungen, mit von Krankenkassen gesponserten Klatschwerkzeugen «Stimmung» zu machen. Ich konnte auf eigene Faust meine eigenen Erfahrungen machen. Als kleiner Knirps kletterte ich nach einem für den Aufstieg entscheidenden Sieg gegen die Young Fellows in tranceartiger Begeisterung über den Zaun und rannte direkt in die Arme des einzigen Securitas-Manns weit und breit. Während eines Spiels gegen Lugano trat ich aus Versehen das Bier eines kurvenweit gefürchteten Vorstadtrowdys um, der bedauerlicherweise die Verdrahtung des für Empathie und Nachsicht zuständigen Teils seines Gehirns mit Kokain kurzgeschlossen hatte. Ich kam nur um ein blaues Auge herum, weil ein bärtiger Typ mit blauweissem Stirnband und einem angsteinflössenden Unterarm-Tattoo, das irgendwie selbstgemacht aussah, seine Ausbruch aus einer unangenehmen Gesellschaft schützende Hand über mich hielt. Gegen den FC St.Gallen sah ich eine Prügelei zwischen zwei ländlich anmutenden Auch wenn der Motor sämtlicher Fanaktivitäten der Wunsch und stark beleibten Herren, die sich gegenseitig als Bauer be- ist, die eigene Mannschaft nach Kräften zu unterstützen, schimpften. Nach dem Spiel ging ich nach Hause und konnte erschöpft sich die Faszinationskraft der Fankurve nicht in nicht schlafen. Ins Stadion zu gehen war damals für mich ein supporttechnischer Folklore. Der subkulturelle Kontext des Fandaseins ist für mich über die Jahre hinweg immer wicheinziges grosses Abenteuer. 30 Jahre später stehe ich noch immer in der Fankurve und tiger geworden. Ohne ultra – verstanden als aktiv gelebte an meinen Gefühlen hat sich im Prinzip nur wenig geändert. Gegenkultur – wäre ich wohl schon lange nicht mehr dabei. Das Fan-Dasein ist zu einer prägenden Konstante in mei- Die Fankurve ist für mich nicht nur Ort leidenschaftlichen nem Leben geworden – noch immer geht ein ungebührlich Supports, sondern auch – ich hoffe, der Ast auf den ich mich grosser Teil meiner Zeit dafür drauf. Das vom Fussball-Esta- hinauswage, ist nicht zu dünn – ein erfrischender Gegenentblishment inszenierte hyperkommerzielle Konsumspektakel wurf zum vorherrschenden Zeitgeist, der immer beengenverdirbt mir zwar zunehmend den Spass am Spiel, und auch der, egoistischer und spiessiger wird. Ich habe die Fankurve als Ort der Autonomie und die Spieler sind schon lange keine Idole mehr. Playstation spielende Frisurenträger eignen sich dafür halt nur bedingt. Selbstbestimmung lieben gelernt. Sie ist ein selten geworNur der Reiz der Fankurve hat nicht nachgelassen. Eigentlich dener Freiraum, für den es sich zu kämpfen lohnt. Die Loparadox: Je mehr kritische Distanz ich dem Fussballbusiness sung der Fankurve heisst: Do it yourself! Was für ein # gegenüber entwickle, desto fanatischer werde ich. Was die Faszination genau ausmacht und woraus sich mein Fanatismus letztlich nährt, kann ich noch immer nicht präzise sagen. Irgendwie ist es wie mit der Religion. Fussballfan zu sein ist Glaubenssache. Die Hingabe ist so universal wie irrational. Letztbegründungen gegenüber Ungläubigen sind aussichtslos. Ich könnte von diesem ekstatischen Moment beim Auswärtsspiel in Thun erzählen. Als die Füsse unterkühlt waren, das Bier im Becher einfror, Nico Siegrist den Ausgleichtreffer erzielte und mein Selbst sich in einem unvergleichlichen Zugehörigkeitsge- Der Autor (vorderste Reihe Mitte, blond) und seine «Wäsmeli-Gang» 1979.
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Faszination Fankurve
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herzerwärmender Anachronismus in unserer kaufrauschgeprägten Zeit. Die Fankurve ist der Punk des 21. Jahrhunderts. Sie ist der Sand im Getriebe der gut geschmierten FussballGeldvermehrungsmaschine, der Dorn im Auge windiger Vermarktungsexperten – und gilt vielleicht nur schon deswegen in unserer auf Konsum konditionierten Gesellschaft als suspekt. Die Fankurve ist über die Jahre zu meinem persönlichen Abwehrschild gegen den Tugendterror unserer Gesellschaft geworden. Mich fasziniert der Mut, mit dem sie sich dem Diktat der Wohlanständigkeit widersetzt. Mich fasziniert die Entschlossenheit, mit der sie sich über zu eng empfundene Regeln hinwegsetzt. Mich fasziniert die Konsequenz, mit der sie für ihre Prinzipien eintritt. Mich fasziniert das Selbstbewusstsein, mit dem sie ihren Platz einfordert – als ernst zu nehmende Hauptakteurin mit eigenen Wertvorstellungen und nicht als manipulierbare Staffage eines familientauglichen TV-Ereignisses. Fansein bedeutet: Verwegenheit statt Verkniffenheit! Man könnte auch sagen: Die Fankurve verkörpert die Überzeugung, dass Freiheit und Risiko untrennbar zusammenhängen. Sie ist nicht bereit, die Entscheidungsgewalt über sämtliche individuellen Risiken komplett an den Staat abzutreten. Eine Pyrofackel kann bis zu 2000 Grad heiss werden? Danke für die Info! Die Fankurve wird damit umzugehen wissen. In der Fankurve stehen ist wie Fahrradfahren Die fankurve ist nicht bereit, ohne Helm, wie Rauchen in die Entscheidungsgewalt über sämtliche individuellen der Beiz. Ebenfalls faszinierend: Risiken komplett dem Staat Die Fankurve unterminiert abzutreten. Eine Pyrofackel mit List die gesellschaftlikann bis zu 2000 Grad heiss che Tendenz hin zur totalen werden? Danke für die Info! Transparenz. Obwohl sie fast pausenlos unter medialer Beobachtung steht und wie keine zweite Subkultur dem ständig tagenden Gericht der öffentlichen Meinung ausgesetzt ist, gelingt es der Fankurve, ein paar Geheimnisse vor dem neugierigen Blick der Öffentlichkeit (und der Obrigkeit) zu bewahren. Militanz der Moralisten Die Fankurve ist die Antithese zu einer Gesellschaft, die es verlernt hat, bei Gelegenheit auch mal wegzuschauen. Kleinste Abweichungen vom rechten Pfad können heutzutage im Internet zu einem fatalen Nachspiel führen. Eine Dummheit eines 18-Jährigen kann ihn die Lehrstelle kosten oder später den Job. Anonyme Tugendwächter formieren sich in den Kommentarspalten der Online-Medien zum Gift und Galle speienden Mob. Der Internetpranger, diese erstaunliche Inkarnation mittelalterlichen Rechtsbewusstseins, gibt dem Mob die ersehnte Gelegenheit, Scharfrichter zu spielen. Die Fankurve spielt dieses Spiel nicht mit. Sie schützt ihre Mitglieder, indem sie ihre Probleme intern regelt. Sie ist der im Kern zutiefst humane Gegenpart zu einer Gesellschaft, die in ihrem blinden Eifer, ein moralisch einwandfreies Le-
ben für jede und jeden à tout prix staatlich durchsetzen zu wollen, letztlich selber unmoralisch und unmenschlich ist. Und nicht zu vergessen: Die Fankurve besitzt eine ungeheure integrative Kraft. Vor der Fankurve steht kein Türsteher, der den Einlass von Äusserlichkeiten abhängig macht. Die Eintrittskarte in die Kurve ist das Feuer in deiner Brust. Vor allem aber steht die Fankurve für Freundschaft, Zusammenhalt und Solidarität. Sie ist eine seltene Nische in unserer individualisierten Gesellschaft, in der echte Gemeinschaft noch möglich ist. «Mentalità Ultrà» als wohltuender Kontrapunkt zur grassierenden Ellbogenmentalität. 1650 Biere und 250 Würste Doch genug des Pathos. Höchste Zeit für eine knallharte Bilanz! Was bleibt übrig nach 30 Jahren Fankurve? Ich bin in meinem bisherigen Fanleben schätzungsweise 2500 Stunden in einem Fussballstadion gestanden. Also mehr als 100 Tage nonstop, vorwiegend hingebungsvoll leidend. Ich habe Tausende von Kilometern zwischen Bodensee und Genfersee zurückgelegt und in Käffern wie Biasca, Baulmes und Brüttisellen haltgemacht. Ich habe in Fussballstadien ungefähr 1650 Biere getrunken und 250 Würste gegessen und bin dafür zusammengezählt gut 5 Tage angestanden. Ich habe mich an den inneren Widersprüchen der Kurve aufgerieben. An der inszenierten Rivalität zwischen Fangruppen etwa, die einerseits Treibstoff für eine unglaubliche Kreativität ist, gleichzeitig aber auch aus Gleichgesinnten Todfeinde machen kann. Oder an der Parole «Support your local team», die ja eigentlich aussagt, dass jeder Ort lebenswert ist, wenn man ihn selber lebenswert macht, trotzdem aber nur selten über tumben Lokalpatriotismus hinausgeht. Mich haben übertriebener Machismo und peinliche Attitüde genauso genervt wie innere Trägheit und die unreflektierte Übernahme von Verhaltensmustern. Ich habe festgestellt, dass der Freiraum, den die Fankurve bietet, zwar in der Regel mit aller Gewalt verteidigt, nicht aber immer mit gleich viel Energie auch tatsächlich sinnvoll genutzt wird. Ich habe beim Choreomalen mehrere Paar Jeans ruiniert und mir beim Tippen von Fanzine-Texten eine böse Sehnenscheidenentzündung geholt. Ich bin niemals Opfer von Fangewalt geworden, durfte aber die Bekanntschaft von PolizeiSchlagstöcken und Tränengas machen. Ich habe ein Buch geschrieben, eine Musik-CD mitproduziert und Konzerte organisiert. Ich habe auf der Strasse Unterschriften für ein Referendum gesammelt und bin mit Polizeikommandanten und Kantonsräten am Tisch gesessen. Ich habe den vorauseilenden Gehorsam gegenüber der Staatsgewalt verloren. Ich habe gemerkt, dass auch die Polizei zu unrechtmässigen Übergriffen fähig ist. Ich habe gelernt, nicht alles zu glauben, was in der Zeitung steht. Ich habe um ein Haar die Wirteprüfung gemacht. Ich habe in der Kurve die unterschiedlichsten Leute kennengelernt: Staatsanwälte, Landwirte, Gynäkologen und Bodenleger. Ich habe ein paar Freunde fürs Leben gefunden. Ich habe absurd viel Zeit und Gefühle an die banalste Nebensache der Welt verschwendet. Es hat sich gelohnt. •
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RUNDER TISCH
Spielabbruch nach 60 Minuten
Es hätte eine freundschaftliche Begegnung werden können: Vertreter von Politik, Fans, Klub und Liga treffen sich im Berner Neufeldstadion, um Fankultur zu diskutieren. Stattdessen lieferten sich FC-Basel-Präsident Bernhard Heusler, SP-Nationalrat Daniel Jositsch, Jörg Häfeli, Präventionsbeauftragter der Swiss Football League, und Lukas Meier von der Fanarbeit Bern eine kampfbetonte Auseinandersetzung. Ange12 setzt war eine 90-minütige Diskussion. Nach anfänglichem Mittelfeldgeplänkel stellte der offensive Jositsch die Abwehrkette Heusler-MeierHäfeli bald vor Probleme – vorwiegend mit schnellen Vorstössen über die rechte Seite. Wir steigen direkt in die heisse Phase ein. Text: Balz Ruchti / Bilder: Janosch Abel
Wie charakterisieren Sie die Fankurve? Bernhard Heusler: Es ist sicher eine Szene von überwiegend jungen Menschen, die einen sehr grossen autonomen Bedarf hat, die auch mal Selbstregulierung beansprucht und damit die gleichen Fragen aufwirft, wie frühere Jugendbewegungen: Bewegungsfreiheit, Grundrechte einerseits, andererseits der berechtigte Bedarf an Sicherheit, verbunden mit dem Ruf nach Repression und schnellen Massnahmen – das gleiche Spannungsfeld, wie wenn irgendwo eine illegale Party gefeiert wird. Im Fussball wirds einfach anders thematisiert, weil man dahinter noch die Klubs hat, denen man diese Leute dann zurechnet. Daniel Jositsch: Ich sehe das nicht so verharmlosend. Es gibt Leute, die im Stadion Straftaten verüben. Das sind Straftäter – Punkt, Schluss. Und ohne riesigen Polizeieinsatz kann man sie nicht aus der Menge herausnehmen, weil die Masse diese Leute deckt, mit Fahnen vor den Kameras abschirmt; genau, wie an der 1.-Mai-Demo – das sind ja auch die gleichen Personen. Ausserdem bin ich der Ansicht, dass gegen Pyros rigoros vorgegangen werden soll. Notorische Täter sollten bis zu unbeschränktem Stadionverbot erhalten. Lukas Meier: Da wurden gerade extrem viele Sachen vermischt, Ich weiss gar nicht, wo anfangen … Jositsch: Das ist eine Unterstellung. Ich habe zwei Dinge
gesagt. Erstens: Wer Straftaten begeht, gehört nicht in ein Stadion. Der zweite Punkt: Wer drum herum steht und es zulässt, gehört dazu. Beim Ersten stimmen Sie mir sicherlich zu, jetzt können Sie noch zum zweiten Punkt etwas sagen. Meier: Sie erwecken hier wieder diesen Eindruck des rechtsfreien Raumes. Wenn ich von Ihnen Dinge höre wie «lebenslanges Stadionverbot fürs Abbrennen von Pyros» – Sie sind doch Strafrechtsprofessor? Finden Sie das verhältnismässig? Jositsch: Absolut. Finden Sie den Einsatz von 2000 Grad heissen Pyros, die in den Familiensektor geworfen werden, verhältnismässig? Meier: Jetzt bleiben wir aber mal bei den Fakten … Heusler: Wenn ein 16-Jähriger zum Spiel kommt und ein Pyro im Sack hat; wo ist die Verhältnismässigkeit, wenn wir 15 Verletzte in Kauf nehmen, um ihn zu verhaften? Ihn als Gewalttäter registrieren, mit drei Jahren Rayonverbot belegen und seinen Arbeitgeber informieren, ihn also sozial ächten? Das führt leider dazu, dass sich die Jugendlichen drum herum mit ihm solidarisieren und auch gewalttätige Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften in Kauf nehmen. Genau damit haben wir derzeit zu kämpfen. Herr Jositsch, ist Pyros abbrennen für Sie Gewalt? Jositsch: Natürlich, das ist eine schwere Gefährdung.
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Man muss mal aufhören mit diesem Wir-müssen-Differenzieren – nein. Sie müssen mal Farbe bekennen. Die Klubs haben das Problem, dass sie glauben, diese Leute seien ihre Fans. Aber alle anderen, die Saisonabonnements kaufen, wollen das nicht. Heusler: Ich glaube, damit bin ich angesprochen. Ich lasse mir nicht den Vorwurf machen, ich würde was verniedlichen. Wir sind klar da, um sichere friedliche Fussballspiele zu organisieren. Jositsch: Dann machen Sies! Heusler: Ich komme gerade von einer Konferenz mit 240 Grossklubs in Genf – warum wird der FC Basel international zu Fragen der Fanarbeit konsultiert, wenn wir in «Selbstregulierung? Das Ihren Augen nichts richtig gibts einfach nicht. Fertig.» Daniel Jositsch oder alles falsch machen? Von aussen, von Leuten die nicht ins Stadion gehen, von Medien und Politik, wird das Bild von einem unkontrollierten Gewaltsumpf vermittelt; dass es gefährlich sei an ein Fussballspiel zu gehen. Unsere Anhänger geben uns eine komplett andere Rückmeldung. Unsere Zuschauer geben uns eine komplett andere Rückmeldung. Die Uni Bern hat unter den Anhängern des FC Basel eine Online-Befragung durchgeführt und dabei sagten mehr als 95 Prozent, sich vor, während und nach dem Spiel sicher zu fühlen. Wir generieren 70 Prozent der Einnahmen über Eintritte, für uns wäre es verheerend, wenn sich Familien
Daniel Jositsch, SP-Nationalrat Zürich
nicht mehr ins Stadion wagen würden – verheerend. Ich weiss, Herr Jositsch, man möchte Klubpräsidenten, die sich in der Cüpli-Loge bewegen, dort ihre wichtigen Sponsoren betreuen und sich am Montag in den Zeitungen von ihren Fans distanzieren. Ich verstehe meine Rolle halt anders und stehe an Auswärtsspielen auch mal vor dem Gästesektor, um mir mein eigenes Bild zu machen. Jositsch: Erstens mal spreche ich mit Ihnen nur über Studien, die ich gesehen habe. Fragen kann man so oder anders stellen. Es gibt auch andere Umfragen mit anderen Resultaten. Wo ich Ihnen recht gebe: An 90 Prozent der Spiele passiert nichts. Aber bei der Stadtpolizei Zürich habe ich Videos gesehen, da muss ich Ihnen sagen, es ist ja ein Wunder, dass noch keiner umgebracht wurde. Da muss man präventiv eingreifen. Die kommerziellen Unternehmungen mit ihren kommerziellen Interessen müssen Verantwortung über nehmen. Die Fans in der Kurve würden gerne selbst Verantwortung übernehmen. Jositsch: Selbstregulierung? Das gibts einfach nicht. Fertig. Es kann keine rechtsfreien Räume geben, in denen Privatpersonen selbstregulierend tätig sind. Meier: Wenn Sie behaupten, Selbstregulierung funktioniere nicht, dann sind Sie wirklich zu weit weg. Diese Beispiele von der Stadtpolizei, die Sie ansprechen, das sind Gewaltausbrüche und solche Ereignisse will niemand sehen – aber sie
RundER TIsch bilden nicht den Alltag ab. Jositsch: Hat die Selbstregulierung denn in diesen Situationen funktioniert? Meier: Nein, natürlich nicht, aber … Jositsch: Eben. Meier: Sie haben vorhin von Prävention gesprochen, aber genau da fehlen die Mittel. Man hat einen unglaublichen repressiven Apparat hochgefahren, Sie sind mit den Forderungen Ihres Massnahmenplans einer der Letzten, der nun auch noch auf diesen Zug aufspringt. Jositsch: Sehen Sie, ich bin eben nicht der Einzige. Ich sage Ihnen, was Prävention ist. Es gibt eine primäre Präventionsmassnahme: Konsequent dagegen vorgehen, dass Leute sich im Stadion so verhalten können, wie sie es jetzt manchmal tun – rausholen und bestrafen. Heusler: Rausholen und bestrafen ist Prävention? Jositsch: Selbstverständlich. Heusler: Ach, so. Ich dachte, das sei Repression. Für mich ist Prävention, was Fanarbeit leistet und was wir auf allen Ebenen praktizieren, nämlich den Dialog führen … Jositsch: Das nützt ja nicht viel. Ich und andere Parlamentarier haben zum Beispiel den Vorschlag gemacht, dass niemand mehr anonym ein Ticket kaufen kann – damit man weiss: Hans Meier sitzt auf dem Platz. Jörg Häfeli: Aber Herr Jositsch, Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, das dieses normative Eingreifen überhaupt nicht funktioniert.
Lukas Meier, Fanarbeit Bern
Heusler: Wie in Italien, wo man damit die grössten Probleme hat. Jositsch: Einen Rest an Gewalt wird man nie loswerden, aber Sie müssen das immer mit dem Zustand vergleichen, den man hätte, wenn gar nichts unternommen würde. Im Strassenverkehr gibts auch jedes Jahr Todesopfer, aber ohne Gurttragepflicht hätten wir noch viel mehr Tote. «die Politik hat sich auf Häfeli: Sie reden, als würde Fussballfans eingeschossen, gar nichts gemacht. Jeder und die haben keine Lobby.» Klub in der Schweiz inves- Lukas Meier tiert sehr stark; nicht nur in den Sicherheitsbereich, auch in Prävention und in aktive Fanpolitik. Die Täteridentifikation ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt, und auch hier versuchen die Klubs ihre Hausaufgaben zu machen, aber es braucht – wie bereits gesagt wurde – auch Verhältnismässigkeit. Wenn Sie sagen, dass zum Beispiel ein 25-Jähriger lebenslanges Stadionverbot kriegen soll – das ist doch entgegen jedem rechtsstaatlichem Grundsatz. Im Strafgesetz gibt es ja auch die Möglichkeit der Resozialisierung. Jositsch: Aber der Fahrausweis ist irgendwann auch einfach ganz weg. Häfeli: Ich bin in der Ombudsstelle des Schweizer Fussballverbandes und begegne dort Leuten, die nachweislich ungerechtfertigt mit einem Stadionverbot belegt wurden. Diese extrem repressiven Massnahmen führen zu Eskalationen. Heusler: Zur Radikalisierung junger Menschen. #
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Herr Jositsch sagte vorhin, Gewalt bringt man nie ganz weg. Gibt es überhaupt ein Gewaltproblem im Schweizer Fussball, oder könnte man mit dem Erreichten nicht zufrieden sein? Jositsch: Fragen Sie das mal jene, die die Gewalt erleiden, ein Opfer. Sehen Sie, wenn Sie in der Schweiz über Gewalt reden, sprechen Sie – Gott sei Dank – immer von ganz wenigen, die es betrifft. Aber diese Wenigen haben den Anspruch, geschützt zu werden. Stellen Sie sich vor, Ihre Tochter würde vergewaltigt und ich sage Ihnen: «Ja, gut, aber haben wir wirklich ein Vergewaltigungsproblem?»
Heusler: Ich finde, diese Frage ist schon richtig. Für das einzelne Gewaltereignis gibts nie eine Rechtfertigung. Aber ich sage immer: Wir verführen jährlich zwei Millionen Menschen, sich in ein hoch emotionales Umfeld zu begeben, wir haben Freude an Fahnen und Emotionen und erwarten gleichzeitig, dass die Leute sich dann genau in jenen Grenzen bewegen, die wir als richtig empfinden – das kriegen wir nicht hin. Jositsch: Emotionen sind nicht Gewalt. Das ist eben der Punkt. Als ich ein Kind war, ging ich mit dem Grossvater ins Stadion, er auf die Tribüne, ich in den Züri-Egge, das wäre
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Jörg Häfeli, Präventionsbeauftragter der SFL (links), und Bernhard Heusler, Präsident des FC Basel
RUNder Tisch heute die Südkurve, zum Mitgrölen. Und wenn der Match anfing, war ich meistens schon heiser. Gewalt gabs damals nicht. Wenn ich heute meinen Achtjährigen alleine in die Südkurve liesse, hätte ich die Vormundschaftsbehörde am Hals. Heusler: Aber jetzt erzählen Sie Sachen – ich bin als Zwölfjähriger … Jositsch: Wenn Sie nun sagen … Heusler: Ich bin mit zwölf Jahren … Jositsch: … Fahnen schwingen sei eben auch ein bisschen Gewalt – nein!
Heusler: Fahnenschwingen sei Gewalt, habe ich das gesagt? Jositsch: Doch, doch. Sie haben gesagt, das gehöre halt ein bisschen zur Fankultur. Da bin ich zwar mit Ihnen einverstanden, Fahnenschwingen ist nett … Heusler: Sie wollen mich falsch verstehen. Meier: Ich bin von dieser Diskussion enttäuscht. Diese Thematik ist komplex und ich habe nicht den Eindruck, dass wir mit diesem Gespräch der Sache gerecht werden. Mehr «Wenn wir politisch attrakRepression, Verschärfun- tive Massnahmen ablehnen, gen – damit zerstört man kommt wieder der Vorwurf: die gute Ausgangslage, die Ihr wollt ja gar nicht, dass wir in der Schweiz eigent- es besser wird.» lich haben. Wir haben eine Bernhard Heusler Fankultur, die sehr viel Positives bietet. Es gibt Herausforderungen, die angegangen werden müssen, aber das geht nur mit allen Akteuren an einem Tisch. Wenn ich Geschichten höre, wie früher gabs im Stadion keine Gewalt – ich bin mittlerweile auch schon 37 Jahre alt und war als Kind selbst alleine im Stadion. Da sind Flaschen rumgeflogen. Wie Sie selbst sagten: Gewalt wird man nie ganz los und man muss alles unternehmen, um sie einzudämmen, aber wenn man Gewalt und Pyro vermischt, kommen wir keinen Schritt weiter. Leider hat sich die Politik auf Fussballfans eingeschossen, und die haben keine Lobby. Noch einmal: Gibt es heute wirklich mehr Gewalt oder hat sich die Wahrnehmung der Gesellschaft verändert? Häfeli: Wenn ich höre, früher war alles anders … – das ist ein Witz, wenn man genau hinsieht. Gewalt im Fussball hatte früher eine ganz andere Beachtung. In den Neunzigern, als es noch keine Extrazüge gab, wurde hier in der Schweiz jedes zweite Wochenende irgendeine Raststätte auseinandergenommen – das hat kein Schwein interessiert. Heute gibt es eine Sensibilisierung, und die ist das Produkt der medialen und politischen Kommunikation. Die tatsächlichen Zuschauer fühlen sich nicht unsicher. Die Zuschauerzahlen sind ja in den letzten Jahren gestiegen. Wir haben auch eine relativ gute Situation mit den Extrazügen, wo die Fans sehr stark involviert sind – aber mit Ihrem Massnahmenplan wird selbst das wieder infrage gestellt. Gesetzesverschärfungen, das kann ich jetzt schon sagen, werden einen Gegeneffekt auslösen, der viel grösser sein wird als der Nutzen. Was es wirklich braucht, ist ein Marschhalt, bei dem Politik und Vereine mit Augenmass feststellen, was es wirklich braucht, um weiterzukommen. Jositsch: Sie haben jetzt ein paar Jahre rumgemacht, und das Resultat sehen wir ja. Jetzt schauen wir mal, was rauskommt, wenns in die andere Richtung geht. Ich glaube Ihnen gern, Herr Meier, dass Sie von diesem Gespräch enttäuscht sind. Aber was mich enttäuscht, ist, dass ich von Ihnen drei noch nichts Konkretes gehört habe, wie man das Problem lösen will. Sie sagen bloss, es gebe keines. Häfeli: Ich könnte Ihnen schon was erzählen, wenn Sie zuhören würden. Heusler: Das ist auch so ein Klassiker: «Sie haben keine #
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Ideen, in zehn Jahren nichts hingekriegt, Klubfunktionäre sind inkompetent.» Jositsch: Nein. Ich habe nur gesagt, ich will keine Gewalt an Sportveranstaltungen. Heusler: Da sind wir uns einig. Jositsch: Und die Verantwortlichkeiten sind klar verteilt: Für die Strafverfolgung ist die Polizei zuständig, die gehört für mich auch mehr ins Stadion – das können nicht irgendwelche privaten Sicherheitskräfte sein, die sich da herumschlagen. Das heisst: Das kostet, und das haben die Klubs zu bezahlen. Punkt, Schluss. Heusler: Und das ist dann die Lösung? Jositsch: Selbstverständlich.
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Warum braucht es mehr Polizei, wenn die Gewalt eher rückläufig ist und die Zuschauerzahlen steigen? Jositsch: Ich habe Ihnen vorhin schon einmal gesagt: Sie können im Zusammenhang mit Gewalt nicht mit Statistiken operieren. Heusler: Und womit operieren Sie? Mit persönlichen Eindrücken? Jositsch: Sage ich Ihnen gleich. Sehen Sie, in der Schweiz wurde eine Verwahrungsinitiative angenommen, obwohl es in der Praxis kaum solche Fälle gibt. Dieses Problem ist minim und trotzdem wollen die Leute Sicherheit davor. Und das gehört eben zur Politik: Sie können die Leute nicht mit Statistiken besänftigen – weil sie «Extrem repressive Massnah- nicht wissen, wer der nächsmen führen zu Eskalationen» te ist, den es trifft. Ich weiss Jörg Häfeli auch, dass wahrscheinlich nicht irgendwann ein Pyro angeflogen kommt, wenn ich mit meinem Sohn ins Stadion gehe – aber es ist halt auch schon passiert. Kann das in einem Rechtstaat die Grundlage für Entscheidungen sein? Gefühle und Eindrücke? Jositsch: Nein, das sind Fakten. Wie häufig es passiert, spielt keine Rolle. Jedes Opfer, jedes potenzielle Opfer, hat das Recht geschützt zu werden und zwar auch vor Gewalttaten, die ganz selten vorkommen. Vergewaltigungen und Mord sind auch selten, und trotzdem versuchen wir, es zu verhindern. Heusler: Sie sagen: «Vielleicht müssen wir halt mal Gesetze machen, um die Menschen zu besänftigen – das ist Politik.» Das ist mir klar. Aber ich frage mich: Ist die Sicherheit wirklich gefährdet, und was können wir machen, um diese zu verbessern? Uns geht es eben nicht darum, irgendein politisches Bedürfnis zu befriedigen. Und wenn wir dann politisch attraktive Massnahmen ablehnen, kommt wieder der Vorwurf: Ihr wollt ja gar nicht, dass es besser wird. Aber ich kann nicht Massnahmen gutheissen, wenn ich nicht überzeugt bin, dass sie etwas helfen. Statt mit Schlagworten zu operieren, müssten wir mal grundsätzlich davon ausgehen, dass wir alle friedliche Spiele wollen und uns gleichzeitig da rauf einigen, dass man gewaltfreie Spiele nie wird garantieren können.
Jositsch: Sie machen einen kolossalen Denkfehler, wenn Sie sagen, es gibt einerseits die Politik und andererseits die Wirklichkeit. In einer Demokratie entscheidet die Mehrheit, welche Gesetze erlassen werden. Und die Mehrheit ist offensichtlich der Meinung, dass man mit den bisherigen Massnahmen der Sache nicht Herr wird. Heusler: Die Mehrheit? Jositsch: Die Klubs sagen immer, was sie nicht wollen. Sie haben ja das Gefühl, Sie seien Fachleute in diesem Bereich. Aber von Ihnen ist keiner mal mit einem Massnahmenplan gekommen. Wir haben jetzt ein Problem und die Leute wollen, dass man etwas dagegen macht. Das ist die Aufgabe der Politik. Häfeli: Die Medien und die Politik wären ebenfalls in der Verantwortung, einen Beitrag zur Versachlichung der Situation zu leisten. Jositsch: Was wollen Sie denn da versachlichen? Häfeli: Es ist nachweislich so, dass gewisse Massnahmen vor allem im Zusammenhang mit anstehenden Wahlen thematisiert werden. Was die Klubs im Präventivbereich leisten – Aus- und Weiterbildung von Funktionären professionalisiert, sozioprofessionelle Arbeit, Konzepte – das liefert halt keine sexy Schlagzeilen. Jositsch: Ich weiss auch, dass Sie am Sonntagabend im Fernsehen nicht sagen können: Es ist nichts passiert, wir zeigen Ihnen jetzt Fans, die friedlich ins Stadion ziehen. Aber das ist auch nicht das Problem, sondern: Wenn Sie einen Saubannerzug haben, der von Bahnhof Altstetten ins LetzigrundStadion marschiert, dann müssen Sie dem Ladenbesitzer mit der kaputten Scheibe irgendetwas sagen. Und zwar nicht: «Das ist jetzt halt passiert, aber bausch es nicht auf.» Das ist ein sehr klares Bekenntnis zum Populismus. Jositsch: Ich weiss nicht, was Sie unter Populismus verstehen, aber wenn es heisst, dass die Politik das macht, was der Mehrheit der Leute unter den Nägeln brennt, dann bin ich gerne Populist. Heusler: Und wie haben Sie den diese Mehrheit ermittelt? Sie sagen ja, Statistiken gelten für Sie nicht, aber Sie wissen, dass Sie für eine Mehrheit sprechen. Jositsch: Das kann ich Ihnen sagen: Die Zuständigen sind die Kantone, diese haben ein Konkordat gemacht, und die Mehrheit hat dem zugestimmt. Und die Mehrheit des Natio nalrates hat gesagt, wir wollen die Transportpflicht aufheben. So ermittelt man die Mehrheit in der Politik. Heusler: Ich meinte jetzt eher generell zu Ihrer Position. Und was das Konkordat angeht, sind diese Abstimmungen noch nicht alle gelaufen. Jositsch: Die Kantone schon. Heusler: Nein, in Basel zum Beispiel noch nicht. Aber das spielt hier keine Rolle: Letztlich stellt sich die viel wichtigere Frage: Trauen wir uns gegenseitig so weit, dass wir am selben Strick ziehen oder nicht? Aber das ist die Freiheit der Politik, den Fussball über Gesetze neu zu regeln, wenn das demokratisch abgestützt ist. Sie haben das Beispiel des Saubannerzuges gebracht. Dann wird in den Medien immer wieder das
ruNDEr TISch Bild gezeichnet, dass der Fussball diese Täter kreiert – ich habe mal einer Politikerin gesagt: «Das sind auch Ihre Wähler. Das sind Menschen wie Sie und ich …» Jositsch: Nein, Gott sei Dank nicht. Heusler: «… die sich aber nicht an Gesetze halten.» Jositsch: Menschen, aber nicht wie ich. Ich will noch etwas klarstellen: Die strafrechtliche Verantwortung liegt bei dem, der sich nicht korrekt verhält. Nur bei dem. Aber die Klubs sind Veranstalter eines Events, aus dem solche Ereignisse entstehen können – ich gebe den 1.-Mai-Organisatoren übrigens die gleiche Verantwortung – und damit sind sie finanziell in der Pflicht. Heusler: Das nimmt mich jetzt wunder: Personen, die sich am FCB-Fanmarsch von Altstetten ins Stadion beteiligen, begehen auf halbem Weg ein Delikt. Wer ist in der Verantwortung? Der FC Zürich als Veranstalter? Der FCB? Wo liegt die haftungsrechtliche Zurechnung? Und wo die Einflussmöglichkeit der Klubs? Unsere Fans sind ja nicht unsere Mitar-
beiter. Der Letzte, der bei einem Basel-Spiel im Letzigrund ein Pyro geschmissen hatte, war ein Rapperswil-Jona-Fan, der im Eishockeystadion Stadionverbot hatte und im FCBSektor stand. Jositsch: Wenn Sie die Street Parade organisieren ist das genau gleich – Sie können dann auch nicht sagen: «Das ist ein deutscher Raver, geht mich nichts an.» Sie führen den Anlass durch, damit haben Sie die Verantwortung. Heusler: Auch ausserhalb des Stadions? Jositsch: Ja. Das Problem ist einfach: Es gehört dazu. Da gibts rechtliche Normen. Wenn jetzt ein Fan, der mutterseelenallein ins Stadion marschiert, unterwegs eine Frau vergewaltigt, gehört das natürlich nicht dazu. Aber das ist logisch.
Jositsch steht auf und geht, weil er den Zug um 15.32 Uhr erwischen will. Spielabbruch nach rund 60 Minuten. •
sCHNIPSEL
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die WELLE
Vielleicht hat Dunga damals auch mal staunend ins Publi kum hochgeschaut, an jenem 11. August 1984 im Rose Bowl in Pasadena, in dem er ziemlich genau 10 Jahre später den Weltmeistertitel feiern sollte. Wahrscheinlich hatte er aber für das, was auf den Rängen passierte, keine Augen in die sem Moment. Im Finale des olympischen Fussballturniers lag Brasilien zu diesem Zeitpunkt gegen Frankreich schon 0:2 zurück, da verliehen die über 100 000 Zuschauer ihrer Freude auf eine Weise Ausdruck, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte: Eine Reihe nach der anderen stand von ihren Sitzen auf und warf die Hände in die Luft, um gleich darauf wieder Platz zu nehmen. Die Welle bran dete durch das Stadion, die TV-Bilder davon erreichten die ganze Welt. Die erste Welle war das freilich nicht, aber es war die erste, die weltweite Beachtung fand. Nur zwei Jahre spä ter, an der WM 1986 in Mexiko, gehörte sie schon zum Standardprogramm in den Stadien, deshalb auch der weit verbreitete Name «La Ola». Wie bei so vielen erfolgreichen Die welle bewegt sich mit Erfindungen wird auch im Fal 22 Sitzen pro Sekunde fort. le der Welle darüber gestritten, Der Weltrekord liegt bei wer diese Idee als Erster hat 31 Stadionrunden. te. Diese Ehre nimmt «Krazy George» Henderson für sich in Anspruch. Der professionel le Cheerleader hatte die Welle laut eigenen Angaben schon an kleinen Veranstaltungen eingeübt, bevor er sie am 15. Oktober 1981 mit den 47 300 Zuschauern während des Baseball-Matches zwischen den Oakland A’s und den New York Yankees aufführen konnte. «Ich erklärte zuerst drei
Sektoren mein Vorhaben, allerdings starb die Welle immer gleich wieder. Aber bei jedem Versuch machten mehr Leute mit, bis sie endlich ihre Runden drehte im Oakland Colise um. Die Leute drehten durch!», erinnert sich Krazy George. Es war die erste Welle im Fernsehen. Obwohl die erste nachzuweisende Welle der Fans des Footballteams der University of Washington erst zwei Wochen nach Krazy Georges Erfolg in Oakland zustan de kam, weisen deren Alumni gerne darauf hin, dass der damalige Cheerleader Robb Weller schon in den späten 1970er-Jahren damit herumexperimentierte. Gleiches be haupten allerdings gleich mehrere Leute in Kanada. Einige wollen die Welle schon bei den Olympischen Spielen 1976 in Montreal aufgeführt haben, andere erinnern sich an Wellen bei Heimspielen der Edmonton Oilers, wieder an dere behaupten, dass sie aus dem Slogan des Sponsors der Vancouver Whitecaps entstanden sei. Pepsi warb damals mit dem Spruch «Catch the Wave», mit dem die Zuschauer im Stadion für einen Werbespot genau dazu aufgefordert wurden. Selbst in die Wissenschaft hat die Welle schon Einzug gehalten. Der Ungar Tamás Viczek untersuchte zusammen mit einer Gruppe von Forschern Videos von Wellen in me xikanischen Stadien. Seine Studie förderte Faszinierendes zutage: Es braucht nur mindestens 25 aktive Personen, um eine Welle zu starten, dies passiert ausnahmslos dann, wenn das Spiel langweilig oder schon entschieden ist, und sie bewegt sich mit 12 Meter (oder 22 Sitzen) pro Sekunde fort. Im Schnitt stehen dabei übrigens 15 Sitzreihen, der «La Ola»-Weltrekord liegt bei 31 Stadionrunden. (syk)
Die YB-Fangemeinde wuchs in den letzten Jahren rapide. Bei aller Freude über den verstärkten Support kommen aber auch Befürchtungen auf, dass mit dem neuen Ernst einst wichtige Merkmale der Kurve verloren gehen: Humor und Selbstironie. Text: Massimo Del Degan / Illustration: Roger Zürcher
Hat jede Fanszene ihren eigenen Charakter? Welches sind ihre speziellen Eigenheiten, worin besteht ihre Einzigartigkeit? Wo unterscheidet sie sich kaum von anderen Szenen? Bereits bei der Themenfindung zu diesem Artikel waren sich die Beteiligten aus der YB-Szene uneinig über Fakten, Charakterisierung und typische Merkmale der YB-Fanszene. Während älteren Semestern vor allem Ereignisse aus der Vergangenheit als Massstab für die Beschreibung der Fanszene dienten, war für die jüngeren Fans viel eher die Gegenwart das Kriterium zur Urteilsfindung. Es folgte die Erkenntnis, weder einen einzelnen Fan noch eine ganze Fankurve stereotypisch und umfassend charakterisieren zu können. Vielmehr bieten solche Diskussionen einen Anlass, die Entwicklung der YB-Fanszene genau und selbstkritisch zu betrachten. So beschrieb Ende der 1990er-Jahre eine YB-Fanpage die Szenerie: «Im Fanblock auf der Osttribüne stehen alle Generationen von Fans, welche grossen Zusammenhalt pflegen. Egal ob Hools, Normalos oder Kutten – die Fans verstehen sich gut und unterstützen gemeinsam ihre Mannschaft. Sie verfügen über ein sehr einfallsreiches Gesangspotenzial, viele Lieder sind nur im Wankdorf zu hören.» Und: «Im Moment gibt es ungefähr 50 Fans, welche an sämtliche Auswärtsspiele fahren. 20 gehören zum harten Kern, der auch keine Testspiele verpasst, und ungefähr 5 bis 15 Fans fahren je nach Möglichkeit gar ins Trainingslager. Allgemein kann man sagen, dass es im Block keine Rolle spielt, zu welchem Fanclub man gehört. Auswärts fahren sowieso die meisten zusammen.» Auch Aussenstehende erkennen sofort, dass dieser Beschrieb die heutige Situation nicht mehr widerspiegelt. Nur schon die Zahl der Auswärtsfahrer und die Zuschauersituation bei den Heimspielen haben sich in den vergangenen
des HUmors
Vom Verlust
FanKURVE YB
15 Jahren stark zum Positiven verändert. Man erkennt zwar schon einige typische Merkmale, welche die YBFanszene stark geprägt haben – etwa die Heterogenität der Kurve oder diese «Keine halben Sachen»-Mentalität mit dem Ziel, wirklich überall dabei zu sein –, aber das Zusammenfallen von mehreren grossen Veränderungen hat die Entwicklung bei YB besonders stark beeinflusst. Da ist erstens die allgemeine Entwicklung des Schweizer Fussballs: Allen Unkenrufen der Politiker, Medien und sonstigen Kompetenzzentren zum Trotz ist der Fussball hierzulande so beliebt wie noch nie. Steigende Zuschauerzahlen, eine breitgefächerte Vermarktung und TV-Präsenz sind die besten Beweise dafür. Im Falle von YB kommt die verbesserte sportliche Situation hinzu, die sich spätestens mit dem Einzug ins neue Stadion gefestigt hat. Urplötzlich war YB hip
Zweitens wirkte sich das neue Stadion bis tief in die Fanszene hinein aus. Verbunden mit dem Einzug in die neue Spielstätte schossen die Zuschauerzahlen in die Höhe. Die Kurve zog viele neue Fans an, die auf eine positive Art und Weise in die Aktivitäten des aktiven Kerns eingebunden werden. Daraus ergab sich für die bis dahin eher überschaubare Fanszene eine neue Ausgangslage: Mit der steigenden Zahl von Fans wuchs die Sorge um Qualitätseinbussen hinsichtlich Support, Vereinsverbundenheit und dem Interesse «an der Sache». YB war urplötzlich wieder hip und salonfähig. Drittens entstanden etwa zur gleichen Zeit in der Schweiz immer mehr Gruppierungen, welche sich dem #
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Fankurve YB Ultra-Gedanken verschrieben hatten. Die Stadien wurden immer stimmungsvoller und farbenprächtiger, die Choreografien aufwendiger und spektakulärer. Wie in allen Fankurven nahmen die Ultras auch bei YB das Zepter in die Hand, was von den älteren Fans mit gemischten Gefühlen aufgenommen wurde. Die neue Ambiance wurde zwar von allen geschätzt, gleichzeitig fürchtete man einen Identitätsverlust. Durch den koordinierten Support und eine viel straffere Organisation der Kurve war weniger Platz für Selbstironie, Sarkasmus und spontane Gesänge. Die Zeiten, in denen man auf gegnerische Schmährufe mit Nachäffen oder pointierten Gegengesängen reagierte, sind vorbei. Heute gibt es ein ebenso unrühmliches «Scheiss GC» oder so zurück. Mit Wehmut erinnern sich etwas ältere Fans an humorvolle Aktionen, wie etwa die fiktive Verabschiedung eines ungeliebten Präsidenten beim Auswärtsspiel oder den Flashmob an der Aktionärsversammlung. Es waren solche Dinge, die wir als typisch für unsere Szene erachteten. Das Wegfallen dieser einstigen Identitätsmerkmale wird denn auch mit zunehmender Häufigkeit beklagt. Aber waren es nicht eher die
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gestiegenen sportlichen Ansprüche, die zum Verlust unseres Humors führten? War die ambitionierte, neu aufgestellte Kurve nicht nur ein Zeichen der Zeit, sondern auch ein Spiegelbild der neuen YB? Diese Fragen können zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschliessend beantwortet werden. Eine Kurve ist immer im Wandel und entwickelt ihren Stil stetig weiter, begleitet von vielen äusseren Einflüssen. Ein Titelgewinn würde das Innenleben der Kurve wahrscheinlich tief erschüttern und nicht voraussehbare Veränderungen hervorrufen. Oder im umgekehrten Fall: Wie würde die Kurve auf eine erneute lange sportliche Erfolglosigkeit reagieren? Die Zukunft wird es zeigen. Es bleibt zu hoffen, dass die Fanszene von YB trotz stetigem Wandel ihre Einzigartigkeit behalten wird und diese Eigenheiten von Generation zu Generation weitergegeben werden. • Massimo Del Degan ist seit 20 Jahren YB-Fan und in den Fan-Wechseljahren.
