ZWÖLF #68 (Sep/Okt 2018)

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#68

SEPTEMBER/OKTOBER 2018

CHF 8.50 EUR 8.50

50 JAHRE FRAUENFUSSBALL IN

TRAINER

Ein unmöglicher Job

LIGA-EXODUS

Die Frauen-NLA blutet aus

DER SCHWEIZ

SEOANE

Spanische Lehrjahre


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Gültig bis 30. November 2018. Druckfehler und Irrtümer vorbehalten. BRACK.CH AG · Hintermättlistrasse 3 · 5506 Mägenwil · brack.ch · info@brack.ch · 062 889 80 80 /brack.ch · @brack · brackch

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E d i to r i a l

Impressum ZWÖLF – Fussball-Geschichten aus der Schweiz wird von ZWÖLF – Verein für Fussballkultur herausgegeben. Es erscheint sechs Mal pro Jahr. Verein und M ­ agazin sind unabhängig. Meinungen von Autoren müssen sich nicht mit jenen der Redaktion decken. Herausgegeber ZWÖLF – Verein für Fussballkultur 3000 Bern info@zwoelf.ch Präsident: Sandro Danilo Spadini Redaktion Chefredaktor: Mämä Sykora (syk) stv. Chefredaktor: Silvan Kämpfen (skä) Silvan Lerch (sle), Wolf Röcken (wro), Sandro Danilo Spanini (sds). Gestaltung und Art Direction Sascha Török – Wirksame Gestaltung www.torok.ch Autoren dieser Ausgabe Martin Bieri, Raphael Brunner, Christian Bütikofer, Pascal Claude, Juan Luis Cudeiro, Ali Farhat, Paolo Galli, Patrick Haller, Silvan Kämpfen, Nik Lütjens, Saro Pepe, Valentin Schnorhk, Philipp Schrämmli, Gyan Sharan ­Bitterli, Roland Suter, Mämä Sykora, Gabriel Vetter, Micha Vogel, Claudio Zemp. Bild/Illustration Camilo Delgado Aguilera, Thomas Brückner, Brindusa Burrows, Robin Christ, Samuel Jordi, Thomas Schnidrig, Sascha Török, Pia Valär. Anzeigen Nico Pfäffli, pfaeffli@zwoelf.ch, Tel. +41 79 420 15 96 Simon Zimmerli, zimmerli@zwoelf.ch, Tel. +49 176 7743 6850

Bild: Schweizerisches Nationalmuseum LM-149988.23 / ASL-Fotoagentur

Koloration Thomas Schnidrig

Druck FO-Fotorotar Gewerbestrasse 18 8132 Egg bei Zürich Gedruckt in der Schweiz. imprimé en SuiSSe. Stampa in Svizzera. Stampato in Svizzera.

Auflage 11 100 Exemplare ISSN-Nummer 1662-2456 Abonnemente www.zwoelf.ch/abo Jahresabo: 51 Franken 2-Jahresabo inkl. Smalltalk-Booklet: 98 Franken Ausland-Abo auf Anfrage Kontakt www.zwoelf.ch info@zwoelf.ch www.facebook.com/zwoelfmagazin @zwoelf_mag Sämtliche Texte, Bilder und Illustrationen sind urheber­ rechtlich geschützt. Jegliche Weiter­verbreitung ist nur mit Genehmigung der Redaktion gestattet. Die nächste Ausgabe erscheint Anfang November 2018.

Gschaffig Eigentlich hatten wir ja nur ein paar Fragen an diesen spanischen Journalisten, der uns als Kenner von ­Deportivo La Coruña vermittelt worden war. Wir wollten nämlich wissen, was YB-Trainer Gerardo Seoane dort so getrieben hat in den vier Jahren, die er da war. Und dann dauerte es keine paar Tage, da hatte dieser Journalist schon mit praktisch jedem Weggefährten ­Seoanes gesprochen und einen Text bereit, der derart umfangreich war, dass er ungekürzt unsere halbe ­Ausgabe gefüllt hätte. Wer also hierzulande meint, um die Arbeitsmoral des YB-Trainers stehe es besonders gut, dem sei gesagt: In Galicien gibt es jemanden, der tut garantiert mehr. Wir ziehen den Hut! Selbiges haben auch die Schweizer Frauen verdient. Uns wurde dank den wie immer präzisen und gedul­ digen Auskünften von Saro Pepe, dem Verantwortlichen des FCZ-Museums, bewusst, gegen welche Widerstände sie anzutreten hatten, um endlich auf hiesigen Plätzen auflaufen zu dürfen. Eine kleine Entschädigung soll unser Rückblick auf die Anfänge bieten. Nicht immer geht auf einer Redaktion alles glatt. Da bekommt lang Geplantes manchmal eine unvorher­ gesehene Wendung. Wer hätte schon gedacht, dass der FC Basel ausgerechnet in seinem 20. Europacup-Jahr in Serie bereits in der Qualifikation die Segel streichen muss? Aber geschrieben ist geschrieben, und so wollen wir Euch den Rückblick auf das Basler Slowenien-Reisli von 1998 nicht vorenthalten. Hasta luego Euer ZWÖLF


I n h a lt s v e r z e i c h n i s

#68

6

Einlaufen   Unsere Antipasti

8 S tartaufstellung

Possen im Rüebliland

10

V etters Flohmi   Man ruft nur Flipper, Flipper

12

LEGEN DEN SP I EL   Claudio Zemp deutet Fussballbilder

45 S chwarzes B rett

65

Auswärtsfahrt   Schwedische Stimmgewalt

65

Das grosse Z W ÖL F- quiz   Wo der Modefan scheitert

66 ­ K na p p daneben

66

Erlesenes und Empfehlenswertes

Politische Schussverzögerung

Smalltalk   Damit gibt man am Wurststand an


14 Quadratur

des Anspielkreises  Früher war der Trainer ein sportlicher Feldherr. Heute hat er an Einfluss verloren und muss so viele Ansprüche bedienen, dass es ihm schwindlig wird.

S p ielzeit 20 Slowenischer

Serienstart  Seit 20 Jahren spielt der FC ­Basel ununterbrochen europäisch. Seinen Beginn nahm diese Erfolgs­geschichte auf einem Dorfplatz in Slowenien.

22 Freund

der Nacht  Vier Jahre verbrachte der junge Gerardo Seoane bei Deportivo La Coruña. Viel erwartete man von ihm, geblieben sind sein mässiger Einsatz und seine abendlichen Ausflüge.

26 Tore

in den Tropen  Mit etwas Losglück winken französischen Amateurklubs Reisen an traumhafte Orte. In der Coupe de France mischen nämlich auch Klubs aus den Überseegebieten mit.

30 Urteil

ohne Folgen  Seit Jahren beschäftigen sich Schweizer Gerichte mit den Vergehen von Bulat Tschagajew. Dafür belangt werden wird er wohl kaum je.

32 Zwillingssuche

Sie sollten der EM 2008 ein Gesicht geben und zu Glanz verhelfen. Wo sind Trix und Flix heute? Eine Spurensuche.

34 Als

der Fussball weiblich wurde  Den Frauen wurde der Einstieg in den Fussball hierzulande nicht leichtgemacht. Ein Blick auf die Anfangszeit vor 50 Jahren.

40 Selbstbedienungsladen

Schweizer Fussballerinnen sind im Ausland begehrt. Doch ihre Klubs haben davon rein gar nichts. Mit fatalen Folgen für die Liga.

46 Tummelplätze

In Fan-Foren begegnen sich Leute unterschiedlichster Couleur und Ausfälligkeiten sind Alltag. Das ist kaum auszuhalten – und doch sinnstiftend und lehrreich.

Auslandschweizer 50 Warten

auf das Aufgebot  Davide Mariani ist sich sicher: Petkovic wird anrufen. Obwohl er seine Karriere nun im wilden Bulgarien fortsetzt.

52 Zu

anderem berufen  Viele träumen davon, Profi­fussballer zu werden. Einige wollen es nicht länger sein. So etwa Heinz ­Barmettler, Jocelyn Roux und Henry Siqueira-Barras.

60 Kopfballtraining

Unser Kreuzsporträtsel beansprucht ­jegliche eurer Gehirnwindungen.

62 Burning

Down the FCB  Der Schal gehört zu den heiligsten Fanutensilien. Einen des Rivalen abzufackeln, kann unliebsame Folgen haben – vor allem in Angola.


W ie gesagt, äh … Der grosse Rückkehrer auf diese Saison ist natürlich ­Xamax. Und die Neuenburger fachten die Euphorie gleich richtig an mit ihrem AuftaktAuswärtssieg beim FC Luzern. Damit waren sie erster Leader der Super League, was Sascha Ruefer in «Sportaktuell» zu folgender – wir sagen es mal nett – mutigen Prognose hinreissen liess: «Natürlich ist die Tabelle noch nicht aussage­ kräftig, aber klare Tendenzen sind doch schon erkennbar.» Mittlerweile grüssen aber ­wieder die Young Boys vom ersten Rang. Erfolgscoach Gerardo Seoane findet offenbar in der Kabine stets die richtigen Worte für sein Team. Bloss wenn er sich öffentlich äussern soll, gerät manchmal etwas durch­einander mit seiner ­Passion für Innendekoration, wie er auf Teleclub bewies: «Die Spieler brennen richtig ­darauf, um auf die grüne Tapete raus­zugehen.» Eher mässig dürfte die Freude bei den Akteuren im Tourbillon gewesen sein, denn vor der Partie Sion – Xamax zeigte das Thermometer 36 Grad an. Doch SRF-Reporter Reto Held rückt das umgehend zurecht: «Mit dieser Hitze müssen die Spie­ ler klarkommen. Es ist nicht so, dass wir Mitleid haben mit diesen hoch bezahlten Fussballern.» Wir wollen aber doch noch anmerken, dass wohl kaum ein Xamax-Spieler in die Lohnsphären von Kommentatoren vordringt. Standesgemäss herrscht aber im Sonnenkanton Wallis nicht immer eitel Sonnenschein.

6

Dieses Mal war es Neuzugang Alex Song, der Sonnenkönig Constantin auf die Palme brachte. Im «Blick» klagte er: «Song hat mich ziemlich hässig gemacht. Ich habe ihn vor dem Spiel bei GC gefragt, ob er ­physisch parat sei für einen Einsatz von Beginn weg. Er sagte Ja. Nach dem Spiel kam er zu mir und sagte, er sei doch nicht bereit gewesen.» Und wir wissen nun auch, wie der Fitnesstest im Jahre 2018 beim FC Sion aussieht: Er besteht aus einem Interview mit dem Präsidenten. Der Transfer von FCZ-Stürmer Michi Frey zu Fenerbahçe schlug hohe Wellen. Natürlich wollten türkische Journalisten sogleich wissen, was sie von ihrem Neuzugang erwarten dürfen. Eine entsprechende Anfrage landete auf der Redak-

tion der ausgewiesenen Fachpublikation ZWÖLF. Daraus entstand ein Artikel für «­Sabah», eine der grössten Tageszeitungen des Landes, und zwar unter dem Namen unseres Redaktors Silvan Kämpfen. Und weil der wissen wollte, was da schliesslich publiziert worden ist, bemühte er den GoogleÜbersetzer und wunderte sich vor allem über diesen einen

Satz: «Hobbys landen die Bleistift zeichnen etwas und füttern die Enten im Fluss.» Und damit wäre eigentlich alles gesagt zu Michi Frey. Der Abgang seines Skorers hinter­liess beim FCZ eine grosse Lücke. Hekuran Kryeziu sieht das allerdings nicht so, wie er auf Teleclub nach dem Lugano-Spiel darlegte: «Ich denke nicht, dass wir ein Problem haben in der Offen­ sive. Wir sind sehr gut besetzt, wir sind doppelt sehr gut besetzt.» Wenn «doppelt sehr gut» heisst, zwei Stürmer im Kader zu haben, die zusammen nach jener Partie auf ein Tor kamen, dann kann man ihm nicht widersprechen. Weniger zuversichtlich ist man offenbar in Bern nach der Gruppenauslosung zur Champions

League. Kaum waren Juventus, Valencia und Manchester ­United als Gegner ge­zogen worden, gab Guillaume Hoarau bei Canal+ seine Einschätzung ab: «Wir streben eine Partner­ schaft mit Samsonite an. Denn in dieser Gruppe ­können wir ein­packen.» Stadtpräsident Alec von Graffen­ried wollte derweil den

Vorstoss in neue Sphären dazu nutzen, einen besonderen Wunsch zu platzieren. Die Young Boys sollen sich doch in «YB Bern» umtaufen, «als Commit­ment» zur Stadt. Auch andere grosse Klubs «wie Real Madrid oder Juventus Turin» trügen schliesslich die ­Namen ihrer Städte im Klub­ namen. Vollständig heisst der italienische Rekordmeister übrigens «Juventus Football Club» – ohne Ortschaft. Von grossen Fussballabenden kann der FC Aarau derzeit nur träumen. Der Liga-Start ging so richtig in die Hose, und auch im Cup quälte man sich selbst in der Erstrundenpartie gegen den FC Amriswil bis in die Verlängerung. Den Ärger spürte man auch im FCA-Liveticker: «Zur Erinnerung: 2.-Liga-Mannschaft mit einem Mann weniger spielt gegen eine durchschnittliche Challenge-League-Mannschaft. Der Verteidiger von Amriswil sass heute Morgen noch an der Volg-Kasse und fragte: ‹Nämed si no Märkli?›». Die Kritik am durchkommer­ zialisierten Fussball wird ­immer lauter. Nun beziehen sogar ehemalige Aktive wie Mario Cantaluppi Position: «Wenn da nicht irgendwann ein Riegel geschoben wird, dann wird es ganz bitter für die kleineren Länder. Das wird ja total langweilig.» Und dann setzte er zum Finale an: «Das macht mich wütend. Und Pay-TV! Am Schluss können wir nicht mal mehr ohne zu bezahlen Fuss­ ball schauen!» Diese Ti­rade war übrigens mitzuverfolgen … auf dem Bezahlsender Teleclub.


G E ZÜCK TES

Z ählbares

Text PASCAL CLAUDE

Stade Olympique de la Pontaise, Lausanne Foto: Photoglob-Wehrli SA, Zurich/Vevey

ZWÖLF PRÄSENTIERT DEN TABELLENSTAND DER SUPER LEAGUE. DIESMAL: KURZAUFENTHALTER IN DEN LETZTEN 5 SAISONS

Ihre exponierte Lage machte die Pontaise zu einem dankbaren Post­ kartensujet: eine vollendete Symphonie aus gelungener Stadion­ architektur der 1950er-Jahre, Genfersee und Savoyer Alpen. Match­ besucher erfahren diese Exponiertheit in erster Linie als Bise, die umso stärker durch die Nähte der Winterjacke pfeift, als sie nicht durch einen Pulk dampfender Nebenleute abgemildert wird, sondern im üblicherweise kaum gefüllten Oval schamlos ihre Runden drehen darf. Aber Achtung: Der FC Lausanne-Sport blickt erwartungsfroh durchzugsfreien Tagen entgegen! 2019 schon zieht er (noch) weiter stadtauswärts, wo gerade ein reines Fussballstadion mit 12 000 Plätzen entsteht. Le vent nous portera.

Wenn ein Neuzugang wieder weg ist, bevor er wenigstens 900 Minuten absolviert hat, muss man von einem wenig überlegten Transfer sprechen. Bei YB war Taulant Seferi der einzige seit 2013, der dieses Schicksal erlitt. Der Berner Meistertitel war auch eine Folge der nachhaltigen Transferpolitik. ­Besonders viele Zuzüge, für die man dann doch keine Verwendung hatte, erlebte man bei Lugano, Sion und GC. Zuzüge mit Rang Klub < 900 Einsatzminuten

1

FC Lugano

13

FC Sion

13

3

Grasshoppers

12

4

FC Luzern

10

FC St. G allen

10

6

Neuchâtel Xamax

7

7

FC Basel

4

FC Thun

4

9

FC Zürich

2

10

BSC Young Boys

1

Anm.: Berücksichtigt wurden nur Feldspieler und definitive Übernahmen, keine Leihgeschäfte.

G efühlte Wahrheit

Die Fussballschweiz zuckt zusammen, als Dinamo ­Zagreb im Stade de Suisse ein Auswärtstor gelingt. Schliesslich geht es um Millionen für YB und Punkte für die Liga im UEFA-Ranking. Nur einen der hiesigen ­Akteure scheint das nicht zu kümmern: Tomislav Puljić verlustiert sich im Taumel kroatischer Fans. Und weil der frühere Luzerner Abwehrturm mittlerweile in Vaduz spielt, seien ihm die Sympathien für den Klub aus seiner Heimatstadt erst recht verziehen.

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Zufallstreffer

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7


S tartaufstellung

Aussichtslos

Unterklassig

Fehlstart

Der FC Aarau ist einfach unersetzbar. Auch wegen der Possen und Peinlichkeiten, die ihn immer wieder erschüttern – wie diese Zusammenstellung seit dem letzten Abstieg beweist.

Zu jedem Klub gibt es einen Journalisten, der bestens im Bilde ist über sämtliche Vorgänge. Im Fall des FC Aarau ist dies seit Jahrzehnten die Insti­ tution Ruedi Kuhn. ­Logisch, war es denn auch er, der vor dem diesjährigen Saisonstart im «FCA-Talk» eine Einschätzung abgeben durfte. Und ­Kollege Kuhn schäumte ­dabei fast über vor Begeisterung. Kostproben? Voilà: «Das ist ein Aufstiegskader. Der FCA hat klar die stärkste Offensive der Liga und kann immer drei, vier Tore schiessen. Auf dem Brügglifeld wird die Post abgehen!» Gänzlich aus dem Häuschen geriet «RuKu» angesichts des von Sion ausgeliehenen Mickael ­Almeida: «Ganz ein geiler Fussballer! So e­ inen Fussballer hatten wir in den letzten Jahrzehnten nie mehr im Brügglifeld.» Das euphorisierte Fazit: «Diese Mannschaft könnten auch du oder ich t­ rainieren. Die Weichen sind gestellt, im Minimum für die ­Barrage. Minimum! Wenns jetzt nicht klappt, dann klappts nie.» Dann legte der FCA den schlechtesten Saisonstart seiner Geschichte hin. Kuhns Dienste als Orakel waren wohl auch schon gefragter.

8

2015 stieg der FC Aarau ab. Die Fans verlangten nach Wiedergutmachung, nach dem Wiederaufstieg und nach professionelleren Strukturen. Und dann hiess es: «Avanti Dilettanti». So umschrieb es jedenfalls die «Aargauer Zeitung». Weder Spielerpräsentation noch eine Aktion für die Fans gab es vor dem Saisonstart. Wer sich auf den VIP-Apéro vor dem Auftakt gegen Wohlen gefreut hatte, musste sich damit zufrieden­ geben, dass K ­ isten mit Bier und Mineralwasser ins Zelt gestellt worden waren. Sie ­waren leer. Derweil standen sich die Normal­sterblichen draussen die Füsse platt, weil nur die Hälfte der Kassenhäuschen geöffnet hatte. Dann gingen auch noch die Tickets aus, worauf halt nur noch reduzierte Studenten­tickets verkauft wurden – auch an Nicht-Studenten. Zur Halbzeit gab es keine Würste mehr, weil der FCA dem Caterer nicht glauben wollte, dass so viele Fans kommen würden. Gegen Wohlen gabs ­einen Punkt, zur Winter­pause steckte der FC Aarau nicht im Aufstiegskampf, sondern am Tabellenende fest. Avanti ­Dilettanti!

Daniela Frutiger/freshfocus

Szenisch

Ein Skandal sei es, meinte die «Aargauer Zeitung», dass das fussballerische Aushängeschild des Kantons in der Saison 2017/18 ohne Trikot­sponsor ­dastand: «Entweder hat die Marketing-Abteilung ihren Job nicht gut gemacht, oder der FC Aarau ist nichts mehr wert.» Die Gunst der Stunde nutzten kurzerhand die Fans, die im Handum­drehen 100 000 Franken sammelten und sich ­damit den freien Platz sicherten. Die «Szene Aarau» war für ­einige Spieltage nicht nur auf den Rängen, sondern in gros­sen Lettern auch auf der Brust ­ihrer Helden präsent. Also auch bei Captain Sandro Burki, ­womit die Fans einen Spieler sponser­ten, der aus­ gerechnet den Kantons­rivalen FC ­Wohlen unter­stützte. Burki besitzt da nämlich das Apartmenthotel Marco Polo, und ­dieses hatte das Spielerpatronat des damaligen Wohlen-Vertei­ digers ­Florian Stahel übernommen. Dafür wurden zwar nur 500 Franken fällig, aber Kleinvieh ist doch immer noch ­besser als überhaupt nichts im Stall.

Haushälterisch

Gewiss, das Brügglifeld ist für Fussballer bestimmt nicht die lukrativste Adresse. Doch weil eben nicht nur der Lohn ­allein zählt, kann auch ein Engagement beim FC Aarau ­einen gros­sen Beitrag leisten zu besse­rer Lebensqualität. Nach Heimspielen nämlich wurde bis zu dieser Saison der «FCASpieler des Spiels» gekürt. Und das ist nicht einfach nur ein leerer Titel, nein, damit verbunden ist die feierliche Übergabe eines hochwertigen Haushaltsgeräts! Die Auserwählten konnten ihre Freude kaum im Zaum halten, als sie in der ­letzten Spielzeit mit ­Ventilator, Stab­mixer, Mongolentopf, Slow­juicer, Mikrowelle oder Raclette-­Ofen posieren mussten. Besonders erfreulich war dies für den abtretenden Verteidiger Juan-Pablo Garat: Mit seinen Leistungen erspielte er sich derart viele Staubsauger, dass er die Zweitkarriere als Ver­treter starten kann.


Dunkelkammer

2002 kommt das Stadion

Der Skandal kam ­gänzlich uner­wartet und er­schütterte die ganze Region. «Ich bin fassungs­los und wütend», sagte Leonora (27) am Tag nach den tragischen Ereignissen. «Ich bin schockiert. Meine ­Familie und ich fühlen uns diskrimi­niert.» Was war passiert? ­Leonora war zusammen mit ­ihrem Mann und ­ihren ­Kindern aus der Badi Suhr verwiesen w ­ orden, weil Sohn ­Leonardo (5) im Schwimm­ becken plantschte und sich ­weder Mama noch Papa von der Bade­meisterin hatten sagen lassen, dass dort nur erfahrene Wasser­ratten Zugang hätten. Die Poli­zei musste ausrücken. Und weil der Papa nicht irgendwer, sondern ­Aaraus langzeit­ verletzter Stürmer Patrick ­Rossini war, drängte sich die Frage auf, die Leonora schliesslich stellte: «Hat das Ganze ­etwas mit dem FC Aarau zu tun?» Die «Aargauer Zeitung» nahm die Geschichte dankbar auf («Badi-­Eklat: Jetzt ­redet der Badi-Chef»), veröffentlichte Stellungnahmen und Gegen­ darstellungen. Bis endlich auch noch FCA-Sportchef Sandro Burki ein klares und wichtiges Statement abliefern durfte: «Angestellte des FC Aarau ­haben sich an die Anweisungen des Badi-Personals zu halten.»

Es war wohl der kürzeste Match der Schweizer Fussball­ geschichte: Einem Einwurf der Gäste aus Zürich folgte nach 26 Sekunden im Brüggli­feld die komplette Dunkel­heit. Bereits vor dem Anpfiff hatte die Flutlichtanlage plötzlich versagt. Zum Glück wird der FCA nicht von Sesselfurzern geführt, sondern von hemdsärmeligen Machern. Und so schritt Präsi­dent A ­ lfred Schmid höchst­persönlich zur Tat: «Als gelern­ter Elektro­ monteur wollte ich natürlich helfen.» Tat­sächlich brachte er den Strom w ­ ieder zum Laufen, doch kaum war das Schulterklopfen verhallt und die Partie ange­pfiffen, ging das Licht erneut aus. Der «Blick» hatte seinen «Licht-Skandal von Aarau». In die Trafo­station wagte sich selbst Präsident Schmid nicht («Da muss man mit Helm und Handschuh ausgerüstet sein»). Auf den Rängen sah man einzig ­wegen der Pyros etwas, das Spiel musste abgebrochen werden. Die Häme bekam natürlich der FCA ab, dem einige unter­stellten, die Stromrechnung nicht bezahlt zu ­haben. Die Schuld lag aber beim Ener­ gie­versorger, und das hiess: Wiederholungsspiel. Da siegte Aarau und verkürzte den Rückstand auf Challenge-­LeagueLeader FCZ auf 33 Punkte.

Bide Fraue

Marc Schumacher/freshfocus

Marc Schumacher/freshfocus

FCA vs. Badi-Chef

Was tut ein Klub, wenn eine seiner Mannschaften zum Saisonende zuoberst steht? Richtig, er feiert. Nicht so im Brügglifeld, obwohl dort Pokale bekanntlich nicht zuhauf lagern. Der letztjährige Aufstieg der FCAFrauen in die NLA erzürnte nämlich die Profi-Abteilung um Präsident Alfred Schmid. Statt einer Gratulation an die Frauen sandte die FC Aarau AG ein Schreiben an den SFV, in dem sie sich über deren Verwendung des Namens FC Aarau beschwerte. «Die Frauen erwecken damit in der Öffentlichkeit den Eindruck, zur FCA-­Familie zu gehören, was in keiner Art und Weise der Fall ist.» Dafür forderte die AG 10 000 Franken Namensgebühr. Das Vorgehen entbehrte jeg­ lichen Stils und jeglicher Logik, werden die FC-Aarau-Frauen ja auch auf der Vereinswebsite aufgeführt und sind also sehr wohl Teil der «Familie». Auf wessen Seite sich die Fans in diesem Konflikt schlugen, war ohnehin klar. Aus Protest über die schlechten Leistungen waren sie die Woche zuvor dem Brüggli­feld ferngeblieben und hatten ein Transparent aus­ gerollt mit der Aufschrift: «Mer sind bide Fraue.»

20 Kisten hat Bauherrin HRS letzten Monat feierlich der Stadtkanzlei Aarau überreicht. Darin enthalten: das vollständige Baugesuch für das neue Stadion. Nun soll endlich ein Ende finden, was vor 25 Jahren begann. In der Euphorie des Meistertitels 1993 präsentierte Präsident Ernst Lämmli seine «Vision 2002», ein 20 000er-Stadion in der Kiesgrube Schafis­ heim mit integriertem C ­ asino. Die Bewilligungen lagen vor, doch es regte sich interner Wider­stand. Nach sieben Jahren und ­Hunderttausenden von Franken Planungskosten gab Lämmli entnervt auf. Das nächste Projekt, die «Mittel­ landArena», wurde 2005 an der Urne versenkt, seither heisst die Aarauer Hoffnung «Torfeld Süd». Nur sammelte dieses in der Folge mehr Ein­sprachen als der FCA Punkte. Weder ­Betteln, Drängen noch «Blick»Kampagnen helfen gegen Anwohner, Einwohnerrat und die lang­samen Mühlen der J­ ustiz. Aktuell fürchtet man die Refe­ rendumsabstimmung Ende Jahr. Die Inbetriebnahme des Stadions soll 2022/23 er­folgen. Frühestens, selbst­redend. ­Derweil fragt sich der «Tages-­ Anzeiger»: «Wo stünde der FC Aarau heute, hätte er damals, ein Jahr nach dem FC ­Basel, als zweiter Schweizer Klub eine moderne Arena eröffnet?»

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VE TT E R S F LOHMI

Gabriel Vetter Der Satiriker wühlt sich durch das riesige Angebot an ­Fussballdevotionalien und präsentiert seinen aktuellen Lieblingsfund. @gabrielvetter

Gefunden auf Anibis.ch:

Rarer Vintage-Flipperkasten «SOCCER», made in USA (Williams) 1964

Wer sich als Laie an der Flipperfront durch die Onlineauslage wühlt, der kommt nicht umhin, in ein gewisses Staunen zu geraten ob der Vielfalt und der Fülle des Dargebotenen. Es gibt massig Flipperkästen zu kaufen in der Schweiz, ja es besteht eine Art Darknet der Flipper-Aficionados, in dem man ­alles findet, wonach einen gelüstet: Dracula-­ Flipper aus den 80ern, Indiana-Jones-­Flipper aus den 90ern, Flipper mit Casino- und Blumen­thema oder der leicht bekleideten ­«Liberty Belle». Und: Fussball-Flipper. Da die meisten Vintage-Flipper­automaten in den USA hergestellt wurden und Fussball dort traditionsgemäss eher eine Art Randsportart für euro- und südamerikanophile Cineasten darstellte, sind solche Flipper entsprechend schwer zu finden. Gut also, haben wir diesen bunten, runtergerollten, herrlichen Kerl hier aufgespürt, und zwar in Gipf-­Oberfrick, quasi dem Chicago, Illinois, der hiesigen Flipperszene. «SOCCER» ist sein Name, und der ist Programm.

