ZWÖLF #28

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Januar / Februar 2012

Kurven-theater / die ewige nr. 2 / YB-Akademie / fc united z端rich


Š 2011 adidas AG. adidas, the 3-Bars logo and the 3-Stripes mark are registered trademarks of the adidas Group.

Rubrik

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ZWÖLF IST FAN S

portlich gibt diese Saison bislang wenig zu reden. Im Fokus stehen derzeit eher die Fans, die von diversen Seiten Prügel einstecken müssen. Mit der vorliegenden Ausgabe haben wir versucht, ein Gegenstück zum medialen Chor zu schaffen, der Pyro-Trottel auf die Schlachtbank führt und eine eiserne Hand fordert. Wir haben akribisch genau Protokoll geführt, was an einem Spieltag im Spannungsfeld Fans/Sicherheitskräfte abgeht und interessierten uns dafür, wie auf Provokationen reagiert wird. Nach unzähligen Monaten ist nun auch Dario Venuttis Artikel genug gereift, in dem er den Weg der Ultrà-Bewegung von ihren Anfängen bis zur drohenden Selbstzerstörung aufzeichnet. Als Abschluss unseres Fan-Blocks sinniert Fanarbeiter Thomas Gander darüber, wie die oft geforderte Nulltoleranz das soziale Potenzial einer Kurve zerstören kann. Selbstverständlich trauten wir uns auch auf den Rasen und holten uns von da die Frohnatur Ludovic Magnin zum unterhaltsamen Zwiegespräch. Zur ungemütlichen aktuellen Lage gabs zwar keinen Kommentar, dafür sonst umso mehr zu lachen. Kleiner Gratistipp an dieser Stelle: Um Ludo aufzumuntern, braucht man lediglich das Zauberwort «Ailton» zu sagen. Ähnliche Erfolge wie Magnin will man bald auch beim FC United Zürich feiern, denn immerhin will man 2018 Schweizer Meister werden. Noch steckt man in der 2. Liga fest und macht Journalisten bei allzu kritischer Berichterstattung gerne mal sanft auf die Möglichkeiten des Schweizerischen Rechtssystems aufmerksam. ZWÖLF besuchte diesmal auch jene Personen, die es höchst selten ins Rampenlicht schaffen. Unser Herr Lerch unterhielt sich mit einigen Ersatztorhütern über ihre nicht immer befriedigende Rolle, in Malta stöberten wir das einstige Schweizer Talent Carlo Polli auf und in London trafen wir mit Martin Angha einen viel versprechenden Arsenal-Junior, dessen grösster Wunsch es ist, es dort zu Ruhm zu bringen. Apropos Wunsch: Dank einer unglücklichen Panne bei der Post wurden die Wunschzettel dieses Jahr statt beim Christkind in der ZWÖLF-Redaktion abgeliefert. Nach langen internen Diskussionen haben wir uns dann entschlossen, unserer Informationspflicht nachzukommen und einige der streng geheimen Wünsche von Schweizer Fussballern öffentlich zu machen. Nach so vielen Wünschen wünschen wir euch nun aber nichts anderes als viel Vergnügen bei der Lektüre. Eure eigenen Weihnachtswünsche erfüllen wir euch übrigens auch auf www.zwoelf.ch/xmas Euer ZWÖLF-Team

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290 Dinge, Die . keine Sau inTereSSieren

Neues aus dem Hause ZWÖLF: Wir wissen schon: Eigenlob stinkt. Darum setzen wir uns mal die Atemschutzmaske auf und erzählen euch von diesem schönen kleinen Büchlein, das wir ganz alleine für euch gemacht haben. Es beinhaltet auf 48 Seiten fast 700 skurrile Fakten, schräge Anekdoten und komplett überflüssige Statistiken, wie ihr sie von der letzten letzten Seite unseres Hefts bereits kennt. Klassisches unnützes Fussballwissen eben. Zu den gesammelten bereits erschienenen und aktualisierten Geschichtchen gesellen sich nochmals so viele neue unveröffentlichte Dinge, die wahrlich keine Sau wissen muss. Entstanden ist die ideale, weil äusserst kurzweilige und unterhaltsame Klolektüre, die euch die Zeit zwischen zwei ZWÖLF-Ausgaben versüssen soll. Erhältlich ist das Werk ausschliesslich über uns (www.zwoelf.ch/smalltalk) für läppische 6 Franken. Das Heftchen gibts als Bonus gratis dazu beim Abschluss eines 2-Jahres-Abos.


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Planet Constantin: Der Walliser Sonnenkönig im O-Ton

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Wie gesagt, äh…: Fussballer reden

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Circus Tschagajew: Grosse Töne vom Xamax-Tschetschenen

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Die Liste: Der vom Erfolg begleitete Weg von Longo Schönenberger

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Auswärtsfahrt: Beim etwas anderen Leipziger Verein Roter Stern

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Das Fundstück: Ein YB-Jubelbuch aus den 50ern

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Grüsse aus der Challenge League: Optimismus in Kriens

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Der Cartoon: Nulltoleranz für Pyros in der Cüpli-Ecke

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Beni Thurnheer: Das antizyklische Nationalteam

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Die Single: ‘s Fründschaftsspiel

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Klassenfahrt: Auf Reisen mit der Schweizer Nati

DIE BRODELNDE KURVE 16 Matchbericht Protokoll eines Fussball-Theaters 24 Auge um Auge Von den Anfänge der Ultras und ihr Weg zur Selbstzerstörung 26 Zero Tolerance Wie das soziale Potenzial der Kurve zerstört wird 28 «Der Spass muss im Vordergrund stehen» Ludovic Magnin über das Manko der Jungen, Lucien Favre und Leoparden-Unterhosen 36 Auslandschweizer: Carlo Polli, der Malteser 39 Die Fairsten der Schweiz Der FC Freienbach gewann die Fairplay-Trophy

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S.

41 Rechnen mit YB Trotz Profit kippten die Berner die Kooperation mit einer ivorischen Fussballschule 44 Die ewige Nummer 2 Vom harten Los des Ersatztorhüters 50

Generation U: Martin Angha von Arsenal

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Unser Mann in London: Peter Balzli über den Streit um Mohnblüten

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Schweizerreise: Die hochtrabenden Pläne des FC United Zürich

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Schwarzes Brett: Bücher, ein Game und eine spezielle Jubiläumsedition

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Spiel meines Lebens: «Mac» Tanner über sein Nati-Debüt

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NLA-Legende: Grossmaul «Klima» und ein kurzes Gastspiel in St.Gallen

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Mämä erklärt: Düsteres neues Jahr

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Smalltalk und Impressum ZWÖLF goes interactive Herausreissen war gestern. Mit dem kostenlosen Paperboy App von kooaba lassen sich Artikel jetzt aus ZWÖLF direkt übers iPhone oder Android-Handy anschauen, teilen und weiterempfehlen.


Planet Constantin «Gut, er war in den letzten drei Jahren eher Zügelmann als Fussballer.» Nur: Einen wirklich längerfristigen Wohnsitz könnte er ihm im Wallis ja auch nicht bieten. Constantin über sein Interesse an Gelson Fernandes im «Nouvelliste».

«Dort trainiere ich für die Patrouille des Glaciers. Tausend Meter Höhenunterschied. Wenn du oben ankommst, bist du tot.» Oder Sieger im Kampf gegen die UEFA. CC beim Anblick einer Treppe in einer Steilwand vom Flugzeug aus.

«Er war ein wunderbarer Fussballer, hatte tolle Füsse. Aber mit dem Kopf hat er es nicht so.»

Und tatsächlich redet CC nicht von Kopfballstärke. Constantin im «SonntagsBlick» über Michel Platini.

«Was die hier mit unserer Geschichte machen, erstaunt mich ja selber.» Tja, in Spanien gäbs nichts zu klagen, äh, also nichts zu beklagen. CC über das grosse Interesse von spanischen Medien an seinem juristischen Streit mit der Fussball-Welt.

«Ohne die Medien gibt es keine Revolution!» Und auch keine Daily-Sion-Soap. CC kann seine Freude über das spanische Medien-Echo nicht verbergen.

«Und? Wie war ich?» CC nach seinem Vortrag zur Causa Sion zu ziemlich jeder Person, die ihm gerade über den Weg lief.

«Nein, nein, da kommen noch einige Erdbeben.» «Schatz, wars das schon?» oder «CCs heiliges Versprechen».

«In Anbetracht der Widersprüche (...) stellt sich heraus, dass die Liga an schwerwiegenden Funktionsstörungen leidet.» Ferndiagnose aus dem Wallis. Aus einem Brief CCs an die Liga.

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wie gesagt, äh . . . Auf der Suche nach Bulat Tschagajew hat «Le Matin» doch tatsächlich einen Journalisten vor dem Haus des Vermissten abgestellt. Und der tickerte doch tatsächlich live. Es war dermassen packend, dass es zu vier Einträgen kam. Hier nochmals in Zeitlupe und übersetzt: +++ 8h29 Ein erster schwarzer Mercedes mit Genfer Nummernschild, zugelassen auf den Namen von Dagmara Trading, Bulat Tschagajews Firma, biegt in die Einfahrt zu dessen Haus ein. Drinnen sitzt nur ein Chauffeur. Auf der anderen Strassenseite mischt sich ein Wachmann in die Diskussion ein. +++ 9h46 Er erhält einen Anruf, verabschiedet sich und geht ins Haus. +++ 9h49 Der Mercedes verlässt die Tiefgarage. Es sitzt nicht mehr der gleiche Chauffeur am Steuer, sondern der Leibwächter. Wurde Bulat Tschagajew in Sicherheit gebracht? +++ 10h29 Seine Gattin steigt in einen zweiten Mercedes, zugelassen auf Xamax. Sie verlässt ihren Wohnsitz, der deshalb fortan nicht mehr überwacht werden wird. +++ Dann der erste Leserkommentar: «Um welche Uhrzeit hat er Pipi gemacht?»

Apropos Pipi: Ihm würde eine zweiwöchige Meisterschaftspause sehr guttun, bekannte kürzlich Marco Streller (30) grinsend. «Ich bin ja nicht mehr der Jüngste.» Regelmässig alt sehen in letzter Zeit auch die Grasshoppers aus. Und dann noch dieser Flyer zum 125-Jahr-Jubiläums-Fest: «Ab 14 Uhr: Familiennachmittag. Mit der 1. Mannschaft und vielen Attraktionen». Man gibt sich also realistisch beim einstigen Nobelklub und sieht ein, dass die 1. Mannschaft selbst nicht mehr wirklich eine Attraktion ist. Womit wir bei den Young Boys wären. «Wir müssen uns von den Titelgedanken lösen», erkannte kürzlich CEO Ilja Kaenzig im Interview mit dem «Tages-Anzeiger». Bevor er als Mittel zum Zweck «Loslassen» zu Hypnose oder Therapie greift, sei auch YB das Wundermittelchen von Ottmar Hitzfeld empfohlen:

«Wir müssen noch Fortschritte machen», verriet der Nati-Trainer die Lösung sämtlicher Probleme auf sf.tv


Mit Schritten allgemein ist es ja so eine Sache bei Hakan Yakin. Je älter, desto weniger. Da ist es doch interessant, dass Luzern nun mit einem Schuh testet, der die Laufdistanz mittels Chip speichert. «Ich glaube, das ist bei ihm nicht so wichtig. Er konzentriert sich mehr auf das, was auf dem Platz passiert», lautete Murats trockene Antwort auf die Frage, ob Haki da wohl gut wegkomme. Einen interessanten Grund für die Nicht-Nomination für die EuropaLeague-Partie gegen Rennes fand der «Blick» im dazugehörigen Telegramm: «Udinese ohne Abdi (geschont)». Fitness ist wahrlich wichtig für ihn, wird er doch regelmässig für die letzten paar Minuten eingewechselt.

Von Trendwende ist derzeit auch in Österreich viel die Schreibe. Drei kurze Einschätzungen von übergangenen Kollegen zu Neo-Ösi-Teamchef Marcel Koller: «Solche Trainer haben wir bei uns genügend» (Herbert Prohaska). «Facebook-Trainer» (Paul Gludovatz). «No-Name-Trainer» (Kurt Jara). Kein No-Name-Trainer ist hingegen Ottmar Hitzfeld. Deshalb lassen wir den folgenden Satz von ihm hier gerne unkommentiert stehen: «Djourou ist besser als Mertesacker.»

Und zum Schluss, ebenfalls unkommentiert, noch ein Satz aus einer «11 Freunde»-Online-Kolumne von Frank Baade über das Jubeln bei annullierten Toren: «Bevor ihnen dann auffällt, dass ihr Treffer keine Anerkennung findet und all die Grashalme beim Torjubel völlig umsonst platt gewalzt wurden wie auch das gesamte Auslösen des Jubelprogramms (das offensichtlich über einen «Point of no return» verfügt, nach dessen Überschreitung unwiderruflich das gesamte Programm abgespult werden muss, Männer werden eher verstehen, wovon dabei die Rede ist) einem Fehlalarm zugrunde lag.»

Circus TSCHAgajew «Verbindungsmänner haben mich gebeten, den Verein untergehen zu lassen.» Wenn man bedenkt, dass Tschetschenen einem keinen Wunsch abschlagen können... Xamax-Boss Bulat Tschagajew bringt im Interview mit der Sportinformation neue Akteure ins Spiel.

«Keine der 20 grössten Schweizer Banken akzeptiert mich als Kunden.» Kein Götti-Konto also, kein Goldvreneli-Eintausch. Oder was hätte Tschagajew denn von den Banken gewollt?

«Es ist ein politisches Problem. Und ich weiss, wer die Banken dazu bringt, so zu handeln.» Aber, und das ahnen Sie ja wohl bereits: Nein, er will/kann/darf/ muss/soll/möchte (Ihrer Meinung nach Zutreffendes bitte unterstreichen) einfach nicht sagen, wer es ist.

«Niemand hat mich bisher wirklich gebeten, die Herkunft meines Geldes zu belegen.» Und wenn doch, dann erhielte er ungefähr folgende Antwort:

«Ich sage es Ihnen aus zwei Gründen nicht. Zum einen, weil meine Geschäfte die Börsen von Südkorea, Hongkong und New York betreffen. Wenn ich rede, kann das Konsequenzen haben. Zum anderen ist es einfach schwierig, darauf zu antworten. Ich kann heute eine Milliarde gewinnen und morgen pleite sein.» Wie hoch Tschagajews Vermögen ist und wie er dazu kommt, wissen wir nach dem Interview mit «Le Matin» immer noch nicht. Aber er hat uns überzeugt, dass er einem äusserst ehrenwerten Beruf nachgehen muss.

«Thomas Milller.» Ja genau, Miller mit 3 L. So hiess der Mitarbeiter der Bank of America, der die Garantien für Tschagajews Vermögen unterschrieben haben soll. Dabei stand doch schon im YPS-Heft, wie man AgentenAusweise fälscht.

«Fuck you!»

Schau an, er kann ja doch Fran... äh Englisch. Tschagajews Mitteilung an einen Journalisten, nachdem die Fälschung der Bankgarantie aufgeflogen war.

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Die Liste

Der seltsame Fall des Longo S. «Wo Urs Schönenberger arbeitet, hat er Erfolg», schrieb einst die NZZ. Jetzt ist der Erfolgscoach wieder zu haben. FC Zürich

(1998–2001) Raimondo Ponte holte ihn als Co-Trainer zum FCZ zurück. Und schon im zweiten Glied machte sich Longo einen Namen als von Ehrgeiz getriebener Schleifer. Zur Weissglut trieben ihn Spieler, die ihr Potenzial nicht ausschöpften, wie etwa die georgischen Zauberer Kawelaschwili und Jamarauli: «Die beiden musste man jeden Tag peitschen», erinnerte sich Schönenberger im ZWÖLFInterview. Gehen musste Longo indes nicht wegen etwaiger Misshandlungen, sondern auf Betreiben des neuen Sportchefs Erich Vogel. Zwei Jahre später wäre er fast wieder als Co beim FCZ gelandet. Nach einem Gespräch entschied sich der neue Cheftrainer Lucien Favre schliesslich aber für Harald Gämperle und gegen Longo.

FC Winterthur (2001–02)

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Auf seiner ersten CheftrainerStation im Nationalliga-Bereich machte es Longo nur ein halbes Jahr. Souverän und in teils spek-

takulärer Manier führte er den FCW in die Auf-/Abstiegsrunde. Und noch Jahre später war er überzeugt, «dass wir aufgestiegen wären, wenn Präsident Keller für die Aufstiegsrunde zwei, drei gute Spieler hinzugekauft hätte». Der aber erklärte, er könne kein Geld in den Verein einschiessen – worauf sein Trainer im Winter das Handtuch warf und zu Kriens ging. Nicht alle in Winterthur sollen unglücklich über seinen Abgang gewesen sein. Die Rede war von einem «relativ grossen Kreis» von Spielern, die sich schlecht mit Longo verstanden hätten.

SC Kriens (2002–03)

Die Luzerner betreute Longo stattliche 18 Monate lang – und führte sie immerhin in die Auf-/ Abstiegsrunde. Beim «schwer nachvollziehbaren Abgang» («Neue Luzerner Zeitung») im Sommer 2003 war das Verhältnis zu Präsident Toni Burri gleichwohl nicht das beste. Das lag nicht zuletzt an dessen Sohn Reto, der seinerzeit auch im Krienser Kader stand – mit Betonung auf «stand», denn um Retos Fitness entspann sich ein verbaler Schlagabtausch der amüsanteren Art. «Dass Reto nie den Marathon von New York gewinnen wird, weiss man seit zehn Jahren. Er ist aber immer für ein Tor gut, und deshalb sollte er auch spielen», befand

der Papa und Präses. Worauf sein Trainer meinte: «Von Gewinnen kann keine Rede sein; Reto würde bei einem Marathon nicht mal das Ziel sehen. Er ist zu weich und ausserdem überheblich.» Um dann noch nachzudoppeln: «Nervös tigert der Vater herum und macht öffentlich Stimmung für Reto, statt ihn einmal in den Hintern zu treten.» Am Ende befand Toni Burri, dass «die Chemie einfach nicht mehr gestimmt hat».

FC Luzern (2003)

Beim damaligen NLB-Verein wurde Longo auf dem zweiten Tabellenrang entlassen. Als Grund für den überraschenden Rausschmiss nennt er im Rückblick einen Grabenkampf zwischen den Spielern Rota und Brand sowie eine Intrige von Sportchef Natale: «Natale hat im Hintergrund gegen mich

gearbeitet. Er hat eine Abstimmung organisiert. Die Spieler sollten entscheiden, ob sie weiter mit mir zusammenarbeiten wollen. Die Abstimmung war lächerlich.» Gemäss dem vermeintlichen Rädelsführer Christian Brand waren indes die «schlechte Stimmung», «enorm hohe Ansprüche» und der «Riesenabstand» des Trainers zum Team die Gründe für dessen Entlassung. Gar nicht einverstanden war Longo schliesslich auch mit der Art, wie die Trennung ablief. Diese habe ohne Präsident Pfister stattgefunden, weil der den Termin verschlafen habe, erzählte er der «Aargauer Zeitung». Und in der «Luzerner Zeitung» stichelte er gegen seine Ex-Spieler: «Jetzt können sie alle befreit aufspielen – und zu Weltklasse auflaufen.» Immerhin nahm er sich vor, die Lehren zu ziehen und in Zukunft «in gewissen Situationen etwas subtiler vorzugehen».

YF Juventus I

(2004) Mit den jungen Kerlen war Longo im Sommer 2004 zwar in die Challenge League aufgestiegen. Doch das hinderte Präsident Michele Vecchiè nicht daran, ihn noch vor Saisonstart fristlos zu feuern – da er «aus menschlichen Gründen» nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten wollte. Besorgt fragte danach der «Blick»: «Warum flog Longo


Rubrik trotz Erfolg wieder raus?» Bei der Ursachenforschung ging der Angesprochene hart mit seinem Präsidenten ins Gericht: «Am Montag hatte noch kein Spieler – ich wiederhole: kein Spieler – einen neuen Vertrag unterschrieben. Das zwölf Tage vor dem Saisonstart. Eine unmögliche Situation!», erklärte er und schloss: «Über diesen Verein weiter zu reden, wäre reine Zeitverschwendung.» Einen Zusammenhang zu den Entlassungen in Kriens und Luzern wollte er freilich nicht sehen: «Das waren drei komplett verschiedene Geschichten. Nur eines war an allen drei Orten gleich: Ich hatte Erfolg.»

FC Thun (2005–06)

«Aus sportlicher Sicht gab es absolut keinen Grund für eine Freistellung», war sich Longo auch Monate danach noch sicher. Und klar kann es an den Ergebnissen nicht gelegen haben – schliesslich hatte Schönenberger Thun in die Champions League und auf Platz 2 in der Super League geführt. Den Ausschlag für die Trennung im Februar 2006 dürfte das Verhältnis zu Präsident Kurt Weder gegeben haben, mit dem sich Schönenberger auch nach dem «grotesken Ende einer Posse» (BaZ) noch einen verbalen Schlagabtausch der Extraklasse lieferte. Konfrontiert mit den präsidialen Vorwürfen, es habe Probleme im zwischenmenschlichen Bereich gegeben, feixte Longo in der «SonntagsZeitung»: «Dann müssten wir doch gut zusammenpassen. Es gibt Leute in Thun, die mit ihm solche Probleme haben.» Gegenüber ZWÖLF erklärte er, ohne Namen zu nennen: «Es ist einfach nicht normal, was eine Führungsperson sich erlauben kann, gegenüber Spielern und Trainer.» Um dann doch noch konkret zu werden: «Weder hat uns das Rampenlicht nicht gegönnt.»

FC Aarau (2006)

«In Aarau wurde geraucht und gepokert, da bist du nur noch Polizist», erinnerte sich Longo in ZWÖLF an seine Zeit beim FCA. Drei Runden vor Schluss war Schönenberger im Mai 2006 aufs Brügglifeld gekommen, um mit einem Sieg und zwei Remis hurtig den Klassenerhalt klarzumachen. Für die neue Saison hatte er dann «grosse Ziele». Und in der Tat spielte der FCA nach Longos eigener Einschätzung «super Fussball», doch entging auch ihm nicht, dass «die Resultate ausblieben». Ende Oktober trat er zurück. Auch in Aarau indes war nicht nur das Sportliche ausschlaggebend für die Trennung. Präsident Stebler sprach nach erfolgter Trennung jedenfalls von einer «Befreiung in der Mannschaft» und ergänzte: «Der Führungsstil Schönenbergers hat sich im Verlauf der Saison allzu schnell abgenutzt.» Noch härter mit dem Ex-Coach

ins Gericht ging Stürmer Mark Fotheringham: «Einige Spieler hatten Angst vor Schönenberger. Er war ganz einfach zu negativ.» Und mit Co-Trainer Stephan Lehmann verstand er sich grad auch nicht. Laut Teammanager Ruedi Zahner habe es zwischen Longo und dem ExNati-Goalie statt «Synergien» und eines «Neuanfangs» bloss «Konflikte» gegeben.

YF Juventus II (2007–08)

Die Rückkehr zu den Stadtzürchern war ein eher unsinniges Unterfangen. Das Team war bereits abgeschlagen und zum Abstieg verdammt, als Longo die Nachfolge von Raimondo

Ponte antrat. Gegenüber ZWÖLF prangerte er in erster Linie Konzept- und Disziplinlosigkeit an: «Die Mannschaft von YF war schlecht zusammengestellt. Ich hatte zwölf Ausländer, aus verschiedenen Ländern, Argentinien, Italien, Paraguay, Brasilien, Polen… Die wissen gar nicht, was das heisst: Ligaerhalt. Und wenn sie verletzt sind, dann sieht man sie eine Woche nicht mehr. Vor meiner Zeit hat man solche Sachen akzeptiert. Ich nicht.»

schaft in Not geriet, sprang der seit dem Altach-Engagement stellenlose Ex-ChampionsLeague-Coach auch hier als Feuerwehrmann ein – mit Erfolg: Die Wehntaler schafften am Ende der Saison 2010/11 den Klassenerhalt – zu einem Zeitpunkt, als Schönenberger tagsüber schon seinem neuen Job in Wohlen nachging.

SC Altach

(2008–09) Nur vier Monate dauerte Longos einziges Auslandengagement. Trotz einer eher dürftigen Bilanz von zehn Punkten aus vierzehn Spielen gelang es ihm immerhin, den damaligen Tabellenletzten der österreichischen Bundesliga wieder an die Konkurrenz heranzuführen. Bei seiner Entlassung überraschte vor allem der Zeitpunkt: Nachdem er die Wintervorbereitung geleitet hatte, musste er kurz vor Rückrundenstart gehen. Longo vermutete ein falsches Spiel des neuen Sportlichen Leiters Walter Hörmann. Freilich gab es auch Stimmen, die von «zwischenmenschlichen Differenzen» sprachen, von «unkonventionellen Methoden» und davon, dass sich der Zürcher «keine Freunde» gemacht habe. Nebst Hörmann definitiv nicht zu diesen zählte auch Altachs Edel-Torjäger Ailton: «Unglaublich, was der sich alles erlaubt hat», resümierte Longo, der zunächst noch die ausgemusterten Spieler Sereinig und Rajic trainierte, ehe er für einen monatelangen Rechtsstreit vor Gericht zog.