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FANKULTUR EINST
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fanKultur einst
Schatten der Gewalt
Sie bezeichneten sich selber als «randalegeil und asozial», die Rowdies, Skinheads und Hooligans, die vor dreissig Jahren die Schweizer Stadien in ihren Würgegriff nahmen. Auf Spurensuche in der Fangeschichte der frühen 80er-Jahre. Text: Saro Pepe / Bilder: Melanie Duchene
Einer der ersten Vorfälle war 1980 beim Spiel gegen St.Gallen. Nach einem Fehlentscheid gingen wir runter und schlugen die Werbebanden raus. Das Spiel lief noch, doch wir betraten das Feld und stürmten auf den Schiedsrichter los. Es schaukelte sich ziemlich schnell hoch, und der Frust entlud sich. Der Schiedsrichter wurde mit Polizeischutz aus dem Stadion geführt. Auf dem Heimweg wurde er verfolgt und auf der Autobahn abgedrängt. Der Mann pfiff nie mehr ein Spiel, er trat sofort zurück. Wir waren im Anschluss stolz auf die Aktion und wir wussten natürlich auch, wer es gewesen war. Erinnerung eines Mitglieds des FCZ-Fanclub Blue Angels. Ende der 70er-Jahre begannen sich Schweizer Fussballfans vermehrt in lokalen Fanclubs zu organisieren. Während dieser ersten Welle von Gründungen entstanden beim FC Basel der Fanclub St. Jakob (1975) und die Mighty Eagles Schaffhausen (1977), beim FCZ die Fanclubs Blau-Weiss (1977) und Letzi (1978) sowie der GC-Fanclub Heugümper (1977). Schon damals, vor 1980, hatten sich etliche unrühmliche Vorkommnisse in den Stadien ereignet. Ein Blick in die Sportpresse zeigt, dass Flaschenwürfe, Platzstürme, Feuerwerk und auch Angriffe auf Schiedsrichter damals an der Tagesordnung waren (siehe Zusammenstellung auf Seite 50). Aber das kommende Jahrzehnt sollte neue Formen von Fangewalt und Zerstörung ungeahnten Ausmasses mit sich bringen. Im Spätsommer 1980 gründeten «11 Trinkfreudige aus dem Kanton Aargau» den FC Basel-Fanclub Blue-Red Army. Zeitgleich entstand – ebenfalls im Aargau – der FCZ-Fanclub Blue Angels. Beide Gruppen, gegründet von zwei Brüdern, bestanden aus jüngeren und wilderen Mitgliedern, die in älteren Fanclubs nicht akzeptiert wurden. Die Blue An-
gels waren zu Beginn ein bunt gemischter Haufen, bei dem sich auch einige Mitglieder der Zürcher Jugendbewegung aus dem Umfeld des AJZ eingeklinkt hatten. Die jungen Fans setzten sich in Szene, wollten um jeden Preis auffallen. Da wurde auch schon mal ein Schweinekopf oder ein lebendiges Huhn ins Stadion geschmuggelt und aufs Feld geworfen. Glasflaschen flogen auf den Platz, Petarden wurden gezündet und unter anderem sogar in die eigenen Fans geworfen, die Zürcher Fans wurden angepöbelt, der Würstchenverkäufer wurde angegriffen, der Zaun wurde versucht einzureissen und Grossfeuer auf den Stehplätzen wurde entfacht. Ein Wort an die betroffenen Rowdies: Bleibt doch lieber daheim. Leserbrief im Cluborgan des FC Basel-Fanclubs St. Jakob nach dem Cupspiel FCZ – FCB vom 28. März 1981. Am 4. Mai 1981 fand eine Sitzung des FC Basel mit den beiden Fanclubs St. Jakob und Schaffhausen betreffend Ausschreitungen bei den Begegnungen FCB – GC und FCZ – FCB statt. Hinsichtlich der Massnahmen zur Verhinderung von Rowdytum war der FCB der Ansicht, dass «eine Verschärfung der Kontrollen und Einschränkungen nur zu neuem Aufruhr und zu Provokationen führen könnten», weshalb man einen vermehrten Polizeieinsatz ablehne. Dieser könnte «eine Gegenreaktion auslösen, und genau dies liegt nicht im Sinne des FC Basel». Der FCB sei nicht daran interessiert, seine Fans einzuschränken. Statt Aggressionen aufzubauen, gelte es Aggressionen abzubauen. Tatsache war, dass in der Rückrunde der Saison 1980/81 im St.-Jakob-Stadion vermehrt «Auswärtsfans belästigt, #
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angepöbelt oder sogar verdroschen» wurden. Solches Verhalten wurde in der Juli-Ausgabe der «Eagles Gazette», dem Kluborgan des FCB-Fanclubs Schaff hausen, als nicht tolerierbar taxiert. Selbstkritisch wurde angemerkt, dass auch ein paar der eigenen Mitglieder zur neuen «Härtewelle» in den Schweizer Stadien beitrugen. In der folgenden Ausgabe vom Dezember 1981 empörte sich ein Leserbriefschreiber über die neuen Rowdies im FCB-Umfeld: «Sie verfolgen nur ein Ziel: Gewalttätigkeiten, Zerstörung, Radau, Schlägereien …» Zu dieser Zeit bestanden die Mighty Eagles aus rund 200 Mitgliedern, die Gruppe war rasch gewachsen und zum Sammelbecken verschiedenster Fantypen geworden. Zusammen mit der ebenfalls gewaltbereiten Blue-Red Army entstand eine explosive Mischung. Die neue Härtewelle
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Im Sommer 1981 machte man in der Schweiz erstmals Bekanntschaft mit dem Hooliganismus englischer Art. Beim Länderspiel Schweiz gegen England in Basel kam es zu Strassenschlachten und Messerstechereien. Wenige Wochen später randalierten Liverpool-Fans bei einem Freundschaftsspiel in Zürich. Ein Zeitzeuge erinnert sich: «Es tauchten etwa zehn Liverpooler im ‹Züri-Egge› auf, in zivil, nicht als Fans zu erkennen. Wir merkten schon, dass es Engländer waren, dachten uns aber nichts Böses dabei. Plötzlich packten sie Regenschirme und Schlagstöcke aus und schlugen ohne Vorwarnung auf die ersten Leute ein, die in der Nähe standen. Danach leerte sich unsere Ecke sehr schnell. Solch brutale Fans hatten wir noch nie gesehen.» Der Schock war allerdings schnell überwunden und wich einer abgöttischen Bewunderung. Die Rowdies aus England und Deutschland wurden zu Vorbildern für die junge Schweizer Fangeneration. In Schaff hausen lösten sich die Mighty Eagles 1982 auf und teilten sich in den Fanclub Bebbi und die Munotszene. Letztere gab sich mit Bomberjacken und Kampfstiefeln auch ein neues äusseres Erscheinungsbild und grenzte sich so von den Jeans-Gilet-Trägern, den sogenannten Kutten, ab. Die Radikalisierung eines Teils der Fanszene führte just in jenem Jahr zu vielen Neugründungen: Bei GC war das die Hardturmfront, in Genf die Rhône Bomber, in Luzern Blue Magic, die St.Galler Super Greens sowie der FCZ-Fanclub Rangers. Diese dem Rowdytum nicht abgeneigten Gruppen traten bisweilen auch gemeinsam auf, zum Beispiel am Cupfinal 1983 in Bern, wo eine «Nationale Brigade» von sechs Fanclubs aus Luzern, Basel, St.Gallen und
Zürich anwesend war, um die Genfer Rhône Bomber gegen die GC-Fans zu unterstützen. Postkarten von den Hooligans Gerne traf man sich bei Spielen, die «Action» versprachen. Man schickte sich gegenseitig Postkartengrüsse und war auch Passivmitglied in Fanclubs anderer Vereine – meist, um deren Fanhefte oder Abzeichen zu erwerben. Oft reiste man miteinander zum Spielbesuch nach Deutschland. Dabei entstanden auch lose Fanfreundschaften und Allianzen, etwa zwischen FCB-Fans und dem HSV oder zwischen FCZlern und Dortmundern. Nach ausgiebigem Alkoholgenuss stürmten wir eine volle Strassenbahn, die augenblicklich leer wurde! Gegen 19.0 Uhr wurden wir von den Bullen in einen bereitgestellten Block getrieben. Das Spiel war wie immer echt Scheisse, und so kletterten wir aus unserem Block und verprügelten die Lausanner, ohne dass die Bullen interveniert hätten. Das Lager an Flaschen und Leuchtkugeln verschwand rasch auf dem Spielfeld, und so begannen wir damit, die Stadioneinrichtung zu demolieren. Na ja, das Spiel ging mit 0: verloren, und wir suchten nahe liegende Kneipen auf. Vor Mitternacht klatschten wir noch ein paar Punks weg, bevor wir uns auf die Heimreise machten! Die Blue-Red Army beim Spiel Lausanne – FCB, Herbst 1982. Bericht aus dem Fanzine «Der Ketzer». 1982 häuften sich die üblen Vorfälle in den Stadien, vornehmlich im Dunstkreis der FCB-Spiele. Am 3. April 1982 verfolgten Fans der FCZ-Blue-Angels gemeinsam mit ihren Freunden der Blue-Red Army in der Muttenzer Kurve ein FCB-Heimspiel. Zu Beginn der zweiten Halbzeit drang die Polizei in den Fanblock ein, weil sie einen Rowdy suchte, der einen 68-jährigen Mann niedergeschlagen und schwer verletzt hatte. Es kam zum Handgemenge mit den rund dreissig Fans, woraufhin die Polizisten ihre Schusswaffen zogen, weil ein Jugendlicher sie mit einer Stahlrute angriff. Wie in England und Deutschland in jenen Jahren rutschten auch die Schweizer Fankurven allmählich nach rechts. Ein Leserbrief in der letzten «Eagles Gazette»: «Es gibt diverse junge Geisteskranke, die sich als Nazis identifizieren und mit Hitler- und SS-Armbinden an die Fussballspiele unseres
fanKultur einst FC Basel kommen.» Die FCB-Kurve sei zum «Tummelplatz für Nazis» geworden, es gäbe fast bei jedem Spiel Schlägereien, wenn der FCB im Rückstand sei. Diese Vorwürfe waren vor allem gegen die Blue-Red Army gerichtet, deren Anführer sich «Hamster» nannte und in den folgenden Jahren zu einem der prägendsten Köpfe der Schweizer Fanszene wurde. Im November 1982 verhängte der FC Basel erstmals Stadionverbote gegen mehr als 30 FCB-Fans, die meisten davon Mitglieder der Blue-Red Army und der Munotszene Schaffhausen. Die «kleine, aber massiv randalierende Gruppe, die zum Schrecken im Stadion wird» («Sport») hatte beim Spiel in Luzern etliche Schlägereien angezettelt, ehe sie von der Polizei noch im Stadion verhaftet wurde. War in den 70erJahren die handfeste Gewalt meist gegen die Unparteiischen gerichtet, wurden nun von einigen Fangruppen auch die gegnerischen Zuschauer attackiert. Dies geschah gezielt und mit erschreckender Regelmässigkeit, Wochenende für Wochenende. Die Vereine wählten nun eine härtere Gangart im Umgang mit dem unliebsamen Pöbel: GC stellte Karate-Kämpfer in die Kurve, beim FCZ wurde ein Sicherheitseinsatz der Hells Angels diskutiert, und in Basel formierte sich in enger Zusammenarbeit mit dem Klub die erste Fan-Polizei. Auch ein Teil der Fussballfans versuchte den Randalierern entgegenzuwirken: Am 8. Mai 1982 gründete sich die Vereinigung der Schweizerischen Fan-Clubs (VSF), ein Zusammenschluss der ruhigeren Fanclubs aus der ganzen Schweiz. Ihr Hauptziel war die «Bekämpfung des Rowdytums». In Kooperation mit dem Fussballverband und dem Komitee der Nationalliga wurde eine grossangelegte Fairplay-Kampagne lanciert. Dies geschah auch, um den angeschlagenen Ruf der Fans und die rasch sinkenden Zuschauerzahlen zu bekämpfen. «Die Macht» fährt ein In diesen Jahren bildeten die Rowdies den Kern der Stadionkultur. In Basel spannten die beiden extremsten Gruppierungen Blue-Red Army und Munotszene eng zusammen und veröffentlichten mit dem «Basler Terror Blatt» (BTB) 1983 das erste nur auf Randale fokussierte Fanheft. Schon in der zweiten Ausgabe wurde der Tarif klar durchgegeben: «Seit manchem Jahr ist es Tatsache: Die FC-Basel-Fans sind die absolut unbestrittene Macht des Landes. Ein jeder weiss, dass wir bei Meisterschafts- sowie Pokalspielen alles und jeden wegtreten. Ja so ist es halt, und so wird es bleiben, und wer dies zu bezweifeln wagt, wird es spüren.» Blue-Red-Army-Chef
«Hamster» zeichnete seine Berichte mit Hakenkreuzen und «neonazistischen Grüssen». Eine Auswärtsfahrt nach Zürich beschrieb er so: «Um 10.00 Uhr fährt der erste der drei Extrazüge aus Basel ein. Der Zug hat eine halbe Stunde Verspätung (Notbremsen sind zum Ziehen da). Leuchtkugeln und Flaschen fliegen. Die Scheiben sind draussen, Sitzbänke rausgerissen und andere Einrichtungen beschädigt. Kein Wunder, denn soeben sind die härtesten Fans bzw. ‹Die Macht› eingefahren.» Im gleichen Heft brüsteten sich auch die Blue Angels mit einem Gastbericht zum Zürcher Derby, wo nach dem Spiel GC-Fans angegriffen wurden: «Zürcher, Basler, Skinheads – alles war gruppiert. Man wartete, bis die Fans aus der Kurve kamen, und dann artete eine richtig brutale Schlägerei aus, in der fast kein GC-Arschloch verschont wurde, man hörte richtige Schreie.» Eine Szene aus jener Zeit hallt bis heute besonders nach: Das von GC organisierte Turnier im Hallenstadion führte am Neujahrstag 1983 zum Bruch der vormals eng verbundenen Fans aus Basel und Zürich. Obwohl weder der FCB noch der FCZ teilnahmen, trafen sich Anhänger der beiden Fanlager, um gemeinsam die Neujahrstage zu verbringen. Als Anhänger der Munotszene die Namen von FCB-Fangruppen an die Wände schmierten, kam es zu Schlägereien mit Leuten vom ZSC-Fanclub Züri 11. Der Fight wurde abends am Bahnhof Oerlikon fortgesetzt, und die unheilvolle Rivalität zwischen Basler und Zürcher Fans, die bis heute anhält, war geboren. Die Stimmung in der Kurve war begeisternd. Unten schrien sich die Jungen heiser, in der Mitte pöbelten die Fussballrocker herum und ganz oben soffen die «Glatzen» (Skinheads) und die anderen Neonazis ihr Bier und immer wieder die Schlachtrufe «Sieg heil!» oder «Jude, Jude!». Trotz einem Grossaufgebot von Bullen und Zivilfahndern flogen immer wieder Leuchtkugeln in den Luzerner Block. Report «Fussballfan trotz allem» im Fanzine «Gewalttäter», 198. Das Fanzine «Gewalttäter» der Blue-Red Army kündigte 1984 seine Inhalte in Ausgabe Nummer 1 so an: «Randale von A–Z in einem neuen, eigenen Stil, also keine nachkopierte Scheisse! Alles, was einen Rowdy begeistern kann, soll darin enthalten sein.» Die Postille mit Zielpublikum «Fussballnazis» berichtete stolz vom Terror, den sie in der ganzen Schweiz verbreitete. Bei einem Auswärtsspiel in Aarau wurde «die Heimkurve gestürmt und erbarmungslos zugeschla- #
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gen», und man zog erst wieder ab, «als die ganze Kurve leer geräumt war». Wer nun meint, da werden die eigenen Gräueltaten auch gerne mal ein bisschen hochgeschrieben, der sieht sich in einem im gleichen Heft abgedruckten Leserbrief eines Besseren belehrt: «Eine Meute sogenannter Fans stiess die Anhängerschaft vom FCA – darunter meine Frau und mich – von zuoberst nach ganz unten. Wenn man den Baslern in die Augen schaute, erkannte man keine menschlichen Züge mehr. Das Resultat waren blutige Knie und andere Körperteile bei einigen Zuschauern.» Der «Gewalttäter» thematisiert aber auch die «Krise in der Basler Fanszene», weil sich nur noch 30 statt wie Mitte 1983 noch 50 Skinheads im Stadion treffen. Innerhalb der Blue-Red Army kam es deshalb um 1984 zur Gründung der «Elitetruppe» Ghetto-Boys. Rechte Haken
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Mitte der 80er-Jahre begannen sich die radikalen Fussballfangruppen zu politisieren. Am 22. Juni 1985 fand in Brugg ein internationales Treffen verschiedener Skinhead-Gruppen aus der Schweiz und Deutschland statt. Die über 50 Teilnehmer zogen randalierend durch die Innenstadt. Beim Bahnhof wurde ein tamilischer Asylbewerber brutal zusammengeschlagen und mit Fusstritten ins Gesicht traktiert. Organisator des Treffens war «Hamster», Anführer der BlueRed Army. Die Polizei selber taxierte in ihrem Bericht einige der Skinheads als «extreme Sportfans» («Tages-Anzeiger», 25. Juni 1985). Es folgten Schlägereien und rassistische Übergriffe in Schaff hausen sowie diverse spektakuläre Auftritte in den Medien. «Hamster» gründete am 7. November 1985 die «Neue Nationale Front» (NNF), ein Zusammenschluss diverser Skinhead-Gruppen, die nach eigenen Angaben viele jugendliche Fussballfans in den eigenen Reihen hatte: «Die NNF ist eine rechtsgerichtete Jugendbewegung für die Erhaltung der Natur und der Schweiz. Wir sind keine Rassisten, aber für die Separierung von Rassen.» Die rechtsextreme Szene wurde in jenen Jahren in Recherchen der «WochenZeitung» (WoZ) und des Journalisten Jürg Frischknecht durchleuchtet. In seinem Buch «Schweiz, wir kommen» schrieb Frischknecht, dass Skinheads «ab 1985 aggressiv gegen alles vorgingen, was nicht in ihr Bild einer sauberen Schweiz passte: Punks, farbige Flüchtlinge, Linke, Langhaarige, Schwule». In der WoZ vom 31. Juli 1987 wurde Buch geführt über rund ein Dutzend rassistische Übergriffe seit 1985, die dem Umfeld der Aargauer und Schaff hauser Skinhead-Gruppen zugeordnet werden konnten. Diese
Gruppen verfügten über persönliche Kontakte zu einschlägigen deutschen Szenen. Und in beiden Gruppen gab es Überschneidungen mit den FCB-Fanclubs Munotszene und Blue-Red Army. Also jene Leute, die schon seit Jahren die Fussballstadien des Landes terrorisierten. In der damaligen Presse ist die sich ausbreitende Schlägerszene in einigen längeren Reportagen dokumentiert: Im «Magazin» des «Tages-Anzeigers» erschien 1985 ein Bericht über die Hardturmfront (HF). Deren Mitglieder sahen sich nicht als Neonazis oder Skinheads, doch auch sie hassten Ausländer und ritten auf der neuen Patriotismus-Welle mit, die bei den Fussballfans Mode war. Die HF randalierte im November 1985 in Dietikon an zwei lokalen Veranstaltungen. Wiederum waren Skinheads aus den Kantonen Aargau und Schaff hausen an den Krawallen beteiligt. Vom Journalisten auf ihren Namen angesprochen, gaben sich die HFler unschuldig: Der Zusatz Front im Namen habe ihnen halt einfach gefallen. Nichtsdestotrotz war dieses kleine Detail ein gemeinsamer Nenner der einschlägigen Szene: Auch die Blue Angels trugen ab 1982 ein Trikot mit der Aufschrift Züri Front und in Deutschland war der Dortmunder NeonaziFanclub Borussenfront eines der grossen Vorbilder. Kurz vor Spielbeginn fuhren wir vor das St.-JakobStadion in Basel, gegenüber waren schon die Basler Hools. Unsere Busse hielten an. Etliche Dortmunder und auch die Zürcher Elite stürmten die Aufgänge. Es flogen Leuchtkugeln wie zu Silvester, gut und gerne 0 Stück, ein wahres Feuerwerk. Die Basler zögerten, uns anzugreifen, und ergriffen trotz Messer, Mollies und Brandbombe die Flucht. Es wurden auch noch Fahrräder nachgeworfen. Bericht zu FCB – FCZ vom 2. September 1988 im Fanzine «Zürcher Hooligan Inferno». Bei diesem Spiel gab es 3 Verhaftungen. Beim FCZ verlagerten sich zu jener Zeit die Fanmassen vom Letzigrund ins Hallenstadion, obwohl der ZSC damals zwischen NLA und NLB hin- und herpendelte. Auch Hockeyfans trugen Kämpfe untereinander aus, wiederholt wurden Busse von Auswärtsfans angegriffen. Die Schilderungen von Zeitzeugen legen die Vermutung nahe, dass es damals in den Hockeystadien sogar mehr extreme Fans hatte. Bereits bei den Aufstiegsspielen und dem NLA-Aufstieg des ZSC 1981 kam es regelmässig zu wüsten Szenen rund um das Hallenstadion. Eine Interpellation im Gemeinderat verlangte damals
fanKultur einst ein Alkoholausschankverbot und ein Eingreifen der Stadt zur «Verhinderung englischer Zustände». Der Stadtrat gründete daraufhin in Zusammenarbeit mit GC, FCZ und ZSC einen Arbeitsausschuss, um sich der Problematik anzunehmen. Hooligans stehen über Ultras Der Schrecken ging in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre unvermindert weiter: 1986 wurden beim Länderspiel Schweiz gegen Deutschland in Basel 59 Hooligans verhaftet, viele von ihnen Skinheads. Ein Jahr später wurden Luzerner Fans von Baslern mit Messern, Ketten und Schlagstöcken angegriffen. Der «Blick» titelte: «Neonazis terrorisierten Fussball-Fans: Vier ins Spital!». Dass es sich auch bei den Neonazis um Fussballfans handelte, wurde nicht in Betracht gezogen. Und es entstanden laufend neue Gruppierungen, die sich dem Prügeln verschrieben, zum Teil mit so fantasievollen N amen wie Anal Terror Hooligans. So blieben die «Hools» die gesamten 90er-Jahre die dominante Fangruppe bei vielen grossen
Schweizer Sportclubs. Erst um die Jahrtausendwende wurde die aus Italien importierte Ultra-Kultur stark genug, um das Heft in den Fankurven in die Hand zu nehmen. Dennoch sind die Hooligans der ersten Stunde bis heute präsent, in der Schweiz und anderswo. Davon zeugt unter anderem die Reportage «Feld Wald Wiese» von Daniel Ryser (Echtzeit-Verlag 2010). Eindrücklich reflektiert wird die Stellung der Hooligans in einem Gespräch im Magazin «11 Freunde» vom August 2012. Ein Mitglied der Hamburger Ultra-Gruppierung Chosen Few antwortete auf die Frage, wie gross überhaupt der Einfluss der Ultras in den Kurven sei: «Man muss eins sagen: Ultras stehen nicht ganz oben in der Nahrungskette. Ganz oben stehen die Hools. (…) Die AltHools finden zwar ganz sympathisch, was Ultras machen. Aber wenn du dir einen Fehltritt leistest, dann kannst du dir sicher sein, dass da was kommt. Wenn die Alt-Hools die Leute zusammenrufen, dann kommen die noch heute aus ihren Löchern, ganz egal, ob die mittlerweile über 50 Jahre alt sind. Die haben immer noch das Gewaltmonopol.» •
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Dachzeile FC Zürich – Grasshopper Club Zürich 1970 Bild: foto-net
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Dachzeile FC Basel – FC Zürich 2009 Bild: Andreas Meier/freshfocus
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PoLiTik uNd
KurvendiskuSsioNen
Weil sie ihre Freiheiten gefährdet und ihre Anliegen ignoriert sah, ging die 32 FCZ-Südkurve neue Wege. Sie suchte den Dialog mit Politikern – und musste feststellen, dass nur ein Bruchteil davon ernsthaft daran interessiert ist. Text: Luca Maggi / Illustration: Roger Zürcher
Mitte September wurde das FCZ-Museum Ort eines Treffens der spezielleren Art. Vertreter der Südkurve luden den Zürcher Kantonsrat zu einer Diskussion ein. Grundlage des Treffens war die Verschärfungsvorlage des sogenannten Hooligan-Konkordats, über welches die kantonalen PolitikerInnen Ende Monat zu befinden hatten. Nachdem das Konkordat, welches Gewalt rund um Sportveranstaltungen verhindern soll, 2010 in Kraft trat, soll es nun in allen Kantonen bereits wieder revidiert werden. Die Forderung der Urheber aus der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorenkonferenz (KKJPD) ist klar: Mit noch härteren Massnahmen und noch mehr Repression soll den Fans «endlich» Einhalt geboten werden. Nachdem im VernehmlasDer EINLADung ins FCZ-MUSEUM sungsverfahren noch Kritik an der VerhältnismässigFOLGTEN GERATE MAL keit dieser Verschärfungen ZEHN DER 180 KANTONSRÄTE. aufkam, blieb es danach in Zürich ruhig. Erst anfangs September formierte sich ein Komitee aus verschiedenen Jung- und Kleinparteien, welches nochmals auf die rechtlich und gesellschaftlich bedenklichen Ansätze des revidierten Konkordats hinwies. Aus Sicht der Initianten verletzt das revidierte Konkordat das Verhältnismässigkeitsprinzip, sowie Grundrechte eines freiheitlichen Staats, etwa die Bewegungsfreiheit. Auch die Südkurve nutze den im Kleinen entstandenen Diskurs, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Das Treffen im FCZ-Museum stand darum unter einem speziel-
len Stern. Zum ersten Mal zeigten sich die Fans bereit, eine mehr oder weniger öffentliche Diskussion mit PolitikerInnen zu führen. Auch wenn hinter den Kulissen seit längerem an einem Dialog gearbeitet wird, fühlten sich die Fans von der Politik bis heute nie richtig ernst genommen. Zu gegensätzlich waren die Versprechungen, ein offenes Ohr für die Fans zu haben, und die Lösungen, welche in Parlamenten und Kommissionen erarbeitet sowie in den (Boulevard-)Medien gefordert wurden. Auf der anderen Seite stellen Fans für viele Politiker eine unberechenbare und anonyme Masse dar, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, die in ihnen Unbehagen auslöst. Selbst wenn viele Politiker die Atmosphäre rund um Fussballspiele nur vom Hörensagen oder aus den Medien kennen. Mit diesem Treffen, so die Idee der Fans, sollte nun ein Schritt aufeinander zu getan werden. Freilich war dies nicht der erste Schritt, den die Zürcher Südkurve an die Öffentlichkeit oder auf das politische Parkett wagte. Schon im Frühjahr 2007 sammelten die Fans rund 3000 Unterschriften in der Kurve, um im umgebauten Letzigrund die Spiele weiterhin von Stehplätzen aus verfolgen zu können. Diese Aktion blieb allerdings erfolglos. Erst nachdem zwei Jahre später eigenhändig alle Stühle aus der Südkurve abgeschraubt wurden, wurde der Öffentlichkeit klar, wie ernst den Fans ihre Forderung war. Für den Sektorenumbau sammelte die Südkurve 150 000 Franken in ihrem Umfeld, was die Öffentlichkeit mit einigem Wohlwollen honorierte. Dieses Engagement zeigte auch der Kurve selbst,
FAnkurve FCZ dass einige gelungene Aktionen, zusammen mit guten Stellungnahmen, durchaus positiv aufgenommen werden. So zum Beispiel jene Aktion vom Frühling 2012: Als die Zürcher Stadtpolizei Fans des FCB vor der Partie gegen den FCZ einkesselte und damit deren pünktliche Anreise ins Stadion verhinderte, solidarisierte sich der Grossteil der Südkurve mit den rivalisierten Anhängern aus Basel und verliess das Stadion noch vor dem Anpfiff. Die Partie wurde so unfreiwillig vor einer stimmungslosen Freundschaftsspielkulisse ausgetragen. Auch in diesem Fall legte die Fankurve ihre Sicht mit einem geschickten Communiqué («Solidarität statt Rivalität») einer breiteren Öffentlichkeit dar. Auch mit weiteren Beispielen versuchten die Fans, auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Von den Boulevardmedien, die sonst so gerne über Fans schreiben, wurden diese Bemühungen – mutwillig oder nicht – jedoch ignoriert. Desinteresse der Politiker Der Einladung ins FCZ-Museum folgten gerade mal zehn der 180 Kantonsräte. Die Hälfte gehörte der Grünen-Fraktion an, die schon im Vorfeld beschlossen hatte, das Konkordat einstimmig abzulehnen. Trotz des überschaubaren Aufmarsches war der Abend zufriedenstellend. Die Vertreter der Südkurve hatten die Möglichkeit, den Lokalpolitikern ihre Sicht der Lage zu erläutern. Dabei fiel vor allem auf, wie wenig die politischen Entscheidungsträger über die Situation in den Fankurven oder bei den Fussballspielen wussten. Umso lobenswerter, dass sie sich Zeit für die Fans genommen hatten. Schade natürlich, dass jene Parteien (FDP und CVP), die am lautesten repressive Massnahmen fordern, gar nicht vertreten waren, und die SP auch nur mit einer einzigen Person. Das Gespräch machte klar, dass es sich bei der sogenannten «Fanproblematik» vor allem auch um ein Wahrnehmungs-
problem handelt. Die Fans im Stadion nehmen die Situation freilich ganz anders wahr, als sie in den Medien dargestellt oder von Politikern beschrieben wird. Eine auch in Zukunft etwas offenere Kommunikation zwischen Fans und Politik könnte daher ziemlich förderlich sein. Die Initiative der Südkurve ist in jedem Fall lobenswert. Lange war Politik für Fankurven nämlich ein totales Tabu. Während die Fankurven die Einsicht zeigen, dass es für den Erhalt der Fankultur und die Entschärfung der Lage einen offeneren Dialog braucht, ist dies bei den meisten Politikern noch nicht angekommen. Wenn wirklich lösungsorientierte Politik betrieben werden soll, braucht es einen Blick über den eigenen Tellerrand. Klar gibt es in Zeiten, wo das neoliberale Wirtschaftssystem zu scheitern droht, die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinander driftet und der Klimawandel unsere Umwelt belastet, grössere Probleme zu lösen als Krawalle rund um Fussballspiele. Gerade jene Kräfte, die nach jedem kleinen Ereignis nach noch mehr Repression schreien und die mediale Aufmerksamkeit für ihre eigenen Zwecke missbrauchen, sollten offen für neue Ansätze sein – ein Bruch mit festgefahrenen «Lösungen» also. Die Interessen und Aufgaben von Fans und Politikern dürfen und sollen auch in Zukunft unterschiedlicher Natur bleiben. Wer aber Vertrauen will, muss zuerst respektieren. Der Abend im FCZ-Museum könnte ein Anfang gewesen sein – ein kleiner. Am 2. September 2012 hat der Zürcher Kantonsrat das Hooligan-Konkordat mit 12 zu 23 Stimmen angenommen. Die Südkurve und das Komitee «Hooligan-Konkordat Nein» verurteilten den Entscheid scharf. Von den zehn Politikern, welche am Treffen im FCZ-Museum teilgenommen haben, stimmten nur jene der Grünen-Fraktion gegen das Konkordat. Luca Maggi ist Präsident der Jungen Grünen Stadt Zürich und stets in der Südkurve anzutreffen.
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Vom Sonntagsausflug zum Saubannerzug
Es gab eine Zeit, da glich die Fahrt an ein Auswärtsspiel einer ausgelassenen Schulreise. Heute tauchen die Auswärtsfahrer im Jahresbericht des Bundesamtes für Polizei auf. Sind aus Fans Kriminelle geworden? 34
Text: Pascal Claude / Bilder: Andreas Meier/freshfocus
Nicht jeder schafft es in ein Bundespapier mit dem Titel «Kriminalitätsbekämpfung». Dem auswärts fahrenden Fussballfan jedoch ist im Jahresbericht 2011 des Bundesamtes für Polizei (Fedpol) ein eigener Abschnitt gewidmet. Er bereite immer mehr Probleme, heisst es da auf Seite 32, «auf An- und Abfahrtswegen, in Bahnhöfen und Extrazügen, und auch vermehrt innerhalb der Stadien». Der Auswärtsfan von heute ist einer, der von höchster polizeilicher Stelle bekämpft wird. Wie der Geldwäscher, der Menschenhändler, der Drogendealer, der Falschmünzer und der Terrorist. Im März 1971 schrieb der «Sport» anerkennend von «drei-, vielleicht sogar vier- oder fünftausend» Baslern, die ihren Verein in den Zürcher Hardturm begleiteten. Tausend von ihnen waren mit dem «Meister-Express» angereist, der erwartungsfroh zu jedem Auswärtsspiel der Saison fuhr. Keine abschätzige Silbe ist zu lesen, kein Hauch von Oft fanden sich Hüte und Empörung über allfällig unFahnen beider Farben wild durcheinander auf derselben gebührliches Verhalten. Die zahlreichen Basler werden Tribüne. Gegner waren sie als Bereicherung wahrgedamals erst auf dem Rasen. nommen und fast bemitleidet, als nach der 1:2-Niederlage «die blau-roten Tücher schlaff herunterhingen». Ein Vierteljahrhundert später, der «Sport» stand kurz vor dem Ende, war die Tonalität eine ganz andere. In einer ganzseitigen Reportage berichtete der «Tages-Anzeiger» vom Basler Gastspiel im Letzigrund, und schon der Untertitel verrät, was die Autorin vom Spieltag erwartet hatte: «10 000 Basler Fans kamen am Samstag nach Zürich. Keine Ausschreitungen – ‹aber ein Scheissspiel wars›.» Etwas hatte
sich verändert über die Jahrzehnte. Aus der gern gesehenen rot-blauen Reisegruppe der 70er-Jahre war ein bedrohlicher Haufen geworden, dem alles zuzutrauen war. Bis in die frühen 80er-Jahre glichen Auswärtsfahrten gross angelegten Schulreisen. Hunderte bis Tausende Menschen aus derselben Region machten sich per Car und Extrazug auf nach Sitten, Genf oder Lugano, gruppiert nach Alter, Wohnort oder Fanklub: Herren im Sonntagsgewand Stumpen rauchend neben Jugendlichen in selbstgebastelter Fanmontur, klubtreue Rentner neben Töfflibuben und Rockern. Am Ziel angekommen, spazierte der Tross festlich und verzettelt zum Stadion, oft nach einem Umweg über das Stadtzentrum, wo ein Zweier Fendant oder ein Boccalino die Fussballfahrt zum Ferienerlebnis versüssten. Die Menschen kamen als Fans ihres Vereins, gemeinsam, aber einzeln, und so verstanden sie sich auch. Probleme verursachten höchstens einzelne, Choleriker oder Alkoholisierte. Die Bilder der Cupfinals aus jener Zeit zeigen, wie bunt durchmischt das Publikum war. Oft fanden sich Hüte und Fahnen beider Farben wild durcheinander auf derselben Tribüne. Gegner waren sie damals erst auf dem Rasen. Schlägereien als Spassverderber Der aus England und Deutschland importierte Hooliganismus, die Lust auf Randale als Selbstzweck, veränderte alles. Plötzlich reisten Fans mit zu den Spielen, die darauf aus waren, gegnerische Fans zu bekämpfen und Krawalle anzuzetteln. Die zahlreichen handgefertigten Publikationen der jungen Schweizer Krawallszene geben ein verstörendes Bild
auswärtsREISen ab. Und sie belegen, wie Fussballspiele auf Vereinsebene ihren volksfestlichen Charakter zusehends einbüssten und zu Risikoanlässen wurden, mit einem «riesen Polizeiaufgebot, Zivilfahndern, Detektiven und vom Verein eingestellter, voll harter Sport- und Kampftruppe», wie das Klub-Organ «Der Gewalttäter» des Basler Fanclubs Blue-Red Army Mitte der 80er-Jahre ernüchtert festhält. In Leserbriefen beklagten sich damals Leute, von Schlägern unter den gegnerischen Fans grundlos angegriffen und traktiert worden zu sein, ohne dass Polizei oder Securitas eingegriffen hätten. Der Besuch eines Fussballspiels der Nati A war nun mit einem gewissen Risiko verbunden, erst recht für all jene, die sich auswärts als Gästefans kenntlich zeigten, selber aber nicht kampferprobt waren. Die Vertreibung der gegnerischen Fans aus dem eigenen Stadion, aus der eigenen Stadt oder Angriffe auf fremdem Territorium wurden für die schlagkräftigsten und damit einflussreichsten Fans zur Selbstverständlichkeit. Ebenso selbstverständlich war dabei die fremdenfeindliche Gesinnung: Während die Pose des Hooligans eins zu eins aus dem Ausland übernommen wurde, hetzte man hierzulande gegen Ausländer und schritt dabei oft genug auch zur Tat. Damit legte sich ein dunkelbrauner Schatten über die Fussballszene, der den Ruf der Fans bis heute prägt. Die regelmässigen Schlägereien hatten vielen den Spass verdorben. Mit Ausnahme des FC Basel, der 1994 in die Nati A zurückkehrte und dessen Fans im Frühling 1995 in Luzern für die bis dahin schwersten Ausschreitungen sorgten, waren grosse Gruppen von Auswärtsfans bis Ende der 90er-Jahre eine Seltenheit. Erst als um die Jahrtausendwende der Support nach südländischem Vorbild den deutsch und englisch geprägten allmählich ablöste und neue, jüngere Gesichter auch aus Mittelschulkreisen und urbanen Szenen die Stehrampen bevölkerten, erlebten die Auswärtsfahrten eine Renaissance. Die Fankurven strebten nun optisch und akus-
tisch einen möglichst geschlossenen, mächtigen Auftritt an. Dazu mussten sich die unterschiedlichen Gruppierungen organisieren und koordinieren, und dabei machten sie sich die aufkommende Verbreitung von Handys und Internet zunutze. Bald wusste jeder und jede, was am Spieltag der Plan war und auch, welchen Regelzug man für die Auswärtsfahrt benutzte. Der hohe Organisationsgrad führte zu erstaunlichen Ergebnissen: Neue Lieder lösten die alten Heuler ab, immer aufwendigere Choreografien ernteten Staunen und Applaus, selbstproduzierte Fanartikel ermöglichten einen zeitgemässen, unverkennbaren Dresscode. Die Kurve wurde zum Selbstläufer und mit ihr die Auswärtsfahrten. Nun sahen sich die SBB gezwungen, aus Rücksicht auf die anderen Fahrgäste den Fans Extrazüge und verbilligte Billette anzubieten. Und die Fans nahmen dankend an. Mit den jungen Ultras, wie die italienisch inspirierten Fans genannt werden, verschwanden neofaschistische und rassistische Tendenzen allmählich aus den Schweizer Fankurven. Was als Teil der Ultra-Ideologie übernommen und damit unbewusst als Erbe der 80er-Schläger weitergeführt wurde, war die extreme Fixierung auf die gegnerischen Fans: Anstelle patriotischer Verirrungen heizte nun ein ausgeprägter Lokalpatriotismus die Konflikte an. Auswärtsfahrten führten in feindliches Territorium. Oft fand der auf den Rängen exerzierte Choreo-, Pyro- und Gesangswettbewerb nach Spielschluss seine Fortsetzung im Strassenkampf, mit Hunderten von Beteiligten und eingefangen von den inzwischen routinemässig anwesenden Kameras des Schweizer Fernsehens. Die öffentliche Empörung, geschürt durch eine Nulltoleranz-Stimmung im Vorfeld der EM 2008, erreichte einen ersten Höhepunkt. Die «neuen» Fussballfans gerieten pauschal in Verruf. Der verbotene Einsatz von Feuerwerk wurde zum leuchtenden Symbol einer fehlgeleiteten Fankultur, was sich ab 2007 im Hooligangesetz niederschlug: Hooligan war fortan auch einer, der eine Fackel zündete. #
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Die Fans taten wenig, dieses Bild zu korrigieren. Aus der Not wurde eine Tugend: Dunkle Kapuzenjacken werden heute genauso selbst produziert und verkauft wie gestreifte Sturmhauben in den Klubfarben. Die Wirkung bleibt nicht aus, und sie ist gewollt: Seht her, da kommen wir, und wer sich uns in den Weg stellt, kriegt Probleme. Heute marschie-
lizei. Von ihr wird erwartet, dass sie die Fanlager trennt, um Konfrontationen vorzubeugen und die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Diesen Auftrag führen die Ordnungskräfte heute in einer Konsequenz aus, die Feindbilder mitunter verstärkt. So ist eine Vermischung gemässigter Fans beider Lager, wie sie früher beispielsweise vor dem Restaurant Schlachthof beim Zürcher Letzigrund üblich war, heute kaum mehr möglich. Die Auswärtsfans sind heute jene hinter dem Polizeicordon, eine fremde Masse, in die alles Mögliche projiziert werden kann. Wie sich die Fans in ihre Rolle verbissen haben, tut es zuweilen auch die Polizei: Kein Spiel scheint mehr unter einem guten Stern stehen zu dürfen, nur von Risiko- und Hochrisikospielen ist die Rede. Das trieb im Falle des Challenge-League-Stadtmatches zwischen dem SC Brühl und dem FC St.Gallen im Herbst 2011 sonderbare Blüten: Der Heimklub, notabene ein Quartierverein ohne Fankurve, hatte im Vorfeld den Kontakt zu den Gästefans gesucht, und diese hatten deutlich signalisiert, ihren Teil zu einem Fussballfest beitragen zu wollen. Die St.Galler Polizei indes kümmerte dies wenig. So kam es zur grotesken Situation, dass in der St.Galler Innenstadt und im Quartier zusätzliche Einheiten von Bündner und Glarner Polizisten Stellung bezogen, während Anhänger des FCSG den Abfall, der bei ihrem Fanmarsch anfiel, in mitgebrachte Müllsäcke stopften. Am Ende der Saison, in der es zu keinem einzigen Zwischenfall gekommen war, stand der kleine SC Brühl bei der Polizei mit einem hohen fünfstelligen Betrag in der Kreide.