Warum man ihn kaufen sollte Mal ehrlich: Jeder Fussballfan mit Herz und Verstand will so ein Exemplar. Flippern und Fussball hat schliesslich mehr gemein als den Anfangsbuchstaben. Es sind beides absolut mechanische Spiele, die in ihrer einfältigsten Einfachheit von jedem und jeder

10

sofort zu verstehen sind. Sie vereinen Kneipen- und Sportkultur, und man kann beidem hervorragend Bier trinkend und mit Freunden fachsimpelnd frönen. Das Artwork dieses restaurierten und funktionierenden mechanischen Ballheber-FlipperGeräts aus den 60ern lässt einen an einen bunten, lustigen Wanderzirkus denken; an den fidelsten Tivoli Nordamerikas sozu­ sagen. Die Zeichnungen der Fussballspieler erinnern an die legendären «Éric Castel»-­ Comics, ach, wir kommen ins ­Schwelgen. Jede Fussballkneipe, jede Stadionbeiz müsste sich um dieses schmucke Teil reis­ sen. Hätte ich selber sowohl die Kohle als auch den Platz, i­ nschallah, ich würde diesen gloriosen Arcade-Sarg auf Stelzen erstehen und sogar zu Fuss nach Hause apportieren. Shaqiri, Xhaka und Co. zocken stundenlang Playstation? Ein Königreich jenem Profi­ spieler, der sich dieses Teil in seinen seelenlosen Mietpalast stellt! (I’m looking at you, Yann Sommer!)

Stilkritik und Zustand Der Overlord der Flipperkästen stammt aus den 60ern, und das sieht man ihm an. Ist auch gut so, gopferteckel! Denn wer will schon an einem Flipperkasten stehen, der ohne Kratzer, ohne Patina, ohne jeg­liche ­Zeichen der Zeit in einer Kneipenecke rumdöst? ­ B ernhard Burgener? Womöglich. Mit diesem Ding kauft man nicht nur ein

Flipperspiel, man beweist Fingerspitzen­ gefühl für das, was zählt. Man kauft unzählige Stunden Vergangenheit, ganze Biografien! Man ersteht lange Abende, Wochen­enden in der Beiz, Tausende und Abertausende Stunden Freude und Ärger und Verbrüderung. Wie viele Schlägereien wurden über diesen Apparat wohl schon angezettelt, wie viele Liebes­geschichten ­nahmen an diesem ­Kasten ihren Anfang? Hach!

Fazit Der «SOCCER» ist – und ich dulde keiner­ lei Widerspruch – der perfekte Geselle für den melancholischen, sich nach rostigen, währschaften Fussballstadien sehnen­ den Fussballfan, der auch seinen aller­ letzten Batzen noch ausgeben würde, um um vier Uhr morgens noch einmal drei Bälle in die bekloppt-bunte Spielkulisse hineinkatapultieren zu können. Herr­ lichkeit, Du hast einen Namen, und er ist «SOCCER». Dass Partien mit diesem Schmuckstück stets an FCB-Spielzüge in der Koumantarakis-Ära erinnern – weit nach vorne und auf Glück hoffen – und auch ähnlichen Unterhaltungswert bie­ ten – geschenkt! Schliesslich kostet die­ ser Apparat nur 1400 Franken. Oder, wie es die Basler Fans im Sektor A im Joggeli sagen würden: weniger als zwei Jahres­ karten. TILT!

anibis.ch / dkueffer

Marktlage


UM DIESEN POKAL ZU SEHEN, MUSS MAN ES INS WM-FINALE SCHAFFEN – ODER NACH ZÜRICH.

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L egendens piel

mit C laudio Zemp Der Autor mag alte Fotos und macht sich seinen eigenen Reim drauf. @postkartenfranz

zw รถ l f


45. Schweizer Cupfinal im Wankdorf in Bern: FC Zürich gegen FC Basel. ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Krebs, Hans / Com_L19-0275-0004-0002 / CC BY-SA 4.0

Jean sah nichts. Er äugte adlerartig von der Ehrentribüne, durch die dunkle Brille, mit ­stoischer Detektivmiene. Das Rätsel war ­knifflig, es fehlten ihm die letzten drei Ziffern des Codes: «Vom Fähnli her retour zähle, aber nicht verkehrt.» Stand er auf der falschen Seite? 13


Text Silvan Kämpfen und Mämä Sykora Illustrationen Samuel Jordi www.sajo.ch

In leidender Position Ein Trainer soll möglichst viele Junge einbauen, dabei aber viele Punkte ­einfahren, und das auch noch mit ­attraktivem Spiel. In der Kombination eine unlösbare Aufgabe.

E

rhaben stand er in der Stadion­ ecke. Die Wahrheit kannte nur er. Der Toto­mat, dieses Gerüst, in dessen ­Innern jemand sass und nach Toren die Metall­tafeln austauschte, sagte allen, was ­Sache war. Der Totomat richtete über die Trainer. Das besagte ein Bonmot im Schweizer Fussball. Heute steht an seiner Stelle ein moderner Videoscreen, gesteuert von der sogenannten Stadionregie auf der Haupt­ tribüne. Es ist alles komplizierter geworden – auch mit den Trainern.

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Giorgio Contini befand sich mit dem FC St. Gal­len auf Rang 4, auf Kurs zur besten Schlussplatzierung seit fünf Jahren. Obwohl die Resultate für ihn sprachen, wurde Contini letzten Frühling entlassen. Die neue Klubführung begründete dies unter anderem mit mangelnder spielerischer Attraktivität. Contini, der heute in Lausanne an der Linie steht, kann das noch immer nur schwer nachvollziehen. Als Trainer wisse man, was die zur Verfügung stehenden Mittel zuliessen. «Bei Real Madrid könnte

ich auch ständig Spektakel bieten, da ist auch viel Qualität vorhanden.» Der frühere ­St.-Gallen-Stürmer warnt davor, die Forderung nach attraktivem Spiel allzu strikt hochzuhalten. Er sieht ein Risiko, «Klatschen einzufahren» und damit die Spieler für künftige Aufgaben zu demoralisieren. Uli Forte stand mit dem FC Zürich auf Rang 3 und im Cuphalbfinal, als Aufsteiger. Obwohl die Resultate für ihn sprachen, wurde Forte letzten Februar ent­lassen. Die Klubführung begründete dies unter



anderem mit der fehlenden Weiterentwicklung der Mannschaft. Noch drei Monate später machte Forte auf Teleclub seinem Unverständnis Luft. Er rechnete den Punkteschnitt seines Nachfolgers nach 14 Spielen hoch und kam zum Schluss: «Der FCZ stünde mitten im Abstiegskampf.» Den Trainerwechsel zu Ludovic Magnin deutete er als einen «Flick» des Ehepaars Canepa. Mehr als Tore und Punkte Die Entlassungen von Forte und Contini stehen sinnbildlich für die veränderten Kriterien, nach denen die Trainer von ihren Vorgesetzten bewertet werden. Der Totomat hat als verlässliche Grösse ausgedient. Vielmehr sehen sich die heutigen Coaches einer Fülle von Ansprüchen gegenüber, die sich schwer vereinen lassen. Den bestmöglichen Tabellen­platz anpeilen, Junge fördern, Identifikationsfiguren einsetzen, Transfers generieren, Zuschauer mitreissen, nationale und gleichzeitig internationale Erfolge anstreben. Aufgrund des täglichen Drucks orientieren sich aber hierzulande viele Trainer weiterhin an nichts anderem als dem Resultat. Dabei wünschen sich die Klubs unterdessen so viel mehr als Tore und Punkte. Besuch bei der Ancillo Canepa AG – so heisst das Büro tatsächlich – am Schanzengraben, dieser Kanal-Idylle in der Zürcher Innenstadt. Hündin Kookie streift durch die Gänge, Heliane Canepa sorgt sich um den Durst der ZWÖLF-Journalisten. Beim Warten streift der Blick auf die Regale, auf ­denen nicht nur ein Rolf-Knie-Buch lagert, sondern vor allem Erinnerungen an gros­se Fussballmomente und Silberware. Ancillo Canepa ist ein erfolgreicher Klubpräsident. Zwei Meistertitel und drei Cupsiege hat der «FC Zürich», wie sein Präsident ihn auch auf Schweizerdeutsch zu nennen pflegt, unter ihm geholt. In derselben Zeit hat Canepa auch schon sechs Trainern Lebwohl gesagt. Dem letzten, Uli Forte, scheinbar ohne Not. «Die Anforderungen an Trainer sind stark gestiegen», betont Canepa nach einem langen Zug an der Pfeife. Das A4-Blatt, welches anlässlich des Gesprächsthemas prominent auf dem Tisch liegt, verrät mehr. 16 Punkte umfasst die Aufzählung unter

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AL B TRA U M J O B TRAIN E R

Trainer ­werden heute von ihren ­Vorgesetzten anders ­bewertet. Der Totomat hat ausgedient.

dem Titel «Der FCZ-Cheftrainer …». Eine Führungspersönlichkeit soll der Trainer sein, den Nachwuchs inspizieren, taktisch variabel coachen, mehrsprachig sowie gewissenhaft kommunizieren und noch viel anderes einlösen. Canepa präzisiert: «Das ist ein Pflichtenheft.» Fehlende Einsicht Das Papier hält auch fest, dass sich ein Trainer als Ausbildner verstehen und den Willen haben muss, junge und ältere Spieler besser zu machen. Dieser Punkt 13 war es vermutlich, der Uli Forte zum Verhängnis wurde. Canepa sagt dazu: «Er war der perfekte Trainer für den Wiederaufstieg, und er wäre noch heute unser Trainer, hätte er sich an die Vorgaben gehalten.» Die heutigen Übungsleiter, das bestätigen auch andere Schweizer Klubverantwortliche, sollten nicht zuletzt auch Spieler weiterentwickeln. Die Talente bilden das eigentliche Kapital von Schweizer Klubs. ­Rodriguez, Mehmedi, Drmic, Elvedi, Grgic: Am einträglichsten waren für den FCZ in den letzten Jahren vor allem Abgänge eige­ner Junio­ren. Deren Potenziale dürfen Trainer auf keinen Fall verkennen. Die Talente müssen eine Perspektive in ihrem Verein sehen. Sonst wandern sie beim erst­besten An­gebot ab, was dem Klub kaum etwas einbringt. «Profiklubs sind wirtschaftliche Unternehmen. Und als solche müssen sie Einnahmen generieren. Daraus entsteht ein Druck. Diese

Einsicht fehlt bei einigen Trainern», hält ­Canepa fest. Einige würden dem Irrglauben erliegen, dass der Fokus auf den kurzfristigen sportlichen Erfolg ihre Position stärke. Ludovic Magnin weiss offenbar um die Bedeutung eines weitsichtigen Plans. ­Canepa macht keinen Hehl aus seiner Begeisterung für den früheren U21-Trainer. ­Magnin arbeite sehr akribisch mit den Spielern im Einzelnen und folgt damit dem Trend zur individualtaktischen Betreuung, die im eigentlichen Mannschaftssport Fussball überall zu beobachten ist. Unter M ­ agnin kommen nun deutlich mehr junge Spieler zu Einsätzen als unter seinem Vorgänger. Damit erfüllt er einen wesentlichen Punkt der Wunschliste seines Arbeitgebers. Gleichzeitig wird die Gefahr, die sportlichen Ziele zu verpassen, mit einer jungen Mannschaft sicher nicht kleiner. Die Toleranzgrenze hinsichtlich des Tabellenrangs mag bei vielen Klubführungen grösser geworden sein, entfernt man sich zu weit von den angestrebten Klassierungen, ist die Unruhe gleichwohl vorprogrammiert. Fans protestieren, Verwaltungsräte tagen, und schon wackelt der Trainer­stuhl gewaltig. Giorgio Contini ist sich dieses Zwiespalts bewusst. Einem Trainer würden bestimmte Leitplanken vorgegeben, die es zu beachten gelte. «Aber manchmal muss man sich auch mal darüber hinwegsetzen, etwa wenn es zwingend einen Sieg braucht. Dann handelst du immer noch im Sinne des Klubs.» Übersetzt heisst das: Wenns drauf ankommt, lassen manche Trainer auch mal den Erfahrenen statt des 19-Jährigen auflaufen. Zu oft darf dies aber nicht vorkommen. Nicht nur umfangreicher, sondern vor allem komplexer ist der Anforderungs­ katalog an Trainer in den letzten Jahren geworden. Das bringt sie zunehmend in die Zwickmühle. Es wundert nicht, dass sich da nach einer gewissen Zeit Widersprüche zeigen und den Trainer in seiner inneren Zerrissenheit lähmen. Giorgio Contini drückt es so aus: «Du musst mehr Anforderungen erfüllen in noch kürzerer Zeit, das macht es schwieriger. Man will alles Positive aufs Mal.» Die heutigen Ansprüche sind im Gegen­ satz zum Spielergebnis so vielfältig, dass

sie kaum mehr messbar sind. Das schwächt die Position des Trainers. Er kann sich nicht mehr nur auf einen Punkteschnitt stützen, sondern ist den Eindrücken von seinen Vorgesetzten ausgeliefert. Was attraktiver Fussball oder die Weiterentwicklung einer Mannschaft genau bedeuten, lässt sich schliesslich nicht genau festmachen. Am meisten zu spüren bekamen das die beiden letzten Trainer des FC Basel, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Beide sind letztlich daran gescheitert, dass sie nicht sämtliche Ansprüche seitens der Klubführung erfüllen konnten. Fünfer ohne Weggli Hier der moderne Raphael Wicky. Er hievte den Klub spielerisch auf ein neues L ­ evel und stellte, sich auf seine Vergangenheit als ­U -Trainer besinnend, die Weiterentwicklung seiner Schützlinge auch auf Profi­ niveau über alles. Er forderte den Spielern taktisch allerhand ab, wollte variabel agieren, in flui­den Systemen ganz im Geiste von ­Guardiolas «juego de posición». ­Wicky machte den FC Basel international w ­ ieder konkurrenzfähig, bescherte ihm gar die erfolgreichste Champions-League-Saison überhaupt. Und weil der Walliser dabei auch noch junge Spieler wie Akanji einsetzte, wurden diese für den Transfermarkt der­massen attraktiv, dass sie dem FC Basel Erlöse in der Höhe von 60 Millionen Franken bescherten. Mit der perfekten Umsetzung der vom Klub vorgezeichneten Strategie ebnete ­Wicky para­doxerweise den Weg für seine eigene Entlassung. Denn der FC Basel konnte die gewichtigen Abgänge bis heute weder kompensieren noch verkraften. Da der zuverlässige Urs Fischer. Er perfektionierte vor Wicky jene Mittel, die in der Super League zum Durchmarsch verhalfen. In Sachen fussballerischer Entwicklung hinkt die Schweizer Liga manch ausländischen Trends hinterher, wie ZWÖLF in Ausgabe 58 unter dem Titel «Gurkenliga» analysierte. Taktikexperte Andreas Eberli zeigte auf, wie sehr die Liga von der Physis geprägt ist. Um hier Erfolg zu haben, ist vorläufig keine Revolution auf dem Rasen gefragt. Es braucht jene, welche das altgeprägte Spiel,

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vergleichbar womöglich mit jenem aus der 2. Bundesliga, am besten beherrschen: die Erfahrenen, die Schnellen, die Grossen. ­Fischer erkannte dies und wurde Cupsieger und mit riesigem Vorsprung Meister. International dagegen resultierten keine Erfolge, und die nationalen Titel schlugen sich nicht in Transfersummen nieder. Mohammed El­ younoussi etwa, dem Wicky internationales Profil verlieh und für den der FC Basel im Sommer über 20 Millionen Franken löste, hatte in Fischers Konzept kaum Platz gehabt. Zudem blieben wegen der nüchternen Spielweise auch die Zuschauer fern, weshalb der Vertrag des Zürchers im Sommer 2017 nicht verlängert wurde. Die Verpflichtung Marcel Kollers wird nun auch so gedeutet, dass im Umfeld noch die Sehnsucht nach einer Figur mitschwingt, wie sie Christian Gross eine war. Viele wähnen sich noch in jener Zeit, da Trainer e­ inen Klub entscheidend prägen konnten. Rolf Fringer etwa wird nicht müde, in seiner Funktion als TV-Experte bei jeder Gelegenheit zu betonen, dass der Trainer der starke Mann im Verein sein müsse. Verständlich, schliesslich ging es zu Fringers erfolgreichen Zeiten auf der Bank schlicht nicht anders. Ausser den Spielern hatte ein Klub kaum weiteres Personal, der Coach war mit weitreichenden Kompetenzen ausge­stattet und bestimmte nicht nur die Spielweise seines Teams, sondern legte auch die so­genannte Klubphilosophie fest. Sein Wort war auch bei Transfers und der Ausbildung gewichtig. Selbst bei der Ernährung der Spieler galt er als Instanz. Gestärkte Klubs Giorgio Contini ist der Ansicht, dass ein Trainer auch heute noch der wichtigste Mitarbeiter eines Klubs ist. Schliesslich habe er das grösste Wissen, wenn es um den entscheidenden Bereich gehe, nämlich den sportlichen. Dafür müsse er nicht der starke Mann sein, sondern «eine starke Persönlichkeit». Contini räumt aber ein, dass die Vereine heute die Richtung vorgeben: «Ein Klub hat im Idealfall bereits eine Philosophie. Dann holt man den Trainer, von dem man denkt, er könne die Vorstellungen des

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Klubs am besten umsetzen.» Ähnlich klingt es im FC Zürich, wo sich der Trainer gemäss Pflichtenheft «als Teamplayer im Rahmen unserer Sportkommission versteht». Diese Verlagerung der Kompetenzen hin zur Klubführung ist naheliegend. Man fürchtet sich davor, ein zu mächtiger Trainer könnte den Klub für seinen persönlichen Erfolg missbrauchen und damit die längerfristig ausgelegte Strategie torpedieren. ­Einem Trainer freie Hand zu lassen, kann für ­einen Verein schwere Konsequenzen haben, an denen er noch einige Zeit zu beissen hat. Dies musste man jüngst bei GC erfahren. Mit ­Murat Yakin holte man nicht nur einen Übungsleiter, sondern ein ganzes Programm. In seinen sieben Monaten im Amt legte er sich mit Führung wie Spielern an, verjagte Stammkräfte und holte seine Wunschspieler. Es endete im Chaos. Der kurze yakinsche Sturm hat den Verein ein ganzes Stück von jenem Kurs abgebracht, den er für sich vorgesehen hatte. Sportchef Mathias Walther ist heute noch mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Aus der schmerzlichen Erfahrung hat man gelernt. Nur noch ein Trainer, der im Kollektiv funktioniere, komme für den Posten infrage. Und dieses Kollektiv ist in den letzten Jahren deutlich grösser geworden. Ganze Abteilungen von Spezialisten sind entstanden, die mit dem Cheftrainer zusammen­ arbeiten sollen. «Der Trainer muss nicht in jedem Bereich Experte sein. Aber er muss die neuen Möglichkeiten kennen und an­ erkennen, dass die Wissenschaft einen wichtigen Mehrwert für seine Arbeit liefert.» Anders gesagt: Der Laptoptrainer ist schon wieder passé, heute haben die Assistenten die Laptops. Laut Walther haben alle Schweizer Klubs in den letzten fünf Jahren massiv in den techno­logischen Bereich investiert und auch enorme Fortschritte gemacht. Auf dem GC-Campus in Niederhasli, diesem Zweckbau ausserhalb des Dörfchens nahe der Überlandstrasse, sind die wenigen Spaziergänger nicht länger die einzigen Zuschauer der Übungslektionen. Unzählige Kameras säumen den Platz, die Bilder werden in Sekundenbruchteilen von einer Software analysiert. «SAP Sports One»

Viele ­Schweizer Trainer sind ­technisch ­völlig überfordert.

heisst dieses Wunderding, das GC als erster Schweizer Klub eingeführt hat. Von unterwegs kann nun etwa der Sportchef dank GPS die Laufwege von Nedim Bajrami verfolgen, und der Physiotherapeut ist im Bild darüber, ob der angeschlagene Shani Tarashaj mit der Belastung zurechtkommt. Ausserdem wertet die medizinische Abteilung die Daten der rekonvaleszenten Spieler aus und erarbeitet daraus Empfehlungen für ein optimiertes Training. Der gläserne Fussballer – nicht nur auf dem GC-Campus bereits Realität. Nicht alle Trainer halten mit dieser Entwicklung Schritt. Ein ranghoher Mitarbeiter eines Super-League-Klubs, der anonym bleiben möchte, stellt den Schweizer Coaches in diesem Bereich kein gutes Zeugnis aus: «Die meisten haben den Anschluss komplett verpasst. Sie sind technisch völlig überfordert.» Zudem hätten viele nicht eingesehen, dass sie nicht mehr das alleinige Sagen hätten. Wer das nicht kapiere, habe auf dem Markt keine Chance mehr. Die lange Liste einst gefragter Trainer, die seit Jahren ohne Job dastehen, unterstreicht dies. Von einem Generationenwandel spricht Ancillo Canepa, wobei er das nicht als eine Frage des Alters verstanden wissen will. Er hält sich an Analogien aus der Wirtschaft: Manche würden mit 60 noch dazulernen wollen, andere blieben stehen. «Die Zeiten, in denen ein Manager kein E-Mail schreiben können musste, sind vorbei.» Auch bei GC-Trainer Thorsten Fink könnte man meinen, er gehöre der


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genügsamen Gilde an, hat er doch eine respek­table Bundesliga-Karriere vorzuweisen und trägt einen grossen Namen. Doch dies reicht heute längst nicht mehr. Fink habe sich den neuen Anforderungen bestens an­gepasst, sagt Sportchef Walther. «Thorsten zeigt gros­ses Interesse an den neuen Möglichkeiten. Er will die Zusammenhänge verstehen, ist o ­ ffen für die Erkenntnisse der einzelnen Ressorts und kann diese auch entsprechend verarbeiten.» Das sei heute gefragt. In Zeiten, in denen Klubs wie Firmen organisiert sind, gleicht der Trainer mehr ­einem Abteilungsleiter denn einem Feldherr wie einst. Er muss primär seinen Stab führen und den besten Überblick haben über den gesamten sportlichen Bereich. Sinnloser Überlebenskampf Wie jeder andere Super-League-Trainer sieht sich indes auch Fink mit der Quadratur des Kreises konfrontiert. Eine ansprechende Klassierung soll sein GC erreichen, dabei soll er aus den elf unter 21-Jährigen im Kader Spieler von internationalem Profil formen. Für den Klub sind Transfers derart über­lebenswichtig, dass Finks Vorgesetzte mit dem Rechenschieber in der Hand verfolgen, wie die Jungen mit jedem Einsatz und jeder erfolgreichen Aktion ihren Wert steigern. Darüber hinaus wird von Fink erwartet, dass er die Marke Grasshoppers mitprägt und den Klub nach aussen gut verkauft. Diese verschiedenen Ziele stehen öfter miteinander in Konflikt. Das Ausbalancieren ist die vielleicht schwierigste Aufgabe, die ein Trainer heute hat. «Es bringt nichts, wenn ich mich in Überlebensstrategien flüchte», sagt denn auch Giorgio Contini. Es sei weder einem selber noch dem Klub gedient, wenn man seinen Weg immer wieder ändere, nur um kurzfristig einer Entlassung zu entgehen. «Du weisst, dass andere über deine Zukunft entscheiden.» Wenn ein Klub einen Trainer freistellen wolle, dann finde sich so oder so ein Punkt, den dieser nicht erfüllt habe. Damit könne er leben, solange er seiner Linie bis zum Schluss treu geblieben sei, meint Contini. Darum schliesst der Lausanne-Trainer: «Angenehm ist dieser Job nicht, aber spannend.»•

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E L  S P

I T  Z E

IE L Z E I T S PI

Uffgweggt @schraemmli_

Ü

berschwänglich wurde die Entourage des FC Basel von den slowenischen Gastgebern empfangen. Wie schön es doch sei, dass es die Schweizer noch geschafft hätten. Man habe sich schon Sorgen gemacht, dass sie vielleicht gar nicht kommen könnten, aber jetzt seien sie ja da. Beim FC Basel verstand man die Welt nicht mehr. Extra frühzeitig hatte der Tross doch die Fahrt vom österreichischen Klagen­ furt, wo das Team untergebracht war, ins rund 60 Kilometer entfernte Prevalje angetreten, nicht zuletzt, weil man sich vor einer langen Wartezeit bei der berüchtigten slowenischen Grenzkontrolle gefürchtet hatte. Doch die eigens für die Zöllner mitgebrachten Geschenke, rot-blaue Pins und Fahnen, zeigten Wirkung; fast unbehelligt liess man den rot-blauen Tross passieren.

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Zwanzig Jahre lang hat der FC Basel ohne ­Unterbruch an ­europäischen Wett­bewerben ­teilgenommen, in Rom, M ­ anchester oder ­Barcelona gespielt. Das Abenteuer begann in einem verschlafenen slowenischen Nest. Überpünktlich kamen die Basler ihrer Meinung nach in Prevalje an, diesem 5000-Seelen-Dorf. Überpünktlich, ja, aber einen Tag zu spät …

Expedition ins Unbekannte Schon damals schrieb die UEFA vor, dass Gastteams einen Tag vor dem Spiel an­reisen und Pressetermine wahrnehmen mussten. Auch hätte der FCB das Recht gehabt, vor Ort ein Abschlusstraining durchzuführen. Nur: Beim FC Basel wusste von alle­dem niemand etwas. Europa, das war für die Basler Verantwortlichen ein unbekanntes, längst vergessenes Territorium, das es wiederzuentdecken galt. Leiter dieser Expedition, das war Reise­fachmann A ­ ndré ­Frossard. Mit gerade mal 20 Jahren eröffnete er in Basel sein eigenes Reisebüro. Schon als Bub sei

er ein «Rot-Blauer» gewesen, sagt F ­ rossard. Schrecklich habe er gelitten, als sein Klub 1988 für sechs Jahre in der Zweitklassigkeit verschwand. Als sich der Klub 1999 für einen internationalen Wettbewerb qualifizierte, den UEFA Intertoto-Cup, sei für ihn nichts nähergelegen, als sich mit seinem Reise­büro als Organisator anzubieten. Frossard wurde bei FCB-Präsident René C. Jäggi und dem neu verpflichteten Trainer ­Christian Gross vorstellig – und bekam den Zuschlag. «Primär musste ich Christian Gross überzeugen. Er hatte ganz genaue Vorstellungen, wie die Reise abzulaufen hatte», erinnert sich Frossard. Ebenfalls zur Basler Reisegruppe gehörte Mario Cantaluppi. Der Mittelfeldspieler war, 25-jährig, eben erst von Servette zum FCB zurückgekehrt, die Auswärts­partie in

KEYSTONE/Markus Stuecklin

Text Philipp Schrämmli


Prevalje war sein Comeback-Spiel. «Für uns Spieler war das ein riesiges Ereignis, viele hatten noch nie europäisch gespielt», sagt Cantaluppi. «Dabei war es uns egal, wie der Gegner hiess. Hauptsache, wir durften in ein anderes Land.» In der Tat war der NK ­Korotan Prevalje ein international unbeschriebenes Blatt. Der slowenische Dorfverein hatte zuvor überhaupt noch nie eine Partie in einem europäischen Wett­bewerb bestritten. Und das Debut sollte auch gleich die Derniere sein: Nur drei Jahre später wurde der Verein aufgelöst, weil er die Löhne der Spieler nicht mehr zahlen konnte, und aus der Liga ausgeschlossen, nachdem er zum zweiten Mal bei einem Punktspiel nicht angetreten war. Kult auf der Tribüne Nicht nur für fast alle Spieler, auch für viele Fans war Prevalje der erste internationale Auftritt. So auch für Yves. 15 Jahre alt war er, als ihm seine Eltern die Erlaubnis erteilten, mit Freunden im Bus nach Slowenien zu fahren. Etwas jung, findet er heute selber. «Aber meine Eltern waren grosse Verfechter antiautoritärer Erziehung. Es genügte ihnen, zu wissen, wer mitkommt.» 50 Fans nahmen

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S P I E L T E L E G R A M M

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NK Korotan Prevalje - FC Basel 0:0 (0:0) – Stadion na Prevaljah, Prevalje – 2000 Zuschauer. – SR: Kasnaferis (Gre) – FC Basel: Matan; Ceccaroni, Kreuzer, Sahin, Calapes; Cantaluppi, Perez (46. Barberis), Huggel, Güner (60. Kehrli); Tschopp (73. Boumelaha), Mendi – Verwarnungen: 4. Benedejcic, 69. Cantaluppi, 71. Ristic, 73. Huggel, 77. Ceccaroni (alle wegen Fouls) – Bemerkungen: Basel ohne Cravero, Fabinho (beide verletzt), Huber, Veiga, Rytschkow, Abedi (alle abwesend) sowie ohne Knez, Koumantarakis, Quennoz (alle noch nicht qualifiziert). 44. Pfostenschuss Mendi.