FC Niederweningen

Zum Job beim regionalen 2.-Liga-Verein kam Longo durch seinen Schwager, der ihn zunächst als Spieler zu den Senioren lotste. Als dann die erste Mann-

FC Wohlen

(2011) Als Retter kam Longo gegen Ende der Saison 2010/11 zum Challenge-League-Klub – im zweiten Anlauf, nachdem man ihm rund zehn Monate zuvor noch die Nachfolge von Martin Rueda versagt und ihm damit «die grösste Niederlage meiner Karriere» zugefügt hatte. Mit zehn Punkten aus vier Spielen schaffte er den Klassenerhalt spielend, und auch der Start in die darauffolgende Saison war stupend: elf Punkte aus fünf Spielen und Platz drei in der Tabelle. Doch dann kam es leider wie immer: Nach nur drei Punkten aus sieben Spielen und zunehmend angespanntem Verhältnis zur Mannschaft zogen die Wohlener die Notbremse und feuerten Longo nach sieben Monaten im Amt. Präsident Wyder: «Die Mannschaft war verunsichert, Schönenberger ist das Ganze entglitten.» Und damit war dann auch der kernige Spruch hinfällig, den er gegenüber der «Aargauer Zeitung» rausgelassen hatte auf Fragen zu dem nach drei Spielen schon wieder im Unfrieden entschwundenen Star-Neuzugang Carlos Varela: «Soll ich Ihnen den Unterschied zwischen mir und Varela verraten? Ich bin noch da, Varela nicht.»

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Die Auswärtsfahrt

RS Leipzig - Lok Leipzig II 0:1 bezirksliga Nord, 19.8.2011 Sportpark dölitz, 484 Zuschauer

Sternstunden in Leipzig

Als ich mit meinem klapprigen Klappfahrrad an ein Spiel von Roter Stern Leipzig im Sportpark Dölitz fahre, werde ich von einem Mannschaftswagen der Polizei überholt. Kein Wunder, spielt RSL doch heute gegen Lok Leipzig II, und unter deren Anhängern gibts eine Menge Leute mit faschistischer Gesinnung. Der Name von Roter Stern ist Programm: 1999 gründeten Abiturienten und Studenten einen Verein ohne die üblichen Strukturen, ohne Leistungs- und Hierarchiedenken – ein Klub frei von Sexismus, Intoleranz und Diskriminierung und vor allem frei von Nazis. RSL ist 2011 in die Bezirksklasse aufgestiegen, das ist die sechsthöchste Liga. Die Erste mag wohl der Kern des Vereins sein – es darf jedoch mit Stolz auf mittlerweile 400 Jugendliche und ein Frauenteam verwiesen werden. Wohl auch deshalb macht sich familiäre Stimmung ums Spielfeld breit. Etwa die Hälfte der 484 Anwesenden bildet gleich hinter der Trainerbank eine «Kurve» – Transparente prangen, und Feuerwerk brennt und raucht. Ein Grossteil der Fans und Mitglieder begleitet die Mannschaft an Auswärtsspiele in die Provinz, wo sie schon mal – wie in Oschatz – mit Hitlergruss empfangen werden. Und vor zwei Jahren gab es während des Spiels in Brandis einen wohlorganisierten Überfall. Circa 50 Neonazis stürmten mit Eisenstangen und Holzlatten bewaffnet das Spielfeld und machten Jagd auf Spieler und Fans. Die Folge waren einige Schwerverletzte. All die Spielabsagen, die seither die Folge sind, kommen gewissen Vereinen sehr gelegen, wenn auch nicht aus sportlicher Sicht.

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Text & Bilder: Tobias Ott

Lautstark wird das Heimteam mit Gesängen unterstützt, und vom Spielfeldrand gibts auch mal direkte Anweisungen. Lok II ist spielerisch besser, jedoch nicht in dem Masse, wie es die Tabelle widerspiegelt, denn es spielt der Dritte gegen den Letzten. Kurz vor der Halbzeit gelingt den Gästen nach einem Konter die Führung, worauf der Sprecher das «0:0 für die anderen» verkündet und sich vor dem Bierwagen eine Schlange bildet. Richtig Druck erzeugen die Roten Sterne erst, als Lok II in Halbzeit 2 durch Gelb-Rot dezimiert wird. Sie erspielen sich ein paar hochkarätige Chancen, Spannung und leichte Hektik kommen auf. Dem Schiri wird bei einer strittigen Entscheidung «Geh doch nach drüben!» zugerufen, wobei nicht klar ist, ob das geografisch oder politisch gemeint ist. Es bleibt beim 0:0 für die anderen, was nicht nur vom Sprecher mit Humor ertragen wird. Und am Bierstand ist bei Weitem noch nicht der letzte Tropfen geflossen. Wohin der Weg von RSL führt, ist noch ungewiss, sportlich droht der Abstieg. Es bleibt jedoch zu hoffen, dass RSL als Verein in einer Umgebung aus braunem Sumpf genauso unbeugsam bleibt wie jenes bekannte gallische Dorf. Wem das zu politisch ist, der kann das Projekt als Gegenentwurf zum Retortenverein RasenBall Leipzig eines Energydrink-Giganten sehen, wo sich Modefans zu Spitzenspielen und bei Sonnenschein zeigen. Immerhin ist Fussball in Leipzig laut dem Stadtpräsidenten ein Wirtschaftsfaktor.


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Das Fundstück

DIE ZEIT DER VORBEREITUNG UND DES WARTENS IST VORBEI, JETZT GEHT ES NUR NOCH UM SIEG ODER NIEDERLAGE, MEISTERSCHAFT ODER ABSTIEGSKAMPF, 4-4-2 ODER 4-2-3-1, CA TENACCIO ODER TIKITAKA, WELTKLASSE ODER KREISKLASSE, YOUNGSTER ODER ROUTINIER, TOR ODER GLANZPARADE. JEDES SPIEL IST EINE ENTSCHEIDUNG, JEDE SAISON EINE NEUE HERAUSFORDERUNG UND WIR SIND BEREIT FÜR VIRTUELLEN FUSSBALL AUF ALLERHÖCHSTEM NIVEAU.

Text: Gregory Germond www.sportantiquariat.ch

Liebe Freunde des raren Sportstücks Unlängst versuchte ich für mich eine Analyse zu machen, wann und wieso Schweizer Fussballvereine ein Buch herausgeben. Ich kam zum Schluss, dass der häufigste Grund natürlich ein Jubiläum ist – und das von der Super League bis in die 5. Liga. Der zweithäufigste Anlass ist Erfolg: So beglückte etwa der FCSG seine Fans nach dem zweiten Meistertitel im Jahre 2000 mit einigem Gedrucktem. Beim BSC Young Boys liegt die erfolgreichste Epoche schon etwas länger zurück: Ende 50er-Jahre. Aus dieser Zeit stammt denn auch die oben abgebildete Publikation. Unter dem etwas sperrigen Titel «BSC YB 2 x Meisterschafts-Hattrick 1909/1910/1911 + 1957/1958/1959» werden in dem 194 Seiten starken, sehr reich bebilderten Buch vor allem die drei grandiosen Meistertitel aus den 50ern behandelt. Ebenfalls prominente Erwähnung findet aber auch die sehr erfolgreiche Kampagne im noch jungen Europacup in der Saison 1958/59: Seitenlang geschildert weden die Heldentaten gegen MTK Budapest, Wismut Chemnitz und zu guter Letzt im Halbfinal dann gegen Stade Reims – eines der besten Teams in Europa damals, das 1:0 bezwungen wurde vor 60 000 Zuschauer (bis heute Rekordbesuch

für ein Fussballspiel in der Schweiz). Zu finden ist zudem Zahlreiches aus der YB Historie im Kapitel «Us em Errinnerigs-Chratte», eine respektable Fülle an Statistischem und schliesslich auf zwei Seiten der YB-Song mit Noten und Text: «E rächte Bärner Giel, dä isch by YB, und we der Schnee verbrönnt, är blybt derby!» – was für ein humorvoller und origineller Song! Fazit: Die Jubelbücher sind die schönsten und originellsten! Eine andere Sparte der Schweizer Fussballbücher war in den letzten Jahren aktuell: das der Stadionbücher, wo man der alten abgerissenen Spielstätten oft wehmütig gedenkt. Neun Publikationen zu diesem Thema habe ich gezählt! Ebenfalls einen festen Platz in der Fussballbuchpalette haben das Jahrbuch bzw. der Saisonrückblick; zurzeit machen das aber nur der FC Basel (seit 20 Jahren!) und der FC Zürich. Im Ranking der Vereine, über die am meisten Bücher rausgekommen sind in den über 116 Jahren Schweizer Spielbetrieb, führt mit grossem Vorsprung der FC Basel – vielleicht ist er auch deswegen heute der populärste Klub im Lande. Das waren die Weisheiten aus dem Sportantiquariat zum 10-Jahr-Jubiläum!

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grüsse aus der challenge League

Text: Gerry Wildkop, Krienser Supporter

Über Tradition und Moderne Vorzugsweise werden Fussballvereine von vermögenden Privatpersonen aufgekauft und zu glorreichen ChampionsLeague-Gewinnern umstrukturiert. Die einsturzgefährdeten Tribünen sowie die der Natur ausgelieferten Fussballplätze werden planiert, und an ihrer Stelle wird eine – von hochdekorierten Architekten entworfene – hochmoderne Multifunktions-Arena hingestellt. Die Stadionmanager freuen sich ob der pflegeleichten und vielseitig einsetzbaren Plastikunterlage. Der schwerreiche Sportler seinerseits begrüsst jede Art von Annehmlichkeiten an seinem Arbeitsplatz, so auch die hauseigene Bäder- und Saunalandschaft. Und die Fussballfans freuen sich Woche für Woche auf die feinen Canapés in der mit allem Schnickschnack ausgerüsteten VIP-Loge. Ein idealer Ort, um zu vernetzen und Aufträge abzuschliessen. Oh wie lieben wir ihn, den modernen Fussball, wo Profit und hochstehende Unterhaltung noch das Eintrittsbillett wert sind. Kann es das sein? Ach wie war das früher kompliziert, als dieser altmodische Fussball noch lebte. Die Saisonkarten waren aus Karton und mussten beim Einlass

Der Cartoon

Von: Konrad Beck, Christian Wipfli

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jeweils mittels Handzange gelocht werden. Wenn es regnete, schneite oder stürmte, wurde es auf den morschen Eisenbahnschwellen der Stehplätze schnell einmal lebensgefährlich. Falls mit Feuerwerk hantiert wurde, konnte die Busse mit einer Preiserhöhung auf die Saisonkarten der nächsten Spielzeit beglichen werden. Natürlich kam es auch vor, dass der Sicherheitsfunktionär höchstpersönlich mit dem Feuerlöscher zur Tat schritt und den Brand löschte. Man durfte all den ehrenamtlichen Helfern auch nie böse sein, wenn einmal in der Pause kein Hotdog-Brot mehr vorhanden war. All das passiert bei einem Amateurverein einer Agglomerationsgemeinde auch heute noch. Da werden die Steuermillionen lieber nebenan in ein regional strahlendes Freibad mit Parkanlage investiert, als dem Verein den Erhalt der zweithöchsten Spielklasse zu ermöglichen. Völlig gerechtfertigt bei den mehreren Tausend unserer 26 500 Einwohner, welche lieber in der Stadt ihrem Hobby nachgehen. Da muss ein Baucontainer als Aushängeschild für das Sekretariat des Sportklubs genügen. Nur die Wahrheit oder doch Fiktion? Herzlich

willkommen beim SC Kriens, wo alles beim Alten und die Welt noch in Ordnung ist. Bei uns bestimmt noch der DJ die Musik. Die Fussballer arbeiten halbtags, und das Trainingslager muss aus der eigenen Portokasse bezahlt werden. Die Fans diktieren ihrerseits die Aufstellung und Transfertätigkeiten. Der Wunschtrainer, ehemaliger Aufund Abstiegscoach, wird eingestellt. Der zehnte Platz ist anvisiert. Falls wir nach dieser unsäglichen Todessaison entgegen allen Erwartungen trotzdem absteigen, sind wir selber schuld. So wie die Fussballfans zurzeit immer an allem schuld sind. Wir möchten aber mit niemandem tauschen. Um kein Geld der Welt. Deshalb schauen wir optimistisch in die Zukunft und glauben an den Geist des Fussballs, wie wir ihn einst von unseren Vätern vermittelt bekamen. In welcher Liga auch immer. Lang lebe der Fussball, lang lebe die Fankultur!

Das Schweizer Sportfernsehen überträgt nach der Winterpause jeweils wieder die Montags-Partien der Challenge League live ab 20 Uhr.


beni thurnheer

Die Single

Das antizyklische Nationalteam Vorbei! Die Schweizer Fussball-Nationalmannschaft wird an der Euro 2012 nicht dabei sein. Nach einem solchen Misserfolg erschallen weltweit immer die gleichen zwei Rufe: «Es braucht einen neuen Trainer» lautet der eine, und «Jetzt muss die Mannschaft verjüngt werden» der andere. Diese beiden Forderungen, die seit Jahrzehnten wie ein Rosenkranz heruntergebetet werden, sind weder originell noch besonders stichhaltig, sondern eher der Beweis für Ratlosigkeit, der man mit Aktionismus begegnet. Im Fall der aktuellen Schweizer Elf sind sie sogar absurd, ist sie doch jetzt schon eine der jüngsten in ganz Europa, geführt von einem Coach, der die Champions League mit zwei verschiedenen Teams gewonnen hat und auch deshalb gegenüber seinen Spielern über eine maximale Autorität verfügt. Doch wenn die beiden Allerweltsrezepte in diesem Fall nicht taugen, wie kehrt man denn sonst zum Erfolg zurück? Schon Albert Einstein wusste: Kein Problem kann durch dasselbe Denken gelöst werden, durch das es verursacht wurde. Und an der Börse, oder generell in der Wirtschaft, machten schon immer nur diejenigen grosse Sprünge, die das Gegenteil von dem machten, was allgemein angesagt war. Man nennt dies das antizyklische Verhalten. Wie wärs also, wenn wir auch hier prinzipiell alles anders machen würden, als uns die reine Lehre vorschreibt? Dies sähe dann etwa so aus: Das Nationalteam behält seinen Trainer. Es wird nicht verjüngt, sondern «veraltet», in jeder Reihe wird ein Routinier eingebaut, also zum Beispiel Lustrinelli im Sturm, Michel Renggli im defensiven Mittelfeld, der eingebürgerte Obradovic im offensiven Mittelfeld und Chipperfield in der Abwehr (zugegeben, die fussballerische Helvetisierung des australischen Nationalspielers bedürfte einer constantinschen juristischen Doppelhelix). Erinnern Sie sich noch an Roy Hodgson? An der Basis seiner Erfolge lagen die Reaktivierung des alten Alain Geiger und des uralten Georges Bregy! Die Taktik? 4-4-2 mit Manndeckung. Ich sage nur: Griechenland, Europameister 2004. Das attraktive Spiel überlassen wir den Völkern mit 40, 60, 80 Millionen Einwohnern (England, Spanien, Italien, Frankreich, Deutschland). Wir wollen nur erfolgreich sein! Schon Morgarten und Sempach wurden aus einer verstärkten Defensive heraus gewonnen! Apropos Schlachten: Marignano zeigte uns die Limiten des Söldnertums auf. Also: mehr Spieler aus der eigenen Liga, bitte! Und um dem Antizyklischen die Krone aufzusetzen: Die Super League wird auf 18 Teams aufgestockt! Meine ich das alles ernst? Nun ja, nein, das heisst, ich glaube, dass hinter jeder Idee ein Fünkchen Wahrheit steckt. Als Gesamtpaket wäre der ganze Massnahmenkatalog wohl genauso untauglich wie die aktuellen mehrheitsfähigen Parolen. Dies führt mich zu einem dritten Weg, zu einer wahrhaft revolutionären Lösung: Ändern wir doch einfach... nichts! Antizyklischer gehts nicht!

‘s Fründschaftsspiel d’Schlieremer Chind. Columbia/EMI 1970er Aus der Sammlung von Pascal Claude Bevor er samstags den Jassmeister markierte, betätigte sich Cabaret-Rotstift-Mitglied und Lehrer Jürg Randegger als Liederschreiber für die «Schlieremer Chind». Dieser Zürcher Kinderchor ist für eine Vielzahl von Gassenhauern verantwortlich, darunter ein Fussball-Lied auf der vorliegenden Schallplatte. «Hütt zmittag isch ‘s Fründschaftsspiel gäg die vom Lehrer Meier. Und mir gwünned ganz beschtimmt, die andre sind doch Eier», singen deftig, aber unschuldig die Schülerinnen und Schüler der Rotstifte, um dann sogleich ernüchtert festzustellen, dass gegen die unfaire Spielweise der MeierTruppe kein Kraut gewachsen ist. Zeitlos! Diese und die früheren «Singles» zum Anhören auf www.zwoelf.ch

Die Tabelle Rang

Anzahl

1. 2.

FC Basel FC Lausanne-Sport

3.37 3.35

3.

Servette Genève

3.18

4.

BSC Young Boys

3.09

5.

FC Zürich

3.09

6.

Xamax Neuchâtel

2.90

7.

Grasshopper-Club Zürich

2.88

8. 9. 10.

FC Luzern FC Sion FC Thun

2.85 2.77 2.75

ZWÖLF präsentiert den Tabellenstand der Super League. Diesmal: Gefallene Tore pro Spiel seit Einführung der Super League. Wer Tore sehen will, der schaut sich die Spiele des Serienmeisters aus Basel an. Lausanne entpuppt sich aber zu einem ernsthaften Konkurrenten in dieser Kategorie. Am wenigsten werden die Tornetze bei Spielen mit dem FC Thun strapaziert.

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Jahrzehnte vor der Coop-Kofferaktion: Zollkontrolle mit Charly Casali und Fredy Bickel nach der Heimreise von der WM 1950 in Brasilien (Bild: Wassermann).

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Weiterbildung für Nati-Spieler: René Botteron, Jörg Stohler und Köbi Brechbühl üben mit Masseur Häner am Objekt Fritz Künzli im Trainingslager vor dem Spiel gegen Norwegen 1976. (Bild: Keystone)


Heute: Mit der Schweizer Nati. Fussballer sind viel unterwegs. Wir zeigen auf diesen Seiten Juwelen aus den Reisefotoalben von Schweizer Mannschaften.

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Barfuss in die Halbschuhe und ab ins Nachtleben: Alain Sutter wird im Oktober 1985 von Marcel Koller, Charly In-Albon und Georges Bregy ins wilde Nati-Leben eingeführt.

Untergehen mit Stil: Yvan Quentin, Adrian Knup und Raphaël Wicky f liegen 1996 First Class nach Aserbaidschan ins «Debaku». (Bild: Keystone)

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Matchbericht Text & Bilder: Andreas Eggler, Roland Kehl und Karim Bschirr

Nebst dem Geschehen auf dem Rasen f端hren Fans und Sicherheitsleute ein ganz eigenes St端ck auf: Es geht um Schuldige und Beschuldigte, um Provokation und Reaktion. Das wertfreie Protokoll eines Matchbesuchs, bei dem hinter die Kulissen geschaut wurde.

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F

ussballstadien sind Theaterbühnen: zwei Akte à 45 Minuten mit ungewissem Ausgang. 22 Akteure führen ein Stück auf, aber auch die Präsidenten spielen ihre Rollen als Könige, die Trainer als strenge Väter, die Schiedsrichter als Götter aus der Theatermaschine. Die Medien berichten über gelungene Premieren, schlechtes Stellungsspiel und eingebildete Kranke. Aber fernab des grossen Theaters spielen sich auf den Rängen und hinter den Kulissen noch viele kleine Dramen ab, die man abseits des Scheinwerfers kaum wahrnimmt. Hier spielen Stehplatzfans und Wurstverkäufer tragende Rollen, aber auch Security, Parkplatzwächter und Platzanweiser. Aufgeführt werden Dramen über Liebe und Leid, Kampf und Kraft, Mut und Wut und Stadionverbote. Oft führen Fans und Sicherheitsleute noch einen dritten Akt auf, wenn der Vorhang auf der grossen Bühne schon gefallen ist. Der Konflikt ist stets derselbe: Böse/gute Fans leben ihre Fankultur aus, böse/gute Sicherheitsleute und Staatsanwälte sind um die Sicherheit besorgt. Je nach Sichtweise sind Fans die eigentlichen Träger des Kulturguts Fussball oder eine Bande erlebnisorientierter Radaubrüder. Das folgende Protokoll dokumentiert kein Fussballspiel, sondern das Theater neben dem Theater. Ein Rundum-Blick auf das Theater, an das wir uns längst gewöhnt haben. Wertfrei. Bühne frei.

1. Akt: Vorspiel Sonntag, 16.10. Die Auslosung für die Achtelfinals des Schweizer Cups bringt den Schlager FC St. Gallen - FC Zürich. Briefe ans Christkind

Rom, Donnerstag, 3.11. Im Stadio Olimpico in Rom geht beim Auswärtsspiel des FC Zürich ein Feuerwerkskörper zu früh los und zerfetzt einem Fan die Hand. Zürich, Montag, 14.11. Die Zürcher Südkurve veröffentlich ein Manifest, in dem «eine spürbare Zurückhaltung beim Einsatz von Pyrotechnik» versprochen wird. Aarau, Montag, 21.11. Der Sicherheitschef des FC Aarau findet vor dem Spiel gegen St. Gallen im Gästesektor mehrere Kilo Pyromaterial im Boden vergraben.

2. Akt: Spiel St. Gallen, AFG-Arena, Sonntag, 27.11., 11.15 Uhr Das Stadion liegt leer in der noch kühlen Novembersonne. Wenig deutet darauf hin, dass hier in drei Stunden ein Fussballspiel stattfinden wird. Die Bratwurstgrills sind kalt und die Bierstände verwaist. Mitten durch dieses verschlafene Bild huschen einige Militärpolizisten mit Schäferhunden. Sie kommen aus der Stehtribüne und suchen Sprengstoff. Frage an einen SecurityMann: Gehören Pyro-Fackeln zur Fankultur? «Mir egal. Aber wenn einer unserer Leute so eine Fackel in Sicherheit bringen muss, wird es zu gefährlich. Steckt man eine brennende Fackel in einen Eimer mit Sand, dann schmilzt dieser zu Stein. Unsere Leute tragen bald nur noch Sicherheitsschuhe der Stufe S3. Das ist die Stufe, auf der ein Schützenpanzer über die Schuhspitze fahren können muss…»

11.20 Uhr, Sektor A, Innenräume In den Garderoben der Arena trudeln die Mitarbeiter der Sicherheitsdienste ein. Es geht zu wie vor einem Hockeymatch: Kollegen werden begrüsst, in einem aufwendigen Prozedere werden Schutzmonturen am Körper angebracht und mit Tape befestigt. Später nd ki st ri kommt es zum Briefing. HinLiebes Ch r fü weise zur Funkfrequenz. An me im St Deine Bitte gib auch Du ab. r Christoph Bloche

Aufgrund eines postalischen Fehlers wurde die Post ans Christkind – dessen Adresse wir freilich streng geheim behandeln – irrtümlicherweise an die ZWÖLF-Redaktion ausgeliefert. Indiskret wie wir sind präsentieren wir euch davon eine Auswahl.