ren Auswärtsfans überall dort zum Stadion, wo die Polizei sie lässt und sie sich einer allfälligen Konfrontation mit den gegnerischen Fans gewachsen fühlen. Wer marschiert, zeigt: Wir sind stärker als ihr, wir nehmen es mit euch auf. Es ist deshalb kein Zufall, dass die Fans des FC Basel überall zu Fuss zum Stadion gehen, in Basel sich jedoch niemand sonst zu marschieren getraut. Als Einzige wollten es die Fans des FC St.Gallen im Mai 2009 wagen, als sie zum Wiederaufstiegsspiel gegen Concordia anreisten. Es wurde ihnen von Basler Seite klargemacht, dass ein Marsch zum Stadion Rankhof nicht geduldet, das heisst: angegriffen würde. Und so stiegen die St.Galler in die bereitstehenden Busse. Gegen die martialische Auffassung von Revierhoheit und Lokalstolz, Fan-Ehre und Vereinstreue wappnet sich die Po-
Das durch Polizei, Fedpol, KKJPD (Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren) und Teile der Medien transportierte Bild der (Auswärts-)Fans gleicht noch weitgehend jenem aus den 80er-Jahren: schlimme Gestalten mit nichts als Radau im Sinn, ohne Eigenverantwortung, ohne Selbstkontrolle. Damit wird jede neue Repressionsmassnahme legitimiert, weil mit Reden bei solchen Leuten bekanntlich nichts zu holen sei. Fakten, die nicht in dieses Bild passen, werden gerne unterschlagen. So hielt sich während Jahren die Zahl von 3 Millionen Franken an Sachschaden, die die SBB jährlich durch Fussballfans in Kauf nehmen müssten. Als dann im Februar 2012 selbst der SBB-Chef eingestand, es seien in Tat und Wahrheit zehnmal weniger, schwiegen jene Medien am lautesten, die ihre Berichte über
Der erhoffte Effekt der verstärkten Repression, nämlich die Schwächung der Ultra-orientierten Fanbewegung, blieb aus. Stattdessen wappneten sich die Fans. Um beim Zünden von Pyro nicht erwischt zu werden, vermummten sie sich: erst mit Schal und Kapuze, bald mit Sturmhauben und in Kapuzen eingenähten Netzen. Einheitliche, meist schwarze Kleidung sollte es den Fahndern verunmöglichen, Einzelnen konkrete Taten nachzuweisen. Und um der Polizei Zugriffe zu erschweren, marschierte man auswärts noch geschlossener zum Stadion. Damit näherten sich die Fussballfans in ihrem äusseren Erscheinungsbild dem Schwarzen Block, berühmt und berüchtigt für seine Auftritte am 1. Mai in Zürich. Wer sich nicht intensiv mit den Codes und Mechanismen der Fanszene befasste, konnte beim Anblick eines Auswärtsmobs nur zu einem Schluss kommen: Was da anmarschiert, ist gefährlich. Aus Sonntagsausflügen von Fussballfans waren in der öffentlichen Wahrnehmung Saubannerzüge von Chaoten geworden. Nur noch Risikospiele
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ausWärtSREIseN
Die Zürcher Polizei lässt den Fans des FC Basel inzwischen keinen Spielraum mehr. Märsche duldet sie nur noch, wenn dabei Vermummung, Feuerwerk und Sprayereien ausblei-
geht: Fans eines Vereins treffen sich, um ihre Mannschaft gemeinsam in einem fremden Stadion zu unterstützen. Die Möglichkeit, dass dies ohne immenses Polizeiaufgebot, aber auch ohne Krawalle und Massenschlägereien über die Bühne gehen könnte, dass also 500 oder 1000 junge Menschen durch die Schweiz reisen wollen, weil es ihnen Spass macht, wird gar nicht mehr in Betracht gezogen. Denn kein Akteur in diesem komplizierten Spiel würde es wagen, auf eine Über die jahrE ging vergesRückbesinnung zu wetten: sen, worum es bei auswärtsdie Fans nicht, weil sie heute fahrten im grunde geht: fans für geringe Übertretungen eines vereins treffen sich, drastische Konsequenzen um ihre mannschaft in einem zu befürchten haben, sich fremden stadion zu unterdeshalb abschotten und sich stützen. einige überdies in ihrer Rolle als kleine Krieger gefallen. Die Polizei nicht, weil sie die von der KKJPD forcierte Nulltoleranz-Strategie umzusetzen hat und jeder Pragmatismus, etwa in der Pyro-Frage, einem Gesichtsverlust gleichkäme. Und die Medien nicht, weil Empörung in Fanfragen immer leichter zu bewirtschaften ist als Entspannung. Die Schweiz tut sich schwer mit Menschen, die Extrazüge besteigen, Bahnhöfe einnebeln und Strassen besetzen, bloss um einer so sinnlosen Lust zu frönen wie der Unterstützung eines Fussballvereins. Sie tut sich auch deshalb so schwer mit ihnen, weil sich Fussballfans im Gegensatz zu Street-Parade,
ben. Damit will sie den Fans jede Möglichkeit zur Grenzüberschreitung nehmen, was diese entsprechend quittieren: Sie reisen wieder ab, bleiben ganz zu Hause oder verwirren die Polizei mit neuen Reiserouten oder Versteckspielen auf Regelzügen. Vom erklärten Ziel, sämtliche Gästefans mittels Kombiticket auf die Extrazüge zu zwingen, um sie besser zu kontrollieren, entfernt sich die Polizei dabei zusehends. Ohnehin ist das Beharren auf der aus Holland importierten Kombi-Strategie schwer verständlich, reisen doch heute schon sämtliche Fanszenen freiwillig geschlossen mit Extrazügen an die Spiele. Bei all den Diskussionen, Schlagzeilen und Strategien rund um Gewalt an Sportveranstaltungen ging über die Jahre vergessen, worum es bei Auswärtsfahrten im Grunde
Halloween oder Canyoning nicht ökonomisieren lassen. Die Radikalisierung, die das Bundesamt für Polizei bei den jungen Fans mit Sorge feststellt, hat auch mit einem Gefühl des Unerwünschtseins zu tun. Mit dem Versuch, nicht nur die Gewalt, sondern auch die Fanszenen in ihrer heutigen Erscheinungsform als solche zu bekämpfen, verstärken die Behörden dieses Gefühl und spielen damit jenen destruktiven Kräften unter den Fans in die Hände, denen Dialog und Verantwortung von Grund auf suspekt sind. Deshalb wird die Frage zentral, als was die Fans auf ihren Reisen in Zukunft begriffen werden sollen: als Subkultur, als notwendiges Übel vielleicht, mit Ausschlägen nach oben und gelegentlich stark nach unten. Oder als Bedrohung der inneren Sicherheit, wie der Geldwäscher, der Menschenhändler, der Terrorist. •
marodierende Auswärtsfans zuvor schlagzeilenträchtig mit den angeblichen Millionenschäden geschmückt hatten. Bemühungen von Teilen der Fanszene, das Schläger- und Krawallimage gerade auf Auswärtsfahrten loszuwerden, finden kaum Beachtung. Dabei werden auf den Extrazügen seit Jahren Flyer mit Benimmregeln verteilt, nicht ohne Wirkung. Die Basler Fanszene etwa hat die Sachbeschädigungen in den eigenen Reihen auf ein Minimum reduziert. Wer heute auswärts einem parkierten Auto den Rückspiegel wegschlägt, riskiert selber Schläge. Auch fliegen aus dem Basler Sektor seit Jahren keine Fackeln mehr aufs Feld. Gemessen werden die Rot-Blauen aber nicht an solch langfristigen, positiven Entwicklungen, sondern an einzelnen Gewaltexzessen wie jenem vom Mai 2011 im Gästesektor des Letzigrundstadions, als sich ein lange schwelender Konflikt mit einer zweifelhaften privaten Security an konfisziertem PyroMaterial entzündete und eskalierte. Die Bilder, welche die Überwachungskameras von jenem Ereignis lieferten, zeigen nicht nur die Entschlossenheit, mit der die Fans zur Sache gingen, sie machen auch alle Versuche einer differenzierten Einordnung der Vorkommnisse überflüssig. Das Gefühl des Unerwünschtseins
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der kuh-krux-klan
Angesichts des Schweizer Nati-Publikums von Fankultur zu sprechen, ist geradezu absurd. Denn für die Mehrheit macht es keinen Unterschied, ob sie ein Stadion, die Fasnacht oder eine TV-Show besucht. Was freilich kaum jemanden davon abhält, gegen unzählige Regeln des StadionKnigges zu verstossen. Text: Mämä Sykora / Bild: Imago
38 Wann genau dieser Irrglaube entstanden ist, lässt sich kaum mehr nachverfolgen. Vielleicht lagen die Daten irgendwann mal gefährlich nahe beieinander, man weiss es nicht. Die Auswirkungen jedenfalls waren fatal, als sich in weiten Teilen der Bevölkerung verbreitete, Heimspiele der Schweizer Nationalmannschaft und die Fasnacht seien ein und derselbe Anlass. Denn seither verhält sich mindestens die Hälfte des Publikums so, als stünde auf dem Ticket «Kein Einlass ohne Verkleidung». Dabei sind die lustigen Plüschhüte noch das harmloseste, nicht wenige stürzen sich gleich gruppenweise in rot-weisse Vollmonturen – wahlweise als Kühe, Sennen oder Supermen –, als stünde nicht ein Besuch eines Pflichtspiels der Schweizer Nati an, sondern die Teilnahme an einem Grümpi in der Kategorie «Plausch». Schon bei stinknormalen Meisterschaftsspielen hört man immer wieder den Vorwurf, den Fans gehe es mehr um die Selbstdarstellung denn um das Spiel auf dem Rasen. Alles Anfänger, wenn man es mit den Nati-Fans vergleicht. Diese kann man nämlich zum Beispiel nur Sekunden nach dem Schlusspfiff, der eine beschämende Niederlage gegen Luxemburg, Montenegro oder ein anderes Land von der Grösse des Kantons Glarus besiegelt von ihrer schweren Depression erlösen, wenn man nur kurz die Kamera auf sie hält und das Bild auf die Videowand schickt. Hei, wie sie dann winken und bis über beide mit hübschen Schweizerkreuzen geschminkten Backen lachen! Eine wahre Freude ist das! Gegen wen haben wir nochmals gespielt? Auch die Fankurven der Vereine bestehen zu einem beachtlichen Teil aus Gruppen. Hinter dem Tor stehen die Ultra- und anderen Fanklubs beieinander. Bei der Nati sind es weniger organsierte und deutlich kleinere Grüppchen. Zu erkennen sind sie an der einheitlichen Verkleidung, min-
destens aber an selbstgedruckten T-Shirts mit Aufschriften wie «Kampftrinker Diepoldsau» oder «Pfadilager 2004 Hergiswil». Eine Zier dazu ist natürlich jenes wahnsinnig tolle Carlsberg-Hütchen mit den rot-weissen Fransen, das vor Jahren an Heimspielen verteilt wurde, aber von einigen Fans tatsächlich sorgfältig aufbewahrt und alle paar Monate wieder hervorgekramt und stolz aufgesetzt wird. Wenn man die Zuschauer an Nati- und Meisterschaftsspielen nur schon optisch vergleicht, kann man sich schwer vorstellen, dass die Schnittmenge grösser ist als sagen wir von Igelzüchtern und Dolph-Lundgren-Fans. So erklärt sich auch die Erwartungshaltung des Nati-Publikums, für das übrige Fussballspiele nur aus Funk und Fernsehen bekannt sind. Weil das aber zwei grundverschiedene Dinge sind und ohne Koordination und wöchentliche Übung nicht einfach so Gesänge und Choreos (mal abgesehen vom eifrigen Schwenken der Sponsorenfähnchen) ausbrechen, macht sich bei vielen Besuchern bald Enttäuschung breit. So wenden sich denn auch in allen Sektoren schon nach wenigen Minuten Verzweifelte mit einem Retro-Trikot mit dem Aufdruck «Tormaschine» oder «Steini» an die Mit-Fans mit der Aufforderung: «Möched mal Schtimmig, ihr lasche Seck!» Endloswiedergabe Manchmal kommt auch tatsächlich ein Gesang zustande. Leider schafften es nie mehr als drei Lieder ins Repertoire der Nati-Anhänger, weshalb das «Nati, Schwiizer Nati, schoololooloolololololooloololololoo» derart oft angestimmt wird, dass es nach einem Matchbesuch noch Tage später im Ohr schoololooloolololololooloololololoot. Wer nicht gerade singt, der nestelt an seinem Handy rum. Was den Vereins-
Nati-fanS
39 fans Schal und Doppelhalter sind, ist dem Nati-Fan sein Mobiltelefon. Damit will indes nicht den übrigen Stadiongänger seine tiefe Verbundenheit mit der Mannschaft zeigen, sondern er nutzt es, um mit SMS, MMS und Facebook-Posts bei den Daheimgeblieben Neid hervorzurufen. Deswegen ein Tor verpasst? Halb so schlimm, kann man ja dann im Sportpanorama schauen. Ist doch eigentlich, also wenn man ganz ehrlich ist, sowieso gemütlicher, zuhause auf dem Sofa zu schauen. Aber der Kollege muss halt schon mitkriegen, dass man im Stadion war. Und wenn man dazu noch ein superoriginelles Kostüm trägt, steigt auch die Chance, dass er das nicht nur per MMS, sondern live im TV mitkriegt. Zwischen den Aufforderungen zur Stimmungsmache und den Schoololooloolololololooloololololoos herrscht im Rund aber doch manchmal fast schon unheimliche Stille. Trotz 30 000 Zuschauern hört man aus dem Publikum kaum mehr Geräusche als in den Minuten vor einer Prix-WaloVerleihung. Man wartet darauf, dass man unterhalten wird. Es sind jene Minuten, in denen man die Gespräche der Sitznachbarn mitverfolgen kann bzw. muss. Wie der schulmeisterliche Familienvater seinen Nachwuchs mit seinem beeindruckenden Fussballwissen füttert etwa («Der Gökhan Inler spielt bei Manchester United»). Oder wenn spätestens in Minute 14 die Ostschweizer Reisegruppe die Einwechslung von mindestens drei zusätzlichen Stürmern als Patentrezept für einen garantierten Sieg sieht. Ganz zu schweigen von den Zwischenrufen mit simplen, aber höchst vielversprechenden Forderungen, die aus unerfindlichen Gründen nicht erfüllt werden: «Ränned mal schnäller!». «Schüüssed mal es Goal!». Spätestens wenn dann der bierselige Trupp mit dem grenzdebilen T-Shirt-Aufdruck «Ich bin kein Schweizer, ich bin Eidgenosse, denn Schweizer kann jeder werden» die Gäste-
mannschaft mit derart chauvinistischen und rassistischen Sprüchen eindeckt, was ihnen in Emmen umgehend eine Nominierung als Gemeinderat einbringen würde, wünscht man sich sehnlichst das Schoololooloolololololooloololololoo zurück. Vielleicht ist es nostalgische Verklärtheit, vielleicht war ich damals auch einfach zu jung, um diese freudetrübenden Punkte überhaupt wahrzunehmen, aber irgendwie verfluche ich doch Köbi Kuhn dafür, aus der grauen Maus Nationalmannschaft eine Mannschaft geformt zu haben, die nicht nur Erfolg hatte, sondern sogar aufrichtige Euphorie auslösen konnte. Plötzlich kamen nicht nur 12 000 an ein essentielles EM-Qualispiel gegen Dänemark wie 1998, sondern 22 000 an ein Freundschaftsspiel gegen die Côte d’Ivoire wie 2006. Angesichts der sonstigen Veränderungen, welche die neue Hipness mit sich brachte, wünsche ich mir aber doch die Zeit der ehrenvollen Niederlagen zurück. Schoololooloolololololooloololololoo. •
1973 formierten sich beim HC Lugano Fangruppen, die eine neu Art der Unterstützung in die Stadien brachten. Nach italienischem Vorbild wurde die Mannschaft mit Choreografien, Gesängen und Feuerwerk nach vorne getrieben. Im Interview erzählen Ugo Morselli (*1953) und Mauro «Mamo» Medolago (*1955), wie sie vor bald 40 Jahren die UltraWelt in die Schweiz brachten.
«Wir wollten die farbigsten Fans der Schweiz sein» Interview: Saro Pepe / Bilder: StAAG/RBA
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Welche Erinnerungen habt ihr an die ersten HockeySpiele, die ihr besucht habt? Mauro Medolago: Ich bin eher spät zum Eishockey gekommen. Als ich ein Junge war, gab es im Fussball das «Grande Lugano» der 1960er-Jahre, das regelmässig mit Basel und Zürich um den Titel spielte. Die Faszination für das Hockey kam mit der ersten Aufstiegssaison des HC Lugano 1970/71. Ugo Morselli: Als ich in den 60er-Jahren noch in Zürich wohnte, ging ich öfters auf die Eisbahn Dolder an die Spiele des Grasshopper Clubs. 1972 kam ich ins Tessin und habe Mamo Medolago und seine Jungs kennen gelernt. Zusammen mit ihnen erlebte ich mein erstes Heimspiel des HC Lugano, ein Derby gegen Ambri, das wir 2:1 gewannen. Seit diesem Spiel 1972 habe ich – wie Mamo auch – insgesamt vielleicht zehn Heimspiele verpasst. Höchstens! Wie begann die Geschichte des organisierten Fantums in der Curva Nord? Medolago: Im Tessin waren die Ambri-Fans immer in der Mehrzahl, selbst in der Region Lugano. Das Verhältnis war etwa 80 zu 20 zugunsten von Ambri. Nun gab es in der alten Resega über den Stehplätzen eine grosse Uhr, unter welcher sich nach dem Aufstieg langsam jene Fans versammelten, die ein bisschen lauter und wilder waren. Mir kam die Idee, dass wir uns – auch wenn wir wenige sind – besser organisieren müssen, um etwas zu bewirken. Wenn 100 Fans nahe beieinander stehen und singen, so ist das, wie wenn 500 verstreut in der ganzen Curva Nord johlen. Wie seid ihr vorgegangen? Medolago: Uns war bewusst, dass wir viel mehr Leute brauchten. Also gründeten wir 1973 einen ersten Fanclub, die Black White Panthers. Den Leuten, die beitraten, erklärten wir, dass wir etwas völlig Neues aufbauen wollen, dass wir die farbigsten und fröhlichsten Fans der Schweiz werden wollten.
Gab es Vorbilder? Medolago: Ja, in Italien war in dieser Hinsicht schon einiges im Tun. Wir orientierten uns speziell an den Basketball-Fans. Ihr «Indoor-Tifo» liess sich besser an das Hockey adaptieren, als der Stil der Fussball-Ultras von Milan. Wir gingen in dieser Zeit oft nach Varese zum Basketball. Die dortigen Fans waren es, die uns die ersten Adressen von Schal-Herstellern und Lieferanten von Tifo-Material gaben. Morselli: Von da an ging es sehr schnell. Eine Reihe neuer Fanclubs entstand fast gleichzeitig, weil die Leute fasziniert waren vom neuen Stil. Es gab den Fanclub Sbroja, die Ultras Fighters und die Forever Ultras Supporters. Insgesamt waren bald sicher 800 Leute in den grossen Fanclubs organisiert. Das war die Hälfte der Kurve! Die andere Hälfte kam, um Freunde zu treffen oder weil es in war. Die 1500 Plätze in der Curva Nord waren in den 70er-Jahren bei allen Spielen besetzt. Man kam bei Türöffnung, Stunden vor Spielbeginn, und rannte ins Stadion, um sich seinen Platz zu sichern. Wie sah euer Support aus? Morselli: Wir hatten Trommeln, sicher fünfzehn Stück. Und wir hatten Konfetti. Viel Konfetti. Diese wurden zu Spielbeginn und bei Toren eingesetzt. Das gab es damals nicht in der Schweiz. Also sind viele nach Lugano zum Hockey gekommen, nicht nur wegen dem Spiel, sondern auch um das Spektakel auf den Rängen zu sehen. Medolago: Ich selber stand am Megafon und trieb die Masse an. Die Lieder adaptierten wir von populären Songs oder übernahmen sie von anderen Fans. Unser grösster Hit auf den Rängen war «Grande Lugano» zur Melodie von «Guantanamera». Die besten Songs vereinten wir auf Audio-Kassetten, die wir im Stadion verkauften. Diese hiessen «Dai Lugano» und Herausgeber war ein gewisser Flavio Maspoli (der skandalumwitterte Mitbegründer der Lega dei Ticinesi und spätere Nationalrat, Anm. d. Red).
DIE ERSTEN ULTRAS Habt ihr auch Pyrotechnik verwendet? Medolago: Ja, sicher. Das war in geschlossenen Hallen bisweilen problematisch, aber auf offenen Eisfeldern ging das bestens. Rauchbomben waren beliebt, auch Leuchtpistolen und Fackeln. Die alte Resega war bis 1975 wie auch das Eisfeld in Ambri zum Glück nicht überdacht. Natürlich gab es schnell Probleme für den Klub, weil sie ständig Strafen zahlen mussten. Da wir das nicht gut fanden, mässigten wir uns ein bisschen. Kann man sagen, dass ihr es wart, die den Ultra-Gedanken in die Schweiz gebracht habt? Medolago: Ja, wir waren die ersten Ultras der Schweiz. Aber wir waren Ultras der 70er-Jahre. Das hat wenig gemeinsam mit dem, was man heute als Ultra bezeichnet. Der grösste Unterschied der heutigen Fans zu uns damals ist, dass sie heute immer incazzati (wütend) sind. Morselli: Wir gingen mit Freude ans Spiel, wir wollten Spass haben. Wir gingen nicht, um uns zu prügeln. Es gab keine Gewalt in den Stadien? Medolago: Doch, die gab es schon. Aber es ging immer ein Ereignis voraus, zum Beispiel ein Fehlentscheid. Heute scheint es mir, braucht es oft keinen Auslöser, keinen Anlass mehr – die Gewalt wird richtig gehend gesucht. Wenn heute zwei Fanlager per Zufall aufeinandertreffen, gibt es zwingend eine Schlägerei. Das war in den 70ern noch anders. Ausserdem warfen wir damals Eier aufeinander, nicht Fackeln.
haben uns nach zwei, drei Jahren alle kopiert. Aber auch wir hatten unsere Form des «Tifo» ja bei anderen abgeschaut. Morselli: Wir waren schon der Referenzpunkt für viele in der Schweiz. Die Zeitungen schrieben über uns, sogar der «Blick». Wie hat der Klub auf diese neue Art von Fans reagiert? Medolago: Die Klubleitung war glücklich, aber auch verängstigt. Es freute sie, dass alle über Lugano redeten, auch wenn sie nur von den Fans sprachen. Weil sportlich kam im Hockey das «Grande Lugano» lange nach den grossen Zeiten der Curva Nord. Gab es Fangruppen, mit denen ihr euch gut verstanden habt? Medolago: Es gab ziemlich lange eine enge Fanfreundschaft zum SC Bern. Das ging solange gut, bis Bern in den 80erJahren zum grossen TitelRivalen von Lugano wurde. Der grösste Unterschied der Es kam die neue Fangene- heutigen Fans zu uns ration, die Erinnerungen an damals ist, dass sie heute die jahrelange Freundschaft immer wütend sind. gingen verloren. Heute gibt Mauro «Mamo» Medolago es auf beiden Seiten keine Fans mehr, die sich an die gute gemeinsame Zeit erinnern und was passiert: Schlägereien, Schlägereien, Schlägereien …
Gab es ähnliche Fanclubs wie eure bei anderen Vereinen? Medolago: Am besten fand ich die Zuger. Einmal kamen sie nach Lugano, zogen alle weisse Handschuhe an und hielten Taschenlampen in die Luft. Das sah wirklich gut aus. Zuger und ZSCler hatten oft auch Wunderkerzen dabei. Natürlich
Auf der anderen Seite der Sympathieskala stand wohl seit je Ambri? Morselli: Diese Rivalität begann, als Lugano 1971 erstmals in die Nationalliga A aufstieg. Vorher gab es im Tessiner Hockey nur Ambri. Lugano blieb bis 1973 in der NLA. Ein Jahr später stieg auch Ambri ab und die Rivalität ging eine Klasse tiefer weiter. Bis man 1982 gemeinsam wieder aufstieg. #
Ugo Morselli
Mauro Medolago
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Medolago: Erinnerst du dich an die Geschichten, die zu unserem Abstieg 1973 führten? Ambri besiegte uns in der zweitletzten Runde im Derby. Zu diesem Zeitpunkt stand Chauxde-Fonds bereits als Meister fest und schenkte dem SC Bern einen Sieg, womit dieser sich aus der Abstiegszone retten konnten. Für das letzte Spiel kam Chaux-de-Fonds nach Lugano und wir hörten nicht auf, Münzen auf das Eis zu werfen, zum Zeichen ihrer Bestechlichkeit. Das Spiel musste unzählige Male unterbrochen werden. Es kam soweit, dass um Mitternacht der Bürgermeister veranlasste, dass das Licht im Stadion gelöscht wurde. Morselli: Das war der Vater von Clay Regazzoni. Nach diesem Vorfall bekamen wir eine Stadionsperre und mussten das Entscheidungsspiel gegen Langnau in Chur austragen. Wir reisten mit 2000 Fans an, verloren und stiegen ab. Wegen Ambri! Wegen Ambri? Morselli: Natürlich wegen Ambri! Sie hätten uns ja auch einen Sieg schenken können!
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Was sind deine schönsten Derby-Erinnerungen? Morselli: Als das Eisfeld in Ambri noch nicht gedeckt war,
gab es ein Spiel, vor welchem es ziemlich viel geschneit hatte. Das Eis wurde freigelegt, aber auf den Rängen kam es während des Spiels zu einer unglaublich intensiven Schneeballschlacht. Dann gab es die berühmte Geschichte, als sie die Lugano-Fans in Ambri im Januar bei minus 10 Grad mit einem Wasserschlauch abspritzten! Waren die Derbys in den er-Jahren von Ausschreitungen begleitet? Medolago: Schau, am Schluss eines Hockey-Spiels bist du als Fan sehr, sehr müde. Du stehst drei, vielleicht vier Stunden in einer engen Masse, du singst, du schreist. Am Ende willst du nur noch ein Bier trinken und nach Hause fahren. Du hast keine Kraft mehr für eine grosse Hauerei. Natürlich gab es vereinzelt Vorfälle, aber sie waren meist harmlos. Wie war euer Verhältnis zu Zürich? Medolago: Wir hassten den ZSC. Wir hassten ihn wirklich. Eine durch und durch unsympathische Mannschaft mit unsympathischen Fans. Zürcher sind ja für die Schweiz in etwa das, was Luganesi im Tessin sind. Morselli: Die Rivalität bestand allerdings schon im Fussball in den 60er-Jahren …
DIe erSTEN ULtRAs Medolago: Ein wichtiger Faktor war auch hier der sportliche: Der ZSC war immer unser Konkurrent um den Aufstieg in die NLA, und meist setzte sich der ZSC durch. Aber die Zürcher Fans waren krass: Sie kamen immer, wenn wir in der Nähe spielten, sei dies in Dübendorf, Rapperswil oder Wetzikon. Morselli: Ende der 70er-Jahre gab es ein Spiel in Dübendorf. Wir kamen aus dem Stadion und unser Bus war voll mit Eiern verschmiert. Schon kamen etwa 50 ZSC-Fans um die Ecke, und wir versteckten uns im Bus. Unser Fahrer aber stieg aus, nahm die Schneeketten und schwang sie den Zürchern um die Ohren, bis die Polizei kam. Ein Held! Medolago: Im Hallenstadion gab es keine einzige Partie, bei der es nicht zu Problemen kam. Die Schwierigkeit in Zürich war immer, dass man keine organisierte Gruppe erkennen konnte, die man umgehen konnte. Man kam aus der Halle und – puff – bekam man von einem Umstehenden eins reingehauen. Deshalb versteckten wir sofort bei Spielschluss immer unsere Schals und schlichen uns davon. Beim Bahnhof Oerlikon wurde es dann doch oft noch sehr gefährlich. Auch bei Lugano gab es später Hooligans. Medolago: Natürlich waren unsere Fans nicht besser, nur waren wir stets weniger. In Lugano waren es die Ragazzi della Nord, die als erste gewaltorientiert auftraten. Das war die zweite Generation von Ultras beim HC Lugano. Junge, die auch auf Auswärtsfahrten durch viel Vandalismus negativ auffielen. Das missfiel dir? Medolago: Ja, ich hatte und habe meine Probleme mit ihnen, und sie mit mir. Sie bedrohten mich sogar, weil ich mich öffentlich gegen sie gestellt und sie kritisiert habe. Sie sagten zu mir: «Du darfst dich nicht negativ äussern, weil du ein Ex-Capo bist.» Sie sagen
Feuer und Fahnen: Die Curva Nord 1982.
heute: «Die ‹Mentalità Ultrà› muss immer gegen alles verteidigt werden.» Aber das ist doch mafiös! Deshalb sehe ich mich rückblickend nicht mehr als Ultra, sondern als «SuperTifoso». Wo liegt der Unterschied? Medolago: Ich versteckte mich nicht, ich trug die volle Verantwortung. Wenn es Probleme mit dem Klub oder mit der Polizei gab, ging ich hin und stellte mich den Vorwürfen. Ich redete mit allen, auch mit den Medien. Es gab keine «silenzio stampa». Ich stand hin und sagte: Ja, ich bin der Capo, was wollt ihr wissen? Warst du mit deiner Art beliebt bei den Fans? Medolago: In der Kurve versuchte ich, möglichst allen zuzuhören. Ich wollte, dass alle mich mochten, und ich versuchte, alle ernst und wichtig zu nehmen. Dadurch waren die Fans mir gegenüber sehr loyal. Heute hingegen hört man auch mal durch das Mikrofon in der Kurve, wie der Capo seine Jungs beschimpft: «Ihr seid zu leise, singt endlich lauter!» Das verstehe ich nicht. Wie kann man nur pausenlos aggressiv sein? •
«Bodycheck» – Die Stimme der Fans 1981 starteten die Fans des HC Lugano ihr Fan zine «Bodycheck». Zu Beginn wurde das Heft fotokopiert und mit Schreibmaschine und RubbelBuchstaben produziert, in einer Auflage von 500 Stück. Während der Hockey saison erschien das Heft monatlich. «Die Idee dahinter war, den Fans eine eigene Stimme zu geben», so Chefredaktor Ugo Morselli, der auch Teilzeit als Journalist tätig war. Gefüllt war es mit Sport und mit Fanthemen. Spä ter wurde das Heft professionell gedruckt, steigerte die Auflage auf 1500 Exemplare und hatte Abonnen ten in der ganzen Schweiz. Es wurden auch regel mässig exklusive Fanfotos veröffentlicht. «Body check» erschien bis 1991, mit der 61. Ausgabe war Schluss. Als Erinnerung gab es im selben Jahr noch ein Buch mit den besten Artikeln aus zehn Jahren.
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Dachzeile Servette FC – FC St.Gallen 1985 Bild: StAAG/RBA
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Dachzeile Schweiz – Italien 1936 Bild: ATP-Bilderdienst
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Die vierte Gewalt im Fanblock
Es gab Zeiten, da nahmen die Schweizer Medien Platzst端rme und Pyro als Ausdruck von Begeisterung wahr. Eine Chronologie der Entfremdung. Text: Michael L端tscher / Mitarbeit: Saro Pepe / Bilder: Screenshots SF
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MEDIENereignis FAN
Im Frühling 1994 spielte der FC Basel in der Auf-/Abstiegsrunde gegen den FC Zürich um den Wiederaufstieg in die Nationalliga A. 42 000 Zuschauer kamen ins alte Joggeli, und die Muttenzer Kurve zündete allerhand Feuerwerk. «Sieger des Abends waren der Fussballsport und das Basler Publikum», resümierte am Schweizer Fernsehen Hans Jucker, während im Bild brennende Fackeln zu sehen waren. Ein gutes Jahr später hatte Basel den Aufstieg geschafft und spielte am selben Ort gegen die Grasshoppers. Die Muttenzer Kurve inszenierte zum Anpfiff eine Pyro-Show, wie man sie sich heute in einem Stadion fast nicht mehr vorstellen kann. «Gut die Stimmung, wie man hier sieht», bemerkte der SF-Kommentator trocken. Nüchtern dann auch seine Begründung dafür, dass Schiri Kurt Röthlisberger den Match kurz nach dem Anpfiff wieder unterbrach: «Weil die Nebelschwaden, herrührend von den Feuerwerken, jetzt doch zu intensiv geworden sind.» Eine derartige Gelassenheit ist heute undenkbar. Feuerwerk zu zünden war schon damals gesetzlich verboten, und die Uefa büsste Klubs, deren Fans bei Europacupspielen Pyro zündeten, mit zehntausend und mehr Franken. Aber das war kein Anlass für öffentliche Aufregung. Sachlich blieb der Ton auch, als es im Frühjahr 1995 bei einem Meisterschaftsspiel zwischen Luzern und Basel zu Ausschreitungen kam, wie man sie bis dato noch nie gesehen hatte und seither nur sehr selten erlebt hat. Basler Fans warfen während des Spiels Petarden auf den Rasen und die Luzerner Fans, die nur durch einen leeren Korridor getrennt auf derselben Tribüne standen. 15 Menschen erlitten Brandverletzungen, Schiedsrichter Werner Müller drohte die Partie abzubrechen. Wer sich den originalen Matchbericht des Schweizer Fernsehens anschaut, staunt über die Gelassenheit, mit der die Geschehnisse im Stadion kommentiert wurden. Die härtesten Sätze von Kommentator Dani Wylers Urteil lauteten: «Die Situation drohte zu eskalieren» und «Leider kam es immer wieder zu solchen Szenen». In einem Nebensatz sagte Wyler: «Es gab Verletzte mit Brandwunden.» Die Gescheh-
nisse wurden in der «Tagesschau» des folgenden Tages und dann auch im «Sportpanorama» diskutiert – in besorgtem Tonfall, aber mit einer positiven Perspektive: «Bleibt zu hoffen, dass alle Beteiligten aus den Geschehnissen etwas gelernt haben», schloss der Bericht der «Tagesschau», ganz im Sinne freundeidgenössischen Konkordanzdenkens. Ganz anders der Tonfall 16 Jahre später, als vergleichbare Umstände am 2. Oktober 2011 zum Abbruch des Zürcher Derbys führten. «Aus einem Fussballstadion wird plötz- Im Vergleich zu heute lich ein Kriegsschauplatz», beurteilte damals aber erklärte SF-Reporter Dani auch die Presse die Ultras Kern in seiner Zusammen- differenziert. fassung der Geschehnisse im «Sportpanorama». Und in der Nachbearbeitung des Ereignisses legte das Fernsehen noch einen Zacken zu: «Petarden, Gewalt, Chaos – der Mob dreht durch» und «Da verwandelt sich die Tribüne in ein Schlachtfeld», hiess es am Tag danach in Steffi Buchlis Bericht in der «Sportlounge». Was hat die Haltung der Journalisten derart verändert? Gewiss, Wiederholungstaten bringen die Gemüter in Wallung, so wie Kinder ihre Eltern zur Weissglut treiben, wenn sie nicht tun, wie man ihnen wiederholt gesagt hat. Ausserdem wurden die Regeln zwischenzeitlich geändert, seit der Saison 1999/2000 ist das Abbrennen von Feuerwerk in den Schweizer Stadien explizit verboten. Doch auch danach wurde Pyro zunächst relativ gelassen hingenommen, wie etwa der TV-Bericht von einem Zürcher Derby im Herbst 2000 zeigt. Der Spielbeginn verzögerte sich, weil der Platz von den vielen Petarden, die in beiden Kurven gezündet worden waren, eingenebelt war. «Das Spiel konnte erst mit etwas Verspätung angepfiffen werden», hiess es lapidar im TV-Kommentar. Politisierung mit der Euro 2008 «Zunächst versuchten die elektronischen Medien wegzuschauen, und das, was nicht sein sollte, einfach #
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auszublenden», sagt der Kommunikationswissenschaftler Daniel Beck von der Universität Freiburg, der sich mit der Abbildung des Sports in den Medien befasst. Zwei Faktoren bewirkten dann, dass sich die Haltung des Fernsehens vom Ausblenden zum Verurteilen wandelte: die Politisierung und die Kommerzialisierung des Fussballs. Denn spätestens mit der Bewerbung der Schweiz um die Austragung der Prägnantester Ausdruck der unversöhnlichen Haltung Fussball-EM 2008 wurde der Umgang mit den wilden gegenüber Ultras ist Fans zum Politikum. Verander Begriff «Nulltoleranz». stalter Uefa verlangte von der Schweiz kostspielige Sicherheitsmassnahmen, und die Diskussion über den Umgang mit den Fans verlagerte sich von der Fussball- in die Politarena. Nun wurde das Verhalten der Fans thematisiert und dramatisiert. Zweitens weist Beck auf die Auswirkungen der Kommerzialisierung des Fussballs hin. Die Fernsehrechte für Endrunden, Champions League, Länderspiele und in beschränktem Masse auch für die Ligaspiele werden immer teurer. Das Fernsehen muss diese steigenden Kosten rechtfertigen und möglichst einträglich refinanzieren; es gestaltet die Übertragung der Spiele darum aufwändiger, hofft dadurch mehr Zuschauer anzuziehen und bietet mehr Raum für Werbung. Dadurch hat sich aber seine Rolle geändert: Es ist vom Berichterstatter zum Player geworden. «Die elektronischen Medien haben ein Eigeninteresse, dass Fussball attraktiv bleibt für Sponsoren und Werber», sagt Beck. Und dem hat sich auch die Perspektive der Kommentatoren angepasst. Einen Einfluss auf den Tonfall des Fernsehens hat auch dessen veränderte Formensprache, wie Beck feststellt. Bis 1997 kündigten «TV-Schätzchen», wie die Ansagerinnen von der Boulevardpresse genannt wurden, lächelnd Fussballübertragungen an. Längst sind die Ansagerinnen durch Trailer ersetzt worden, die im Stile Hollywoods Sendungen mit routinierter Übertreibung ankünden – mit positiver, wenn es um eine Liveübertragung geht, mit negativer, wenn Fanausschreitungen dramatisiert werden sollen. Interessanterweise schlug die Presse schon früher härtere Töne an: Auf die Ausschreitungen bei Luzern – Basel im Jahr 1995 folgten Schlagzeilen wie «Die blutige Schlacht» («SonntagsBlick») und «Hooligans sind nicht Fans, sondern Kriminelle» («SonntagsZeitung»). Für die eine Woche später am selben Ort stattfindende Revanche der beiden Teams im Cup forderten die damaligen «Luzerner Neuesten Nachrichten» den «Ausschluss der Öffentlichkeit». Vermutlich hatten die scharfen Töne damit zu tun, dass die Zeitungen sich in einem härteren Wettbewerb befanden als das Schweizer Fernsehen, das im analogen Zeitalter ein Monopol auf bewegte Fussballbilder in der Schweiz hatte. Im Vergleich zu heute beurteilte damals aber auch die Presse die Ultras differenziert. Die Ausschreitungen von Luzern wurden in zahlreichen Zeitungen seitenweise diskutiert. Darunter auch Fans entlastende Fragen, ob es vielleicht kontraproduktiv gewesen sei, die beiden Fangruppen in «käfigartigen Sektoren» (LNN) zusammenzupferchen, und ob
die Präsenz von Polizisten in Kampfmontur dazwischen «allzu provokativ» («Basler Zeitung») war. In den letzten Jahren haben sich Medien und Politik in puncto Empörung über das Verhalten der Ultras gegenseitig hochgeschaukelt. Journalisten stellten fest, dass Fussballfans den SBB jährlich Schäden von drei Millionen Franken zufügten («10 vor 10» im Jahr 2010) – eine Zahl, die total überrissen war, wie die WOZ später aufdeckte. Und die «SonntagsZeitung» stellte im Frühling 2011 «ein Rekordhoch» an Gewalt in den Stadien fest, wobei Pyro, also allein das Zünden von Fackeln, auch zur Gewalt gezählt wurde. Politiker beschlossen Alkoholausschankverbote und die Schaffung einer Hooligan-Datenbank, sie forderten Schnellgerichte und Fanpässe. Der Nulltoleranz-Index Prägnantester Ausdruck der unversöhnlichen Haltung gegenüber Ultras ist der Begriff «Nulltoleranz». Im Jahre 2000 tauchte er im Zusammenhang mit Fussball erstmals in den Schweizer Medien auf, geäussert vom Hooliganexperten der Basler Polizei. Die Verschärfung des Tonfalls lässt sich am Nulltoleranz-Index ablesen, also an der Verwendung des Begriffs. Für das Jahr 2005 verzeichnet die Schweizerische Medien-Datenbank (SMD) erstmals eine zweistellige Anzahl Nennungen, nämlich 12. 2006 (Krawall nach der 93. Minute bei FCB – FCZ) fiel das Wort in 15 Artikeln. Und 2009, als Basler Fans im Letzigrund Petarden in den Familiensektor schleuderten, wurde der Begriff 30 Mal erwähnt. Im Jahr 2011, als Basler Fans im Letzigrund randalierten und FCZFans Petarden in den GC-Block schleuderten, erreichte der Index seinen vorläufigen Höhepunkt: Die Nulltoleranz, gefordert vom damaligen GC-Präsidenten Roland Leutwiler wie vom Zürcher Stadtrat Gerold Lauber, war in 126 Artikeln Thema. Aber schauen wir zurück in jene Zeit, in der die Toleranz grösser und Nulltoleranz noch kein Thema war. Eine kleine Chronologie der Berichterstattung über Fan-Ausschreitungen vor 1995: • Nach dem Cupfinal , den Sion : gegen Xamax gewann, warfen Sion-Fans Hunderte von Flaschen auf den Rasen, bevor sie diesen stürmten und die Securitas-Wächter in die Flucht schlugen. «Torsegen – Flaschenregen» titelte der «Blick» halb belustigt, halb empört und mit zwei passenden Bildern. Der damalige «Sport» ereiferte sich in einem Kommentar über die «Horde wildgewordener Walliser», die etwas «vom Übelsten veranstalteten, was es je auf unseren Fussballfeldern gegeben hat». Der «TagesAnzeiger» dagegen rapportierte den Platzsturm mit genau einem Halbsatz, die NZZ verschwieg ihn ganz. • Als der FCZ im März gegen St. Gallen : verlor, kam es im Letzigrund zu Tumulten. Zürcher Fans stürmten auf den Platz und attackierten den Schiedsrichter, der einen Penalty gegen den FCZ gepfiffen und dem FCZler Winfried
MEDIENereignis FAN Kurz die Rote Karte gezeigt hatte. Fans schlugen einen der Linienrichter nieder und verfolgten das Schiri-Trio später auf der Autobahn. «Ref in Todesgefahr» titelte daraufhin der «Sport». «Hetzjagd auf Schiedsrichter!» stand beim «Blick» auf der Frontseite, «FCZ-Pöbel machte Letzigrund zur Hölle» im Sportteil. Der «Tages-Anzeiger» und die NZZ dagegen gingen nur am Rande auf die Geschehnisse ein. • Im April wurde der FCZ-Spieler Gianpietro Zappa in Sitten von einer vollen Bierflasche niedergestreckt und musste vom Platz getragen werden. Der «Blick» und der «Sport» gingen ausführlich auf den Zwischenfall ein. Ihr Hauptaugenmerk galt der sportjuristischen Frage, ob Sion wohl für den Flaschenwurf mit einer Forfaitniederlage be-
straft würde. In der folgenden Finalrunde beider Teams kam es erneut zu Flaschenwürfen sowie zu Attacken auf den damaligen FCZ-Trainer Albert Sing. Erst jetzt regte sich der «SonntagsBlick» über die Fans auf und schrieb vom «Skandal von Sion». NZZ und «Tages-Anzeiger» nahmen die Würfe gelassen, der Tagi verteidigte gar der Entscheid der Nationalliga, den Flaschenwurf gegen Zappa nicht mit Forfait zu sanktionieren: «Im Zweifelsfall für den Angeklagten». Die Vorfälle unterscheiden sich offensichtlich kaum von jenen in heutiger Zeit. Nur die Argumentation hat sich stark gewandelt. •
aNDers Berichten Die seit 2011 erscheinende Basler «TagesWoche» fällt gerade bei Fanthemen mit einer Berichterstattung auf, die sich deutlich vom «Bashing» in anderen Medien abhebt. Sportredaktor Christoph Kieslich erklärt die Beweggründe. Es gibt beim Thema Fussballfans deutliche Unterschiede in der Berichterstattung der «TagesWoche» im Vergleich mit anderen Medien. Weshalb diese Differenzierung? Das ist keineswegs eine von uns mit Kalkül gewählte Haltung. Wir wol len – wenn es Ärger gibt oder die Si cherheitsproblematik auf den Tisch kommt – eine Berichterstattung nach bestem Wissen und Gewissen ablie fern und dabei möglichst alle Seiten zu Wort kommen lassen und viele Aspekte ausleuchten. Das ist keine bewusste Abgrenzung von anderen Medien, sondern es geht uns darum, in der in den letzten Jahren aufge heizten und politisch besetzten Si cherheits und Gewaltdiskussion eine reflektierende und unaufgeregte Posi tion einzunehmen. Gibt es bei der «TagesWoche» einen Experten für Fanthemen? Die beiden Sportredaktoren Florian Raz und Christoph Kieslich, die den FC Basel, den Schweizer und den in ternationalen Fussball und all seine Begleiterscheinungen seit vielen Jah ren verfolgen, haben immer versucht, neben der Berichterstattung vom Spielfeld auch bei der Sicherheitsde batte auf dem Laufenden zu sein. Das macht einen noch nicht zwingend
zum Experten, aber wir setzen uns damit auseinander – wie dies auch die Redaktionskollegen Philipp Loser, Michael Rockenbach und Amir Mus tedanagic tun. Wie wird man Fan-Experte? Was für Kompetenzen braucht man? In einer Redaktion geht es vor allem um journalistische Kompetenz und den Willen nachzudenken. Vor allem dann, wenn draussen alles wieder auf heult. Ausserdem helfen die Lektüre der einen oder anderen Publikation zum Thema sowie die Inaugenschein nahme von Brennpunkten vor oder nach den Spielen. Und das Gespräch mit Leuten, die das Thema vernünftig angehen. Und davon gibt es zum Bei spiel in Basel und beim FCB ein paar. Manchmal erscheint dem Leser die «TagesWoche» als inoffizieller Medienpartner der Muttenzerkurve. Glücklich mit dieser Wahrnehmung? Überhaupt nicht. Nur, weil wir versu chen, der in Sachen Medien sehr zu rückhaltenden Fanszene hin und wie der Platz zu bieten, und zum Beispiel Communiqués der Muttenzerkurve verbreiten? Oder weil wir uns um Texte und eine Sichtweise bemühen, der die Fans und die Ultras nicht nur als Horde gewaltbereiter Stadiongän
ger darstellt? Wir wollen unseren Lesern einen sorgfältigen Journalis mus anbieten – nicht mehr und nicht weniger. Zum Thema Pyro: Wie könnte die überhitzte Diskussion entschärft werden? Durch den Versuch, Pyros und Ge walt nicht gleichzusetzen. Sehr viel schlechte Laune wird seit Jahren an den Stadioneingängen durch die Ein lasskontrollen und die Suche nach Pyros verursacht. Pyros in den Stadi en werden sich vermutlich nicht eli minieren lassen, deshalb wäre ein we nig mehr Fantasie als pure Repression in der Sicherheitsfrage gefragt. Und in der medialen Übersetzung würde ein ruhigerer, nachdenklicherer Ton gut tun. Letzte Frage: Wo ist dein Platz im Stadion? Auf der Pressetribüne, wo sonst? Und wenn ein freies Wochenende ansteht, kann ein Fussballspiel ohne Stift und Block ein Genuss sein. So denn die Familie einverstanden ist mit diesem Freizeitvergnügen. Die Basler «TagesWoche» erscheint seit Oktober 2011 täglich online (kostenlos) und jeweils am Freitag als Druckausgabe (CHF 5.–) und strebt «hochwertigen und vertiefenden Journalismus» an.