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die neunstündige Fahrt durch die Nacht auf sich, den Tag hätten sie im Dorf verbracht, wo es «überhaupt nichts» gab. Auch das «Stadion na Prevaljah» taugte wahrlich nicht als Sehenswürdigkeit. Undenkbar, dass die UEFA heute eine Partie dort genehmigen würde. «Das war einfach ein Hauptfeld mit einer Mini-Tribüne, so einen Platz hat in der Schweiz jeder 1.-Liga-Verein», sagt ­Cantaluppi. Geschmückt wurde er immerhin von einem Banner der Auswärtsfans: «Wir sind Kult», stand drauf. Gleiches konnte man von der Mannschaft (noch) nicht behaupten. Einige Neuzugänge waren noch nicht spielberechtigt, andere Stammspieler waren verletzt oder

durften ihre Ferien verlängern, und wo Spielmacher Sascha Rytschkow war, wusste niemand. Er galt als verschollen in Sibirien. Das Vertrauen in die zweite Garde war eher gering, sodass Präsident Jäggi im internen Toto gar einen Sieg der Slowenen prophezeite. Fast wäre es auch so gekommen. Der FCB war in der Offensive bis auf einen Pfosten­s chuss harmlos, hingegen zischten die Freistösse von Gästesenior Alfred ­Jermanis mehrmals nur knapp am Gehäuse von U21-Keeper Matan vorbei. Und Abwehrhaudegen Oliver Kreuzer versenkte einen Befreiungsschlag fast im eigenen Netz. «Mit dem 0:0 waren wir jedenfalls gut bedient», sagt denn auch Cantaluppi. Yves und die anderen Fans traten kurz nach Abpfiff die Heimreise an. Immerhin: Christian Gross habe ihnen einige Körbe mit Früchten, welche die Slowenen den Baslern in die Garderobe gestellt hatten, für die Rückreise mitgegeben. Enttäuscht war Yves von seinem ersten Ausflug nicht: «Ich habe mich einfach nur gefreut, dass der FCB wieder international spielt, und gehofft, dass die Reise nach Slowenien nicht die letzte sein wird.» Diesen Wunsch erfüllte ihm der FCB: Gleich mit 6:0 wurde Prevalje auf der Schützenmatte (im Bild) vor 2600 Zuschauern überrollt. Vier Treffer steuerte der neue süd­afrikanische Stürmer George ­Koumantarkis bei seinem ersten Spiel für den Verein bei. «Lange Bälle auf Koumantarakis, diesen Spielstil haben wir dann in den folgenden Wochen perfektioniert», erinnert sich C ­ antaluppi. «Im Mittelfeld bekam ich manchmal fast eine Halskehre. Es war wirklich nichts für Fussball­ästheten. Aber ­Christian Gross war in Basel erst am Anfang und musste seine Mannschaft noch aufbauen.» Der nächste Gegner hiess FC Boby Brünn. Präsident Jäggi bot Yves sogar an, mit der Mannschaft mitzufliegen. «Aber ich musste ihm absagen», sagt der Fan, «ich hatte schon mit meinen Kollegen abgemacht.» Jäggi habe die Welt nicht mehr verstanden. Das Europacup-Abenteuer in jener Saison beendete der HSV. Trotz ­eines 1:0-Siegs auswärts wollten nur 3800 Zuschauer das UI-Cup-Rückspiel (2:3) sehen. Die Euphorie war noch nicht ganz entfacht, die Serie aber gestartet. «Ich muss zugeben, dass ich nicht als Erstes an Prevalje denke, wenn ich auf meine Karriere zurückblicke», sagt Cantaluppi, der heute die U17 des FC Basel trainiert. «Aber es macht mich schon ein bisschen stolz, dass ich am Ursprung dieser seit zwanzig Jahren

Über­pünktlich kam der FC Basel in ­Prevalje an, allerdings einen Tag zu spät.

andauernden Serie dabei gewesen bin.» Für ihn folgten magische Nächte in der Cham­ pions League mit Partien gegen Liverpool oder Manchester United. Kein Bürojob mehr Auch für Frossard sollte die Reise nach Prevalje bei Weitem nicht die letzte gewesen sein. Bis heute erteilt ihm der FC Basel Aufträge. Exakt hundert Reisen für Mannschaft und Fans hat Frossard seither organisiert, bei 98 davon war er selber dabei. «Die Anforderungen sind natürlich gestiegen», sagt der Experte. Buchte er das Hotel in Klagenfurt noch vom Bürostuhl aus, reist er mittlerweile vor jedem internationalen Auswärtsspiel in die jeweilige Stadt, rekognosziert Hotels und macht dem Klub dann drei Vorschläge. «Für mich ist das aber keine Arbeit, sondern ein gelebter Bubentraum», meint Frossard. 65 wird er nächstes Jahr, doch die Pensionierung sei noch in weiter Ferne. «Ich hoffe wirklich, dass ich das noch ein paar Jahre machen kann.» Die 20. internationale Saison in Folge ist für den FC Basel derweil schon vorbei. Sie endete am 30. August in Limassol ungewöhnlich früh. Aus der Ruhe zu bringen scheint dies indes keinen der drei in diesem Text erwähnten Prevalje-Veteranen. Frossard nimmt die kommenden Monate ohne internationalen Fussball in Basel als «Sabba­tical», Cantaluppi sieht es als Chance für e­ inen Neuanfang, und Yves betont: «Wer wie ich Ende der 1980er-Jahre die ersten Spiele des FCB besuchte, der ist garantiert nicht des Erfolges wegen Fan geworden.»•

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Von der Verpflichtung von Gerardo Seoane erhoffte man sich 1998 bei Deportivo La Coruña viel. Heute kann sich in Galicien kaum noch jemand an den heutigen YB-Trainer erinnern. Seine vier Jahre verbrachte Seoane mit gutem Lohn und wenig Einsatz bei den Reserven.

Der neue Guardiola

Text Juan Luis Cudeiro @jlcudeiro

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r lächelte unsicher, dieser schmächtige Junge mit dem kurz geschorenen Haar. Soeben hatte er, 19-jährig, einen Fünfjahresvertrag unterschrieben bei Deportivo La Coruña in der Primera ­División. Es war eine Verpflichtung, die über das Fussballerische hinausgehen sollte. Senti­mentalitäten spielten mit. Er kehrte «nach Hause» zurück, dorthin, wo seine ­Eltern 20 Jahre zuvor hergekommen waren. Erneut 20 Jahre sind seitdem vergangen. Die Träume rund um den schweizerisch-­ galicischen Teenager, sein fehlender Biss, die wenigen Spielminuten, die er bekam: Alles scheint weit weg. Im Klubhaus von ­Carballo findet man immerhin noch einige ältere Zeitgenossen, die sich an den verlorenen Sohn erinnern können. Dass der einstige Perspektiv­ spieler heute als Trainer des Schweizer Meisters amtet, weiss niemand. Dabei trug er einst sogar den Namen ­dieser Kleinstadt. Denn damals gab es einen richtiggehenden Hype um den technisch beschlagenen Fussballer, der vor dem eigenen Strafraum das Spiel aufziehen sollte. Und so kündigten sie ihn an als den Guardiola aus Carballo. Hier liegen die Wurzeln des Gerardo Seoane, im Weiler A Brea bei Carballo, dieser Kleinstadt nahe der rauen Atlantikküste.

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20 000 Einwohner, 30 Kilometer von der Provinzhauptstadt La Coruña, nah genug, um dazuzugehören, zu weit weg, um mittendrin zu sein. Jahrhundertelang prägte die Landwirtschaft diese Gegend. Als diese an Bedeutung verlor, sahen sich die Menschen gezwungen, ihr Heil woanders zu suchen, zum Teil Tausende Kilometer weiter, anfänglich vor allem in Lateinamerika, ab den 60erJahren auch im restlichen Europa – etwa in der Schweiz. Als 1975 Diktator Franco starb, lebten bereits mehr als 150 000 Spanier in der Schweiz, die Hälfte von ihnen stammte aus Galicien, dieser Ecke im Nordwesten an der Grenze zu Portugal. Einige sind mittlerweile wieder zurückgekehrt, erhalten die Verbindung aber weiter aufrecht. Das zeigt sich auch im Fussball. Die Bar vis-à-vis der Haupttribüne des Riazor, des Stadions von Deportivo La Coruña, trägt den Namen ­Zurich. Und da war eben dieser Gerardo ­Seoane. Auch seine Eltern gehörten zu diesen Auswanderern. Mitte der 70er liessen sie sich in Rothenburg bei Luzern nieder. In der Innerschweiz wurden der heutige YB-­ Trainer und seine Schwester gross. Eines Nachmittags im Juni 1998 kehrten Vater und Sohn Seoane mit einem bestimmten Ziel nach La Coruña zurück. Sie

betraten dort das Büro von Augusto César Lendoiro, dem schillernden Präsidenten von Deportivo. Lendoiro war ein Gambler. Nach einer jahrzehntelangen Durststrecke des Klubs begann er Anfang der 90er Kredite aufzunehmen. Bei jeder erdenklichen Bank klopfte er an. Damit holte er sich immer wieder Weltstars in die wenig glamouröse Hafenstadt; die Brasilianer Bebeto und Mauro Silva gehörten zu den ersten. Lendoiro erhoffte sich dadurch Erfolge, bessere TVVerträge, Champions-League-Einnahmen. Und lange ging dies auch auf. 1994 verpasste ­Depor die Meisterschaft nur wegen eines in der letzten Minute verschossenen Penaltys. Nun wollte es Lendoiro endlich schaffen. Nach einer enttäuschenden Saison 1997/98 war er gerade dabei, eine neue Mannschaft zusammenzustellen. «Der Präsident hatte dieses gewisse Etwas», erzählt Tito Ramallo, der damals in den Ersatzmannschaften von Depor seine ersten Schritte als Trainer machte. «Manchmal tauchte er mit unbekannten Spielern auf, mit denen er den grossen Coup zu landen hoffte.» In einer Zeit, in der nicht jeder Match aus aller Welt in die Stuben übertragen wurde und es noch keine Scouting-Softwares gab, hatten solche fussballerischen


Xosé Castro

Träumereien noch ihre Berechtigung. Ein Coup hätte auch Gerardo Seoane sein können, das erhofften sich manche. Über ihn wusste man einzig, dass er schon im jüngsten Alter Dutzende Partien in der höchsten Schweizer Liga bestritten hatte. Und natürlich weckten sein Vor- und sein Nachname besondere Sehnsüchte. Jedem Fan war klar: Dieser Junge ist von hier, er ist einer von uns. Der Galicier-Bonus Zuvor war Präsident Lendoiro stark kritisiert worden für seine Politik, die Möglichkeiten des Bosman-Urteils bis zum Allerletzten auszuschöpfen. Nur ein einziger Galicier, der Nationalspieler Frán, stand im Kader. Sonst war es eine zusammengewürfelte Truppe mit Kickern aus aller Herren Länder. «Die Vereinten Nationen» lautete der spöttische Übername für Depor. Das wollte Javier I­rureta nicht mehr. Der im Sommer 1998 zum Klub gestossene Trainer hatte klare Vorstellungen. Eine davon

machte er dem Präsidenten gleich zu Beginn klar: Die Mannschaft soll spanischer werden, es braucht Identifikationsfiguren. Und so leuchteten Lendoiros Augen, als man ihm kundtat, es gebe diesen talentierten Galicier in der Schweiz und man könne ihn verpflichten. Ein Leichtes war der Transfer nicht. «Wir mussten abwarten, bis sich sein Klub Luzern mit Sion, wohin er ausgeliehen war, einig wurde», erinnert sich Lendoiro. Eine Woche harrten Vater und Sohn in A Brea aus, bis der Deal in trockenen Tüchern war. Am 23. Juni schliesslich, dem Tag, an dem in Galicien tradi­tionell Lagerfeuer entzündet werden, um alles Unglück aus der Welt zu schaffen, unterschrieb Gerardo Seoane seinen Vertrag. Über 3000 Fans kamen ins Riazor, um ­ihrem neuen Hoffnungsträger beim Jonglieren zuzusehen und wenn möglich ein Auto­ gramm zu ergattern. «In die Heimat meiner Eltern zurückzukehren, ist für mich ein Traum, der wahr wird. Ich bin sicher, dass

ich mich dank meiner Technik und meinem Ball­gefühl perfekt in die spanische Liga ein­ fügen werde», diktierte S ­ eoane den Journalisten in die ­Blöcke. 150 Millionen Peseten, etwa eine Million Franken, bezahlte Deportivo für ihn. Die Ausstiegsklausel betrug das Zehnfache. Um die Grössenordnung zu verstehen, reicht ein Blick auf das Real Madrid der damaligen Zeit. Der reichste Klub der Welt hatte gerade den Innenverteidiger Iván Campo verpflichtet, immerhin National­ spieler und WM-Teilnehmer. Er kostete lediglich das Doppelte von Seoane. «Unser erster Eindruck von ihm beim Training war wirklich sehr gut», erinnert sich Carlos Ballesta, der heute im Scouting für Deportivo arbeitet und sich damals um den Nachwuchs, den «Fabril», kümmerte. Dort fand sich Seoane nämlich ein, nachdem er die Vorbereitung mit der ersten Mannschaft absolviert hatte, aber schnell klar geworden war, dass er – allen identitätsstiftenden Plänen zum Trotz – in ­Iruretas Plänen

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Gerardo Seoane

* 30. Oktober 1978 in Luzern Spiele Tore 1995–1997 FC Luzern 39 2 1997–1998 FC Sion 22 1 1998 Deportivo La Coruña 2 0 grosses Versprechen für die Zukunft.» Nie1998–2002 Deportivo La Coruña B 83 8 mand konnte da ahnen, dass er nie wie2000 AC Bellinzona (Leihe) 9 0 der ein Pflichtspiel mit Deportivo bestrei2002–2004 FC Aarau 66 0 ten würde. Er selber zeigte sich angriffig 2004–2006 Grasshoppers 52 5 und verkündete zum Saisonende: «Ich fühle 2007–2010 FC Luzern 86 3 mich gegenüber dem Klub in der Schuld. Ich glaube, ich werde noch eine Schippe drauf­ Trainer legen.» Und ging in die Ferien. 2011–2017 FC Luzern (Nachwuchs) Der Klub rüstete derweil weiter auf. 2018 FC Luzern Stars wie Roy Makaay oder Jaime Sánchez 2018– BSC Young Boys kamen neu. Depor war also nicht gerade der Ort, wo die Jungen gefördert wurden. Und Seoane war irgendwie fehl am Platz. Inzwischen erhielt er Aufgebote für die Schweizer U21-Nationalmannschaft, auf eine Saison im Depor-Nachwuchs in der vierthöchsten Liga hatte er indes keine Lust. Was seine Chancen keine Rolle spielen würde. Zwei brasiliani- auf die erste Mannschaft anging, liess Traische Nationalspieler, Mauro Silva und ­Flavio ner Irureta keine Zweifel offen: «Wenn er Conceição standen ihm im zentralen Mittel- bleiben muss, dann soll er das von mir aus, feld vor der Sonne. Ein weiterer Konkurrent, aber es wäre für alle am besten, wenn man der spanische Nationalspieler Donato, liess ihn ausleihen würde.» Nur gab es selbst dasich zum Abwehrspieler umfunktionieren, für keine Angebote, und im Klub kann sich um spielen zu können. Immerhin durfte heute niemand daran erinnern, dass Seoane ­Seoane weiter mit der ersten Mannschaft sich selber darum bemüht hätte, anderswo trainieren. Am Wochenende lief er aber im Einsatzzeit zu bekommen. «Fabril» auf. So blieben ihm lediglich die Trainings, an den Wochenenden hatte er frei. Seinen Ziel: Aufstieg, Resultat: Abstieg Lohn kassierte er natürlich weiter. Und der Mit seinem gut dotierten Vertrag ohne war hoch: Die hohen Anfangserwartungen Chance auf Einsätze war Seoane kein Ein- rechtfertigten ihn, die tatsächlichen Leistunzelfall. Deportivo hatte zu diesem Zeitpunkt gen dann weniger. «Er ging am Abend gerne rund 40 Profis unter Vertrag, für einige stan- weg. Und er war einer von denen, die einem den täglich zwei Trainings mit verschiede- Trainer voller Überzeugung weis­machen nen Mannschaften an. «Ich denke, dieses Hin wollten, dass ein Fussballer ausgehen muss, und Her hat ihm nicht gutgetan», sagt Trai- um sich abzulenken», erinnert sich einer seiner Ballesta heute. «Er hatte nirgends mehr ner früheren Coaches. «Mich würde ja inteseinen Platz.» Depors Nachwuchs spielte ressieren, was er heute darüber denkt, wo er damals in der dritthöchsten Liga und galt selber Trainer ist.» als Aufstiegsfavorit. Doch die Saison wurde zum Desaster. Mit ­Seoane als Stammspieler Der Trainer sei nicht mehr der Spieler geschah das Undenkbare: Der Nachwuchs Eine Anfrage von ZWÖLF liess Seoanes Klub fiel in die vierte Liga. Im A-Team durfte YB unbeantwortet. Er will sich offenbar nicht sich Seoane lediglich in zwei Spielen der äussern zu seiner Zeit in La Coruña, wie er Copa del Rey gegen das bescheidene ­Jerez auch sonst nicht gerne über seine Aktiv­ de los ­Caballeros beweisen. Die Lokalzei- karriere spricht. Er frage sich, ob jemand, der tung «La Voz de la Galicia» gab ihm dabei immer wieder mit dem Vergleich zwischen die beste Note und liess sich gar zu ­einer Vo- Spieler und Trainer komme, den richtigen raussage hinreissen: «Er hat eine gute Über- Fokus habe, sagte er im Mai in der NZZ – sicht und die Technik dafür, dass diese auch ebenfalls mit knappen Worten. «Spieler sein zur Geltung kommen wird. ­Seoane ist ein und Trainer sein – das sind zwei komplett

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In Seoanes Akte, die noch in den ­Archiven lagert, hat jemand notiert: «Nacht­ schwärmer».

andere Jobs, zwei andere Rollen, es braucht auch unangenehme Spieler in ­einem Team.» Unangenehm war Gerardo Seoane, aber auch unangepasst. Mit wem man in La Coruña auch immer über ihn spricht, die nächtlichen Ausflüge des Luzerners müssen Spuren hinterlassen haben. «Meine Erinnerungen an ihn sind nicht unbedingt sportlicher Natur, sondern drehen sich vor allem um das neben dem Platz», erzählt Dani ­Cancela, ein Linksverteidiger, der mit Seoane im «Fabril» spielte und seine Karriere heute in Hongkong ausklingen lässt. «Er war ein klasse Fussballer, hatte aber auch viel Temperament. Ein sehr offener und lustiger Typ», sagt er. Cancela bestätigt Seoanes damalige Vorliebe fürs Feiern. «Aber sicher doch. Der hat keinen Abend ausgelassen!», sagt er. In Seoanes Akte, die noch immer in den Archiven von Deportivo lagert, hat jemand notiert: «asiduo a la noche», was etwa so viel heisst wie «Nachtschwärmer». Vom Sportlichen her war Seoanes Zeit in La Coruña ein einziges Elend. In seinem zweiten Jahr machte er im Frühling einzig ein paar Spiele für die AC Bellinzona, wo er als Leihspieler in der Auf-/Abstiegsrunde an der Seite von Kubilay Türkyilmaz auflief. Deportivo derweil feierte den grössten ­Triumph der Vereinsgeschichte, die Meister­ schaft 2000. Seoanes Name sucht man in den Klubannalen vergebens. In der dritten Saison schloss er sich erneut dem «Fabril» an, der wieder in die Segunda B, also


G e r a r d o Se o a n e

die dritthöchste Liga, aufgestiegen war. Doch mit dem Rückkehrer fiel das Team erneut eine Klasse tiefer. In seiner vierten und letzten Saison war sich der nun 23-Jährige dann auch nicht mehr zu schade, in der Provinz zu spielen. Er war damit Teil jener Truppe, welche für die schlechteste Klassierung einer Deportivo-B-Mannschaft überhaupt verantwortlich zeichnete. «Es war völlig klar, dass ihn diese Situa­ tion nicht gerade motivierte», erzählt Dani Cancela. Und sein damaliger Trainer Tito Ramallo fügt an: «Seoane machte keine Probleme, aber er war jetzt auch nicht die Lösung.» Es habe in dieser zweiten Mannschaft junge aufstrebende Spieler gegeben, mit Seoane sei es dagegen abwärtsgegangen. «Man sah relativ klar, dass er nur noch das Nötigste machte, um im Klub zu bleiben. Er kam einfach noch seinen vertrag­ lichen Pflichten nach, mehr nicht. Er hätte ein L ­ eader sein können in dieser Mannschaft, aber diese Rolle wollte er nicht wahrnehmen», so Ramallo. Als «organisierenden Mittelfeldspieler mit wenig Engagement in der Defensive» bezeichnet er Seoane rückblickend. Deshalb

hat Ramallo leicht amüsiert zur Kenntnis genommen, wie souverän die Young Boys dank einer disziplinierten Defensive gegen ­Dinamo Zagreb ihren Vorsprung über die Zeit brachten. Keine Entwicklung von 20 bis 24 Trotz der unkonstanten Trainings­leistungen und der offensichtlichen Motivations­ probleme kam Ramallo gut klar mit Seoane. «Ich glaube, ich verstand seine Probleme», sagt der Trainer. «Er kam als Junger mit hohen Erwartungen und einem Salär hierher, das nicht für die zweite Mannschaft gedacht war. Und es ging nicht vorwärts, weil in diesem Weltklassekader einfach kein Platz war für ihn. Man muss auch klar sagen, dass er sich als Spieler null weiterentwickelte.» In der eigentlichen Blütezeit eines jeden Fussballers. Ähnlich sieht das sein ehemaliger Teamkollege Cancela: «Der sehr gut dotierte Vertrag hat ihn in gewisser Weise auch bestraft.» seiner Zeit in Spanien hat ­Seoane wohl deutlich mehr verdient als während des ganzen Rests seiner Karriere. Cancela erinnert sich gerne an die guten Zeiten seines Mitspielers

zurück: «Man konnte von ihm stets etwas erwarten: ein schönes Tor, einen millimeter­ genauen Pass in den Raum. Aber er versteckte sich auf dem Feld auch oft.» Vielleicht hat Seoane damals schon gespürt, dass ihm eine Trainerlaufbahn eher zusagen würde. Die Anzeichen waren laut Ramallo da: Trotz dürftigem Einsatz habe er sich nämlich sehr interessiert gezeigt an taktischen Fragen und an der Organisation der Trainings. Er wollte stets wissen, wie gewisse Entscheidungen zustande kamen. Nach seiner vierten Saison kehrte Gerardo Seoane nicht mehr nach Galicien zurück. Sein letztes Vertragsjahr verbrachte er als Leihspieler in Aarau. Bei Deportivo fragt heute niemand mehr nach ihm. Zu bewegt waren die Zeiten seither. ­Lendoiro hinterliess im einstigen ChampionsLeague-Halbfinalisten einen gigantischen Schuldenberg von rund 200 Millionen Euro. Depor wurde zum Liftklub. Nach dem Abstieg in der letzten Saison mit Fabian Schär spielen die «Branquiazuis» nun wieder in der Segunda División. Gerardo ­Seoane, der verlorene Sohn, coacht währenddessen in der Champions League.•

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28. SONNTAG,

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Text Ali Farhat @derpariser

Auswärt Im französischen Cup hoffen die Amateurklubs nicht nur auf einen grossen Gegner. Mindestens so begehrt sind Partien gegen Klubs aus den Überseegebieten. Den Spielern winkt die Chance auf die Reise ihres Lebens – bezahlt vom Verband.

B

ei uns geht die Sonne nie unter.» Damit brüstete sich einst Karl V., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, die britischen Imperialisten taten es ihm später gleich. Frankreich wiederum kann heute noch von sich behaupten, den einzigen Fussballwettbewerb zu organisieren, der auf dem ganzen Erdball ausgetragen wird. Die Coupe de France findet nämlich nicht nur auf dem heimischen Festland, der sogenannten Métro­pole, statt, sondern auch auf den A ­ ntillen, in Französisch-Guyana, auf La ­Réunion und in Französisch-Polynesien. Und so wird jeder französische Fussballherbst eine Ent­deckung exotischer Orte, die irgendwo auf der anderen Seite der Welt liegen, aber Teil der Grande Nation sind.

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Es gibt weltweit keinen Wettbewerb, bei dem mehr Mannschaften und Ligen mit­machen. Jedes Jahr sind es im französischen Cup Tausende Vereine, die ab August um ­einen Finalplatz im Stade de France kämpfen. Total kennt der französische Fussball 18 Liga­s tufen. Auf der sechsthöchsten Stufe, der Division d’Honneur, finden sich die besten Teams der DOM-TOM – der «départements d’outre-mer» und «territoires d’outre-mer». Für manchen Deutschschweizer zählen diese Begriffe zu jenen nutz­losen, die ihm vom Französischunterricht geblieben sind. Ab der siebten Runde mischen die Überseegebiete im Cup mit – wie auch die Vertreter der Ligue 2. Die Anzahl Startplätze der DOM-TOM sind festgelegt: Guadeloupe,

Martinique, Französisch-Guyana und ­Réunion dürfen je zwei Vertreter stellen – in der Regel Meister und Cupsieger –, Poly­ nesien, Neukaledonien und Mayotte einen. Bevor die elf Übersee-Teams erstmals antreten, sind sie Teil der grössten Cupauslosung der Welt. 176 Mannschaften werden gezogen. Grégory Ursule, früherer Spieler von Girondins Bordeaux, der heute den Dritt­ ligisten Rodez AF trainiert, erklärt das Prozedere: «Um gegen Mannschaften aus den DOM-TOM spielen zu können, muss man mindestens der fünfthöchsten Liga angehören und sich einverstanden erklären, auch so einen Gegner zugelost zu bekommen. Wird man tatsächlich gezogen, ist das Wichtigste natürlich, ob man zu Hause oder auswärts antritt.» Selbstverständlich sehnen sich alle vom Festland nach Letzterem. Die siebte Cuprunde findet meistens Mitte November statt. Die perfekte Jahreszeit für einen Trip in die Südsee oder die Karibik. «Ein Match in den DOM-TOM kann auch eine Idee des


tsvorteil Fédération Tahitienne de Football (zVg)

Trainers sein», so Ursule, denn so ein Erlebnis könne den Teamgeist stärken. Für manche ist es auch die Chance auf die Reise ihres Lebens. Viele könnten sich das Flugticket auf eines der Inselparadiese kaum leisten und freuen sich deshalb umso mehr über allfälliges Losglück. Für die kompletten Reise­ spesen ab Paris kommt nämlich der Französische Fussballverband auf. Man lässt sich die physische und gedankliche Präsenz in den Ozeanen eben etwas kosten.

Vorbereitung unter Wasserfällen Letztes Jahr gehörte der Rodez AF zu den Glücklichen. Schon 2016 hatte man sich beworben, wurde gegen ein Team aus Mayotte gezogen, musste aber zu Hause antreten. Doch nun lockte ein Spiel auf Tahiti, gegen das dortige Spitzenteam AS ­Tefana. Zehn Tage lang waren die Amateure aus dem Südwesten Frankreichs unter­wegs. Direkt nach einem Meisterschaftsspiel flogen sie von ­Paris nach Los Angeles, von dort ging es

weiter nach Papeete. Eine ­Woche lang blieben sie auf dem Eiland. Die Reise wird den Spielern für immer in Erinnerung bleiben. «Es war genial, für uns alle war das eine Premiere», erzählt Verteidiger ­Joris Chougrani. Die Einheimischen seien ex­trem gastfreundlich gewesen. Und auch die Matchvorbereitung verlief nach Mass: Coach Ursule kannte den Trainer von T ­ efanas Ligarivalen, der i­ hnen optimale Trainingsbedingungen organisierte. Und natürlich durfte auch der Spass an der Freude nicht fehlen. Die Nachmittage verbrachten die Rodez-Spieler auf Fischerbooten oder unter Wasserfällen im Landesinnern. Zwei Tage vor dem Spiel dann galt es langsam ernst. Denn der Gegner war sehr gut vorbereitet. Schliesslich wird die AS ­Tefana von niemand Geringerem trainiert als von Pascal Vahirua, Auxerre-Legende und 22-­facher Nationalspieler aus Tahiti. «Sie setzten das Spiel extra auf den Nachmittag an, weil wir uns die Hitze und

die Luftfeuchtigkeit nicht gewohnt waren», erzählt Chougrani. Tefana ging das Spiel zudem ziemlich ruppig an, der Heim­ keeper konnte sich ebenfalls einige Male auszeichnen. Aber je länger das Spiel dauerte, desto weniger konnten die Insulaner den Rhythmus halten. Rodez erfüllte die Pflicht und gewann mit 3:0. Damit konnten die Amateur­kicker ihre letzten Tage in der Südsee erst recht geniessen: beim Schwimmen mit Delfinen, beim Surfen und beim Grill­ abend auf der Nachbarinsel Moorea. Es gab Fāfaru, einen in Meerwasser und zermalmten Crevetten fermentierten Thunfisch. «Es schmeckte, nun ja, ziemlich streng», berichtet ­Chougrani. Einige trauten sich nicht, davon zu probieren. Und auch die Lage des Res­ taurants war eher ungewöhnlich. «­Unsere Tische standen im Wasser. Während des Essens schwammen Rochen um unsere Stuhlbeine.» Der anschliessende Verdauungs­ schwumm musste bald abgebrochen werden, weil eine Haiflosse gesichtet wurde. Die

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2017 zog der Drittligist Rodez AF das grosse Los und durfte im Cup nach Tahiti ­reisen. Geblieben ist den Spielern weit mehr als der souveräne 3:0-Sieg.