Vielen Dank! Dein Köbi Kuhn

der Wand hängt ein riesiger Plan der AFGArena, darauf sind feinsäuberlich alle über hundert Posten eingetragen. Die meisten Security haben eine fest zugeteilte Position. Andere Gruppen werden beweglich eingesetzt. Etwas beschäftigt die Einsatzleitung: «Auf den FCZ-Fanforen war zu lesen, dass einige Basler Fans anscheinend in Wil übernachten wollten, wo der FCB gestern spielte. Und nun wollen einige FCZ-Fans den Fanzug aus Zürich im Bahnhof Wil mit einer Notbremsung stoppen. Das ist aber nicht unser Problem.» 11.55 Uhr, Plattform, Sektor D Der Fanverantwortliche des FC St. Gallen, Martin Bartholdi, hält sich im Eingangsbereich des Heimsektors auf. Erste Fans treffen ein. Es werden Hände geschüttelt. Man kennt sich, Wiedersehensfreude. Mittlerweile liegt Bratwurstduft in der Luft. Hier und dort eine kurze Unterhaltung über alle möglichen Themen, etwa auch über den möglichen Ausgang der Ständeratswahl im Kanton St. Gallen. Ein Reisecar mit ca. 40 Fans des SVV Reutlingen trifft ein. Zwischen den Reutlingern und den St. Gallern besteht eine gute Fanfreundschaft. 12.00 Uhr, Tiefgarage unter dem Stadion Zwischen Reisecars und Polizeibussen mit den verschiedensten Kantonskennzeichen sammeln sich alle Sicherheitsleute, die an diesem Spiel im Stadion zum Einsatz kommen werden: Stewards mit gelben Westen, die den Einlass managen und die Eingänge bewachen. Security-Leute, die Personenkontrollen vornehmen und vor allem Präsenz markieren. Interventionseinheiten, die für den nicht-friedlichen Einsatz bereitstehen. Auch die Polizei beschränkt sich nicht darauf, für die Sicherheit ausserhalb der Arena besorgt zu sein. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Der Steuerzahler trägt dabei die Kosten des Einsatzes in Form von 200 Mannstunden pro Spiel. Die Einsatzkräfte, die darüber hinaus benötigt werden, bezahlt der Veranstalter. 12.15 Uhr, Plattform, Sektor B4 Ein Gespräch über den Umgang mit Gästefans. Marc Bürgler, Mitverantwortlicher


matchbericht für die Security-Truppe im Stadion, lobt die Vorzüge der neuen AFG-Arena hinsichtlich des Fan-Managements, kritisiert aber zum Beispiel die Trennwände aus Glas. «Das finde ich ehrlich gesagt aus Sicherheitsüberlegungen nicht besonders geschickt. Das Ästhetische hatte offensichtlich Vorrang.» Aus Fehlern hat man aber Lehren gezogen und baulich nachgebessert. Bürgler lobt die hervorragende Zusammenarbeit aller für die Sicherheit Zuständigen im Stadion. Trotzdem haben die Security immer noch eine kleine Wunschliste mit Anpassungen an den Stadionbetreiber. 12.20 Uhr, Plattform, Sektor C Security-Leute stehen am Zaun und erwarten die FCZler. Wer mit dem Fanzug nach St. Gallen reist, wird durch ein fast lückenloses Leitsystem direkt aus dem Zug bis in die Fankurve geführt. Wichtigstes Ziel: Den Kontakt zu einheimischen Fans auf jeden Fall zu verhindern. Der neuralgische Punkt dabei ist die Zürcherstrasse, die unmittelbar neben dem Stadion verläuft und die die Gästefans überqueren müssen. Heute werden die FCZ-Fans über eine Treppe auf eine Passerelle geführt, um die Zürcherstrasse zu überqueren. Die gesamte Passerelle sowie der restliche Weg über die Plattform bis zu den Drehkreuzen ist zum Schutz der Autofahrer und der übrigen Matchbesucher vollständig mit Drahtgitter umgeben. Der Anblick erinnert an ein Hochsicherheitsgefängnis. Absurderweise ist diese Passerelle aber in Wirklichkeit ein Wanderweg! 12.25 Uhr, Fanzug Die Ankunft des Zuges im Bahnhof Winkeln steht unmittelbar bevor. «Zum Glück für einmal früh genug», findet ein FCZ-ler. Immer wieder versuchten die Organisatoren der Extrazüge der Südkurve die Ankunft möglichst früh anzusetzen, um keine Hektik aufkommen zu lassen bei der Eingangskontrolle. «Die Polizei aber scheut die halbe Stunde Mehrarbeit am Wochenende. Sie nimmt dafür die Eskalationsgefahr in Kauf, die durch die vielen Menschen entsteht, die in engen Eingangskorridoren gefilmt und herumkommandiert werden.»

12.30 Uhr, Bahnhof Winkeln Kurz vor dem Eintreffen des FCZ-Fanzuges lehnt ein entspannter Benjamin Lütolf an einer Hauswand schräg gegenüber dem Bahnhof Winkeln und geniesst das ungewöhnlich warme Wetter. Der Mediensprecher der St. Galler Stadtpolizei schaut der Ankunft der Gästefans unaufgeregt entgegen. Die Stadtpolizei ist verantwortlich für die Sicherheit während des kurzen Marschs der Gästefans zum Stadion. Seit einiger Zeit habe sich die Lage beruhigt, es komme nicht mehr so oft zu Zwischenfällen. Tatsächlich ziehen die Fans fast schon gespenstisch ru-

hig durch das Quartier. Lütolf akzeptiert zwar den Einwand, dass die hochgerüsteten Polizisten auch als Provokation empfunden werden könnten. Man versuche aber, die Atmosphäre mit kleinen Massnahmen zu entspannen. So stehen die Polizeireihen, die ein Ausbrechen der Fans verhindern sollen, ein bisschen zurückgezogen in den Seitenstrassen. Vertreter der Südkurve sehen das selbst etwas kontroverser und bezeichnen das Sicherheitsaufgebot in St. Gallen als «wie gewohnt exorbitant». Sie nehmen an jeder Seitenstrasse hochgerüstete Polizeigewalt wahr. Dass der Marsch ruhig blieb, führen

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St. Gallen war der Umgang zwischen Fans und Sicherheitspersonal nicht immer einfach. Die FCZ-Fanbetreuer haben jetzt aber durchgesetzt, dass sie bei den Drehkreuzen und bei den Sicherheitskontrollen dabei sein dürfen. Jetzt komme es auf beiden Seiten viel seltener zu Provokationen. Der Rückhalt der Fanbetreuer unter den FCZlern ist offenbar gross. Mit acht Betreuern ist man heute angereist, manchmal sind fünfzehn mit von der Partie. Sogar ein Sanitäter ist Teil der Crew. Der Zuständige des Fanprojekts der Stadtpolizei gesellt sich zu einem SecurityMitarbeiter. «Gute Arbeit heute. Eure Leute sind sehr höflich, das spiegelt sich auch bei den Fans.» sie weder auf ein vermeintlich abschreckendes Sicherheitsdispositiv noch auf die von der Security vermutete Absenz gewisser gewaltbereiter Gruppierungen zurück. Für sie war vielmehr die Selbstregulierung der Kurve ausschlaggebend. Für Lütolf müsste diese Selbstregulierung aber weitergehen. Die einzige Möglichkeit, Zwischenfälle zu verhindern, liege darin, dass sich die «Anständigen» von den «Unanständigen» klar distanzierten. 12.40 Uhr, Plattform Sektor C Die FCZler treffen beim Stadion ein. Fanbetreuer Bartholdi kümmert sich darum, dass keine Provokationen vonseiten der St. Galler Fans stattfinden. Ein Szenekenner der Polizei ist ebenfalls anwesend. Man kennt sich, tauscht ein paar Worte aus. Das Verhältnis zur Polizei ist offensichtlich gut. Die Ankunft der Gästefans verläuft absolut ruhig. Die Fankurve hat sich darauf geeinigt, dass die Heimfans gar nicht erst in die Nähe des Gäste-Eingangsbereiches kommen. Weder vonseiten der St. Galler noch vonseiten der ankommenden Zürcher gibt es Provokationen. Bartholdi vermutet, dass dies an dem Umstand liegen könnte, dass in St. Gallen seit einiger Zeit eine repressive Haltung gegenüber renitenten Fussballfans eingenommen wird. 12.45 Uhr, Fankurve FCZ, Sektor B4 Bei den Drehkreuzen zum Gästesektor wird für jedes Spiel eine komplexe Architektur

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aus blickdichten Gitterzäunen errichtet. Es entsteht ein Rückraum für die Sicherheitskontrolle. Hier wird jeder FCZler gefilzt. Security und Sicherheitspersonal in Zivil stehen bereit. Was hier, in diesem von den Blicken verborgenen Rückraum, sonst noch bereitsteht, darf nicht geschrieben werden. «Früher war Abschreckung die Devise», sagt Marc Bürgler. «Heute lässt du die andere Seite lieber im Ungewissen. Unsere Leute tauchen mal hier auf, mal da.» Ein Funkspruch unterbricht das Gespräch. «Eine Minute bis zum Eintreffen der ersten Fans.» Ein wenig Anspannung ist nun spürbar. Dann kommt der erste Zürcher durch das Drehkreuz, wird gefilmt und dann von einem SecurityMitarbeiter in den Rückraum geführt. Ein junges Kerlchen, sichtbar beeindruckt von den aufgereihten Mannschaften hier hinten. Alles wird sorgfältig kontrolliert, Fahnen werden entrollt, durch Stangen wird gelinst, Taschen werden umgedreht. Sind das jetzt die berüchtigten Krawallanten aus der Südkurve? Der junge Mann ist offensichtlich weder betrunken noch aggressiv, vielmehr scheint er die Prozedur gewohnt zu sein. Routine auf beiden Seiten. Dann fliegt eine Flasche Bier über den Zaun und zerplatzt auf dem Beton. Der Nächste, bitte! Fanbetreuer Markus Kuemin steht beim Drehkreuz. Alles verläuft ruhig bis hierher, und darauf ist er stolz. Seit den Vorfällen im Derby und in Rom haben sich die Gemüter doch etwas abgekühlt. Aber ob es «Mais» gibt, ist von vielen Faktoren abhängig. In

13.15 Uhr, Plattform, Sektor D Ein Fan mit Stadionverbot kommt auf Bartholdi zu und fragt, ob es nicht möglich wäre, beim Sicherheitsverantwortlichen des Klubs ausnahmsweise Einlass zu erhalten. Der Fanvertreter stellt klar, dass er nichts für ihn tun kann, und verweist auf das Recht und die geltenden Regeln. Das Gespräch verläuft äusserst freundschaftlich und erstaunlich sachlich. Der Fan bleibt draussen. 13.35 Uhr, Fankurve St. Gallen, Sektor D Die Ränge füllen sich. Die Stimmung ist gut, die Vorfreude auf den Match deutlich spürbar. Wer den Sektor betritt, bekommt einen Stapel weisse «Fötzeli» in die Hand gedrückt.


matchbericht

13.35 Uhr, Fankurve FCZ, Sektor B4 Die FCZler freuen sich, dass sie ohne Zwischenfälle reingekommen sind. «Die Zuschauerzahlen imponieren, das muss man den St. Gallern lassen. Das Stadion an und für sich ist toll und die Akustik ebenso. Durch die Nähe können wir unsere Spieler beim Einwärmen motivieren: FC ZÜRI, ZEIG, WAS CHASCH!» Die Spieler klatschen Beifall und scheinen tatsächlich motiviert zu sein. 13.40 Uhr, Haupttribüne, Sektor A Am Eingang zum «Dienstagsklub» stehen Stewards. Selbst hier, am Eingang zur VIP-Lounge, gibt es immer wieder Probleme beim Einlass. Viele Zuschauerinnen und Zuschauer verlangten Zutritt in die Lounge, obwohl ihnen die Berechtigung fehle. Manche haben daran zu beissen und machen Theater. Bei einem Drehkreuz wird eine teuer aussehende ältere Blondine aufgefordert, ihre Tasche zu öffnen. Die Frau regt sich auf: «Ich werde hier gefilzt wie eine Kriminelle, und hinten schmeissen die Fans Rucksäcke einfach über die Glaswand ins Stadion.»

13.55 Uhr, Fankurve St. Gallen, Sektor D Die Teams betreten den Rasen. Musik dröhnt aus den Lautsprechern. Für einen Moment ergiesst sich ein Regen von weissen «Fötzeli» über die ganze Kurve. Applaus. Der Duft von Pyros liegt in der Luft. Bartholdi befindet sich mit anderen auf dem Rasen, um die Reste der Choreo zu beseitigen. 14.00 Uhr, Mixed Zone Das Spiel beginnt. Die Pyros aus dem St. Galler Sektor sind im ganzen Stadion zu sehen. Der Sicherheitsschef des FC St. Gallen, Geri Hochreutener, steht im Spielertunnel, schüttelt den Kopf und funkt mit der Führungsloge. Dort arbeitet man fieberhaft an der Identifizierung der Übeltäter. 10. Minute, Verpflegungslounge unter der Haupttribüne Ein beherzter Auftakt des Heimteams. Ebenso beherzt sind die Gesänge der beiden Fankurven. Alles bleibt ruhig. Für Hochreutener die Gelegenheit, einen Moment durchzuatmen, sich eine Bratwurst zu gönnen und auf einem Bildschirm für ein paar Minuten den Match zu schauen.

18. Minute, Fankurve FC St. Gallen, Sektor D Tor für St. Gallen! Etoundi trifft per Kopfball. In der Fankurve gratuliert man sich. Erwachsene Männer liegen sich in den Armen. Erneut werden Pyros gezündet. Der Stadionsprecher bittet, dies zu unterlassen. 20. Minute, Plattform, Sektor D Jetzt wird klar: Offenbar hat es vor Anpfiff tatsächlich einen Rucksacküberwurf gegeben. Aber nicht im Gäste-, sondern im Heimsektor. Wahrscheinlicher Inhalt: PyroFackeln. Die Security konnten den Werfer fassen und festhalten, um ihn der Polizei zu übergeben. Während der Rucksack sofort auf der Stehtribüne verschwand, rotteten sich etwa sechzig FCSG-Anhänger zusammen. Gemeinsam gingen sie auf die Security los und starteten einen Befreiungsversuch. Um sich selber zu schützen, mussten die Security den Rucksackwerfer freigeben, der sofort in der Masse untertauchte. 25. Minute, Sektor C1 Im gemischten Sektor provozieren drei FCZler die St. Galler Fans mit dem Stinke-

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Kochen. Die Hoffnung hat gerade die Eingangskontrolle passiert und entert den Gästeblock. 63. Minute, Fankurve St. Gallen, Sektor D FCZ-Stürmer Amine Chermiti stolpert hart an der Strafraumgrenze Oscar Scarione in die Beine. Dieser verwertet den Penalty in Margairaz-Manier. In der St. Galler Fankurve fliegt Bier durch die Luft, einige Pyros werden gezündet.

finger. Die Security holt Hochreutener, der zusammen mit Zivilpolizisten das weitere Vorgehen bespricht. Schliesslich einigt man sich darauf, dass die Polizisten die Fans dazu bringen, in den benachbarten Gästesektor zu wechseln. Nach kurzer Diskussion ziehen die Fans anstandslos ab. 30. Minute, Fankurve St. Gallen, Sektor D Erste Hochrechnungen der Ständeratswahlen machen die Runde. Offenbar ist Paul Rechsteiner gewählt. 42. Minute, Auf dem Rasen Chikhaoui grätscht vor dem Zürcher Strafraum Etoundi von hinten in die Beine. Der Schiedsrichter entscheidet auf Foul und gibt Gelb-Rot. Etoundi humpelt vom Platz. Die Fans skandieren seinen Namen. 43. Minute, Sektor B3 Kurz vor der Pause kommt es im Sitzplatzsektor neben den Gästefans zu einer Schlägerei. Ein FCSG-Fan provoziert massiv Zürcher Fans. Als der Security ihn anspricht, wird er handgreiflich. Man entschliesst sich zu einem Zugriff durch eine Interventionseinheit. Der Mann wird unter Gejohle von der Tribüne gezerrt. Da ergreift ein Zürcher die Gelegenheit zur Rache und verpasst dem Abgeführten einen Faustschlag ins Gesicht. Die Lage ist für einen Moment unübersichtlich. Zur Sicherheit bleibt ein Security in der Nähe.

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Pausenpfiff, Fankurve FCZ, Sektor B4 Geri Hochreutener wird in den Zürcher Sektor gerufen. Nachdem ein FCSG-Fan mehrmals von Security-Mitarbeitern aufgefordert worden ist, Provokationen Richtung FCZ-Fans zu unterlassen, nehmen ihn diese nun aus dem Fanblock. Der St. Galler kann sich kaum aufrecht halten, das Gesicht ist schneeweiss und die Hose verpinkelt. Die Stadionsicherheit lässt die Personalien aufnehmen, um ihn im Polizeiwagen ins Stadtzentrum zu bringen. Von einem Stadionverbot sieht Hochreutener ab, da ihm der Fan zuvor noch nicht negativ aufgefallen ist. 53. Minute, Plattform, Sektor D3 Auf dem Rückweg zur Führungsloge geht Hochreutener an einigen Fans vorbei, die ihre Nasen von aussen an die Glastrennwände pressen. Diese Fans haben eigentlich Stadionverbot – aber weil der Innenbereich des Stadions an der Glaswand aufhört, bleibt dem Klub keine Möglichkeit, die Leute zu vertreiben. Allerdings arbeitet man daran, den Stadionbereich zu erweitern. Einer der verstossenen Fans bettelt darum, wenigstens die letzten zwanzig Minuten des Spiels im Stadion schauen zu dürfen. Hochreutener bleibt hart. Trotzdem – oder gerade deswegen? – kommt der Eindruck auf, dass der Sicherheitschef im Fanlager Kredit geniesst. 59. Minute, Fankurve FCZ, Sektor B4 Ein schöner Schlenzer von Margairaz bringt den Ausgleich und die blaue Ecke zum

Gleiche Minute, Sektor B 3 Ein Security zählt die tanzenden roten Lichter und fragt: «Elftausend Franken Busse. So viel kostet dieses Bild da. Ist es wirklich so viel wert?» Auf der Tribüne hinter dem Tor geht es hoch zu und her. Zürcher und St. Galler Fans mit ziemlich aggressivem Gebaren sitzen bunt gemischt durcheinander. Dazwischen Kinder und ein Grüppchen ahnungsloser Tunesier. Keine gute Mischung. «Die bösen Zürcher sitzen gar nicht im Gästesektor, sondern in diesem hier», stellt ein Security fest. Es wird diskutiert, ob man den Zürcher Schläger auch herauspicken soll. Ein Zugriff könnte aber wieder neuen Ärger verursachen oder Unbeteiligte verletzen. «Bist du absolut sicher, dass dies der Mann ist?», fragt der Sicherheitsmann noch einmal den Security. Hochreutener schickt einen Szenekenner der Zürcher zu diesem Fan. Zehn Minuten später wird er unauffällig aus dem Stadion begleitet. 81. Minute, auf dem Rasen Ecke für St. Gallen. Der Ball scheint geklärt, kommt aber zurück in den Strafraum, Muntwiler kann ungestört zum 3:1 einschieben. Pyros im Heimsektor, während es in der Zürcher Kurve stiller wird. 85. Minute, Führungsloge über der Haupttribüne In der Führungsloge verzeichnet man in Sachen Pyro-Fahndung erste Erfolge. 90. Minute, Fankurve FC St. Gallen, Sektor D Imhof mit dem 4:1. Wer hätte das gedacht! Jubel, Umarmungen, Erleichterung. Den


matchbericht Fans scheinen die Pyros auszugehen, es brennt nur noch eine Fackel. 90. (+3) Minute, Mixed Zone Drmic verkürzt in der Nachspielzeit zum 4:2. SF-Moderator Salzgeber steht mit dem Mikro in der Mixed Zone und meint leicht spöttisch: «Na, das müssen wir nicht mehr zeigen.»

3. Akt: Nachspiel 15.50 Uhr, Fankurve FCZ, Sektor B4 Das Spiel ist aus, die kleine Sensation da: Der FC St. Gallen gewinnt gegen den FC Zürich. Polizeieinheiten haben sich vor dem Gästesektor postiert. Das Aufgebot lässt erahnen, dass man mit allem rechnet. Jetzt geht es noch einmal darum, die beiden Fanlager auseinanderzuhalten. Deshalb gibt es eine Fan-Rückhaltung von einer halben Stunde. Statt auf der Tribüne zu warten, drängen die meisten FCZler an den Zaun, Auge in Auge mit der Polizei. Ihre Versuche, die Sicherheitsleute zum Öffnen der Tore zu überreden, sind nicht unoriginell: «Hey, la mi use, ich ha mich i dich verliäbt!» 16.08 Uhr, Plattform, Sektor B4 Nach dem Öffnen der Tore ziehen die Zürcher zur Passerelle. Dort halten sie an, formieren sich und kommen im Umzug die Treppe hinunter. Auf der anderen Strassenseite stehen St. Galler Fans. Eine Vespa fährt hupend vorbei, das Kennzeichen grünweiss, Gebrüll geht los. Einige Zürcher gebärden sich, so bedrohlich es eben geht, eingezäunt und gut bewacht von Polizei. Auch ein paar St. Galler wollen ihnen in nichts nachstehen. Unter die Provokateure hat sich ein orientierungsloser Reutlinger gemischt. 16.10 Uhr, Zürcherstrasse, St. Galler Seite Bartholdi achtet zusammen mit seinen Leuten und in enger Kooperation mit der Polizei darauf, dass niemand in die Nähe des Absperrgitters gelangt. Viel zu tun gibt es indes nicht. Ein paar FCZler treten gegen den Zaun und schlagen sich dabei auf die Brust: «Chum do ane, Mann!» Ein paar «Scheiss FCZ»-Rufe sind zu hören. Im Grossen und Ganzen verläuft aber alles reibungslos.

16.10 Uhr, Zürcherstrasse, hinter dem Absperrzaun Auch die Zürcher Fans registrieren Provokationen der Gegenseite. «Manchmal frage ich mich, ob ich als Auswärtsfan der Affe im Zoffkäfig bin oder der St. Galler auf der anderen Strassenseite mit seinem rituellen Mittelfinger.» 16.15 Uhr, Pressekonferenz Trainer Urs Fischer gesteht eine «riesige Enttäuschung» ein. Jeff Saibene, der Trainer des FC St. Gallen, zeigt sich dagegen hochzufrieden: «Unser Sieg war sicher verdient.» 16.20 Uhr, Bahnhof Winkeln Der Fanzug füllt sich. Ein letztes, etwas müdes «FCZ!», dann verliert sich der Zug im Sonnenuntergang. War der Sicherheitsaufwand nun zu gross? Ein erfahrener Security sinniert: «Manchmal hast du zehn Schiedsrichterentscheide gegen das Team, und trotzdem smilen die Fans beim Rauskommen. Und an anderen Tagen ist eine Aggressivität da, du kannst dir nicht erklären, woher die kommt. Wenn du mich fragst, könnte man geradeso gut die Mondphasen als Vorhersage nehmen.» Die Zürcher ihrerseits bezeichnen den Aufwand als «mühsam, unschön und vor allem verdammt teuer.» Im Gästesektor wurde keine einzige Pyro-Fackel gezündet. Das Verdienst der Selbstregulierung oder jenes des Sicherheitsapparats?

16.45 Uhr, Führungsloge über der Haupttribüne In der Führungsloge findet das Debriefing statt. Die Sicherheitsakte «FC St. Gallen - FCZ» wird geschlossen. Allerdings wird intern noch über die Frage gestritten, wie der Rucksack ins Stadion gelangen konnte. Hätte dieser Überwurf verhindert werden können? War die Zahl der Sicherheitsleute ausreichend? Und wann hängt im Heimsektor ein Netz, wie im Gästesektor? Der Vorhang ist gefallen, das Saallicht geht an. Die Zuschauer reiben sich im grellen Licht die Augen. Was will uns dieses Stück denn nun sagen? Hat es eine Lehre? Vielleicht die, dass Vertrauen besser ist als Kontrolle? Oder vielleicht auch die gegenteilige, nämlich dass Vertrauen gut ist, Kontrolle aber besser? Die Deutung bleibt offen. Viel Betrieb auf der Bühne, wenig Klarheit. Aber das grosse Drama blieb aus, alles im grünen Bereich. Klar ist jedoch: Wenn jemand Ärger machen will und die entsprechende Gewaltbereitschaft mitbringt, ist kein Sicherheitsaufgebot gross genug, ihn daran zu hindern. Wenn handkehrum alle friedliche Absichten haben, ist jedes Sicherheitsaufgebot zu gross, zu grell, zu bedrohlich. Das ist nicht nur im Fussball so. Es scheint, als wäre jedes Sicherheitsdispositiv in diesem Widerspruch gefangen.

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Auge um Auge Text: Dario Venutti / Bild: Josef Gruber

Die Ultras, die eingefleischten Fans, haben die Stadien in der Schweiz belebt. Doch in jüngster Zeit sind sie auf dem Weg zur Selbstzerstörung.