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PRESseschau
Die wilden Siebziger
Flaschenwürfe, Platzstürme und Raketen … gab es früher nicht? Unsere Sammlung von Zitaten aus der Zeitung «Sport» zeigt, dass sich Schweizer Fussballfans bereits vor vierzig Jahren fleissig in zivilem Ungehorsam übten. Zum nebenstehenden Bild vom Cupfinal 1974 zwischen Sion und Xamax schrieb der «Blick»: «Der Weisswein floss nach dem Spiel, die Securitas-Wächter wurden mit Plastikflaschen in die Flucht gebombt, dann mit Fäusten und Fusstritten traktiert. Das Feld gehörte den Fans.» Früher war eben auch ganz wild. Zusammenstellung: Markus Surber / Bild: StAAG/RBA
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«Nach Spielende wurde der Schiedsrichter von Zuschauern tätlich angegriffen. Er wurde von einem Schneeball getroffen, dem vermutlich ein Stein beigemengt war.» 16.03.1970: Fribourg – St.Gallen
t begrüsste «Kleine Minderhei t mit Pfiffen.» af h sc n an tm as G die 06.04.1970: Basel
– YB
«Über 2000 Basler anwesend, von denen 1300 mit dem ‹Meister-Express› kamen. Spielbeginn mit 5 Minuten Verspätung, da sich viele Zuschauer auf der Aschenbahn hinter dem Tor und auch längs der Seitenlinie platziert hatten.» 13.04.1970: FCZ – Basel
«Schandfleck des Cupfinals: (Plastic-)Flaschen flogen nach Zürichs drittem Tor.» 22.05.1970: FCZ – Basel, Final Schweizer Cup
«Heimspiel für Basel, da grosser FCB-Andrang (Zuletzt massenweise an der Seitenlinie, was verurteilt werden muss). Wieder einmal hatten die zahlreichen Basler Anhänger recht, als sie selbst nach dem 0:1-Rückstand ihres Teams weder an Spuk noch an Geister glaubten und dies auch in kaum unterbrochenen, ‹britisch› anmutenden Gesängen kundtaten.» 25.05.1970: Biel – Basel
«Italienische Fans werfen leere und volle Flaschen während des Spiels. Zuschauer überfluten das Feld. Auch der Basler Anhang benimmt sich ungebührlich. Schiedsrichter verlässt unter Polizeischutz das Spielfeld.» 22.06.1970: Basel – Fiorentina, Final Alpencup «Letzte zwanzig Minuten Schlägerei hinter dem FCZTor zwischen Securitas-Wächtern und einer Gruppe von Zuschauern.» 21.09.1970: FCZ – YB
«In der Pause wan derte das Stehplatzpublikum tro tz dringender Bitte des Platzspeakers , das Spielfeld zu schonen, ungerüh rt über den Platz, um sich wieder hin ter dem Tor der Isländer aufzustel len.» 18.09.1970 : FCZ – Akureyri, Alp
encup
«Hervorragende Stimmung im Stadion, viele FCZAnhänger mit Fahnen und Trompeten. Invasion nach Schlusspfiff von Hunderten von Zuschauern, die gegen die Schiedsrichter protestierten.» 28.09.1970: Bellinzona – FCZ
chmal überbordende «Britisch anmutende, aber man n polnischen Ref. ge ge fe Ru oap st Ge al m ei Zw Atmosphäre. pporter (5).» Su ZFC s al ) (6 n te lis na ur Jo r ze Mehr Schwei -Cup
23.10.1970: FC Brügge – FCZ, Uefa
prESsEschaU
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«Fand der FC Basel das Ei des Kolumbus, indem er das Spielfeld gegen die Stehplätze im St. Jakobstadion durch Stacheldrahtrollen ‹absicherte›? Da dringt niemand mehr auf den Platz ein.» 06.11.1970
«Viel Stimmung im Publikum: die Fans des FCZ und Basels rivalisierten sich durch ‹Schlachtgesänge›. Viermal Terrain-Invasion: In Scharen drangen Jugendliche ins Spielfeld ein. Wann endlich bequemt sich der FC Zürich, für einen wirkungsvollen Ordnungsdienst zu sorgen?»
«Ein Zuschauer wollte einen Lausanne-Spieler attackieren und wurde von der Polizei abgeführt. Begeisternde Atmosphäre unter den stark mitgehenden Zuschauern.» 01.03.1971: Breite – Lausanne, Schweizer Cup
17.05.1971: FCZ – Basel
«Luzern hat wegen einer abgefeuerten, gefährlich über das Spielfeld zischenden Rakete Protest eingelegt.» 17.05.1971: Lausanne – Luzern
«Tausende von Baslern waren gekommen, alle engagiert für ihren Eff-Cee-Bee. Dreitausend, vielleicht sogar vier- oder fünftausend. Trommler und Pfeifer auf dem vergilbten Rasen, die Anfeuerungs-Kommandos mit ihren blau-roten Flaggen auf den Rängen gruppiert, FCB-Gesänge, ‹Karli›-Chöre – es war den Zürchern zuviel.»
15.03.1971: GC – Basel
«Fanatiker glaubten, sich nach Spielschluss für einen gegen die Platzelf verhängten Elfmeter ‹rächen› zu müssen, verfolgten das Schiedsrichter-Trio bis auf den Bahnhof und griffen sogar den Spielleiter tätlich an.» 31.03.1971: Wettingen – Grenchen
«Raketen, Eindringen von Jugendlichen aufs Spielfeld nach Schlusspfiff, Steinwürfe gegen Linienrichter, einzelne Flaschenwürfe.» 02.10.1971: Biel – Basel #
«Abstimmung unter den Zus chauern, ob d nächsten Woc as Spiel gege henende am S n Chênois vom amstag oder a sollte, ergab e m in S o k n la ntag ausgetra res Mehr für d 26.11.1973: GC gen werden en Sonntag.» – Chiasso
«Die Klubs können für durch die Nationalliga ausgesprochene Strafen nicht überall den Sünder haftbar machen, denn nicht in allen Kantonen ist das Abbrennenlassen von Raketen untersagt. Ein Anfang wurde in Bern gemacht, wo bei der Stadtbehörde um eine entsprechende Ergänzung der Polizeiverordnung gebeten wurde.» 24.11.1971 «Feierliche Atmosphäre mit Musik und Fahnen, die meisten jedoch in Blauweiss.» 06.11.1972: Bellinzona – FCZ
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«Der Basler und der Winterthurer Platzspeaker hoben mit ihren Ansagen die Stimmung im Publikum. Mangelhafte Platzorganisation auf dem Letzigrund (wie fast immer): Fans aus Winterthur und Basel eilten zur Pokalübergabe und zern trampelten den ohnehin arg strapazierte Rasen – anschliessend trotteten sie nochmals über das Spielfeld.» 13.11.1972: FCB – Winterthur, Final Ligacup
«Spielunterbruch nach Flaschenwürfen aus dem Sektor der Winterthurer Fans nach dem zweiten Tor.» 05.03.1973: FCB – Winterthur «Delsberg-Zuschauer griffen nach Spielschluss den Schiedsrichter und Laufens Spieler an, was zu einem Tumult führte.» 14.03.1973: Laufen – Delsberg, 1. Liga «Neu ist Art. 18: Der Verkauf und die Abgabe von Getränken irgendwelcher Art in Glas- und Metallverpackungen ist für das ganze Verbandsgebiet und sämtliche Vereine des SFV verboten.» 17.03.1973
erden! umzäuntchw s s u m d n den: Der ru ie ig «Letz hat ents r Nationalliga aupt-
de Das Komitee s Letzigrund-H verpflichtet, da ird w h g von minric Zü FC en Umzäunun lid so r ne ei it Ferner ist der spielfeld m e zu umgeben. öh H m 50 itlich und 2, s desten m Spielfeld se zu e ün ib Tr r ringen von Zugang von de n, dass ein Eind keinen er ch si zu ab nach oben so d Wurfkörper möglich ist un Unbefugten un hten können.» Schaden anric 29.06.1973
«Zweimal Invasion von mehreren hundert Jugendlichen (Platzorganisation!).» 26.05.1973: Lausanne – FCB
«Noch rechtzeitig vor de r Fastnacht hat der Schweizer Fussba llverband dem FCL ein Gitter um de n AllmendRasen vorgeschrieben. Fa stnachtsfreudige können also die Suche nach einem geeigneten Sujet einstellen.» 15.02.1974
«Ein Securitas im Spital mit Verdacht auf Rippenbruch, einer von einer ins Stadion geschmuggelten Glasflasche schwer am Kopf getroffen, andere mit Schnittwunden, ein biergetränkter und plastikflaschenübersähter Wankdorfrasen. Die Securitas-Wächter wurden geschlagen, gestossen und angespuckt. Der Pöbel scheint sich nur noch hinter Gittern wohl zu fühlen.» ..: Sion – Xamax, Final Schweizer Cup «Beim Spiel Servette – Zürich vom 25.05.1974 entkam Schiedsrichter Dörflinger nur dank energischem Schutz von Servettes Spielertrainer Jürgen Sundermann und zweier Securitaswächter den aufs Spielfeld eindringenden mehreren hundert Fanatikern. Zehn Minuten vor Schluss war der Ref bei einem Corner mit Steinen, Plastik- und kleinen Schnapsflaschen beworfen worden. Und nach dem Schlusspfiff explodierten verschiedene Knallkörper.» 10.10.1974 «Zwei Spiele Platzsperre gegen Sch affhausen nach schwerem Zwischenfall im Spiel geg en Locarno. Schiedsrichtertrio von Zuschauern beschimpft und mit Schirmen geschlagen.»
28.07.1975: Schaffhausen – Locarno
«Heftige Flaschenwürfe, die zum Teil ihr Ziel nicht verfehlten, beim Verlassen des Rasens der Schiedsrichter.» 22.09.1975: Lausanne – GC
prESseSchau «Etwa 30 Zuschauer sind dem Schiedsrichter-Trio zum Bahnhof gefolgt, wo es zu Handgreiflichkeiten kam.» 28.07.1976: Aarau – Martigny «Busse von 300 Franken für die Grasshoppers wegen vom Schiedsrichter im Rapport festgehaltenen Steinwürfen aus dem Publikum im Spiel GC – Sion.» 28.07.1976 «Schiedsrichter Weber wurde beim Verlassen des Spielfelds durch das Spalier der Polizei hindurch von einem Fusstritt und einem Faustschlag getroffen. Üble Fanatiker, die den Klub einiges kosten könnten.» 25.08.1976: Delsberg – Aurore, 1. Liga «Nach Schluss der Partie Massenschlägerei zwischen Spielern und Betreuern beider Teams, angeblich, weil ein Bieler Spieler einen Zuschauer niedergeschlagen hatte.» 06.09.1976: Audax – Biel, Schweizer Cup
«Flaschenwürfe schwedischer und schweizerischer Fanatiker. Nach dem Spiel wartete eine erhitzte biertrinkende Gemeinde unzufriedener Zuschauer auf den unseligen Pfeifenmann.» 11.10.1976: Schweiz – Schweden
«Petarden und Flaschen aufs Feld nach dem nicht gepfiffenen Elfmeter. Gefüllte Plastikflaschen nach Spielschluss gegen Schiedsrichter geworfen.» 21.03.1977: Lausanne – YB, Halbfinal Schweizer Cup «Es flogen mindestens ein Halbdutzend Büchsen und Flaschen und eine davon traf den FCZ-Pfleger voll am Kopf.» 09.05.1977: Servette – FCZ
fs Feld «Da flog eine Rauchpetarde au r ins und wurde von GC-Spieler Baue Publikum zurückgeschmissen!» 22.05.1978: GC – FCZ
«Ich wurde von einer Kugel am Oberschenkel getroffen, offenbar von einem Zuschauer abgeschossen mit einer Schleuder oder einem Blasrohr.» Pierre-Albert «Gabet» Chapuisat am 26.05.1978 nach FCZ – Lausanne
«Als Schiedsrichter Dörflinger kurz nach der Pause einen Penalty für die St.Galler pfiff, waren gezielt Schneebälle in seine Richtung geflogen, und auch bei anderer Gelegenheit wurden einige GC-Spieler als Zielscheiben missbraucht. Weiter wird das Abfeuern von Knallkörpern und die Invasion des Spielfeldes nach Spielschluss gerügt.»
19.02.1979: St.Gallen – GC
«Die Servette-Spieler Engel und Bizzini wurden durch Steinwürfe aus dem Publikum getroffen.» 27.08.1979: Basel – Servette
ielende das Feld, p S h c a n s n a F ie d rfluteten r wohl nie jung a «Zu hunderten übe w r (e rt a w tz la P n was de ter zu löschen.» um Kuhn zu feiern, h ic L ie d d n a rh e rz wog, ku n Köbi Kuhn gewesen) dazu bs e vo Meisterschaftsspiel x, letzte
ma 27.06.1977: FCZ – Xa
«Wieder einmal musste auf dem Zürcher Letzigrund ein Schiedsrichter durch die Hintertür abziehen und zum Bahnhof gefahren werden. Er hatte die Fans und Spieler beider Mannschaften gleichermassen verärgert, weil er sich dem Niveau des Spiels ‹perfekt› anpasste.» 03.04.1978: FCZ – Servette
«Invasion des Spielfelds nach Spielschluss durch mehrere hundert Zuschauer mit Tätlichkeiten an Schieds- und Linienrichter.» 31.08.1979: St.Gallen – YB «Die nächsten Gitter kommen bestimmt!» 31.08.1979
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ihR im Stadion, ich vor dem TV
Fussball im Stadion verfolgen war gestern. Heute schaut man Spiele doch viel besser am TV, am liebsten inmitten eines bunt gemischten Haufens von Barbesuchern. Ein Plädoyer für Fernsehsport. 54
Text: Benedikt Widmer / Bild: Judith Balla
Seit die Stadien Arenen heissen, bin ich ein TV-Fan. Die Arenen sehen sowieso alle gleich aus, die Fussball-Kneipen hingegen versprühen Individualität. Es sind meine ganz persönlichen Stadien. Meine Fussballtempel sind vielseitig und kreativ. Es gibt keine Plastikbecher fürs Bier, keine PR-getunten Matchprogramme und schon gar keine infantilen Klubmaskottchen. In meinen Stadien gibt es Kunst an den Wänden, alternative Fussballmagazine als Lektüre und Freunde hinter den Zapfhähnen. In meinen Stadien wird niemand ausgeschlossen. Sie sind für alle offen. Rechts erzählt ein Pubertierender mit Stadionverbot seine Räubergeschichten aus St. Gallen, links schwärmt ein Heimwehdeutscher während eines SuperLeague-Spiels unentwegt vom VfL Bochum. Ich mag ihre Geschichten, ich mag die verschiedenen Auffassungen von Fussball. In meinen Stadien gibt es keine durchgestylte Fankurve. Früher, als die Stadien noch Stadien hiessen, sah meine Fussballwelt anders aus. Ich betrieb sogar eine Art KindGroundhopping. Ich sah Jürgen Mohr auf der Allmend, Ivan Zamorano im Espenmoos, Nestor Clausen im Tourbillon, Heinz Hermann auf der Maladière oder Adrian de Vicente im Hardturm. Mit kindlichen Augen bestaunte ich die grossen Flutlichtmasten, die schäbigen Stehrampen und die haarsträubenden Kutten der Fans. In jener Zeit ertönte im Stadion keine drittklassige Klubhymne, es gab keine überdimensionierte Videoleinwand und fast keine Sitzplätze. Die Stadien waren oftmals StehplatzBolzplätze. Und die wenigen teuren Sitzplätze konnte ich mir mit meinem wenigen Sackgeld sowieso nicht leisten. Das war für mich noch Fussball in Reinkultur.
Heysel hat dann leider alles verändert. Die Stadien wurden zu Arenen, der Fussball zu Kommerz. Ich zog mich immer mehr zurück und entdeckte den Fussball am Fernsehen. Es war die Anfangszeit von «Ran – Sat.1 Fussball». Ich verpasste am Samstag keine Folge. Für Besuche in den Arenen blieb keine Zeit mehr. Ich hatte ja alles, bequem nach Hause geliefert. Fussball am Fernsehen ist progressiv. Weder das Foul noch der Einwurf ist gesponsert, jede knifflige Schiri-Entscheidung läuft in der Wiederholung und ein Spiel dauert länger als 90 Minuten. Herrlich, wenn sich nach Spielschluss Experten mit Profilierungsneurose gegenseitig Saures geben. Herrlich, wenn todmüde Spieler verschwitzt den Match analysieren. Und ich mitten drin, vor dem TV. Es gab eine Zeit, da konnte ich die Spiele nur ganz alleine vor dem Fernseher geniessen. Ausgerüstet mit Kugelschreiber und Notizblock kritzelte ich alle interessanten Spielszenen, die vielversprechenden Spieler und die neuen Spielsysteme auf Papier. Und wehe, wenn jemand mein nerdiges Getue störte. Ich ertrug keinen Lärm. Die ganz wichtigen Spiele überspielte ich sogar auf VHS-Kassetten. Mit zunehmendem Alter entdeckte ich die Fussball-Kneipen. Vereinsamen kann man schliesslich später immer noch. Am meisten Spass habe ich, wenn die wenigen Sitzplätze an der Bar bereits besetzt sind und ich im Gedränge vor dem Fernseher stehen muss. Dann kommt das schöne Gefühl der Kindheit auf – ein Stadion ohne Stühle. Für einen Moment sehe ich Jürgen Mohr der Abwehr von Servette enteilen, oder Heinz Hermann mit seinen Engelslocken über den Platz schweben. Heute stört es mich nicht mehr, wenn mir jemand am Tresen ohne die geringste Ahnung den Fussball erklären will. Ich finde es sogar amüsant, wenn mich eine Dame während
der TV-Fan
dem EM-Final Spanien – Italien fragt, wo Cristiano Ronaldo sei. Der müsse auf dem Platz stehen, sei er doch der beste Spieler von Europa. Ich habe während Fussballspielen vor dem TV schon unzählige Leute kennengelernt. Es sind sogar Freundschaften entstanden.
Neulich habe ich mir erstmals ein Spiel am TV mit einer 3D-Brille angeschaut. Das ist eine Sinneserweiterung, die ihresgleichen sucht. Die Tiefe des Raumes bekommt eine ganz neue Bedeutung. Wer geht da noch in die überteuerte Arena? •
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Der unerwünschte
FaN
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Im vergangenen Winter eskalierte beim FC Luzern ein über Jahre schwelender Konflikt zwischen der aktiven Fanszene und der Vereinsführung. Die Auseinandersetzung steht sinnbildlich für das veränderte Verhältnis zwischen Klubs und Kurven in den meisten Schweizer Stadien.
Text: Manuel Feer / Illustration: Roger Zürcher
Die Medienmitteilung vom 10. November 2011 war knapp und kompromisslos: Sollten die Anhänger des FC Luzern in Zukunft nicht auf das Abbrennen von bengalischen Fackeln verzichten, würden Schwenkfahnen und Doppelhalter im neuen Stadion ab sofort verboten. Darüber hinaus machte der Klub auch darauf aufmerksam, dass das «Mass der Toleranz nunmehr erschöpft» sei, dass der FCL nicht mehr bereit sei, dass «eine verschwindend geringe Minderheit von Chaoten und Krawallbrüdern den Ruf des Klubs und das Image der echten Fans beschädigt». Wenig später wurde aus der Drohung Realität. Der Luzerner Fanblock verweigerte daraufhin den Support, und die ansonsten bunte Fankurve präsentierte sich bis zur Winterpause trist und farblos.
Die Posse spielte sich mitten in einer Phase ab, in der eigentlich Begeisterung herrschen sollte. Die neue Arena und solide finanzielle Strukturen sollten den Verein, der sportlich meist unter dem Mittelmass geblieben war, endlich an die nationale Spitze führen. Dazu wurden erstmals grosse Plakatwerbekampagnen geschaltet und mit Murat Yakin ein Trainer verpflichtet, der dem Provinzklub so etwas wie Glamour verleihen sollte. FCL-Präsident Walter Stierli liess dann auch kaum eine Gelegenheit aus, seine Verdienste für Klub und Stadt in den lokalen und nationalen Medien breitzutreten. Doch irgendwie wollte die Aufbruchstimmung nicht so recht beim treuen Anhang in der Fankurve ankommen. Obwohl die Resultate auf dem Rasen ausserordentlich gut
fankurve FCL waren, blieb die Euphorie aus. Yakins unpopuläre Personalentscheide und sein hocheffizienter Resultatfussball wurden nicht überall goutiert. Insbesondere nachdem im vorangehenden Sommer mit dem bodenständigen Rolf Fringer ein echter Sympathieträger und Verfechter des Offensivspektakels aufgrund eines peinlichen Kabinenknatschs mit Präsident Stierli seinen Platz räumen musste. Wenn Fans schweigen Bereits damals befand sich die Luzerner Kurve in ziemlich offener Opposition gegenüber dem Klubpräsidenten. Dessen zuweilen ungeschickt redselige und hemdsärmlige Ausdrucksweise sorgte immer wieder für Kopfschütteln. So geschehen auch im vergangenen Dezember, als Stierli in einem Fernsehinterview dafür plädierte, die Fankurve mit anständigeren Fans auszutauschen. Die Klubanhänger warfen dem Patron danach fehlendes Verständnis für ihre Fankultur vor. Sie sahen in ihm den knallhart kalkulierenden Unternehmer, der auf Kosten der Tradition allzu schnell finanziellen Versuchungen erliegt. An anderer Stelle sparte der Verein wiederum an einer professionellen Öffentlichkeits- und Kommunikationsarbeit, die den Klub immer wieder in peinlichem Licht erscheinen liess. Einige Fans nahmen dies zum Anlass, FCL-Plakate, auf denen vergnügte Menschen den
Besuch der neuen Arena als «Lifestyle» anpriesen, in einer Nacht- und Nebelaktion mit humoristischen Imitaten zu überkleben. Der Klub hatte wenig Verständnis für diese Art von Kritik und bezeichnete den Akt als «Respektlosigkeit». Das Luzerner Fahnenverbot vom vergangen Winter war der bisherige Tiefpunkt im ziemlich zerrütteten Verhältnis zwischen Fans und Klub. Die Massnahme, bei deren Formulierung Stierli im Verwaltungsrat federführend war, wurde vor dem Hintergrund einer öffentlichen Diskussion getroffen, die durch die Vorfälle beim abgebrochenen Zürcher Derby zusätzlich aufgeheizt war. Der Applaus für die kompromisslose und zupackende Haltung blieb dann auch nicht aus. Die regionalen Medien feierten Stierli als Vorreiter gegen das ungehobelte Chaotentum in den Stadien. Zurück blieb eine eher verdutzte Fanszene, die nicht recht begreifen wollte, wie schnell sie vom gern zitierten zwölften Mann zum unerwünschten Haufen Nonkonformisten degradiert worden war. Aufgrund dieser Ereignisse vereinte sich bald der grösste Teil der Kurve in der Opposition gegen den Verein. Die United Supporters Luzern (USL), die vom Verein unabhängige Dachorganisation der aktiven Fans, stellten ihren Support für die letzten zwei Heimspiele bis zur Winterpause gänzlich ein. Eine radikale Massnahme, denn sie widerspricht dem eigentlichen Fanbegriff. Dass leidenschaftliche Anhänger #
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Fankurve FCL den sportlichen Erfolg ihres Klubs den eigenen Interessen unterordnen und der Mannschaft die Unterstützung entziehen, ist ein bemerkenswerter Akt des Ungehorsams, der nicht nur die traditionelle Rollenverteilung in den Stadien auf einen Schlag offenbart, sondern auch auf ein verändertes Selbstbild der Kurven hinweist. Der Autor erinnert sich an seine eigene Gemütslage im gespenstisch leisen Stadion und an Gespräche, in denen langjährige FCL-Anhänger schweren Herzens gestanden, dass sie sich insgeheim eine Niederlage ihrer Mannschaft wünschten, um dem Protest mehr Symbolkraft verleihen zu können. Tschüss Fan, hallo Kunde!
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Der Eklat in Luzern ist keine Ausnahmeerscheinung, sondern steht stellvertretend für eine Entwicklung, die sich in den Stadien der meisten Super-League-Klubs und in diversen anderen europäischen Ligen vollzogen hat. Dies ist insbesondere das Resultat einer Neuformierung und Umorientierung der hiesigen Fanszenen in Richtung der italienischen und südamerikanischen Ultra-Kultur. Besonders betroffen von dieser Entwicklung ist das Verhältnis zwischen Verein und Fans. Hier hat in den letzten zehn Jahren eine deutliche Ausdifferenzierung der Rollen stattgefunden. Während Spieler, Trainer und vor allem Vereinsoffizielle mehr denn je als temporäre Statthalter des Vereins betrachtet werden, seMit archaischer Rhetorik hen sich die Fans zusehends feiern sich die fans als Wächter von Tradition, als eigentliche Seele des Fussballklubs. Mit archaischer RheFarben, Stolz und Treue, während der Verein immer torik feiern sie sich als Wächter von Tradition, Farben, Stolz mehr zum Träger des und Treue, während der Verein kommerzialisierten Fussimmer mehr zum Träger des balls wird. kommerzialisierten Fussballs wird. Diese Abtrennung äussert sich beispielsweise im Vertrieb von selbstproduzierten Fanartikeln, was die Unabhängigkeit der Kurve auch nach aussen markiert. Aus diesem erneuerten Selbstbewusstsein der Fans folgt zwangsläufig ein erhöhter Macht- und Kontrollanspruch in Vereinsfragen. Das ist im Kern nichts anderes als die Forderung nach einer demokratischeren Klubpolitik, aber das schlummernde Konfliktpotenzial ist offensichtlich. Die meisten Schweizer Kurven haben noch mit erheblichen Akzeptanzproblemen zu kämpfen – nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch im eigenen Stadion. So auch in Luzern, wo sich ein grosser Teil des Publikums nicht mit dem Protest der Kurve solidarisierte. Ebenso hatten die Luzerner mit dem lokalen Medienmonopolisten einen starken Meinungsmacher gegen sich, der nicht vor marktschreierischer Polemik zurückschreckte. Dennoch gelang es der Fanszene, sich erfolgreich gegen das Fahnenverbot zur Wehr zu setzen. Die als kleine unverbesserliche Minderheit attackierte Gruppe verfügt also in der Tat über wesentlichen vereinspolitischen Einfluss. Die aktiven Fanszenen der Deutschschweiz sind ausgezeichnet vernetzt und organisiert. Sie rekrutieren sich
aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Milieus und können auf vielfältige Talente zählen. Sie haben sowohl die Fähigkeit als auch das Selbstvertrauen, den Klubs und den Behörden auf Augenhöhe gegenüberzutreten. Die offiziellen Vertreter des Schweizer Fussballs sind auf die Ultra-Kurven angewiesen, denn diese haben im Stadion sowohl optisch als auch akustisch das Zepter übernommen. Die Vermarktung des Produkts Fussball als emotionales Eventerlebnis führt nur über die lautstarken Kurven. Den Repressiven unter den Funktionären und Politikern schwebt hingegen ein anderes Bild in den Stadien vor: Mit Sitzplatzobligatorium und Identitätsnachweis sollen die Zuschauer möglichst nach dem verklärten englischen Vorbild domestiziert werden. Doch wo keine fankulturellen Freiräume vorhanden sind, wo weder Kritik noch Reflexion über die gesellschaftliche Rolle von Fussball-, Fan- und Jugendkultur geäussert wird, wird die Kommerzialisierung des Fussballs bis an ihr Ende getrieben. Die Konsequenz: Der Fan ist nicht mehr erwünscht, ersetzen soll ihn der Kunde. • Manuel Feer, 1987, hat soeben sein Studium in Politischer Ökonomie abgeschlossen. Er schreibt seit 2010 für die FCL-Fanblogs justcantbeatthat.com und allmend-united.org. Im neuen Allmendstadion trifft man ihn auf den Stehplätzen.
KROKOS VS. ULTRAS Nicht nur beim FCL, auch in anderen Vereinen kam es schon zum Zwist zwischen Anhängern und Klubleitung. So drohte zum Beispiel dem rumäni schen ViertdivisionsKlub Steaua Nicolae Balcescu im Jahre 2003 der Ausschluss aus dem Ligabetrieb, nachdem es zu einigen Platzstürmen und Übergrif fen von Fans gekommen war. Um solche Vorfälle in Zukunft ausschliessen zu können, kam Präsident Alexandra Cringus mit einer höchst innovativen Idee auf: Er wollte einen Wassergraben rund um das Spielfeld anlegen, bewohnt von ausgewachsenen Krokodilen. «Das ist kein Witz!», betonte Cringus. «Wir könnten problemlos genügend Krokodile auf treiben und diese mit den Überresten des städti schen Schlachthofs füttern. Der Graben muss nur genug breit sein, damit niemand drüber springen kann. Wer es dennoch versucht, bekommt es mit den Krokodilen zu tun. Damit würde das Problem der Platzstürme ein für allemal gelöst werden.» Nach gewissen Bedenken seitens der Spieler, deren Grätschen durchaus ebenfalls bei den Repti lien enden könnten, plante Cringus genügend Platz hinter der Seitenlinie ein. Und auch die Tierschüt zer konnte er besänftigen, in der er versprach, das Wasser genügend zu heizen. Tatsächlich wurden die baulichen Massnahmen bei der städtischen Behör de eingereicht, auf die Umsetzung wartet man bis heute vergeblich.
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«Was ihr Fans denkt, interessiert uns nicht. Mich interessiert nur verkaufen, dass der Verein Geld kriegt. (…) Ich bin nicht hier wegen euch. Interessiert mich nicht, Euer Ding. Es interessiert mich null. Ich sitze hier, Es geht um Kohle im Fussball.»
weil ihr ein Wirtschaftsfaktor seid. HSV-Präsident Jürgen Hunke, bei einem Gesprächsabend mit Fans im Jahre 1993.
liebt die GeGENtribüne ihre ultras noch?
Auch wenn sich die Berichterstattung stets darauf fokussiert: Fans gibt es längst nicht nur in der Kurve. Auf den Gegentribünen sitzen ebenfalls Tausende mit Saisonabos, von denen kaum je Notiz genommen wird. Sie singen nicht, sie sind nicht organisiert, sie haben keine Stimme. Wir wollten von ihnen wissen, wie sie – die «anderen Fans» – zu den brennendsten Fragen der Fan-Diskussion stehen. Text: David Mugglin / Infografik: André Bex
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Unzählige Menschen, mehrheitlich Männer, strömen alle zwei Wochen in das Fussballstadion des Vereins ihres Herzens. Sie besitzen Saisonabos und sehen sich als treue Fans, die auf der Gegentribüne beste Sicht auf das Geschehen auf dem Platz haben. Auf der Stehtribüne hinter dem Tor befinden sich ebenfalls Fans, mitunter die Ultras. Sie unterscheiden sich in ihren Ausdrucksformen eindeutig von den Anhängern auf der Gegentribüne, deren Support-Equipment bescheidener ist. Lautstarke Anfeuerung kommt von dort nur punktuell. Der Gegentribüne-Zuschauer ist über 30, hat ein Klubtrikot an und sitzt. Aufstehen tut er nur, wenn es ein Tor zu bejubeln gibt oder die Identitätsrufe ihn dazu zwingen («Steht auf wenn ihr … seid»). Er ist der Nicht-Ultra. Die Nicht-Ultras haben ein Die Ultras dagegen beambivalentes Verhältnis zu ihren Ultras. Besonders zeigt stehen fast ausnahmslos aus heranwachsenden Männern sich dies beim streitbarsten im Alter zwischen 15 und Objekt der Fankultur: der 25 Jahren. Fanatismus ist Pyrotechnik. in diesem Lebensabschnitt keine Seltenheit. Gesellschaftliche, problembeladene Variablen können ihm eine zusätzliche Prise Irrationelles verleihen. Doch die Fans haben seit Jahrtausendbeginn auch an ihrer Exklusivität gearbeitet. Im Sog der neuen Stadien mit getrennten Sektoren hat ihr Verhalten Konflikte mit den Nicht-Ultras hervorgerufen, ja gar provoziert. Der Generationenkonflikt ist offensichtlich, die Beziehung hat in den letzten Jahren unübersehbare Risse bekommen. Der Zankapfel schlechthin ist dabei das Abbrennen von Pyro-Material. Als Beispiel für diesen anhaltenden Konflikt zwischen Ultras und Nicht-Ultras der letzten Monate eignet sich ein Blick nach Luzern, wo letztes Jahr auch eine dieser modernen Fussballarenen eröffnet worden ist. Vor dem Europa-League-Spiel Lazio Rom gegen den FC Zürich im letzten November hatte sich ein Fan mit einer
Petarde mehrere Finger weggesprengt. Das mediale Feuer loderte noch immer, da zündeten Luzerner Ultras beim Auswärtsspiel in Thun eine beträchtliche Menge Pyro-Material. Von der nationalen Empörung der vorangegangenen Tage angesteckt, blies die «Neue Luzerner Zeitung» zum Frontalangriff gegen die bösen Ultras («Habt endlich den Mut, gegen die dummen Störenfriede aufzustehen! Wehrt euch gegen jene, die unseren Fussball kaputt machen! Wir wollen nicht in Angstzuständen Fussballspiele erleben!») Seitdem vergeht fast kein Monat ohne tendenziöse Berichterstattung im lokalen Blatt. Die Verhältnismässigkeit wird nicht gewahrt, seriös recherchierte Informationen werden kaum vermittelt. Ein Hauch von Hetze weht vom Innerschweizer Monopolblatt in die Region. Dass Medien und Ultras nicht die gleichen Positionen beziehen, ist hinlänglich bekannt. Doch zwischen den Extremen gibt es auch noch die erwähnte Gruppe der NichtUltras, die zwar kaum auffällt, keine kollektive Stimme hat, aber die doch den Grossteil des Publikums ausmacht. Eine kleine Umfrage unter 70 Zuschauern auf der Gegentribüne am Europacupspiel gegen RC Genk in Luzern sowie unter Saisonabonnenten soll die Haltung der heterogenen NichtUltras gegenüber den Ultras etwas konkreter werden lassen. Ärgern sich diese über die eigene Anhängerschaft ebenso wie die «Neue Luzerner Zeitung»? Was ist ihre Haltung zum Zünden von Pyros? Wie sicher fühlen sie sich noch im eigenen Stadion? Was halten sie von der mangelnden Spontaneität der Ultras, die mit ihren Dauergesängen oft den Spielbezug vermissen lassen? Ultras ja, Pyros nein Die Nicht-Ultras – dies vorweg – haben ein ambivalentes Verhältnis zu ihren Ultras. Besonders zeigt sich dies beim streitbarsten Objekt der Fankultur: der Pyrotechnik. Mehr als die
Gegentribüne Hälfte der Befragten würden das österreichische Modell des kontrollierten Zündens an einem definierten Ort und zu einer bestimmten Zeit begrüssen. Fast 10 Prozent erachten eine Liberalisierung des heissen Objekts als zielführend. Über ein Drittel erachtet ein Verbot als notwendig, wobei ein Zehntel die Rechtsprechung anders auslegen würde. Sie sehen im jüngsten Vorschlag der Fanarbeit Schweiz – nämlich jenen, dass nur der Heimverein Strafen aussprechen können soll – die vernünftigste Handhabung. 39 Prozent der Befragten reagieren dagegen immer mit Unverständnis auf das Zünden von Pyros in der Kurve. Aus pekuniärer Sicht ist letztere Reaktion nur logisch, wird doch ihr Verein für dieses Fehlverhalten stets mit Geldbussen vom Schweizerischen Fussballverband bestraft. Der Hälfte der Nicht-Ultras ist ihre eigene Passivität während des Spiels durch das Sitzen und die räumliche Separierung von den Ultras sehr wohl bewusst. Daher kann man die 88,7 Prozent Nicht-Ultras-Voten, die sich nicht am fehlenden Spielbezug der Ultra-Gesänge stören, nur mehr als Konsequenz sehen. Dass die Ultras mit ihren Dauergesängen die Stimmung kaputt machen, wie sich einige Leute beklagen, dieser Ansicht ist man auf der Gegengeraden nicht. Vielmehr halten die Nicht-Ultras die konstante Berieselung für stimmungsfördernd.
Trotz den seit Jahren erhöhten Sicherheitsmassnahmen bei Fussballspielen werde der Besuch eines Super-LeagueSpiels als gefährlich eingestuft, so die oft verbreitete Meinung von diversen Politikern und Medien. Sie verlangen daher weitere Auflagen an die Sicherheit. Dies unterstützt tatsächlich über ein Drittel der Befragten, ein Fünftel aber empfindet die Repression als einziges Instrument für mehr Sicherheit nicht als geeignet. Beinahe zwei von drei Nicht-Ultras erachten den zurzeit betriebenen Sicherheitsaufwand als genügend, ja sogar als teilweise übertrieben. Denn «unsicher» fühlt sich kein einziger der Befragten während eines Matchbesuchs, immerhin 21,3 Prozent fühlen sich aber nur «ziemlich sicher». Die Resultate der kleinen Umfrage bei treuen Anhängern des FC Luzern zeigen auf, dass die Ultras sehr wohl geschätzt werden – wohl auch als Gegenpol zu Typen in Nadelstreifen auf der VIP-Tribüne. Die bunten, kreativen, lautstarken und treuen Ultras sind sehr erwünscht, und die Gegentribüne fühlt sich sehr wohl mit ihnen verbunden. Einzig die PyroFrage mutiert zum Spaltpilz. Liesse sich die Kurve das Zünden von Bengalos zeitlich und räumlich vorschreiben, würden die eingangs erwähnten Risse in der Beziehung wohl bald wieder gekittet werden können. Realistisch ist dieses Szenario jedoch nicht. So «konventionell» funktionieren Ultras nun mal nicht. Exakt hier besteht ja der Generationenkonflikt. •
So sieht die Gegentribüne die Ultras
Nicht repräsentative Umfrage bei 70 Matchbesuchern in der Swissporarena bzw. Saisonkarteninhaber
Wie soll die Handhabung betreffend Pyros sein?
Die Ultras singen fast das ganze Spiel. Oft fehlt der Bezug zum Spiel. Was hältst du davon?
A) gesetzlich erlauben
16.1
9
B) kontrolliertes Zünden, d.h. definierte(r) Zeit & Ort
A) Das stimmt, das nervt gewaltig.
C) Verbot 29
D) Verbot, aber nur der Verein soll Strafen aussprechen können
Wie reagierst du auf das Zünden von Pyros? 22
B) Ist mir egal.
C) Mag sein, doch dank ihnen herrscht Stimmung in der Arena.
Seit Jahren werden die Sicherheitsmassnahmen bei Fussballspielen erhöht. Trotzdem behaupten diverse Politiker und Medien, dass es gefährlich sei, an ein Spiel zu gehen.
9
A) wertschätzend für eine bessere Stadionatmosphäre, gehört irgendwie zum Event dazu
72.6
11.3 53
39
B) erbost und mit Unverständnis 21.3
39
C) gleichgültig, nehme es kaum wahr
Durch die Trennung der Fans in verschiedene Sektoren verhalten sich die Leute auf der Gegentribüne ruhiger als zuvor. A) Nein, wir feuern unser Team an wie zuvor.
16.4
49.2
A) Das zeigt, dass man noch zuwenig repressiv gegen Gewalttäter vorgeht.
14.8
B) Ich denke, dass ein erhöhter Sicherheitsaufwand angebracht ist, aber irgendwann sollten auch andere Massnahmen angewendet werden (bspw. Prävention).
47.5
D) Ich finde nicht, dass es gefährlich ist an ein Fussballspiel zu gehen. Der Sicherheitsaufwand ist teilweise übertrieben.
C) Der Sicherheitsaufwand ist genau richtig.
Fühlst du dich an einem Heimspiel sicher?
50.8
B) Doch das stimmt, durch die räumlichen Trennung und das Sitzen sind wir passiver geworden.