­ anik war unberechtigt. Chougrani: «Es war P nur ein ganz kleiner Hai.» Es sind jene Abenteuer, die den Cupmatch zu einem einzig­ artigen, bleibenden Erlebnis machten. Auch zu Hause kamen sie aus dem Schwärmen nicht mehr heraus. Chougrani verkündete als Erstes seiner Freundin, er werde wieder dahin fliegen – dann aber mit ihr zusammen. Für Rodez indes war dieses Cupabenteuer für eine Zeit das letzte. Wer einmal in den Genuss eines Auswärtsspiels in Übersee kommt, darf sich die nächsten zwei Jahre nicht mehr dafür bewerben. Sensation mit Angloma Sportlich ist es mehr Regel denn Ausnahme, dass sich der Klub aus der Métropole in solchen Begegnungen durchsetzt. Aber in der Coupe de France gab es schon einige Übersee-Davids, die Festland-­Goliaths besiegten. Das Jahr 1978 sticht heraus, wo sich sowohl AS Central Sport aus Papeete, Good Luck Fort-de-France aus Marti­nique und La Gauloise aus Guadeloupe gegen Oberklassige durchsetzten. In der jüngeren Geschichte eliminierte 2003 die Étoile Morne-à-l’Eau aus Martinique die SO Romo­rantin aus der dritten Liga. Auf dem Feld stand für die Insulaner damals ein gewisser J­ ocelyn Angloma; der frühere Verteidiger von PSG, Marseille, Inter und Valencia stammt von hier. «Ich war gerade wieder zurückgekehrt, und dies war mein erstes Spiel», erzählt er. Wie in Polynesien im letzten Jahr griff auch hier das Heimteam zum obligaten Trick: Anpfiff mitten

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am Nachmittag. Und tatsächlich: Das Team aus Martinique hatte den längeren Schnauf, holte zwei Mal einen Rückstand auf und gewann schliesslich im Penalty­schiessen. Angloma blickt auf diese Zeit mit Wehmut zurück: «Es war anders damals. Der Siegeswille, die Aufopferung der Leute, auch der Enthusiasmus beim Publikum.» Heute hätten die Jungen nicht mehr die gleiche Leidenschaft. Der aktuelle Nationaltrainer von Guade­ loupe beklagt einen gewandelten Lebens­stil: Zwischen sozialen Netzwerken und Ausgang sei der Fussball nicht mehr bedeutend genug. «Die Jungen bilden sich etwas gar viel ein. Sie meinen, alles gehe von selbst. Und wenn sies dann nicht gleich schaffen, geben sie sofort auf.» Das mag auch mit den Bedingungen in den DOM-TOM zu tun haben. Denn so traumhaft das Panorama, so begrenzt die Möglichkeiten. «Unsere Stadien sind veraltet, die Plätze werden nicht unterhalten, Flutlicht gibt es keines», stöhnt JoséKarl Pierre-Fanfan, Rekordinternationaler

von Martinique. Was der einstige Verteidiger von Lens und PSG schildert, gilt für alle Überseegebiete – von Fort-de-France über Papeete und Cayenne bis Nouméa, die Situa­ tion ist überall unbefriedigend. Deshalb sind die Exploits der Exoten im Cup auch selten. Nur vier Mal stiess einer bisher in die 9. Runde vor, also unter die letzten 32, wo die Teams aus der Ligue 1 erst einsteigen. Der klangvollen Société Sportive Jeanne d’Arc aus La Réunion gelang dies 2009 als Erstes; sie unterlag schliesslich dem FC Tours gleich mit 1:7 – Olivier Giroud traf vier Mal. Wer so weit vorstösst, kann nicht mehr auf Heimvorteil hoffen. Ab dem 1 /32-Final finden alle Partien auf dem Festland statt, womit ein Besuch von PSG oder Marseille auf einer tropischen Insel von vornherein ausgeschlossen ist. Das Reglement der Coupe de France will es so. «Das ist schade», findet José-Karl Pierre-Fanfan. «Zu Hause vor ihrem Publi­kum wären die Klubs aus den DOM-TOM noch motivierter.» Der Einfluss

MÉTROPOLE

GUADELOUPE MARTINIQUE FRANZÖSISCHGUYANA FRANZÖSISCHPOLYNESIEN

MAYOTTE NEUKALEDONIEN RÉUNION


Fédération Tahitienne de Football (zVg)

des Heimrechts ist tatsächlich nicht zu unter­schätzen. Die Umstellung ist für die Insu­laner bei einem Match auf dem Festland nämlich mindestens so gross. Während das Thermometer bei ihnen das ganze Jahr hindurch zwischen 20 und 30 Grad anzeigt, er­leben sie im europäischen November oder Dezember einen veritablen Temperaturschock. Um dem vorzubeugen, kontaktieren die DOM-TOM-Klubs Leute wie Pierre-­ Fanfan, der auch als TV-Experte für France Ô ­tätig ist – ja, Frankreich leistet sich ein eigenes Übersee-Fernsehen. «Die Ligue-1-­Profis kennt man auch auf den Inseln gut, die Amateure dagegen gar nicht. Da komme ich ins Spiel und verschaffe ihnen die nöti­gen Infor­mationen. Zudem kümmere ich mich um Transport, Hotels, Trainingsplätze. Es braucht viel Organisation.» Einmal auf dem Festland gelandet, sind die DOM-TOM-Spieler zwar Tausende Kilometer von zu Hause weg, doch bei Weitem nicht ­allein. Aus ganz Frankreich reist die Diaspora zu den Cuppartien an. Grégory Ursule, der Rodez-­ Trainer, erinnert sich: «Als wir 2016 auf den FC Mtsapéré aus Mayotte trafen, bestand das Publikum zu einem Grossteil aus Mahoren, die auf dem Festland leben.» Am Tropf von Paris Kein Zweifel: Die Auswärtsfahrten um die halbe Welt machen den Charme der Coupe de France aus und erfüllen einigen Spielern einen lang ersehnten Traum: Wer auf einer Insel aufwächst, sieht dadurch vielleicht

Ob Polynesien oder Karibik, das Heimteam greift immer zum obligaten Trick: Anpfiff mitten am Nachmittag.

zum ersten Mal die Stadt Paris. Und der euro­päisch Grossgewordene erweitert seinen Horizont. Trotz der vermehrten E ­ xploits in den letzten Jahren – auch dank ­einer Aufstockung der Teilnehmer – scheint sich die Situation der Klubs von ausser­halb aber zu verschlechtern. «Wir sind weit weg – in jeglicher Hinsicht», beklagt ­Jocelyn A ­ ngloma. Die DOM-TOM gehen seiner Meinung nach oft vergessen. Sie dienten den Politikern in Paris nur als Sujets für schöne Fotos. Im Juli sagte die inzwischen zurück­getretene Sportministerin Laura Flessel – einst

Doppel­olympiasiegerin im Fechten –, es sei «nicht die Sache des Staats, Sportvereine dauerhaft zu finanzieren». Es brauche eine tiefgreifende Reform des französischen Sportwesens, um dieses auf wirtschaftlich rentable Pfade zu führen. Die Subventionsbeiträge werden deshalb sinken, was die Angelegenheit für bedürftige Klubs nicht vereinfacht. «Es liegt an uns, da Lösungen zu finden», so Angloma, der die Hoffnung auf zusätzliche Mittel aus Paris aber nicht aufgegeben hat. Einen Mangel gibt es vor ­allem an Know-how. José-Karl Pierre-Fanfan bläst ins gleiche Horn: Die Trainer müssten Diplom­lehrgänge absolvieren können, um auf den Inseln etwas zu bewegen. Im Gegensatz zu anderen Inseln, die e­ igene Verbände ­haben und deshalb von der FIFA mit Geld zu­g eschüttet werden, müssen die DOMTOM stets auf Paris hoffen. Bleibt dieses aus, wird es schwierig. Pierre-Fanfan prophe­zeit: «Irgend­wann reicht die blosse Leidenschaft nicht mehr.» Die französischen Überseegebiete ­haben immer wieder grosse Talente hervorgebracht: Marius Trésor, Pascal Vahirua, ­Christian Karembeu, Dimitri Payet und – nicht zu vergessen – Guillaume ­Hoarau. Dass der dortige Klubfussball über das Amateurwesen hinauskommt, ist für die nahe Zukunft aber nicht absehbar. Und so bleibt ihnen die Hoffnung auf den einen oder ande­ren Cup-Exploit. Und dann reden sie wieder alle davon, ob in Paris oder Papeete: von der Magie der Coupe de France.•

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Xamax ist zurück in der Super League. Die lange Absenz verdanken die Neuenburger Bulat Tschagajew. Sein Fall beschäftigt die Schweizer Justiz seit Jahren. Wo sich der Tschetschene mittlerweile aufhält, ist unbekannt. Seine Strafe wird er wohl nie absitzen.

Text Christian Bütikofer @ChBuetikofer

Schuld ohne Sühne I

m April 2011 wurde Bulat Tschagajew, Tschetschene mit russischem Pass, in Neuenburg als neuer Investor gefeiert. Doch innerhalb von nur acht Monaten ritt der vermeintliche Retter den Verein in den Konkurs. Am 26. Januar 2012 musste ­Xamax die Bilanz deponieren und verlor die Lizenz für die Super League. Zurück blieben ein Schuldenberg von rund 23 Millionen Franken und 359 Gläubiger, die bis heute ausser einem Verlustschein nichts in der Hand halten. Tschagajew wurde zwar festgenommen und kam in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft warf ihm unter anderem ungetreue Geschäftsführung und Urkundenfälschung vor. Nach vier Monaten wurde er aber entlassen. Seine Villa in der Genfer­ seegemeinde Saint-Sulpice, die auf seine Frau eingetragen war, wurde zwangsversteigert. Später verweigerte ihm der Kanton Waadt die Verlängerung seines Schengen-­ Visums, Tschagajew musste die Schweiz verlassen. Sein Aufenthaltsort ist seither unbekannt. Und man fragt sich: Kommt der einstige Toten­gräber des Traditionsklubs un­geschoren davon und bleibt für immer über alle Berge? Im Juni 2016 berichtete RTS, Bulat Tschagajew halte sich in Nordafrika auf. ­Er werde von Tschetschenjens Machthaber Ramsan Kadyrow ernsthaft bedroht, sagte eine Mittelsperson, darum werde man seinen genauen Aufenthaltsort nicht nennen. Dabei war das Verhältnis der beiden Tschetschenen einst ausgezeichnet: Tschagajews

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Firma Dagmara Trading mit Sitz in Genf war Hauptsponsor des Fussballklubs Terek Grozny, eines Lieblingsprojekts des Präsidenten. Er selber sass in der Führungsriege. Tschagajew war oft dabei, wenn der moskau­ treue Präsident K ­ adyrow öffent­lich auftrat, obwohl ­Kadyrow schwerste Verbrechen wie Auftragsmorde und Folter vorgeworfen werden. Bei einem Freundschaftsspiel gegen eine Mannschaft mit Ex-Superstars wie ­Romario und Cafu und einer einheimischen Equipe lief er an der Seite von ­Gullit und Matthäus auf. K ­ adyrow agierte mit der Rücken­nummer 10 als Stürmer. Doch ­wenige Monate vor der Xamax-Pleite kehrte der Wind. Im August 2011 berichteten russische Medien, dass ­Tschagajews Ölhandels­ firma nicht länger Sponsor von Terek sei, gleichzeitig wurde er als Vizepräsident ersetzt. Als Grund gab der Klub an, er habe Verträge nicht eingehalten. Es gibt also gute Gründe für Tschagajew, seinen ehemaligen «Bruder», wie er ihn nannte, zu fürchten. Überraschendes Erscheinen Der Prozess gegen den vermeintlichen Xamax-­Investor begann im August 2016 vor dem Regionalgericht Neuenburg. Kaum jemand erwartete, dass Tschagajew erscheinen würde. Doch ihm wurde freies Geleit zu­gesichert, womit er – ob verurteilt oder nicht – die Schweiz danach wieder verlassen durfte. Seine angebliche Wohnadresse in Moskau wollte er nicht kundtun, be­teuerte aber seine Unschuld am Konkurs von Xamax.

Als der Prozess im Dezember des gleichen Jahres abgeschlossen wurde, wartete das Gericht vergeblich auf den Angeklagten. In Abwesenheit wurde er erstinstanzlich vom Straf­ gericht Neuenburg wegen Misswirtschaft, ungetreuer Geschäfts­führung, versuchten Betrugs und Urkundenfälschung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Tschagajews Anwalt ­Dimitri Iafaev legte Rekurs ein. Fast ein Jahr darauf wurde das Urteil bestätigt – wieder war Bulat Tschagajew nicht anwesend. Der Anwalt zog den Fall ans Bundesgericht in Lausanne. Bis heute ist noch nicht über den Fall entschieden worden. Die sechs Hauptkläger, darunter Trainer Victor Muñoz sowie die Spieler Paíto und Mickaël Facchinetti, Enkel des kürzlich verstorbenen Ehrenpräsidenten Gilbert, fordern gegen 850 000 Franken. Auch der Kanton Neuenburg will von Bulat Tschagajew noch 2,5 Millionen an Steuernachzahlungen sehen. Geblieben sind Aktiven vom Hausverkauf in Saint-Sulpice sowie ein Bentley und ein Mercedes. Auch der Schweizer Anwalt und Spieler­vermittler Ralph ­Oswald ­Isenegger ist als Klagepartei eingetragen, Tschagajew gehörte zu seinen Klienten. ­Isenegger, der einst den russischen Mafiapaten Sergei Michailow erfolgreich vor Gericht verteidigt hatte, war es gewesen, der ein Konkursverfahren gegen den Xamax-­Patron anstrebte. Tschagajew sei ihm das vereinbarte Handgeld von 400 000 Franken für den Transfer von Freddy Mveng von X ­ amax zu den


Jean-Guy Python/freshfocus

Young Boys schuldig geblieben. ­Tschagajew wiederum beschuldigte Isenegger, er habe ihm die gefälschte Urkunde der Bank of ­America unter­gejubelt, mit der er als Xamax-­ Präsident bei der Swiss Football League ein Vermögen von 35 Millionen US-Dollar nachzuweisen versuchte. Der Genfer Anwalt steht auch im ­Visier der Eidgenössischen Steuerverwaltung, die gegen 500 000 Franken von ihm fordert. Ihm geht es offenbar ganz gut. Auf der Website der Isenegger Group mit Sitz in ­Dubai ­lächelt der passionierte Pokerspieler voller Zuversicht vom Bildschirm. Kürzlich wurde er als potenzieller Investor mit dem kriselnden rumänischen Traditions­verein Dinamo ­Bukarest in Verbindung gebracht. Auslieferung unwahrscheinlich Die Frage aber, die Xamax-Fans und die 359 geschädigten Gläubiger umtreibt, lautet: Wird Bulat Tschagajew im Falle einer – sehr

wahrscheinlichen – letzten rechtskräftigen Verurteilung die verbliebenen 14 Monate je absitzen? Sein Anwalt reagierte auf eine entsprechende Anfrage von ZWÖLF zwar nicht, die Antwort lautet aber eher: nein, jedenfalls nicht hierzulande. Doch wie kann das sein, wenn doch sowohl die Schweiz als auch Russland die Verträge über die Überstellung verurteilter Personen des Europarates unter­ zeichnet haben? Die juristische Voraus­ setzung für eine Auslieferung wäre gegeben. Praktisch gibt es allerdings Hindernisse: Wenn sich Tschagajew nämlich gegen die Überweisung aus Russland rechtlich wehrt – was aufgrund seines bisherigen Verhaltens angenommen werden darf –, wird dieses Verfahren hierzulande wieder mindestens ein Jahr in Anspruch nehmen. Darum beantragt die Schweiz die Überstellung verurteilter Personen nur im Falle einer längeren Freiheitsstrafe, in der Regel mindestens zwei

Jahre. Solange Tschagajew also der Schweiz fernbleibt, hat er kaum ­etwas zu befürchten von der hiesigen Justiz. Wird Bulat Tschagajew je in Russland die Strafe absitzen? Vielleicht. Möglich wäre es, jedoch ist Russland rechtlich nicht dazu verpflichtet, dies von ihm einzufordern. Vieles hängt davon ab, wie eng Tschagajews Beziehungen zum Kreml nach wie vor sind. In der Vergangenheit waren sie auf jeden Fall ausgezeichnet, sein Schwiegervater Doku ­S awgajew konnte sich schon einmal in ­Moskau in Sicherheit vor der Justiz bringen. Die Konsequenzen dafür, in der Schweiz einen Fussballklub in den Ruin zu treiben, Angestellte zu bedrohen und ihnen versprochenes Geld nicht auszubezahlen, scheinen alles in allem also verschwindend klein. Zumindest im Fall von Bulat Tschagajew. Es bleibt zu hoffen, dass es nie mehr so weit kommt.•

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Was machen eigentlich … Trix und Flix? Oder: das wiederkehrende Vergessen, die Erinnerung an das Wesentliche und die Suche nach zwei erloschenen Sternen.

Text Roland Suter

www.rolandsuter.ch

Ausgetrixt I

n dieser schnelllebigen Zeit neigen wir dazu, vieles rasch zu vergessen. Das ist auch gar nicht schlecht. Wo kämen wir hin, wenn wir uns an sämtliche Breaking News der letzten Woche erinnern könnten? Der Mensch hat in seiner evolutionären Histo­rie gelernt zu selektionieren: Unwichtiges wird unverzüglich aus dem Gedächtnis gestrichen, nur wirklich Bedeutendes bleibt haften – zumindest in der Theorie. Denn wer schon einmal an der Autobahnraststätte kurz vor Bologna bemerkte, dass sein Portemonnaie noch zu Hause auf dem Küchen­tisch liegt, der weiss, dass jedes von Gesetzmässigkeiten abgeleitete System seine Lücken hat.

Fast eine Zigi Doch was taxiert unser Gehirn als archi­ vierungswürdig? Das zeigt uns ein Blick auf lang vergangene Ereignisse – etwa jene von vor zehn Jahren. Da waren die Wahl des ­ersten afroamerikanischen US-Präsidenten und das grosszügige Steuergeschenk für die UBS als Dank für ihre krummen Geschäfte. Dass Radio Beromünster aus dem UKWEmpfänger verschwand und die Gebänderte Prachtlibelle Tier des Jahres war, wissen dagegen die Klugen nicht mehr, sondern nur die Klugscheisser. ZWÖLF-Leser wiederum assoziieren das Jahr 2008 unweigerlich mit der Fussball-EM («Öiro nuu acht»). Geblieben ist uns davon wenig. Unter dem Motto «Expect Emotions» wurden uns im Vorfeld zwar grosse Gefühle garantiert. Nach Anpfiff überschlugen sich die Ereignisse tatsächlich: Alexander Frei humpelte weinend vom Feld. In der Regenschlacht zu St. Jakob feierte Hakan Yakin provokationslos sein Tor. Die Bundeshauptstadt

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erlebte eine ausgelassene orange Invasion. Und Fernando José Torres Sanz schoss die «­Selección» in Wien zum Titel. Doch wirklich bis in alle Ewigkeit ins Bewusstsein gebrannt haben sich an diesem Turnier zwei Rand­figuren: die offiziellen Maskottchen. Trix und Flix hiessen die gezackt geformten eineiigen Zwillinge, die ein wenig an junge, testosterongeschwängerte Kampfhähnchen im Kuschelmodus erinnerten. Ihre Namen bestimmte ein OnlineVoting, wo zur Freude der Tabaklobby der Vorschlag «Zigi und Zagi» bis in die Schluss­ auswahl vorstiess. Seinen ersten Auftritt hatte das Paar anlässlich des Testspiels zwischen den Gastgeberländern im Oktober 2006. Mehr Presse erhielten damals indes die goldenen Trikots der Nati, die gegen den als inferior eingestuften Nachbarn eine europhoriebremsende Niederlage einstecken musste. Erst danach rollte die Karriere von Trix und Flix unaufhaltsam an: An der Seite von Shaggy wirkten sie im offiziellen EMSong «Feel the Rush» mit; am Zürcher Sechseläuten marschierten sie an der Seite von ­Eveline Widmer-Schlumpf und Christoph Blocher mit; und während des Turniers durften sie in jedem Stadion die Hampelmänner geben, Tore beklatschen und Verlierer trösten. Sie waren auf Aufklebern, als Plüsch­ figuren, in Sammel­alben und Videospielen. Noch nie war der Begriff «Kultstatus» mehr angebracht. Doch dann kam dieser Sonntag, der 29. Juli 2008. Unmittelbar nach der Pokalübergabe sahen sich Trix und Flix abrupt ­ihrer Existenzgrundlage beraubt. Aus gefragten Berühmtheiten wurden zwei erloschene Sterne. Zwar betonte die UEFA in ihrem Bericht, sie seien «ein wichtiges Symbol

und Medium» gewesen, hätten geholfen, «die einzigartige Geschichte des Turniers weiterzugeben», und hätten «die Geschichte, die Leute und die Kultur der Gastgeber­ länder» reflektiert, aber ihr Abgang war endgültig. Die Maskottchen verschwanden nach der EM spurlos. Doch wohin? Schrecklicher Verdacht Erging es ihnen wie Willie, dem ersten WMMaskottchen aus dem Jahr 1966, das sein Leben nach George Bests Motto «Ich habe viel Geld für Alkohol, Frauen und schnelle Autos ausgegeben, den Rest habe ich einfach verprasst» gestaltete? Oder wie Naranjito, der spanischen Orange, die nach dem WM-Turnier 1982 als Botschafter von «Capri Sonne» wieder in die Spur kam? Oder etwa wie Bene­ lucky, dieser Ausgeburt an Schönheit, die nach der EM 2000 in ­Holland und Belgien einen Beautysalon eröffnete und heute als Hauscoiffeur im Weissen Haus arbeitet? Eine Nachfrage bei den früheren Arbeitgebern soll aufklären. Der ÖFB, gewissermassen ein Elternteil der binationalen Zwillinge, lässt auf Anfrage verlauten: Die beiden Maskottchen Trix & Flix sind nach wie vor «zusammen» und verweilen wohlbehalten in Wien. Wir halten sie in unseren Räumlichkeiten in Ehren, ­hatten in den vergangenen zehn Jahren aber ­leider keinen grossen Einsatz mehr mit dem Pärchen. Ich hoffe, Ihnen mit dieser Auskunft ein ­wenig gedient zu haben, und verbleibe mit den besten Grüssen aus Wien, Michi Schmid


Danke für die Nachfrage! Die beiden Maskottchen sind im Haus des Fuss­ balls und führen ein ziemlich geruh­ sames Leben ( finde ich); wie ein ­altes Ehepaar, das es sich in der Rente gut gehen lässt. Die zehn Jahre seit der EURO 2008 scheinen nahezu spur­ los an ihnen vorbeigegangen zu sein. Medien­termine wollen sie übrigens keine mehr, weil sie angeblich jede Menge zu tun haben (vielleicht tun sie diesbezüglich jetzt aber ein bisschen gar wichtig). Freundliche Grüsse / Recevez mes ­meilleures salutations / Distinti ­saluti / Kind regards Marco von Ah

Statt der erhofften Klärung stifteten diese Zeilen allerdings nur Verwirrung. Sind die beiden Altstars nun in der alten Kaiser­stadt oder doch in der Agglogemeinde Muri? Wenn an der Wiener Spur etwas dran ist, dann sollte der österreichische Turnier­ direktor Christian Schmölzer doch sicher Hinweise liefern können:

Es halten sich zwei hartnäckige Gerüchte: 1) Trix & Flix sind mit den ­Spaniern nach dem Final nach Madrid mit­ geflogen und von dort direkt weiter auf die Zwillings­inseln Trinidad & Tobago. 2) Eher wahrscheinlich: Trix & Flix ­traten nach dem Final ihre Rück­ reise über die ­Alpen zur UEFA an den Genfer­see an, wo sie mit Ihresgleichen die Fäden ziehen.

Nach meinen letzten Informatio­ nen haben sich die beiden nach unse­ rem Turnier auf nachƥPolen und die ­Ukraine gemacht, um dort ihre Er­ fahrungen einzubringen. Ob sie dort Liebe Grüsse ƥƥ In den Anfängen des Christian Frauenfussballs gehörte die Inneraller­dings sesshaft geworden sind, Mutschler schweizSorry, zu den führenden Kräften. Ihre besten Spielerinnen ­entzieht sich meiner Kenntnis. liefen für Emmenbrücke (Bild), Alpnach oder Dieman dass ich Ihnen nicht weiterhelfen Ob die UEFA-Führung sichStans freut,auf. wenn Erfolge riefen auch Neider auf den Plan: So wurde etwa der Platz konnte. die flauschigen Zwillinge als «Ihresgleiin Alpnach vor einerchen» Partiebezeichnet? gegen eine schwedische Mannschaft Jedenfalls haben wir endso zerstört, dass die lich Frauen nach Sarnen ausweichen mussten. Mit freundlichen Grüssen e­ inen klaren Hinweis: Die beiden könnChristian Schmölzer ten sich in der europäischen Fussballhöhle Ʀ Ʀ Madeleine Boll (*1953) ist eine wahre Pionierin: Im Alter von in Nyon aufhalten. Flugs kontaktieren wir 10 Jahren wurde sie von Schulkameraden inUEFA ein Training Ein schlimmer Verdacht kommt auf: Haben den einem Directeur des Opérations Martin Verein FC Sion mitgenommen. Derals eine Lizenz – sich unsere Freunde einerdes kosmetischen ­Kallen, der CEO beantragte der EM 2008 amtete: und erhielt sie tatsächlich, obwohl dies Mädchen nicht erlaubt Operation unterzogen, sich Punkfrisuren war. Für Furore als Bolls C-Junioren Vorspiel zugelegt und sich bei der folgenden EM als sorgte dies, Es freut mich, dass nochdas jemand an vor dem und durften. Europacup-Match gegen Galatasaray bestreiten die «neuen» Maskottchen Slavek Slavko Trix und Flix denkt. Zwillinge bleiben Plötzlich rissen sich internationale Journalisten um ein Interview ausgegeben? Wir konfrontieren Christian ein Leben lang aneinandergebunden. mit ihr. Die Lizenz ihr gilt entzogen, sie wechselte daraufhin Mutschler, den Schweizer Turnierchef der wurde Dies natür­lich auch für unsere nach Mailand. EM 2008, mit unseren Untersuchungen. ­geliebten Maskottchen. Beide spielen noch jeden Tag Fussball ­zusammen Ƨ 1968,sich war über Ƨ Der DFC Zürich, gegründet der erste eingetragene und freuen jeden Tag, an Frauenfussballklub der Schweiz. Ihre Aktiven waren – wie auch dem sie zusammen sind. Meistens sind bei der Konkurrenz – kaum einmal 20.Campus Im Jahranzutreffen. 1971 wurde sie auf demüber UEFA der DFCZ aufgelöst, die Spielerinnen kamen bei anderen Stadtvereinen wie Blue Stars oder 2008 wurden die unter. LiebeSeebach Grüsse vom Genfersee, FC Zürich Frauen formiert, seither gab es acht Meistertitel. Martin Kallen Schweizerisches Nationalmuseum LM-149988.34 / ASL-Fotoagentur

Wenn aus Österreich die Formulierung «Wir halten sie in unseren Räumlichkeiten» dringt, läuten natürlich die Alarmglocken. Ist «Räumlichkeit» vielleicht eine euphemistische Bezeichnung für einen Keller? Besorgt verfassen wir ein Schreiben an den Schweizerischen Fussballverband. Und weil dessen Stärken ja bekanntlich in der Kommunikation liegen, lässt die Antwort nicht lange auf sich warten:

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Das Rätsel ist gelöst, die Erleichterung riesig! Ʀ Unsere beiden Lieblinge sind wohlauf und befinden sich in der Obhut der Union des ­Associations Européennes de Football, die für das Runde in der Welt steht, Sport und Politik trennt, darum besorgt ist, dass Rassismus keinen Platz hat und das Financial Fairplay eingehalten wird. Ein besseres Alters­ heim kann es schlicht nicht geben. Mit dieser beruhigenden Erkenntnis können wir den Platz, den das Wohl­ergehen von Trix und Flix in unserem Hirn zehn Jahre lang belegt hat, wieder freigeben. Endlich Zeit für die grossen Fragen also: Trägt Goleo heute eigentlich Hosen?•

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Zähe Gegner Der Weg der Frauen in den Fussball war steinig. Unsere Bildserie gibt Einblicke in den weiblichen Kampf um Anerkennung auf dem Rasen.

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n den 1950er-Jahre hatte sich gegen ein geplantes «Damen-Fussball-Länderspiel» Holland gegen Deutschland in Basel noch heftiger Widerstand formiert. Schliesslich war hierzulande den Mädchen und Frauen das Spiel im Fussballklub verboten. 1968 wurde der DFC Zürich als erster Frauenfussballklub der Schweiz gegründet, in rascher Folge entstanden landes­ weit weitere, die sich zu einer eigenen Liga zusammen­ schlossen. Nach der ersten Saison akzeptierte der Verband allerdings nur noch Teams, die ­einem «Herren­ verein» an­gegliedert waren, was zum Verschwinden ­einiger Pionier­klubs führte.

Text Saro pepe  Bilder FCZ-Museum / StAAG/RBA

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Dass der gesellschaftliche Umbruch um 1968 eine ­wichtige Rolle bei der Eingliederung des Frauensports gespielt habe, verneinen damals Aktive. Ein echter Aufschwung erfolgte erst vor 25 Jahren, als die Frauen sich dem SFV anschlossen. Heute zählt die Schweiz nahezu 25 000 lizenzierte Spielerinnen.