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ie Schweiz ist ein glückliches Land. Sie leistet sich eine Diskussion über Fangewalt, die etwa in Polen, Griechenland und Argentinien mit einem müden Lächeln quittiert werden würde. Oder auch in Serbien. Dort bilden Ultra-Gruppierungen von Roter Stern und Partizan Belgrad kriminelle Vereinigungen. Ihre Mitglieder sind Teil einer faschistischen Bewegung, die für die Kriegsverbrecher Radovan Karadžić und Ratko Mladić auf die Strasse geht. Kurvengänger greifen die Gay-Parade in Belgrad an und liefern sich Scharmützel mit KFOR-Soldaten an der Grenze zu Kosovo. Im Vergleich dazu sind die Verhältnisse in der Schweiz mit wenigen Ausnahmen friedlich. Trotzdem hat der Staat die rund 800 Ultras und 200 Hooligans zum Problem der inneren Sicherheit erklärt. Das sogenannte Hooligangesetz, zwei Jahre vor der EM 2008 in Kraft getreten und seit 2009 als interkantonales Konkordat weitergeführt, sieht im Fussballfan eine Gefahr für die demokratische Ordnung. Wettrüsten der Rat- und Fantasielosen Das ist eine verzerrte Sicht der Realität, hat jedoch Folgen. Das Gesetz hat nämlich eine Aufrüstungsspirale auf allen Seiten in Gang gesetzt. Nach jedem Vorkommnis überbieten sich Politiker

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mit Vorschlägen für Massnahmen, die noch mehr Härte und noch mehr Effizienz versprechen: Nach den Fackelwürfen von FCZ-Ultras am letzten Zürcher Derby forderte Stadtrat Gerold Bührer, dass ein Spiel abzubrechen sei, sobald Pyros gezündet wird, und zwar unabhängig davon, ob sie als Stimmungsmittel oder als Waffe eingesetzt werden. Bührer kaschierte damit lediglich seine eigene Ratlosigkeit und Ohnmacht. Die meisten Medien nehmen solche Vorschläge willfährig auf und drehen so mit an der Repressionsschraube. Mangels Zugang zur Szene wegen der Verweigerungshaltung der Ultras bleibt ihnen wenig anderes übrig, als Polizeicommuniqués abzuschreiben oder Politikern eine Plattform zu bieten. Die Ultras selber reagieren auf diese Entwicklung weitgehend mit Fantasielosigkeit. Seit einiger Zeit sieht man auf Fanmärschen vermehrt Vermummte mit Sturmhauben. Was als Schutz der eigenen Identität gerechtfertigt wird, erweckt den Eindruck steigender Gewaltbereitschaft. Die Polizei wird faktisch eingeladen, Tränengas und Wasserwerfer schneller einzusetzen – was die Gegenseite wiederum zum Anlass für die weitere Aufrüstung nimmt. Sie wirft Journalisten aus ihren Extrazügen, diffamiert Hardliner auf Transparenten («Banause» für den Berner Sicherheitsdirektor

Nause) und unterbietet das Niveau von Medienschaffenden, die sich um Persönlichkeitsrechte scheren: Als der «Blick» nach dem Unfall mit einer Knallpetarde in der Südkurve beim Europacupspiel in Rom eine tagelange Kampagne gegen einen FCZ-Fan fuhr, veröffentlichten Ultras die Namen und Telefonnummern von «Blick»-Journalisten auf Flyern. Ein Journalist wurde als «stadtbekannter Kinderschänder» bezeichnet. Keine Unterstützung von links Mit Ausnahme von ein paar Bloggern, Sozialarbeitern und wenigen aufgeschlossenen Vereinsfunktionären werden die Ultras von niemandem unterstützt. Sie stehen einer Mauer der Ablehnung gegenüber. Dabei müssten eigentlich wenigstens linke Politiker Sympathie für die Ultra-Bewegung haben, ist doch das Interesse der Linken für Subkulturen traditionell hoch. Doch entweder schweigt die Linke, oder einzelne Exponenten wie die Nationalräte Daniel Jositsch und Chantal Galladé schwimmen im Fahrwasser der Repression mit. Warum ist das so? Die Ultra-Kultur gelangte in den frühen 90er-Jahren aus Italien über die Eishockeyfankurven in Lugano und Ambri-Piotta in die Deutschschweiz. Bis


ultras

zum Zeitpunkt, als die Schweiz (zusammen mit Österreich) den Zuschlag für die EM 2008 erhielt, entwickelte sich in den Fussballkurven eine Form des Supports, der für die Schweiz neu war: Choreografien, Doppelhalter, bengalische Fackeln, reiches Liedgut. Diese Ausdrucksformen grosser Leidenschaft für den eigenen Verein waren damals auch in Kreisen gern gesehen, die heute die Ultras bekämpfen: Der bald 15 Jahre alte Satz von Beni Thurnheer anlässlich eines Spiels in Basel, mit den bengalischen Fackeln habe in der Schweiz südländische Stimmung Einzug gehalten, wird heute in Fan-Foren immer wieder in Erinnerung gerufen, wenn die Pyro-Diskussion hysterische Züge annimmt. Auseinandersetzungen zwischen UltraGruppierungen gegnerischer Vereine gab es bereits damals. Doch sie standen nicht im Vordergrund. Nach aussen wirkten die Kurven bis in die Mitte der 2000erJahre weniger als Kampfverband, sondern als Protestbewegung gegen die Kommerzialisierung im Fussball: Man forderte einheitliche Anspielzeiten, weil das Fernsehen den Spielplan diktierte. Man protestierte gegen Stadionverbote, weil diese willkürlich ausgesprochen wurden. Und man setzte sich dafür ein, dass die Kurve ein autonomer Raum bleiben konnte, den man selber gestalten wollte. Charme des Untergrunds Auf diese Weise knüpften die Schweizer Ultras an ihre historischen Vorbilder aus Italien an: Dort hatte ein Teil der Studentenbewegung Ende der 60er-Jahre das Stadion als Ort entdeckt, wo man sich von einer Aura des Widerstandes umgeben fühlte. Die Jugend von 68 verzichtete aus Enttäuschung über die unerfüllten Erwartungen darauf, das ganze Land umgestalten zu wollen. Stattdessen schuf sie sich mit der Kurve einen kleinen Raum, der zum Symbol für ihre Andersartigkeit wurde. Mit den ersten Ultras kamen auch die Stilmittel und Symbole der Studentendemonstrationen ins Stadion: Transparente, Megafone, dieselben Lieder, später Choreografien und Pyrotechnik.

Ohne die Ultras würde heute in den Schweizer Stadien eine triste Atmosphäre herrschen. Und ohne sie würde ein Verein wie der FCZ kaum 2 Millionen Umsatz mit dem Verkauf von Fanartikeln machen. Der FCZ hat seine Kleiderlinie an den Ultra-Stil in der Südkurve angelehnt, wie die «WoZ» kürzlich aufzeigte. Die Kleider versprühen gleichzeitig den Charme von Hipness und von Untergrund, was beim jungen Publikum offensichtlich gut ankommt. Die Gewalteruption am 13. Mai 2006 in Basel und die Fehde zwischen FCZund GC-Fans haben allerdings eine Seite der Ultra-Bewegung offengelegt, mit der sie sich viele Sympathien verspielte. Sowohl in Basel wie auch in der Fehde spielte Pyro eine Rolle: Ein Basler Anhänger warf eine brennende Fackel auf den FCZ-Meistertorschützen Julian Filipescu. Und im letzten Zürcher Derby griffen zwei FCZ-Fans mit Bengalen zur Selbstjustiz, nachdem ihnen GC-Anhänger die gestohlenen Fan-Utensilien präsentiert hatten. Doch in beiden Fällen ging es nicht in erster Linie um Pyros, so wie es in der gesamten Gewaltdiskussion im Schweizer Fussball nicht um sie geht. Pyros sind lediglich das Symbol der Auseinandersetzung: Die Ultras halten daran fest, weil sie sich ihre Autonomie nicht beschneiden

lassen wollen. Politiker und Funktionäre dagegen wollen das Verbot durchsetzen, weil das Feuer gelöscht werden soll. Ihr Ziel ist, die Ultra-Kultur insgesamt zu zerstören. Fankultur mit totalitären Zügen Dass sie dabei kaum kritisiert werden, ist nicht verwunderlich. Ultra-Gruppierungen pflegen nämlich eine Form von Männlichkeit, für die sich kein ernst zu nehmender Politiker einsetzen wird. Die Gewalteruption in Basel hatte ihre Ursache in einem archaischen Rachebedürfnis: FCB-Fans wollten die Schmach der spät verlorenen Meisterschaft tilgen. In der Fehde in Zürich geht es um die Vorherrschaft in der Stadt, die die Ultras beider Seiten sehr wörtlich nehmen: Sie schrecken nicht zurück vor Schlägereien in der Freizeit, Überfällen, Entführungen und als jüngste Episode eben vor Fackelwürfen in Menschenmengen. Fussballfankultur dieser Art hat totalitäre Züge: Die eigenen Farben und die eigene Gruppe werden über alles gestellt, selbst über das Recht des Gegners auf körperliche Unversehrtheit. Die Fackelwürfe im Letzigrund haben die Ultras selber erschreckt. Die besonnenen Köpfe unter ihnen wollen zum «ehrlichen Kampf» zurückkehren: ohne Waffen, nur mit Fäusten. Wie sie das anstellen, wissen sie selber nicht.

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Zero Tolerance Text: Thomas Gander

Das soziale Potenzial der Fankurve ist unglaublich. Es droht jedoch vom rigiden Zeitgeist verschüttet zu werden.

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er in den USA geprägte Begriff der «Nulltoleranz», welcher eine Form der Kriminalprävention darstellt, findet auch in der Debatte um Fussballfans immer mehr Verwendung. Grundlage für den Begriff bildet die sogenannte Broken-Windows-Theorie, welche davon ausgeht, dass ein zerbrochenes Fenster in einem Stadtteil sofort repariert werden muss, um einen weiteren Niedergang des Stadtteils und damit verbunden die Zunahme der Kriminalitätsrate zu verhindern. «Wehret den Anfängen» könnte der Begriff umgangssprachlich verwendet werden. Gegen jegliche Gesetzesübertritte – auch Bagatelldelikte – soll rigoros vorgegangen werden, damit sich die präventive Wirkung der Abschreckung entfalten kann. Kontrollund Zugriffsmöglichkeiten müssen dazu ausgebaut werden. Sowohl die KKJPD (Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren) als auch die KKPKS (Konferenz der Kantonalen Polizeidirektoren der Schweiz) scheinen sich auf diese Nulltoleranz-Strategie geeinigt zu haben, betrachtet man die Terminologie in den verschiedenen Interviews und Haltungspapieren. In diesem Zusammenhang steht auch die aktuellste Forderung, eine nationale Polizei-Eliteeinheit in der Schweiz aufzubauen, um der Lage rund um die Fussballstadien Herr zu werden. Auch die Verwendung der Internetfahndung für Bagatelldelikte – was Sachbeschädigung und Land-

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friedensbruch im Vergleich zu anderen Delikten nun mal sind – untermauert diesen Trend. In der Öffentlichkeit und in der Politik wird dieser NulltoleranzAnsatz kaum hinterfragt. Sonntag, 23. Oktober 2011, im Extrazug der FCB-Fans: Kurz vor dem Eintreffen des Zuges in Zürich-Altstetten ertönt eine offizielle Polizeidurchsage. Diese lässt wissen, dass die Basler ein grosses Polizeiaufgebot erwartet, der Marsch zwar toleriert würde, aber jegliche Straftatbestände sofort geahndet würden. Ein praxisnaher Versuch, so scheint es, die Nulltoleranz-Strategie auf eine Probe zu stellen. Er wird so quittiert, dass rund 800 FCB-Fans sogleich wieder mit dem Zug zurückfahren. Sie hielten es nach einer internen Besprechung für nicht verantwortbar, alle FCB-Fans in diesen Kessel zu schicken (siehe auch Communiqué auf Muttenzerkurve.ch). In einer Masse von 800 Fussballfans kann, trotz funktionierender Selbstregulierung, die Begehung eines Gesetzesübertrittes nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Die Gefahr einer Eskalation mit der Polizei schien den Fans zu gross. Eine Oase des Gemeinschaftssinns Vielleicht auf den ersten Blick nicht erkennbar, aber eng mit der NulltoleranzStrategie verknüpft, ist die Debatte um Sicherheit und Freiheit in unserer Gesellschaft. Wer sich mit den heutigen Fankurven beschäftigt, erkennt, dass diese

Grundwerte wie z. B. Autonomie, Freiheit und Solidarität benennen, um ihre «Kurvenideologie» zu beschreiben. Nicht selten höre ich von Mitgliedern der Fankurve, dass ihnen der Fussball und die Fankurve Raum böten, eine Gemeinschaft zu erleben, die sie in unserer individualisierten Gesellschaft, in der die Ich-Orientierung immer wichtiger wird, kaum mehr vorfinden. Die Kurve als Oase, als etwas Nichtalltägliches. Jugendliche und junge Erwachsene sind heute in unserer Leistungsgesellschaft gefordert, manchmal auch überfordert. Um in dieser Gesellschaft bestehen zu können, werden immer neue Ansprüche an ihre Persönlichkeit gestellt. Ohne hier diese Anspruchshaltung thematisieren zu wollen, sei immerhin erwähnt, dass wir ihnen gleichzeitig grosse Widersprüche liefern: Einerseits erfordert die Herausbildung dieser persönlichen Eigenschaften einen Erfahrungsraum, der auf Vertrauen und auf Toleranz beruht. Grundlage dieser Toleranz bildet die Erfahrung, dass sich gefestigte Persönlichkeiten nicht durch Einschränkungen und Verbote bilden, sondern durch die Möglichkeit, Selbstund Eigenverantwortung zu übernehmen und eine eigene Meinung zu haben. Andererseits engen wir die Heranwachsenden jedoch durch immer mehr Regeln ein, bauen Kontrollinstrumente auf – um die von uns geschaffenen Verbote durchzusetzen – und lassen uns von diffusen Ängsten leiten, welche die Sicherheitsdebatte zusätzlich anheizen. Unglaubliches Potenzial In Bezug auf das Verhalten der heutigen Fankurven, die sich in den letzten Jahren zu solchen Erfahrungsräumen entwickelt haben, stellt sich die Frage, ob diese auf


der fan-arbeiter informiert

unsere Widersprüchlichkeit im Umgang mit ihnen nicht genauso widersprüchlich antworten müssen. Das Potenzial, das in einer Fankurve steckt, ist unglaublich. Verschiedene jugendliche Szenen durchmischen sich hier und bilden das Fundament für eine erstaunliche Kreativität und Ausdruckskraft, welche nur durch grossen Einsatz und Eigeninitiative – sozusagen gesellschaftlich erwünschte Eigenschaften – erreicht werden. Andererseits nimmt auch die Gewalt aus Sicht einiger Kurvenmitglieder ihre legitime Funktion ein, sei es als Verteidigungs- und Angriffsmittel bei einem Aufeinandertreffen mit einer gleichgesinnten Gruppierung eines anderen Vereins oder wenn sie «das Ausleben» ihrer Fankultur bedroht sehen. Während bezüglich Ersterem mit den Erklärungsmodellen aus der Sozialwissenschaft der «sozialisierten Gewalt» (Gewalt als angelerntes Lösungsmittel oder die pure Lust an Gewalt) und der situativen Gewalt (Massenphänomene, Eskalationen) Handlungsmöglichkeiten vorhanden sind, ist der Gewaltlegitimation als Reaktion der Fankurve auf immer mehr Einschränkungen, Vorverurteilungen und Massnahmen, welche die Gesamtheit der Fankurve pauschal kriminalisieren, schon schwieriger zu begegnen. Innerhalb dieser komplexen Dynamik zwischen Fans und übergeordneten Institutionen (Vereine, Behörden, Verband), d. h. innerhalb dieser Wechselwirkung zwischen Fans als Konsumenten/Kunden und dem Verein als Unternehmen sowie den politisierten Autonomie- und Freiheitbestrebungen einer von jungen Menschen besetzten Fankurve bzw. Fanbewegung, die sich selbst als kritische Instanz gegenüber der Entwicklung im Fussball sehen, reichen

Nulltoleranz-Parolen nicht aus. Bei dieser legitimierten Form von Gewalt müssen wir uns fragen, ob gerade die Strategie der Nulltoleranz – welche zugleich im Widerspruch zu unseren Erwartungen an die Jugendlichen in ihrem Umgang

mit den gesellschaftlichen Herausforderungen steht – einer zunehmenden Gewalttätigkeit nicht eher förderlich ist. Die Chancen und Potenziale, welche die Fankurve ihren Mitgliedern bietet, werden dabei völlig ausgeblendet. Durch unsere Vereinfachungen und Fehlinterpretationen des Fankurven-

verhaltens und durch MassnahmenSchnellschüsse untergraben wir nicht nur die wertvollen Erfahrungen, die in einer Fankurve gemacht werden können. Nein, wir lancieren regelrecht einen Kampf gegen die Fankurven, bezeichnen diese als gefährliche rechtsfreie Räume, schrauben die Toleranzgrenze immer tiefer und lassen das Verhältnismässigkeitsprinzip aussen vor. Wir sind auf gutem Wege, eine Jugendbewegung kaputt zu machen oder deren destruktive Elemente zu fördern, und merken es nicht einmal. Da es sich hierbei um eine Jugendbewegung handelt, die immer erwachsener wird und sich selber mit ihrer Symbolik, ihrem Verhalten und ihren Worten bewusst und unbewusst auch kritisch zu den heutigen gesellschaftlichen Tendenzen äussert, sollte uns unser Handeln noch mehr zu denken geben. Polemische Propaganda Es ist wichtig, den Gewaltlegitimationstendenzen einer Fankurve entgegenzutreten und auf die Gefahren für den einzelnen Fan, aber auch für die ganze Fanbewegung hinzuweisen. Genauso wichtig ist es, die polemische Nulltoleranz-Propaganda, die auch eine Form der Gewalt darstellt, hartnäckig zu hinterfragen. Angetrieben durch eine Überforderung und den Trend zur Vereinfachung, stellt diese in letzter Konsequenz nur ein Mittel zur Symptombekämpfung, ohne Bereitschaft, «der Sache» auf den Grund zu gehen, dar. Ob sie auch einen Lösungsweg darstellt – diesen Beweis hat sie freilich nicht erbracht.

Thomas Gander ist Geschäftsführer von Fanarbeit Schweiz (FaCH)

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ludovic magnin

«Den Jungen fehlt menschlich etwas» Ludovic Magnins Karriere neigt sich dem Ende zu. Im ZWÖLF-Interview schwelgt er nochmals in der Vergangenheit und denkt schon ein wenig an die Zukunft. Und er erzählt, wie ihm Ailtons LeopardenUnterhosen einst geholfen haben. Text: Mämä Sykora / Illustrationen: Pascal Wallimann ZWÖLF: Ludovic, du gehörst als ausgebildeter Primarlehrer im Fussball bereits zu den Intellektuellen. Gehörten auch deine Eltern zu den Bildungsbürgern? Ludovic Magnin: Mein Vater war Schreiner, heute ist er Mechaniker. Meine Mutter ist Lehrerin und mein Bruder Landschaftsgärtner. Tja, und ich bin beim Fussball gelandet. Die ganze Familie ist aber fussballverrückt. Mein Vater hat selber auch gespielt, er hat es sogar in die NLB gebracht. Er war aber nun mal ein Dorfjunge, und solche mussten erst mal richtig arbeiten. Wie ich gehört habe, soll er ein ganz guter Fussballer gewesen sein. Ich habe ihn nur noch als Spielertrainer erlebt, da ist er nicht mehr so viel gelaufen, hat dafür mehr Bauch auf den Platz gebracht. Über Lehrersöhne sagt man ja, dass sie sehr rechthaberisch sind und immer das letzte Wort haben wollen. Ja, das trifft auch auf mich zu. Noch mehr Probleme habe ich, wenn ich Ungerechtigkeit erlebe, was gerade im Fussball sehr oft der Fall ist. Ich bin sehr impulsiv – sagt zumindest meine Frau (lacht). Ich gehe zwar schnell in die Luft, komme aber je-

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weils auch schnell wieder runter. Wenn ich mich oder einen Mitspieler ungerecht behandelt sehe, dann sage ich Dinge, die nicht unbedingt förderlich sind. Deine Fussballerkarriere neigt sich langsam dem Ende zu. Kannst du dir vorstellen, wieder als Lehrer zu arbeiten? Das Lehrerdiplom hab ich noch zu Hause in meinem Portfolio, mein Abschluss ist aber schon ewig lange her... Ich trau mich ja fast nicht zu sagen, wann das war. Seither hat sich der Beruf stark entwickelt, und bevor ich wieder vor eine Klasse stehen würde, müsste ich zuerst selber nochmals ein paar Jahre die Schulbank drücken. Das kann ich mir aber ohnehin nicht wirklich vorstellen, höchstens gewisse Fächer, obwohl mir die Arbeit mit Kindern sehr gut gefällt. Ein Kind ist ehrlich und sagt seine Meinung, Politik spielt bei ihm keine Rolle. Ich würde mir wünschen, wieder irgendwo tätig sein zu können, wo die Politik keine Rolle spielt. Das schreit geradezu nach einer Arbeit als Juniorentrainer. Das ist auch in Planung. Ich bin gerade am Trainerdiplom dran und freue mich

darauf, mit jungen Spielern arbeiten zu können. Wenn es mir gefällt, muss es für mich auch nicht zwingend weitergehen. Weniger Druck, weniger Rechtfertigung, weniger Reisen, weniger Presse – ich stelle mir das toll vor. Dein Juniorentrainer war ja u. a. Lucien Favre, er war auch dein erster Trainer in der ersten Mannschaft. Du lobst ihn heute noch in höchsten Tönen. Was ist denn so speziell an ihm? Ich habe noch immer eine besondere Beziehung zu Lucien, wir telefonieren fast täglich. Er ist ein Jugendfreund meines Vaters und deshalb mehr als ein Trainer für mich. Als C-Junior war das natürlich ein riesiges Glück, so einen als Übungsleiter zu haben, der seine Trainerkarriere eben erst begonnen hat. Wenn er die Übungen vorgezeigt hat, haben wir riesige Augen gemacht, denn er beherrschte sie wie kein anderer. Er sieht bei jedem Spieler sofort, was noch zu verbessern ist. Er holte mich damals bei Echallens in die erste Mannschaft, die in die NLB aufgestiegen war. Ich war gerade mal 15, etwa 20 Kilo schwer und hatte Beine wie Brezel. Ich durfte zwar mittrainieren, einge-


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ludovic magnin setzt wurde ich aber nicht. Das war wohl auch besser, ich wäre wohl gleich für sechs Monate im Krankenhaus gelandet. Dann hat dich Favres Karriere als Trainer kaum überrascht. Absolut nicht, wobei es immer Fragezeichen gibt. Wer es in der Schweiz schafft, ist nicht automatisch auch im Ausland erfolgreich, denn dort arbeitest du plötzlich mit 20 Stars. Lucien verlangt sehr viel von seinen Spielern, und man weiss nie, wie gestandene Profis seine Methoden aufnehmen. Er hat seinen Erfolg aber wirklich verdient, denn er ist ganz einfach sehr gut und ein richtiger Workaholic. Manchmal ruft er mich um 8 Uhr morgens an, um über Fussball zu reden! Er ist ein Profi bis in die Fingerspitzen. Er kommt nicht mit einem System und zwängt die Mannschaft da hinein. Wir haben bei ihm immer mehrere Systeme gelernt und konnten jederzeit umschalten. Das schaffen nicht viele Trainer. Favre holte dich dann zu Yverdon, nach einem Jahr trennten sich eure Wege. Er ging zu Servette, du zum skandalumwitterten FC Lugano, der unter dem zwielichtigen Präsidenten Helios Jermini die Fussballschweiz aufmischte. Später wurde bekannt, dass die Spieler doppelte Verträge hatten, wobei in einem die Schwarzgeldzahlungen geregelt waren. Hattest du auch so einen? Da kann ich mit reinem Gewissen die Tessiner Steuerbehörde grüssen. Ich hatte keine Probleme mit ihnen und kann nach wie vor bedenkenlos ins Tessin fahren. Warum überhaupt Lugano? Es ist vielleicht ein gutes Beispiel für unsere Jungen. Ich hatte schon ein Angebot von Ulm, wo Martin Andermatt Trainer war und mein Ex-Teamkollege Leandro hinging. Zusammen mit meiner Familie und meinem Berater kam ich zum Schluss, dass es noch zu früh ist für so einen Wechsel. Ich wollte erst mal erleben, wie es ist, zum ersten Mal weg von meinen Eltern und meinen Freunden zu sein. Es gab auch finanziell lukrativere Angebote aus der Schweiz, doch dort hätte ich eine hohe Ausstiegsklausel im Vertrag gehabt, was

einen Wechsel ins Ausland erschwert hätte. Lugano hatte damals eine tolle Mannschaft mit Bastida, Gimenez und Rossi, und es war aus heutiger Sicht die wichtigste Entscheidung in meiner Karriere. Zum Glück gab es eine grosse welsche Fraktion im Team, darunter auch Olivier Biaggi, der mich unter seine Fittiche nahm. Hast du das Chaos im Verein nicht mitgekriegt? Ich war schlicht zu jung, um mich darum zu kümmern. Zudem hatte ich keinen Einfluss und habe darum auch kaum etwas erfahren. Ich bin dann ja auch rechtzeitig gegangen, bevor alles einstürzte. Deine Karriere kam zum ersten Mal ins Stocken, als du nach Bremen gingst, wo du in den ersten drei Jahren nur wenig spielen konntest. Hart war es lediglich darum, weil ich andauernd verletzt war. Der Einstieg war zwar auch nicht einfach. Die erfahrenen Spieler haben mich von oben her betrachtet. Ich war in der Garderobe hinter der Tür platziert, die ich immer auf die Nase kriegte, wenn wer reinkam. Ich hatte einige Jahre Deutsch in der Schule und dann doch nur ein Viertel verstanden. Wenn die Jungs lachten, lachte ich einfach mit. Sportlich kamst du mit der Umstellung gut zurecht? Der Rhythmuswechsel im Training war schon unglaublich. Plötzlich jeden Tag Vollgas geben zu müssen, da hat mein Körper einfach nicht mitgemacht. Ich war noch in der Entwicklung, war wohl auch zu wenig muskulös für die Bundesliga. Es fing mit kleinen Verletzungen an, dann kamen grössere hinzu. Da war es sehr wichtig, dass Trainer Schaaf und Manager Allofs immer an mich geglaubt haben. Mit der Zeit kam ich auch mit dem Tempo besser zurecht. Anfangs habe ich mich noch gefreut, wenn ich ohne Ball im Wald laufen gehen konnte, denn mit dem Ball war ich überfordert, es ging mir schlicht zu schnell. Sind die Unterschiede so extrem? Oh ja! Zumindest zu meiner Zeit war das so. Heute sind die Spieler immerhin bes-

ser geschult, aber der Konkurrent ist halt auch ein Nationalspieler. Als ich mich dann an den Rhythmus gewöhnt hatte, war es kein Problem mehr. Dafür brauchte ich aber viele Monate, Zweifel an mir hatte ich dennoch nie. Bei Bremen hat mir Frank Verlaat sehr geholfen, der zuvor in Lausanne gespielt hatte und der eines meiner Idole war. Bei ihm zu Hause haben wir jeweils Fotos und Wimpel angeschaut, die ich noch aus jener Zeit hatte.