78.7
A) Ja, absolut
21.3
B) Ziemlich sicher
0 0
C) Eher unsicher D) Sehr unsicher
Alle Angaben in Prozent
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Dachzeile
62
FC Sion – Servette FC 1965 Bild: Keystone
Dachzeile
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Grasshopper Club Zürich – FC Zürich 2011 Bild: Valeriano Di Domenico/freshfocus
die KURve des HerRn
Männlichkeitsreservate Kämpfen, Einsatz und Treue – die Fankurve baut wie viele Männerbünde auf die ritterlichen Ideale. Damit hinkt sie eigentlich den Zeichen der Zeit hinterher und erweist sich als äusserst hartnäckig männlich. Ethnografische Anmerkungen zum Fussball als Rückgriff auf die «gute alte» Männlichkeit. Text: Almut Sülzle / Illustration: Yael Textor
64 Fussball ist Männersport, und Fussballfans sind normalerweise männlich. Mit Fussballfans wird Grölen und Saufen, Kameradschaft und Gewalt assoziiert. Zumindest für manche Fans ist das Stadion der letzte Ort, an dem sie echte Männlichkeit – was auch immer das sein mag – leben können. Kurz: Fussball ist eine Männerwelt. Nicht so sehr die zahlenmässige Überlegenheit männlicher Fussballfans (70 bis 80 Prozent), sondern der Mythos, die Geschichte und die kulturelle Rolle des Fussballsports sind der Grund für die männliche Konnotation des Stadions. Fussball und Fankultur sind nicht Abbild oder Spiegel der Gesellschaft, was in soziologischer und ethnologischer Literatur über Fussballfans oft behauptet wird. In der Folge von Klaus Theweleits Buch «Tor zur Welt» ist die Betrachtungsweise «Fussball als Realitätsmodell» wieder verstärkt in den Feuilletons sowie im Politik- und Wirtschaftsteil grosser Zeitungen aufgetaucht und hat die Mode aufleben lassen, gesellschaftliche Veränderungen als Folge fussballerischer Entwicklungen zu diskutieren. Theweleit hat dazu eine «Regel» aufgestellt: «Wer mitbekommt, was sich im Fussball wann und wie verschiebt, ist über andere Gesellschaftsbereiche osmotisch informiert.» Schon allein der geringe Anteil an Frauen und der noch geringere an Ausländern und offen Homosexuellen im Publikum spricht gegen die Gleichsetzung von Stadion und Gesellschaft. Andere, etwa der Psychologe Matthias Marschik, beschreiben den Fussball als «Rückzugsgebiet» und «Reservat scheinbar ungebremster Maskulinität», in dem gesellschaftliche Veränderungen zumindest kurzfristig keine Wirkung zeigen. Zugleich stellt er fest, dass Fussball aufgrund seiner Massenpopularität ein Ort ist, an dem gesellschaftlich wirksame kulturelle Vorstellungen geprägt werden. Fussball ist also ein Teil (und sicher nicht der
fortschrittlichste) der Gesellschaft und mitnichten Abbild des gesellschaftlichen Ganzen. Dieses «Reservat», das Bild des Stadions als eine Reservation, ein Schutz- und Rückzugsraum für überkommene Männlichkeitsvorstellungen, erfreut sich in der Literatur über Fussballfans grosser Beliebtheit. «Reservat» steht aber im Kontrast zu Beschreibungen der Fussballwelt als «Männerdomäne», «Männerbund» oder «Männerbastion». Denn diese Bezeichnungen vermitteln Dominanz: Da stehen die Männer in ihrer eigenen Welt unverrückbar im Zentrum und verteidigen sich heldenhaft gegen Angriffe von aussen, also z. B. gegen Frauen oder andere weibliche Einflüsse. Ein Reservat hingegen ist ein künstlich geschaffener, eingegrenzter Ort, an dem eine bestimmte Spezies vor dem Aussterben beschützt wird. Nun sind Männer ja nicht selten, aber die Formen hegemonialer Männlichkeiten entfernen sich immer mehr von der im Fussball zelebrierten proletarisch-körperlichen Männlichkeit. Der konforme Fan Die Metapher «Reservat» im Zusammenhang mit Menschen löst Assoziationen aus: Indianerschutzgebiete, Menschengruppen, die durch das Fortschreiten der westlichen Zivilisation vom Aussterben bedroht sind und Gebiete zugewiesen bekommen, mit Zäunen drum herum, bei denen nicht klar ist, wer vor wem geschützt werden soll. Bilder von Hoffnungslosigkeit, von Entwurzelung und Zwangsumsiedlung, ein Abdrängen an den gesellschaftlichen Rand und Perspektivlosigkeit, die im Alkohol ertränkt wird. Indianerreservate sind – innerhalb der Vorgaben des sie umgebenden Nationalstaates – selbstverwaltet, und auch Fankurven #
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haben ihre eigenen Regeln, deren staatliche Anerkennung als Sonderrechte jedoch fehlt. Insbesondere das staatliche Gewaltmonopol wird von Fussballfans – wenn auch zumeist in ritualisierter Form – infrage gestellt. Fankultur wird als etwas Schützenswertes dargestellt, das durch die Kommerzialisierung des Fussballs existenziell bedroht ist, darin sind sich Feuilletonschreiber, fussballaffine Wissenschaftler und Stehplatzpublikum einig. Mit ihrem Verhalten hinken die Fussballfans zumindest nach Ansicht des FAZ-Korrespondenten Dirk Schümer auf mehreren Gebieten den Zeichen der Zeit hinterher bzw. verweigern ihnen die Gefolgschaft: «Einen konformeren Die letzte Gruppe, die streng Zeitgenossen als den Fussritualisiertes Verhalten an ballfan gibt es nicht. Überall den Tag legt, sich in farblich sonst hat sich der Mensch festgelegte Trachten hüllt, aus dem angestammten RolWappen und Hymnen pflegt lenmuster des Ständestaaund einen eigenen Code betes befreit. Die Verheissung, nutzt, sind die Fussballfans. jeder könnte ein Individuum werden, hat soziale Zeichen wie Brauchtum, Tracht, Konfession, Dialekt, Heimatbindung zurückgedrängt. Dabei ist im Prozess der Zivilisation eine semantische Leerstelle entstanden, die die Menschen selbst zu füllen haben: Die letzte Gruppe, die streng ritualisiertes Verhalten an den Tag legt, sich in farblich festgelegte Trachten hüllt, Wappen und Hymnen pflegt, einen eigenen Code benutzt und typischen Fangesängen mit einem schlichten, regional differenzierten Brauchtumskanon verpflichtet ist, sind die Fussballfans.» In oft verkürztem Bezug auf die Zivilisationstheorie des Soziologen Norbert Elias wird Fussball gerne als zivilisatorisch zurückgeblieben, bzw. als noch unverfälschte/natürliche Form sozialen Agierens beschrieben und mit Stammesgesellschaften oder Kleinkindern verglichen. Dieselben Beobachtungen lassen sich aber auch als Versuch deuten, sich gesellschaftlichen Anforderungen und Zumutungen zu entziehen und gesellschaftliche Veränderungen zu kritisieren. Trotz dieser Befunde einer bemerkenswerten Veränderungsresistenz der Fussballfankultur lassen sich sowohl auf dem Platz als auch auf den Rängen Veränderungen im Bezug auf Geschlecht beschreiben: 1. Für die männerbewegte Linke wie für die Schwulenbewegung war die Ablehnung von hegemonialer Männlichkeit lange Zeit synonym mit der Ablehnung von Fussball. Diese Gleichsetzung gilt heute nicht mehr. 2. Das Interesse an Fussball ist nicht mehr exklusiv männlich: Gerade die Nationalmannschaften – besonders bei grossen Turnieren – ziehen immer mehr auch das Interesse von Frauen auf sich, auch in den Stadien nimmt der Anteil an Zuschauerinnen immer weiter zu. 3. Nach den Kommerzialisierungsvorstellungen der Vereinsmanager soll der Fussball ein familienfreund-
liches Ereignis werden – weg vom proletenhaften Stehplatzpublikum, hin zu einem zahlungskräftigen Eventpublikum. Mit den dafür notwendigen neuen Stadien werden Frauen als Zuschauerinnen erstmals angesprochen und wahrgenommen. Doch die Fussballfankultur erweist sich als äusserst hartnäckig männlich, der Konnex Fussball und Männlichkeit wird nicht infrage gestellt. Kann es also sein, dass die verkörperten traditionellen und an militärischen Werten orientierten Männlichkeiten ein wichtiger Faktor für Fussballfans (Frauen wie Männer) sind? Die Historiker Fabian Brändle und Christian Koller sehen etwa im Fussball «einen Sport, der in verschiedenen Bereichen ganz ausgeprägt von der Zurschaustellung von Männlichkeit lebt» –, und ich möchte hinzufügen, dass die Schausteller weniger auf dem Feld, sondern mehr auf den Rängen zu finden sind. Männerbünde definieren sich zuallererst durch den Ausschluss von Frauen und haben das Ziel, die gesellschaftliche Vorherrschaft von Männern aufrechtzuerhalten. Die emotionale und auch affektive Involviertheit von Fussballfans ist auf den ersten Blick im Stadion ersichtlich und so präsent, dass oft davon gesprochen wird, Fussball sei «der einzige Ort, an dem Männer Gefühle zeigen können». Die hierarchische Organisation der Fankultur zeigt sich dabei in den starr geregelten Wegen, wie ein Anhänger in der Kurve aufsteigen kann – bis zum Capo. Die österreichische Politikwissenschaftlerin Eva Kreisky beschreibt es so: «Männerbünde haben eigene Verkehrsformen, Wertmassstäbe und Denkfiguren: Treue, Ehre, Gefolgschaft, Gehorsam, Unterwerfung. Männerbünde bedürfen der Aura des Geheimnisvollen. Initiationsriten, Zeremonien, magische Techniken und Sprache ‹verbinden›. Künstliche Feindbilder schweissen – trotz aller internen Differenzen und Gegensätze – zusammen.» Das vordergründige Feindbild im Fussball ist selbstverständlich der «andere» Verein, an Riten und Zeremonien herrscht in den Fangruppierungen kein Mangel, man denke nur an gemeinschaftliche Gesänge und Bewegungsabläufe oder Formen individuellen «Aberglaubens», wie etwa die Vorstellung von Fans, ein bestimmtes Kleidungsstück, in bestimmter Weise getragen, könne der Mannschaft zum Sieg verhelfen. Auch die vielen Männerbünden eigene Abwertung und Ausgrenzung alles Weiblichen ist im Fussball deutlich zu erkennen, zum Beispiel wenn schlechte Spieler als Mädchen oder Sissis beschimpft werden. Bier auf weisser Hose Die Ideale, auf die sich die Fankultur beruft, sind die ritterlichen: Kämpfen, Einsatz und Treue. Ein echter Fan ist immer für den Verein da. Dafür verlangt er als einzige Gegenleistung den Einsatz und Kampfeswillen der Mannschaft zu sehen und zu spüren. Die Spieler müssen ihr Letztes geben, dann ist es zweitrangig, ob sie gewinnen oder verlieren. Ein echter Fan lebt für den Verein und für die Fankultur in selbstloser Aufopferung. Kameradschaft untereinander
die KURve des HerRn wird gross geschrieben, und die Fanblocks unterschiedlicher Mannschaften konkurrieren um den besten Support und die beste Choreografie auf den Rängen. Diese Ideale werden von Frauen und Männern gleichermassen geteilt. Oder anders ausgedrückt: Wer diese Ideale teilt, ist ein echter Fan, egal ob Mann oder Frau. Die Einteilung in «echte» und «nicht echte» Fans wird innerhalb der unterschiedlichen Fankulturen sehr wichtig genommen. Das auch von den (noch) nicht «Echten» geteilte Idealbild des Fussballfans wird gerade durch die Anerkennung auch der «Unechten» unumstösslich. Sicherlich zählt sich von den zahlenden Zuschauern nur ein kleiner Teil zu den wirklich «echten» Fans, selbst im Fanblock halten viele diesen Titel für zu viel der Ehre für sich selbst. Der «echte Fan», eine Form von dominanter Männlichkeit, die zwar viel beschrieben, aber selten genau so von Einzelnen gelebt wird, lebt durch die permanente Wiederholung in der Beschreibung, die fast schon einer Beschwörung gleicht. Auch Sexismus spielt für den Rekurs auf die Männlichkeitsvorstellungen in der Fankultur eine grosse Rolle. Im Stadion kommt er in vielfältigen Formen und auf verschiedenen Ebenen vor, von Bildern bis zu den Texten der Fangesänge. Frauenfeindlichkeit und Sexismus sind gar wichtige Bestandteile der Fankultur. Trotzdem bewegen sich nicht wenige Frauen mit Freude in diesem Umfeld. Die meisten davon haben eher ein Problem damit, wenn Geschlechtsgenossinnen «in weissen Hosen in den Fanblock kommen und sich dann darüber beschweren, wenn jemand Bier drüber spritzt». Mit der Ablehnung von zickiger Weiblichkeit wird im Gegenzug der Sexismus der Männer verniedlicht. Sexismus gehört – wie Saufen und Ungerechtigkeiten dem Schiedsrichter gegenüber – zum Fussball dazu. Indem die Frauen dies anerkennen, können sie sich selbst als Insiderinnen zu erkennen geben. Nicole Selmer schreibt es in ihrem Buch «Watching the Boys Play» so: «Wenn du als Frau auf der Tribüne die Männer neben dir wegen sexistischer Sprüche kritisierst, dann kann das eine Aufkündigung deines Fanstatus sein, der Ausstieg aus dem Boys’ Club, in den du doch gerade erst aufgenommen wurdest. Und das womöglich, um sich mit einem Cheerleader-Mädchen zu solidarisieren, deren Anwesenheit im Stadion dir eigentlich selbst auf die Nerven geht. Ist es das wirklich wert? Als emotional beteiligter Fan beim Fussball zu sein, verändert nicht nur die Wahrnehmung der Berechtigung von gelben Karten, sondern auch die Sensibilität gegenüber sexistischen Sprüchen.» Die Erdung der Männer Fussball, diese Ansicht teilen Frauen und Männer in den Fankurven, ist Männersache. Sie gehen davon aus, dass das auch so bleibt und auch gut so sei. Dennoch will das Männlichkeitsbild beim Fussball – die dort vertretenen Werte, die Formen des Sexismus, das Laute, Chaotische und Gewalttätige – zum ausserhalb vorherrschenden Bild der Männlichkeit passen. Diese wird eher durch Finanzfachmänner oder (Wissens-)Manager repräsentiert, deren Wertekosmos fernab der Fussballfankultur liegt. Das gilt aber nur auf den ersten Blick.
Bei näherem Hinsehen entpuppt sich eine bemerkenswerte Tendenz zur Verbrüderung mit dem Fussball. Politiker und Banker kokettieren im Stadion mit ihrer Volksnähe, Feuilletonisten und Professoren der Sozial- und Naturwissenschaften beweisen durch Fussball-Faktenwissen ihre Menschlichkeit. Eva Kreisky verweist auf den sozialen Ort Fussballplatz, auf dem sich Politiker gerne zeigen, «indem sie sich als ganz normale Männer geben, die – wie eben andere Männer auch – auf den Fussballplatz gehen. Über dieses männliche Zusammengehörigkeitsgefühl wird die Illusion genährt, dass die politische Klasse eigentlich gar nicht so fremd und sozial abgehoben ist.» Auch hier dient Fussball der «Erdung» von Männern, als Rückgriff auf die «gute alte» Männlichkeit in der «guten alten Zeit», als vermeintlich noch klar war, was genau Männlichkeit ist, und als Männer-Orte noch ganz frei von Frauen waren. Fussball, Autos, Militär und Technik – das war einmal wahrhaft männlich. Und selbst die hartgesottenen Fans aus der Kurve verhalten sich im «richtigen Leben» anders als im Stadion, die Wochenendausflüge nehmen auch sie als Sonderwelt mit eigenen Regeln wahr. Insofern ist der Begriff «Reservat» gar nicht so unzutreffend. Er leitet sich vom lateinischen «reservare», also aufbewahren, ab. Das Stadion wird damit zum Ort der Vorratshaltung von Männlichkeit und Fussball zur Notration an Männlichkeit, eben «die Pille für den Mann», wie es die ARD-Sportschau in ihrer Eigenwerbung zum Saisonstart 2005/2006 auf den Punkt brachte. Sind Fussballfans also Ewiggestrige? Oder ist es nicht vielmehr so, dass Fussballfans sich ihre Fussballmännlichkeit nur für diesen Ort aufbewahren, sie nur dort anlegen und eben nicht prinzipiell rückständig, sondern eher partiell rückwärtsgewandt sind? Die heutigen dominanten, offensichtlich vielfältigeren Männlichkeiten können qua Fussball Rückgriffe auf traditionelle Männlichkeitsvorstellungen vollführen. Und so komme ich nun zu der nicht mehr überraschenden These, dass Fussball unter anderem dazu dienlich ist, beliebig widersprüchliche Dinge, Menschen, Bilder und Verhaltensweisen männlich zu machen. Schon eine geschickt eingesetzte Fussballmetapher genügt für ein männerbündisches Augenzwinkern über alle Milieus hinweg, und es darf sogar manchmal eine Frau sein, die zurückzwinkert. • Almut Sülzle ist Ethnologin und Geschlechterforscherin. Sie hat zu Fussballfankultur und Männlichkeiten promoviert und ist Mitarbeiterin im Berliner Archiv der Jugendkulturen. Von ihr erschien 2011 das Buch «Fussball, Frauen, Männlichkeiten. Eine ethnologische Studie im Fanblock» (Campus-Verlag).
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PROFESsor in der kurve
Lange Zeit interessierte sich die Forschung kaum für die Schweizer Fankurven. Zu unbedeutend war die Szene, zu irrelevant das Thema. In jüngster Zeit werden die Fans nun aber immer öfter zum Inhalt von Studien. Doch das Stadion ist keineswegs das einfachste Betätigungsfeld. Text: Thomas Busset
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In der Schweiz hat sich die universitäre Forschung erst spät ins Stadion gewagt. Aus mindestens zwei Gründen. Erstens wurden sportinteressierte Wissenschaftler im akademischen Milieu schon fast reflexartig in eine niederere Liga versetzt, folglich wagte es kaum jemand, sich zu outen. Einem Kollegen, der sich für eine Professur beworben hatte, wurde etwa vor nicht allzu langer Zeit mitgeteilt, eine Probevorlesung zu einem Sportthema käme einem beruflichen Selbstmord gleich. Diesbezüglich hat sich die Situation zwar mittlerweile etwas verbessert, nachdem die Sportwissenschaft – im breiten Sinne – auf institutioneller Ebene ausgebaut wurde. Doch da ist noch der zweite Grund: Das hiesige Fanwesen wurde in einer breiteren Öffentlichkeit während Jahren kaum Manchmal liegt die Veroder nur gelegentlich wahrsuchung nahe, ein Problem genommen, hauptsächlich einseitig auszuleuchten, weil damit auch die Hoffnung weil die damit verbundenen Probleme nicht so akut wabesteht, neue Forschungsren wie in anderen Ländern aufträge zu ergattern. («an english disease …») und bis zur Jahrtausendwende nur einige Klubs und Städte betroffen waren. Ereignisse wurden isoliert betrachtet und meist rasch wieder vergessen. Da die Fanthematik als nicht forschungsrelevant galt, waren es neben ein paar Auftragsstudien vor allem Diplomarbeiten an Hoch- und Fachhochschulen, die sich damit befassten. Ein kurzer Forschungsbericht In diesem Kontext ist es verständlich, dass es eine besondere Konstellation brauchte, um ein staatlich finanziertes Projekt überhaupt durchführen zu können. In meinem Fall bot das nationale Forschungsprogramm «Rechtsextremismus – Ursachen und Gegenmassnahmen», das 2003 im Auftrag des Bundesrats in Angriff genommen wurde, endlich eine Gelegenheit dazu. Damals war die Vorstellung, dass die Fankurven unter dem Einfluss oder gar der Kontrolle rechtsextremistischer Gruppierungen standen, noch weit verbreitet. In ersten Gesprächen, die unser Team mit Fans durchführten, wurde dies vehement bestritten. Es ging also fortan darum, diese Aussage zu überprüfen. Dazu mussten wir verstehen, was sich damals in den Stadien abspielte und wer die akti-
ven Fans überhaupt waren. Wir haben versucht, diese Fragen insbesondere mittels dichter Beschreibung zu beantworten. So haben wir uns zwangsläufig mit dem Aufkommen und der Verbreitung der Ultra-Bewegung in der Schweiz befasst. Glücklicherweise waren zahlreiche Exponenten bereit, uns ihre Beweggründe darzustellen. Im Nachhinein wage ich zu behaupten, dass unsere Arbeit dazu beigetragen hat, das übliche Bild der rechtsextremistisch unterwanderten Fankurve in der Öffentlichkeit zu korrigieren. So eine Forschung bleibt freilich nicht ohne Schwierigkeiten. So spielt zum Beispiel der Auftraggeber oder der Kontext eine wichtige Rolle. Die Tatsache, dass unsere Studie im Rahmen eines Forschungsprogramms zum Rechtsextremismus stattfand, hätte ungewollt dazu führen können, dass das Bild der faschistischen Fankurve aufrechterhalten wird. Wir wollten allerdings wissen, ob es denn nicht auch eine gegenläufige Bewegung gibt. Deshalb haben wir entschieden, uns nicht ausschliesslich mit Gruppierungen mit Rechtsdrang auseinanderzusetzen. Daraus ergab sich die zentrale Forschungsfrage: Was im Selbstverständnis und in den Anliegen der Fans kann erklären, dass sie von extremen Positionen angezogen oder abgestossen werden? Wir kamen zum Schluss, dass der Einfluss der rechtsorientierten Gruppierungen stark im Abnehmen begriffen war. Nach Abschluss des Projekts wurde ich allerdings das Gefühl nicht los, dass man sich seitens der Programmleitung doch etwas mehr Rechtsextremismus im Stadion erhofft hätte. Aber dies auch nur zu erwähnen, käme einer Unterstellung gleich. Manchmal liegt die Versuchung nahe, ein Problem zu verschlimmern oder einseitig auszuleuchten, weil damit auch die Hoffnung besteht, neue Forschungsaufträge zu ergattern. Gewisse Themen bieten dafür bekanntlich einige Garantien. Anlässlich einer Veranstaltung zum Thema Doping erzählte mir eine Kollege kürzlich, er habe im Rahmen eines Forschungsauftrags die Problematik entschärft, mit dem Risiko, dass seinem Institut damit ein Nachfolgeauftrag entgehen könnte. Dieser hätte womöglich einem jungen Forscher eine Anstellung bieten können. Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, dass der Forscher von seinen Informanten abhängig ist. Es war uns bewusst, dass einige Interviewpartner die Gelegenheit nutzen wollten, um uns ihre Sicht der Dinge kundzutun und uns gewis-
FORSCHER IM STADION sermassen als Sprachrohr zu benutzen. Die Kontaktaufnahme, das Vorgespräch (wer sind wir, was wollen wir etc.) und das vertiefte Interview führen zu einer Nähe, die einer kritischen Auseinandersetzung mit dem besagten Thema nicht förderlich ist, Methodenhandbuch hin oder her. Eine Vorsichtsmassnahme lag deshalb darin, die Analyse nicht nur von den Leuten durchführen zu lassen, die beim Gespräch anwesend waren. Heute wird verschiedentlich behauptet, die Bereitschaft der Fans, an Studien teilzunehmen, habe abgenommen. Dass dies stimmt, kann ich nicht bestätigen. Allerdings stelle ich fest, dass von Fans und Leuten, die sich ihnen nahe fühlen, erwartet wird, dass sie die Fananliegen und die Fankultur – was auch immer damit gemeint ist – verteidigen. Dies sollte man von Forschern nur bedingt erwarten. Vielmehr versuchen sie, die Problematik mit ihren Mitteln zu analysieren und zu verstehen. Deshalb hatte ich auch etwas Mühe mit der Unterschriftensammlung in deutschen und österreichischen Forscherkreisen, die das negative Bild der Fans in der Öffentlichkeit beklagten. Vielleicht würde ich anders darüber denken, wenn man mich um eine Unterschrift gebeten hätte. Ein weiterer Problempunkt, den ich erwähnen möchte, betrifft die von uns verwendeten Wörter. So haben wir zum Beispiel in unseren auf Französisch verfassten Texten von «supporters militants» gesprochen, um die aktiven Fans allgemein zu bezeichnen. Der Begriff wurde dann in einer Medienmitteilung auf Deutsch mit «militanten Fussballfans» übersetzt. Nun ist es allerdings so, dass der Begriff in beiden Sprachen eine unterschiedliche Bedeutung hat. Während die Militanz in der französischen Sprache ein vehementes, aber meist gewaltloses Eintreten für eine Sache bezeichnet (wenn es rasch gehen muss, behelfen sich auch Forscher mal mit Wikipedia), wird sie im Deutschen mit einem aggressiven oder gar gewalttätigen Handeln verbunden. Im französischen Sprachraum ist der Begriff neutral oder gar positiv behaftet, im deutschen hingegen negativ. Dies zeigt wieder einmal, wie wichtig klare Definitionen sind. Aber auch, dass man manchmal die Kontrolle über Gesagtes oder Geschriebenes verlieren kann. Gerade deshalb finde ich es in der Schweiz gewinnbringend, in den verschiedenen Sprachregionen mit Leuten verschiedener Arbeitssprachen zu arbeiten. Und so rege ich mich auch immer wieder über das primitive Wissenschaftsenglisch, welches man uns aufzwingt, auf. Schliesslich singt Endo auch nicht auf Englisch.
«Hooligans» und «Ultras» in Erinnerung gerufen. Auch die Liturgie mit den heiligen Utensilien Tifo, Choreo und Pyro darf nicht fehlen. Und so weiter. So stellt sich zwangsläufig die Frage, ob es zum Thema denn überhaupt noch etwas zu forschen gibt. Die Antwort lautet eindeutig Ja. Denn, was oben beschrieben wurde, ist nur die berühmte Spitze des Eisbergs. Sie glänzt und zieht das Auge an. Aber bekanntlich befindet sich das Wesentliche unter der Oberfläche. Dorthin sollte der Forscher tauchen, auch wenn es nicht allen gefällt. So müsste beispielsweise die Vernetzung zwischen UltraGruppierungen verschiedener Klubs einmal einer vertieften Studie unterzogen werden. Weiter frage ich mich, inwiefern sich die weiteren Fans, die sich in der Kurve aufhalten, mit den Aktivitäten des Ultrakerns identifizieren. Mehr möchte ich aus verständlichen Gründen nicht verraten. • Thomas Busset ist Sportsoziologe und Gewaltforscher am Centre international d’étude du sport (CIES) der Universität Neuenburg.
Lesetipp Thomas Busset: «L’Émergence du supportérisme violent en Suisse». In: Bancel, Nicolas/David, Tho mas/Ohl, Fabien (Hrsg.): Le Football en Suisse. Enjeux sociaux et symboliques d’un spectacle uni versel. Neuenburg: Éditions CIES, S. 151–167, 2009.
Buchhandlung im Volkshaus Stauffacherstrasse 60 8004 Zürich Telefon 044 241 42 32 Telefax 044 291 07 25 www.volkshausbuch.ch info@volkshausbuch.ch
Literatur, Politik Feminismus, Fussball
von Arendt bis Zidane
Wie weiter? Beim Lesen der unzähligen Bücher und Zeitschriften, die im deutschen Sprachraum erscheinen, fällt auf, dass viele Autoren, die sich mit der Thematik befassen, stets dasselbe betonen. Gelegentlich werde ich von Journalisten angefragt, etwas Gescheites zum Fanwesen zu sagen. Meist wird aber erwartet, dass ich das mitteile, was ohnehin jeder schon weiss. Jedoch wirkt es im Zeitungsartikel als Zitat zwischen Gänsefüsschen einfach besser und unterstreicht die Seriosität des Autors. Stets wird die Unterscheidung zwischen
Bei uns ab 6.10. 2012 auch die Neuerscheinung Michael Lütscher: Meister! Burgermeister! (CHF 35.00)
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aufStieg aus der
BRuCHBUDe
Der FC St.Gallen steht sinnbildlich für wiederkehrende Erfolglosigkeit und Finanzmisere. Gleichzeitig beweisen die zahlreichen Fans grenzenlose Leidensfähigkeit – auch im neuen Stadion. Aber kann die neue Arena die grenzenlose Liebe der Anhänger überhaupt erwidern? Persönliche Beobachtungen und Einschätzungen eines langjährigen Fans. Text: Daniel Kehl / Illustration: Roger Zürcher
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1964 steht der FC St.Gallen am Tiefpunkt seiner Vereinsgeschichte: Er dümpelt in der ersten Liga im hinteren Mittelfeld. Und dennoch bewegt der FCSG die Fussballfans der Ostschweiz. An einem Sonntag fährt Vater mit mir aus der Stadt St.Gallen hinaus zum Derby nach Widnau, wo auf Erdwällen mehr als dreitausend Einheimische gespannt auf die Favoriten warten. In einer Vorschau hatte sich ein junger St.Galler Journalist über die unkultivierten Holzhacker aus dem Rheintal lustig gemacht. Widnauer Radaubrüder machen den Schreiberling aus der Kantonshauptstadt im Publikum aus und verprügeln ihn. Der FCSG gewinnt schliesslich nur mit Mühe. Es war unser erstes Auswärtsspiel, und es hatte bereits alles, was unser Verhältnis zum FC St.Gallen prägen sollte: riesige Hoffnungen, plötzlicher Ärger und langes Warten. Dennoch hätte ich mir keine bessere Zeit mit dem FCSG aussuchen können. Denn 1965 führte der deutsche Spielertrainer Otto Pfister den Verein zurück in die Nati B. Und 1969 gewann der FCSG als NLA-Rückkehrer dank Toren des ehemaligen Bayern-Stars Rudi Nafziger den ersten Cupsieg. Fast fünfzig Jahre sind seither vergangen. In dieser Zeit stieg der FC St.Gallen drei Mal ab, ging mehrmals fast Konkurs, gewann im Jahr 2000 die Meisterschaft und feierte gegen Chelsea den grössten internationalen Erfolg. Kürzlich wurde in St.Gallen wieder einmal über die Rückkehr in die Nati A gejubelt – mit dem Spruch «Tradition verpflichtet». «Wozu eigentlich?», möchte man den Verantwortlichen im Klub zurückrufen. Denn es war nicht der sportliche Erfolg, der die Treue der Zuschauer in St.Gallen begründete. Und mit dem Alter des Klubs allein wäre die Faszination des Vereins ebenso wenig zu erklären. Worin besteht also das Erbe des FCSG und weshalb haben ausgerechnet die Grünweissen alle anderen Vereine in der Ostschweiz überflügelt? Das Geheimnis liegt im alten Espenmoos. Das Stadion versöhnte in seiner Enge und Baufälligkeit die Stadt und ihr Umland. Es war der Ort, wo sich Mitte der 70er-Jahre ein zunächst behäbiges und zurückhaltendes Publikum innert weniger Jahre verwandelte – bis aus dem Espenmoos ein gefürchteter Hexenkessel wurde. Es waren die intensivsten, weil
vorher undenkbaren Siege vor über elftausend Fans: das 6:0 gegen YB mit Karl Odermatt, das 2:1 gegen das übermächtige Servette im goldenen Herbst 1978. Es war der Anfang jener Tradition, auf die der Klub heute verweist. Der FC St.Gallen wurde im Rest der Schweiz zum Synonym für übergrosse Emotion im Fussball. Dass sich dieser Ruf ausgerechnet dem Mangel verdankt, der geografischen Randlage und der finanziellen Enge, das geht in der Euphorie und dem oberflächlichen Bekenntnis zur Vergangenheit unter. Zu gerne würde man ein Stück guter Tradition und ein wichtiges Element für den damaligen Aufschwung wiederholen: den schlauen und preisgünstigen Zuzug erstklassiger Vorarlberger Fussballer wie Gerry Ritter und Martin Gisinger, die in der Schweiz dank des Grenzgängerstatuts nur beim FCSG spielen durften. Lange konnte sich in St.Gallen niemand vorstellen, diesen erinnerungsträchtigen Ort Espenmoos aufzugeben. Doch die Veränderung des Fussballs, die immer grössere finanzielle Abhängigkeit von Werbung und Sponsoren und die Drohungen des FCSG-Präsidiums («Sonst ist Lichterlöschen!») führte zusammen mit der Meister-Euphorie zum Meinungsumschwung in der Öffentlichkeit. Nicht zuletzt dank der hundertfach wiederholten Behauptung, dass Fussball in einem neuen Stadion im Wohnquartier Espenmoos und ohne Mantelnutzung in Zukunft unmöglich wäre. Jenseits der Stadtgrenze «Die Stadt zieht um!» – In St.Gallen verstehen viele den Scherz sofort: Zur Unterscheidung vom langjährigen Rivalen SC Brühl nennen ältere Fussballfans den FCSG noch immer einfach «die Stadt». 2008 verlegte ausgerechnet diese dann ihr Heimstadion vom Espenmoos gut zehn Kilometer westwärts ins Industriegebiet Winkeln. Für Stadt-Sankt-Galler war dies mehr ein emotionales als ein geografisches Problem. Denn die Anreise vom Hauptbahnhof mit der S-Bahn dauert zwar nur fünf Minuten, aber der Standort der neuen AFG-Arena bedeutete auch den Abschied des FCSG aus dem eigentlichen Stadtgebiet auf die andere Seite des Sittergrabens. Gossau und
fankurve FCSG Herisau sind von dort näher als der St.Galler Marktplatz. Und statt im Wohnquartier Heiligkreuz am Ostrand der Stadt, das man zu Fuss oder mit dem Velo erreichen konnte, spielt der Klub heute direkt an der Autobahn, mitten in einem gesichtslosen Einkaufsgeviert, das irgendwo in Europa stehen könnte. Damit vollzog der Klub äusserlich und im Auftritt einen Wechsel, der sportlich trotz aller Turbulenzen längst vollzogen wurde: Der FCSG ist das unbestrittene sportliche Aushängeschild der ganzen Region zwischen Säntis, Bodensee, Rhein und Ricken und genoss lange grenzenlosen Goodwill von höchster politischer und gesellschaftlicher Seite – mehr als jeder andere Sportverein. Entsprechend signalisiert die mächtige Tribünenwand der AFG-Arena allen Autofahrern auf der Durchreise: Dort, wo die Ostschweiz einkauft – dort residiert auch der erste Fussballklub östlich von Winterthur. Übergrosse Erwartungen Seit Herbst 2010 ist vieles anders geworden. Um ein Haar wäre der FCSG am Grössenwahn und der Blindheit der eigenen Leitung zugrunde gegangen. Vielleicht ist die jüngste Geschichte des FC St.Gallen auch einfach ein Lehrstück für den Rest der Schweiz, vor allem für Thun, Sion und Aarau. Neue Stadien schüren hohe Erwartungen. Was dabei oft vergessen geht: Wie kann man den guten Geist und den Charme eines Stadions zügeln? Das Espenmoos lebte von seiner Enge und seiner einzigartigen Akustik. Und es begründete familiäre und freundschaftliche Traditionen. Berner, Zürcher und Basler Fussballfans konnten nach dem Umbau ihrer Fussballarenen zurück an die angestammten Orte und ihre vertrauten Rituale wieder aufnehmen. In St.Gallen trauern viele deshalb der Romantik und der Sinnlichkeit der Bruchbude Espenmoos nach, weil sie im klinischen, neuen Fussballtempel nicht heimisch werden. Und sie sind voller Fragen: Werden fünftausend Zuschauer in der neuen Arena den legendären «Espenroar» noch erzeugen können? Wird die Legende vom einzigartigen St.Galler Fussballpublikum dort auch zwei oder mehr trostlose Challenge-LeagueSaisons überleben? Die Antwort ist ganz einfach: Spielt der FCSG vor ausverkauftem Haus wie kürzlich gegen den FC Basel, dann vermag der Support der grünweissen Fans den weiten Raum in der Arena noch immer zu füllen. Aber die Pfiffe gegen Trainer Jeff Saibene an der jüngsten Aufstiegsfeier haben eine Anspruchshaltung ausgedrückt, wie es sie vor zehn oder zwanzig Jahren
rund um den FCSG noch nicht gegeben hat. Diese Haltungsänderung hat der Umzug vom Espenmoos in die «Scala des Ostschweizer Fussballs» sicher befördert. Auch in St.Gallen denken mittlerweile viele: Ich zahle und will dafür anständigen Fussball sehen. Aber der Klub kann sich nur noch ein Durchschnittsensemble leisten, das diese übergrossen Erwartungen niemals auf Dauer erfüllen kann. Das setzt Klub und Spieler unter Druck, denn anspruchsvolle Fans drohen auch in der Ostschweiz immer schneller mit Liebesentzug. Neue Stadien schüren hohe «Tradition verpflichtet» be- Erwartungen. Was dabei oft deutet deshalb in St.Gallen vergessen geht: Wie kann nichts anderes als finanzielle man den guten Geist und den und sportliche Bescheiden- Charme eines Stadions zügeln? heit, die von der sprichwörtlichen Leidensfähigkeit des grünweissen Anhangs mitgetragen wird: Eine Mannschaft ohne grosse Namen zur Rettung zu schreien – das müsste doch zumindest den älteren Fans der Grünweissen ganz vertraut sein. Es fühlt sich prickelnd an, ganz so wie damals im Dezember 1977 auf dem schneebedeckten Espenmoos, als der Underdog mit 4500 Fans im Rücken den übermächtigen FC Zürich mit den Nati-Spielern Gabet Chapuisat und René Botteron 2:0 bezwang und das «St.Galler Tagblatt» danach euphorisch titelte: «Kampfkraft und Schnee bodigten FCZ-Starallüren.» • Daniel Kehl, 1962, ist Berufsschullehrer, schrieb von 2002 bis 2006 die «Hutter & Mock»-Kolumne im Matchprogramm des FC St.Gallen und hat ein SitzplatzAbonnement auf der Arena-Gegentribüne.
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Höhepunkt des Bilder: StAAG/RBA / zVg
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Lange Jahre war der Pfingstmontag der traditionelle Wallfahrtstag der Schweizer Fussballfans. Im Wankdorfstadion zog der Cupfinal jeweils zehntausende Anhänger der beiden Teams in seinen Bann und war damit meist die einzige ausverkaufte und mit Abstand bestbesuchte Partie der ganzen
Saison. In den über lange Zeit gemischten Fan-Sektoren wurde das Endspiel wie ein Volksfest gefeiert. Für viele war es ein Ritual, den Cupfinal zu besuchen, auch wenn das eigene Team nicht qualifiziert war. Die Aussichten auf ein spannendes, bisweilen wirklich gutes und legendäres Spiel waren
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berechtigt, denn oft hielten die Cupfinals den hohen Erwartungen auch stand. Cupfinal, das hiess: Fans, die zum Teil sogar mit Leitern nach Bern reisten, um ihre Fahnen zwischen den Bäumen zu montieren. Selbst die Mannschaften reisten bis in die er-
Jahre mit dem Zug an, die Sieger wurden bei ihrer Rückkehr von den Massen gefeiert. Und es war auch jener Tag, an dem die Fotografen bewusst ihren Blick auf das Geschehen neben dem Platz richteten. So entstand über die Jahrzehnte eine wunderbare Bildserie über Schweizer Fussballfans.
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Im Uhrzeigersinn: 1967 Lausanne-Fans vor dem Cupfinal gegen Basel, der mit dem legendären Sitzstreik der Waadtländer Spieler enden wird. 1978 Servette-Anhänger ziehen vom Bahnhof durch die Marktgasse zum Stadion ans Endspiel gegen GC. 1979 Genfer Supporter bei der «Platzeinweihung» vor der Partie gegen YB. 1986 Entspannte Walliser vor dem fünften Cupfinal ihres FC Sion, der einen Sieg über Servette FC bringt. 1972 Auch FCB-Fans tummeln sich unter dem Transparent für Timo Konietzka im Zürcher Sektor. Vorherige Doppelseite: 1970 Optimistische Basler auf ihrem Marsch zum Stadion. Ab 1970 kommt es drei Mal in vier Jahren zur Begegnung FC Basel gegen den FCZ, wobei die Zürcher jedes Mal triumphieren.
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Angriff auf die Grundrechte?
Im Kampf gegen «delinquente Fussballfans» werden immer weiterreichende Strafen gefordert. Dies kommt einer juristischen Gratwanderung gleich, denn es werden dabei rechtsstaatliche Grundsätze infrage gestellt. Text: Thomas Gander
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Zur Erinnerung: wurden aufgrund von Sicherheitsbedenken im Hinblick auf die EURO mit der Revision des BWIS (Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit) eine nationale Hooligandatenbank und Massnahmen wie Rayonverbote und Ausreisebeschränkung geschaffen. wurden diese Gesetzesgrundlagen mittels Konkordatsvertrag zwischen den Kantonen auch für den nationalen und lokalen Spielbetrieb übernommen. Bereits sollen sie verschärft werden. Mit dem «Hooligankonkordat» wurde ein verwaltungsrechtliches Instrument geschaffen, das als sogenannt präventive Massnahme auf eine spezielle Personengruppe, die Fans, abzielt. Es stellt sich nun die Frage, ob das Hooligankonkordat wirklich nur präventiven Charakter hat. Ein Fussballfan, der ein schweizweites dreijähriges Rayonverbot im Umfeld von Sportveranstaltungen aufgebrummt bekommen hat, verknüpft mit der Auflage, sich zu bestimmten Zeiten bei einer Amtsstelle – sprich: der Polizei – zu melden, wird dies mit Sicherheit als Bestrafung wahrnehmen. Denn diese Massnahmen stellen einerseits einen massiven Eingriff in die Bewegungsfreiheit des Betroffenen dar und bedeuten andererseits faktisch den Ausschluss aus seinem sozialen Umfeld. «Dies trifft ja den Gewalttäter zu Recht!», wird der Leser jetzt vielleicht konstatieren. Dies muss aber nicht zwingend der Fall sein. Im neuen Konkordatstext, der momentan den Die Strafbehörde ist nicht kantonalen Parlamenten zur in der Lage, Strafen auszuVerabschiedung vorliegt, sprechen, weil sie zu wenig ist ein bis zu dreijähriges Beweise hat. Rayonverbot und eine Meldeauflage selbst für Delikte vorgesehen, die keine gewalttätigen Handlungen im Sinne von Körperverletzungen beinhalten. Beispielsweise wurden Hinderung einer Amtshandlung, Sachbeschädigung, Drohung und der äusserst diffuse Tatbestand Landfriedensbruch in die verschärfte Fassung aufgenommen. Unter Artikel des Konkordates wird somit versucht, möglichst alle Delikte, die im Umfeld von Sportveranstaltungen vorkommen können, als Gewalttätigkeiten zu definieren. Brisant ist ausserdem, dass dem Beschuldigten mit dieser «präventiven» Massnahme sämt-
licher strafprozessualer Schutz (Unschuldsvermutung, Beweispflicht etc.) genommen wird. Eine Aussage reicht, damit ein Fan mit einer Massnahme gemäss Hooligankonkordat belegt werden kann. Der vorliegende Gesetzesentwurf stellt also einerseits rechtstaatliche Grundsätze infrage und outet sich quasi als ein parallel zum Strafrecht geführtes «Sonderstrafrecht». Dies wirft die Frage auf, wieso die vorhandenen zivil- und strafrechtlichen Rechtsquellen nicht ausreichen, um der Gewalt in Fussball und Eishockey Herr zu werden. Wozu genau braucht es ein zusätzliches Hooligankonkordat, das gar in der Kritik steht, die Grundrechte der Menschen in der Schweiz auszuhebeln? Ohne rechtsstaatliche Prinzipien Begründet wird dessen Einführung damit, dass es eine Ergänzung zu strafrechtlichen Mitteln sei. Mit anderen Worten: Die Strafbehörde ist nicht in der Lage, Strafen auszusprechen, weil sie zu wenige Beweise hat. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Polizei im Sinne des (sinnvollen) Verhältnismässigkeitsprinzips meistens auf einen direkten Zugriff auf delinquente Fussballballfans verzichtet. Es wird darauf hingewiesen, dass es sich bei einem Fussballspiel um einen Privatanlass handelt und sich die Polizei deswegen im Stadion zurückhält. Also musste eine Gesetzesgrundlage geschaffen werden, die Fans auf eine «einfachere» Weise vom Fussball ausschliessen kann. Fassen wir zusammen: Der Fussballfan wird heute mit einem Gesetz
rechtSFRAgen konfrontiert, das mit einer sehr weit gefassten Gewaltdefinition seine Bewegungsfreiheit für einige Jahre massiv einschränken kann, ohne dass er auf die üblichen rechtsstaatlichen Prinzipien analog einer Strafverfolgung bestehen kann. Von einem Hooligankonkordat zu sprechen, ist also falsch. Vielmehr wurden Massnahmen und eine Datenbank (Hoogan) geschaffen, die zwar auf gewalttätige Fans abzielen, aber auch den renitenten Fan im Fokus haben. Und genau bei diesem Punkt beginnt der «Teufelskreis», der für die zunehmende Radikalisierung der Fanszenen und der Verfestigung von Feindbildern – woraus heute die meisten gewalt-
tätigen Auseinandersetzungen entstehen – verantwortlich ist. Fan-Sein ist Ausdruck eines Lebensgefühls. Das Herz schlägt für das sportliche Kräftemessen und für die grossen Gefühle, die sich zwischen Sieg und Niederlage abspielen. Ebenfalls eine grosse Rolle spielt die Erfahrung, Teil einer grossen Gemeinschaft zu sein. Für viele Fans ist der Klub nicht nur an Spieltagen, sondern auch während der Woche ein fester Bestandteil ihrer Freizeit. Unrealistische Idealbilder In den Fankurven hat in den letzten Jahren eine starke Werteentwicklung stattgefunden. Begriffe wie Autonomie, Freiheit, Zusammenhalt, Mitbestimmung, Leidenschaft, Kampf etc. sind auf Fanutensilien anzutreffen und werden in sogenannten Kurvenzeitungen ausgeführt. Trotz der apolitischen Haltung, die die Ultra-orientierte Szene in der Schweiz einnimmt, sind klare (gesellschafts-)kritische Statements erkennbar. Fankurven haben sich in den letzten Jahren zu einer eigenständigen jugendkulturellen Bewegung entwickelt. Abweichendes Verhalten, eine kritische Haltung und das bewusste Überschreiten von (gesetzlichen) Grenzen gehören genauso dazu wie szenentypische Merkmale (z.B. ein starkes Wir- und Solidaritätsgefühl, gemeinsame Codes und Normen, ein eigenes Territorium). Auch Gewalt nimmt ihre Funktion ein. Sei es bei der gewollten Auseinandersetzung mit rivalisierenden Fangruppen oder bei der Verteidigung der Gruppe gegen Zugriffe von aussen (z. B. bei Eingangs-
kontrollen). Hier sind heikle Legitimierungsmechanismen und eine Delegation der Verantwortung zu erkennen, die auch von den Fans kritisch hinterfragt werden müssen. Sicher ist, die Fankurven gehen mit unserer gesellschaftlichen Entwicklung und dem heutigen Zeitgeist auf Konfrontation, ohne jedoch politisch oder medial eine Lobby zu haben. Dabei begegnen wir ihnen mit einer Doppelmoral: Einerseits wollen wir alle in einem hoch emotionalen Umfeld ein stimmungsvolles Spiel mit möglichst vielen Trotz der apolitischen Fans und toller Ambiance, Haltung, die die ultraandererseits stellen wir die orientierte Szene in der Fankurve – die genau da- Schweiz einnimmt, sind klare für sorgt – immer pauscha- (gesellschafts-)kritische ler in eine kriminelle Ecke. Statements erkennbar. Dieses Umfeld macht es für Law-and-Order-Kräfte einfach, ihr Arsenal an repressiven Massnahmen ständig auszubauen. Gefeuert wird auf jene Personengruppe, die im Stadion unerwünscht ist und deren Aufmüpfigkeit durch Repression wieder unter Kontrolle gebracht werden soll. Die kontraproduktive Wirkung dieser Vorgehensweise bleibt unbeachtet. Genau diese müsste aber ins Zentrum der Fandebatte gerückt werden. Voraussetzung dafür ist jedoch, die oben aufgeführte Entwicklung der Fankurve nicht als blosse Gefahr zu definieren. Das Feld darf nicht nur denjenigen überlassen werden, denen ein bekannter Kreislauf entgegen kommt: Fussball als öffentliches Gut, Gewalt als betroffen machender oder abschreckender Bestandteil unserer Gesellschaft bilden eine Kombination, welche die Emotionen der breiten Bevölkerung – nicht nur der Fans – trifft, so entsprechendes Interesse weckt und Reaktionen auslöst. Die Fankurven und ihr Verhalten stehen daher im Dauerfokus der Medien und der Politik. Dabei werden unrealistische Idealbilder generiert, zweifelhafte (politische) Profilierungen ermöglicht und Pauschalisierungen vorgenommen, die eine sachliche Debatte verunmöglichen. Pragmatische Kräfte sind gefragt, die in der Debatte nicht auf Konfrontation und Stigmatisierung von Fussballfans setzen, sondern auf eine Dialog- und Streitkultur bauen, die nicht von Einbahn-Kommunikation und Vorurteilen geprägt ist. Erst diese Vorgehensweise schafft intelligente Lösungen und korrigiert Entwicklungen in der Fanlandschaft und deren Umfeld, die uns zu Recht auch Sorgen bereiten. Kräfte innerhalb der Fankurven, die ihr Bestehen mit einer Radikalisierung ihres Verhaltens zu schützen glauben, würden so an Argumenten verlieren. • Thomas Gander ist Geschäftsführer von Fanarbeit Schweiz (FaCH). Er empfiehlt als weiterführende Literatur die Masterarbeit von Joël O. Müller (Uni Bern) mit dem Titel «Lassen sich als Massnahmen gegen die Gewalt an Sportveranstaltungen neben dem Strafrecht verwaltungsrechtliche Rayonverbote und Präventivhaft rechtfertigen» (2012).