Das Jubiläum nimmt das FCZ-Museum zum Anlass, fünf J­ ahrzehnte Frauenfussball in der Schweiz aufzuarbeiten. Auf dem Blog ­www.­seit1968.ch werden in loser Folge Bilder, Artikel, Videos und ­Interviews mit Zeitzeuginnen veröffentlicht, im kommenden Jahr wird eine Sonderausstellung diesem Thema gewidmet sein.


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Schweizerisches Nationalmuseum LM-149988.34 / ASL-Fotoagentur

1  In den Anfängen des Frauenfussballs gehörte die Innerschweiz zu den führenden Kräften. Ihre besten Spielerinnen liefen für Emmenbrücke (Bild), Alpnach oder Stans auf. Die ­Erfolge riefen auch Neider auf den Plan: So wurde etwa der Platz in Alpnach vor einer Partie gegen eine schwedische Mannschaft so zerstört, dass die Frauen nach Sarnen ausweichen mussten. 2  Madeleine Boll (*1953) ist eine wahre Pionierin: Im Alter von 10 Jahren wurde sie von einem Schulkameraden in ein Training des FC Sion mitgenommen. Der Verein beantragte eine Lizenz – und erhielt sie tatsächlich, obwohl dies Mädchen nicht erlaubt war. Für Furore sorgte dies, als Bolls C-Junioren das Vorspiel vor dem Europacup-Match gegen Galatasaray bestreiten durften. ­Plötzlich rissen sich internationale Journalisten um ein Interview mit ihr. Die Lizenz wurde ihr entzogen, sie wechselte daraufhin nach Mailand. 3  Der DFC Zürich, gegründet 1968, war der erste eingetragene Frauenfussballklub der Schweiz. Ihre Aktiven waren – wie auch bei der Konkurrenz – kaum einmal über 20. Im Jahr 1971 wurde der DFCZ aufgelöst, die Spielerinnen kamen bei ­anderen Stadtvereinen wie Blue Stars oder Seebach unter. 2008 ­wurden die FC Zürich Frauen formiert, seither gab es acht Meistertitel.

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KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/Grunder

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1  Im Juli 1970 reiste die Nati an die «Coppa del Mondo», die erste inoffizielle WM. In Salerno wurden die Schweizerinnen gegen den Gastgeber nach Strich und Faden betrogen. Der italienische (!) Schiedsrichter Sanpietro annullierte reguläre Schweizer Tore und pfiff jeden gefährlichen Angriff der Gäste wegen Abseits oder Foul ab, im Gegenzug zählte er einen Schuss der «Azzurre» als Tor, obwohl der Ball die Linie nie überschritten hatte. 2  Trudy Moser (Bild) und ihre Schwester Ursula waren ­zusammen mit ihrem Vater Franz federführend bei der ­Gründung des DFC Zürich. Per Inserat suchten sie nach «fussball­begeisterten Frauen und Mädchen unter 80 Jahren». 3  Der DFC Alpnach beendete 1975 die Serie von vier Meister­ titeln in Folge des DFC Aarau. An Auswärtsspiele reisten die Frauen bisweilen per Anhalter, weil keine Spielerin schon die Autoprüfung hatte. 4  Für die Partie zwischen dem DFC Zürich und dem FC ­Heuried wurde eifrig die Werbetrommel gerührt. Reporter waren da, sogar das Fernsehen berichtete. Die edlen weissen Trikots von Heuried entpuppen sich bei genauem Hinsehen als Shirts von Santos. Die Brasilianer gastierten tags darauf ­mitsamt Pelé im Letzigrund.

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1  Eine grosse Herausforderung bestand darin, Plätze für die Frauen zu finden. Weil die Duschen jeweils gegen zwei Garderoben hin offen waren, waren sie nur Männern zugänglich. In Zürich fand man auf dem Juchhof eine Lösung mit Containern. Doch für die Frauen fielen nur Randstunden ab, sodass sie mangels Flutlicht nur trainieren konnten, indem sie den Platz mit Autoscheinwerfern erhellten. 2  Die Frauen durften ab 1970 endlich in einer Meisterschaft spielen, abseits des Platzes hingegen blieb es eine Männerwelt. Unter Trainern, Verbandsmitarbeitern oder Funktionären suchte man Frauen vergebens. 3  Die mediale Beachtung war anfangs gering und fokussierte sich nicht selten auf Äusserlichkeiten der Spielerinnen. So schrieb etwa der «Sport»: «Es sind besonders Hübsche und Hübsche, Grossgewachsene und Kleingewachsene, Jüngere und Ältere, Schlanke und Vollschlanke, Schwarze und Blonde darunter.» 1

4  Bei ihrer Feuertaufe im Jahre 1970 bestand die Schweizerische Damenfussballliga aus 18 Teams, die in drei Regionalgruppen antraten. Vier Klubs mussten sich aus finanziellen Gründen zurückziehen, auch in den Folgesaisons tauchten wiederholt Gegnerinnen nicht zu Spielen auf.

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5  Aus Plausch formierten sich im aargauischen Murgenthal einige Mädchen zum FC Goitschel, benannt nach einem französischen Ski-Geschwisterpaar. Das Team gewann bald sämtliche Grümpelturniere der Umgebung und schloss sich 1970 dem FC Aarau an. Vier Jahre lang blieb die Mannschaft unschlagbar und fuhr in der Liga etliche Kantersiege ein.

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Den Schweizer Fussballe­rinnen scheinen alle Türen offen zu stehen. Das Ausland lockt und damit der Profivertrag. Doch das bringt die heimische Liga in Schwierigkeiten. Schuld daran ist ein Fehler im System.

Text Martin Bieri Illustration Pia Valär www.piavalaer.ch

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Land­ flucht


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ie Pionierinnen des ­S chweizer Frauenfussballs hatten eine ganz simple Forderung: Sie wollten einfach Fussball spielen können. Dafür brauchte es lediglich Klubs, Plätze und einen Verband, der sich um die Organisation einer Meisterschaft kümmerte. Selbst als sich die Liga längst etabliert hatte, träumten die Frauen noch nicht einmal davon, Geld ­damit zu verdienen. Franziska Schild hat diese Zeit noch erlebt. Um die Jahrtausendwende spielte sie für Rot-Schwarz Thun und Schwerzenbach, in der Nationalliga A hiessen die Gegnerinnen noch Seebach, Malters, Sursee, Bad Ragaz und Giubiasco, nicht FCZ, GC oder YB. Seit 2014 und noch bis Ende Jahr ist Schild beim SFV verantwortlich für den Frauenfussball. «Profifussball ist heute für talentierte junge Spielerinnen eine realistische Möglichkeit», sagt Schild, «für Jugendnationalspielerinnen ist es sogar ein Ziel.» An der Motivation habe sich nichts geändert, «der Spielerinnentyp, der es wirklich schafft, ist der gleiche wie früher.» Doch heute bedeutet «es schaffen» e­ twas anderes, das Umfeld hat sich verändert: Frauen können mit Fussball

Geld verdienen. In der Schweiz allerdings nach wie vor nicht. Wer Profi werden will, muss raus, ins Ausland. Und das tun viele. Diesen Sommer hat die Liga einen wahren Exodus erlebt. Fast eine ganze Equipe von jungen, gut ausgebildeten Spieler­innen hat die Schweiz verlassen, darunter die beiden Internationalen Luana Bühler (vom FCZ zu Hoffenheim) und Géraldine Reuteler (von Luzern nach Frankfurt). Es liegt auf der Hand: Die NLA ist eine Ausbildungsliga. Im Männerfussball reiben sich die Schweizer Klubverantwortlichen die Hände, wenn die grossen Ligen anklopfen. Bei den Frauen sieht das anders aus. Ganz anders. Besonders zu spüren bekommen hat das YB. Gratis-Natispielerinnen Kurz vor Saisonbeginn meldeten die YBFrauen: Torhüterin Nicole Studer wechselt zu AGSM Verona, Marilena Widmer zum 1. FFC Frankfurt, Alisha Lehmann zu West Ham United, Francesca Calò zu ­Werder ­Bremen, Kim Dubs zu Penn State in die USA, Jennifer Oehrli zu Atlético Madrid und ­Camille Surdez zu Girondins Bordeaux. Vier dieser Spielerinnen wurden in Bern aus­ gebildet. Einige sind auf bestem Weg, regel­ mässige Nationalspielerinnen zu werden, die andern stehen unter Beobachtung. Wenn nun also Rolf Kirchhofer, der Technische Leiter der YB-Frauen, von den Ausbildungs­ erfolgen seiner Abteilung erzählt und dafür

Anerkennung und Lob erhält, muss er doch irgendwann die Frage beantworten, was der Klub denn nun für den ganzen Aufwand erhält: «Dann stehst du da und sagst: nichts. Nichts bekommen wir.» Kirchhofer ist schon lange im Geschäft. 2011 ist er mit den YB-Frauen als Trainer Schweizer Meister geworden, zuletzt coachte er die U19-Juniorinnen zweimal zum Titel. Die Probleme, die sein Verein hat, sind ihm längst bekannt. Und doch lassen sie ihn immer wieder zweifeln. Er sieht die fragenden ­Blicke, das Unverständnis. Ist das nicht ein Fehler im System, der alles infrage stellt, wofür Menschen wie Kirchhofer im Schatten der öffentlichen Aufmerksamkeit arbeiten? Den Frauenfussball voranzubringen, ihm Akzeptanz zu verschaffen und ihn auf eine trag­fähige Grundlage zu stellen? Eine ökonomische Säule des professionellen Fussballs ist das Transfer­wesen. Angestellte werden gehandelt, Ausbildung wird entschädigt. In der Schweiz lebt der Fussball so stark davon wie kaum anderswo. Bei eini­ gen Klubs machen Ablösesummen die Hälfte des Budgets aus. Man kann von dem System halten, was man will. Einige bezeichnen es


NLA - F RA U E N

als Menschenhandel, andere als notwendiges Übel oder als Konsequenz des voll­ kommen kommerzialisierten Sports. Für die Vereine sind die Spieler, die sie hervorbringen, Werte. In ihnen stecken Jahre der Betreuung, das ganze Know-how, die Infra­ struktur – oder die Raffinesse der Rekrutierung. Die Aktiven seien das Kapital der Vereine, so sagt man. Doch eigentlich sind sie die Arbeit. Sie verkörpern die Kompetenz eines Klubs. Die Kalkulation der Vereine sieht vor, dass neben der Menge der Ausgebildeten, die es nie bis auf das höchste Niveau schaffen, eine kleine Zahl von Begabten ist, deren Wert den ganzen Aufwand finanziert. Um sich diesbezüglich abzusichern, binden die Vereine ihre Spieler mit Verträgen. Für Spielerinnen gilt das nicht. Der Schweizer Frauen­fussball ist ein Amateursport. Obwohl die Kickerinnen einen hohen Aufwand betreiben, verdienen sie offiziell nichts oder nur so wenig, dass sie nicht als Profis gelten. Ihre Schuhe bezahlen sie selbst, in manchen Klubs entrichten sie sogar einen Mitgliederbeitrag. 500 Franken im Monat zuzüglich sportbezogener Spesen wie Material oder Transportkosten, nicht aber Wohnungen dürften die Vereine den Spielerinnen maximal bezahlen. Was darüberliegt, bedarf ­eines Vertrages, der arbeitsrechtlich rele­vant ist und diverse Abgabepflichten nach sich zieht. Die Problematik ist aus dem Männer­fussball unterhalb der beiden Profiligen gut bekannt. Solche Verträge müssten beim Verband hinterlegt werden. Bis zur aktuellen Saison ist dies aber nach Auskunft von Franziska Schild nie geschehen, «obwohl wir vermuten, dass bei bestimmten Klubs Spielerinnen über der finanziellen Grenze lagen». In diesem Jahr nun hat Aufsteiger Servette-­ Chênois mehrere Profiverträge deponiert. Die restlichen Vereine haben ausschliesslich Vereinbarungen von Spesenvergütungen. Das bedeutet: In jeder Sommer- und Winter­ pause dürfen die Spielerinnen frei wechseln – und nicht selten sind diese auch wechselwillig. Denn es gibt keine Verpflichtungen, aus denen die Spielerinnen «herausgekauft» werden müssten. Wer weg will, kann weg.

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Die Klubs versuchen dem entgegenzuwirken, indem sie den Spielerinnen Leistungen bieten, die sie biografisch an das Vereinsumfeld binden. Der Sponsor des FC Neunkirch, 2017 Schweizer Meister und Cupsieger, stellte die Spielerinnen etwa im Unternehmen des Sponsors an, was nicht verhinderte, dass das Team zu teuer war, weshalb sich der Verein unterdessen aus dem Spitzensport zurückgezogen hat. Andere Klubs stellen ihren Talen­ten Aus­bildungsplätze innerhalb des eige­nen Betriebs zur Verfügung, etwa auf der Geschäftsstelle, oder hoffen darauf, der Freundeskreis möge eine Spielerin zum Bleiben bewegen. In einem Teufelskreis Wenn Transfererträge fehlen, gibt es auch keinen Solidaritätsmechanismus, der laut dem FIFA-Reglement Transferbeteiligungen für die Ausbildungsvereine vorsieht. Diese Bestimmungen legen auch fest, dass ein Klub Anrecht auf eine Entschädigung hat, wenn ein von ihm ausgebildeter Spieler den ersten Profivertrag unterschreibt oder vor seinem 23. Geburtstag den Klub wechselt. Doch der letzte Satz des sinn­vollen Artikels 20 dieses Reglements lautet: «Die Grundsätze der Ausbildungsentschädigung gelten nicht für den Frauenfussball.» Rolf Kirchhofer sieht die Vereine in ­einem Teufelskreis: «Wenn wir keine Aus­ bildungsentschädigungen bekommen, können wir den Spielerinnen keine Verträge geben. Und wenn wir ihnen keine Verträge geben, erhalten wir keine Transfer­erlöse.» Das gibt in der Summe eben: nichts. Die Schweizer Frauenklubs fallen zwischen Stuhl und Bank. Das Problem ist so offensichtlich, dass es schon wieder leichtfällt, darüber hinwegzusehen. Franziska Schild deutet an, der Weltverband sei sich des Elefanten im Raum bewusst. Ob und wie er ihn dort aber rausbringe, lasse sich im Moment nicht sagen. So können die Schweizer Klubs derzeit nur auf Goodwill hoffen. Als Lia Wälti 2013 von YB zu Turbine P ­ otsdam wechselte, wurden die Bernerinnen als Gegen­leistung an ein Hallen­turnier nach Potsdam ein­geladen. Kann sich eine Liga, die unter s­ olchen Umständen Spielerinnen hervorbringt, wirklich

Ist die Liga ­wirklich eine Ausbildungsliga? Oder ein Selbstbedienungsladen ohne Kasse? Ausbildungsliga ­nennen? Oder ist das ein Selbstbedienungsladen ohne Kasse? In der Konsequenz heisst das: Die Vereine können mit den Frauen keine Einnahmen generieren. Denn auch Publikum und Sponsoren sind knapp. Bei NLA-Partien sind oft keine 100 Leute anwesend, die mediale Aufmerksamkeit für die Liga ist so gut wie nicht vorhanden. Der erhoffte Aufschwung lässt weiter auf sich warten, die Folgen sind Sparmassnahmen allerorts. Der FC Basel kürzte seine Auslagen für die Frauen um ein Drittel, verfügt aber vermutlich immer noch über das höchste Budget der Liga. Vor der Sparrunde wies der Geschäftsbericht Personal­kosten von über einer Million Franken aus. Der amtierende Meister FC Zürich profitierte jahrelang von einem jährlichen Beitrag der FIFA von 150 000 Franken – der Weltverband hatte der Stadt 20 Millionen für den Bau eines Stadions zugesichert, statt­ dessen floss das Geld in den Breitensport –, nun ist diese Quelle versiegt. Nicht zuletzt deshalb reduzierten die FCZ-Frauen ihr Budget um 30 Prozent auf etwa eine halbe Million jährlich. Der FC Luzern und YB haben ihre Budget­kürzungen bereits hinter sich. Bei beiden Klubs liess das Vorgehen der Verantwortlichen zwischenzeitlich Zweifel an der Weiterexistenz der Frauenabteilungen aufkommen. Die Spitzenteams sind ökonomisch auf ihre Männerklubs angewiesen, Fördervereine mindern diese Abhängigkeit nur geringfügig. In die Offensive gehen wenigs­tens Klubs in den anderen Landes­teilen. Lugano hat sich seit dem Aufstieg 2015 in der NLA etabliert, nicht zuletzt dank des Engagements amerikanischer College-Spielerinnen. Und der diesjährige Aufsteiger Servette-­Chênois hat aus der kürzlich


imago/ZUMA press / Kieran Galvin

vollzogenen Fusion der beiden Genfer Klubs so viel Schwung geholt, dass er es bereits bis in den Halbfinal des Cups geschafft hat. Zu schnell nach oben Die Liga droht personell auszubluten. Das wäre fatal für die Attraktivität der Meisterschaft, die unbedingt mehr Publikum braucht. Um dem Gefälle entgegenzuwirken, wurde die Liga 2017 auf acht Teams reduziert. Dieses Jahr erhielt sie ein angeblich zeitgemässes, einheitliches Branding mit dem Slogan «Ladies First». Damit soll endlich ein Ligasponsor gefunden werden. In den Augen mancher Klubverantwortlichen hat der Verband bisher zu viel für das Natio­ nalteam getan – was «dringend nötig war», sagt Franziska Schild –, zu wenig jedoch für die Liga. Deshalb wird mancherorts die strukturelle Frage gestellt, ob die Liga beim Verband überhaupt gut aufgehoben ist – obwohl der Frauenfussball erst seit 25 Jahren dem SFV angeschlossen ist. Um den Exodus an Talenten zu kompensieren, ist der Verband bemüht, Spielerinnen, die ihre Auslandkarriere beenden, «abzufangen», wie Schild sagt. Sie sollen zum Schluss ihrer Laufbahn in der Schweiz spielen, um ihre Erfahrungen weiter- und den Klubs etwas zurückzugeben. Rückkehre­ rinnen wie Martina Moser, Caroline Abbé oder Sandy Maendly tun der Liga gut. Auch das Engagement ausländischer Spielerinnen war dem Niveau zuträglich. Die Kehrseite: Die Schwelle von den Nachwuchsteams zu den Aktiven ist hoch. Trotz der guten Ausbildung gibt es so wenige Spielerinnen von Qualität, dass nur der FC Zürich eine U21Equipe stellen kann. In den anderen Klubs führt der Weg von der U19 direkt in die NLA. Der Athletinnenbetreuer Michi Lendi, der mit ehemaligen Funktionärskollegen mehrerer Vereine die Agentur Fairygoals betreibt, sagt zudem, eine talentierte Spielerin sei in der NLA rasch «unterfordert, weil sie national kaum auf Widerstände stösst». Das erzeuge bei vielen den Wunsch nach ­einem frühen Wechsel ins Ausland. Schliesslich sei der Aufwand auch für die hiesige Liga so gross, dass sich jede Spielerin bald die Frage nach dem Ertrag stellen müsse. Kommt dazu:

Wie schnell sich Geldquellen im Frauenfussball erschliessen und versiegen, zeigt sich auch an der Spitze: Chelsea ist für Ramona Bachmann bereits der fünfte Spitzenklub im Ausland.

Eine gut ausgebildete, geförderte Athle­tin hat mit 20 mehr Trainings, Lehrgänge und Ernstkämpfe in den Beinen als die Generationen vor ihr mit 25, vielleicht sogar am Ende ihrer Laufbahn. Das führt zu höheren Ansprüchen und zu Ungeduld. Lendi betont, dass seine Agentur Fairygoals, die im Sommer in den Transfer von Francesca Calò zu Werder Bremen involviert war, kein kommerzielles Projekt sei. «Alle Beteiligten arbeiten ehrenamtlich, Provisionen fallen keine an. Die Spielerinnen bezahlen für unsere Dienste auch nur einen symbolischen Betrag.» Lendis Team gehe es nur um das Wohl der Sportlerinnen und darum, im Schweizer Frauenfussball «den nächsten Entwicklungsschritt voranzutreiben». In den grossen Ligen sind Beraterfirmen mittlerweile Teil des Geschäfts. Ramona Bachmann und Alisha Lehmann arbeiten zum Beispiel mit dem deutschen Juristen Jenner Janzen zusammen, der die Agentur Cham­pions führt und diverse deutsche und schwedische Spitzenspielerinnen unter Vertrag hat. Weil der Wechsel ins Ausland theoretisch gleichbedeutend ist mit dem Schritt

zum Profisport, sehnen ambitionierte Spielerinnen die Transfers spürbar herbei. Sie verbinden damit die Bestätigung, es wirklich geschafft, die Sperrzone «Randsportart» verlassen zu haben. Die beiden «Role M ­ odels» Lara Dickenmann und Ramona Bachmann, Vorreiterinnen der Professionalisierung und immer bei den besten Klubs der Welt engagiert, vermitteln allerdings ein trügerisches Bild. Zwar wird in den Frauenligen Englands, Frankreichs und Deutschlands professionell Fussball gespielt, das heisst aber nicht, dass sich damit alle eine goldene Nase verdienen würden. Die Frauen sollten für Zaha zahlen Selbst in der aufstrebenden englischen ­Super League, in der alle elf Teams angehalten sind, ihre Spielerinnen als Profis anzustellen, sollen Monatslöhne von weni­gen Hundert Pfund vorkommen. Angesichts einiger Ausreisserinnen sagt da das geschätzte durchschnittliche Jahres­einkommen von 34 000 Pfund wenig über die wahren Verhältnisse aus. Für Schlagzeilen sorgte jüngst der Fall des Zweitligisten Crystal ­Palace, der

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Francesca Calò wechselte im Sommer von YB zu Werder Bremen. Einnahmen bescheren solche Abgänge den Schweizern Klubs keine.

seinen Spielerinnen 250 Pfund Mitglieder­ beitrag abknöpfen wollte und gleichzeitig den ivorischen Stürmer Wilfried Zaha für die Männermannschaft engagierte, mit einem Wochengehalt von 130 000 Pfund. Das war Zaha so peinlich, dass er einen «substanziellen finanziellen Beitrag» an die Amateurabteilung des Vereins überwies, wofür sich die Frauen über Twitter aufrichtig bedankten. Dass England derzeit Traumziel vieler Fussballerinnen ist, ist dem verstärkten Engagement einzelner grosser Vereine wie Manchester City oder Chelsea, wo Ramona Bachmann unter Vertrag steht, geschuldet. Auch Manchester United hat in diesem Jahr nach langem Zögern ein Frauenteam aus der Taufe gehoben. Diese Entwicklung spiegelt sich auf dem Kontinent wider, wo Klubs wie PSG, Barcelona oder Bayern München ebenfalls vermehrt in den Frauenfussball investieren. Er ist für sie ein willkommenes Marketinginstrument und in dieser Form auch einträglich. In England ebenso wichtig ist die Förderung durch den nationalen Verband FA, der einen «Gameplan for

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Growth» aufgestellt und in den letzten vier Jahren 70 Millionen Franken in den Frauen­ fussball gesteckt hat. Einen grossen Posten machen dabei die direkten Lohnzahlungen an die Nationalspielerinnen durch die FA aus, was die Budgets der Klubs massiv entlastet. Sportlich hat sich diese Unterstützung bereits ausbezahlt: Sowohl bei der letzten EM als auch bei der letzten WM standen die «­Lionesses» im Halbfinale. Professionelle Langeweile Trotz der neuen Möglichkeiten, die sich mancherorts bieten, sind sich Kirchhofer und Schild einig: Für die meisten Schweizer Spielerinnen bedeutet Ausland, selbst England, «geradeso durchkommen». Als ­Cinzia Zehnder 2015 als frischgebackene Maturantin vom FC Zürich zum SC Freiburg wechselte, verdiente sie im ersten Jahr keine 1000 Euro im Monat. Im zweiten Jahr war es zwar etwas mehr, ein echter Lebens­unterhalt war es aber trotzdem nicht. In i­ hren Worten: «Es war ein bisschen knapp.» Deshalb jobbte sie nebenher in einem Café. Kam dazu: Zehnder wollte nicht nur Fussballerin sein. Sie peilte

ein Medizinstudium an und versuchte eine Zeit lang, beides unter einen Hut zu bringen. Als sie realisierte, dass sie «nicht in beiden Bereichen mein Bestes» geben konnte, entschied sie sich zur Umkehr. Sie wechselte zurück zum FCZ und gab der Uni den Vorzug. Dass das Dasein als Profi nicht alle Spielerinnen zufriedenstellt, hört man nicht nur von Zehnder. Mehr als eine fühlt sich geistig unterfordert. Zehnder selbst spricht davon, dass das, was sich erst angefühlt habe wie Ferien, schnell zu Langeweile geworden sei. Anderen kann es nicht schnell genug ­gehen. Die 19-jährige Alisha Lehmann wechselte diesen Sommer nach London, ohne die Handelsschule abgeschlossen zu ­haben. Das will sie im Fernstudium schaffen. S ­ olche Entscheidungen haben vielschichtige Gründe. Für die persönliche Entwicklung ist diese Aufbruchserfahrung unter Umständen zentral, ganz abgesehen vom Abenteuer, das ein Leben in der Grossstadt verspricht. Die Schweizer Meisterschaft zu verlassen, ist Ausdruck einer Ambition, die über den Fussball hinausgeht. Und der sportliche Ehrgeiz kennt keine Geduld. Nach dem Wechsel hatte Lehmann selbstverständlich erklärt, sie wolle im Hinblick auf die Weltmeisterschaft im kommenden Jahr «auf möglichst hohem Niveau trainieren und spielen». Nur läuft die Schweiz unterdessen Gefahr, diese Weltmeisterschaft zu verpassen. Die direkte Qualifikation ist missglückt, der sich vollziehende Generationen­wechsel fordert seinen Tribut. Und wer diesem Nationalteam beim Scheitern zusieht, kann sich schon die Frage ­stellen, ob jede der Spielerinnen, die es jetzt wirklich geschafft haben und auf die es jetzt ankäme, noch weiss, wie weit der Weg ist, den andere vor ihnen hinter sich gebracht haben.•

imago/foto2press

Für die meisten ­Spielerinnen ­bedeutet ­Ausland «­geradeso durchkommen».


Schwarzes Brett Agenda Basel und SEIN FC

ALTE NEUE MEISTER

Der FC Basel ist einzigartig. Dies zeigt sich nun auch im Jubiläumsjahr. Während man andernorts froh sein kann, wenn zu solchen Begebenheiten ein dünnes Büchlein herauskommt, erscheinen zum 125-jährigen Bestehen des FCB gleich zwei Werke: ein zweibändiges offizielles von Vereinshistoriker Josef Zindel sowie das von FCB-Fans herausgegebene Buch «Der FC Basel und seine Stadt». Der Titel hält auch tatsächlich, was er verspricht. Das Buch verzichtet gänzlich auf den solchen Jubiläumsschriften sonst eigenen lexikalischen Teil, der die Klub­ geschichte mit seitenweise Zahlen und Tabellen aufarbeitet. Stattdessen stellen die Autoren in acht Beiträgen stets den Bezug zur Heimatstadt her. Dass dabei der Klub nicht involviert war, zeigt sich erfrischend daran, dass die Herangehensweise durchaus auch kritisch ist. Da wird etwa auf die Schwierigkeit eingegangen, wie der FCB finanziell erfolgreich und gleichzeitig den Baslern ein Identifikationsobjekt sein soll; es wird auf das oft kolportierte Basler Minder­wertigkeitsgefühl eingegangen und wie der Klub immer wieder von der Lokal­ politik vereinnahmt wurde und wird. Für die Texte wurde kein Aufwand gescheut und Aussagen von unzähligen Akteuren der letzten Jahrzehnte eingeholt, die auch einiges an schönen Anekdoten beitragen. Aufgelockert wird das Buch durch mehrere sorgfältig zusammengestellte Bildstrecken. Eine Klubchronik ist es nicht und will es auch nicht sein, aber eine wertvolle Ergänzung zu dem um ein Viel­faches teureren offiziellen Werk (125 Franken). Eine komplette Übersicht über 125 Jahre Fussball am Rheinknie bieten die beiden Ausgaben nämlich nur gemeinsam. (syk)

Sosehr die «Aargauer Zeitung» für ihre Voraussagen zum Heimverein (siehe S. 8) gegeisselt gehört: Letzten Sommer lag sie goldrichtig. Die Redaktion sah ein «YuBeljahr» kommen und bot deshalb Runde für Runde die alten Berner Meister wie Pedro Lenz oder Bänz Friedli auf. Aus den gesammelten Kolumnen ist nun ein hochwertiges, grosszügig bebildertes Buch im Kleinformat entstanden, das bernerischer nicht sein könnte, weil die Autoren selbst den Triumph noch in der Melancholie verhangen lassen. Und so lautet die Antwort auf Klaus Zauggs Frage nach Runde 14, ob YB nicht etwa doch YB bleibe: Ja, zum Glück. (skä)

An dieser Stelle überschütteten wir das Mobile-Game «New Star Soccer» einst mit Lob. Nun haben die Macher noch eine ganze Schippe draufgelegt: In der ManagerVersion des Spiels tätigen wir auch Transfers, bauen die Infrastruktur aus und müssen Sponsoren und Fans glücklich machen. Die Matches selbst basieren auf dem gleichen genialen Konzept wie beim Vorläufer. Als Paket gibt das ein äusserst kurzweiliges und witziges Handygame mit sehr hohem Suchtpotenzial. (syk)

DER FC BASEL UND SEINE STADT – EINE KULTURGESCHICHTE. CHRISTOPH-MERIAN-VERLAG, 252 S.