«Mit dem Ball war ich überfordert.» Kamst du überhaupt mal richtig in die Mannschaft rein, so oft wie du verletzt warst? Ich war zwar nicht an vielen Spielen dabei, aber neben dem Platz war ich der Captain. Ich habe kaum eine After-SpielParty verpasst, wir haben viel gelacht und viel Blödsinn gemacht. Bei solchen Anlässen war ich nie verletzt (lacht). Darum war ich auch gut integriert. In Ailton hattest du da wohl einen besonderen Freund. Er war neben mir in der Kabine. Dank ihm hatte ich jeden Morgen ein gutes Gefühl, weil er immer seine LeopardenUnterhosen präsentiert hat. Damit war der Tag schon gerettet. Mit ihm zusammen hast du auch die Meisterschaft unvergesslich gefeiert. Nackt im Whirlpool des Münchner Olympiastadions... (Lacht) Die Bilder hab ich nicht gesehen, das ist sicher nur ein Gerücht. Ich hab zwar nicht viel gespielt in jener Saison, und doch war ich der erste Spieler, der in den Pool geschmissen wurde. Unvergessliche Momente waren das, auch die Ankunft in Bremen mit all den Fans. Dafür spielt man Fussball! Ich erinnere mich sehr gerne daran zurück, aber ohne Nostalgie und Sehnsucht. An Ailton habe ich lange nicht gedacht, jetzt hast du ihn erwähnt, und schon muss ich lächeln. Der hat nie trainiert, nur ein bisschen gedehnt

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ludovic magnin und war dennoch der Schnellste. Micoud spielte ihm die Bälle, er haute sie rein. Wir haben toll Fussball gespielt. Zwar 40 Tore kassiert, aber gefühlte 120 geschossen. Hast du dir von Ailton in Sachen Mode was abgeguckt? (Lacht) Nein, das nicht. Ich habe zwar nicht annähernd alles verstanden, was er gesagt hat, aber er war echt ein toller Mensch. Immer mit einem Lächeln, immer Flausen im Kopf. Das hat für Leben gesorgt. Mit ihm und der ganzen Mannschaft hat es grossen Spass gemacht, sowohl auf wie auch neben dem Platz. Nach deinem Wechsel zu Stuttgart hat dann anscheinend Mario Gomez Ailtons Rolle an deiner Seite übernommen. (Schmunzelt) Sagen wir es so: Wir waren eine Gruppe von Spielern, die viele Stunden zusammen in der Dunkelheit verbracht hat. Tagsüber waren wir zwar auch nicht schlecht, aber die Champions League gewonnen haben wir in der Nacht. Man schart ja gerne Leute um sich, die ähnlich ticken. Aber es gab auch einige, die zurückhaltender sind als Mario und ich, die aber dennoch gerne mit uns unterwegs waren. Du bist ja ein richtig gutes Vorbild. Wichtig ist nur, den richtigen Zeitpunkt zu wählen. Wenn man alle drei Tage ein Spiel hat, dann lässt man es besser sein. Wenn man hingegen eine Woche frei hat, dann kann man dafür gleich zwei Tage machen (lacht). Es gibt Anekdoten mit Mario, wenn ich die auspacken würde, würde die Welt zehn Tage lachen.

«Ich war 15, 20 Kilo schwer und hatte Beine wie Brezel.» Wenn ihr beide zurückgetreten seid, machen wir nochmals ein Interview. Gerne! Wobei: Es sind keine schlimmen Dinge, wir haben einfach lustige Sachen gemacht, meistens mit der gleichen Gruppe, in der auch Streller dabei war. Wir haben einander auch oft Streiche

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gespielt und veräppelt. Wenn einer angerufen und irgendwas erzählt hat, das man nicht geglaubt hat, musste man immer Hitzlsperger verlangen, weil der nicht lügen kann. Jetzt wollen wir aber doch mal so einen Streich hören. Na gut: Also einer von uns – ich werde keine Namen nennen – hat mal den Audi R8 von unserem Torwart Raphael Schäfer, der ihm extrem lieb und wichtig war, bei Autoscout.de ausgeschrieben, natürlich zu einem Dumpingpreis. Wir waren auf dem Weg zu einem Spiel, und er bekam massenhaft Anrufe aus Osteuropa und verstand die Welt nicht mehr. Nach dem Spiel hatte er unzählige Nachrichten auf der Combox, die meisten aus Polen. Er musste danach sein Autokennzeichen und seine Handynummer wechseln. Ich glaube, auch dank solchen Spässen sind wir Meister geworden. Das kannst du natürlich nur machen, wenn es gut läuft. Wurde es denn toleriert? Wie gesagt, wenn die Leistung stimmt, kann man sich mehr erlauben. Da hilft es enorm, wenn der Sportdirektor auch mal Spieler gewesen ist und weiss, wie es läuft in einem Team. Denn gerade in Deutschland wird alles gleich publik. Da kamen Kommentare in Online-Foren oder Faxe rein, in denen stand, dass wir am Tag zuvor im Ausgang gewesen seien. Ich bin ohne Ärger und Strafen durch meine Karriere gekommen, weil wir immer wussten, wann solche Aktionen akzeptabel waren. Du bist mit zwei Vereinen deutscher Meister geworden, die nicht zu den Favoriten gezählt haben. Machte die Freude schliesslich den Unterschied? Ja, das glaube ich wirklich. Wir haben auch nie übertrieben. Wir waren vielleicht am nächsten Tag im Training ein bisschen müde, okay. Mein Glück war, dass ich zweimal zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Mannschaft war. Wir hatten Spass und waren in dem Moment bereit, als die Bayern schwächelten.

Ist die fehlende Freude, die fehlende Verrücktheit auch ein Problem bei den jüngeren Fussballern? Meiner Ansicht nach schon. Das ist nichts gegen die Jungen selber, sondern gegen die Gesellschaft. Ich hoffe, dem kann ich als junger Trainer zukünftig etwas entgegenwirken, wenn das überhaupt möglich ist. Denn in diesen Ausbildungszentren werden die Jungen heute sehr früh in gewisse Schienen gelenkt. Das heisst: keine Tattoos, kein Alkohol, keine Zigaretten, kein Ausgang, um 22 Uhr im Bett. Und das geht mir auf den Keks. Wie soll ein Charakter geformt werden, wenn man den Jungen keine Selbstverantwortung überträgt? Heutzutage fehlt mir bei den Jungen menschlich etwas, auch wenn sie sicher taktisch und technisch viel besser sind als wir früher. Ich sehe oft nicht, dass sie Spass am Fussball haben, und der muss im Vordergrund stehen. Deine Söhne spielen auch Fussball. Wie ist es bei denen? Da gibt es einige Eltern, die schon 5- oder 9-Jährige fordern und reinrufen: «Spiel endlich mal ab!» Wenn ein Kind dribbelt, lass es doch dribbeln! Es wird selber lernen, wann es den Ball abspielen muss. Wenn es jedoch nie dribbeln darf, wird es das auch nie lernen. Warum haben wir wohl in der Schweiz Probleme damit, eine Nummer 10 oder einen Stürmer zu finden? Genau deshalb! Ich habe am meisten gelernt auf irgendwelchen Äckern mit 30 anderen Kindern, ohne Trainer, ohne Schiedsrichter, dafür mit 100 Liter Eistee. Heute trainieren die Kinder schon vier Mal die Woche, aber denen fehlt diese Verrücktheit. Die Schweiz hat in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht, die Jungen sind fussballerisch viel besser als ich, doch jetzt geht es darum, die richtige Balance zu finden. Es ist nicht nur im Fussball so, dass die Freude verloren geht. Den Kindern wird kaum noch die Möglichkeit gegeben, einfach mal Kind zu sein. Selbst im Kindergarten sind die Kleinen schon gefordert.

hey chrischtkind! ich wünsche mir en schlitte, du huere schissdrägg, du! gruss, carlos varela


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ludovic magnin Dann ist die aktuelle Schweizer Nati ein gutes Spiegelbild der Gesellschaft: bestens ausgebildete junge Profis, athletisch, taktisch und technisch top, aber dennoch ist die Ideenlosigkeit offensichtlich. Dazu muss ich sagen, dass es mich selber immer genervt hat, wenn Ex-Natispieler zur aktuellen Auswahl ihren Senf abgegeben haben. Ich mache mir zwar Gedanken dazu, aber es ist nicht meine Aufgabe, zu kritisieren oder mich überhaupt dazu zu äussern. Leute, die so was machen, sind frustriert wegen ihrer eigenen Karriere und massen sich dann an, beispielsweise einen Spieler in die Pfanne zu hauen, der 42 Tore für die Nati geschossen hat. Mit der Heim-EM 2008 endete deine Zeit als Leistungsträger in der Nati, weil du auch in Stuttgart unter Markus Babbel, mit dem du noch zusammenspieltest, das Bankwesen kennenlernen musstest. Manchmal ist das Leben eben auch Politik. Ich habe immer gesagt, was ich denke. Bei Stuttgart war es das einzige Mal, dass eine Aussage von mir meiner Laufbahn im Wege stand. Ich habe lediglich das laut gesagt, was viele dachten. Darauf bin ich nicht stolz, doch ich bereue es auch nicht.

«Neben dem Platz war ich der Captain.» Du wurdest auf die Bank verbannt, heute beim FC Zürich hast du wieder diese Rolle inne, obwohl du in einem früheren Interview mal gesagt hast, es mache dich richtig wütend, Ersatz zu sein. Das ist immer noch so. Wem es genügt, auf der Bank zu sitzen, der soll mit dem Fussball aufhören. Wenn mein Konkurrent besser trainiert als ich, dann kann ich den Entscheid auch akzeptieren. Ich bin dann zwar sauer, dass ich nicht spiele, aber nicht auf den Trainer oder den Konkurrenten, sondern es spornt mich an, mehr zu geben. Der Konkurrenzkampf ist – das muss man sagen – im Ausland besser und fairer. Der Beste spielt, und die Positionen werden immer wieder von Neuem vergeben.

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Ludovic Magnin (*1979) begann seine Profikarriere unter Lucien Favre in Yverdon. Nach einem Jahr beim FC Lugano wagte er den Sprung in die Bundesliga. Bei Werder Bremen war er wegen Verletzungen meist nur Ergänzungsspieler, wurde aber 2004 deutscher Meister und Pokalsieger. Nach seinem Wechsel zu Stuttgart holte er dann als Stammspieler den Meistertitel 2007. Ein halbes Jahr vor Ablauf seiner Vertragszeit kehrte er in die Schweiz zurück und unterschrieb beim FCZ einen 3½-Jahres-Vertrag. In der Nati gab er 2000 sein Debüt und gehörte an den EM 2000 und 2004 sowie an den WM 2006 und 2010 zum Kader. Nach der WM in Südafrika erklärte er seinen Rücktritt. (syk)

Dafür ist der Druck auch deutlich höher. Ja, das sieht man auch an den Beispielen der letzten Zeit: Enke, Rangnick, Rafati. Das ist auch der Grund, weshalb ich zurückgekommen bin. Ich brauche Spass im Leben. Ich kann gut mit Druck umgehen, doch ich will nicht so weit gehen müssen, bis ich kaputt bin. Ende 2009 war ich wirklich fertig im Kopf, ich brauchte Menschlichkeit und Wärme. In Deutschland ist es nun mal sehr erfolgsorientiert. Wenn du verlierst, ist die Hölle los, selbst wenn du gut gespielt hast. Neun Jahre konnte ich damit umgehen, doch von einem Tag auf den anderen konnte ich es nicht mehr. Ich durfte sehr schöne Jahre in Deutschland erleben, doch ich konnte dort nicht mehr glücklich sein. Stuttgart hat mir netterweise auch keine Steine in den Weg gelegt. Müssten die Deutschen denn etwas lernen von uns Schweizern? Einerseits würde ihnen etwas mehr Lockerheit bestimmt guttun, andererseits ist es ja genau die Stärke der Deutschen, dass sie nie aufgeben. Ich jedenfalls hätte gerne zwischendurch durchatmen können. Umgekehrt könnten sich die Schweizer Fussballer einiges von der deutschen Mentalität abschauen. Hier wollen viele nach einer Stunde Training schon unter

die Dusche, der Deutsche legt nach zwei intensiven Stunden freiwillig noch eine halbe drauf. Hast du zuletzt deine berühmte Lockerheit nicht auch ein wenig verloren? Ich wurde stets kritisiert für mein Auftreten auf dem Platz. Dieses ständige Rummeckern an meinem Stil hat mich irgendwann ermüdet, obwohl es lange Zeit spurlos an mir vorüberging. In Deutschland wird in den Medien sehr professionell gearbeitet, während man sich hierzulande von Amateurjournalisten totquatschen lassen muss. Wenn man mich kritisiert als Fussballer, ist das natürlich in Ordnung. Aber als Mensch? Das geht gar nicht! Lese ich nach einem Spiel, dass meine Flanken scheisse waren, kann ich das akzeptieren. Aber wenn man auf vier Seiten meine Gestik analysiert, dann werde ich als Mensch angegriffen. Da wird darauf rumgeritten, obwohl ich noch nie vom Platz geflogen bin wegen Gelb-Rot nach Reklamieren. Wie kommst du mit der Kritik der FCZFans klar, die nicht verstehen, warum man sich dich als Ersatzspieler leistet? Das ist eine berechtigte Frage, dafür habe ich durchaus Verständnis. Aber was der Metzger von Brüttisellen sagt, spielt für mich keine Rolle. Ich versuche, im Verein auch etwas zu bewirken, wenn ich nicht spiele. Nur sehen das die Leute halt nicht. Der FCZ brauchte jemanden, der sagt, was Sache ist, und ich versuche, dies im Sinne des Vereins zu machen. Natürlich muss ich mich zurückhalten, wenn ich selber nicht mal spiele. Vor zehn Jahren hast du die Liga verlassen, nun bist du zurück. Was hat sich in dieser Zeit geändert? Die Super League ist nach wie vor eine tolle Liga für junge Spieler und auch für ältere. Aber dazwischen solltest du mal im Ausland gewesen sein. Das ideale Alter hierfür gibt es indes nicht. Ein Rodriguez zum Beispiel ist schon sehr reif für sein Alter, andere brauchen etwas länger. Jeder Junge ist unterschiedlich. Also zumindest von der Reife her, sonst sind sie ja eben alle auf der gleichen Schiene (lacht).



AUSLAN Auslandschweizer

Fasnacht auf offener See Text: Michele Coviello / Bild: www.stephengatt.com

Carlo Polli war einst ein vielversprechendes Tessiner Talent im Nachwuchs von Genoa Calcio. Nun spielt er in der Premier League – allerdings auf Malta, bei den Hamrun Spartans.

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m Fotoalbum auf Facebook vermischen sich Ferien und Fussball, Strand und Stadien. Im Telefonhörer rauscht das Meer. Carlo Polli sagt: «Dieser Ort ist fantastisch.» Seit dem 15. August lebt

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der Tessiner auf der mediterranen Insel Malta, wo das Wasser türkisblau schimmert und der Wind selbst in den kältesten Monaten nie kühler als 15 Grad bläst. Deshalb könne man immer gut trainieren. Die Voraussetzungen seien ideal. «Als Fussballer führt man hier ein schönes Leben.» Der Tagesablauf des 22-Jährigen beweist es. In Bugibba haust Carlo Polli in der Nähe einer Bucht. Er steht morgens um 8.30 Uhr auf und sitzt eine halbe Stunde später bei seinem Privatlehrer. Mit ihm lernt er bis 12.30 Uhr Englisch, die zweite Amtssprache der ehemaligen britischen Kolonie. Erst zum Mittagessen trifft er auf seine Teamkollegen von Hamrun Spartans, dem siebenfachen Meister und sechsfachen Cupsieger des Landes. Polli ist mit zwei Brasilianern, einem Schotten, einem Portugiesen und einem

Kroaten einer der sechs ausländischen Profis im Verein. Einige einheimische Spieler führen nebenbei ein Geschäft oder eine Bar. Mit ihnen stemmt er ab 15 Uhr im Kraftraum Gewichte, übt dann ab 17 Uhr auf dem Rasen Pressing und Passstafetten, Lobs und Laufwege, Taktik und Torschuss. Die Abende sind bedächtig. Ein Nachtessen, ein Film, etwas Surfen im Internet. «Das Leben hier ist ruhig», sagt Polli, «in diesen kleinen Städten wie Buggiba und Hamrun sind die Menschen offen, kommen auf mich zu, sprechen mit mir.» Die Erlebnisse seien schön. Schön und gut. Davide Morandi, sein ehemaliger Trainer im FC Locarno während der Saison 2009/2010, kann das nachvollziehen. «Menschlich hat er mit dem Transfer nach Malta bestimmt einen interessanten Schritt gemacht», sagt dieser. Davon abgeraten hätte er ihm trotzdem: «Bei allem Respekt für Malta – das war ein Fehler.» Er denke nicht, dass Maltas Premier League seine fussballerische Karriere verbessern werde. «Schade», sagt Morandi, «aufgrund seiner Qualitäten hätte er sich in einer anderen Meisterschaft durchsetzen können.» Wie einst Behrami Kraft, Kampfgeist, Rhythmuswechsel, Technik: Diese Eigenschaften zeichnen


Auslandschweizer Carlo Polli im Dress der Hamrun Spartans

den offensiven Mittelfeldspieler aus. Sein Idol ist Valon Behrami. Ihn hat er gar als Profilbild seines Facebook-Accounts gewählt. Von dessen Erfolg ist Polli weit entfernt, auch wenn seine Karriere sehr ähnlich gestartet war. Denn im Jahr 2008 wird Carlo Polli, damals Talent des FC Lugano, vom italienischen Traditionsverein Genoa FC verpflichtet. In der Serie A sitzt er zwar nur ab und zu auf der Ersatzbank, doch in der Primavera, dem Nachwuchs, ist er ein wichtiger Spieler. Manchmal zählt er gar zu den Besten auf dem Platz, und er gewinnt mit dem Nachwuchs sowohl Cup als auch Supercup. «Es lief sehr gut», sagt Polli, «aber im besten Moment musste ich mich am Knie operieren lassen.» Sieben Monate ist er weg. «Ich musste von vorne beginnen.» Der Neustart misslingt. Er versucht sich in Locarno, dann in der vergangenen Saison unter Raimondo Ponte in Chiasso. «Ich spielte, konnte aber nicht entscheidend sein», sagt Polli, «ich war unglücklich.» Also verhandelt er diesen Sommer mit Lugano und Wohlen. Chiasso sichert sich inzwischen mit neuen Spielern ab. «Es gab nicht viele Alternativen», sagt Pollis Manager Mattia Galli. Und lukrativ war der Transfer auch nicht. Polli verdient wie in einem mittleren Schweizer Challenge-League-Verein, nur Klubs

wie La Valletta können Löhne von bis zu 10 000 Franken bezahlen. Ähnlich wie in unserer zweiten Division ist auch das Niveau. Trotzdem ist Malta laut Galli keine Sackgasse. Von der Insel mitten im Mittelmeer könnte Polli in grössere Häfen einlaufen. «Wenn Carlo diese Saison zwischen 25 und 30 Partien spielt, wird er interessanter», sagt Galli. Die zahlungskräftigeren Ligen Zyperns, Griechenlands und der Türkei hätten ein Auge auf die maltesische Meisterschaft. «Es kommt immer wieder zu Transfers in diese Länder», sagt Galli. Hoffen auf mehr Ein gutes Schaufenster ist Hamrun derzeit aber nicht. Die Saison startete gleich mit einem Abzug von vier Punkten, weil das Team in der ersten Partie mit einem nicht qualifizierten Spieler antrat. In der

Zwölferliga ist man derzeit im hinteren Mittelfeld platziert. Polli fühlt sich aber wohl. Er habe etwas in seinem Leben verändern wollen, und er spürt, dass ihm das gelungen ist. «Ich habe meinen Rhythmus gefunden und einen Trainer, der mich anspornt und an mich glaubt.» Natürlich hofft er auf eine gute Saison, auf eine andere Liga. «Aber ich bin froh, hier zu sein», sagt er ohne Reue, «auch wenn ich ein weiteres Jahr bleiben müsste, wäre das kein Problem.» Er schätzt die Menschen, die eng mit dem Fussball verbunden sind. Gerne denkt er an sein erstes Spiel zurück. «Ich erwartete nur wenige Leute im Stadion.» Doch es ging sofort um ein Derby gegen das benachbarte Valletta. «Die 7000 Zuschauer waren keinen Moment still und machten mit Trommeln und Trompeten einen unglaublichen Lärm. Es war wie an der Fasnacht.»

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Mehr Spielkunst, weniger Fouls. Spielt fair.


fairplay Text: Philip Lever / Bild: Keystone

Der andere Geist von Feusisberg In Freienbach trainiert auch die Schweizer Nati. Titel holt indes nur der lokale Verein. Er wurde als fairster der Schweiz ausgezeichnet.

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hrummen» heisst der Sportplatz, der am Rand des kleinen Dörfchens Freienbach im Kanton Schwyz gelegen ist. Mit drei guten Golfschlägen schafft man es vom Anspielkreis bis in den Zürichsee. Die meiste Zeit des Jahres ist der «Chrummen» lediglich die Heimat des ambitionierten Dorfvereins, dessen erste Mannschaft in der 2. Liga interregional derzeit noch im Rennen um den Aufstieg ist. Nur für einige Tage im Jahr nimmt eine Mannschaft den Platz in Beschlag, dessen Mitglieder das oben erwähnte Kunststück mit den drei Golfschlägen wohl alle locker schaffen würden. Denn ein Spaziergang den Hügel hoch führt zum mondänen «Panorama Resort & Spa Feusisberg», hier logiert jeweils die Schweizer Nati und absolviert ihre Trainingseinheiten auf dem «Chrummen». Der Unterschied muss für die Zuschauer frappant sein. Fussballerisch haben die hochdekorierten Profis den Hobbykickern wohl einiges voraus, aber auch die Internationalen könnten von den Zweitligisten etwas lernen, und zwar in Sachen Fairplay. Wir erinnern uns: Vor der EM 2004 zerschmetterte hier Marco Zwyssig seinem Namensvetter Streller das Schien- und das Wadenbein, vor der EM 2008 trat Gelson Fernandes

Tranquillo Barnetta um und vermieste diesem beinahe die Heim-EM, nur ein paar Monate später verletzte der gleiche Akteur den anfälligen Valon Behrami am Knöchel. Ereignisse wie diese kommen jedes Wochenende auf den Fussballplätzen unseres Landes vor. Mehr als 250 000 Lizenzierte und gegen 400 000 Freizeittschütteler treten regelmässig gegen den Ball, da sind Verletzungen vorprogrammiert. 40 000 Unfälle pro Jahr werden registriert, die nicht nur Schmerzen verursachen, sondern auch eine halbe Million Ausfalltage und Kosten in Höhe von 145 Millionen Franken. Das entspricht etwa dem fünffachen Budget von Branchenprimus FC Basel. Würden sich alle Mannschaften wie diejenigen des FC Freienbach aufführen, könnten diese Kosten massiv gesenkt werden, und Herr und Frau Schweizer dürften sich über tiefere Versicherungsprämien freuen. Der Schwyzer Verein wurde nämlich kürzlich als fairster der Schweiz mit der Fairplay-Trophy ausgezeichnet, die jährlich vom Schweizerischen Fussballverband (SFV) und der Suva vergeben wird. In einer ersten Phase wurde hierfür eine Rangliste erstellt, wobei Gelbe und Rote Karten aller Mannschaften

Strafpunkte zur Folge hatten. Die fünf bestklassierten der dreizehn Regionalverbände wurden danach von den Verantwortlichen der Regionen besucht und gemäss einer einheitlichen Kriterienliste bewertet, wobei zusätzlich das Verhalten aller Vereinsmitglieder gegenüber Gegnern, Schiedsrichtern und Funktionären angeschaut wurde. Als Sieger durften die Freienbacher einen Gutschein für Sportartikel im Wert von 10 000 Franken aus den Händen von Ottmar Hitzfeld entgegennehmen. Dass in den Top 10 kein einziger Profiverein vertreten war, kann nicht erstaunen. Wie Hitzfeld bei der Übergabe richtig sagte: «Fairplay ist viel mehr als das Einhalten der Regeln. Es widerspiegelt den Charakter des Teams und jedes Spielers.» Spätestens in Phase 2 dürften die Profis den Anforderungen mit ihrem nicht selten an Respekt mangelnden Auftreten den Wunschvorstellungen der Jury nicht mehr genügen. Vielleicht sollten sich alle Mannschaften der obersten Ligen jährlich auf dem «Chrummen» treffen, um vom FC Freienbach den anderen Geist von Feusisberg eingeimpft zu bekommen. Nämlich jenen, der erfolgreich Fussball spielen lässt, ohne die Grundprinzipien des Fairplays zu vernachlässigen.