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Wisi-kurVe
ULTRAJUNG Der Capo ist 13, die Hälfte der Kurve trägt Spange, und für die Choreos brauchen sie meist die Hilfe von Mutter. Mit den Grossen gemeinsam haben sie die Ernsthaftigkeit ihrer Leidenschaft sowie gewisse Probleme mit der Disziplin. Ein Augenschein in der Wisi-Kurve des FC Wiesendangen. Text: Dominik Siegmann / Bilder: Florian Kalotay
Der Abgesandte des Fussballmagazins wird erwartet, keine Frage. Für wen er schreibe, wird er vom Capo gefragt, noch bevor er am Buffet beim Platz 1 der Sportanlage Rietsamen in Wiesendangen, einer Nachbargemeinde von Winterthur, ein Bier fassen kann oder gar den Kugelschreiber zückt. Der Capo heisst Fabio, trägt Spange, Fussballerfrisur und unterscheidet sich auch sonst nicht von einem typischen Sechstklässler. Das Amt hat er von seinem Bruder geerbt, der aus Altersgründen von der Wisi-Kurve Abschied nehmen musste. In dieser Kurve ist keiner älter als 15. Seit sieben Jahren gibt es sie, was bedeutet, dass kein einziges Gründungsmitglied mehr dabei ist. Schwer vorstellbar, dass eine andere Kurve eine solche Fluktuation überleben würde. Fabio hat keinen Aufwand gescheut: Nicht nur auf dem Schulhausplatz und übers Telefon, auch im Internet hat er mobilisiert und dann mit Freunden sowie der Mutter eine besonders raffinierte Choreo gebastelt. Wir werden nicht enttäuscht sein. Das mit dem Rumtelefonieren vor den Spielen gehört halt zu seinen Aufgaben, wie sie auch im letzten Jahresbericht des FC Wiesendangen aufgeführt sind, in dem die Wisi-Kurve eine eigene Seite hat. Für diese Saison wünscht er sich, dass «alle beim Aufräumen nach dem Spiel mithelfen». Ein Problem, wie es auch in anderen Kurven nicht unbekannt ist. Auch die nächste Herausforderung ist keine unbekannte: Die Technik versagt im dümmsten #
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Moment. Megafon kaputt! Ein Anflug von Panik erfasst den Capo, bevor die rettende Hand des Vaters das Problem löst. Überhaupt ist die Wisi-Kurve so eingebettet im Verein, dass man als Fan ordinärer Clubs nur neidisch sein kann. Einmal pro Saison gibt es ein Spiel mit der ersten Mannschaft, die in der 3. Liga spielt und in der keinerlei verwandtschaftliche Beziehungen zu den jungen Fans bestehen, anschliessend kochen die Spieler für die Fans (kochende Fussballer – man stelle sich das vor!). Und weil die Wiesendanger Ultras bei ihren Freudentänzen öfters von den Festbänken purzelten, die ihnen den freien Blick über die Bande ermöglichen, hat der Trainer das Material für eine veritable Miniatur-Tribüne spendiert und zwei Spieler zur Montage abkommandiert. Das Tollste mit der Mannschaft sei aber der Humpa, den sie jeweils zusammen mit den Spielern nach einem Sieg aufführten, werde ich belehrt. Humpa? 3 Fünfliber und 2 Nötli
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Vor dem Spiel erkundigt sich der Platzspeaker, ob die Wisi- Kurve parat sei, was Anlass für eine erste, auch für den routinierten Fan überraschend lautstarke Rückmeldung der Angesprochenen ist. Und es bleibt selten ruhig während der folgenden 90 Minuten gegen Glattfelden in der zweiten Runde des Zürcher Regionalcups. Mittlerweile ist die gesponserte Wisi-Kurve-Tribüne mit 30 Kindern ziemlich voll. Nebst den Transparenten bieten zahlreiche Fahnen und Doppelhalter auch dem Auge etwas, wobei sich die Vereinsfarben schwarz und weiss eher als Handicap erweisen. Die Gesänge sitzen, eine überraschende Mischung aus bekannten und neuen Melodien, natürlich alle mit angepassten Texten. Mein Favorit wird im Verlauf des Spiels eine Adaption von Mani Matters «Sidi Abdel Assar». Der Capo versteht es prima, die richtige Auswahl zum Spielgeschehen anzustimmen, emotional geschickt wechselnd zwischen antreibend, aufmunternd und jubilierend. Die Abwesenheit von Schmäh-Parolen und -Gesängen an die Adresse des gegnerischen Teams fällt keineswegs negativ auf. Das Vulgärste, was aus der Wisi-Kurve ertönt, ist die vielstimmige Lobpreisung «Alles geili Sieche» an ihre Helden. Auch wenn diese jungen Fans immer wieder auf die Unterstützung von Erwachsenen angewiesen sind: Während des Spiels ist die Wisi-Kurve eine Erwachsenen-freie Zone. Ein Freiraum, der nur selbstorganisiert funktionieren kann, wie jede Kurve. Wie die Muttenzer Kurve könnte die Wisi-Kurve zu Recht darauf hinweisen, dass sie «das grösste Jugendhaus der Stadt» seien. Und genauso wie in einer Muttenzer Kurve gibt es informelle Hierarchien und Funktionen, die nach denselben Kriterien funktionieren: Wer ist am längsten dabei? Wer hat bei den Choreos mitgeholfen? Für die verantwortungsvolle Aufgabe des Trommlers hat die Wisi-Kurve ein Casting durchgeführt, der Entscheid wurde anschliessend schnell und einvernehmlich gefällt. Der Trommler ist gut. Zum Jubel hat die Wisi-Kurve ausreichend Anlass: Exakt jede Viertelstunde treffen die Wiesendanger während der
ersten Hälfte ins gegnerische Tor, das 3:0 kurz vor der Pause ist mehr oder weniger ein Eigentor des Torhüters. Der Unterhaltungswert der Partie stimmt also, die Bratwürste sind tipptopp, und die zwei Kassiere der Wisi-Kurve machen mit dem Hut die Runde. Mit «3 Fünfliber und 2 Nötli» melden sie sich beim Capo zurück. Die Credibility stimmt offensichtlich auch beim restlichen Publikum. Die Sache mit Thayngen Die Frage nach Fanfreundschaften und Rivalitäten lässt die jungen Fussballfreunde etwas ratlos zurück. Auswärtsfahrten sind für sie eher Ausnahme als Regel, aber manchmal finden sie einen Sponsor für ein Büssli. Der Lohn für den Chauffeur muss dann mit Frondienst in der Küche abgegolten werden. Nach Ellikon-Marthalen fahren die Jung-Ultras jedenfalls, wenn immer möglich, weil sie dort jeweils einen Hotdog spendiert kriegen. Rivalen sind am ehesten die Quartiervereine aus dem nahen Winterthur, vor allem «die aus Oberwinterthur». Aber so richtige Fans wie sie habe sonst sowieso kein Klub in der Liga. Höchstens in Thayngen die drei mit den Vuvuzelas. Überhaupt, die Sache mit Thayngen: Sie hat der Wisi-Kurve im Frühling dieses Jahres zu kurzfristiger Popularität der unangenehmen Sorte verholfen. Angefeuert von einem entsprechenden Polizei-Communiqué, berichteten diverse Medien von vermummten Chaoten des FC Wiesendangen, die sich Auseinandersetzungen mit der Schaffhauser Polizei geliefert und kiloweise Pyromaterial abgefackelt hätten. Der Tenor der Berichterstattung war eindeutig: Chaos und Gewalt sind in den untersten Ligen angelangt. Der Wisi-Kurve ist die ominöse Angelegenheit ausgesprochen unangenehm, auch wenn sie offensichtlich über jedem Verdacht steht. Schon das Entzünden eines Streichholzes dürfte für den Grossteil der anwesenden 11- bis 15-Jährigen eine Herausforderung sein. Aber sie wissen genug über Pyros, um nicht mit unbedachten Aussagen darüber aufzufallen. Vor allem nicht gegenüber Aussenstehenden. Jedenfalls gab es beim FC Wiesendangen auch die Tradition, dass ältere Jugendliche einmal pro Saison nach Spielschluss einige Pyros abfackelten, zur allgemeinen Belustigung vermummt. Das Ritual und die Beteiligten waren in Wiesendangen bestens bekannt und beleumdet, bis diese aus feierlichem Anlass beschlossen, diese
wisi-Kurve Tradition für einmal in Thayngen stattfinden zu lassen. Die Schaffhauser Polizei, auch weitergereisten Fussballfreunden nicht als faul bekannt, bekam jedenfalls Wind von der Angelegenheit (ein Tipp der Vuvuzela-Gang?), empfing die Delegation in Grossformation und Kampfmontur am Thaynger Bahnhof und nahm ihr erst einmal die ganzen schönen Zeusli-Sachen ab. Die Wiesendanger, ebenfalls wenig faul, liessen sich per Kurier Nachschub liefern, den sie nach Spielschluss auch zündeten. Damit war der zweite Teil dieser Räuber- und Polizei-Story lanciert. Der Rest ist Geschichte. Seither ist jedenfalls auch in den unteren Ligen fertig lustig mit allem, was als Pyromanie ausgelegt werden kann. Als ein Knirps aus der Wisi-Kurve kurz darauf an einem Spiel mit ein paar dieser «Rauchbömbeli vom Denner» (Zitat Capo) um sich wirft, droht der Schiedsrichter mit Spielabbruch. Willkommen, Wisi-Kurve, in der schönen neuen Welt des Fussballs! In der zweiten Hälfte des Spiels schiesst der Gegner zur Abwechslung ein Tor, worauf die Wiesendanger aber gleich wieder die Frequenz erhöhen. Sie demonstrieren jetzt noch einen Pendelgesang, wofür der Capo – natürlich mit Mega
fon – um den Platz flitzt und auf dem Kletterturm beim Spielplatz vis-à-vis Stellung bezieht, um seine Parolen rüber zubrüllen. Dann sorgen zwei Dorfschönheiten mit ihrer Anwesenheit in der Wisi-Kurve für einige Unruhe – klar, die Pubertät steht vor der Tür oder ist gar schon fleissig am Werk. Der Capo beklagt den Verlust der Disziplin mit «jetzt passed no uf», «kai Seich döt hine» und nochmals «alles ufpasse». Es habe halt schon noch «ein paar recht Kleine» dabei. Prompt schiesst der Gegner noch ein Tor, worauf die Wiesendanger ebenso prompt zum Schlussresultat von 5:2 eintopfen. So setzt Fabio zum letzten Mal am heutigen Tag das Megafon an: «Gimme a Ha!», worauf die mittlerweile vor der Wisi-Kurve komplett versammelte Mannschaft das Gewünschte zurückbrüllt. Gefolgt von einem U, einem M, einem P, einem A und schlussendlich: «Gimme a Ausrufezeichen!». Das ist das Startzeichen für einen furiosen Pogo-Tanz der Kinder mit den Fussballern, alle wild durcheinander. Der Trommler ist der Ekstase nahe, und der Abgesandte des Fussballmagazins hofft, dass sie noch lange niemand darauf hinweisen wird, dass es verboten ist, das Spielfeld nach Abpfiff zu betreten. •
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Der Chor hinterm Tor
Wer in einer Kurve steht, der hat auch zu singen. Und muss Dutzende Melodien kennen, inklusive mehrstrophigen Texten. Eine kurze Geschichte der Stadiongesänge und die Antwort auf die Frage, wie eigentlich neue Lieder ins Stadion gelangen. Text: Mämä Sykora
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Gesungen wird in nahezu allen Stadien dieser Erde. Egal ob in voll besetzten Riesenarenen oder auf besseren Sportplätzen. Mal originell und witzig, mal plump und primitiv. Und zwar schon seit einer halben Ewigkeit. Bereits lange bevor 1945 Nettie ihre Cousine Julie im Rodgers-&-HammersteinMusical «Carousel» mit dem Song «You’ll Never Walk Alone» über den Tod ihres Ehemanns hinwegtröstete, und auch Jahre bevor Gerry & The Pacemakers daraus diesen Hit machten, der zum meistgesungenen Lied in den Fankurven dieser Welt werden sollte. «We have won the cup before – many a time», sangen die Anhänger der Blackburn Rovers vor dem FA-Cup-Final gegen Notts County nachweislich schon 1891, als es den FCB, den FCZ oder YB noch gar nicht gab. Ein englisches Werk von 1915 mit dem schönen Titel «Association Football and English Society» weiss über die Fans von Heute ist der Capo eine damals zu berichten, dass Art «Türsteher» für neue sie sich die Zeit bis zum AnGesänge. spiel gerne mit Gesängen vertrieben. Einige der damals populären Songs wurden mit der Zeit zu Klubhymnen und werden heute noch gesungen, wie etwa «I’m Forever Blowing Bubbles» bei West Ham oder «The Blaydon Races» bei Newcastle. Oldies von den Rängen Jahrzehntelang verstummten die Gesänge von den Rängen mit dem Anpfiff, in der Folge beschränkten sich die akustischen Beiträge der Zuschauer auf Klatschen, Zwischenrufe und Fluchen. Die 1960er-Jahre stellten dann auch in Sachen Stadionleben alles auf den Kopf. 1962 nahmen die Beatles mit «Love Me Do» ihre erste Single auf, und die WM in Chile wurde erstmals in die britischen Wohnzimmer übertragen. Hilflos musste die Nation mitverfolgen, wie Garrincha im Viertelfinale das Team um Bobby Moore schwindlig spielte, aus dem Lautsprecher dröhnten dazu die rhythmischen «Brasil!»-Rufe, mit denen die südamerikanischen Fans ihre Mannschaft nach vorne peitschten. Dies schien auf der Insel Eindruck gemacht zu haben, denn bald verebbten die Männerchöre auf der Tribüne nicht mehr, wenn die Stadionbetreiber die Beschallung mit den neuesten Beat-Hits aus Liverpool zu Spielbeginn einstellten, sondern kamen auch während der Partie wieder
auf – indem sie eben zum Beispiel wie der Kop in Liverpool «You’ll Never Walk Alone» zum Besten gaben. Freilich blieb es nicht lange beim Originaltext. Unzählige Popsongs mit eingängigen Melodien wurden dank der kollektiven Kreativität der Fans mit klub- oder spielerspezifischen Texten versehen. Welche Lieder sich dafür eignen, ist logisch: Einfach müssen sie sein, und sie müssen zu einer Endlosschleife verarbeitet werden können. Die geeignetsten davon geistern seit Jahrzehnten durch die Kurven Europas, viele davon seit den Anfangszeiten der Fangesänge wie wir sie heute kennen. «Die Fans singen noch immer die Unterhaltungsmusik aus dem Keller ihrer Eltern», sagt der Musikpädagoge Reinhard Kopiez, der diesem Thema ein Buch gewidmet hat («Fussball-Fangesänge – eine FANomenologie», Königshausen & Neumann, 1998). Wer sich die Mühe macht, den Originalversionen der klassischen Fussball-Fangesänge auf den Grund zu gehen, landet tatsächlich fast immer bei Hits aus den 1960ern und 1970ern. Noch immer entstehen aus diesen und späteren Hits neue Fangesänge. Nirgends so regelmässig wie in England, wo für fast jeden Spieler ein eigener Gesang existiert. Die sind teilweise so kreativ, dass der Titelsponsor der Premier League 2004 einen Wettbewerb veranstaltete, bei dem die Teilnehmer durch die Stadien ziehen und neue Fangesänge ertüfteln mussten, um den mit 10 000 Pfund dotierten «Chant Laureate» zu küren. Diesen Preis sicherte sich der Londoner Jonny Hurst, der zur Entstehung eines Songs sagte: «Es wäre schön zu denken, alle Gesänge entstünden spontan. Aber dafür ist einiges an Vorbereitung nötig.» Dies ist hierzulande nicht anders. Konnte früher die überschaubare Gruppe der Kurvengänger teilweise noch aus dem Stegreif ein passendes Liedchen initiieren, ist das mittlerweile nahezu unmöglich. Heute ist der Capo eine Art «Türsteher» für neue Gesänge. Ist er mit dem Vorschlag eines Songs einverstanden, hat dieser gute Chancen, bald von der ganzen Anhängerschaft gesungen zu werden. Auf Auswärtsfahrten, wo der harte Kern – und damit die besonders singfreudigen Fans – dabei ist, werden Zettel mit dem Text und einem Hinweis auf die Melodie verteilt. Wenn die Premiere im fremden Stadion gut verläuft, wird das Gleiche im deutlich grösseren Rahmen am Heimspiel versucht. Nur selten muss ein Song für nicht tauglich befunden werden. Wenn
fangeSäNge der Capo davon überzeugt ist und ihn regelmässig anstimmt, dann funktioniert es auch. Denn wer in der Kurve steht, der hat zu singen – und zwar das, was der Capo vorgibt. Vom Zweizeiler zum Epos Das Repertoire einer Kurve wächst dennoch nicht unendlich. Einige Lieder – vor allem solche, die an ein Ereignis gebunden sind – verschwinden und werden durch neue ersetzt. Auf das Rezyklieren bekannter Fussballsongs beschränken sich die Kurven dabei längst nicht mehr. Originalität ist gefragt, man will Einzigartiges und Unverwechselbares schaffen, damit man schon alleine aufgrund der Melodie erkennt, zu welchem Verein der Song «gehört». Je weniger ein Gesang in den Stadien verbreitet ist, desto besser. Die Fans der Schweizer Vereine profitieren dabei von den vielen Secondos, die hierzulande noch unbekannte Melodien aus ihrer zweiten Heimat «importieren». Mit grossem Interesse beobachtet man deshalb die südamerikanischen Kurven, die eine wichtige Quelle der Inspiration bieten. Für weitere Inputs sorgt die Tatsache, dass auf den Stehplätzen stets auch viele HobbyMusiker zu finden sind. In jüngster Zeit hat praktisch jede Kurve mehrere Compilations mit Songs über den Verein herausgegeben, einige davon schafften es gar, ins Repertoire aufgenommen zu werden. Nicht nur die Vielfalt, auch die Komplexität der Gesänge hat stark zugenommen. Waren es früher noch mehrheitlich einfache Zweizeiler («Hopp Sanggalle / füre mit em Balle»), werden heute schon mehrstrophige Lieder von der Masse ohne Mühe zum Besten gegeben, wie etwa die erstaunliche Adaption des Mani-Matter-Klassikers «Eskimo» der FCZler. Am liebsten singt die Kurve lustige Lieder, aber auch wenn
ein Fluchwort vorkommt, steigt die Lautstärke kurzzeitig merklich an. Dass der Bezug zum Spielgeschehen längst nicht immer gegeben ist, kann nicht erstaunen, steht doch der Capo mit dem Rücken zum Rasen, wenn er die Lieder anstimmt. 90 Minuten gesanglichen Unterstützung wird angestrebt, obwohl nicht wenige Fans ausserhalb der UltraGruppierungen dieses Dauersingen ohne Spielbezug als störend empfinden. Schliesslich ist es eigentlich egal, wie angebracht ein Lied gerade ist, das Ziel bleibt immer dasselbe: Die eigene Mannschaft soll angetrieben werden. Das Resultat sei hingegen das genaue Gegenteil, sagt zumindest der Sportwissenschaftler Bernd Strauss. «Der Einfluss der Zuschauer wird überschätzt», fasst er die Ergebnisse seiner Studien zusammen. Anfeuerungen seien lediglich dann hilfreich, wenn konditionelle Fähigkeiten gefragt sind. Es handelt sich dabei um das Phänomen der «Social Facilation», das schon in den 1960er-Jahren beschrieben wurde. Bei einfachen Aufgaben wie Rennen und Grätschen wirken Zuschauer und Anfeuerungen leistungssteigernd, bei koordinativ anspruchsvolleren Dingen wie Ballkontrolle oder Passen hingegen ist dies störend. Das weiss jeder, der schon mal vor skandierenden Zuschauern einen Faden in eine Nadel einfädeln musste. Vielleicht liegt genau hier der Grund, weshalb sich unsere Sportart so entwickelt hat: Seit die Zuschauer nicht mehr mit dem Anpfiff das Singen einstellen, ist der Fussball deutlich athletischer geworden, während Spieler mit einem Goldfüsschen, aber gewissen Defiziten im kämpferischen Bereich es immer schwerer haben. Es macht also durchaus Sinn, dass in so vielen Gesängen die Aufforderung an die Mannschaft zu kämpfen enthalten ist. Wer Champagnerfussball sehen will, der muss schon die Kurve zum Schweigen bringen. •
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Heiss uffs Spiel, heiser drno Eine subjektive Reise durch die Basler Stadionakustik der letzten 20 Jahre. Text: Thilo Mangold / Illustration: Roger Zürcher
Mitsingen ist gar nicht so einfach: gefühlte 14 Strophen, viel Lokalkolorit in Inhalt und Dialekt, Melodien, die von möglichst wenigen anderen Kurven gesungen werden. Nicht einmal FCB-Captain Marco Streller kann sein erklärtes Lieblingslied selber singen. Bei «Sait dr Babbe zu sim Sohn: Hüt kunnsch mit ins Stadion» müssen ihm die Fans auf dem Barfi schon nach ein paar Zeilen weiterhelfen. Auch wenn es schwierig ist: Wer mittendrin steht, ist aufgefordert, mitzusingen. Eine Diskussion von Wortwahl und Inhalten wäre fehl am Platz. Mitgrölen ist Pflicht: «Si singe au wenn s miehsahm isch und nit nur wenn sie wänn». Das kann anstrengend sein. Und es ist manchmal traurig, bitter, besonnen oder besoffen. Aber immer schön. Zumindest in der Retrospektive. Früher war es einfacher, den FCB akustisch zu unterstützen. «Olé super FCB.» Die Fans sangen im Joggeli lange, was auch anderswo gesungen wurde. Kopierte Melodien, bekannte Texte. «Super Basel». Oder «Oh Schiri, du Arschloch, ee-
ehee, ohoo!» Reime, rassistische Rufe oder ansteckende Chöre wurden einfach importiert. Oft aus Deutschland, davon zeugt die Sprache. «Wir bauen eine U-Bahn von Luzern bis nach Auschwitz» war Anfang der 90er erschreckend laut zu hören. Oder: «Schiri, wir wissen, wo dein Auto stand, es hat gut gebrannt, es hat gut gebrannt.» Auch: «Wir kommen aus der Tiefe, wir kommen aus dem Schacht. Und unser FC Basel ist eine Fussballmacht.» Später von der Insel: «We love you Basel, we do.» Mit den Ultra-orientierten Fangruppen kamen die Capi, die Einheizer, bald mit Megafon, später gar mit fix installierter Lautsprecheranlage. Sie förderten das Einbaslern fremder Gesänge. «Stöhnd uff, wenn ihr Basler sind» zum Beispiel. Abgekupferte Chöre aus dem Norden galten bald als uncool. «Gebt mir ein U!» Das UFFTA ward schon seit ewig – ungefähr 2006 – nicht mehr im Stadion gehört. 2012 gibt es das höchstens noch bei den Kutten in Düsseldorf oder bei den YB-Bauern. Auch spontane Chöre sind seltener geworden. Die Gegentribüne auf dem Bahndamm, seit dem Stadionneubau Sitzplatzzone, wurde stiller. Manchmal pfeift es vom Bahndamm auch nur. Dafür textet die Kurve umso bunter. Mit den aktiven Fans kam viel Kreativität ins Stadion. Vermehrt entstanden eigene Lieder. Südamerika oder zumindest Südeuropa wurden die neuen Inspirationsgebiete. Junge Kurvensoldaten lernen die Texte von den älteren. Der urbane Basler TrendUltra schreit kaum noch unkontrollierten Wahnsinn, die Lieder sind immer durchdachter. Sie sind oft kurvenpolitisch gefärbt, selbstherrlich und scheintraditionell. Und genau darum singen sie sich so fantastisch – wenn man sie einmal kennt. Ein Hoch auf die Lumpenlieder Lieder merkt man sich nicht konsumierend auf der «Scheisstribüne!». Lieder merkt man sich auf üblen Auswärtsfahrten. «Und fahre mir au no so wit, für uns isch das e schöni Zyt.» Zum Beispiel nach Blackburn. Nach ein paar Stunden Busfahrt stellt sich automatisch ein gewisser Wahnsinn ein, aus der heterogenen Reisegruppe wird eine Leidensgemeinschaft. Der Chauffeur soll seine Passagiere «bitte, bitte in den Tod fahren». Oder nach Monaco: Der ganze Bus mit Sprung in der Platte. Stundenlang «Uff los gohts los», warmes Bier, schlechte Luft, WC-Häuschen verstopft, und «wär schlooft isch e Hueresohn», sowieso. Zumindest nach Mendrisio muss man fahren, will man das Entstehen von Liedern miterleben. Im Zug werden Songs aus Spielchen geboren. Oder aus der Euphorie heraus. Oder die Bierseligkeit ist schuld. Manche Lieder werden auch im Saal 12, dem Basler Fanhauptquartier, erarbeitet und dann in die Kurve getragen. Die besten Songs sind aber die spontanen, die fiesen, die doofen. Jene, die es nur selten über den Insiderstatus einer exotischen Auswärtsfahrt schaffen. Sie kratzen so schamlos an der moralischen, juristischen oder geschmacklichen Grenze, dass sich nur wenige davon eignen, um den Nachwuchs in den Schlaf zu singen. «Stanic, Stanic, Stanic! Bitte, bitte fahr den Mannschaftsbus!» Es gibt Situationen, da passen diese
FANKURVE fcb Lumpenlieder einfach besser als jeder Stadionschlager. Dreizehn wilde Jungs singen «Frère Jacques» in einem Lissaboner Café – im Kanon. Aus der Gepäckablage des Nachtzuges nach Cluj meldet sich Adi mit der neuen Strophe eines Discohits, den seit 1986 keiner mehr gesungen hat. In der arroganten Westlerrolle wird in Bukarest oder Sofia ein alter deutscher Hauer-Slogan abgebrochen und damit eben aufs Korn genommen: «Wir! Wollen! Alles! Kaputt … – oh, scho z spot.» «Läng mr an d’ Banane» Im Verständnis einiger Fussballfans ist grundsätzlich gut, was provoziert. Das können einzelne Worte sein, historisch aufgeladen, politisch aktuell oder von exotischem Wortlaut. Beschämend oft gebrüllt, ohne dazugehöriges Wissen oder Verständnis. Erschreckend häufig als traditioneller Schlachtruf verteidigt. Neger, Juden, Nazis, Weltkriegsverlierer, Schwule, Vergasen, Splitterbomben, Heckenschützen, Aschewolke, Aarauer. Chauvinismus scheint Teil der Kultur zu sein. Nicht wenige sagen: «Weil das schon immer so war.» Ihre Stimmen werden weniger. Aber: Ein gegnerischer Spieler an der Seitenlinie beim Cupmatch in der Provinz ist ein «Schwullé». Und auf den FC Servette könnte man verzichten: «Schenkt sie den Franzosen!» Dem dunkelhäutigen Kameruner
wird in Erinnerung gerufen: «Hervé Tum, du hast den längsten Schwanz.» Und auf Jacques Zoua reimt sich die intellektuelle Silbenfolge «oua-oua-oua». Wen wunderts? Beni Huggel macht an der Meisterfeier Witze über die fremdländischen Namen seiner Mitspieler. Die machoide Textgestaltung hat – nicht nur in Basel – Tradition. Frauen sind Randfiguren. Dr Babbe nimmt den Sohn mit ins Stadion, d’Mamme bleibt an der Türe stehen. Oder eben Lustobjekte: «Basler Frauen, Basler Bier, FCB wir steh’n zu dir!» Das konnte 1995 noch als liebenswürdig «kuttig» durchgehen. «Lueg die Schnitte, die Schnitte. Het riese Titte, die Schnitte. Ych will sie figge, die Schnitte. Super FCB!» Durch die Ergänzung am Schluss knapp noch als Fussballlied zu erkennen, haben den Chant wohl nie mehr als fünf, sechs Schnapsnasen gleichzeitig gegrölt. Eine Frau im FCBVorstand sorgte ab 1999 für einen Klassiker: «Gigi, Oeri, läng mr an d’ Banane, shalalalalala!» Hunderte Männerkehlen wünschten sich, was dann tatsächlich geschah. Die finanzielle Unterstützung der Mäzenin machte aus einem schlaffen FCB wieder eine stramme Nummer eins. «Die Nummer eins der Schweiz sind wir.» • Thilo Mangold mag Fussball. Er sagt: Fussball ist wichtig.
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SchnipSEL
die pyros «Luzern hat wegen einer abgefeuerten, gefährlich über das Spielfeld zischenden Rakete Protest eingelegt.» Diese beiläufige Bemerkung rundete das Spieltelegramm einer Begegnung zwischen Lausanne und Luzern ab. Das Spiel fand im Mai 1971 statt. Ein halbes Jahr später, am 24. No vember, schrieb der «Sport»: «Die Klubs können für durch die Nationalliga ausgesprochen Strafen nicht überall den Sünder haftbar machen, denn nicht in allen Kantonen ist das Abbrennen lassen von Raketen untersagt.» Raketen also. Wegen einer Rakete, die aus dem Roma-Sektor quer über den Platz geschossen wurde, starb 1979 der Lazio-Fan Vincenzo Paparelli. Das Geschoss traf ihn im Auge. Feuerwerk kann zweifelsfrei gefährlich sein. Davon liest man jedes Jahr am 2. August in der Zeitung. Und Feuerwerk übt auf viele Menschen eine ungemeine An ziehungskraft aus. Das Spiel mit dem Feuer fasziniert, ist ein Ausdruck von Freude und Fest. In den Fussballstadien wird seit 50 Jahren mit Feuerwerk gefeiert, davon zeugen Bilder aus Griechenland und Italien, zum Beispiel vom EMFinal 1968 in Rom. Als die Bengalos, wie die Fackeln auch genannt werden, sich in den 1990er-Jahren in der Schweiz durchsetzten, hatten Justiz und Vereine keine sonderlich restriktive Handhabung mit dem neuen «Fanartikel». Der FC Basel erlaubte seiner ersten Ultra-Generation gar das kontrollierte Abfeuern vor Spielbeginn auf dem Feld. In den vergangenen Jahren ist das Zündeln in den Sta dien zum ultimativen Stein des Anstosses geworden, ein Hochsicherheitsrisiko, das es auszulöschen gilt – koste es, was es wolle. Als gemeingefährlich werden vor allem die «Pyros» angesehen; Seenotfackeln, wie sie auf Schif fen benutzt werden. Gegen Vorweisen der ID (und in den meisten Fällen auch von Segelschein oder Motorbootprü fung) sowie einer Unterschrift, mit der sich der Käufer zur zweckmässigen Verwendung und Einhaltung der Sicher heitsmassnahmen verpflichtet, können solche Handfa ckeln für ungefähr 25 Franken gekauft werden. Die rechtliche Lage hierzu ist klar. Artikel 15 des Sprengstoffgesetzes besagt: «Es ist verboten, Sprengmittel und pyrotechnische Gegenstände, die für andere Zwecke
bestimmt sind, zu Vergnügungszwecken zu verwenden.» Das Mitführen alleine ist noch keine Straftat, wird solches Material aber bei einer Eingangskontrolle entdeckt, geht man von einer versuchten verbotenen Verwendung aus, welche ebenso strafbar ist. Anders verhält es sich bei Pyro, die zu Vergnügungszwecken gedacht ist. 1.-August-Feuer werke abzulassen ist kein Verstoss gegen das Sprengstoff gesetz, sehr wohl aber gegen die Stadionordnung und die kommunale Polizeiverordnung, und kann darum mit einer Busse belegt werden. Über 1500 Grad heiss werden solche Seenotfackeln. Das ist sehr heiss, allerdings misst man auch bei einer Kerzen flamme bis zu 1400 Grad. Problematisch ist bei den klassi schen Seenotfackeln, dass diese kaum ausgelöscht werden können. Die eigens für Fussballfans entwickelten italieni schen «Tifo-Fackeln» hingegen sind auslöschbar und dem nach nach Meinung der Fans keine Signalfackeln, sondern zum Vergnügungszeck hergestellt. Das fedpol hingegen zählt auch diese zu den «pyrotechnischen Gegenständen zu gewerblichen Zwecken», weshalb die Einfuhr auf jeden Fall einer Bewilligung bedürfe. In Österreich gilt seit über zwei Jahren die Regelung, dass als ungefährlich eingestuftes Feuerwerk im Stadion mit Auflagen erlaubt ist. Die Regierung hält das Modell für einen Erfolg, die Fans vertreten die gegenteilige Meinung. Rapid-Wien-Fanbetreuer Andy Marek: «Wer eine Ausnah mebewilligung will, muss den Namen bekannt geben. Es wird vorgegeben, wann er den Bengalen zünden darf und wo er ihn zünden darf. Ist er einen Meter aus der Norm, wird er schon bestraft.» Daran stossen sich die Ultras. Tat sächlich werden in Österreichs Fankurven weiterhin ille gale Pyros gezündet, 2011 kam es im Wiener Derby gar zu einer veritablen Pyro-Schlacht. Auch in Zürich bemühen sich Vertreter der Stadt sowie beider Klubs und Fankurven seit Monaten darum, einen Weg zu finden, mit dem alle involvierten Parteien leben könnten. Zürich setzt auf Dialog und auf kontrollierte Liberalisierung. Ein neuer Weg in einer allzu festgefahre nen Debatte. (syk)
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Der gescheiterte Dialog
Kein Thema hat die Diskussion um Fussball und Fankultur in Deutschland in den letzten Monaten so sehr beschäftigt wie Pyrotechnik. Politik, Vereine und Verbände wollen sie nicht zulassen – Fans nicht darauf verzichten. Text: Kea Müttel / Bild: Imago/Karina Hessland
«Sicherheitskonferenz» in Deutschland. Die Mächtigen des Fussballs und der Politik kommen zusammen und tagen im Juli 2012 unter dem Slogan «Für Fussball, gegen Gewalt». Eines der Hauptthemen: Pyrotechnik. Nur wenige hundert Meter weiter haben deutsche Fanorganisationen zeitgleich zum «Expertengespräch» geladen. Bei der Sicherheitskonferenz sind sie auch auf Nachfrage und Bitte nicht erwünscht. Auch hier interessiert die anwesende Presse vor allem ein Thema: Pyrotechnik. Immer wieder Pyrotechnik. Wenn in Deutschland über Fans und Ultras gesprochen wird, kommt man seit einigen Monaten nicht mehr um diese Debatte herum. Dabei begann alles vielversprechend. Nach österreichischem Vorbild gründete sich im November 2010 die Initiative «Pyrotechnik legalisieren – Emotionen respektieren», die sich für das legale und kontrollierte Zünden von Pyrotechnik einsetzt. Eine Vielzahl deutscher Ultragruppen unterstützt diese Initiative. Tatsächlich kamen schnell erste Gespräche mit dem DFB zustande, und Pilotprojekte wurden in Aussicht gestellt. Doch dann wurden die Gespräche einseitig abgebrochen. Am 2. November 2011 verkündete der DFB in einer Pressemitteilung: «Weiterhin nicht infrage kommt eine sogenannte Legalisierung von Pyrotechnik. Bestätigt wird das Verbot durch ein vom DFB-Präsidium in Auftrag gegebenes unabhängiges Rechtsgutachten.» Für die Faninitiative ein Schlag ins Gesicht, hatte sie doch selber ein Gutachten beauftragt, das andere Ergebnisse lieferte. Der Sprecher der Initiative, Jannis Busse, sagte daraufhin, dass die Fans vom DFB «verarscht» worden sind. Diese Ereignisse liegen inzwischen bereits über ein halbes Jahr zurück, bestimmen aber immer noch sämtliche Diskussionen. Nach den abgebrochenen Gesprächen reagierte die deutsche Fanlandschaft enttäuscht und trotzig. Infolgedessen gab es kaum ein Fussballspiel ohne Bengalos. Egal, welche Liga, egal, welche Fanszene. Grosse Pyro-Shows mit zwanzig oder dreissig Bengalos, buntem Rauch und dazugehörigen Transparenten waren vor Jahren unvorstellbar und sind nun keine Seltenheit mehr.
Doch nicht nur dieser Dialog scheiterte: Im Januar 2012 organisierte die Fanorganisation «Pro Fans», die viele deutsche Ultragruppen vertritt, einen eigenständigen «Fankongress» in Berlin. An zwei Tagen wurde in Diskussionsrunden, Vorträgen und Podiumsdiskussionen über die «Zukunft des Fussballs» diskutiert. Eingeladen waren Journalisten, Fans und Offizielle. Letztere kamen in sehr überschaubarer Anzahl. Weder DFB- noch DFL-Präsident nahmen die Einladung an, ebenso sagten die eingeladenen Polizisten einen Tag vor der Veranstaltung wieder ab. «Die Fans reichen die Hand zum Dialog, doch die Hand greift ins Leere», resümierte daraufhin Fan-Soziologe Gerd Dembowski. Gekommen war der DFB-Fanbeauftragte Gerald von Gorissen. Aber auch er stellte klar: «Wir bieten den Dialog bei allen Problemfeldern an, nur nicht mehr in Sachen Pyrotechnik.» Genau dieser Punkt lag den organisierten Fans aber auch im Januar besonders auf dem Herzen, fühlten sie sich doch immer noch hereingelegt. Wenn Sanktionen nicht greifen So kam die nächste Reaktion der Fanszenen. Noch mehr Pyrotechnik. Stand im Positionspapier der Kampagne noch die Aussage «Für uns ist Pyrotechnik ein Mittel, um Feierstimmung zu schaffen, ein Teil der oft zitierten südländischen Atmosphäre», wurde selbige inzwischen auch anders eingesetzt. Als Drohmittel gegenüber den Verbänden. Massig Pyrotechnik – unabhängig von Toren oder Feierstimmung. Die Verbände reagierten wie so oft mit mehr Repression. Die Sperrung von Auswärtsblöcken und der damit verbundene Teilausschluss von Gästefans wurde eine immer häufiger verhängte Strafe. Doch auch dieser Versuch zeigte sich nicht als zielführend. Es kam zu Solidaritätsaktionen unter den Fanszenen. Am 26. März spielte in der 2. Bundesliga Eintracht Frankfurt bei Union Berlin. Der Gästeblock war gesperrt. Doch Union-Fans versorgten ihre Konkurrenten aus Frankfurt mit Karten, sodass schlussendlich über 1000 Frankfurter Fans im Stadion waren und einfach in den #
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Gästeblock kletterten. «Bei uns ist wahrgenommen worden, dass die ausgesprochene Sanktion ihren Zweck nicht erfüllt hat», bekannte daraufhin DFB-Vizepräsident Rainer Koch. Die Fans fühlten sich als Sieger, denn sie hatten den DFB ausgetrickst. Die Anhänger von Union Berlin und Eintracht Frankfurt feierten sich im Stadion, und viele andere Fans freuten sich vor den Fernsehgeräten. Doch unmittelbar nach dem Abpfiff des Spiels wurden schon Stimmen laut, die neue Mittel forderten, um Fans bei Ausschreitungen oder Pyrotechnik-Einsätzen bestrafen zu können. Das generelle Stehplatzverbot wurde wieder in die Diskussionen aufgenommen. Die Polizei-Gewerkschaften und der deutschen Innen minister Hans-Peter Friedrich forderten nun offensiv die Abschaffung der Stehplätze. In Fernseh-Talkshows unter Themen-Titeln wie «Wer schützt den Fussball vor seinen Fans?» oder «Kicker, Kohle, Krawalle: Wer regiert König Fussball?» diskutierten Prominente über Fussballfans. Ohne Fanexperten. Ohne Sozialarbeiter. Ohne Ultras. Die Stehplätze und mit ihnen die deutsche Ultra-Kultur standen in der Schusslinie. Und der Aufhänger war überall: Pyrotechnik. Auch die Politik handelte aufgrund des gestiegenen öffentlichen Drucks und lud zur «Sicherheitskonferenz» in Berlin. Auf dieser wurde das Stehplatzverbot erst einmal abgewendet, dafür aber Pyrotechnik erneut als eines der grössten Fussballprobleme ausgemacht. «Pyrotechnik ist verboten, deshalb ist das auch eine Straftat», sagte der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann gegenüber Ndr.de nach der Konferenz. «Mit denen spreche ich nicht», bekräftigte er.
«Diese» warteten nach der Konferenz bei ihrer Alternativveranstaltung vergeblich auf eingeladene Vertreter der Verbände. Auch die Vereinsvertreter der Profivereine waren von den Fanorganisationen eingeladen worden – es tauchten gerade einmal drei auf. «Mehr Kommunikation und ein besserer Dialog miteinander» – ein erklärtes Ziel der Sicherheitskonferenz – sind damit bereits im Ansatz gescheitert. • Kea Müttel ist Chefredakteurin des in Deutschland erscheinenden Hefts «Transparent – Magazin für Fussball und Fankultur».