NEW STAR SOCCER MANAGER. MOBILE-GAME FÜR iOS UND ANDROID (KOSTENLOS)

WO DAS TRAM NICHT HINFÄHRT, SIND WIR ­DAHEIM. DAS YB-MEISTERBUCH. KNAPP-VERLAG, 208 S., BROSCH.

125 Joor Nicht nur zwei Festschriften (siehe links), sondern auch zwei parallele Feierlichkeiten finden zum 125-Jahr-Jubiläum des FCB statt. Der Klub lädt am Gründungstag zu einer Gala, die Fans feiern derweil auf dem Landhof, der einstigen Heimstätte, und zwar «liislig & luut, traditio­nell & progressiv, authentisch & verklärend». Die beiden Feste finden einen gemeinsamen Ausklang. Mehr Details zum Programm folgen auf der Website. FC BASEL: 125 JOOR 15. NOVEMBER 2018, ab 17 UHR LANDHOF, BASEL

www.125joor.ch

Wissensdurst

SPORTCHEF PER KLICK

Die Mutter aller Fussballwissensschlachten geht in eine neue Auflage. Im ­FIFA-Museum quälen wir die Teams endlich wieder mit fiesen bis erheiternden Fragen und würdigen das Meisterteam mit famosen Preisen. ZWÖLF-QUIZ 15. NOVEMBER 2018, 19 UHR SPORTSBAR 1904, ZÜRICH

www.fifamuseum.com

Deine Veranstaltung fehlt? Ob Ausstellung, Filmabend oder Lesung: Schreib uns die ­Eckdaten an agenda@zwoelf.ch

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Seit gut 20 Jahren plaudern und nörgeln Fans online lebhaft über ihre Klubs. Wir haben uns in den einzelnen Fanforen umgeschaut.

«Ihr im Tanja Tatic – Dreamstime.com / Stevie G. – photocase.de

Text Silvan Kämpfen


fcsgforum.ch Inhalt:



aebikurve.ch

Unterhaltung:

 ALLGEMEINER EINDRUCK: Verfällt wie der FCSG dann und wann Anflügen der Euphorie, verbleibt langfristig aber im Mittelmass. DISKUSSIONSVERLAUF: Wenn sie gewinnen, haben sie endlich gekämpft. Wenn nicht, müssen sie endlich mal kämpfen und lernen, was es heisst, das grün-weisse Trikot zu tragen, und sich zerreissen wie damals der Zelli. «Grasfressen, Kämpfen und Leidenschaft» will man sehen. Und attraktiv spielen sollen sie natürlich auch, aber nur wenn sie auch kämpfen, äh, gewinnen.

Inhalt

 Unterhaltung

 ALLGEMEINER EINDRUCK: Es bleibt einzig die Feststellung, dass die Thuner tatsächlich ein Forum haben und die Hosting-Gebühren dafür bezahlen können. Den Beitragszahlen nach muss hier mal etwas los gewesen sein, diese Zeiten sind aber vorbei. Die «Aebikurve» ist so familiär, dass man sich nicht mehr über ein Forum austauschen muss. DISKUSSIONSVERLAUF: User Lee Lawyer und User Argus (gibts noch andere?) betreiben Posting-Pingpong.

I­ nternet …» D

ie Demokratie und das Internet. Ein grosses Thema. Und deshalb an dieser Stelle genau richtig. Denn wo die Welt über Trumps Aufstieg rätselt, die Zukunft des Iran deutet und eine Echokammer nach der anderen entdeckt, wissen Schweizer Fussballfans schon längst um die Sprengkraft des WWW. Es war um die Jahrtausendwende herum, als landauf, landab die Internet­foren an Bedeutung gewannen und den Fussball zu dem machten, was er eigentlich schon immer war: ein über­grosser Stammtisch. Bis dahin hatte sich ein Fan nur mit den Einwürfen des Tribünennachbarn («Das Bier chasch nöd suufe»), von Journalisten und TV-Kommentatoren («Der Sechser ist sehr wichtig, auch wenn man ihn kaum sieht») sowie von reaktionären Leserbriefschreibern auseinandersetzen müssen. Wider­ stand? Wirkungslos. Diese neuen, von den Klubs unabhängigen Tummelplätze mit all ihren ­Threads,

Posts und Usern aber waren so viel vielschichtiger als alles Bisherige. Das Fantum fand nun nicht mehr nur am Spieltag im Stadion statt, es wurde zur Freizeit­beschäftigung unter der Woche. Der Stammtisch hatte nun immer ­offen. Der Blick in die ­Foren lockte sie alle: die Teenager zu Hause vor dem iMac, zwischen Unterhaltungen im Microsoft ­Messenger (­selig) und Prüfungsaufgaben, die Studenten in der Biblio­thek, die Bank­ angestellten während der Arbeits­zeiten. Sie lasen und tippten etwas zu den brennendsten Fragen, welche die Gemeinde bewegten. Ist Boris Smiljanic ein ­Judas? ­Warum holen wir nicht diesen Nigerianer aus Genk, 17 Tore in 24 Spielen? Und wer fährt am Sonntag nach Bellinzona? Alle schwatzten sie mit – ungefiltert. Im besten Fall sonderten sie Informationen, Meinungen ab – idealerweise gewürzt mit Unterhaltung –, im schlechtesten nur Stumpfsinn. Unzählige erhielten dank der Foren die beruhigende Gewissheit, dass es weitere,

gleich gestrickte Schalträger gab, die aus Faszination fürs Runde ebenso einen Ecken ab hatten. Sie nannten sich dasdiyok, yb_wurst_ macht_schön oder Flonaldinho. Und sie zeigten einem, dass Fussball, wie unbedeutend er dann letztendlich doch sein mag, auf emotionale Weise das Leben war und auf rationale Weise die Welt abbildete. Im Forum spiegelte das von Kind auf lieb gewonnene Spiel plötzlich auch dessen politische Seite: Es ging um den Kommerz im Stadion, den Ausländeranteil auf dem Platz, die diktatorischen Züge des Präsidenten. Und nicht zu vergessen die Hilfethemen aus dem Off-­ Topic-Bereich: «Dominante Schwiegereltern, was nun?», «Meine PC-Soundkarte spinnt». Choreos und Subkultur Der Aufstieg der Foren ging einher mit jener neuen Fankultur, die das Netz einerseits verteufelte («Ihr im Internet – mir ide Stadie»), sich seiner aber auch regel­mässig als Inspirationsquelle und gegebenenfalls auch als

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forum.sionclublarete.ch

fcbforum.ch

Inhalt

Inhalt:

 Unterhaltung

 ALLGEMEINER EINDRUCK: Für diesen wilden Klub etwas gar brav und anständig. Zudem fast schon familiär – Wallis halt. Ursprünglich das Forum eines Fanclubs, der heute wohl mehrheitlich über andere Kanäle kommuniziert. Anhängern von Verschwörungstheorien und blindem CC-Gehorsam sei das welsche sion4ever.com empfohlen. DISKUSSIONSVERLAUF: Haut Constantin mal wieder einen raus, wird relativ schnell erkennbar, wer den FC Sion aus dem Wallis und wer ihn aus der Ferne verfolgt. Sorgt der Präsident intern für Probleme, sind die Meinungen der Exil-Walliser deutlich kritischer. Geht er gegen SFV, SFL, UEFA, FIFA, Schiedsrichter, Üsserschwiiz – kurz: die ganze Welt – vor, dann heisst es bald: zämmustah!

PR-Mittel zu bedienen begann. Auch mit Fragen um Choreos, Subkulturen oder Polizeigewalt, die traditionelle Medien noch nicht kannten, sahen sich Fans nun konfrontiert. Über all das unterhielten sich Anwälte mit Schülern und Elektroinstallateuren. Das Forum war – wie die Stadionränge auch – ein Ort, wo Herkunft und Status weniger bedeuteten als anderswo. Es lehrte ­einen Gesprächskultur und das Ver­fassen von manchmal mehr als dreizeiligen Texten. Zugleich befeuerte das anonyme Online­ wesen aber auch die schnelle Vorverurteilung und Kategorisierung von Mitmenschen. Hier der Insider-Wichtibus («Hab soeben vor Geschäftsstelle erfahren, dass ein gelockter Südländer mit Sonnenbrille vorgefahren ist. Unser neuer Flügelspieler, aber mehr sag ich nicht»), da der Idealist («lieber noch ein Jahr in der NLB»), dort der Opportunist («Würdet ihr euren Arbeitgeber etwa nicht wechseln, wenn ihr doppelt so viel Lohn bekämt?»). Dass sich diese Eindrücke dann von Angesicht zu Angesicht nicht immer bestätigten,

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 Unterhaltung:

 ALLGEMEINER EINDRUCK: Eine Veranstaltung wie die Spiele des FC Basel selbst. Viel Klasse – die User nehmen sich Zeit für längere, strukturierte Beiträge – und noch mehr Masse. Wer Zeit hat, das alles zu lesen, ist wohl noch Soziologie-Student, also ein Basler. DISKUSSIONSVERLAUF: Die Ansprüche der einzelnen Nutzer driften nirgends so sehr auseinander wie hier. Das führt dann zur Frage, ob einer das Recht hat, Erfolge zu erwarten, wenn er 1991 in Châtel SaintDenis nicht dabei war. Und ob man als Fan in Möhlin oder Gelterkinden noch als Basler gilt und deshalb bei der Frage mitreden darf, ob Marcel Koller oder Urs Fischer der Zürcher zu viel sind.

weil manche ihr Alter Ego vom Bildschirm ablegten, machte die Sache nur interessanter. Da entpuppte sich auch mal der bünzlige Administrator auf der Stehrampe als Marihuana-Liebhaber. So entstanden vielerlei Freundschaften, die es sonst vielleicht nie gegeben hätte. Bei allen Vorzügen dieser neuen Meinungsvielfalt ging es aber auch in der Demokratie des Forums ums Aushalten. Immer wieder wurde sie auf den Prüfstand gestellt. Das FCB-Forum wird im Eifer des Gefechts auch mal für ein paar Tage geschlossen, bei GC spalteten sich einige Verdrossene ab und eröffneten kurzzeitig ihr eigenes Forum. Die grösste Gefahr lauerte stets in den ungesunden Gruppendynamiken, die oftmals durch kumpaneiartige Verbandelung der Forums­ polizei – Schimpfwort für Administrator – vorangetrieben wurde. Die ach so schwarm­ intelligente Menge wurde so zum Pöbel. Wehe, man war unter all diesen gesellschaftlichen Aussenseitern ebenfalls Aussenseiter. Wegen anderer Meinungen («Pyros sind

fczforum.ch Inhalt

 UnterhaltunG

 ALLGEMEINER EINDRUCK: Viele informative Posts, die aber unterzugehen drohen. Eine kritische Masse – wie auch im FCBForum. Damit verglichen geht es bei den Zürchern aber deutlich weniger kontrovers, ja eigentlich sogar ziemlich gesittet zu. DISKUSSIONSVERLAUF: Scheiden tun sich die Geister derzeit vor allem an der Frage, ob man als Stadtzürcher Stimmbürger, wenn man denn einer ist, den Grasshoppers (und natürlich auch sich selber) ein neues Stadion im Hardturm hinstellen soll.

Das Forum war – wie die Stadionränge – ein Ort, wo Herkunft und Status weniger bedeuteten als anderswo.


F AN F OR E N

gczforum.ch

fclforum.lu

Inhalt

Inhalt

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Unterhaltung

 ALLGEMEINER EINDRUCK: Galgenhumor ist nicht mal der Vorname. Selbstzerfleischung wird hier so eifrig kultiviert und gefördert, als würde man damit GC zu einer neuen Art von Grösse verhelfen. DISKUSSIONSVERLAUF: Spieler, Trainer, Sportchef, Präsi, ja alle im Klub werden mit unschmeichelhaften Übernamen (Bsp. «Nullicin», «Spatz», «Langenthaler») versehen und für den Untergang des Nobelklubs verantwortlich gemacht. Einer schlug zuletzt etwa vor, man solle der Mannschaft ein Velo kaufen, damit sie das Absteigen lerne. Manch gröbere Beschimpfungen gehörten besser gelöscht. Gipfeln tun Debatten häufig darin, dass einige finden, man solle den ganzen Klub ohnehin gleich schliessen.

gefährlich») oder Vorlieben («Bin YB-Fan und nur Gast hier») konnte einem der dreckigste aller Vorzeit-Shitstürme entgegenschwappen, und kein Einziger ermutigte zur Solidarität mit dem Opfer. Bisel und Güllen Viel lieber sahen sich die Nutzer bestätigt in ihrem eigenen Kosmos. Im Fantum und in den Foren hatten viele jene Zusammen­ gehörigkeit gefunden, nach der sie sich zu Zeiten der fortschreitenden Individuali­ sierung so sehr sehnten. Eindringlinge aus «­Bisel», «Güllen» oder «Lutschern» – auch vor solchen Infantilismen schreckten wenige zurück – waren im eigenen Territorium nicht gern gesehen. Das erklärt auch, weshalb der Austausch unter den F ­ oren und An­hängern verschiedener Klubs stets sehr begrenzt blieb. Plattformen wie Fanforum.­ch waren kurzlebig, weil zu beliebig. ­Transfermarkt.­ch gilt – vermutlich neben obskuren HooliganSites – noch als letztes Überbleibsel dieses Bestrebens.

Unterhaltung

1898.ch Inhalt

 Unterhaltung

 ALLGEMEINER EINDRUCK: Auch liebevoll «Augenkrebsforum» genannt, versprüht den Charme der 90er, als YB noch gegen den Abstieg aus der NLB spielte. Wer sich da freiwillig durch jeden Eintrag durchklickt, hat sich Meistertitel und Champions League redlich verdient. Zumal es häufig etwas gar fussballfremd-provinziell zu- und hergeht («Wen kann man für Reinigung/Unterhalt einer Privatwohnung in der Region Schönbühl/Moosseedorf empfehlen?»). DISKUSSIONSVERLAUF: Gehts um YB, heissts einfach bei allem, man vertraue dem Wuschu, also gibts wenig zu bereden. Höchststrafe droht all jenen, die eine bereits bekannte Meldung im Glauben einer Breaking News noch einmal veröffentlichen. Dann lauten die Antworten umgehend: «Alex Zülle gibt unter Tränen Doping zu!», «Baugesuch für Schloss Versailles eingereicht» oder «Milli Vanilli singen gar nicht selbst!». Überhaupt ein vor Running Gags strotzendes Forum.

 ALLGEMEINER EINDRUCK: Im Klub gehts oft hoch zu und her, hier ist hingegen nicht sonderlich viel los. Was sich vielleicht damit erklären mag, dass die glatten Luzerner diese ganze Fussballsache auch nicht allzu ernst nehmen. Oder einfach schon resigniert haben. DISKUSSIONSVERLAUF: Wenig vorhanden. Vor den Spielen wird jeweils darauf hingewiesen, dass es viel zu «saufen» gebe und man den Gegner, also zum Beispiel die Griechen von Olympiakos, «fegge». Wird Luzern dann selber «gfeggt» oder beginnt Bernhard Alpstaeg mal wieder seine Zirkusveranstaltung, sieht niemand einen Grund für epische Pamphlete, sondern kommentiert höchstens einmal lapidar: «Das esch üse FCL.»

Heute, rund 20 Jahre nach den wilden Anfängen, haben die Fanforen eifrig Konkurrenz bekommen. Die Kadenz in den Onlinemedien und ihren schaurigen Kommentar­ spalten ist um ein Vielfaches gestiegen. Viele tauschen sich unterdessen per Facebook und Whatsapp-Chats über die neuesten Transfers aus. Und trotzdem haben die meisten Foren überlebt. Genauso wie es nach dem Aufkommen des Kinos das Theater noch immer gab. Die Schweizer Posting-Landschaft ist heute eine sehr vielfältige. Manche Foren werden kaum noch frequentiert, einige haben sich ihre unbequem-ungehobelte Jugendlichkeit bewahrt, andere haben sich zu etwas halbwegs Seriösem gewandelt, wo sich sogar, nun ja, ideen­arme Journalisten inspirieren lassen. Und wer sich im Schweizer Fussball nach Unter­haltung sehnt, der öffne noch heute eine P ­ ackung Popcorn und besuche das Forum eines gerade krisengeschüttelten Vereins. Und kommt gerade der eigene Klub unter die ­Räder, dann heisst es: viel aushalten und sich engagieren. Wie in jeder Demokratie.•

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ER SL SC AN HW D EI Z

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A

Davide Marianis Weg ist eher ein Umweg. Aber weshalb hat es ihn ausgerechnet nach Bulgarien verschlagen? Text nik lütjens

Im Armenhaus Europas Beides hat er geschafft. Aber musste es wirklich Levski Sofia sein? Viele Beobachter warten nur darauf, ihm besserwisserisch seine Wahl vorzuhalten. Chaos und Misswirtschaft prägen seit Jahren den Fussball im ärmsten und laut Transparency International korruptesten der 28 EU-Länder. Niemand weiss das besser als die Levski-Fans. Der nach Freiheitskämpfer Vasil Levski benannte Klub ist so populär wie kein anderer, den letzten T ­ itel holte der 26-fache Meister allerdings 2009. «Marianis Wechsel hat mich überrascht», sagt der ehemalige Levski-Spieler Petar ­Aleksandrov. «Im Normalfall wechselt ein Bulgare in die Schweiz – nicht umgekehrt.» Auch Mariani war die Idee eines Transfers nach Bulgarien fremd. Das änderte sich nach Gesprächen mit Levski-Präsident Spas

Levski.bg

Sofias Hunger

uf den ersten Blick sah alles aus wie erwartet: Davide Mariani hatte sich einen blau-weissen Schal umgehängt, lächelte und reckte beide Daumen in die Höhe. Flankiert wurde er bei dieser Vorstellung aber nicht vom FCZ-Besitzerpaar Canepa, wie man nach einer starken Saison mit Lugano und aufgrund der Medien­ berichte hätte glauben können. Mariani trug einen Schal von Levski Sofia. «Mit dem Wechsel zum FCZ hätte ich es mir zu leicht gemacht.» Der Stadtzürcher wäre zurück­ gekehrt ins vertraute Umfeld und zu seinem Jugendverein. «Es hätte sich angefühlt wie das Ende der Geschichte.» Neben dem FCZ hatte es auch andere Inte­ressenten aus der Super League ge­geben. Mariani ist im Tessin zu einem auffälligen Mittelfeldspieler gereift. Er ist kampfstark, feinfüssig, spielt kluge Pässe, und nur wenige Schweizer schiessen so schön aus der Distanz. Doch weiterhin pro Jahr vier Mal gegen jeden Gegner zu spielen, das reizte ihn nicht: «Ich wollte raus aus der Komfortzone», sagt er. Vor allem: mit 27 Jahren endlich ins Ausland.


Roussev. Reich geworden im Zuge der postkommunistischen Privatisierungswelle, erwarb der Unternehmer 2016 die einst staatliche Telekommunikationsgesellschaft Vivacom. Die Übernahme der Mehrheit an Levski war laut der Wirtschaftszeitung «­Kapital» Voraussetzung für den Deal. Nach seinem Amtsantritt wollte Roussev den mit neun Millionen Euro verschuldeten Klub entnervt abgeben. Nun ist er angeblich zu Investitionen bereit. Roussevs Klub setzt vornehmlich auf Ausländer, der bekannteste ist der ehemalige Manchester-United-Reservist Gabriel ­Obertan. «Levski verzeichnet jedes Jahr sehr viele Wechsel. So kann man eigentlich keinen Erfolg haben», sagt Aleksandrov über den Verein seines Herzens. Marianis Transfer ist deshalb nicht frei von Ironie: Vor ­e inem Jahr entschied er sich gegen den lukra­tiven Wechsel zu Sion, weil ihm das unruhige Umfeld nicht behagte. Nun spielt er für e­ inen Klub mit einem ähnlich hohen Personalverschleiss. Wurde der Zürcher also schlecht beraten? Anruf bei Dino Lamberti: Der Spielervermittler suchte im Sommer einen ausländischen Klub, der auf Mariani als Spiel­macher setzt. Er bot ihn in Deutschland und Italien an, konkrete Angebote blieben aus. Dafür bemühte sich Levski-Trainer D ­ elio Rossi um ihn. «Ich hatte Vorurteile, bevor ich das erste Mal in Bulgarien war», sagt L ­ amberti. «Die Trainingsintensität ist aber hoch, die Energie im Verein positiv.» Mittler­weile stehen drei seiner Spieler bei ­Levski unter Vertrag. Gemäss Lamberti verdient Mariani in Sofia ein Gehalt, das in der Schweiz nur der FC Basel zu zahlen bereit sei. Für den 27-Jährigen ist etwas anderes ebenfalls wichtig: «Ich spiele erstmals für einen Klub, der den Titel gewinnen kann.» Von Lugano in eine gros­se Liga zu wechseln, sei nahezu unmöglich. Auch Aleksandrov glaubt, dass ­Mariani bei Levski bessere Perspektiven hat als im Tessin: «Der Druck in einem Top-3-Klub mit reicher Tradition ist grösser. Das bringt e­ inen Spieler weiter. Und in Sofia lebt es sich gut als Profi.» Mariani klingt denn auch nicht wie ein Ertrinkender, wenn er über die Welt spricht, in die er eingetaucht ist. «Super» sei das ­Leben dort, sagt der Zürcher in einem Ton, der eine Nachfrage fast schon über­f lüssig macht. Er hat er eine Wohnung in ­einem lebhaften Quartier nahe der Schweizer Botschaft gefunden, erkundet die «kulturell spannende Stadt» oft zu Fuss. Den «grossen Klub» verkauft er so positiv nach aussen, wie es der unkritischste Fan nicht besser könnte.

Um seine Euphorie zu bremsen, braucht es nur ein Wort: Vaduz. In der ersten Runde der Europa-League-Qualifikation scheiterte Levski am Challenge-Ligist. Ein einmaliger Ausrutscher, sagt Mariani. Das Hinspiel verlor der Favorit 0:1, in Sofia siegte er trotz 26 Abschlussversuchen nur 3:2. Die Schmach hatte Folgen: Wütende Fans versuchten, den Platz zu stürmen, Marianis Für­ sprecher ­Delio Rossi wurde durch den ehe­ maligen slowenischen Nationalcoach Slaviša Stojanović ersetzt. Und Ludogorez Razgrad, Serienmeister seit 2012, ist wieder einmal der einzige verbliebene Vertreter Bulgariens in Europa – und trifft dort auf den FCZ. Petar Aleksandrov schaut sich j­edes Wochen­ e nde Spiele der bulgarischen Liga an. Er sagt: Ludogorez, Levski und ZSKA ­Sofia könnten in der Super League mithalten. Auch Mariani findet das Gefälle grösser, dafür spielten auch die schwächeren Teams nach vorne. Die Fans bleiben trotzdem zu Hause. 1750 besuchen im Schnitt die Liga­partien. Auch Levski lockt nicht viel mehr Fans an als der FC Lugano. Der langjährige Ultra Ivan nennt Gründe: die zer­ rüttete B ­ eziehung zur Führung, die Korruption und – die Fans.

«Ich wäre jetzt schon bereit für eine grosse Liga.»

nach acht Runden die Tabelle an. Auch dank Mariani, der auf seiner Lieblingsposition im zentralen Mittelfeld gute Kritiken erhält. Die grosse Standortbestimmung folgt Ende September gegen ZSKA. Nach dem Bankrott des Armeeklubs ist unter Mithilfe von Hristo Stoichkov ein neues ZSKA entstanden – dank einer Fusion von Litex L ­ ovech und dem Provinzverein Chavdar Etro­pole. Erstaunlicherweise halten doch einige alte Fans der «Roten» zum neuen Klub. Im Direkt­duell werde die Atmosphäre elektrisierend sein, verspricht Aleksandrov: «Ein solches Spiel hat Davide Mariani noch nicht erlebt.» Mariani ist stolz auf seinen bisherigen Weg. Bis im Sommer 2016 spielte er noch Von Rassisten unterwandert leihweise in der Challenge League, weil der Nach der Vaduz-Pleite wurde Levski von FCZ nicht auf ihn setzte. Und Lugano verder UEFA mit zwei Geisterspielen und einer pflichtete ihn erst nach mehreren ProbeGeldstrafe gebüsst, zum wiederholten Mal trainings. Nun lebt Mariani in einer Stadt, wegen rassistischer Entgleisungen der Fans. in welcher der Fussball – den Zuschauer­ Ivan macht dafür eine Gruppe von «Krimi- zahlen zum Trotz – einen höheren Stellennellen» verantwortlich, die auch den Sicher- wert hat als an seinen bisherigen Stationen. heitsdienst im Stadion stellt und mit Härte Levskis Ziel ist der Titel, an Mariani soll es gegen Abweichler in der Kurve vorgeht. «Die nicht liegen. Der Sohn eines Zürcher RestauMehrheit der Levski-Fans ist nicht rechts­ rantbesitzers lebt eher asketisch. Er schaut extrem», sagt er. Mariani hat von den rassis­ auf seinen Körper, hält sich an Ernährungstischen Parolen und der latenten Gewalt­ pläne und schiebt nach dem Training Zubereitschaft angeblich noch nichts bemerkt: satzschichten. Mariani ist ein freundlicher «Ich kriege auf dem Platz nicht mit, was auf Gesprächspartner, einer mit überraschend den Rängen geschieht.» offensivem Selbstvertrauen. «Ich wäre jetzt In der Meisterschaft ist die «Blaue Laschon bereit für eine grosse Liga», sagt er. wine» ins Rollen gekommen. Levski führt Oder: «Die Frage heisst nicht: Werde ich jemals in der Schweizer Nationalmannschaft spielen? Sondern: Wann?» Dass er dafür von einigen belächelt wird, kümmert ihn nicht. Noch aber ist Mariani, wenn überhaupt, ein «Champion von morgen». Ganz ähnlich * 19. Mai 1991 in Zürich hiess ein 2009 erschienener Film über ihn und andere Nachwuchsfussballer. ­Darin Spiele Tore sagte er über sein erstes U16-Länderspiel: «Es 2012–14 FC Zürich 38 2 war ein Gefühl, als würde ich fliegen.» Von 2014–16 FC Schaffhausen 66 14 Sofia aus will er nun noch höher kommen. 2016–18 FC Lugano 76 14 Leicht wird der ersehnte Wechsel in eine 2018– Levski Sofia 9 2 gros­se Liga nicht. Aber Mariani weiss: Umwege können ans Ziel führen.•

Davide Mariani

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Die ­Abbruch GmbH Einige verpassen den Abgang, andere sagen dem Profifussball leise Servus, obwohl sie durchaus noch ein paar Jahre auf diesem Niveau spielen könnten. Wir haben bei drei von ihnen nach den Beweggründen gefragt.

Texte Raphael Brunner www.brunnertexte.ch

Valentin Schnorhk

Bilder Robin Christ

www.robinchrist.com

Brindusa Burrows

@schn_val

www.bb.photography

Paolo Galli

Camilo Delgado Aguilera

@paolo1976galli

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U

nd noch so eine Floskel: «im b ­ esten Fussballeralter». Falls es dieses tatsächlich gibt, wird es zu Zeiten der Mbappés eher jünger. Kaum einer erlebt seinen Karrierehöhepunkt wie Steve von Bergen mit 36 in Form einer Cham­pionsLeague-Premiere. Und trotzdem wollen alle den Traum vom Profi so lange wie möglich leben. Schliesslich hat man ja das Hobby zum Beruf gemacht. Einige allerdings stellen das infrage und gehen vorzeitig. Benjamin Lüthi etwa machte mit 28 bei GC Schluss, weil er nicht mehr auf so viel verzichten wollte. Er ist nicht der Einzige. Heinz Barmettler, zwei­ facher Meister mit dem FCZ, Einsätze in der Champions League und mit der Schweizer Nati. Jocelyn Roux, der in Super und ­Challenge League an die 100 Tore schoss. Henry ­Siqueira-Barras, einst U17-Europameister, machte fast 100 Super-League-Spiele. Sie alle brachen mittendrin ab – von sich aus. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Alle drei bereuen sie den radikalen Schnitt nicht. Denn heute, wo viele Ex-Kollegen bald einer grossen Leere gegenüberstehen, stecken sie schon längst in ihrer zweiten Karriere.