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Z

wei Kreuzbandrisse setzten Thierry Doubaï bei YB lange Zeit ausser Gefecht, trotzdem wechselte der Ivorer auf diese Saison hin in die Serie A zu Udinese. Der Transfer spülte über 3,5 Millionen Franken in die Kasse des BSC Young Boys. Als Thierry seinen jüngeren Bruder Pascal bei YB allein zurückliess, zollte man den «Söiblüemli» einmal mehr Respekt für das, was ihnen regelmässig gelingt: Die sogenannte Phase 3 im YBMasterplan erwies sich zwar als Rohrkrepierer, denn die Gelb-Schwarzen holen nach wie vor keine Titel und werkeln munter weiter am Ruf des Versagens. Trotzdem transferiert man einen Spie-

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ler nach dem anderen für viel Geld ins Ausland. Allein aus der Zusammenarbeit mit der Akademie des Zweitdivisionärs AS Athlétic Adjamé nahm YB Millionen ein wie ein europäischer Grossklub – neben dem Erlös für Thierry Doubaï satte 15 Millionen für den Überflieger Seydou Doumbia. Zur allgemeinen Überraschung erklärten die Verantwortlichen bei YB aber vor Jahresfrist, die Kosten der Zusammenarbeit mit dem ivorischen Verein seien zu hoch. Die Berner rechneten vor: Von Frühjahr 2008 bis Ende 2009 hätten sie 200 000 Franken an die Fussballschule in Adjamé bezahlt. Ausserdem schickten

sie Bälle, Trikots, Hosen und Stulpen in eine Metropole, in der viele Kinder mit aus Papier und Klebstreifen gebastelten Bällen kicken und sich mit Karton als Schienbeinschoner vor manchmal ohne Rücksicht auf Verluste ausgeführten Tritten schützen. Im Gegenzug erhielt YB die Exklusivrechte an den Nachwuchsspielern von Athlétic Adjamé. Hinzu kamen die Ablösesummen: für Pascal Doubaï und Youssouf Traoré je ca. 200 000 Franken, ca. 400 000 Franken zahlte YB für Doumbia und Thierry Doubaï. Nur: Für den Transfer von Doumbia zu ZSKA Moskau liess sich YB rund 70 Mal mehr auszahlen, als der


YB/Elfenbeinküste

Sonderbares YB-Einmaleins Text: Ueli Zoss / Bild: Andreas Meier (freshfocus)

Phase 1 im Stade de Suisse – das war einmal. Phase 2 verlief einigermassen nach Plan. Vor der Zündung der Phase 3, die endlich den sportlichen Erfolg bringen sollte, kippte YB die Zusammenarbeit mit der Fussballschule von Athlétic Adjamé, einem Klub in der ivorischen Wirtschaftsmetropole Abidjan. Warum eigentlich? anfängliche No-Name gekostet hatte. Summa summarum nahm YB aus der Kooperation mit Abidjan aufgerundet brutto 20 Millionen Franken ein und gab lediglich rund eine Million aus. Nur unwesentlich weniger – 800 000 Franken – soll YB im letzten Sommer für den ehemaligen Xamaxien Freddy Mveng hingeblättert haben. Der Kameruner hat indes noch kaum eine Minute fürs Fanionteam gespielt. Abrechnung mit Stefan Niedermaier Das Plus von brutto 19 Millionen aus der Zusammenarbeit mit der Elfenbeinküste lässt den Schluss zu: Wirtschaftliche und

sportliche Gründe waren für YB kaum ausschlaggebend für das Ende der Kooperation mit Adjamé. Vielmehr machte die neue YB-Führung mit der Aktion «Out of Africa» offenbar endgültig Tabula rasa mit der Amtszeit von Stefan Niedermaier, dem ehemaligen CEO des Stade de Suisse, der den Partnerschaftsvertrag mit Adjamé abgeschlossen hatte. Niedermaier geriet im YB-Haus in Kritik, als der CEO zusehends die Rolle des Sportchefs übernahm. Eng zur Seite stand ihm bei den Transfergeschäften der Walliser Spielerberater Jean-Bernard Beytrison, dessen Spieler für YB teilweise zur Goldgrube wurden. Nebst Thierry

Doubaï und Doumbia verkauften die Young Boys aus der Klientel von Beytrison für zusammen weitere rund 10 Millionen Franken: Kader Mangane zu Lens, Kamil Zayatte zu Hull City und Henri Bienvenu zu Fenerbahçe Istanbul. Andere aktuelle oder ehemalige Spieler von Beytrison wie Hassan Lingani, Issam Mardassi, Matar Coly und Ammar Jemal stehen oder standen allerdings zu lange auf der Payroll der Berner, und YB setzte mit ihnen auch ein paar Millionen in den Sand. Man könne nicht einseitig über nur einen Kanal Transfers tätigen, und es könne auch nicht sein, dass Transfererfolge dem Berater gutge-

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schrieben würden, während der Klub die Misserfolge zu tragen habe, liess die nach Niedermaier eingesetzte YB-Obrigkeit verlauten. Alles begann mit Lucien Favre Doumbia sei aus Japan gekommen, die Akademie habe lediglich den Tipp gegeben, reduzierte die YB-Chefetage den Einfluss von Athlétic Adjamé beim Zuzug des zweifachen Torschützenkönigs und zweifachen Spieler des Jahres der Super League auf ein Minimum. Diese Aussage entspricht nur bedingt dem wahren Sachverhalt: Niedermaier, Beytrison und Thierry Doubaï trafen sich im Winter 2008 mit Lucien Favre, damals Trainer bei der Hertha in Berlin. Favre wollte Doubaï verpflichten, verzichtete aber schlussendlich auf die Dienste des

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Ivorers, weil dieser der einzige Franzö- «amis bernois» in der Akademie herum, sisch sprechende Spieler in seinem Kader seine Junioren spielten für die Gäste gewesen wäre. Der Fünfte in der Run- auf. Ob die Allerbesten am Werk waren, de war Olivier Koutoua, Gründer der bleibt fraglich. In den Talentschmieden Akademie von Athlétic Adjamé. Thierry Afrikas werden die wahren AusnahmeDoubaï war einer seiner Schützlinge. Auf spieler so lange den Blicken der fremden dem Rückweg nach Bern wollte Nieder- Späher vorenthalten, bis die Parteien maier von seinem Spieler mehr über ernsthaft ins Geschäft gekommen sind. Koutoua und die Akademie wissen. Im Klubhaus entdeckte Niedermaier jeWas der ehemalige Macher im Stade denfalls ein Trikot des japanischen Verde Suisse zu hören bekam, weckte sein Interesse. Geschlagen wurde die Berner Liebes Christkind Brücke an die Elfenbeinküste Ende April 2008, dem lieben Bulat Wir wünschen uns von dir, dass du als Niedermaier mit dem dachten dabei an einen neuen Posten verschaffst. Wir ehemaligen YB-Sportchef tschetschenische eli Jogg den FC Basel, damit auch im Alain Baumann ein erstes bei Spielern Folkore Einzug hält, die Fluktuation Mal zu Besuch in Abidjan n mal gründlich und Staff endlich zunimmt, der Lade war. Koutoua führte die t n gerechne untersucht wird und mit Punktabzüge werden kann. g zu unseren Uns würde es freuen, eine Einladun teht sich. Meisterfeiern wäre dir gewiss. VIP, vers In freudiger Erwartung.

I. Kaenzig

A. Canepa

W. Stierli


YB/Elfenbeinküste

eins Kashiwa Reysol und liess sich darüber aufklären, was es damit auf sich hat. Er hörte erstmals von Seydou Doumbia, der sich nach Japan aufgemacht habe und ein Stürmer mit gehobenen Qualitäten sei. Dann ging alles schnell. Auch Thierry Doubaï bearbeitete Beytrison mit Vehemenz, Doumbia nach Bern zu holen. Im Januar 2010 flog Niedermaier ein zweites Mal nach Abidjan, diesmal in Begleitung von Stéphane Chapuisat, Reportern, Fotografen und einem Team von SF. Die Bilder machten die Runde: An einem Hang liegt St-Michel d’Adjamé. Die Strasse ist abfallend, ihr Belag ist aufgebrochen. Kinder haben mit weisser Farbe mitten auf die Kreuzung einen Anstosspunkt gepinselt. Je zehn Meter davon entfernt sind Tore hingemalt.

«Terrain Doubaï» steht in breiten Lettern auf dem Fussballfeld – das Spielfeld der Doubaï-Brüder. Thierry und Pascal wuchsen an dieser Strassenecke auf, zusammen mit 13 Geschwistern. Die Schweizer Delegation traf Kinder, die so fussballverrückt sind, dass sie kein noch so schlechter Platz und kein noch so kaputter Ball vom Spielen abhalten können. Und wenn wieder einer dieser tropischen, wasserfallähnlichen Regengüsse runterkommt – dann kicken sie unter Schirmen trotzdem weiter. In der bildstarken Reportage von SF kam auch die Zweischneidigkeit dieses Business zum Ausdruck. Handelt es sich um Menschenhandel oder um legitime Talentförderung, lautete die Frage, die eigentlich müssig scheint, wenn man berücksichtigt, dass Seydou Doumbia und

Thierry Doubaï mit bloss einem Bruchteil ihrer Einkünfte in der Heimat ganze Quartiere alimentieren können. Der Ball rollt wieder Kaum hatte YB die Zusammenarbeit mit Olivier Koutoua beendet, blieben die Trainingsplätze in Adjamé leer. Der seit Jahren schwelende Bürgerkrieg in der Elfenbeinküste brach aus, weil zwei Politiker, Alassane Ouattara und Laurent Gbagbo, im Duell um die Präsidentschaft des Landes Armeen um sich scharten. Zu blutigen Schusswechseln kam es auch in den Strassen unweit des Trainingsplatzes in Adjamé, wo heute erfreulicherweise wieder gespielt wird. Allein für die Wiedereröffnung der Akademie hätte Koutoua die Unterstützung von YB gut gebrauchen können.

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«Spinnst du?» 44 Text: Silvan Lerch / Fotos: Stefan Bohrer & Jean Weber


ersatzgoalie

Das Los des Ersatztorh체ters pr채gt ihre Karriere. Doch sie stemmen sich dagegen. Ein Blick auf nimmerm체de K채mpfer mit ganz unterschiedlichem Werdegang.

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kam noch schlimmer: Louis van Gaal, der Trainer in der neuen Spielzeit, setzte zwar ebenfalls zuerst auf Rensing. Nach einigen Unsicherheiten war der Torhüter aber seinen Posten wieder los, nun bereits nach vier Runden. Der einstige Hoffnungsträger wurde zur tragischen Figur. Erst später und fernab der Bayern, beim 1. FC Köln, fand Rensing zu seinem ursprünglichen Leistungsvermögen zurück.

Marcel Herzog, 31, FC Basel

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m Jahr, als Karl Grob ins Tor des FC Zürich rückt, heiratet Elvis Presley seine Priscilla, wird Che Guevara erschossen und in Deutschland das Farbfernsehen eingeführt. Im Jahr, als sich Grob vom FCZ verabschiedet, kündigt Michail Gorbatschow die Perestroika an, gründet Kurt Cobain Nirvana und wird Cesc Fàbregas geboren. Dazwischen liegen knapp 650 Pflichtspiele, die der Torhüter für Weiss-Blau bestreitet. So rasant sich die Welt auch drehen mag, auf dem Letzigrund schien sie stillzustehen. Von 1967 bis 1987 führte beim FCZ kein Weg an Grob vorbei. Und als dieser mit 41 Jahren doch noch den Kasten räumte, stieg der Verein prompt in der darauffolgenden Saison ab. Patrick Tornare, die vormali-

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ge Nummer zwei, hatte nicht überzeugt, sich dazu noch verletzt, und schon war die Chance vorbei, für die sich der Romand vier Jahre lang so geschunden hatte. Es gibt Angenehmeres, als das Erbe einer klubinternen Lichtgestalt anzutreten. Michael Rensing kann ein Lied davon singen. Mit 19 Jahren stiess er aus dem eigenen Nachwuchs in den Profikader Bayern Münchens vor. Schritt für Schritt sollte er zum Nachfolger von Oliver Kahn aufgebaut werden. Und tatsächlich: Nach dem Rücktritt des «Titanen» 2008 ernannte ihn Jürgen Klinsmann zur Nummer eins. Doch schon während der Rückrunde verlor der damals 25-Jährige den Stammplatz an Routinier Hans-Jörg Butt. Und es

Karriere in Gefahr Im Vergleich zur Bundesliga mutet die Super League geradezu beschaulich an. Gleichwohl gilt auch hierzulande das darwinsche Prinzip des Stärkeren. Es muss sich beweisen und bewähren, wer seine Daseinsberechtigung nicht verwirken will. Für Martin Brunner, langjähriger Torhüter von GC und Lausanne, zeigt sich selbst beim grössten Talent der wahre Wert erst mittelfristig. Müsse ein Junger für die Nummer eins einspringen, könne er dies in den ersten ein, zwei Spielen «ohne Druck» tun. Mit zunehmenden Einsätzen wächst allerdings die Erwartungshaltung. Nur wer in einer solchen Situation die Ruhe nicht verliere, bestehe, so der heutige Torwarttrainer des FCZ. Das Problem liegt darin, dass auch für einen Experten wie Brunner schwierig abzuschätzen bleibt, wie sich der Ersatzmann im Scheinwerferlicht schlägt. Letzte Saison musste er diese Erfahrung im eigenen Verein machen. Andrea Guatelli verbannte Johnny Leoni auf die Bank, weil der zu lange mit einem Wechsel ins Ausland geliebäugelt hatte. Doch der Italiener, vom FCZ als Nummer 1b angepriesen, patzerte mehrmals. Nach 23 Partien kehrte Leoni ins Tor zurück. Offiziell war Guatelli ein verlängerter Zapfenstreich zum Verhängnis geworden. Ganz unpassend schien den Verantwortlichen dieses Malheur indes nicht gekommen zu sein. Eine Chance auf Wiedergutmachung blieb Guatelli jedenfalls verwehrt. Deshalb will er in der Winterpause weg. Nach insgesamt über vier Saisons auf der Zürcher Bank ist es höchste Zeit. Sonst gefährdet der 27-Jährige seine Karriere. Es können eben noch so viele Trainings- und Freundschaftsspiele anberaumt werden, Ernstkämpfe lassen sich nur be-


ersatzgoalie dingt simulieren. Laut Marcel Herzog helfen nicht einmal Einsätze in der zweiten Mannschaft. «Goalie zu sein, ist vor allem eine Kopfsache», sagt der Ex-Duisburger. Er spricht aus leidvoller Erfahrung. In vier Jahren bestritt Herzog gerade einmal 15 Pflichtspiele für den MSV, obwohl er zur Zeit seines Wechsels von Schaffhausen in die Bundesliga 2007 als Nationalmannschaftskandidat gegolten hatte. Der Ersatztorhüter müsse «aufpassen, nicht in einen Trott zu fallen», in dem ihm alles egal sei. Herzog beugt mit mentaler Stärke dagegen vor. Trotz jahrelangem Frust auf der Bank hat er den Spass an der Arbeit nicht verloren. So fordert er seit dieser Saison Massimo Colomba heraus. Dass es dabei bloss um den Platz hinter dem unangefochtenen Yann Sommer beim FC Basel geht, mindert seinen Ehrgeiz nicht. Herzog fühlt sich fürs Erste einfach glücklich, beim Klub seines Herzens untergekommen zu sein. «Das ist keine Selbstverständlichkeit», bleibt der 31-Jährige realistisch. Der Torhütermarkt ist klein, offene Stellen sind rar, die Konkurrenz ist gross – zumal für einen, der im Ruhrpott in Vergessenheit zu geraten drohte. Der Feind im Team Gabriel Wüthrich kann ebenfalls Erfahrung aus Deutschland vorweisen. Im Januar 2009 war er sich nicht zu schade, in die dritte Liga nach Jena zu wechseln. In Vaduz hatten ihm unter Pierre Littbarski die Perspektiven gefehlt. Da kam ein Anruf seines früheren Torwarttrainers Stephan Lehmann gerade rechtzeitig, der kurz zuvor mit René van Eck bei Carl Zeiss gelandet war. Wüthrich sollte Druck auf die Nummer eins ausüben, Carsten Nulle, was dieser überhaupt nicht goutierte. Zuletzt standen vier Torhüter im Kader. Alle Konkurrenten betrachtete der Deutsche als seine «Feinde», so Wüthrich. Eine vergleichbare Situation hatte der Romand schon einmal erlebt, als er sich in Delsberg gegen den arrivierten David Inguscio durchsetzte. Die beiden lieferten sich einen Zweikampf, unter dem das ganze Team litt, allen voran der Herausforderer selber. «Der Energieverlust war einfach zu gross», gesteht der heute 30-Jährige.

Reto Bolli, 32, FC Aarau

In Jena wollte Wüthrich nicht noch einmal «in den Krieg» ziehen. Nach der Entlassung des Trainergespanns van Eck/Lehmann fehlten ihm zudem die Fürsprecher. So verliess Wüthrich Carl Zeiss, ohne einen Einsatz absolviert zu haben. Als Nächstes bestand er ein Probetraining in Lugano, begann die Saison als Nummer eins und fand sich dennoch alsbald auf der Bank wieder. Die italienischen Verantwortlichen zogen ihm einen Landsmann vor. Seither ist er, was er schon zur Genüge kennt: Platzhalter, mittlerweile in Luzern. «Das Schwierigste ist, auf Topniveau zu bleiben, obwohl du weisst, dass der Trainer deinen Einsatz nicht vorsieht», sagt Wüthrich. Diese Ausgangslage erfordert Geduld

und Selbstdisziplin. Vor Rückschlägen ist da auch ein Routinier nicht gefeit. Ein, zwei Wochen pro Jahr falle er in ein Loch, gibt er zu. Er frage sich dann schon: «Spinnst du? Du absolvierst das volle Pensum und spielst doch nicht!» Aber diese Zweifel verschwänden schnell wieder. Wüthrich lässt sich die Leidenschaft für den Fussball nicht nehmen, zumal er im Schweizer Cup eingesetzt wird und Luzerner Junioren trainieren darf. Für ihn «stimmt die Konstellation». Glück auf der Bank Reto Bolli kann mittlerweile dasselbe für sich behaupten. Die Ambitionen, die er als Jungspund im GC-Profikader hegte, liegen weit zurück. Ende der Neunzigerjahre

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konnte es ihm nicht schnell genug gehen. Mit 20 verliess er die Grasshoppers mangels Aussicht auf Spielpraxis und heuerte bei Locarno an. Seine Lehr- und Wanderjahre begannen. An deren Ende ist Bolli auf der Ersatzbank des FC Aarau gelandet. Mit seiner Rolle als Nummer zwei hat er sich abgefunden. Dieser Umdenkungsprozess setzte ein, als Bolli während der Saison 2007/08 beim damaligen Challenge-League-Klub Schaffhausen seinen Stammplatz an den neu verpflichteten früheren Nationalspieler Sébastien Roth verlor. Trainer Marco Schällibaums Rochade traf ihn völlig unvorbereitet. Er machte die Faust im Sack. Martin Brunner bringt Verständnis dafür auf. Ihn selber habe es ungemein geärgert, als ihm bei GC plötzlich Jungspund Pascal Zuberbühler vor die Nase gesetzt worden sei. Trotzdem dürfe sich ein Torwart keine negative Haltung erlauben, sonst leide die Leistung. Wer sich schlecht verkauft, ist als austauschbares Objekt bald weg vom Fenster. Reto Bolli zog die Konsequenzen und wechselte 2008 nach St. Gallen. Die Ausstrahlungskraft des Traditionsvereins faszinierte ihn, das Projekt Wiederaufstieg genauso. Deshalb akzeptierte er es auch, bloss als Stellvertreter Daniel Lopars geholt worden zu sein. Bolli begann, die persönlichen Ziele zu revidieren. Im Hinterkopf reifte der Gedanke, auch als Ersatztorhüter sein Glück finden zu können, wenn das Umfeld stimmt. Der Fokus verschob sich immer mehr vom Einsatz am Spieltag auf die Teamarbeit unter der Woche. Bolli realisierte, dass er als Nummer zwei nicht an Wert für die Mannschaft verliert. Bei Aarau kümmert sich der 32-Jährige um die Integration neuer Spieler und fungiert als eine Art Coach für den jungen Stammtorhüter Joel Mall. Ein Selbstläufer war es allerdings nicht, in die Rolle des Ersatzmanns zu schlüpfen. Zu Beginn verspürte Bolli auf der Bank «Unbehagen, plötzlich einspringen zu müssen». Er fürchtete, nicht die nötige Spannung, nicht den nötigen Fokus für einen Ernstfall mitzubringen. Ihm fehlte der ritualisierte Ablauf einer Nummer eins

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am Matchtag. Unterdessen hat sich diese Unsicherheit dank des Erfahrungsschatzes verflüchtigt. Trotzdem könnte die aktuelle Saison Bollis letzte sein. Demnächst wird er das Gespräch mit der Vereinsleitung suchen. Noch wägt er ab, ob die Freude am Fussball überwiegt oder die Lust, den Schritt ins neue Berufsleben zu wagen. Bolli belegt einen Studiengang in Betriebsökonomie. «Ich bin mit mir im Reinen», zieht er Bilanz. Es hätte besser laufen können, wenn er an Fabio Coltorti denkt, der in der Hierarchie des Schweizer U21-Teams hinter ihm gelegen hatte und später dennoch nach Spanien wechseln konnte. Aber es hätte auch schlechter laufen können, wenn er sich Nicolas Beney in Erinnerung ruft. Der war Stammgoalie der «Titanen» an der Heim-EM der Schweizer U21 2002, Bolli bloss der Ersatz des Ersatzes. Über Stationen bei mehrheitlich kleineren Klubs ist Beney jedoch nicht hinausgekommen. In der Saison 2008/09 hütete er als Sittener Aushilfskraft zuletzt das Tor eines Schweizer Profivereins. Penaltyheld an Krücken Manchmal nimmt der Fussball seltsame Wendungen. Zu viele Faktoren beeinflussen den Verlauf einer Karriere, als dass diese vorhersehbar bliebe. Ungeduld kann dazugehören wie im Fall von Reto Bolli, der nicht warten wollte und den Grasshoppers schon mit 20 Jahren den Rücken kehrte. Er habe ja, sagt er heute, nicht ahnen können, dass GC ein Jahr nach seinem Abgang den noch jüngeren Liechtensteiner Peter Jehle verpflichten würde, um diesen als Nummer eins aufzubauen. Ein die Karriere prägender Faktor kann auch zu viel Geduld sein. Im Nachhinein, findet Marcel Herzog, hätte er früher versuchen sollen, Duisburg zu verlassen. Spätestens wohl, als Peter Neururer bei Amtsantritt 2008 den Schweizer «ohne Not», so Herzog, aus dem Tor nahm und ihm den Konkurrenten vorzog, weil er diesen kannte. Fortan hielten die Duisburger Verantwortlichen den Schweizer hin. Als dann ein Angebot aus Cottbus eintraf, durfte es Herzog gleichwohl nicht annehmen. Der