Linktipps www.aktive-fans.de www.profans.de www.unserekurve.de www.erhalt-der-fankultur.de
Fans von Rot-Weiss Erfurt fordern die Legalisierung von Pyrotechnik.
blick über diE GRENZE: ITALIEN
Die Ultras brechen
Der einst stolz als «beste Liga der Welt» bezeichneten italienischen Serie A laufen die Zuschauer davon. Mit diversen rigorosen Massnahmen gegen die Ultras versucht man derzeit, die Kurven «auszuhungern». Doch wegen der uralten Stadien, der hohen Preise und der Skandale wartet man vergeblich auf die «Rückkehr der Familien». Text: Kai Tippmann / Bild: Matteo Gribaudi/imago
Vor rund zehn Jahren präsentierte sich die italienische Serie A noch als europäische Spitzenliga. Eindrücklicher Beweis dafür: Drei der vier Halbfinalisten in der Champions League 2002/03 stammten aus Italien. Bei den Mailänder, Römer und Turiner Vereinen kickte die Elite des europäischen Fussballbetriebs und bunte, laute Kurven mit Hunderten von Fahnen, leuchtenden Bengalen und atemberaubenden Choreografien stellten die Kulisse, die von TV-Moderatoren gern als «südländische Atmosphäre» gefeiert wurde und noch heute Vorbild für unzählige europäische Stadionkurven ist. Seitdem hat die höchste italienische Spielklasse im europäischen Vergleich rasant an Appeal verloren. Ein ChampionsLeague-Startplatz musste an die erstarkende Bundesliga abgegeben werden, die Zahl der Stadionbesucher erreichte in der vergangenen Saison einen historischen Tiefpunkt und mit Ibrahimovic, Silva und Lavezzi verlor die Liga im Sommer drei ihrer noch verbliebenen international bekannten Fussballer nach England und Frankreich. Wie konnte es dazu kommen in einem Land, in dem Fussball weiterhin gemeinsam mit Mamma und Sonnenbrille zur heiligen Dreifaltigkeit der Italianità gehört? Sichtbarster Ausdruck der Krise ist sicherlich der Rückgang der Zuschauerzahlen in den Stadien. In drei Jahren hat die Serie A einen Einbruch von mehr als 20 Prozent beim Verkauf von Dauerkarten verzeichnen müssen, während der Absatz beim grössten Pay-TV-Anbieter Sky im selben Zeitraum um 69 Prozent zulegte. Fussball zieht also zwar weiterhin, immer mehr Fans bevorzugen aber die heimische Couch gegenüber dem Stadionbesuch. Im Schnitt lag die Stadionauslastung der höchsten Spielklasse 2012 bei mageren 61 Prozent. Noch viel schlimmer sieht es in der Serie B aus, wo der Zuschauerschnitt in der vergangenen Spielzeit trotz Vereinen wie Sampdoria, Bari, FC Torino oder Hellas Verona bei knapp über 5000 Zuschauern lag. Mit Ausnahme der alten Dame Juventus, bei der Stadionneubau und sportliche Wiedergeburt sehr glücklich zusammenfallen, blickt man in italienischen Stadien auf weitgehend leere Ränge. Die Ursachen der Krise sind vielgestaltig, zudem hat die Finanzkrise auch den italienischen Fussballbetrieb härter getroffen als in wirtschaftlich prosperierenden Staaten. Das italienische Standardmodell, dass ein reicher Mäzen
als Inhaber für Spielereinkäufe und Gehälter wirtschaftlich geradesteht, hat direkte Auswirkungen auf die Attraktivität eines Vereins. Erschwerend kommt hinzu, dass die umgreifende Wirtschaftskrise auch an den Fans nicht spurlos vorübergeht. In einem Land, dessen Jugendarbeitslosigkeit bei über 35 Prozent liegt und ein Vollzeitjob für 800 Euro keine Ausnahme ist, gehört ein Stadionbesuch oftmals bereits zum Luxus. Ganz zu schweigen von den berühmten «Familien», die man ins Stadion zurückholen möchte. Eine vierköpfige Familie müsste für normale Tribünenplätze um die 200 Euro auslegen, eine Summe, die für viele Italiener jenseits der wirtschaftlichen Realität angesiedelt ist. Stadien aus der Vorkriegszeit Und dann wäre dort noch die Frage nach der Qualität des gebotenen Spektakels. Eine Serie von massiven Wett- und Bestechungsskandalen erschüttert das Land seit dem «Calciopoli»-Prozess von 2006. Allein in der aktuellen Saison wurden bisher gut dreissig Vereine mit Geldstrafen und Punktabzügen bestraft und Spieler teils für mehrere Jahre gesperrt. Und selbst wenn der Fan noch ausblenden kann, dass er auf dem Rasen womöglich ein abgekartetes Ergebnis zu sehen bekommt, sind die sich in kommunaler Hand befindlichen italienischen Stadien durchschnittlich 69 Jahre alt und haben die letzten Modernisierungsmassnahmen bestenfalls zur WM 1990 erlebt. Kein Vergleich also zu den bequemen, modernen Arenen der deutschen Bundesliga oder der englischen Premier League. Im selben Zeitraum haben die unter der Fahne der «Gewaltverhinderung» 2007 beschlossenen Massnahmen wie namensgebundene Tickets, die Einführung der Fankarte Tessera del Tifoso und das Verbot von Pyrotechnik und Auswärtsfahrten, spontanen Spruchbannern, Trommeln und Megafonen ausgerechnet diejenigen getroffen, die seit mehr als vier Jahrzehnten die Stimmung in Italiens Stadien vorgaben: die Ultras der Kurven. Pyrotechnik ist zwar auch in italienischen Kurven nie explizit erlaubt gewesen, allerdings wurde deren Einsatz bis 2007 weitgehend geduldet. Zum selben Zeitpunkt wurde auch das Mitnehmen von Trommeln und Megafonen verboten. «Wir wollen die #
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Ultra-Logik brechen», lautete die unverschleierte Aussage von Roberto Massucci, Sekretär des Osservatorio Nazionale sulle Manifestazioni Sportive (Nationale Beobachtungsstelle für Sportveranstaltungen). Das offensichtliche Ziel war, dass optisch und akustisch wenig attraktiven Kurven langsam der Nachwuchs ausgeht und das Phänomen stirbt. Dieselbe «Nationale Beobachtungsstelle» erklärt regelmässig Partien zu Risikospielen und gibt Auflagen vor – wie beispielsweise das Verbot von Fans ausserhalb der Provinz der Heimmann-
schaft. Durch namensgebundene Tickets, bei der Ausweisdaten und Steuernummer registriert werden, können solche Massnahmen effektiv durchgesetzt werden. Die umstrittene Tessera del Tifoso, die auch als Kreditkarte mit Angeboten der jeweiligen Vereine dient, ist seit dieser Saison nicht mehr zwingend, allerdings wird weiterhin jeder Kartenverkauf in Echtzeit durch die lokale Polizeibehörde geprüft. Unter den Auswirkungen dieser Zwangsmassnahmen haben sich in den letzten fünf Jahren viele grosse, historische Fangruppen aufgelöst. Während man also in desolaten Stadien bei unangemessen hohen Preisen weiterhin auf die «Rückkehr der Familien» wartet, sorgt die Verbürokratisierung des Kartenkaufs dafür, dass selbst diejenigen nicht mehr zum Fussball gehen, die
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Unterbeschäftigter Ordner bei einem Heimspiel der SSC Napoli.
blick über diE GRENZE: ITALIEN sich von manipulierten Spielen, Regen auf den Tribünen und zerstückelten Spieltagen noch nicht hatten abhalten lassen. Dem Durchschnittsfan oder nur mässig an Fussball Interessierten ist dies scheinbar gleichgültig. Nachdem die Ultras jahrzehntelang in den meisten Medien als Gewaltfetischisten aus den Vorstädten dargestellt wurden, ist heute die öffentliche Meinung, dass die Sanierung des Fussballbetriebs nur über die Entfernung dieser Elemente aus den Stadien funktionieren kann. Da eine graue, leere und kaum noch hörbare Kurve aber die Attraktivität eines Stadionbesuchs nicht eben steigert, bewegt man sich derzeit in eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale. Leider ist es den italienischen Kurven nicht gelungen, sich landesweit zu organisieren und eigene Ziele zu formulieren. Im Moment wird die Serie A noch durch die Einnahmen aus dem Pay-TV getragen. Der aktuelle Vertrag zwischen
der Lega Calcio und den Mediengiganten von Murdoch und Berlusconi sichert Einnahmen von 2,5 Milliarden Euro für die Jahre 2012 bis 2015. Das lange verschleppte Gesetz zum Stadionneubau durch die Vereine wurde letztens endlich unterzeichnet. Damit besteht auch die Hoffnung, dass sich der italienische Fussball erholen kann, bevor leere Stadien, Skandale, sinkender Absatz von Fanartikeln und die Abwanderung der Stars dafür sorgen, dass auch die im Moment noch stabilen Einnahmen aus Fernsehrechten und Sponsorengeldern zu bröckeln beginnen. Denn dies würde für eine Reihe von nur durch innovative Bilanzrechnung gestützten Vereinen das Aus bedeuten. Und das in einem Land, in dem Fussball weiterhin Gesprächsthema Nummer eins ist, das sich drei sportorientierte Tageszeitungen leistet und in dem schon Kinder verinnerlicht haben: «Du kannst dein Haus verkaufen und deine Frau verlassen, aber niemals die Mannschaft wechseln.» • Kai Tippmann ist langjähriger Fan der AC Milan und lebt seit 12 Jahren in der Nähe von Mailand. Er berichtet auf seinem Blog Altravita.com über Fragen der italienischen Fankultur und hat die Bücher «Tifare Contro» von Giovanni Francesio, «Streunende Köter» von Domenico Mungo und «Der Rowdy» von Giorgio Specchia ins Deutsche übersetzt. Er schreibt für verschiedene deutschsprachige Publikationen und hält Vorträge zum Thema Ultra-Kultur in Italien.
Wie die Löwen starben Sie war eine der ersten Ultra-Grup pierungen Italiens und wuchs zur wichtigsten der AC Milan und ei ner der grössten in ganz Italien an, mit bis zu 10 000 Mitgliedern. Und dennoch löste sich Fossa dei Leoni (Höhle der Löwen) im Jahre 2005 auf. Nach 37 Jahren hiess es «Grazie a tut ti». Die FdL, die unpolitisch war, je dem offenstand und der Transparenz so am Herzen lag, dass sie in ihrem Fanzine gar regelmässig Zahlen und Statistiken zur finanziellen Struktur veröffentlichte, hatte aufgehört zu existieren. Was genau die Gründe dafür wa ren, dass die Führungsriege sich für eine Auflösung der Gruppe entschied, ist nach wie vor unklar. Durchgesetzt hat sich diese Version: Nachdem Mitglieder des Juventus-Fanklubs Viking einen Rucksack mit Fahnen in Mailand liegen lassen hatten, wur
den diese beim nächsten Auftritt von Juve im San Siro stolz von FossaMitgliedern als Trophäe geschwenkt. Die Reaktion blieb nicht aus, und so wurde einer FdL-Gruppe ihr Trans parent nach einem Auswärtsspiel in Eindhoven gewaltsam entwendet. Ab diesem Punkt wird die Geschichte un terschiedlich erzählt. Viking-Mitglie der behaupten, die Fossa-Führung habe bei der Polizei Anzeige wegen bewaffneten Raubüberfalls erstattet und damit gegen den Ultra-Kodex verstossen, was die Mailänder vehe ment bestritten. Schliesslich kam es auf halbem Weg zwischen den bei den Städten zu einem Austausch der Fahnen. Damit war die Geschichte aber längst nicht vorbei. Die anderen gro ssen Ultra-Gruppierungen der AC Milan, die plötzlich ihre Chance auf mehr Einfluss in der Kurve sahen,
veröffentlichten im November 2005 eine Presseerklärung, die der FossaFührung unehrenhaftes Verhalten unterstellte und sie zum Rücktritt aufforderte. Darin schwang auch die Aufforderung an alle anderen FdLMitglieder mit, sich anderen Grup pierungen anzuschliessen. Ein ano nymes Führungsmitglied der Fossa liess sich in der «Gazzetta» zitieren: «Wir standen mit dem Rücken zur Wand, und es wäre gefährlich gewor den, weiterhin die Gruppe zu führen und mit Transparenten und anderem Material ins Stadion zu kommen. Nachdem uns praktisch verboten worden war, die Curva Sud zu betre ten, war die Auflösung die letztmög liche würdige Geste.» So endete die Geschichte einer einzigartigen Grup pierung, ohne die die vielbewunder ten Choreos der Curva Sud einiges an Pracht eingebüsst haben. (syk)
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«Der Fussball wird tot sein. Nicht weil er
nicht länger als ein schnelles und hartes Spiel von den unterdrückten Massen in den Blechbuden-Stadien verfolgt wird, sondern weil er nicht mehr länger kulturell verwurzelt ist. Er wird dann nicht mehr aus einer lebendigen Volkskultur heraus geprägt, sondern von aussen, von den Ideen des Massenkultur-Spektakels, die unter den Kontrolleuren der Kultur des ausgehenden 20. Jahrhunderts vorherrschen. Strukturierter ausgedrückt: der Fussballsport wird seine Teilautonomie von den herrschenden ökonomischen und kulturellen Kräften, seine Teilautonomie als Bestandteil der Volkskultur verlieren. Der Fussballsport wird geschichtslos und historisch folgenlos werden. und so viel
Er wird so wenig Geschichte haben wie das Flipperspiel, das Bowling-Treffen und der Abend in der Diskothek. Gereinigt von
lebensgeschichtlichen Erinnerungen, in die zugleich ein Stück historischer Erfahrung eingegangen ist.» Kultursoziologe Chas Critcher
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Goldrausch und Stimmungskrise
Die Budgets der Premier-League-Klubs steigen immer weiter. Doch die berühmte Stimmung in englischen Fussballstadien findet man immer seltener. Was läuft schief in England? Text: Peter Balzli / Bild: Imago
England ist nicht nur das Mutterland des Fussballs, sondern auch das Mutterland der Fankultur. Die Stadien auf der Insel sind die Wiege der Fangesänge und des Fussball-Hooliganismus. Doch wer die berühmte Stimmung in den englischen Stadien heute sucht, hats schwer. Das hat insbesondere mit der Abschaffung der Stehplätze in den zwei höchsten Ligen zu tun, denn im Sitzen singt es sich bekanntlich weit schlechter als im Stehen. Die Stimmungskrise hat aber auch mit den exorbitanten Eintrittspreisen in der Premier League zu tun. Der billigste Platz für die Heimspiele des Chelsea F.C. kos-
tet mittlerweile 54 Franken, der Liga-Schnitt liegt bei über 42 Franken. Eine erstaunliche Entwicklung wenn man sich Erinnerung ruft, was im «Taylor Report» zu lesen war, der die Ereignisse der Hillsborough-Katastrophe in Sheffield von 1989 untersuchte: «Es sollte möglich sein, für 6 Pfund einen Sitzplatz zu kriegen.» Tatsächlich konnte man etwa im Highbury in jenem Jahr noch für 5 Pfund Arsenal gegen Manchester United sehen, heute berappt man dafür mindestens das Zehnfache. Viele eingefleischte Fans können sich den Besuch der Spiele schlicht nicht mehr leisten. Je teurer die Sitze, #
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desto lauer die Stimmung. «Die Seele des Spiels wurde verkauft», sagt denn auch Kevin Miles von der Football Supporters Federation (FSF) resigniert. Selbst der Sprecher der Premier League gibt offen zu: «Wir müssen akzeptieren, dass sich einige Leute ausgeschlossen fühlen, weil sie sich die Tickets nicht leisten können.» Denn die Budgets der Vereine in der Premier League steigen jedes Jahr weiter. Vor allem dank Fernsehgeldern, Merchandising und superreichen Klubbesitzern aus Russland und Asien. Fussball war in England traditionell das Spiel der Arbeiterklasse. Mit den heutigen Preisen wurden diese Leute gewaltfrei aus den Stadien entfernt. Obwohl die Stadion auslastung der Klubs in der Premier League immer noch zwischen 95 und 100 Prozent liegt, wenden sich immer mehr eingefleischte Fussballfans von der Premier League ab. Dies betrifft vor allem die jüngere Generation: Anfang der 1990erJahre machten die 16- bis 24-Jährigen noch ein Viertel der Zuschauer aus, heute sind die Tickets für die meisten jungen Erwachsenen nicht mehr erschwinglich, sie machen heute nur noch 7 Prozent aus. Der durchschnittliche englische Stadionbesucher ist stolze 41 Jahre alt. Wer sich die Premier League nicht mehr leisten kann oder will, besucht Spiele der tieferen Ligen oder reist etwa nach Deutschland, wo es noch Stehplätze und Bier im Stadion gibt. Der 1. FC Nürnberg hat sogar einen britischen Fanklub, dessen 100 Mitglieder – die laut Statuten dazu verpflichtet sind, Bier zu trinken und Bratwurst zu essen – regelmässig die Heimspiele des Klubs besuchen. «The Great Football Exodus» nennen die englischen Zeitungen das Phänomen. Das Stadion als Klinik In den und rund um die Stadien ist es für die Zuschauer seit der Einführung des Fussballzuschauergesetzes (Football Spectactor Act) im Jahr 1989 viel sicherer geworden. Es gehen heute mehr Frauen und Kinder in die Stadien als früher. Die Ironie der Geschichte: Der Football Spectator Act wurde nicht nach einer von Hooligans verursachten Katastro-
Ein Pint im Stadion Nicht nur gegen das Stehplatzverbot, auch gegen das Alkoholverbot in den Stadien wächst der Wi derstand. Laut Ryan McKnight, Herausgeber des englischen Fanzine «FC Business», sei das Verbot rechtswidrig, weil es Fussballfans gegenüber den Fans aller anderen Sportarten diskriminiere. Die Initianten wollen jetzt eine Studie zur Risikobewer tung durchführen. Falls diese positiv ausfällt, wol len sie die Ausschankregelung beim Fussball den der geltenden Bestimmung bei anderen Sportarten anzupassen. In allen anderen Sportstadien ist der Alkoholkonsum erlaubt.
phe in Kraft gesetzt, sondern nach der Stadionkatastrophe von Hillsborough verfasst. Schuld an den 96 Toten und 766 Verletzten von Sheffield waren aber das Sicherheitspersonal und die Polizei, die zu viele Fans ins Stadion einliessen. Und bis heute musste sich kein einziger der Schuldigen vor einem Richter verantworten. Ja, es gibt kaum noch Ausschreitungen rund um Premier League Spiele. Hooligans werden auf der Insel aus den Stadien verbannt und mit Rayonverboten belegt. Wer einen solchen Erlass missachtet, muss mit einer Strafe von über 5000 Pfund und bis zu sechs Monaten Gefängnis rechnen. Ausschreitungen und Pyros gibts fast nur noch bei Cupspielen bei Unterklassigen, weil in deren Stadien die Sicherheitsvorkehrungen naturgemäss weniger gut sind. Immer mehr Fans missfällt die klinische Stimmung in den Stadien. Die Football Supporters Federation (FSF), eine Vereinigung von 180 000 Fans, kämpft deshalb für die Wiedereinführung von Stehplätzen in den Stadien. Und dies ist keine Minderheit: Laut einer Umfrage möchten 92 Prozent der Fans gerne selbst entscheiden, ob sie ein Spiel im Sitzen oder im Stehen verfolgen. Und satte 69 Prozent würden laut derselben Umfrage ein Spiel lieber auf einem Stehplatz verfolgen. Der Football Spectator Act hat auch zur Folge, dass Rugby-Fans ihre Teams im Stehen anfeuern dürfen, während beim Fussball alle sitzen müssen. Das Gesetz gilt aber nur für die zwei höchsten Ligen, weshalb sich viele Fans fragen: Warum soll es Stadionsicherheit nur für sportlich erfolgreiche Klubs geben? 2010 brachte der Politiker Don Foster (Liberaldemokratische Partei) für die FSF mit einer Rede im britischen Unterhaus einen Gesetzesentwurf zur Wiedereinführung von Stehplätzen in britischen Stadien auf den Weg, die sogenannte Safe Standing Bill. Die Erfolgschancen sind allerdings gering. Der FSF geht es vor allem darum, die Diskussion in Gang zu bringen und mediale Aufmerksamkeit zu schaffen. Der gleiche Dan Foster kämpft übrigens auch gegen die «Finanzkrise» im englischen Fussball und für strengere Finanzregeln für die Vereine. Immer mehr Klubs sind rettungslos überschuldet. Sieben der zwanzig umsatzstärksten Fussballklubs der Welt spielen in der Premier League, deren Vereine sind aber insgesamt mit 5,25 Milliarden Franken verschuldet. Das sind 56 Prozent der Schulden aller europäischen Fussballklubs und viermal so viel Schulden, wie in der spanischen Liga, der am zweithöchsten verschuldeten Liga der Welt. Alleine Manchester United und Liverpool haben zusammen mehr als 1,5 Milliarden Franken Schulden. Beide wurden von amerikanischen Geschäftsmännern mit geborgtem Geld aufgekauft. In beiden Fällen kämpften die Fans heftig und erfolglos gegen den Ausverkauf ihres Klubs. • Peter Balzli ist England-Korrespondent des Schweizer Fernsehens und schreibt für ZWÖLF jeweils die Kolumne «Unser Mann in London».
SchNipSEL
das BIER
Das Blaue Kreuz Zürich – klingt wie eine Beiz, ist es aber nicht – rief jüngst eine kantonale Volksinitiative ins Leben, die Alkoholwerbung in Stadien verbieten will. Alkohol habe im Zu sammenhang mit Sport nichts verloren. Slogan: «Knallt Alkoholwerbung aus dem Stadion!» Als fussballorientierter ErlebnisFan war mein ers ter Gedanke: Gut trifft es nur die Zürcher. Wo kein Stadion, da kein Richter. Mein zweiter Ge danke: Eishockey und LeichtathletikStadien sind auch Stadien – mein Beileid. Denn die Vermutung liegt nahe, dass das WerbeMäntelchen nur der erste Schritt Rich tung Stadionverbot für Bier darstellt. Die Uefa machte es vor Jahren vor und verbannte Alko hol aus sämtlichen Stadien. An den einst gemüt lichen Länderspielen teilte sich das Publikum fortan in zwei Lager (Gruppen, nicht Bier): Die VorratTrinker und die «Ich bin sowieso mit dem Auto hier»Besucher. Die VorratGruppe trinkt sich vor Betreten des Stadions die Hoffnung realistisch, die gute Stimmung möge bis zum Abpfiff anhalten. Ein fataler Irrtum: Der sogenannte UefaKater macht sich ungefähr in der 40. Minute der ers ten Halbzeit bemerkbar. Spätestens wenn min derjährige Bauchladenbesitzer einen mit bier ähnlichem Erzeugnis (kann Spuren von Hopfen enthalten) vertrösten wollen, wird der Lust auf kohlensäurehaltige Pausenanalyse jäh ein Ende gesetzt. Gerade Spiele der Nationalmannschaft lebten in letzter Zeit nicht selten davon, dass man sie sich schöntrank. Gemeint ist nicht die Nati 2.0, welche Spiele neuerdings auch dann gewinnt, wenn es Sinn macht, sondern die Nati 1.0 (Hitzfeld Edition), die gerne mal eine Partie gegen Luxemburg verlor, an Montenegro schei terte oder Honduras einen Punkt abluchste. Da lernt man einmal mehr die heimischen Ligen schätzen. Wie gross die Bedeutung von Bier für Matchbesucher ist, zeigen Feldstudien. BrüggliFeldstudien, um zu präzisieren. Nach Aaraus Unabstieg baute der Verein Bierstände und Personal ab. Die Annahme, dass weniger Zuschauer weniger Bier trinken und folglich we niger Kaufgelegenheiten benötigen würden, er wies sich in der Praxis als unterklassig. Entweder verursacht ein Abstieg mehr Durst pro Kopf – oder dem treuen Stadiongeniesser ist es egal, ob
der Verein noch in der DosenbachLiga ruht oder bereits die RaiffeisenChallenge annimmt. In letzter Zeit kam es vermehrt vor, dass die Schlange eines bestimmten Bierstandes von Höhe Eckfahne fast bis zur Mittellinie reichte. Ausnahmsweise keine Übertreibung. Je län ger die Wartezeit, desto umfangreicher die Be stellung: Wer endlich an der Reihe ist, hat vom Schlange stehen vorerst genug und versorgt vor sorglich sich und sein soziales Umfeld bis zum Spielende – was eine exponentielle Zunahme der Wartezeit zur Folge hat. Dieses unspeditive Ver halten wird in Aarau schon lange durch die Aus gabe von Bierkartons gefördert. Damit lassen sich in einer Hand problemlos bis zu acht Bier tragen. Früher war die Hamsterpappe gratis. Sobald alle Becher leer waren, landete die Trans porthilfe per Frisbeewurf auf dem Spielfeld oder am Kopf eines unbeteiligten Rentners. Heute kostet sie einen Franken Depot – ohne Sponso renaufdruck. Die Kartons segeln bei strittigen Schiedsrichterentscheidungen trotzdem noch aufs Spielfeld. Je nach Schlangenlänge benötigt man sie ohnehin kein zweites Mal. Ein Schuss, ein Franken – ein fairer Deal. Zurück zur Initiative. Diese darf ruhigen Ge wissens angenommen werden: Falls im Kanton Zürich je wieder ein Länderspiel ausgetragen werden sollte – der Trainingscampus Nieder hasli oder die Schützenwiese Winterthur wären würdevolle Gastgeber – dann wenigstens ohne rotweisse CarlsbergPerücken. Wer eine möch te, soll sie gefälligst kaufen. Das Bierkarton Modell in Aarau hat sich bewährt. Und wenn eines Tages nach der Werbung auch noch das Werbeobjekt aus dem Stadion «ge knallt» werden soll, hat der bierselige Stadion besucher mit Sepp Blatter immer noch einen mächtigen Verbündeten direkt vor der Haustür. «Kein Fussball ohne Alkohol!», belehrte er kürz lich die Brasilianer. Die wollen partout nicht ein sehen, dass sich ihre abstinenten WMStadien nicht mit den von der FIFA bereits verkauften BierausschankLizenzen vereinbaren lassen. Da soll mal einer sagen, der volksnahe Blatter Sepp setze sich nicht für die Anliegen des einfachen, kleinen Mannes ein. Einen dreifachen Bierkar ton auf den Präsidenten! Thomas Häusermann
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Grasshopper Club Zürich – FC Zürich 1971 Bild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv
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Hier steht eine kurze Bildlegende, die beschreibt, um welches Spiel–esFC sich BSC Young Boys Basel handelt und wann es 2012 stattfand. Bild: Thomas Hodel
Der Blick von unten Es gibt Schriften von der Basis, die trotzen dem Internet: Sie heissen «Fischreiher», «Schreyhals», «Känäme», «Stelzbock», «Wäuebrächer» oder «Hafenschlampe». In ihnen sind Sätze zu finden wie dieser: «Drei S tunden Pyro schauen, da fliegen einem ja die Augen aus dem Kopf.» Willkommen in der Welt der Fussball-Fanzines. Text: Pascal Claude / Bild: Judith Balla
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«Fanzine» ist ein Kunstwort, eine Zusammenziehung der englischen Begriffe «Fan» und «Magazine». Dass vom Magazine in diesem Neologismus nur die Hälfte übrig blieb, hat seine Richtigkeit: Mit herkömmlichen Publikationen, redaktionell betreuten Inhalten, bezahlten Inseraten oder professionellen Vertriebskanälen hat ein Fanzine wenig zu tun. Einzig das bedruckte Hochglanzpapier hat da und dort die Matrize oder das handkopierte A4-Blatt ersetzt. Entstanden Ende der 60er-Jahre als hingebungsvolle Kampfschriften britischer Musikfreaks, adaptierten Mitte der 80er-Jahre Fussballfans unter den englischen Untergrundschreibern die Fanzines an ihren Lieblingssport. Die Mutter aller Fanzines, das in London verlegte «When Saturday Comes» (WSC), hat bis heute durchgehalten und trotz respektabler Auflage nichts von seinem Charme, seinem Witz und seiner Widerborstigkeit verloren. Mit seinem kon-
sequenten Blick von unten auf den Fussball hat es zahlreiche Sportjournalisten beeinflusst und das englische «Football Writing» geprägt. Einen Fanzine-Boom, wie er ausgehend von England ab Ende der 80er-Jahre auch in Deutschland zu beobachten war, hat die Schweiz nie erlebt. Das lag vor allem an der lange Zeit fehlenden Überschneidung zwischen der Fussball- und der Musik-, Kultur- oder Politszene, wie sie in Deutschland auch dank des ungleich höheren Stellenwerts des Fussballs in allen Gesellschaftsschichten gegeben war. Fanzines in der Schweiz waren und sind grösstenteils die Stimmen der Kurve, kommen aus der Mitte der Fanszene und behandeln auch in erster Linie dieselbe. Am häufigsten waren hierzulande in den vergangenen 10 Jahren Hefte zu finden, die am Ende einer (halben) S aison Bilanz ziehen und Spieltag für Spieltag mit Erlebnisberich-
fanZINES ten abhandeln. Das «Kop Nord Sion» zeichnet sich dabei durch angereicherte Zuschauerzahlen aus, indem es etwa aus Sion – FC Thun «10 400 Thunfischer vs. 200 Thunfische» und aus Sion – YB «13 800 x Raclette vs. 600 x YB-Wurscht» macht. Da liefen die Käseöfen heiss! Das Blättern in einem 10 Jahre alten St.Galler «Fischreiher» holt alte Schreckgespenster aus der Vergessenheit: «NEIN zur Alpenliga» steht auf dem Transparent, das die Espen 2003 gegen Delémont zeigten. Und im Spielbericht ist zu lesen: «Der FCSG knüpfte an seine Leistungen der vergangenen Saison an und zeigte Anti-Fussball vom Feinsten.» Es ist der ungefilterte, rücksichtslose, streng subjektive, verzweifelte und humorvolle Ton, der die Fanzines auszeichnet und der sich für die Fans selber offenbar am besten eignet, erlittene Schmach zu verarbeiten oder Triumphe zu feiern. WSC-Autor Al Needham umschrieb den unverwechselbaren Fanzine-Stil einst mit folgenden Worten: «Es ist o.k., gnadenlos über das Team herzuziehen, das dir so viel bedeutet, so lange du noch gnadenloser über die Teams herziehst, die du hasst.» Am nächsten an die britische Vorstellung eines guten Fanzines kam wohl das Zürcher «Igang 3». In seinen besten Nummern bestach das anspruchsvoll gestaltete A4-Heft durch eine Mischung aus Kurven-Interna, Kaffeesatzlesen, Klubgeschichte und Krawall-Comic. Das grosse, heterogene Redaktionsteam tat sich aber immer schwerer mit einem inhaltlichen Konsens und stellte die Arbeit 2009 nach fünf Jahren ein. Auch den Winterthurer «Laufpass», weniger aufwendig gestaltet, inhaltlich aber mit einer ähnlichen Ausrichtung, gab es irgendwann plötzlich nicht mehr. Er teilt damit das Schicksal mit vielen Heften seiner Art: Es sind Projekte in Fronarbeit, und irgendwann geht der Schnauf aus oder
das Geld, und damit stirbt auch der Titel. Immerhin: Der «Laufpass» hatte noch ausführlich darüber berichtet, wie die Vereinsbasis in einer Petition besseren Kartoffelsalat an der Vereins-GV forderte. Gedruckte Selbstkritik Mit der zunehmenden Politisierung der Fankurven durch die verstärkte Repression in den vergangenen Jahren verschwand aus vielen Fanzines das Absurde, Aberwitzige zugunsten einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den Themen Stadionverbot, Hooligangesetz, Feuerwerk und mediale Berichterstattung. So finden sich im Luzerner «Stelzbock», im Berner «Wäuebrächer», im Basler «Schreyhals» oder im Zürcher «Känäme» kritische Texte, aus denen Ernsthaftigkeit und echte Sorge um die Zukunft der Gilde sprechen. Bemerkenswert dabei ist der hohe Grad an Selbstkritik: Wer Hefte voller Parolen gegen Polizei, Politik und Fussballverband sucht, sucht vergebens. Damit werden die Fan-Zeitschriften zu ernst zu nehmenden meinungsbildenden Organen innerhalb der Kurve. Wer regelmässig ein Stadion besucht, soll die Augen offenhalten nach jungen Menschen mit Stapeln kleiner Zeitschriften in den Händen. Die Fanzines verdienen Beachtung, sie sind ein kleines Rädchen in jenem umweltverträglichen Motor, der den Fussballplatz zu einem besseren Ort macht. Keine Stadt beweist das besser als Kreuzlingen: Der Verein spielt in der 1. Liga, doch hat er eine Kurve, die mit der «Hafenschlampe» und dem «Grenzstadtkurier» gleich zwei wunderbare Postillen produziert. Entsprechend angenehm sind die Besuche in «Klein Venedig», dem Platz auf dem Kreuzlinger Hafenareal. •
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Zwang zum
Siegen
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Um GC stand es zwischenzeitlich so schlecht, dass den Anhängern nur noch Mitleid entgegen schlug. Der Verein verlor Spiele, Spieler und sein Stadion. Im Kampf gegen den Verlust der Identität hilft nur eines: Siege. Text: Tobias Günter / Illustration: Roger Zürcher
Erstaunen liegt im Gesicht des Gegenübers: Ja, ich bin Anhänger des Grasshopper Club. Bemitleidende Voten sind oft die Folgen dieser Aussage. Selten gibt es ein anerkennendes Nicken als Zeichen der Wertschätzung für den Mut zu diesem Bekenntnis. Als würde man über Geschlechtskrankheiten oder persönliche Tragödien sprechen. Als GC-Fan müsse man sich ja seit Jahren von seinen ärgsten Widersachern demütigen lassen, die Führung sei an Peinlichkeiten kaum zu übertreffen und die besten Spieler müssten ständig verkauft werden. Zu all diesem Unglück habe man ja kein eigenes Stadion, dessen Bau selbst Kleinstädte – also die ganze Restschweiz – meistern würden. Es mache nicht mal mehr Spass, den GC zu verspotten, so schlecht stehe es um den Club. Kurz: Der traditionelle GC-Hass wich dem Mitleid. Schlimmer geht’s nicht. Aber haben uns zehn Jahre Demütigung wirklich nachhaltig geschadet? Löst sich unsere Identität jetzt Stück für Stück auf? Das Gefühl der Gruppenzugehörigkeit ist ein widersprüchliches Phänomen. In der Soziologie wie im Sport erklärt es sich über zwei Wege. Geteilte Vorstellungen, ähnliche Vorlieben und eine gemeinsam Geschichte verbinden. Die Identifizierung mit einem Club leidet, wenn Symbole des Gemeinsamen wie ein Heimstadion, sportliche Galionsfiguren oder Titel fehlen. Gerade der Zusammenhang zwischen
sportlichem Erfolg und der Häufigkeit des Stadionbesuchs ist signifikant. Trotz der Mär speziell masochistisch veranlagter Homini Affizionadi steht fest: Teams in der höchsten Liga erfahren mehr Zuspruch als solche in unteren Ligen. Andererseits kann auch Abgrenzung gegenüber anderem eine Gruppe einen. Viel stärker als bei der Konkurrenz zeichnet dieser Wesenszug die Kultur des GC aus. Immer kämpfte man als Primus gegen die gesamte Fussball-Schweiz. Nicht geliebt wollten wir werden, Missgunst und Ablehnung waren das Ziel. Gerade weil wir uns nicht in erster Linie über Verbundenheit gegen innen, sondern über Abgrenzung gegen aussen definierten, ist der Verlust von Gemeinsamkeiten weniger schlimm als bei anderen. Aus diesem Grund brauchen wir dem FCZ den Brand des «Stadtclubs» nicht streitig machen. Marketing-Gurus mögen dies noch so laut fordern. Wir bleiben lieber unter uns und pflegen unsere pseudo-angeborene Züriberg-Arroganz als kleine, elitäre Gruppierung. GC ist niemandem egal Trotz Negativserien und schlecht besuchten Heimspielen sind nie zuvor derartige Massen von GC-Fans an Auswärtsspiele gefahren. Es gab Demonstrationen für ein neues Stadion, ein stadtweites Guerilla-Feuerwerk zum Geburtstag
FanKurVE GC
und ein Clublokal. Dies zeigt, dass auch wir verlorene Gemeinsamkeiten kompensieren müssen, denn der Abbruch des Hardturms hat uns tief getroffen. Nur: Machte ihn nicht erst sein Verschwinden so richtig zum Mythos? Nie werden sich unsere Gegner für dort erlittene Niederlagen (etwa für jene im Cup-Halbfinal am 3. März 2004) revanchieren können, nie werden unsere glorifizierten Räubergeschichten von der verräterischen Stadionkamera eines Playmobil-Stadions als Lügen entlarvt werden. Tatsächlich gab es auch Versuche, nett zu sein. Ein Nachwuchskonzept braucht schliesslich jeder Club. Dieses jedoch zu einem tragenden Pfeiler der Clubkultur zu machen und
damit eine Entschuldigung für allfällige Niederlagen zu institutionalisieren, war schlicht feige. Deswegen sind wir froh, haben die neue Führung und die Mannschaft in dieser Saison den wichtigsten Wert unserer Tradition wiederbelebt: Wir wollen wieder gewinnen. Natürlich siegen wir für uns, aber auch über die anderen. Es mag wenig charmant klingen, doch unser Sieg ist eure Niederlage. Und wenn ihr es nicht zugeben wollt: gegen GC zu verlieren wird euch nie egal sein. Denn kein Verlust von Gemeinsamkeiten oder eines Stadions kann uns zerstören. Nur die Niederlage kann das. • Tobias Günter will den Titel.
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schnipsel
Die Kurve
Sie mag auf den ersten Blick wild, heterogen und unkoordiniert wirken, die Fankurve. In Tat und Wahrheit steckt dahinter eine Organisation, die so gut funktioniert, dass Sportvereine und Pfadfinder vor Neid erblassen müssten. Dafür braucht es keine Statuten und keine niedergeschriebenen Regeln, denn die Verhaltensregeln werden Neuankömmlingen schon nach wenigen Matchbesuchen klar gemacht. Was man soll, darf und kann, soll hier anhand der fiktiven und neu gegründeten Fangruppierung ANIMUS erläutert werden. Grundsätzlich gilt: Die Kurve steht jedem offen. So bil den die Stehplätze hinter dem Tor einen löblichen Gegen entwurf zu anderen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, wie etwa einem Klub oder einer Disco, wo Kleidung, Ausse hen und Alter ein Einlasskriterium sind. Wer sich gerne ei ner bestehenden Fangruppierung anschliessen möchte, der braucht meist ein Mitglied als eine Art Götti. Ist die Gruppe nach einiger Zeit der Ansicht, der Neue passe zu ihnen und habe sich bewährt, wird er ohne Rituale oder Mitgliederbei träge aufgenommen.
Zeig mir den Platz in der Kurve Unsere Freunde von ANIMUS machen ohnehin lieber ihr eigenes Ding. Deshalb müssen sie sich zuerst einen Platz in der Kurve suchen. Welche Gruppierung wo stehen darf, hat sich historisch entwickelt. Den Formationen, die schon am längsten dabei sind, gebühren die besten Plätze. Aber auch wer durch grossen Einsatz, Singen und Choreos auffällt, rückt bald näher ins Zentrum. Dabei ist viel Eigeninitiative gefragt. Durch ständige Anwesenheit und Besuche in Fan lokalen entstehen Kontakte zu den treibenden Kräften der Kurve. Wer etwa beim Choreo-Basteln oder dergleichen mittun will, der muss seine Hilfe selber anbieten. Dies läuft nur über persönliche Gespräche – Internet-Foren oder Mailinglisten gibt es kaum. Doch ANIMUS will nicht nur mithelfen, sondern auf sich aufmerksam machen. Die schönen neuen Doppel halter stellen kein Problem dar, aber als die Gruppe ihr Banner an den Stadionzaun hängen will, sind sofort Leute zur Stelle, die sie darauf hinweisen, dass dies auf keinen Fall gehe. Der Platz am Zaun ist beschränkt, deshalb ist diese Ehre den alteingesessenen Gruppie rungen vorbehalten. Für weiteren Ärger sorgt ANIMUS, als eines der Mitglieder an einem Heimspiel eine Pyrofackel zün det, schliesslich brennt doch in praktisch jedem Spiel die Kurve. Es dauert keine zehn Sekunden, da ist der Zünder umringt von anderen Fans, die ihn in aller Deutlichkeit dazu auffordern, das Ding wegzule gen. Pyros sind zwar jeder Kurve heilig, aber das
Abbrennen muss zwingend koordiniert sein. Nur so entsteht diese Stimmung, von der die Ultras schwärmen.
Das Kurven-Parlament Bis ANIMUS wirklich etabliert sein wird, werden noch Jahre vergehen. Vielleicht dürfen auch sie dereinst wie an dere Gruppierungen einen Vertreter an die wöchentlichen Treffen schicken, wo die dringendsten Fragen besprochen, aber auch der Ticketverkauf und die Auswärtsfahrten or ganisiert werden. Dieses «Kurven-Parlament» will für ei nen einheitlichen Auftritt sorgen und hält auch den Kon takt zum Verein aufrecht. Anders als in der P olitik sind die Wege kurz, und damit ist eine erstaunlich schnelle Umsetzung von Projekten möglich. Ob es darum geht, das Spielfeld vor einem Heimspiel vom Schnee zu räu men, einen sechsstelligen Betrag zu sammeln für die Umrüstung auf Stehplätze oder wie bei Union Berlin den Stadionumbau gleich selber in die Hand zu nehmen – die Kurve kriegt es hin. Von so viel Engagement der als faul und uninteressiert verschrienen Jugend können andere Organisationen nur träumen. Das weiss der FC Kleindorf, der Helfer für den Chilbi-Stand sucht, ebenso wie der Turnverein Hinterberg, der seine Mitglieder zum Altpapiersammeln einteilen soll te, oder der Jugendtreff, dessen Partyraum neu gestrichen werden muss. Für viele in der Kurve ist die Möglichkeit, etwas Eigenes zu schaffen statt wie bei den genannten Bei spielen in eine straff strukturierte Organisation einzutre ten, der Antrieb. Wer Ideen hat – ob für Choreos, Lieder, Aktionen – kann diese jederzeit vorbringen. Der direkte Draht zum Capo oder seiner Entourage besteht und kann von allen genutzt werden. Aktivismus wird zudem stets belohnt, rege Teilnahme bringt bald mehr Mitgestaltungs möglichkeiten, und so wird die Kurve zu jenem «eigenen Ding», für das man eben gerne viel investiert. Doch je mehr Leute hinter dem Tor stehen, desto schwieriger gestaltet sich die Koordination und die Or ganisation. Die Selbstregulierung, auf die sich jede Kurve beruft, funktioniert aus ihrer Sicht bestens. Nur: Wenn sie funktioniert, dann sieht man nichts davon, während das Fehlverhalten eines einzelnen Fans – vielleicht einer von ANIMUS – oft als Beweis dafür aufgeführt wird, dass diese Selbstregulierung eben genau nicht funktioniert. Dass sich an der oben erwähnten Chilbi Kleindorf und auf den städti schen Ausgangsmeilen sowieso verhältnismässig viel mehr Vorfälle ereignen, reicht keineswegs, um Kritiker davon zu überzeugen, dass die Kurve kein wilder, unorganisierter, an archischer Haufen ist, sondern dass klare – wenn auch unge schriebene – Gesetze herrschen und Übertretungen sanktio niert werden. (syk)
Ab Absofort soforterh채ltlich... erh채ltlich...
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«Wenn wir vom Clubheim auf den Platz gingen, mussten wir durch die Zuschauer durch. Diese waren immer sehr freundlich, sie klopften uns auf die Schulter, sie riefen uns zu, sie sprachen mit uns. Dasselbe auch nach dem Spiel beim umgekehrten Weg. Unser Clubheim war nach jedem Spiel brechend voll.
Denn die Zuschauer wollten gerne nochmals mit der Mannschaft sprechen. Nach dem Duschen gingen wir deshalb immer nach oben. Später gab es eine Kaffeetafel, und nach der Kaffeetafel gab es noch Abendbrot. Und nach dem Abendbrot war natürlich geselliges Beisammensein an der Theke angesagt – immer mit den Anhängern. Der Satz, der heute immer missbraucht wird, traf damals tatsächlich zu: wir waren wirklich eine grosse Familie.» Albert Reckel (1918–2002), Spieler bei Hannover 96 von 1937 bis 1952, Deutscher Meister 1938.
beZIEHUNGSkriSE
Spieler mit pReisschild Für Ivan Ergić, den Querdenker und langjährigen FCB-Profi, gibt es die Beziehung zwischen Spielern und Fans nicht mehr länger. Der Fussballer ist nur noch ein Produkt, das Publikum der Kunde. Den meisten Profis kommt das keineswegs ungelegen. Text: Ivan Ergić / Bild: Stefan Holenstein
Die Überkommerzialisierung, die den Fussball und den Sport im Allgemeinen zur Ware hat werden lassen, ist eigentlich nichts anderes als ein Prozess der Entfremdung der Spieler von den Fans. Wie in der Gesellschaft existiert auch im Mikrokosmos des Sports fast nichts mehr, worauf man nicht einen Preisaufkleber anbringen könnte. Als die Leute aus dem «Business» bemerkt haben, was für ein Profitpotenzial im Sport versteckt liegt, schleppten sie ihren Handelsgeist und ihr Kapital in die bis anhin unschuldige menschliche Tätigkeit hinein. Mit der Zeit verwandelte sich alles in Verkaufsware, und die Professionalisierung und das Marketing haben definitiv und für immer den Sportler vom Fan – im humansten Sinne des Wortes – getrennt. Der Spieler wurde zum Produkt, und der Fan sowie das Publikum sind gewöhnliche Konsumenten respektive Kundschaft geworden. Dies ist inzwischen allen klar geworden. Mit der Unterstützung der Marketinggurus in den Vereinen und der Bürokraten, die ihren Sitz in der Fifa und der Uefa und keinerlei Ahnung vom Fussball und Sport haben, entstand so eine sportökonomische Struktur, in der die Beziehung zwischen den Fans und dem Sportler von den Marktkräften und deren Logik bestimmt wird. Die famose smithsche «unsichtbare Hand» – nach dem Ökonomen und Moralphilosophen Adam Smith (1723–1790) – bewegt die Spieler und die Fans wie Figuren, gibt ihnen Identität und Bedeutung, ganz egal, wie sie – insbesondere die Fans – sich dagegen sträuben. Mystifiziert Es ist nicht nur zur Entfremdung gekommen, gleichzeitig wurde die Beziehung zwischen Spielern und Fans auch mystifiziert. Um für die Konsumenten verlockend zu sein, muss der Spieler über eine Unantastbarkeitsaura verfügen. Er muss ein schillerndes Produkt sein, ein Luxusaccessoire, das nur im Schaufenster zu sehen ist. Den Gipfel der Irreführung der Beziehung Fussballer/Fan stellt der Teambus dar. Den meisten Menschen, die Stadien besuchen, muss der neueste Buslook, mit dem die Teams vor dem Stadion erscheinen, aufgefallen sein. Die Fenster sind derart verdunkelt, dass man die Spieler im Bus überhaupt nicht mehr sehen kann.