Heinz Barmettler

a u f g e h ör t mi t 2 9 , Re is ebera ter

Das Schwierigste sei gewesen, es auszusprechen, sagt Heinz Barmettler. Öffentlich hinzustehen und mit 29 Jahren zu sagen: «Für mich ist Schluss, meine Karriere als Fussballprofi ist zu Ende.» Beim früheren FCZler kam dieser Moment im Sommer 2016. Heute arbeitet er in einem Zürcher Reisebüro. Ehemalige Teamkollegen wie Blerim Dzemailli liefen bis vor Kurzem noch für die Nati auf, andere wie Steve von Bergen, vier Jahre älter, sind noch in der Super League. Doch Barmettler sagt: «Fussball als Beruf, das ist nicht mehr meine Welt. Das passt nicht mehr zu mir.» Angebote bekommt er nach wie vor, jüngst etwa von einem interregionalen Zweitligisten aus Zürich. Er sagte dankend ab. Dabei wollte Barmettler von klein auf nichts anderes, als zu dieser Welt zu gehören. «Fussballprofi war immer mein Traum», sagt der Sohn einer Dominikanerin und eines Schweizers. Der junge Heinz, technisch stark und schnell, erfüllte ihn sich gradlinig:

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D i e Auf h ö r e r

Heinz Barmettler * 21. Juli 1987 in Zürich Spiele Tore 2005–2006 Grasshoppers 1 0 2006–2012 FC Zürich 127 1 2012 Inter Baku 3 0 Nach nur einem halben Jahr kehrte der in2013–2014 Real Valladolid 1 0 zwischen 25-Jährige zurück in die Schweiz. 2015–2016 Cibao FC 11 0 «Es war eine Flucht», sagt Barmettler. 2016 SC Freiburg II 2 0 Bereits in Baku habe er angefangen, sein Leben als Fussballprofi zu hinterfragen. EinLänderspiele gestehen wollte er sich das jedoch noch nicht. 2009 Schweiz 1 0 Er versuchte einen Neuanfang beim FC Va2012–16 Dom. Republik 16 0 duz in der Challenge League, doch wegen einer Verletzung in der Vorbereitung kam er zu keinem Ernstkampf. Dennoch bekam er im Folgesommer ein Angebot für eine Probewoche bei Real Valladolid. Und tatsächlich, er hatte es doch noch geschafft: Barmettler wechselte in die Primera División. Doch auch in Spanien wurde der ZürVon den Blue Stars ging es zu den GC-Juni- cher nicht glücklich, weder sportlich noch oren, mit 17 debütierte er im Schweizer Cup privat. Zwar stimmten dieses Mal die Spraund unterschrieb auf die Saison 2006/07 sei- che und die Mentalität, das Profi-Dasein aber nen ersten Profivertrag beim FCZ. Er kam erlebte er als Blase. Barmettler, dessen Trikot in die Meistermannschaft von Lucien Favre. die Aufschrift «Veloz» trug, den Namen seiBarmettler wurde rasch Stammspieler als ner Mutter, fühlte sich «abgetrennt von der Innenverteidiger, spielte später Champions Aussenwelt und leer». Er ist aber auch selbstLeague und einmal, 2009, auch in einem reflektiert genug, um sich einzugestehen: Freundschaftsspiel gegen Norwegen für die «Wenn ich sportlich Erfolg gehabt hätte, wäre Schweizer Nationalmannschaft. Der Junge ich wohl weniger kritisch gewesen.» So aber aus Wiedikon und auch seine Trainer waren störte es ihn immer mehr, wenn sich Teamüberzeugt, dass er einmal in einer grossen kollegen über die besten Hotels beschwerten Liga Karriere machen würde. Heute weiss oder wegen Problemen an ihren Luxusautos er: Damals, mit 22, hatte er den Gipfel seiner eine Szene machten. Das empfand er umso sportlichen Laufbahn bereits erreicht. stossender, weil er inzwischen für die dominikanische Nationalmannschaft spielte und Plötzlich Primera dort Kollegen hatte, die mit 300 Dollar im Zurückgeworfen durch Verletzungen, verlor Monat auskommen mussten. «Diese beiden Barmettler in den folgenden zwei Saisons Welten brachte ich immer schlechter zusamseinen Stammplatz. 2012 verlängerte der men», sagt er. FCZ den Vertrag mit ihm nicht mehr. Weil Es folgte der schrittweise Abschied vom er aus Westeuropa keine guten Angebote be- Profifussball: Barmettler und Valladolid löskam, wechselte Barmettler nach Aserbeid- ten den Vertrag bald auf. Er ging für einen schan zu Inter Baku. Der ruhige, eher in sich Sprachaufenthalt nach Australien und reiste gekehrte Schweiz-Latino kam in der ehema- mehrere Monate durch den Kontinent. Und ligen Sowjetrepublik nur schwer zurecht. Barmettler genoss die neue Freiheit, ass auch Fast niemand sprach Englisch, die Umgangs- mal zwei Tage hintereinander Burger mit formen waren rau, abseits des Trainingsplat- Pommes und feierte im Ausgang wie die anzes hatte er wenig Kontakt zu den Teamkol- deren Reisenden. Oder wie er es ausdrückt: legen. Um die trainingsfreien Nachmittage «Ich lebte nicht mehr wie ein Profi.» Viele nicht allein in seiner Wohnung am Stadt- Schweizer Touristen erkannten ihn und rand zu verbringen, liess sich Barmettler fragten, ob er mit Fussball aufgehört habe. mit dem Taxi manchmal zu einem Strassen- Seine Antwort war jeweils: «Vielleicht.» markt fahren, um «etwas Leben aufzusauDenn Barmettler wollte sich noch nicht gen und wenigstens mit einem Händler mal definitiv entscheiden. Er vermisste den ein paar Worte zu wechseln», wie er erzählt. Fussball auch. Das Spiel als solches, den

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Wettkampf, das Gefühl, Teil eines Teams zu sein. Inzwischen 27 geworden, nahm er seinen Beruf wieder auf, dieses Mal aber mit anderem Fokus. «Viel Geld zu verdienen oder eine klassische Karriere zu machen, war mir nicht mehr wichtig.» So wechselte er in die Heimat seiner Mutter, zum Cibao FC in die Dominikanische Republik. Später spielte er noch ein Jahr in der zweiten Mannschaft des SC Freiburg. Richtig in Fahrt kam Barmettler aber nicht mehr, auch wegen andauernder Verletzungen und arthrosebedingter Schmerzen in der Hüfte. Und so zog er vor zwei Jahren einen Schlussstrich. Leben aus dem Koffer «Ich hatte nicht mehr den Willen zu kämpfen», sagt Barmettler. Eben auch, weil er gemerkt hatte, dass das Fussballerleben ihn nicht erfüllt. «Das Klischee hat eben doch etwas Wahres: In der Kabine redet man fast nur über Fussball, Autos, Frauen und Geld», sagt er. Nicht mehr Barmettlers Interessen. Je weniger in seiner Laufbahn das Sportliche im Mittelpunkt stand, desto mehr entfernte er sich gefühlsmässig von dieser Welt. Nach seinem Rücktritt ging er erneut auf Reisen, alleine mit dem Rucksack durch Südamerika, Mittelamerika und Kanada. Danach studierte der frühere KV-Lehrling an einer Tourismus-Fachschule. Jetzt, mit 31, steht er mitten im Arbeitsleben: Seit Anfang Jahr ist er bei Brasa tätig, einem Reiseveranstalter mit Spezialgebiet Lateinamerika. An den 8-Stunden-Alltag als Nicht-Fussballer gewöhnt er sich erst langsam. Zugleich geniesst er aber die freien Wochenenden, das Daheimsein mit der Freundin. «Als Profi ist es schwer, Wurzeln zu schlagen. Man ist oft unterwegs, lebt aus dem Koffer.» Missen möchte Barmettler nichts. Er sei dankbar, dass er Fussballprofi habe sein können. Und stolz. Zwar ist er im Reisebüro der Anfänger, doch viele Feriensuchende freut es, wenn sie in ihm den ehemaligen FCZler erkennen. «Gibt mir das ein Kunde zu spüren, denke ich: Hey, ich habe mir meinen Kindheitstraum erfüllt, ich war Fussballprofi.» Einen Traum, den Heinz Barmettler einfach ein wenig früher beendete als die meisten seiner Kollegen.•


Jocelyn Roux

a u f g e h ör t mi t 3 0 , Juris t

Jocelyn Roux ist besessen vom F ­ ussball. Zwei Stunden lang sitzt er mit ZWÖLF in einem Genfer Café. Zuerst gehts um das eigent­liche Thema, den vorzeitigen Rücktritt vom Profi­ fussball, dann seziert er von A bis Z, was auf den Schweizer Plätzen und drum herum passiert. Von der Amateur­kantine bis zur Super und Europa League hat er als Spieler alles kennen gelernt. Seit eineinhalb Jahren nun ist er Zuschauer. Dabei ist Roux erst 32, könnte der einen oder anderen ChallengeLeague-Mannschaft wohl durchaus noch eine Hilfe sein. Aber das interessiert ihn nicht. «Mein Karriereende kam nun halt einfach ein bisschen früher als vor­gesehen», sagt er. Sein letztes Spiel machte der Genfer im Februar 2017 mit dem FC Wil. Die finan­ ziellen Turbulenzen in der Ostschweiz rund um die damalige türkische Führung fand er nur noch erschöpfend. Weil das Transfer­ fenster bereits geschlossen war, wusste Roux, dass er in dieser Saison nicht mehr spielen würde. Noch hegte er Hoffnung, ab Sommer wieder einzusteigen, aber nicht irgendwo, nicht bei der erstbesten Adresse. «Ich wollte einen Klub in der Westschweiz, da war die Auswahl schon einmal begrenzt», erklärt er. Eigent­lich kamen nur Servette, Lausanne und X ­ amax infrage. Roux hatte seine Gründe dafür. «Ich dachte damals schon an

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Jocelyn Roux

die berufliche Neuorientierung.» Deshalb habe er einen Klub gesucht, der den Fussball mit seiner Arbeit vereinbaren lässt. Arbeit? Roux holte sich 2014 einen Master in Wirtschaftsrecht und wollte nun vorpfaden für seine Zweitkarriere – und daneben weiterhin auf Profiniveau Fussball spielen. Doch das erhoffte Angebot eines welschen Traditionsklubs kam nicht. Aufsteiger und Master Sein Karriereende mag abrupt erscheinen für einen Spieler, der in seinen zehn Jahren Challenge und Super League über 100 Tore erzielte. Doch Jocelyn «Joce» Roux will nicht lange lamentieren, denn darauf war er längst vorbereitet. Seine Ausbildung habe für ihn immer eine grosse Sicherheit bedeutet. «Ich hatte so etwas in der Hinterhand für später.» Es gelang ihm stets, seine Fussball­karriere und das Jus-Studium unter einen Hut zu bringen. Mit beiden Karrieren ging es ­immer aufwärts. Auf der einen Seite schoss er sich von der 1. Liga bis in die Super League, auf der anderen zog er die Ausbildung von der Matur bis zum Master durch. Langweilig wurde es dem Mann in seinen Zwanzigern jedenfalls nie. «Meinen Bachelor-Abschluss machte ich während meiner Zeit bei Étoile Carouge und Nyon», erzählt Roux. Nach der Matur sei das Studium der logische Weg gewesen. Seine Eltern hätten viel Wert darauf gelegt. «Die Trainings waren am Abend, da hatte ich genügend Zeit für beides.» Irgendwie ging es immer, selbst als er während der Prüfungsphase für ein 1.-Liga-Aufstiegsspiel ins Tessin reisen musste. «Ich hatte eine Ab­machung mit der Uni, dass sie meine Prüfung ein bis zwei Stunden vorverlegten.» Tore­schiessen, Studium: Jocelyn Roux schien ­alles leicht­ zufallen. Natürlich musste er für die Uni häufig seine Ferien opfern, aber auch das nahm er hin. «Manchmal war das Lernen auch eine gute Ausrede, um das Training auszulassen», lacht er. So stellt man ihn sich vor mit den Vorlesungsnotizen im Mannschaftsbus, unter­wegs zu Auswärtsspielen. «Ich habe es mehrmals versucht, aber es klappte nie richtig.» Da trommelte er dann doch lieber drei Kollegen für einen Jass zusammen.

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* 28. August 1986 in Lausanne Spiele Tore 2003–2007 Étoile Carouge 61 29 2005–2006 Stade Nyonnais (Leihe) 30 19 2007–2008 Stade Nyonnais 41 36 Denn nach einem vielversprechenden hal2008–2009 AC Bellinzona 30 2 ben Jahr bei Nyon klopfte Lausanne-Sport 2009 FC Thun (Leihe) 16 7 an – und dort herrschte wieder voller Profi2009–2010 Stade Nyonnais (Leihe) 13 8 betrieb, das war weniger geeignet für Aufent2010–2013 Lausanne-Sport 94 35 halte an der Alma Mater. «Ich ging praktisch 2013–2015 Servette FC 57 19 nie in die Vorlesungen. Ich schlug mich dank 2016–2017 FC Wil 30 10 den Notizen meiner Kommili­tonen durch», erinnert sich Roux. ­Lausanne spielte in der ­Super League, Roux erzielte seine Tore und schrieb daneben seine Master­arbeit fertig. Die ­spätere berufliche Zukunft behielt er ­immer im Fokus.

So nahm alles seinen Lauf. Nach dem ­ achelor wechselte Roux zu Bellinzona B und wurde Profi. Als 22-Jähriger hatte er ­einen Uni-Abschluss im Sack und lebte nun ­seinen Super-League-Traum. Und dank dem Jahr im Tessin steht nun auch Italienisch als ­Sprache in seinem Lebenslauf. Sportlich musste er sich dort mit weniger begnügen: eine Viertelstunde hier, 20 Minuten da, insgesamt nur zwei Saisontore. Er wurde nach Thun ausgeliehen, dann nach Nyon. Auch diese Klubs spielten da noch in der Challenge League. Trotzdem fanden die Trainings wieder nur am Abend statt, was dem wissenshungrigen Roux natürlich ent­ gegenkam: «Um mich den Tag hindurch zu beschäftigen, begann ich meinen Master.» Er habe geschaut, dass er so viele Prüfungen wie möglich schon im ersten Semester absolvieren konnte. Ein weitsich­tiger Gedanke.

Jurist gegen Verteidiger Darin liegt Jocelyn Roux’ grosse Qualität: mehrere Dinge aufs Mal zu machen und ­dabei einen kühlen Kopf zu bewahren. So hatte er denn auch zu den Team­kollegen immer einen guten Draht. «Natürlich fällt man mit meiner Vita ein bisschen aus dem Rahmen, aber das Coole im Fussball ist: Die Leute kommen aus allen Schichten.» Für den Juristen ist im Nachhinein auch un­ bestritten, dass seine sportlichen Leistungen nie gelitten haben unter seinen Nebeninteressen. «Immer wenn ich arbeitete, spielte ich eine gute Saison. Das hat mir den Kopf durchgelüftet und war für mich ein Gleich­ gewicht.» Als er 2015 nach Lausanne zurückkehrte, bot ihm der damalige Präsident Alain ­Joseph einen 30-Prozent-Job in einer Kanzlei in Morges an. Und auch hier zahlte sich die Teilzeitarbeit für alle aus: Lausanne hatte wieder einen echten Knipser – er traf 13 Mal in 19 Spielen, worauf Wil ihn holte –, und Roux lernte den Beruf des Rechtsvertreters kennen. Im Moment macht Jocelyn Roux ein Praktikum in einer Anwaltskanzlei. Noch weiss er nicht genau, wohin sein Weg führt. Er will Anwalt werden, steckt mitten in den Prüfungen. Sport treibt er nebenbei noch ­immer oft: Er schwingt das Tennisracket, ist immerhin R2-klassiert, schweizweit auf Rang 445. Zudem nimmt er an Footgolf-Turnieren teil, die seine Genfer Freunde organisieren. Und auch was im Fussball passiert, verfolgt er weiterhin genau. Für Roux ist deshalb klar: «Das Recht öffnet einem viele ­Türen. Im Ideal­fall mache ich später etwas im Sport.»•


D i e Auf h ö r e r

Henry Siqueira-Barras

«Cooperazione» vom 15. Februar 2016

a u fg e hö r t m it 27, An t hro p ol og e

In der Anekdote, die Henry Siqueira-Barras’ Karriere am besten zusammenfasst, kommt Valon Behrami vor. Es war 2004, als die beiden zur U19-Nationalmannschaft gehörten. «Ich war damals bei GC, aber meine Karriere geriet ins Stocken. Ich hatte schon drei Operationen hinter mir.» Zwei Jahre zuvor war Siqueira-Barras U17-Europameister geworden, mit Senderos, Ziegler und ­Barnetta. Doch jetzt fühlte er sich nicht mehr auf dem Level von früher. «Bei einem Training vor der U19-EM liess mich Valon mit einem Dribbling ganz alt aussehen. Danach kam er zu mir und ­witzelte: ‹Früher hätte ich dich nie so stehen lassen.› Da wusste ich: Ich war

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Henry Siqueira-Barras

nicht mehr derselbe Spieler wie einst.» Heute sieht es der nun 32-Jährige noch drastischer: «Vielleicht war mir damals unbewusst schon klar, dass ich mit dem Fussball mal früh auf­ hören würde.» Die unbestimmte Neugierde Henry Siqueira-Barras, Sohn einer Brasilianerin und eines Wallisers, war aussergewöhnlich talentiert. Die damals in der Nachwuchsarbeit führenden Grasshoppers verpflichteten ihn früh, jedoch brachte er es nie zu konstant guten Leistungen. Verletzungen warfen ihn stets zurück. «Mit 17 fand ich, ich hätte bereits Grossartiges geleistet. Aber die ganz grossen Ziele, die sah ich je länger, je mehr entschwinden.» Sein ganz gros­ ser Traum vom Fussballstar drohte sich in Luft aufzulösen. Er habe in diesem jungen Alter aber keine Alternative gesehen zum Weiter­machen. «Die Trainer sagen dir, du sollst dich durchbeissen. Und das machst du dann auch.» Siqueira-Barras wurde Profi und blieb es über fast zehn Jahre. Aber er hatte schon am Anfang bald mal anderes im Kopf als Fussball. Er verspürte eine grosse Neugierde, konnte aber noch nicht fassen, was ihn genau reizt. Erst später, nach seinen Engagements in Rumänien und auf Zypern, kristallisierte sich etwas heraus. Er begann, die Welt zu bereisen. In Bellinzona, wo er drei Super-League-Saisons spielte, nannten ihn die Teamkollegen «l’artista», den Künstler. Er war der Liebling von Gabriele Giulini, diesem Klubpräsidenten, der sich nicht nur als Geschäftsmann, sondern auch als Kulturförderer verstand. «In der Sommerpause ging ich nicht mit anderen in die ­Ferien, ich zog allein los mit meinem Rucksack. Ich wollte die Welt ausserhalb der Zivilisation kennen lernen.» Laufend kamen neue Orte hinzu, Begegnungen aus dem Fussball dienten ihm als Inspiration: «Ich spielte mit so vielen Ausländern. Nur schon durch die Gespräche mit ihnen entdeckte ich neue Welten. Die Identität der Menschen jenseits ihres Passbüchleins, die hat mich immer am meisten interessiert.» Heute lebt Siqueira-Barras in Rio, doch zieht es ihn immer wieder in neue Gefilde.

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* 15. Januar 1985 in Rio de Janeiro Spiele Tore 2003 Grasshoppers 3 0 2004 FC Winterthur 6 0 2004–2005 Neuchâtel Xamax 5 0 Er ist Anthropologe, beschäftigt sich also mit 2006 FC Locarno 18 0 Menschen und Kulturen aus aller Welt. Sein 2006 Argeș Pitești 5 0 Studium begann er bereits während der Kar2007 Gloria Bistrița 10 0 riere. In Foto- oder Videoreportagen und Ar2007–2008 Enosis Neon Paralimni 12 0 tikeln dokumentiert er nun das Leben ehe2008–2012 AC Bellinzona 78 2 maliger Guerillakämpfer in Kolumbien oder 2012 FC Chiasso 15 1 geht den afrikanischen Wurzeln brasilianischer Städte nach. Mit seiner Arbeit will er hinter die Fassade schauen und nicht zuletzt auch etwas zu sich selber finden. Das Schönste sei, dass er nun nicht mehr gezwungen sei, irgendwelchen Erwartungen von anderen Leuten zu entsprechen. «Nennt es von mir aus Freiheit. Ich bin heute komplett flexibel und völlig sorglos, ich kleide mich, wie ich es gerade möchte.» Zwar besitzt er noch ein teures Hemd, das er einst als Fuss­baller gekauft hat, er erkennt sich darin aber nicht wieder. Sinnbildlich sagt er: «Überall, wo ich hingehe – Brasilien, Schweiz, Kolumbien, Ecuador –, habe ich einen Koffer mit meinen persönlichen Dingen dabei. Es gibt Orte, an die ich immer gerne zurückkehre, aber Routine und Stabilität brauche ich im Leben nicht mehr.» Der Gringo trägt Prada Vom Fussball hat sich Henry Siqueira-­Barras abgewendet. «Die Leute hier in Südamerika wissen nicht, dass ich vor sechs Jahren noch Profi war.» Seine letzte Partie spielte er im November 2012 mit Chiasso gegen Wohlen. Er nahm sie mit einem Bandscheibenvorfall in Angriff, seine Wirbelsäule war in schlechtem Zustand. Danach rieten ihm die Ärzte nachdrücklich aufzuhören. Karriere­ende mit 27. Er nahm es hin, ohne weiter zu insistieren: «Man verletzt sich ja nicht extra. Ich habe nicht nach ­einem Grund gesucht, zurücktreten zu können, jedenfalls nicht bewusst.» Rücktritts­gedanken schwirrten aber schon jahrelang in seinem Kopf herum. «Manchmal frage ich mich: Was wäre, wenn ich schon zehn Jahre früher auf­gehört hätte? Ich bereue das ein wenig.» Über seine Karriere spricht Henry Siqueira-Barras kaum mehr. Lieber gebe er sich als der, der er heute sei. Das Spiel scheint ihm nicht zu fehlen. Und auch der damit verbundene Luxus war offenbar nie etwas für ihn. «Ich weiss noch,


85.–* Art. 62 348 15 als ich bei Lugano meinen ersten Lohn bekam. Als Erstes entsorgte ich meine durch­ getretenen Puma-Schuhe und kaufte mir dieselben Prada wie meine Team­kollegen.» Sehr zum Missfallen seiner damaligen Freundin, die fand, dass er sich verändert habe. «Heute bedeuten mir Kleider nichts mehr. Auch wenn sie hier in Südamerika noch Leute machen.» Hier gilt er als Europäer, als Gringo. Nicht immer kann er deshalb auf Augenhöhe mit den Einheimischen kommunizieren. Nun lässt er sich die Haare wieder wachsen. Seine dunklen Locken helfen ihm dabei, als einer von ihnen zu gelten. Auf die Suche nach seinen Wurzeln hätte er sich auch im Fussball gerne be­geben. Als Zweijähriger nahm man ihn ins Maracanã mit zum Derby zwischen ­Flamengo und Fluminense. Sein Flu-Trikot war grös­ser als er selber. Doch der Wunsch, dereinst in der brasilianischen Liga aufzulaufen, blieb ihm verwehrt. Wie so viele Profis lebte Henry Siqueira-Barras den Traum vom gros­sen Fussball nur im Kleinen. Träumen tut er nun von anderem – von der Welt, e­ iner Welt der Geschichten, die er allen erzählen kann.•

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LösungsworT (Graue Felder von links oben nach rechts unten.)

Ihr Zug wird im Zug streng geahndet. Bei Zug 94 ebenso.

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WAAGRECHT 1 Das brutalste Foul; spritzt rot – mit Umlaut  10 So benannt, der BFG, der auch mal eine Eistonne braucht.  13 Zwickt dieser Nerv, ist der Spieler im nächsten Spiel kein Spieler.  15 Tricampeão! Auch dank dieses doppelsilbigen Mitglieds des glorreichen Offensiv-Quintetts.  18 Wer dieser kollegialen Pfade gewahr, bringt es im Mittelfeld zum Star.  21 Wenn sie, die nicht mit Urs verwandt, dies beim Pokalfinal performt, tobt das Stadion – aus Wut.  22 So klingt heute – Liga-angepasst – der Torschrei des CR7.  23 Seine Fans sahen in ihm den Zauberer und passten diesen Kurznamen dem magischen Spruch an.  24 Auch wenn ihm kein Flottenkommandant vorsteht, hält sich dieser Klub Wacker.  27 Bei Endrunden ist diese Phase stets das Minimalziel der Nati. Dort erleidet sie regelmässig selbigen.  28 Das letzte Mal ohne Italien:

Finalist. 2018 dank diesem mit seinem Internet-Anhang abgekürzten Land wieder ohne Italien.  29 Er ist der Goalie.  31 Ein Land sehen darin nur Russland und Verbündete. Weltmeister wurde es deshalb auch nur im Turnier der Nicht-FIFA-Verbände.  33 Als Puskas’ Magyaren ihre Lions mit 6:3 überfuhren, dachten die englischen Fans beim Resultat wohl eher an diesen Spielabschnitt an der Church Road.  34 Vorname eines nach Deutschland ausgewanderten Basler Juweels.  35 Zu nationalen Auswärtsspielen ist dieser rumänische Klub auf der Schiene unterwegs.  37 Wo Gashi oder Ziegler scharf schiessen, schiesst dieser Verein noch schärfer – und gefährlicher.  38 Dieser Ausruf ist auch das Kürzeste, was je auf einem Bundesliga-Rücken stand.  39 … söll er sie mache, de Stürmer.  41 Ihm gehörte die wichtigste Ballberührung beim Konzert der Grossen in Soccer City.  44 Des Trainers Beigemüse.  47 Dutzende Klubs setzen sich in Spanien so die Krone auf, bevor die Saison überhaupt begonnen hat.  48 Diese Initialen stehen für gut carotinversorgte Fans für den einzigen Cupsieger-Captain der Klub­ geschichte.  49 Das Salz in der Fussball-Suppe.  52 Nicht-Fussballaffine denken bei «Die zwölf» tatsächlich nicht an ein Magazin – besonders wenn ein Man-City-­ Stürmer noch dabei ist.  53 Dieser Vorname klingt, als wäre er «hier nicht immer» gewesen. Einer seiner Träger war aber fast immer, nämlich 104 Mal, Rechtsverteidiger für die Seleção.  54 Wäre Gigi keine gewesen, wäre der FCB nicht das, was er heute ist.  57 Ob ihn Werner, Walter und Arnold wirklich genossen, ist nicht überliefert. Seither aber kombiniert ein beliebtes Synonym für unsere Nati.  59 Für Fans, die eher wenig sophisticated sind, schlicht der «wanker in black».  60 Als Trophäe eisig, Fussballfans indes denken dabei gleich an den Methusalem auf britschen Plätzen.  61 Einst spielten Vereine um die Schweizer Meisterschaft; heute – kurz gesagt – hauptsächlich solche.  62 Bei Barça nachgefragt, ob Messi verkäuflich sei.  63 Vor Herberger gab es nur diesen einen tierischen.  64 Hätte es nicht Zoff gegeben, wäre er wohl eine nationale Grösse zwischen den Pfosten geworden. So halt nur eine internazionale.  67 Zum Ende solcher kürt man in Lateinamerika die Halb-Meister.  69 Der Vorname des Unglücksraben des «estate italiana», auf dessen Nachname eine der Williams-Schwestern getauft wurde.  72 Kein Gockel, seinem Nachnamen zum Trotz. Kein Opernsänger, seinem Vornamen zum Trotz. Kein Schwinger, obwohl der hier die Namensreihenfolge dieses Holländers bestimmt.  74 Hätte Suárez sie nicht eingesetzt, hätten die Black Stars Geschichte geschrieben.  75 Der weltmeisterliche Goldjunge, mit vollem Namen, blieb im ein­ zigen Duell mit Jörg Stiel torlos.  78 So getauft, der wohl prägendste Penaltyschütze der Fussballhistorie.  79 Am grössten im grossen Kanton, wenn zusammen mit seinem Bundesland.  80 Dies ist exakt der Moment, in dem die Periode beginnt, die Herbergers Zitat beschreibt.  84 Albian wird in Strafräumen weit häufiger gesichtet als dieser Fast-Namensvetter im Himalaya.  85 Eigentlich Anlaufstelle für Best, Gazza oder Adams. Bloss wäre das mit dem ersten Teil dieser Abkürzung schwierig geworden.  87 Gebaut offenbar für Prinzen, läuft heute ein Scheich-Spielzeug dort ein.  90 Die 4 ziert stets seinen Rücken, ob bei Arsenal, Barcelona oder Chelsea. Auf vier Buchstaben wird denn auch sein Vorname stets verkürzt.  91 Gumpt, in voller Länge, momentan nicht gerade zu neuen Rekorden. Mit Umlaut  95 Dieser Kurze ist der Grösste. Und so ruft man den Kurzen kurz.  97 Könnte eine Kunstausstellung der baskischen Untergrundorganisation sein, brachte es immerhin bis zu den ­Gunners.  98 Arg stürmischer Fiesling vom Dienst. Kultureller Abstecher füllte seine 3. Säule, jetzt steht ihm der Ruhestand zu Hause bevor.  99 Der Statistikflut werden Klubs nur mit einer solchen Abteilung Herr.  100 Knup, Herr, Ohrel, Chapuisat – überwunden ist diese letzte Hürde auf dem Weg zum World Cup!  101 Brasilianer mit Arsenal-Meisterehren, im Internet Anhang von US-Universitäten, die eben nicht .commerziell sind.  102 Mangels eigenen Nationalteams müsste ein solcher auf Finnland oder Schweden ausweichen. Dem Engländer ist es gleich.  104 Ob dieser nicht ganz herzige englische Goalie so trainiert?  105 So genannt, bevor dieses Turnier zur Währung wurde.  106 Diesen Schlag kassierte der britische AF – und er war stolz drauf.  109 Nicht einmal das Verhökern des einzigen Meisterpokals hätte den Klub aus dieser Schweizer Stadt vor dem Konkurs retten können.  111 Wenig farbenfroh, aber fast schon lieblich, dieses Schimpfwort für den Spielleiter.  112 In der