MSV wollte im Aufstiegsrennen nicht auf seine Nummer zwei verzichten – was der Baselbieter versteht. Ein bemerkenswerter Zug. Herzog hat es in Duisburg mit Neururer erlebt, Gabriel Wüthrich in Vaduz mit Pierre Littbarski und Reto Bolli in Schaffhausen mit Marco Schällibaum: Wenn dem Trainer ein anderer Torwarttyp vorschwebt, ist der Weg auf die Ersatzbank nicht mehr weit. Darf Glück genauso als Faktor hinzugezogen werden, der über Erfolg und Misserfolg entscheidet? In Form von Verletzungspech vermutlich schon. Laut Martin Brunner lassen sich zwar viele Blessuren mit professionellem Leben und Trainieren vermeiden, ein Kreuzbandriss oder ein Schienbeinbruch kann einem Fussballer trotzdem widerfahren. Beides erlitt Swen König, der Penaltyheld an der U17-EM 2002. Im Final gegen Frankreich wehrte er zwei Strafstösse ab und trug so massgeblich zum Schweizer Coup bei. Vier Jahre später humpelte er an Krücken, als er sich bei verschiedenen Vereinen anbot. Wohlen ging das Risiko ein, König zahlte das Vertrauen mit guten Leistungen zurück, und bald darauf konnte er in der Super League bei Luzern unterschreiben. Er sammelte wertvolle Erfahrungen hinter David Zibung. Nur vollzog sich nie, was man öfters gemunkelt und was nicht zuletzt König dazu bewogen hatte, auf die Allmend zu wechseln: ein Verkauf Zibungs, der die Nummer zwei hätte aufrücken lassen. Verständnis im Verdrängungskampf So gut es ihm in Luzern gefiel, im dritten Jahr musste sich König «durchbeissen». Gerne hätte er den FCL verlassen, doch der liess ihn nicht ziehen. Wie Herzog kann auch König die Haltung des Vereins nachvollziehen, immerhin sei er dessen Angestellter. Der Klub zahle ihm ja auch den Lohn, wenn er nicht spiele. «Das Fussballgeschäft ist kein Wunschkonzert», bemerkt er nüchtern. Am meisten auf die Probe gestellt wurde König allerdings nicht etwa in dieser dritten Saison in Serie als Luzerner Ersatzmann, sondern in der ersten Spielzeit, die er wieder als Stammtorhüter in Angriff


ersatzgoalie nehmen durfte. König wechselte 2010 zu GC, wo auf jedes Hoch ein Tief folgte. Sowohl die Hin- als auch die Rückrunde begann er als Nummer eins, doch beide Male verlor er den Platz. Zuerst musste er verletzungsbedingt vorübergehend Ivan Benito weichen, dann im Frühjahr der Neuverpflichtung Roman Bürki. Und dies bis Ende Saison. In Zweifel zog sich König jedoch nie, im Gegenteil. Er gewann an Gelassenheit. Hadern gehört nicht zu den Wesenszügen des 26-Jährigen. Um als Profi zu bestehen, sei es unabdingbar, jegliche Wendungen «positiv anzunehmen». Hauptsache sei, dass er sich nie vorwerfen müsse, nicht alles versucht zu haben. Statt seiner Situation beschäftigte ihn bei GC denn auch vielmehr das für ihn fast schon undenkbare Szenario, so stark mit der Mannschaft in Schieflage geraten zu sein. Nach der Rettung des Vereins wurde eine Luftveränderung trotzdem unausweichlich. König nahm in der Challenge League bei Bellinzona einen neuen Anlauf. Das ständige Dilemma Martin Brunner glaubt, dass «jeder Goalie seines Glückes Schmied» sei. Längerfristig zahle sich Leistung aus. Mitleid mit dem Ersatzmann brauche es nicht. Die befragten Torhüter bestätigen dies. Marcel Herzog empfindet die Erfahrung in Duisburg zwar als «bitter», weil er bei seinen Einsätzen bewiesen habe, über genügend Potenzial für die Bundesliga zu verfügen. «Unfair» seien die Entscheide

gegen ihn jedoch nicht gewesen, da der Trainer halt andere Vorstellungen gehabt habe. Ebenso abgeklärt äussern sich Bolli, König und Wüthrich. Ihre Loyalität gegenüber Arbeitgeber und direktem Konkurrenten überrascht. Von so manchem Torhüter ist man sich mehr Egoismus gewohnt. Doch vielleicht trägt gerade der Wesenszug der Bescheidenheit dazu bei, dass sich alle vier in der ausgeprägten Leistungsgesellschaft des Fussballs nicht regelmässig durchsetzen konnten. Martin Brunner trat da dezidierter auf. Jahrelang gönnte er seinen Rivalen nicht eine Minute Einsatzzeit im GC-Tor. Sogar an Hallenturnieren gab er seinen Platz nicht preis. Karl Grob hielt sich in seinen 20 Saisons beim FCZ an dieselbe Maxime. Und Oliver Kahn im BayernKasten sowieso. «Das Leben ist Timing», liess sich Brunner einst in der NZZ zitieren. Bloss, das richtige Timing zu finden, kann überfordern. Der Ersatzmann ist im ständigen Zwiespalt, ob er versuchen soll, seinen Status klubintern zu ändern oder doch eher durch einen Vereinswechsel. Wenn dieser denn überhaupt erlaubt würde. Eine Patentlösung gibt es nicht. Dafür sind die beschriebenen Fälle Beispiel genug. Aber auch die Werdegänge anderer Nummern zwei in der Schweiz, die noch Ambitionen hegen: wie das einst vielgepriesene Talent Dragan Djukic, das in Thun im Schatten von Emporkömmling David Da Costa steht. Oder ExNationalmannschaftstorwart Germano Vailati, dem in St. Gallen nach Jahren als Nummer eins Daniel Lopar den Rang abgelaufen hat. Ausharren oder weiterziehen? Alle haben in ihrer Karriere schon beide Varianten ausprobiert, mit und ohne Erfolg. Wer nicht spielt, wird keine Nummer eins. Und wer keine Nummer eins ist, spielt nicht. Es ist ein Teufelskreis. Der Ausbruch gelingt nicht jedem. Kann er auch nicht – bei 26 Plätzen in Super und Challenge League, um die sich 73 Kandidaten streiten.

Reto Bolli (32): Mit 16 Jahren im GC-Profikader. 2002 dritter Torhüter der Schweizer U21 an der Heim-EM («Die Titanen»: Halbfinal-Qualifikation). Knapp sieben Jahre Nummer eins im Tessin (Locarno, Bellinzona, Lugano), dann Nummer zwei hinter Marcel Herzog in Schaffhausen. Nach dessen Abgang Stammplatz, den er später an Sébastien Roth verlor. Drei Saisons in St. Gallen (2 Einsätze). Januar 2011 Wechsel zu Aarau, nun Ersatztorhüter. Marcel Herzog (31): 1997–2003 Stammkeeper bei Concordia Basel (1. Liga und NLB), dazwischen kurz bei der U21 des FC Basel. 2003–07 bei Schaffhausen Nummer eins (Challenge und Super League). 2007– 11 meist Ersatz beim MSV Duisburg (1. und 2. Bundesliga). Seit dieser Saison Nummer drei beim FC Basel. Swen König (26): Penaltyheld im Final gegen Frankreich an der gewonnenen U17EM 2002. 2003/04 1 Super-League-Spiel für Aarau. 2005/06 14 Partien für Vaduz, 2006/07 18 für Wohlen (jeweils Challenge League). 2007–10 Nummer zwei hinter David Zibung bei Luzern. 2010/11 bei GC, wo ihn während der Rückrunde Roman Bürki verdrängt. Ab 2011/12 Nummer eins in Bellinzona. Gabriel Wüthrich (30): 2000–03 4 NLASpiele für Xamax. 2003/04 17 Partien für Delémont, 2004/05 8 für St. Gallen, 2006– 08 23 für Vaduz (jeweils Challenge League). Januar 2009 Ausleihe nach Jena (3. deutsche Liga): ohne Einsatz. 2009/10 in Lugano (Challenge League, 3 Spiele). Seit 2010/11 Ersatz hinter David Zibung in Luzern. (ler)

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Der bessere Senderos Text: Matthias Giordano / Bild: zvg

Vor zwei Jahren wechselte der heute 17-jährige Martin Angha vom FCZ zu Arsenal. Und bereits klopft der Innenverteidiger bei der ersten Mannschaft an.

J

ohlende Franzosen belagern schon seit Stunden das Drayton-Park-Pub in London und schwören sich auf den bevorstehenden Champions-LeagueFight zwischen Olympique Marseille und Arsenal ein. Während sich die Stars der Gunners bereits im Bauch des Emirates Stadium vorbereiten, sitze ich im Pub und warte. Nach ein wenig Verspätung trifft er dann ein: Martin Angha, der 17-jährige Schweizer, eines der grössten Talente unseres Landes, der bei den Nordlondonern durchstarten will. In England gehört vor einem Fussballspiel ein Bier auf den Tisch. Wir bestellen nur eines, denn Martin trinkt nichts. Er wirkt abgeklärt und scheint den Umgang mit Medienleuten schon zu kennen. Knapp, aber ohne wichtige Details auszulassen, erklärt er, wie er im

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Frühsommer 2008 an einem Turnier in Wil im Halbfinal gegen Arsenal gespielt hat und wie dort dessen Scouts auf ihn aufmerksam wurden. Drei Wochen später sass er bereits im Flieger nach London, auf dem Weg zu einem Probetraining. Er vermochte zu überzeugen und wechselte im Januar 2010, trotz Angeboten vom FC Chelsea und Bayern München, im zarten Alter von 16 Jahren vom FC Zürich zum grossen FC Arsenal London. Als wir die üblichen Fragen durch haben, lege ich den Notizblock zur Seite. So scheint es für Angha angenehmer, und er erzählt: «Es war schon sehr speziell am Anfang. Ich war weg von meiner Familie, in einem anderen Land, und Englisch konnte ich damals auch noch nicht so gut.» Martin Angha musste sich von all seinen Freunden verabschieden und

sein Leben in der Schweiz hinter sich lassen. «Damit ein Traum in Erfüllung geht, muss man gewisse Sachen eben aufgeben», konstatiert er. Man habe sich sehr gut um ihn gekümmert und ihn super aufgenommen. «Es ist tatsächlich wie eine grosse Familie. Wir essen immer alle gemeinsam, dabei macht es keinen Unterschied, ob du in der ersten Mannschaft oder noch in der Reserve spielst», erklärt er. «Der schönste Tag im Leben» Im Pub stimmen die Franzosen wieder lauthals ein Lied an. Wir kommen auf den Fanshop zu sprechen, und er beginnt zu schwärmen: «Nachdem ich den Vertrag unterschrieben hatte, ging ich in den Fanshop, und dort wurde mir gesagt, ich könne alles nehmen, was

In die Zukunft zu investieren lohnt sich. Auch im Fussball. credit-suisse.com/fussball


generation u

ich möchte! Ich bin schon seit klein auf Arsenal-Fan und konnte kaum fassen, was ich gerade gehört hatte. Unsicher habe ich dann nur ein Paar Trainerhosen und ein Shirt genommen.» Vorgängig passierte aber noch etwas weit Wichtigeres: Arsène Wenger unterschrieb persönlich mit ihm den Vertrag. «Das war der schönste Tag in meinem Leben, darauf bin ich sehr stolz», strahlt er. «Ich freue mich jeden Tag, hier für Arsenal Fussball spielen zu dürfen.» Jetzt soll der Durchbruch gelingen. Gerüchteweise sei der Zürcher Innenverteidiger bereits für das Viertelfinale im Carling Cup vorgesehen gewesen. Die Auslosung brachte jedoch Tabellenleader Manchester City als Gegner und machte ihm somit einen Strich durch die Rechnung. «Damit waren die Chancen auf einen Einsatz dahin, aber

ich werde alles geben, um mich spätestens für nächste Saison aufzudrängen», so Martin motiviert. Wenger beobachtet Auf jeden Fall trainiert er bereits mit der ersten Mannschaft und ist Stammspieler im Reserveteam, in dem Talente aus der ganzen Welt auflaufen, darunter auch der ein Jahr ältere Schweizer U17Weltmeister Sead Hajrovic. «Der Unterschied zum FCZ-Training ist schon enorm. Wir haben statt zwei zwar nur eine Trainingseinheit, dafür ist diese sehr intensiv», erklärt er. Coach Wenger nimmt dabei die Position des Beobachters ein. Er ist ruhig, gibt kurze Anweisungen. «Aber er spricht sehr viel einzeln mit den Spielern. So weiss man immer, woran man ist.»

Bei seinen Mitspielern gerät er ins Schwärmen. Jeder biete sich an und würde den Ball verlangen. «Das kommt mir als Innenverteidiger sehr entgegen. In dieser Position muss man den Ball schnell abspielen, sonst könnte es gefährlich werden.» In der Schweizer U-Auswahl dagegen seien die Spieler oft unsicher und drehten sich vom Ball ab. «Ich will nicht sagen, dass die U-Nati schlecht ist, aber technisch spielt man bei Arsenal schon auf einem höheren Level», so der U18Captain. Auf die Frage, welcher Spieler ihn am meisten beeindruckt hat, findet er schnell eine Antwort. «Ganz klar: Cesc Fàbregas. Mit ihm zusammen zu spielen war unglaublich. Schon bevor dass du ihm den Ball zuspielst, weiss er genau, was er damit anfangen will». Fàbregas sei allgemein ein sehr cooler Typ. «Ich bin bei der gleichen

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generation u Gastfamilie, wie er war, und er ist nach seinem Transfer zu Barcelona auch schon zum Essen vorbeigekommen.» Es wird ruhiger im Pub, die Fans marschieren langsam zum Stadion. Auch für uns wird die Zeit langsam knapp, denn schliesslich wollen auch wir das Spiel nicht verpassen. Die Gunners stehen derzeit am Scheideweg, und viele zweifeln, ob sie nach den Abgängen von Fàbregas und Nasri (Manchester City) noch mit den Topklubs Europas mithalten können. «Das war höchstens eine kleine Krise», glaubt Martin. Die Stimmung im Team sei fantastisch, und auch die Neuzugänge wie der Spanier Mikel Arteta oder der deutsche Internationale Per Mertesacker hätten sich sofort eingelebt. «Mit Per unterhalte ich mich am meisten. Ein wirklich super Typ und sehr witzig.» Nur schon die Sprache verbinde eben ein wenig, wie auch bei Tomáš Rosický. Der Tscheche, der fünf Jahre bei Borussia Dortmund spielte, wolle wohl auch ein wenig sein Deutsch auffrischen, schiebt Martin mit einem Augenzwinkern nach. «Auf dem Platz wird aber immer in Englisch kommuniziert», hält er fest.

Ich bestelle mir noch ein letztes Bier und frage mich dabei, wie Martin in London die Abende verbringt. In der britischen Hauptstadt nimmt die Pubkultur beinahe religiöse Ausmasse an, Fussball und Bier gehen dabei Hand in Hand. «So schlimm ist das nicht», entgegnet er schmunzelnd. «Wenn uns langweilig ist, gehen wir ins Kino, auswärts essen oder machen ab für ein FIFA-Turnier auf der Playstation.» Meistens wähle er dabei Manchester City, weil deren Abwehr im Spiel am stärksten sei. Martin lachend: «Nasri setze ich dabei aber meistens auf die Bank.» Kein Besuch aus der Heimat Martin hat sich in London eingelebt, trotzdem hat er die Heimat nicht vergessen. Mit seinem Bruder pflegt er regen Kontakt. «Ich verfolge auch die Spiele des FCZ, denen läuft es ja leider im Moment nicht so gut.» Obwohl er in der Schweizer U18 Captain ist und in der Reserve League konstant gute Leistungen bringt, scheint die Heimat ihn vergessen zu haben. «Von den Nationalmannschaftstrainern höre ich kaum etwas», so Martin. «Es hat sich auch noch nie jemand von ihnen ein Spiel hier

angesehen, das enttäuscht mich schon ein wenig.» Zusammen mit seinem Berater Paul Bollendorff hat er deshalb eine DVD mit seinen besten Aktionen zusammengestellt und den Verantwortlichen geschickt. Zur Zeit seiner Ankunft bei Arsenal hiess es oft in den Medien, dass viele Spieler den Verein verlassen möchten. «Das glaube ich aber nicht, und ich könnte diese Spieler auch nicht verstehen. Hier hat man die besten Voraussetzungen, um ein Weltklassespieler zu werden.» Er habe über dieses Thema auch schon mit Philippe Senderos gesprochen. Dieser riet ihm, so lange wie möglich bei den Nordlondonern zu bleiben. «Seine beste Zeit hatte er ja hier, und genau das will ich auch.» Es ist nun kurz vor Spielbeginn, auch wir sind auf dem Weg zum Stadion. Schon ausserhalb hört man, wie der Speaker und Tausende Fans die Namen der Spieler schreien. Die Champions-League-Hymne ertönt. «Dahin will ich auch, und dafür arbeite ich hart», schliesst Martin knapp. Und so wie er das sagt, glaubt man sofort, dass er es auch schaffen wird. Wir verabschieden uns und verschwinden im Bauch des riesigen Emirates Stadium.

Das sind die Schweizer Talente in den Top-5-Ligen Europas England (Reserve League + U18): 6 Martin Angha (*1994), Arsenal Kerim Frei (*1993), Fulham Sead Hajrovic (*1993), Arsenal Benjamin Siegrist (*1992), Aston Villa Milos Veljkovic (*1995), Tottenham Frédéric Veseli (*1992), Manchester City

Deutschland (Junioren-Bundesliga A und B): 1 Nikola Veselinovic (*1993), Karlsruher SC

Italien (Campionato Primavera): 8 Mattia Desole (*1993), AC Milan Elias Kabamba (*1994), AC Milan Cephas Malele (*1994), US Palermo Alessandro Martinelli (*1993), Sampdoria Marvin Pfrunder (*1994), Sampdoria Andjelko Savic (*1993), Sampdoria Joel Untersee (*1994), Juventus Chitchanok Xaysensourinthone (*1994), Sampdoria Frankreich (B-Teams + U19): 4 Jeremy Frick (*1993), Olympique Lyon Valentin Hayoz (*1995), FC Sochaux Kevin Tsimba Massivi (*1994), Olympique Lyon Ferid Matri (*1994), AJ Auxerre

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Spanien (B-/C-Teams/Juvenil): 1 Drazen Mitrovic (*1989), Atlético Madrid

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Das Mutterland und die Mohnblüten Text: Peter Balzli Bild: Keystone

Die Engländer sind tief und fest überzeugt, dass sie ein fussballerischer Sonderfall sind und von der FIFA eine Sonderbehandlung verdienen. Jüngster Beweis: der Mohnblüten-Streit.

«E

ngland – FIFA 1:0: Unser Team trägt Mohnblüten». So titelte die Zeitung «Times» vor dem Länderspiel England gegen Spanien triumphierend. Dass England kurz darauf überraschend den Weltmeister 1:0 bezwang, interessierte die meisten Engländer weit weniger als die Tatsache, dass ihre Spie-

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ler während des Spiels alle eine schwarze Armbinde mit einer Mohnblüte tragen durften. Was war passiert? Jeden November heften sich die Engländer demonstrativ eine PlastikMohnblüte an die Kleider, um damit ihrer Kriegsopfer zu gedenken. Wer nicht mitmacht, wird verachtet. Wer

nicht mitmacht und prominent ist, wird von der Boulevardpresse zur Schnecke gemacht. Der öffentliche Druck, die Mohnblüte zu tragen, geht so weit, dass ihn Fernseh-Legende Jon Snow kürzlich als «poppy fascism» (Mohn-Faschismus) bezeichnete. Gefährdete Neutralität Klar, dass auch der englische Verband fürs November-Länderspiel gegen Spanien Leibchen mit aufgestickten Mohnblüten herstellen liess. Doch die Engländer hatten ihre Rechnung ohne die FIFA gemacht. Deren Regeln verbieten nämlich politische oder religiöse Symbole auf den Leibchen. Als die FIFA den Engländern das Mohnblüten-Verbot mitteilte, begann die englische Volksseele zu brodeln. Und die Politiker packten diese erstklassige Gelegenheit zum


unser mann in Rubrik london Populismus entschlossen beim Schopf. Premierminister David Cameron bezeichnete das Mohnleibchen-Verbot als absurd und empörend. Sein Sportminister Hugh Robertson ersuchte die FIFA eilig und schriftlich, für die Mohnblüten eine Ausnahme von den Regeln zu genehmigen. Schliesslich fuhr der englische Fussballverband auch noch seine schwerste Waffe auf: Prinz William. Der künftige Monarch ist nämlich Präsident der FA. Und als solcher teilte er der FIFA mit, er sei bestürzt über den Mohn-Entscheid, und ersuchte die FIFA, ihren Entscheid zu korrigieren. Doch die FIFA blieb selbst beim Prinzen hart und antwortete: «Wir bedauern, Sie zu informieren, dass das Akzeptieren einer solchen Ausnahme weltweit die Tür für ähnliche Initiativen öffnen würde und dadurch die Neutralität des Fussballs gefährdet würde. Deshalb bestätigen wir hiermit, dass die vorgeschlagene Stickerei auf dem Match-Leibchen nicht autorisiert werden kann.» Rechtsextreme auf FIFA-Dach Jetzt kochte die englische Volksseele über. Die englische Boulevardpresse spuckte Gift und Galle. In Zürich stiegen zwei Mitglieder der rechtsextremen English Defense League aufs Dach des FIFA-Gebäudes und entfalteten ein Transparent mit dem Satz: «Wie könnt ihr es wagen, unsere Kriegstoten und Kriegsverwundeten herabzuwürdigen?» Die englischen Zeitungskommentatoren erläuterten ausführlich, die Mohnblüte könne auch von Kriegsgegnern getragen werden und sei deshalb kein politisches Symbol im eigentlichen Sinne. Nicht erörtert wurde von den Kommentatoren, wie die Engländer reagieren würden, wenn etwa der irakische oder der afghanische Fussballverband ein Symbol zur Würdigung islamischer Freiheitskämpfer (lies: Selbstmordattentäter) aufs Trikot sticken würde. Zwölf Alternativen Nun ist die FIFA (und ganz besonders ihr Präsident Sepp Blatter) für englische Fussballfans schon lange ein rotes Tuch – und für die englische Sportpresse ein grellrotes.

Das liegt etwa daran, dass die WM 2018 an Katar statt an England vergeben wurde. Und es liegt daran, dass Sepp Blatter den Einsatz von Torkameras nicht zulässt. Mit solchen Kameras hätte das aberkannte Tor von Frank Lampard gegen Deutschland an der WM 2010 gezählt, und England hätte nicht so hoch verloren. All das kam den Engländern beim Mohn-Verbot wieder hoch, sodass sie fast vergassen, dass die verhasste FIFA ihnen nicht weniger als zwölf Alternativen erlaubt hatte, um auf dem Spielfeld an die Kriegsopfer zu erinnern. So etwa mit einer Schweigeminute, mit einer Mohnblüte auf den Trainingsanzügen vor dem Spiel oder auf der Anzeigetafel während des Spiels. Aber auch mit Militärvertretern und einem Mohnblütenkranz auf dem Spielfeld vor dem Spiel oder mit Hunderten mit Gratistickets ausgestatteten Soldaten auf den Tribünen. Und natürlich mit mohnblütenbestickten schwarzen Armbinden. Doch das alles reichte vielen Spielern noch nicht: Sie liessen sich auch noch Mohnblüten auf die Schuhe sticken. Obwohl der britische Fussball durch die FIFA-Regeln systematisch privilegiert wird (siehe Kasten), ist ein grosser Teil der englischen Fussballfans der Überzeugung, dass der Weltverband ständig und willentlich England benachteilige. Immerhin behielten einige einen kühlen Kopf: Simon Barnes, der Chef-Sportkommentator der «Times», rief während des MohnblütenStreits seine Landsleute zur Besinnung und schrieb: «Im Fussball leben wir Engländer in der Vergangenheit. Nirgendwo sonst bemühen wir uns so sehr, der Welt zu zeigen, dass wir ein Sonderfall sind. Nirgendwo sonst geben wir uns so arrogant, lächerlich, nationalistisch insular, fremdenfeindlich und unrealistisch wie im Fussball.» Trotz dieser Worte: Nach dem Mohnblüten-Streit werden die Engländer wohl noch krampfhafter den Glauben hochhalten, sie seien ein fussballerischer Sonderfall und würden ständig von der FIFA benachteiligt. Und sie werden sich weiter an die Position klammern: England hat recht, die anderen 207 FIFA-Mitglieder haben unrecht. Mit oder ohne Mohnblüte.