Daneben hinterlassen die obligate Polizeieskorte und die Sicherheitsmannschaften bei der Ankunft den mystischen Eindruck einer königlichen oder diplomatischen Gefolgschaft. Es gibt keine Knaben mehr, die hinter dem Bus herrennen, um ihre Helden zu sehen. Sie befinden sich eher in einem Geschäft, in dem sie an den Ärmeln ihrer Eltern ziehen, damit diese ihnen die neuesten Fussballschuhe der Fussballstars aus dem Fernsehen kaufen, von denen sie fasziniert sind. Und wenn einige Vereine die kompakte Ankunft des Teams mit dem Bus nicht mehr praktizieren, so existieren in allen modernen Stadien unterirdische Parkhäuser, die mit den Umkleidekabinen und der VIP-Loge direkt verbunden sind, sodass die Spieler, die mit den Autos ankommen, nicht mal für einen Augenblick gesehen werden können. Solche Vorkommnisse, für viele vielleicht vernachlässigbare Kleinigkeiten, stellen die letzte Stufe der Entfremdung innerhalb der Sportindustrie dar. Genau darüber schrieb der französischer Künstler, Autor und Filmemacher Guy Debord, nämlich dass innerhalb der Spektakelgesellschaft alles voneinander derart entfernt ist, dass heutzutage jede Beziehung, sogar die menschliche, durch Bilder und Vorstellungen vermittelt wird. Der Fan steht zum Sportler nicht in einer Beziehung wie zu einem anderen Mitmenschen, sondern in einer zu dessen medialem Bild oder der Marketingstatue, die er verkörpert. Der Fussballer und der Fan haben keinen Treffpunkt mehr. Es ist zu erwarten, dass es, nach der elitären kapitalistischen Lebenslogik zur gesellschaftlichen Abtrennung des gut bezahlten Sportlers selbst kommen wird. Er hat keine Berührungspunkte mehr mit dem gewöhnlichen Menschen, was sein Fan eigentlich ist. Einst gingen die Spieler nach den Matches spontan mit den Sportfans zu den gleichen Treffpunkten, tranken ein Bier und tauschten Erfahrungen aus, während sie sich heute nicht mehr kennen. . Separiert Die sportlichen Superstars und Sternchen leben und bewegen sich in einer Art gesellschaftlichen «Séparées» und sind vollkommen unantastbar geworden. Der moderne Sportler hat eine Hollywoodisierung der eigenen Persönlichkeit erlebt, ohne dies überhaupt zu merken, die mit gleichen Techniken erfolgte, mit denen einst die mächtigen Pro- #
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duzenten der grossen Studios ihre Schauspieler nicht nur auf der Leinwand, sondern auch in deren Privatleben mystifizierten, damit sie noch anziehender wurden. Innerhalb des Sports selbst oder des eigentlichen Spielerlebnisses, dort also, wo das Verhältnis Spieler/Fan wenigstens einigermassen spontan sein sollte, ist es ebenfalls künstlich. Beginnend bei der pflichtgemässen Publikumsbegrüssung vor Spielbeginn bis zum fast rituellen Applaus am Spielende in Richtung der Fans, als Dankbarkeitsausdruck für die Unterstützung. Und sollte allenfalls das Spiel verloren gehen und die frustrierten Spieler können es kaum erwarten, sich in die Umkleidekabine zu flüchten, so warten am Spielfeldrand Medienbetreuer oder Manager auf sie, die sie zurückbeordern, um das Publikum zu grüssen, das in diesem Moment selbst genervt ist und höchstwahrscheinlich zornig pfeift. Bestraft und beschimpft
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Diese Beziehung unter Zwang ist nichts anders als die geplante Beziehung einer Firma zu ihrer Kundschaft, die zufriedengestellt werden soll, da der Kunde König ist. In diese Art von Relationen fallen auch verschiedene Promotionstätigkeiten wie organisierte Autogrammstunden oder Fanclubbesuche, die von den Spielern mehr oder weniger als eine Art Bestrafung erlebt werden. All dies sind Vertragsverpflichtungen, die jede ernsthafte Handelsgesellschaft, die auf ihre Beziehung zu den Konsumenten achtet, zuerst bei der Vertragsunterzeichnung mit Angestellten, also den Spielern, absichert. Diese Beziehungsart ist ein Äquivalent für das gekünstelte Lächeln der Verkäuferin, die in den letzten Stunden ihrer Arbeitszeit, obwohl sie vor Müdigkeit fast umfällt, den Kunden zu charmieren versucht.
Der Fan ist sich endlich bewusst geworden, dass er auf einen ganz gewöhnlichen Konsumenten und Kunden reduziert wurde. Und während sich der Spieler als verwöhnter Star verhält, geriert sich Ersterer selbst als verwöhnter Gast oder Besucher, der sein Ticket bezahlt hat und sich wünscht, dass man ihm eine hochklassige Partie und, wenn möglich, eine Show abliefert. Falls er als Konsument unzufrieden sein sollte, hat er jedes Recht, auf seine Art und Weise seinen Unmut zu äussern. Selbst die, die ihrem Verein am ergebensten sind und sich somit klar vom klassischen Konsumenten abgrenzen, verlieren immer häufiger die Geduld, was sich in Tiraden und Zurufen äussert. In der Zusammensetzung der Parolen, Beleidigungen und Pfiffe, mit denen die Fans die Fussballer beehren, ist vielleicht das Skandieren der Fans der deutschen Bundesliga am bezeichnendsten. Bei den ersten schlechten Resultaten, oder falls ihr Team nicht erwartungsgemäss spielt, hört man praktisch vom ganzen Stadion sofort: «Scheissmillionäre!» Darin ist das ganze verborgene Wesen der modernen Sportproduktion und deren Bestimmung enthalten. Dem Profisportler im hyperkommerzialisierten Sport wurden enorme Geldmengen und Beachtung zuteil, sodass sämtliche Frustrationen über das gewöhnliche Fussballresultat bis hin zur elementaren gesellschaftlichen Ungerechtigkeit auf ihn abgewälzt werden. Er wurde von jenen exponiert, die dirigieren und tatsächlich Inhaber der Sportwirtschaft sind, von jenen, die in all dem unberührt bleiben. Entfremdet Der Fussballer und der Fan sind empathisch getrennt – und dies ist die schlechtest mögliche Entfremdungsart. Wären Ergić in der Muttenzerkurve im Jahre 2007.
beZIEHUNGSkriSE sie einander näher, dann hätte der Spieler mehr Gefühl für den Fan, der sein letztes Geld für die Saisonkarte oder ein fernes Gastspiel ausgibt, während andererseits der Fan mehr mit dem Spieler mitfühlen würde, der sich unter konstantem Druck befindet und gezwungen ist, sich mit Entzündungshemmern zu vergiften oder Kortison einzunehmen. So aber haben sowohl der eine als auch der andere die klar definierten Rollen und Erwartungen. Beide sind Opfer der brutalen Erfolgslogik und der Kommerzialisierung, die ihnen aufgedrängt worden sind, nur mit einem Unterschied, wie Karl Marx dies formulieren würde: dass sich der eine in seiner Entfremdung bequemer fühlt. Aber auch das ist fraglich. Es ist fast unmöglich, der Beziehung zwischen dem Spieler und dem Fan einen Sinn zu geben und sie auf ein höheres Niveau als auf rein kommerziellen Determinismus hochzuheben. Zuerst müssten sich beide Seiten vollkommen der eigentlichen Entfremdung und deren Wesen bewusst werden, um sich einander nähern zu können. •
Ivan Ergic Der heute 31-Jährige wanderte im Jugoslawien-Krieg mit seiner Familie nach Australien aus und startete dort 1999 seine Profikarriere. Als 18-Jähriger wurde er von Juventus verpflichtet und sogleich an den FC Basel ausgeliehen. Bis 2009 holte er mit den Baslern 4 Meistertitel und 4 Cupsiege. Bis 2011 spielte er für Bursaspor und wurde sensationell türkischer Meister. Seit einem Jahr ist er nicht mehr Profifussballer. Der serbisch-australische Doppelbürger mit einer Leidenschaft für die Philosophie gilt als kritischer Geist und verfasste schon für diverse Zeitungen viel beachtete Texte. So auch für die Belgrader Tageszeitung «Politika», wo auch dieser Text erstmals veröffentlich worden ist. Demnächst will er einen Gedichtband herausgeben.
Verstümmelte Form der Identität Die Beziehungen zwischen Spielern und Zuschauern und damit auch das Verhalten und die Begeisterung der Zuschauer veränderten sich in dem Mass, wie sich die Vereine und der Spielbetrieb fortentwickelten. Einst waren die Spieler für die Zuschauer noch «greifbare Repräsentanten», die mit der Stadt oder dem Ortsteil, des sen Verein sie angehörten, verbunden und verwurzelt waren. Sie waren ihren Anhängern sozial, kulturell und be züglich der Einkommens und Vermö gensverhältnisse noch nahe, und die Interaktionen beschränkten sich nicht nur auf Begegnungen vor und nach den Spielen, sondern fanden – aufgrund der unmittelbaren Nähe zum Spiel feldrand – oft auch während des Spiels statt. Die Spieler waren «lokale Helden der Arbeiterklasse». Im Zuge der Pro fessionalisierung mussten diese aber einem neuen Typus Platz machen: ei nem von den Medien mitgeformten Star, für den die Treue zum Verein nur noch so lange gilt, wie der Ver ein erfolgreich ist. Dieser neue Spie ler zeichnet sich durch Mobilität aus, selbst während der Saison kann er den Verein wechseln. Und er ist vor allem auf mehr Distanz zu seinen Anhän gern bedacht. Was früher selbstver ständlich war – nämlich der Kontakt
zwischen Spielern und Anhängern –, bedarf heute einer mediengerechten Inszenierung, die von cleveren Mana gern den Spielern ins Pflichtenheft ge schrieben werden muss. Ein neues Phänomen ist dieses Auseinanderdriften von Fans und Spielern keineswegs. Schon vor über 30 Jahren beschrieben Rolf Lindner und Heinrich Breuer dieses Verhältnis so: «Dieses Spannungsverhältnis, diese Cäsarenhaltung des Publikums ist nur ein Zeichen dafür, dass der Zuschau er im Grunde genommen sehr genau weiss, dass der Fussballspieler als Star, wie nah er ihm auch immer durch die mediale Aufbereitung gebracht wird, was Alltagsleben und Lebensperspek tive anbetrifft, entrückt ist. Übrig ge blieben sind verstümmelte Formen der Identifikation, die gleichwohl einen re alen Kern enthalten.» Die Mannschaft, die das Viertel re präsentiert, deren Spieler man kennt und zuweilen – und sei es nur an der Theke des Vereinslokals – trifft, hat kaum mehr etwas mit der zusammen gekauften Profitruppe zu tun, die man mit einigem Glück gerade noch, bevor sie in ihre Porsches, Mercedes oder Maseratis steigen, zum Autogramm Geben erwischt. Diese immer klarere Trennung zwischen Zuschauer und
Sportler, die wachsende Distanz, führt dazu, dass die Zuschauer eine immer grösser werdende Sensibilität für ihre eigene Anwesenheit entwickeln. Es gibt unterschiedliche Beispiele dafür, dass sich die Zuschauer heute mehr und mehr mit sich selbst befassen, da ihnen die Spieler selbst zu weit ent rückt sind. Davon zeugen die vielen Choreografien der Ultras und Suppor ter zu Beginn des Spiels sowie die mit Megafon versehenen Vorsänger, die Capos. Dies kann sogar so weit gehen, dass Zuschauer und Sportler die Rol len tauschen. Der Showcharakter des Profifuss balls bringt aber auch einen Zuschau ertyp hervor, der mehr und mehr zum wählerischen Konsumenten wird, den man mit Aktionen zu gewinnen ver sucht. Andererseits bringt er aber auch die fussballzentrierten Fans hervor, für die der Verein ihr Leben, der Erfolg des Vereins alles ist. Das Fussballsta dion, die UltraGemeinschaft wird zu einem wichtigen Ort des Ausgleichs des Seelenhaushaltes der Menschen moderner Industriegesellschaften. Prof. Dr. Gunter A. Pilz ist Honorar professor am Institut für Sportwissen schaft der Universität Hannover. Dies ist ein Auszug aus seinem Essay «Fussball ist unser Leben!?» von 2001.
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auch mAl wegschAuen
Den problemlosen Fan gibt es nicht. Deshalb empfiehlt Josef Zindel, Mediensprecher des FCB, die Kurven einfach mal machen zu lassen statt sie dauernd masszuregeln. Weniger genau hinschauen könnte Wunder wirken. Text: Josef Zindel
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Die Ausstellung «Fankultur – Szenen aus dem Stadion» thematisiert Fussballfans. Das soll sie durchaus tun, das ist schon in Ordnung so, das ist ein ehrbares Unterfangen. Nur wird auch diese Ausstellung, da kann man so gut und lang und intensiv hinschauen, wie man will, nichts Wesentliches ändern. Nichts an unserer Empörung über Exzesse, die Fussballmassen schon angerichtet haben und weiterhin anrichten werden. Und umgekehrt nichts an der ungebrochenen Faszination, die ein Stadion voller Fussballmassen auf uns ausübt. Nichts an der latenten oder offenen Gewaltbereitschaft jenes Teils von Fussballfans, der gemeint ist, wenn wir anständigen, guten und braven Matchbesucher das Wort «Fussballfan» naserümpfend brauchen. Und nichts umgekehrt an unserer Begeisterung ob der häufig wunderbaren, kreativen Stimmung, die ausgerechnet von diesen so genannten Problemfans inszeniert wird. Fussballfans sind die Seele des Fussballs. Mit ihnen haben wir oft den Salat – ohne sie hätten aber wir Vielleicht sollte man mal damit beginnen, die Fussball- nicht mal den. Deshalb ist es an der Zeit, die Impulse fans weniger erklären und dieser Ausstellung zu nutzen verstehen zu wollen. und nach dem Hinschauen mal etwas mehr wegzuschauen, wenn Fussballfans an ihr Werk schreiten. Statt sie mit aller (Staats-)Gewalt disziplinieren zu wollen, sie einfach mal machen lassen. Sich dabei mit zunehmendem Wegschauen eine abnehmende Wirkung erhoffen und an eine gewisse selbst reinigende Kraft glauben. Denn alles andere wurde schon ausprobiert. Letztlich mit bescheidenem Erfolg. Schon 1980, als die Haare noch anständig lang und die Köpfe noch nicht kahl geschoren waren, erschien das Taschenbuch «Fussballfans» von Ulrich Pramann. Autor Pramann muss ein ziemlicher Tausendsassa sein. Denn vor und nach seinen Betrachtungen zur Subkultur der Fussballfans hat er viele, viele andere Bücher mit viel leichterer Kost verfasst oder war zumindest Co-Autor: «Mensch, beweg dich!» Oder: «Schlank und fit mit Nordic Walking». Oder: «Lebe deine Stärken!» Oder: «Mehr Energie fürs Leben». Und schliesslich: «Perfektes Marathontraining.» Dann fehlen jetzt wohl nur noch: «Gewaltfreies Töpfern» und «Friedfertiges Ikebana für den Strohwitwer an und für sich.» Selbstverständlich kann man glaubwürdige Bücher über richtiges Fitnesstraining und positives Denken schreiben. Wenn man daran glaubt. So, wie man Bücher zum Ziselieren, Blockflötenspiel und zur vietnamesischen Gemüseküche schreiben kann. Oder eben zum Thema Fussballfans und deren Gewalt-
bereitschaft. Auch solche Bücher können seriöse Fachliteratur sein. Leicht ins Grübeln gerätst du erst, wenn du merkst, dass diese soften Ratgeber übers Glücklichleben aus der gleichen Feder stammen wie die gesammelten (Vor)-urteile über die Fanszene Fussball. Ist da einer tatsächlich auf allen Gebieten derart kompetent, dass es zum Fachbuchschreiben reicht, egal, ob Fanszene im Stadion oder Funszene im Fitnesszentrum? Tanzt der auf jeder Hochzeit voll im Takt? Oder ist’s eher einer, der zu jedem Trendthema halt auch noch seinen Käse zwischen zwei Buchdeckel pressen will? In Pramanns Büchern über Bewegung, Marathontraining und wohliges Leben gibt’s wohl kein einziges Gewaltfoto. Mehr als jede zweite der rund 50 Fotografien in seinem Fussballfanbuch hat dagegen im direkten Sinn Gewalt, Alkoholexzesse, Ausschreitungen, Aggressionen oder Sicherheitsmassnahmen als Motiv. Und wenn in seinen Büchern steht, Marathon sei «mehr als nur ein Fitness- oder Ausdauersport, Marathon sei Arbeit, Kampf, Überwindung, Qual und gleichzeitig Glück, Rausch, Stolz, ja Sucht …», so tönt das wie ein Kompliment. Und nicht als Beschimpfung, wie es auf Umschlagseite 4 des Fanbuches steht: «Hunderttausende von Fans entwickeln in ihren Clubs eine neue Subkultur, weil sie keinen anderen Weg wissen, mit ihren Problemen fertig zu werden.» Man merke: Dem Autor all dieser Fachbücher steht der Marathonläufer entschieden näher als der Fussballfan. Mal abgesehen davon, dass es den nicht gibt, den «Fussballfan». Sondern es gibt nur die «Fussballfans». Also kein Singular, sondern nur die Mehrzahl, und zwar in einer unendlich vielzähligen Mehrzahl. Wie sonst käme es, dass Google für den Begriff «Fan» in 0,15 Sekunden fast 3 Milliarden Treffer ausspuckt? Über 2 Milliarden mehr Treffer als beispielsweise für «Barack Obama»? «Ichschwache Fans» Untersuchungen und Abhandlungen und Forschungen und Analysen und Betrachtungen und Essays und Erkenntnisse und Soziogramme über Fussballfans gibt es auch neben Pramanns Buch hunderte. Zum Teil sehr klug tönende, zum Teil mit Wahnsinnserkenntnissen – wie zum Beispiel jenes Fazit des offenbar furchtbar gescheiten Philologen Horst Geyer: «Im Sport wird der ichschwachen autoritätsbedürftigen Persönlichkeit eine Kompensationschance durch Identifikation mit den Erfolgen seiner Lokal- oder Nationalauswahl geboten.» Aha, jetzt weisst du Bescheid, der hat’s dir gesagt, mei, der hat dir den Marsch geblasen: Wenn du das nächste Mal ein
DIE NEUEN 68er 1:0 von Schalke 04 oder ein 2:1 des FC Basel bejubelst, wenn du beim nächsten Tor des Miroslav Klose oder des Marco Streller vor Begeisterung Tor mit zwölf O raus schreist, dann weisst du: Du bist ein ichschwacher, autoritätsbedürftiger Kompensationslümmel auf der Suche nach deiner Identifikation. Da können wir ja in der der Forschung munter noch einen Schritt weiter gehen. Die Fans singen in der Kurve Lieder mit hochliterarischen Texten wie «Jedes Jahr ein Kind, jedes Jahr ein Kind, bis wir Deutscher Meister sind.» Oder «Wir glauben nicht an Geischter, wir glauben nicht an Geischter – der FCB wird Schweizer Meischter!» Auch aus solchem Fanverhalten folgerte der deutsche Sozialpsychologe Hans Ulrich Herrmann in seiner Doktorarbeit messerscharf: «Fans bilden meist eine räumlich und visuell von den übrigen habituellen Zuschauern unterscheidbare, relativ kohärente Subgruppe, die sich durch starke affektive Bindung an das jeweilige Bezugsobjekt in relativ unveränderter Zusammensetzung von Heimspiel zu Heimspiel wiederholt.» Wenn ich da selbst schon nur «Heimspiel» verstehe – dann erkläre man das bitte mal dem Dortmunder Ultra-Fan, dessen Dortmunder Lieblinge grad eben in der 91. Minute gegen Schalke ein Offsidetor zum 0:1 kassiert haben … Deshalb dieses Plädoyer: Vielleicht sollte man tatsächlich mal damit beginnen, die Fussballfans ein wenig weniger erklären und verstehen zu wollen – und dafür ein bisschen mehr diese Tatsachen zu akzeptieren: Dass jene Fans, die randalieren, fast immer jung sind, dass sie kaum mehr andere Bühnen haben für Auflehnung, Trotz und Unruhen als die Fussballstadien, jetzt, wo die Jugendzentren nirgendwo mehr autonom und vielerorts geschlossen sind. Wer den Fussball liebt, liebt auch die Emotionen des Fussballs. Und Fans sind emotional, also liebt ein Fussballfan auch die Fussballfans. Und nimmt deshalb in Kauf, dass es bei Fussballspielen nicht immer zu und her geht wie in einer leeren Kirche. Da können sich noch so viele Fanprojektleiter und Streetworker und Sozialarbeiter als verständnisvolle, vermittelnde, spürende und berührende Gutmenschen in die Fankurven stellen – einen gewaltfreien, aggressionslosen und keimfreien Fussball wird es nie geben. Mal abgesehen davon, dass die gewaltbereiten Fans nicht immer nur in der Kurve hinter dem Tor zu finden sind, sondern durchaus auch in der Loge. Der Unterschied ist manchmal geringer, als man denken könnte: Während die Ultras, Infernos und Ravens und Bravehearts und wie sie alle heissen, nach dem zweiten Fehlentscheid singend verlangen, dass der Schiedsrichter, diese schwarze Sau, endlich aufgehängt werde, denkt der Gentleman in der VIP-Tribüne, man sollte den Schiedsrichter, diese schwarze Sau, endlich aufhängen. Für den Schiedsrichter mag da zwischen singen und denken ein entscheidender Unterschied liegen – die innere Emotionen ist beim einen Fan jedoch keinen Deut friedlicher und gewaltloser als beim andern. Kurzum: Es gibt Dinge im Leben, die muss man entweder ganz abschaffen – oder in den Grundzügen akzeptieren. So wenig, wie es je eine drogenfreie Gesellschaft geben wird, es sei denn, man schaffe die Gesellschaft mit Haut und Haar und Kraut und Stiel ab, so wenig wird es je völlig gewaltlosen
Fussball geben. Das Unerklärliche, Frappante und irgendwie Einzigartige am Fussball ist doch das: Er ist an sich schon in seiner Grundidee relativ aggressiv, er ist oft rassistisch, er ist häufig grob, unanständig und primitiv. Er ist also wie Menschen auch. Und trotzdem liebt man liebt ihn, den Fussball. Ist man glücklich, wenn der Torschütze die richtige Hemdfarbe trägt. Und für eine kurze Zeit ist die Welt in Ordnung, wenn nach 90 Minuten die richtige Mannschaft gewinnt. Und wer nun kommt und cool tut und sagt, aber doch nicht bei uns auf der A-Tribüne, nicht bei uns, ich bitte Sie!, ich komme doch nur ins Stadion, weil mich die Kreativität des Fussballs interessiert und weil ich mich zwischendurch gerne mal ein bisschen vom Alltagsstress an der Börse entspanne und mit den Kollegen ein bisschen hingucke, wer gewinnt, ist mir egal, Hauptsache, sie sind fair, der ist zwar im Stadion dabei und ist anwesend am Event und ist vielleicht ein ganz netter Kerl. Aber eines ist er nicht: Ein Fan. Die neuen 68er Fussballfans, das sei auch in diesem Aufsatz mit seinen parteiischen, wissenschaftlich nicht haltbaren und deshalb absolut fragwürdigen Ansätzen nicht bestritten, Fussballfans bauen mitunter fürchterlichen Mist. Sie machen Dinge, die sie besser nicht machen würden, manchmal machen sie auch Dinge, die nicht zu entschuldigen sind. Aber wirkliche Fussballfans unterscheiden sich von uns gesunden, korrekten und stets beherrschten Zeitgenossen viel mehr durch das, was sie nicht machen als durch das, was sie machen. Richtige Fussballfans verlassen zum Beispiel das Stadion nicht vor dem Schlusspfiff, nur damit sie flotter aus dem Parkhaus rauskommen, egal, ob es 1:0, 0:1 oder 7:2 steht. Sie sind nicht objektiv. Sie bleiben nicht zuhause, nur weil das Wetter nicht so richtig will. Sie schauen dem Match für teure Tickets im Stadion und nicht gratis am Bildschirm zu. Und sie haben keinen Terminkalender, sondern einen Spielplan. Jeder Fussballclub der Welt will Fans und braucht Fans – nur muss er wissen: Den problemlosen Fan bekommt er nie. Und die richtig hart gesottenen Fans sind ohnehin Fan der Mannschaft und nicht der Kluboffiziellen oder des offiziellen Klubs. Sie können die Klubfarben lieben, aber die Klubpolitik hassen – Fans bleiben sie so oder so. Wer die Fans will, muss sie nehmen, wie sie sind. Und sie sind, wie sie sind. Deshalb, und nur deshalb, ist an dieser Stelle leise und verschämt mal darüber nachgedacht worden, dass wegschauen vielleicht mal mehr bringen kann als ständiges genaues hinschauen und dann dieses ewige Therapierenwollen. Zumal diese richtigen, heissen, trotzigen, engagierten, unruhigen Fans in der Kurve sich kaum durch Verbote oder Repression überzeugen lassen, sondern, wenn überhaupt, durch Toleranz. Denn, so dünkt einen manchmal, irgendwie sind diese heutigen Fussball-Ultras in ihren Kurven so etwas wie die Achtundsechziger des neuen Jahrtausend. • Josef Zindel ist Mediensprecher des FC Basel 1893. Dieser Text erschien 2004 im Buch «Kultort Stadion» zur Ausstellung in Basel.
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Bild: Cupfinal FCZ – FCB, 22. Mai 1972 © StAAG / RBA
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Oktober 2012 bis März 2013
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Sonderausstellun im FCZ-Museum g n wäre ein Fussballspiel eine Ohne Zuschauer und Zuschauerinne Menschen, die ein Fussballdie sind fade Angelegenheit. Aber wer n? Was sind ihre Erwartunvatio Moti ihre ist spiel besuchen? Was en Begriff Fankultur gemeint? gen? Und was ist mit dem eher jung Stationen diesen Fragen nachAm Beispiel des FC Zürich wird an 5 gegangen. WO IST MEIN PLATZ? ballspiel. Der Matchbesuch Die wenigsten besuchen alleine ein Fuss ndschaften zu pflegen und ist immer auch eine Gelegenheit, Freu im Stadion ist ein implizites Bekannte zu treffen. Der gewählte Platz rInnen man sich selber haue Statement, zu welchem Teil der Zusc zählt. WIE UNTERSTÜTZE ICH DEN FCZ? en der Unterstützung: Das Es gibt die unterschiedlichsten Form Besuch eines Spitzenspiels bis Spektrum reicht vom gelegentlichen eos, für das ein grosser Teil zum regelmässigen Basteln von Chor der Freizeit aufgewendet wird.
WELCHE EMOTIONEN ZEIGE ICH? Ein Fussballmatch ist der ideale Ort, Emotionen zu zeigen. Es wird geklatscht, gesungen, gejohlt, gebu ht, geflucht und manchmal eben auch geprügelt. Alle haben ihre eigenen Grenzen, doch was ist noch akzeptabel, was nicht? WIE MESSE ICH MICH MIT ANDEREN ? Auch Fussballfans stehen in einem Wettbewerb. Spätestens wenn man mit einem Fan des gegnerischen Teams diskutiert. Für einen Teil der Fans geht dieser Wettbewerb noch weiter: Wer hat die lautesten, die kreativsten Fans? Wer die grösste Choreografie, die meisten Pyros? Und wer verteidigt die Ehre des Klubs auch mit den Fäusten? WIE MÖCHTE ICH FUSSBALL ERLEBEN ? Ein idealer Matchbesuch bedeutet nicht für alle dasselbe. Gibt es überhaupt einen Konsens? Was bring t die Zukunft? Welche Visionen sind vorhanden?
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VERANSTALTUNGEN OKTOBER 2012 DIENSTAG, 09. OKTOBER 2012 | 18:00 UHR Vernissage und Eröffnung der Ausstellung DONNERSTAG, 25. OKTOBER 2012 | 19:30 UHR FUSSBALLFANS UND MEDIEN Diskussionsrunde zur Berichterstattung über Fussballfans In den Medien werden in der Berichterstattung über Fussballfans vor allem Ausschreitungen und ähnliche Vorkommnisse ausführlich dargestellt. Fans werfen den Medien vor, nicht ausgewogen zu berichten und so ein falsches Bild von den wahren Verhältnissen zu vermitteln. Gäste Pascal Claude (knappdaneben.net), Ueli Kägi (Tages-Anzeiger), Christoph Kieslich (TagesWoche), Christine Steffen (NZZ am Sonntag) Moderation Michael Lütscher (Publizist)
NOVEMBER 2012 FREITAG, 09. NOVEMBER 2012 | 19:30 UHR FANS: PUBLIKUM UND KUNDSCHAFT Diskussionsrunde zum Verhältnis der Vereine zu ihren ZuschauerInnen Das Produkt Fussball braucht ZuschauerInnen, denn sie garantieren direkt und indirekt die für den Klub überlebensnotwendigen Einnahmen. Diese «Kundschaft» muss gepflegt werden, damit sie dem Klub treu bleibt. Daneben gibt es «Kunden», die dem Verein durch ihr Verhalten auch etliche Probleme bereiten. Gäste Ancillo Canepa (Präsident FC Zürich) und Bernhard Heusler (Präsident FC Basel) Moderation Daniela Decurtins (Vorstand FC Zürich)
wo
, 8003 Zürich Letzigraben 89 FCZ-Museum,
wann
bis März 2013 Oktober 2012 s 17.00 Uhr eginn mstag 14.00 bi Sa s bi h oc den vor Spielb w itt M h: jeweils 3 Stun ric Zü FC s de Heimspiele 2012 12. Dezember interpause vom sen. os hl sc ge Während der W useum 2013 ist das M bis 08. Januar
e anreis
er 89 Busse Nr. 72 od Tram Nr. 3 und
bertus. bis Station Hu
preise Eintritts
2 s 16 Jahre CHF F 5, Kinder 6 bi CH e en hs ac w Er karte gratis mit FCZ-Saison
os weitere inf
/FCZMuseum oder twitter.com fcz.ch/museum
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en von Schulklass sowie Besuche n ge un 49 hr 40 fü 3 at 73 Priv fon 078 Gruppen- und m@fcz.ch, Tele : Email museu ng du eum el us m /m An f ch z. au www.fc hrungen siehe Öffentliche Fü
Fuehru
DONNERSTAG, 15. NOVEMBER 2012 | 19:30 UHR «DAS GANZE STADION» Dokumentarfilm über ein Heimspie l des FC St. Pauli Der Film zeigt die Fans, wie sie das Spie l verfolgen. All ihre Emotionen, das Herzblut, den Glauben und die Hoff nung, das Leiden, das Glück und die Ekstase. Umrahmt werden diese Eindrücke von erläuternden Statements zum Fansein im Allgemein en und beim FC St. Pauli im Speziellen. Deutschland 2011, Regie: Felix Grimm , 62 Min. Einführung Kyros Kikos (St. Paulianer)
DONNERSTAG, 29. NOVEMBER 2012 | 19:30 UHR FEUER UND FLAMME Diskussionsrunde zur Pyro-Problem atik Wortwörtlich das heisseste Thema im Zusammenhang mit der Fankultur sind die sogenannten Pyros (Han dfackeln, wie sie bei Seenot eingesetzt werden). Während die eine n darin einen Ausdruck von Gewalt sehen, sind sie für die anderen ein unverzichtbarer Bestandteil der Fankultur. Gäste Thomas Gander (Fanarbeit Schw eiz), Luca Salomon (Zürcher Südkurve) , Jürg Häfeli (Swiss Football League) Moderation Saro Pepe
DEZEMBER 2012
DONNERSTAG, 06. DEZEMBER 2012 | 19:30 UHR «GATE 8 – FUSSBALL IM UNGLEICHGE WICHT» Dokumentarfilm über eine Saison mit den Ultras
Nürnberg Gate 8 dokumentiert in einer bislang nicht gezeigten Offenheit, wie deutsche Ultras versuchen, ihre Wert e und Ziele mit allen positiven und negativen Konsequenzen zu verw irklichen. Dabei erlangt der Film eine Bedeutung, die weit über Nürn berg hinausreicht.
Deutschland 2007, Regie: Christian
Mössner, 142 Min.
DONNERSTAG, 13. DEZEMBER 2012 | 19:30 UHR RECHT UND ORDNUNG Diskussionsrunde zum rechtsstaatlic hen Umgang mit Fussballfans Für eine verhältnismässig kleine Grup pe von Stadiongängern haben der Staat und seine Organe umfangre iche Gesetze erlassen und Massnahmen ergriffen. Wie steht es um die Verhältnismässigkeit? Inwiefern werden diese Aktivitäten von der Bevölkerung und den Medien beeinflusst? Gibt es einen Zusamme nhang zu anderen Jugendunruhen wie z. B. zu denjenigen in den 80ern oder zu den Nachdemonstrationen am 1. Mai? Gäste Tobit Schäfer (Grossrat Base l-Stadt, SP), Manuela Schiller (Anw ältin) Moderation Dario Venutti (Journalist Tages-Anzeiger)
JANUAR 2013
DONNERSTAG, 31. JANUAR 2013 | 19:3
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QUILOMBO: HINCHADAS ARGENTINA S Reisefilm von Zürcher Fans ins Fussballland Argentinien
Drei FCZ-Fans machten 2011 eine Bildu ngsreise nach Argentinien. Der Film zeigt den Fussball und vor allem die Fans in diesem fussballverrückten Land. Schweiz 2012, 70 Min.
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erleSEne FANKULTUR
Über Fankultur ist schon viel geschrieben worden. Damit ihr von dem Überangebot nicht gleich erschlagen werdet wenn ihr euch auf die Suche nach Nachschub macht, haben wir für euch schon mal eine Vorauswahl getroffen. Hier unsere Empfehlungen: Publikationen Schweiz
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Bosshard, Werner/Jung, Beat: Die Zuschauer der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft. Zürich: Limmat Verlag, 2008. Ein Bildersturm durch die Fan-Jahrzehnte: Die Sammlung mit herausragenden Fotografien aus allen Bildarchiven des Landes wird ergänzt durch einen Text von Beat Jung, der die Historie der Zuschauermassen in der Schweiz mit Akribie aufarbeitet. «Ein Stück Trivialund Alltagskultur», oder ganz einfach das schönste Fussball-Buch, das zur Europameisterschaft 2008 erschien. Claude, Pascal: Knapp daneben. Aus den Randgebieten des Fussballs. Zürich: Die Wochenzeitung, 2009. Längst vergriffene Kolumnen-Sammlung aus der WoZ. Claude, Pascal/Fischer, Andrea/Pepe, Saro/Steffen, Christine (Hrsg.): Flachpass: die Bar im Letzigrund. Zürich: Eigenverlag, 2011. Mit Originalrezept des Letzigrund-Pausentees, mündlich tradiert seit den 1970er-Jahren. Kehl, Daniel/Stahlberger, Manuel: Hutter & Mock. St.Gallen: Verlag Saiten, 200. Liebevolle Kolumnen über zwei Espen-Fans. Auf in den Ostblock! Littmann, Klaus: Kultort Stadion. Basel: Friedrich Reinhardt Verlag, 200. Schön gestalteter Katalog zur ersten Fan-Ausstellung der Schweiz. Ryser, Daniel: Feld – Wald – Wiese. Hooligans in Zürich. Basel: Echtzeit Verlag, 2010. Sie sind noch da, die Hooligans. Und sie prügeln immer weiter. Eine wuchtige Reportage.
Stocker, Diego/Christensen, Peter/Gasser, Stefan/Wandeler, Christian (Hrsg.): Stadion Allmend. Trutzburg, Hexenkessel, Lotterbude. Luzern: Textosteron Verlag, 2009. Fans setzen dem alten Stadion ihres Vereins ein Buch-Denkmal und schreiben nebenbei auch Vereinsgeschichte. Torgler, Daniel/Ryser, Daniel/Frei, Matthias (Hrsg.): Espenmoos. Fussball und Fankultur. Herisau: Appenzeller Verlag, 200. Noch ein Fanbuch über ein Stadion? Ja! Nur schon wegen der wunderbaren Aufmachung. Leider vergriffen.
Publikationen Ausland Ballestrini, Nanni: I furiosi. Mailand: Bompiani, 199. Fesselndes und verstörendes Porträt der Milan-Ultras. Becker, Peter/Pilz, Gunter A. (Hrsg.): Die Welt der Fans. Aspekte einer Jugendkultur. München: Copress Verlag, 1988. Ein Meilenstein von Gunter A.Pilz, Deutschlands erstem Fan-Experten. Obwohl er mittlerweile nicht unumstritten ist, war sein Fanbuch in den 1980ern gespickt mit spannenden Ansätzen. So untersucht er den Zusammenhang zwischen zunehmender Repression der Fans und der Eskalation der Gewalt. Besonders lesenwert auch das Kapitel «Fankultur als ver-rückte Ordnung». Zudem sehr schöne Fotos aus den Achtzigern. Broussard, Philippe: Génération Supporter. Enquête sur les ultras du football. Paris: Robert Laffont, 1990. (Neuauflage: Paris: SO Press Éditions) In Frankreich das Kultbuch über Fussballfans. 2011 neu aufgelegt und wieder erhältlich. Dunning, Eric/Murphy, Patrick/Williams, John (Hrsg.): Hooligans abroad. The behaviour and control of english fans in continental europe. London: Routledge & Kegan Paul, 198. Erste wissenschaftliche Feldstudie über englische Hooligans. Die Reise führt auch nach Basel 1981.
leseTippS
Dunning, Eric/Murphy, Patrick/Williams, John (Hrsg.): The roots of football hooliganism: a historical and sociological study. London: Routledge & Kegan Paul, 1988. Historischer Abriss über 100 Jahre Massen-Fehlverhalten in den Stadien. Ein Standardwerk. Francesio, Giovanni: Tifare contro. Eine Geschichte der italienischen Ultras. Freital OT Pesterwitz: Burkhardt & Partner, 2010. Persönlich gefärbter Einblick in die Welt des Tifo. Kraftvoll geschrieben. Uneingeschränkte Leseempfehlung. Gabler, Jonas: Die Ultras. Fussballfans und Fussballkulturen in Deutschland. Köln: PapyRossa Verlag, 2010. Deutschlands jüngster Fan-Experte tendiert bisweilen zu Verharmlosungen. Trotzdem lesen. Goll, Volker/Heinisch, Jörg: Sitzschale Nr. lebt. Ein «Best of» deutschsprachiger Fussball-Fanzeitungen. Kassel: Agon Sportverlag, 2005. Was diese Fans so alles veröffentlicht haben! An Charme und Humor nicht zu überbieten. Hornby, Nick: Fever Pitch. Ballfieber – Die Geschichte eines Fans. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1992. Klassiker. Ursprung allen Übels. Will heissen: Alle haben Hornby kopiert.
Thein, Martin/Linkelmann, Jannis (Hrsg.): Ultras im Abseits? Porträt einer verwegenen Fankultur. Göttingen: Verlag Die Werkstatt, 2012. Bietet einen guten Einblick in die aktuellen Themen und Debatten rund um die Jugendkultur der Ultras. Da verschiedenste Interessengruppen zu Wort kommen, auch die Fans selber, entsteht ein ausgewogenes Bild. Erste Publikation des neuen «Instituts für Fankultur», angewandte Wissenschaft sozusagen.
Magazine Ballesterer. Magazin zur offensiven Erweiterung des Fussballhorizonts. Wien: Ballesterer Zeitschriftenverlag GmbH, seit 2000. [www.ballesterer.at] Transparent: Magazin für Fussball und Fankultur. Münster: TbR Media Verlag, Erstausgabe April 2012. [transparent-magazin.de] Freunde Spezial. You’ll never walk alone! Die Geschichte der Fussballfans. Berlin: 11 Freunde Verlag, 2012. [www.11freunde.de]
Lindner, Rolf (Hrsg.): Der Fussballfan. Ansichten vom Zuschauer. Frankfurt a.M.: Syndikat Autoren- und Verlagsgesellschaft, 1980. Kopflastige Annäherungen ans Thema. Einige Artikel, die überraschende Erkenntnis bringen.
SO Foot: Spécial Supporters. Paris: SO Press. Nr. 5, 2012. [www.sofoot.com]
Morris, Desmond: Das Spiel. Faszination und Ritual des Fussballs. Zürich: Buchclub Ex Libris, 1981. Nur am Rande ein Fanbuch, aber formal und inhaltlich ein Gesamtkunstwerk.
Internet
Pramann, Ulrich: Das bisschen Freiheit: Die fremde Welt der Fussballfans. Hamburg: Gruner und Jahr, 1980. (Taschenbuchneuauflage: Pramann, Ulrich: Fussballfans. Betrachtungen einer Subkultur. München: Goldmann, 1983.) In den frühen Achtzigerjahren auf dem Nachttisch jedes Schweizer Fans. Man beachte wie der Titel des Buchs sich wandelte.
France football. Spécial Supporters, 2. Februar 1996.
Fanarbeit Schweiz: www.fanarbeit.ch Fansicht: www.fansicht.ch Knapp daneben: www.knappdaneben.net Zum runden Leder: www.newsnetz-blog.ch/zumrundenleder Bündnis Aktiver Fussballfans: www.aktive-fans.de Institut für Fankultur: www.fankultur-institut.de Für vergriffene Bücher sei als Anlaufstelle wärmstens das Sportantiquariat in Zürich empfohlen. [www.sportantiquariat.ch]
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Dachzeile FC Zürich – Grasshopper Club Zürich 2012 (gesperrte Fankurve) Bild: Saro Pepe
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IMPREsSum Das vorliegende Heft ist eine Sonderausgabe des Fussball-Magazins ZWÖLF. Sie entstand in Zusammenarbeit mit dem FCZ-Museum im Hinblick auf dessen Sonderausstellung «Fankultur – Szenen aus dem Stadion». Kontakt: ZWÖLF – Verein für Fussball-Kultur Postfach 8951 3001 Bern www.zwoelf.ch info@zwoelf.ch Redaktion: Saro Pepe, Mämä Sykora, Sascha Török Lektorat/Korrektorat: Philipp Anz, Michael Lütscher, Res Mezger, Corinna Morell, Eveline Staub Hug
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Dank: André Bex, Calvados Bar Zürich, freshfocus gmbh, Silvan Lerch, Claudio Miozzari, Daniel Nzekwu, Ringier Bildarchiv Aargau, Bruno Rubli Konzept, Grafik & Satz: Sascha Török – Wirksame Gestaltung www.torok.ch Illustration Cover: Jeana Hadley Druck: galledia ag, Burgauerstrasse 50, 9230 Flawil Auflage: 6000 Exemplare
Der durchschnittliche Schweizer verspeist im Leben 700 Kilo Schokolade, 8000 Äpfel und knapp 5 Ziegen. Er verbringt 150 Tage mit Rasieren und drei Jahre auf dem WC. Männer verweilen dabei viel länger beim Geschäft als Frauen, jeder Fünfte eine Viertelstunde. Dies liegt wohl an den Essgewohnheiten. Oder am ausgeprägten Rückzugsbedürfnis. Vielleicht ist es aber auch etwas ganz anderes.
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