Kurzform geht das Weltumspannende, das dieser Klub auch dank vieler GründerSchweizer im Namen trägt, etwas verloren.  113 Lässt man den Buchstaben, den die höchste Liga des Insellandes trägt, weg, heisst der Kontinent, auf den seine National­elf umgezogen ist, noch so.  114 Ohne ihn – so sagt man – sei der Fussball nichts.  115 Ein schlechter Spieler wird mit guter solcher nicht gut, aber immerhin vergoldet.  118  WM-Finalist, Manager, Steuerhinterzieher, Knastbruder – so ge­rufen.  120 Ad diesem hätte der SFV manche Gesten am liebsten gelegt.  121 Nicht nur das Firmenteam von Schindler ist ein solcher.  123 Führte Taulant italienisch ins Bruderduell auf höchster kontinentaler Ebene.  124  Nahrung für Kopfball­ ungeheuer.  125 Sein Nati-Ende war nicht gut, seine Frau ists. Sein Vorname. SENKRECHT 1 Nicht weniger als 12 Erstligisten stellt diese capital.  2 Tatsächlich findet sich dieses Wort im Duden, und zwar nicht bloss in der Aargauer Ausgabe.  3 Solche Spieler

wecken grosse Erwartungen. Und bringen fast immer das Lohngefüge durcheinander.  4 Sind die Gazellen solche und treffen auf die kamerunische Nationalmannschaft, dann gibts ein Gemetzel. Mit Umlaut.  5 Auch ein Klub, aber eher einer für RF.  6 Wo die loyalsten Anhänger von Milliardär-Romans Klub hausen.  7 Nicht nur Firmen, auch Klubs stiften damit grafisch Identität.  8 Der Maradona eines Hoch­ gebirges.  9 Nach einem Spiel als englischer Nationaltrainer war schon wieder Schluss für diesen gross genannten und kurz gerufenen.  11 «O rei» will mit vollem Namen angesprochen werden.  12 Sein philosophischer Bruder ein vergötterter Leichtfuss, er selber Weltmeister in Gelb und Zauberer in 87 waagrecht.  14 Gehört zum Raum, in dem die Eins herrscht.  15 Nur kurze Zeit die Nummer eins bei der (einstigen) Nummer eins im Lande.  16 Keine Romanze – vielleicht etwa GC und der Letzi.  17 Forderte nicht nur an Ostern deren Spezialität. Und dies ist sein Kosename.  18 Früher das Feinkost-Ausnahme-Spiel, heute Alltags-TV-Kost.  19 So spielt, wer die am wenigsten ersehnte Trophäe anstrebt.  20  Bavarisches Feierbiest, ungeadelt.  25 Bezeichnete ursprünglich die Söhne beim Rekord-WM-Gruppen­ phasen-Ausscheider.  26  Wo die Druckerschwärze der Primera gewidmet ist.  27 Hier stehen die Ultras, wenn sie sie nicht kratzen.  30 Fünf Mal in Folge Meistercup-Sieger: Der Mann war mehr als die Ergänzung von Puskás und Di ­Stefano.  32  Auf dem Flügel zuhause ist dieser bundesligaerprobte Holländer.  34 Sagten Kane & Co. nach den Semis.  36 Der Boss auf dem Platz – zumindest auf dem spanischen.  37  Wo Stürmer auch schon mal ein Doppelpak schnüren.  40  Als Auswahl-Skorer weltweit unerreicht, der Mann mit diesem Vor­ namen.  42 Irlanda und Corea fahren manchmal auch von da aus zur Copa del mundo.  43 Die «Daily Mail» schrieb über den ersten nicht-englischen Nationaltrainer, er komme aus einer «Nation von Hammerwerfern und Skifahrern». Letztere betätigen sich dort vor allem in diesem Weltcuport.  45 Verspricht, ins Viereckige zu treffen.  46 Der Nachname in der Dose sehr begehrt, hier mit Vorname als Weltmeister von 1990 gesucht.  50  Beliebt zum Frühstück, dem Torwart grauts davor.  51 Am Rheinknie ein Messias.  52 So visiert der treffsicherste Schweizer aller Zeiten.  55 Für die einen hat er einen «Super»- Vornamen, die andern halten ihn nur für fallsüchtig.  56 Alter Name der heute herausfordernden Liga.  58 Auch wenn der Name es vermuten lässt, dieser FCB-Akteur spielt wenig feminin.  62  La France war in Russland um mindestens diese meilleure.  65  Wo Kanarien­vögel kicken.  66  Des Ultras Bedingung beim Medienkontakt.  68  Der Bundes­liga-erfahrenste einer Luzerner Fussballfamilie. Auch wenn diesen Vor­ namen die meisten mit der Piste assoziieren.  70 In Bümpliz begann, was für den Blonden in dieser US-Stadt endete.  71  Begehrtester Ballon.  72  Besorgte das berühmteste irreguläre WM-Tor.  73 Elf davon sollten «Les Bleues» sein.  76 Ver­ einigt am grössten, als Innenstadt zurzeit am besten.  77 Mit hartem Konsonant fährt er dahin, wo Widzew spielt. Hier mit weichem, dafür stinkts weniger.  81 Als die Nati in Deutschland ihren Gegner austanzte omnipräsent in Boulevard-Schlagzeilen – mangels Reimwörter für den Unterlegenen.  82 Die Schwester des Dopingmittels? Einst Warenhaus.  83 Am liebsten ist mans ganz am Schluss.  86 Gefühle und Rust: Der FC Basel kennt sie in beiden Versionen.  88 Wäre der Name dieses Serie-Siegers Programm, würde er immer auf die Jugend setzen.  89 Die squadra besteht aus ihnen.  90 Damit wird er nicht mit dem heute dicken Brasilianer verwechselt.  92 Wo Christian Gross zuletzt meisterlich feierte, ziert dies das Wappen des Verbandes.  93 Fehlt Tallec und Tissier.  94 Die sinnvollste «match preparation», von Pub-Teams stets zu kurz benutzt.  96 Fahnenstandard.  97 Muss jeder Fussballer heute sein, längst nicht mehr nur in Bilbao.  103 Sind es Schiri und der VAR, bleibt alles wie es war.  107  Abgekürzt im EM-Viertelfinal, machte keinen ­Terror.  108 Braucht der Spielmacher. Hat dank Playstation jeder.  110 So viele sollt ihr sein.  115 Hierauf liegt die Wahrheit.  116 Für Deutschschweizer Goalies ein Befehl  117  Zum Wohnen in Steuerparadiesen, zum Supporten in Birmingham.  119 Spielen Shaqiri und Co., zeigt dies der TV oben links.  122 1 à 1? Hein?

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Text Micha Vogel Bilder Thomas Brückner

Zündlers Abgang

Mladen Petric kann ein Lied davon singen: Wer als ­Zürcher einen FCB-Schal verbrennt, schafft sich Feinde. Unser Autor landete dafür sogar in einem afrikanischen Knast.


M

anch einer hat sich schon bös in die Bredouille gebracht, weil er die Aktionen eines Stars gar arglos imitierte. Dass mir das trotz meines fortgeschrittenen Alters auch mal noch passieren würde, hätte ich jedoch nie und nimmer gedacht. Noch viel weniger, dass das schlechte Vorbild in meinem Fall M ­ laden ­Petric sein würde, wo er mir als FCZ-Fan doch ganz bestimmt nicht als Idol gedient hat. Dass diese Geschehnisse mit schweren Folgen sich im afrikanischen Niemandsland abspielten, passt daher ganz prima zu dieser irren Geschichte. Angefangen hat alles mit einem Angebot, in Angola mit den Mitteln eines Förderfonds Musikstudios aufzubauen. Das arme Land ist voller musikbegeisterter ­Menschen und talentierter Künstler. Doch ­haben diese kaum Möglichkeiten oder das Know-how, ihre Musik aufzunehmen und so einen Teil ihrer Kultur zu bewahren. Stationiert war ich in Cabinda, jener Exklave, die ein­geklemmt zwischen den beiden Kongos am ­Atlantik liegt; eine wunderschöne Region, in der wilder Dschungel nahtlos in lange Strände übergeht. Letztere wollte ich auch an diesem verhängnisvollen Sonntag im letzten März aufsuchen. Zusammen mit e­ inem Freund, der schon länger dort lebte, einem ehe­maligen Eishockeyprofi der Adler Mannheim, machte ich mich in dessen Auto auf den Weg. Weit ausserhalb der Stadt entdeckten wir ein kleines, abgeschiedenes L ­ okal, umrahmt von dichtem tropischem Wald am Hang klebend. Hätten wir es doch einfach übersehen! Doch die Neugierde siegte. Wir fuhren vor, ich stieg aus und erkundete die Bar. Sie war leer. Entdeckung in Cabinda Dass in angolanischen Lokalen unzählige Fussballschals an der Wand hängen, muss nicht verwundern. Obwohl die «Schwarzen Impalas» seit der WM-Teilnahme 2006 eine Durststrecke erleben, ist die Fussballbegeisterung im Land ungebrochen. Dass aber zwischen Manchester U ­ nited, Barcelona und den Grossklubs der ehemaligen Kolonialmacht Portugal auch der FC Basel vertreten war, das war schon sehr ungewöhnlich. Die

Freude über die Tatsache, dass es die kleine Schweiz auch in diese illustre Auswahl geschafft hatte, wich irgendwann bierseliger Grübelei. Warum der FCB? Warum konnte hier kein FCZ-Schal hängen? Die Ent­deckung wollte ich gleichwohl meinen Freunden nicht vorenthalten und forderte meinen Begleiter auf, Fotos von mir und dem Schal zu schiessen. Weil sich kein vernünf­tiger FCZFan einfach so mit einem Fanutensil des Erzrivalen ablichten lässt, nahm ich wenigstens mein Feuer­zeug hervor und hielt es zur Freude des Foto­grafen bedrohlich nahe an das rot-blaue Ding. Eben genau wie damals Mladen Petric bei der GC-Meisterfeier – obwohl es sich da genau genommen um einen Anti-Basel-Schal handelte. Und auch bei mir stand der Schal plötzlich in Flammen. Es dauerte nicht lange, da war ich von empörten Angestellten umzingelt. Das Feuer war schnell gelöscht, ich entschuldigte mich sofort demütig und wortreich, erklärte ihnen die Sache mit Zürich und Basel, dass es nur ein Witz gewesen sei und ich natürlich umgehend Ersatz besorgen würde. Verständnis erntete ich allerdings überhaupt nicht. Man schickte nach dem Chef, worauf mich mein afrikaerfahrener Freund nachdrücklich darauf hinwies, dass es wirklich das Beste sei, möglichst schnell zu verduften. Einfach abhauen? Nicht mein Stil. Ich hatte einen Blödsinn gemacht, und den wollte ich ausbügeln. Ich war überzeugt, dass ich mich auch dieses Mal würde herausreden können. Doch da kannte ich den Barbesitzer noch nicht. Der Chef, ein kleiner, dürrer Mann um die 50 mit langen zotteligen Haaren, war nämlich so richtig sauer. Dass er ein in der ganzen Region gefürchteter chole­rischer Kauz ist, wusste ich da noch nicht. Ich wollte gerade zu einer unterwürfigen Verteidigungsrede ansetzen, da hatte er bereits die Polizei gerufen. Tatsächlich standen kurz darauf – keine Ahnung, wie die das so schnell geschafft hatten – zwei Schwarzuniformierte im Raum. Ihnen versuchte ich meine Aktion als eine Art Kunstprojekt zu verkaufen, doch sie verzogen nicht einmal ihre düsteren Mienen und führten mich ohne langes Feder­ lesen ab in ihrem nur halbwegs fahrtaug­ lichen Polizeiauto.

Weil sich kein FCZ-Fan mit einem Basel-Schal ablichten lässt, nahm ich wenigstens mein Feuerzeug hervor.

Ich wurde zu einem abgeschiedenen kleinen Wachposten gekarrt, der von streunenden Hunden belagert war. Der Ranghöchste bat zum Verhör in einem kahlen Raum mit feuchten Betonwänden. Sorgen machte ich mir aber noch keine, schliesslich betonen Beamte nicht nur in Afrika gerne ihre Wichtigkeit. Und wenn die ganze Show vorüber ist, dachte ich, löst sich dann doch alles in Wohlgefallen auf. Doch dieses Mal sollte ich mich täuschen. Das Theater war nicht nach zehn Minuten und ein paar Beteuerungen vorbei, nein, das Verhör zog sich über Stunden hin, in denen ich immer wieder die gleiche Geschichte erzählen musste. Doch keiner wollte verstehen, wie das so ist mit dem FC Basel und dem FC ­Zürich. Wie es mit mir, dem Schalvandalen, weiter­ gehen soll, konnte aber auch niemand ­sagen. Und so wurde ich weiterverfrachtet, ins ­Polizeihauptquartier der Provinzhauptstadt Cabinda. 40 Gefangene auf 8 Quadratmetern Mein Freund versuchte derweil vergeblich, sämtliche ihm bekannten einflussreichen Personen per Telefon zu erreichen. So langsam fand auch ich die Situation sehr ungemütlich. Es war schon dunkel, als ich in den

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Lausbubenstreich mit Folgen: Die kurze Flamme führte zur Verhaftung und endlosen Verhören in der lokalen Polizeistation.

riesigen flachen Betonbau geführt wurde, der stark an eine mittelalterliche Festung erinnerte. Drinnen herrschte ein einziges Chaos: Auf den Schreibtischen türmten sich Papiere, Polizisten huschten wild umher; es war stickig, feucht und die Mücken klar in der Überzahl. Doch am schlimmsten waren zweifellos die Zellen, wobei diese Bezeichnung ein Hohn ist. Es waren eher ­schmale Gänge, kaum zwei Schritt breit und etwa acht Meter lang, in denen dicht gedrängt die Unglücksraben standen, die sich bei ­ihren Missetaten hatten erwischen lassen. Ab und zu spritzte ein Wärter die Gefangenen mit einem Schlauch ab. Eine Nacht hier drin, dachte ich, würde ich nicht überleben. Erneut musste ich zu einem Verhör antraben und meine Version des verhängnisvollen Rencontres zwischen FCB-Schal und Feuerzeug erzählen. Mein Pass wurde mir abgenommen, wieder musste ich warten. Um Mitternacht endlich traf der Richter ein. Ich rechnete damit, dass der Spuk nun endlich ein Ende finden würde. Doch mir wurde lediglich beschieden, dass heute gar nichts mehr gehen würde. Das hiess: ab ins Gefängnis. Nicht über Start, Honorar nicht zahlbar. Moskitos im Kerker Ich wurde in die Zelle geführt, wo meine etwa 40 Mitgefangenen so gut wie möglich Platz machten. Der Moment, den ich am meisten fürchtete, war jener, in dem das Schloss zufiel und wir uns selbst überlassen waren. Ich hatte keine Ahnung, wie diese Klein- und

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Eine Nacht in dieser Zelle, dachte ich, würde ich nicht überleben.

Mittelkriminellen auf den ungewohnten Besuch reagieren würden. Immerhin diese Angst war unbegründet. Ich wurde freundlich aufgenommen in ihren Kreis, und als ich den Grund meines Aufenthalts verriet, brach schallendes Gelächter los. Einige von ihnen wurden hier schon seit Monaten festgehalten, ohne Stuhl, ohne Bett, der einzige Kontakt zur Aussenwelt war der Blick durch ein kleines, vergittertes Fenster. Meinem Freund, der mich bis dahin begleitet hatte, wurde immerhin gestattet, mir etwas zu essen zu besorgen. So wie meine Mitgefangenen sich über die zwei Poulets hermachten, die ich mit ihnen teilte, lag der Verdacht

nahe, dass es auch um die Versorgung hier nicht zum Besten bestellt war. Als Dank dafür bekam ich ein langärmliges T ­ -Shirt, das mich in dieser malariaverseuchten Gegend vor den Moskitostichen schützen sollte. An Schlaf war freilich nicht zu denken. Der Gestank war höllisch, und Platz zum Hinsetzen oder gar Liegen war ohnehin nicht vorhanden. Und dann – endlich! –, um 8 Uhr am Montagmorgen, erschien der Staatsanwalt in Begleitung des Barbesitzers und dessen Anwalt. Lange Reden wurden geschwungen, in meiner Verzweiflung offerierte ich so viele Basel-Schals, wie ich nur würde kriegen können. Schliesslich einigten wir uns darauf, dass ich innerhalb von fünf Tagen drei verschiedene würde liefern müssen, und ich kam gegen eine kleine Kaution frei. Der Horror hatte ein Ende. Dank der hoch professionellen Arbeit des FCB-Web­ shops konnte ich meine Schuld einlösen und erhielt dafür meinen Pass und meine Freiheit zurück. Kurz darauf liess der neu gewählte ango­ lanische Präsident den Förderfonds umstrukturieren, und ich musste meine Zelte leider abbrechen. Zurück in der Schweiz, erlebte ich immerhin, wie der FC Zürich den FC Basel mit 4:1 aus dem Letzigrund schoss. Eine süsse kleine Revanche. Ich feierte den Sieg natürlich im blau-weissen Schal. Und auf dem Heimweg dachte ich mir bei jedem FCB-Fan mit Halsschmuck, den ich kreuzte: Ihr habt ja keine Ahnung, was so ein Stück Wolle auslösen kann!•


Auswä rtsfahrt

Text und Bild Patrick Haller

Dominanz in Grün-Weiss Die fussballerische Entdeckungsreise nach Skandinavien sorgte zwar nicht für die erhoffte Abkühlung während der mitteleuropäischen Hitzewelle, doch die nordischen Ligen – allesamt Sommermeisterschaften – boten zahlreiche Optionen für einen Spielbesuch. Trelleborg, die südlichste Stadt Schwedens, war von Malmö aus bequem in 30 Minuten mit der Lokalbahn Pågatåg zu erreichen. Das Städtchen, bekannt für seinen gros­ sen Fährhafen und die palmen­gesäumte Hauptstrasse, präsentierte sich als verschlafenes Nest. Das Stadion Vångavallen mit dem charakteristischen Schriftzug an der Haupttribüne war in der Vergangenheit immer wie-

Trelleborgs FF – Hammarby IF 1:3 Allsvenskan, 15. Spieltag, 30. Juli 2018, ­Vångavallen, 5381 Zuschauer

der baulichen Veränderungen unter­zogen worden. An die einstige Leichtathletik­anlage am Östervångsparken erinnert nur noch die deplatzierte Anzeige­tafel. Auf den Hintertorseiten wurden zwei Stahlrohr­tribünen errichtet, wovon eine als Gästeblock genutzt wird. Dieser war an diesem Montagabend gut gefüllt, der Anfahrtsweg von stolzen 650 Kilo­ metern war für eine beachtliche Anzahl Fans der «Bajen» keine Abschreckung.

Erst nach einer halben Stunde, als sich Hammarby mit einem Doppel­ schlag ab­z usetzen vermochte, war das gesamte Ausmass des treuen Gäste­ anhangs aus der Hauptstadt zu erkennen: Nicht nur der eigene Sektor, sondern auch die halbe Gegengerade sowie Teile der Haupttribüne waren fest in grün-weisser Hand. Seit Jahren sorgen die Fanmassen aus dem zentralen Stockholmer Stadtteil Södermalm für die höchsten Zuschauerzahlen im skandinavischen Raum, obwohl Hammarby (einziger Meister­ titel 2001) sportlich oftmals im Schatten der Lokal­rivalen AIK und Djurgården steht und die letzten Meisterehren nach Malmö und Norrköping gingen. Kein Wunder also, dass die kleine Gruppe der aktiven Heimfans (Zaunfahne: «True Blues») akustisch so chancenlos war wie die eigene Mannschaft auf dem Rasen. Einzig das Intro mit mehreren Fahnen blieb gemessen an der geringen Anzahl Supportern positiv in Erinnerung, während es bei den zahlenmässig überlegenen Gästen durchgehend etwas auf die Ohren gab. Es

begann mit ruhigeren Melodien, die eisern repetiert wurden, später wurde es bei mehreren Wechselgesängen mit der Gegengeraden brachialer. Wechselgesänge bei Auswärtsspielen, das schaffen wahrlich nicht viele Klubs. Ausserdem war ein halbes Dutzend grosser Schwenkfahnen rund um die führenden Gruppierungen Hammarby U ­ ltras 1993 und Ultra Boys 1999 pausenlos in Bewegung. Kurz nach dem Seitenwechsel durfte die langjährige Fahrstuhlmannschaft Trelle­ borg mit dem Anschlusstreffer nochmals Hoffnung im Kampf um wichtige Punkte gegen den Abstieg schöpfen, aber Hammarby – zuvor im Sinne der Resultatverwaltung agierend – sorgte schliesslich nach 70 Minuten für die endgültige Entscheidung. Die lautstarken Feierlichkeiten in den Gästebereichen hielten bis weit nach Schlusspfiff an.

Das grosse Z W ÖLF-Quiz ZWÖLF präsentiert in jeder Ausgabe eine anspruchsvolle Frage, für die einschlägige Internetsuchportale mit einer einfachen Abfrage keine brauchbaren ­Resultate l­ iefern. Wer hier reüssiert, darf sich mit Recht zum erlauchten Kreis der Fussballkenner zählen. Frage:

Kevin Mbabu und Dimitri Oberlin kamen kürzlich zu ihrem Länderspiel-Debüt. Wir hoffen, es gehe ihnen nicht gleich wie ­diesem Trainer und diesem Spieler in der Super League, bei denen das erste Spiel für die Schweizer Nati auch gleich das letzte war. Wie heissen diese beiden Herren?

Wer die Lösung weiss, gewinnt mit etwas Glück das Buch «Der FC Basel und seine Stadt – Eine Kulturgeschichte» (siehe S. 45).

Die Lösung der letzten Ausgabe:

Gerardo Seoane Gewonnen hat: Manuel Fuhrer aus Affoltern am Albis Mitmachen geht so:

E-Mail mit der Lösung an ­wettbewerb@zwoelf.ch Einsendeschluss ist der 10. Oktober 2018.

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Knapp daneben

Sm alltalk von PASCAL CLAUDE

Schiessbefehle Mittwochabend im Wankdorf. Die Young Boys brauchten noch ein Tor. Sie rennen an, aber Dinamo Zagreb verstellt die Wege mit allen Beinen, die zur Verfügung stehen. Sanogo zieht einige Meter ausserhalb des Strafraums von halb rechts nach innen, kann sich aber keinen Quadratmeter Raum verschaffen. Er solle schiessen, schreit der Zuschauer in der vorderen Reihe, warum zum Teufel schiesse er denn nicht? Der Mann dreht sich um, sucht Bestätigung und findet sie zahlreich: Ja, genau, warum schiessen die denn nicht? Hände werden verworfen, Verwünschungen ausgestossen. Sie schiessen nicht, weil sie Profifussballer sind. Und sie sind unter anderem deshalb Profifussballer, weil sie gelernt haben, in kürzerer Zeit bessere Entscheidungen zu treffen als andere. Dazu gehört, in der Schlussphase eines Spiels, in dem die eigene Mannschaft dringend ein Tor benötigt, den Ball nicht leichtfertig dem Gegner zu überlassen, indem man zwanzig Meter vor dem Tor ­doppelt geblockt zum Schuss ansetzt. Ein Spieler wie Sanogo weiss in diesem Moment, dass Schiessen die dümmstmögliche Entscheidung wäre. Ein Stadion ist ein schöner Ort, um während andert­ halb Stunden völligen Quatsch von sich zu geben. Der Reiz eines Spielbesuchs liegt nicht zuletzt darin, diesem Quatsch zuzuhören und nach Möglichkeit selber etwas beizusteuern. Erstaunlich bleibt dennoch, wie wenige Menschen, die regelmässig Fussball schauen, sich für das Spiel an sich interessieren. Und auch, wie selten die Versuche sind, dieses Interesse zu wecken. Es ist wahr, Livespiele im Schweizer Fernsehen zu verfolgen, ist keine Freude. Doch nicht die teils un­ gelenke Sprache und die platten Sprüche sind das Problem, sondern dass der Kommentar in aller Regel keinerlei Mehrwert zum Bild liefert. Fussballkommentatoren in der Schweiz sehen entweder nicht mehr als das, was wir vor dem Fernseher alle auch sehen, oder sie sind dazu angehalten, ihr tieferes Verständnis des Spiels für sich zu behalten, um uns Zuschauende nicht zu über­ fordern. Beides wäre eher traurig. Laut den holländ ischen Datena nalytike rn von ­1 1tegen1 1 hatte sich die Schweiz in den drei WMGruppen­spielen Chancen für insgesamt 3,68 Tore er­ arbeitet, also für etwas mehr als ein Tor pro Spiel. Achtel­ finalgegner Schweden dagegen kam auf einen Wert von 4,9. Das Achtelfinale selber bestätigte diese Differenz: Die Nati war schlicht zu ungefährlich – man könnte auch ­sagen: zu wenig gut – für einen Verbleib im Turnier. Auf SRF aber wird das Aus unmittelbar nach dem Spiel mit mangelnder Einstellung und Identifikation erklärt, was der «Blick» bis heute mithilfe reaktionärer Fachleute wie ­Stéphane Henchoz bewirtschaftet; als ­hätten drei Grätschen mehr zu Toren geführt. So wird aus Desinteresse am Spiel im Handumdrehen Politik. Es ist zum Schiessen.

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2005 musste sich Milan-Ver­ teidiger Alessandro Nesta einer Operation unterziehen. Er hatte derart exzessiv Playstation gespielt, dass die Sehne in seinem linken Daumen einen chirurgischen Eingriff nötig machte. Beim Sieg im International Champions Cup im August dieses Jahres über Liverpool war Dortmunds Christian ­Pulisic mit zwei Toren und einem Assist die grosse Figur. Zum «Man of the Match» in Chicago wurde allerdings Liver­pools Virgil van Dijk gewählt. Denn die Auszeichnung wird von Heineken präsentiert, und in den USA darf ein 19-Jähriger wie der US-Mittel­ feld­spieler keine alkoholi­ schen Produkte bewerben. Die Roma- und Parma-Legende Hidetoshi Nakata ist heute Reporter für das LifestyleMagazin «Monocle», das von seinem guten Freund, dem Stardesigner Tyler Brûlé, heraus­gegeben wird. Das Hinspiel im Cup der Cupsieger 1971/72 zwischen den Rangers und Sporting hatte 3:2 geendet, mit dem gleichen Resultat gewannen die Portugiesen das Rückspiel. In der Verlängerung trafen beide Teams je einmal. Die Schotten hatten also mehr Auswärtstore erzielt, doch Schiedsrichter van Ravens kümmerte dies nicht; er bat zum Penaltyschiessen. Die Rangers brachten keinen Versuch im Tor unter, das Heimteam jubelte. Erst am Tag danach bemerkte man bei der UEFA den Irrtum und hievte die Rangers in den Viertelfinal. Van Ravens wurde suspendiert, die Rangers holten den Pokal. Seit 2013 wird in der Primera División der «Spieler des ­Monats» ausgezeichnet. Bis

November 2015 hatte der FC Barcelona die Liga, den Cup sowie die Champions League und den UEFA Super Cup gewonnen, erst dann aber erhielt mit Neymar zum ersten Mal ein Barcelona-Profi die ­Trophäe als «Spieler des ­Monats». Der Club Deportivo Godoy Cruz aus Mendoza spielt im Estadio Malvinas Argentinas – zu Deutsch «Stadion argenti­ nische Falklandinseln». Diese liegen zwar über 2000 Kilo­ meter entfernt von der Heimstätte und gehören nach wie vor zu Grossbritannien, mitten im Krieg erhielt das Stadion 1982 aber den patriotischen Namen verpasst und trägt ihn bis heute. Im Dezember 1891, es war eiskalt, hatte Blackburn bei Burnley anzutreten. Zur Halbzeit lagen die Gäste bereits 0:3 zurück, und einige ihrer Spieler zogen es vor, in der warmen Kabine zu bleiben. Nach Wiederanpfiff wurden zwei Blackburn-Spieler des Feldes verwiesen, woraufhin die verbliebenen Mitspieler ohne Hoffnung auf Punkte ebenfalls in der Garderobe verschwanden. Es verblieb einzig Torwart Herbie Arthur. Als Burnley das Spiel mittels Freistoss wiederaufnahm, schrie Arthur sofort «Offside» – gemäss den damaligen Regeln korrekt. Für seinen Freistoss wiederum nahm sich der Goalie dann endlos viel Zeit. So ging das eine Weile hin und her, bis der Referee aufgab und die Partie abbrach.


Auch schon in die Röhre geschaut?

Am Kiosk ists ausverkauft, im Büro hats schon jemand mitgehen lassen: Für Leute ohne ZWÖLF-Abo lauern Gefahren überall. Mit dem 2-Jahres-Abo verpasst du keine Ausgabe unserer feinsten Schweizer Fussballgeschichten mehr. Für 98 Franken darfst du zwölf Mal ein druck­frisches Magazin aus deinem ­Briefkasten fischen – und das ist dann ganz für dich alleine.

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