Sonderfall Um zu zeigen, welch ein Sonderfall der englische Fussballverband ist, nennt er sich bis heute nicht etwa English Football Association, sondern kurz The Football Association FA. Ganz so, als gäbe es keine anderen Landesverbände. Die FA hielt sich in den Gründerjahren des Fussballs für so besonders, dass sie dem Internationalen Fussballverband nicht beitrat. Die FIFA wurde 1904 von Frankreich, den Niederlanden, Belgien, Dänemark, Spanien, Schweden und der Schweiz gegründet. Die FA trat erst 1906 bei und während des Ersten Weltkrieges schon wieder aus. Dadurch verpassten die Engländer die drei ersten Weltmeisterschaften. Die Briten sind das einzige Land der Welt, das für die Fussballweltmeisterschaft mehr als eine Nationalmannschaft stellen darf. Sie haben aus Gründen der Tradition deren vier, nämlich England, Schottland, Wales und Nordirland. Trotzdem stellte Grossbritannien an den Olympischen Spielen von 1904 bis 1972 eine britische Mannschaft. Für London 2012 soll es wieder ein britisches Team geben, allerdings wird es gemäss Absprache der vier Verbände höchstwahrscheinlich nur aus englischen Spielern bestehen. Dies vor allem aus Furcht der Verbände, es könnten sonst internationale Forderungen aufkommen, dass Grossbritannien in Zukunft nur noch ein Team stellen darf. Diese vier britischen Verbände werden aber auch anderweitig privilegiert. Etwa mit der Tatsache, dass die vier britischen Teilverbände in der Regelkommission der FIFA je einen der acht Sitze ständig belegen, die vier übrigen werden von FIFAVertretern besetzt. Für Regeländerungen ist die Mehrheit von 6 Stimmen erforderlich, wobei die britischen Verbände einzeln votieren können, während die FIFA-Vertreter nur en bloc abstimmen dürfen.

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Schweizerreise

Die Unfassbaren

Der FC United Z端rich ist der etwas andere Zweitligist: grossspurig, ambitioniert, vergleichsweise professionell. Ricardo Cabanas will f端r den selbst ernannten Schweizer Meister 2018 gar seine Ehe aufs Spiel setzen. Zweifel an seinem finanziellen Hintergrund kann der Klub aber nicht ausr辰umen. Text: Nik L端tjens / Bilder: Christian Breitler

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D

er ehemalige Zürcher Stadtpräsident Elmar Ledergerber ist am 18. März 2010 nicht in Bestform. An der Namenstaufe des FC United Zürich kalauert der Ehrengast: «Ich habe mich in letzter Zeit immer wieder gefragt: Wieso spielt der FCZ so sackschlecht? Heute haben wir die Antwort: Er leistet die Vorarbeit, damit es Platz gibt für United Zürich im Letzigrund.» Den Stadtnamen spricht Ledergerber «Zuritsch» aus. Eineinhalb Jahre später macht der unterdessen in die 2. Liga aufgestiegene Klub auf seinem Weg Richtung Spitze halt in Wetzikon. Sechzehntelfinal im Zürcher Regionalfussballcup. Es ist ein kalter Novemberabend. Die ersatzgeschwächten Gäste haben zu kämpfen. Mit dem aufsässigen Gegner, mit sich selbst. Präsident Orhan Yilmaz leidet an der Seitenlinie. «Früher spielen, früher spielen», ärgert sich der ehemalige GC-Nachwuchsspieler wiederholt. Als United nach einem Wetziker Goaliefehler der Ausgleich gelingt, lehnt sich ein stämmiger Mann am Geländer zurück und holt Luft. Dann schreit er aufs Spielfeld: «United, United, Züüüri!» Bernhard Fanger, Vizepräsident, Finanzchef und lautester Fan des Vereins. Vom Türkenklub zu Obama Mit grossen Tönen haben sie bei United Erfahrung. Vor der Taufparty teilt der Klub in doppelseitigen Zeitungsinseraten mit, er gedenke, dem FCZ, GC, YB, Basel, St. Gallen und Luzern «Feuer unterm Hintern» zu machen. Als Ziel nennt er den Meistertitel 2018. Es gibt vereinzelt Lob für den Verein, der sich nicht gemütlich im Schweizer Mittelmass einrichten will. Die NZZ spricht von einem «Drittligaklub, der wie ein grössenwahnsinniger PR-Trommler daherkommt». Verantwortlich für die Kampagne und den Namenswechsel von Fenerbahce zum FC United Zürich ist Werber Claude Catsky. «Der Klub hat das Multikulturelle gelebt, ohne zu wissen, was er tut. «Darum sagte ich: ‹Ihr müsst euch nicht mehr Fenerbahçe Zürich nennen, sondern United Colors of Benetton oder International Zürich.›» Dem Klub verpasst er in bestem PR-Deutsch eine Philosophie. Sie liest

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sich auszugsweise so. «Wir haben einen grossen Traum. Wir werden ihn wahr machen. (...) Wir sind alle Nationen der Welt. (...) Yes, you can, just do it. (...) Wir sind die neuen, wilden Lionhearts aus Zürich». Vizepräsident Fanger gefällt sie so gut, das er beim Interviewtermin darauf besteht, sie laut vorzutragen. Auf die Frage, weshalb der Verein so viel Geld investierte, um sich zu positionieren, antwortet Fanger: «Unser Ziel war, dass am Tauftag 80 Prozent der lizenzierten Fussballer wissen, dass es den FC United Zürich gibt.» Das sei gelungen. «Wir machten es cleverer und besser als andere – und das werden wir auch in Zukunft tun.» Meister des Businessplans Begonnen hat die Geschichte von United Zürich 2008 im 4.-Liga-Abstiegskampf. Yilmaz überredet seinen Arbeitskollegen Fanger, bei Fenerbahçe als Spieler auszuhelfen. «Sehr schnell entstand die Idee, den Klub zu übernehmen und etwas Grosses aufzubauen», blickt Fanger zurück. Die Aufgabenteilung sieht vor: Yilmaz kümmert sich ums Sportliche, Fanger um den Rest. Zu seiner Motivation sagt Letzterer: «Ich bin mit zehn Geschwistern aufgewachsen. Ich will jungen Menschen zeigen, dass es sich lohnt, für etwas zu kämpfen.» Der Unternehmensberater entwirft zwei Fünfjahrespläne. Am Ende des ersten steht 2013 der Aufstieg in die 2. Liga interregional, am Ende des zweiten der Meistertitel. Wieso setzt sich ein kleiner Klub so hohe Ziele und trägt sie nach aussen? «Das ist Unternehmertum», antwortet Fanger. «Man muss immer das oberste Ziel erreichen wollen.» Yilmaz sagt, halb im Scherz: «Ich bringe mich nicht um, wenn es 2018 nicht klappt. Wenn wir das Ziel 2019 erreichen, bin ich auch zufrieden.» Durch die Einführung der 1. Liga Promotion braucht es schliesslich einen Aufstieg mehr. Allein mit Businessplänen und Löwengebrüll aus der Chefetage gewinnt man keine Spiele. Für seinen angestrebten Gang durch die Ligen setzt United auf Erfahrung. Der damalige Viertligist verpflichtet 2008 mit Giuseppe Fabio einen umtriebigen Sportchef. Fabio lotst

dank seinem Beziehungsnetz zahlreiche gestandene Spieler zu United, unter anderem seinen Göttibuben Franco Di Jorio. Dieser hatte Fabio einst versprochen, seine Karriere bei ihm zu beenden. Der Plan der Klubführung, mit prominenten Namen zum Erfolg zu kommen, geht auf. United schiesst sich den Weg in die 2. Liga frei: 241 Tore erzielt der Klub in 42 Meisterschaftspartien. Im Sommer 2010 machen die Verantwortlichen einen Fehler. Sie vertrauen vor der ersten 2.-Liga-Saison auf die Stärke des überalterten Kaders. Der Start misslingt. Der zum Spielertrainer beförderte Di Jorio wird intern infrage gestellt. «Franco wollte es zu professionell machen», sagt Sportchef Fabio. «Er unterbrach im Training nach Fehlern immer. Das geht im Amateurfussball nicht.» Hinzu kommt: «Di Jorios Leistungen als Spieler stimmten nicht mehr», urteilt der damalige Captain Marco Bolli. Im September 2010 kommt es zu einem Rollentausch zwischen Assistent Massimo Rizzo und Di Jorio. Kurz darauf verlässt der ehemalige Nationalspieler nach Meinungsverschiedenheiten den Verein. Im Groll, wie vor ihm Aufstiegstrainer Ioanis Vagias. Mit seinem Götti hat Di Jorio seither keinen Kontakt mehr. Unter Rizzo stösst die in der Winterpause stark verjüngte Mannschaft bis Ende Saison auf Rang zwei vor und gewinnt den Final des Zürcher Regionalfussball-Cups 6:1. Die Mannschaft scheint reif für den nächsten Aufstieg. Rizzo will keine Stars Dezember 2011: Gruppenfavorit United Zürich überwintert an zweiter Stelle, drei Punkte hinter Leader Kilchberg-Rüschlikon. Eine Enttäuschung. Rizzo relativiert: «Ich habe nicht damit gerechnet, dass wir durchmarschieren.» Im Gegensatz zur United-Führung bemüht sich der Trainer um moderate Aussagen, will «abdämpfen». Der ehemalige Super-League-Spieler steht bei United Zürich für die Abkehr vom bisherigen Konzept. «Ich will keine Startruppe», hält Rizzo dezidiert fest. Der ehemalige Aarauer Ivan Previtali ist der bekannteste im Kader verbliebene


Schweizerreise

Nachwuchs-Chef Ricardo Cabanas senior

Vizepräsident Bernhard Fanger

Sportchef Giuseppe Fabio

Name. Neben Franco Di Jorio verliessen auch Michail Kawelaschwili, der als Torhütertrainer tätig gewesene Giuseppe Mazzarelli und der als Polizist arbeitende Daniel Stucki den Verein. Die Personalfluktuation bei United ist hoch, die Qualität im Kader ebenfalls: Torhüter Dragan Dunjic spielte in kroatischen U-Auswahlen, Raimondo Pontes Sohn Paolo in der Challenge League, Luka Lapenda in Deutschland, Clirim Kryeziu in Zypern. Ist United eine 2.-Liga-Mannschaft, Massimo Rizzo? «Vielleicht an gewissen Tagen.» Damit solche sich nicht häufen, will United den Kader im Winter verstärken. Vornehmlich mit Spielern, die wissen, was es heisst, in der 2. Liga zu spielen. «Bereits hinter einen Erstligaspieler setze ich ein Fragezeichen. Weshalb will einer zwei Klassen tiefer spielen?», fragt sich Rizzo. Die Antwort kennt er: «Die Identifikation mit dem Klub kann im Moment noch nicht bestehen. Also müssen wir uns bewusst sein: Kommt der Spieler wegen der Spesenentschädigung? Oder kann er es mit Spass verbinden und sich in die Mannschaft einbringen?» Dass der Spesenanteil auch bei seinem Wechsel zum damaligen Viertligisten Fenerbahçe ein Anreiz war, stellt Rizzo nicht in Abrede. «Ich kann das verantworten. Wenn ich etwas mache, dann richtig.» Für seine Arbeit erhält der hauptberuflich als Assistent von FCZ-Sportchef

Fredy Bickel tätige Rizzo Lob. «Ein fähiger Mann», urteilt Ex-Coach Vagias. Bolli, mittlerweile Assistent der U14 von GC, sagt: «Er ist auch menschlich ein guter Trainer.» Das ist wichtig für United. «Ich habe Spieler, die aus höheren Ligen kommen und in der 2. Liga auf der Bank sitzen. Das macht es nicht einfach», sagt Rizzo. Ausserdem reiche die fraglos vorhandene Klasse nicht, wenn es an der Einstellung mangle. «Wenn wir nicht aufsteigen, wäre das für viele eine Blamage.»

sagt Bolli. «Das ist eine traurige Entwicklung, aber so ist es nun mal.» Die Aussage mag ein wenig überspitzt sein, Fakt ist: Viele Klubs verheimlichen Spesenzahlungen, United nicht. «Ich stehe hin und sage, was ich mache. Andere sind heimlifeiss – und geben viel mehr Geld aus», urteilt Präsident Yilmaz Doch um die Identifikation mit dem Verein mittelfristig zu stärken, braucht es nicht Spesenzahlungen, sondern Junioren. Für den Aufbau des United-Nachwuchsbereichs ist seit kurzem ein Mann mit viel Erfahrung verantwortlich: Ricardo Cabanas senior, der Vater des GCSpielers. «Am Anfang holten wir Spieler, die aufgehört hatten, nicht zum Einsatz kamen, Problemfälle. Wir waren froh um jeden», sagt Fabio. Mittlerweile fädelt Cabanas gemäss eigenen Angaben Übertritte von Junioren-Auswahlspielern ein. Im Januar kommen zum bestehenden A-, ein B- und ein C-Junioren-Team hinzu. Die restlichen Stufen sollen im Sommer folgen. Dem ehemaligen GC-Scout Cabanas fehlt es weder an Beziehungen noch an Selbstbewusstsein: «Die gleichen Trainings, die die Spitzenklubs heute machen, haben wir vor 25 Jahren bei Juventus Zürich am Mittwochnachmittag auf der Buchlern gemacht.» Cabanas will bei United Zürich mit Scouts arbeiten und selbst viel Aufwand betreiben «Wir müssen riskieren, dass uns unsere Frauen verlassen. Sonst kommen wir nicht weiter.»

Das Lied vom Geld und der Juve Doch United stösst auf Widerstand. «Wir haben uns weit aus dem Fenster gelehnt», sagt Rizzo mit Blick auf die Marketingstrategie des Vereins. «Jeder Gegner ist topmotiviert gegen uns.» Das hat auch damit zu tun, dass United im Ruf steht, der Krösus der Liga zu sein. Sportchef Fabio beziffert die Personalkosten für den Gesamtverein mit zwei Aktivteams, AJunioren, Staff und Sekretariat auf 24 170 Franken pro Monat. Andere Quellen gehen von höheren Kosten aus. Bolli weiss von United-Spielern, die in der 3. Liga mehr als 1500 Franken Spesen im Monat bekamen, Fabio sagt, die Spitzenverdiener im jetzigen Kader erhielten 1300. Hinzu kommen kostenloses Material und ein bezahltes Trainingslager. «Im gehobenen Amateurfussball gibt es nur eine Philosophie: Die Spieler werden bezahlt»,

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Schweizerreise

Dieses doppelseitige Inserat im «20 Minuten» kündigte im März 2010 die Namenstaufe an. Taufpatin: Eiskunstlauf-Prinzessin Denise Biellmann.

«Der Traum ist umsetzbar» Die Frage heisst demnach nicht: Wie weiter? Sondern: Wie weit kann United Zürich kommen? Sportchef Fabio spricht von der Challenge League als höchstem Ziel. «Die Super League ist wohl utopisch.» Der als Spielerberater tätige ExTrainer Franco Di Jorio sieht es anders: «Der Traum von United ist zu 100 Prozent umsetzbar. Es ist nirgendwo so einfach wie in der Schweiz, in die höchste Spielklasse zu kommen. Schauen sie mal, wie viel ein Challenge-League-Fussballer verdient – da gehen sie lieber arbeiten.» Für Di Jorio heisst die zentrale Frage: «Wer buttert bei United Geld hinein? Wer glaubt daran?» Bisher offenbar niemand so richtig. Abgesehen von Ausrüster Gpard hat der Klub trotz viel Medienpräsenz keine grösseren Sponsoren gefunden. Woran liegt das? «Viele Firmen haben uns versichert, dass sie einsteigen, wenn wir in der 2. Liga interregional sind», behauptet Fanger. Und woher stammt das bisher in United investierte Geld: «Alles aus dem Privatvermögen von mir und Herrn Yilmaz.» Auf dem Trikot des Fanionteams steht denn auch der Schriftzug XBF. Der Name der Unternehmensberatung, in der Geschäftsführer Fanger und Prokurist Yilmaz die einzigen zeichnungsberechtigten Personen sind. Kerngeschäft der XBF ist die Investorensuche für Jungunterneh-

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men und Projekte. Schenkt man Medienberichten über die Firma Glauben, sind das Risikoanlagen. «Vielleicht gibt es Leute, die auf diesem Niveau spielen und zocken können. Mir wäre das Risiko zu hoch», sagt Piero Bauert. Der Präsident des Erstligisten YF Juventus führte mit United zurzeit sistierte Fusionsgespräche. Über Trikotfarben und Logo wurden sich die Partien einig. Nicht aber über das Mitspracherecht im Vorstand.

undurchsichtig bezeichnen, schert ihn nicht. «Das ist das Problem dieser Leute, nicht meines.» Fanger ist ein Freund kurzer Entscheidungswege und findet die Strukturen anderer Vereine veraltet. Deshalb sei er nicht bei einem anderen Klub eingestiegen. Die Löhne hat der FC United Zürich dem Vernehmen nach stets pünktlich überwiesen. Der Verein sei gut aufgestellt, findet Bolli. Einzig die Infrastruktur auf der städtischen Sportanlage Buchlern, wo zu United-Spielen selten mehr als 100 Zuschauer kommen, sei ein grosses Manko. Andere Weggefährten glauben nicht an Entwicklungssprünge. «Ich kann Herrn Fanger und Herrn Yilmaz mehr oder weniger einschätzen», sagt Ioanis Vagias, Ex-Trainer und ehemals ProathletixGeschäftsführer. «Ich bezweifle, dass sie die finanziellen Mittel haben oder aufbringen, um ihre grossen Träume zu verwirklichen.» Mit geplatzten Träumen hat Fanger angeblich Erfahrung. Seine Geschäfte waren mehr als einmal Thema kritischer Medienberichte. Darauf angesprochen, sagt der 45-Jährige: «Das sind ungerechtfertigte Aussagen, die nicht stimmen. Die Berichte mussten alle zurückgezogen werden.» Was entgegnet Fanger Leuten, die sagen, United geht bald das Geld aus? Das Gleiche wie auf die Frage, ob er ein Träumer sei: «Die Zukunft wird es zeigen.»

Kurze Wege im Dickicht «Ich will meine Strukturen», stellt Fanger klar. Im Fall des FC United Zürich heisst das: «Der Klub hat zwei aktive Mitglieder. Niemand anders entscheidet. Und das soll so bleiben.» Auch in der United Zürich Management AG und der offenbar CT Cinetrade AG | Nüschele im Neuaufbau befindrstrasse 44 | Postfach | 8021 Zürich lichen Spielervermittlungsfirma Proathletix Sports Management Zürich, 2. Dezember 201 1 AG, die sich mit der XBF Büroräume und Sehr geehrter Herr Christk ind Sekretärin teilen, Wir wenden uns an Sie, besteht der Verwalum Ihnen auf diesem We g unsere Weihnac htswünsche mit der Bitte tungsrat nur aus dem um Erledigung zu überbr ingen. Bitte sorgen Sie dafür, das United-Führungsduo. s unsere beliebten Live-Ü bertragungen von Challenge-League «Die rechten Leute -Partien wie etwa Chiass o - Nyon oder Biel - Locarno auch wirklic h den erwarteten Marktant sind am richtigen Ort», eil von 71 Prozent erreichen. sagt Fanger. Dass Kritiker das Konstrukt als Mit freundlichen Grüssen

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«Ich war immer ein Frauenheld» Aufgezeichnet von: Benedikt Widmer

Gegen Vizeweltmeister Holland feierte Markus Tanner 1978 sein Nati-Debüt.

E

ndlich war ich im erlauchten Kreis, endlich konnte ich für die Nationalmannschaft spielen. Nationalcoach Roger Vonlanthen hatte mich im Herbst 1978 für das erste EM-Qualifikationsspiel gegen den Vizeweltmeister Holland aufgeboten. Und gleich sollte ich von Beginn weg spielen. Ein Bubentraum ging in Erfüllung. Mit 24 Jahren war ich auf dem Höhepunkt meiner Karriere. Vor dem Spiel absolvierten wir in Magglingen ein Trainingslager. Ich wurde vom Team gut aufgenommen. Das Zimmer teilte ich mit «Bigi» Meier von den Grasshoppers. Er half mir, mein grosses Lampenfieber zu bekämpfen. Ich sollte auf dem Platz ruhig agieren und zu Beginn des Spiels nichts riskieren. Auch die Nati-Platzhirsche «Gabet» Chapuisat, Goalie Erich Burgener und Umberto Barberis machten mir Mut. Einzig Konkurrent Raimondo Ponte hatte wohl keine Freude, dass ich ihm als Neuling gleich seinen Stammplatz weggenommen hatte. Unser Gegner Holland gehörte zu jener Zeit zu den besten Nationalteams der Welt. Wenige Monate zuvor hatten die Oranjes bei der WM in Argentinien den spektakulärsten Fussball geboten und waren im Final nur äusserst unglücklich an Gastgeber Argentinien gescheitert. Ruud Krol war der beste und modernste Libero weit und breit, und auch Arie Haan und Rob Rensenbrink gehörten zur Crème de la Crème des Weltfussballs. Uns wurden von den Medien höchstens Aussenseiterchancen eingeräumt.

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Vor halb leeren Rängen Das Berner Wankdorf-Stadion war an jenem Mittwochabend im Oktober 1978 nicht einmal zur Hälfte besetzt. Nach der schwachen WM-Qualifikation für Argentinien 78 genoss die Schweizer Nationalmannschaft bei den Zuschauern nicht mehr viel Kredit. Wie von «Bigi» Meier instruiert, begann ich die Partie im rechten Mittelfeld vorsichtig. Ich riskierte wenig, fand aber immer besser ins Spiel. Holland diktierte das Geschehen, wir lauerten mit unseren schnellen Stürmern René Botteron vom FC Zürich und Ruedi Elsener von Eintracht Frankfurt auf Konterchancen. In der 19. Minute waren wir bei einem Vorstoss von Aussenverteidiger Piet Wildschut zu wenig aufmerksam. Der Holländer drückte aus gut 25 Metern ab und erwischte unseren Torhüter Burgener mit einem Aufsetzer auf dem falschen Fuss – 0:1. Das war ärgerlich, konnten wir doch das Spiel bis zu jenem Zeitpunkt sehr ausgeglichen gestalten. Jetzt waren wir gefordert. Ich kann mich noch genau erinnern, wie mich eine knappe Viertelstunde später Claudio Sulser zentral anspielte. Nach kurzer Ballannahme leitete ich den Ball in die Tiefe zu Elsener weiter. Dieser spielte mir den Ball direkt in die Gasse. Ich sah, dass vor mir alles offen war und ich alleine auf den holländischen Goalie Piet Schrijvers zusteuern konnte. Ich hatte zwei Möglichkeiten: Entweder schiebe ich den Ball an Schrijvers vorbei, oder ich täusche den Schuss nur an und

11.10.78, EM-Qualifikation Schweiz - Holland 1:3 (1:1) Wankdorf, Bern – 23  000 Zuschauer – Schiedsrichter: Diaz da Luz (Portugal). – Tore: 19. Wildschut 0:1, 32. Tanner 1:1, 67. Brandts 1:2, 90. Geels 1:3. – Schweiz: Burgener, Brechbühl, Bizzini, Montandon, Chapuisat, Tanner (83. Wehrli), Barberis, Elsener, Sulser, M. Schnyder (46. Ponte), Botteron. – Holland: Schrijvers, Wildschut, Brandts, Hovenkamp (34. Peters), Krol, Haan, Poorvliet, Van de Kerkhof (34. Dusbaba), Rensenbrink, Nanninga, Geels.

überlaufe den Torhüter. Instinktiv wählte ich die zweite Variante. Alles klappte. Mit einer Finte umspielte ich Schrijvers und schob das Leder mit meinem schwächeren linken Fuss seelenruhig ins Netz – 1:1. Wir hatten ausgeglichen. Es war ein unglaubliches Gefühl, das schönste Gefühl meiner gesamten Karriere. Bei der Eckfahne gratulierten mir meine Teamkollegen zum Tor. Es war einmalig. «Überragendes Spiel» Dieser Treffer gab mir grosse Sicherheit. Mir gelang fortan alles. Nun spielte ich gegen die Holländer wie im Rausch. «Länderspiel-Neuling Tanner lieferte ein überragendes Spiel ab», hiess es am nächsten Tag im Blätterwald. Selbstvertrauen ist das A und O im Fussball. In der zweiten Halbzeit wurde mein erstes Länderspiel zu einem offenen Schlagabtausch. Die Zuschauer rieben sich die Augen – die kleine Schweiz forderte dem Vizeweltmeister alles ab. In der 67. Minute kam Einwechselspieler Jan Peters am rechten Flügel an den Ball und flankte zur


das spiel meines lebens Mitte. Dort verfehlte zwar Ruud Geels den Ball, aber Ernie Brandts hämmerte das Leder aus kurzer Distanz unter die Latte – 1:2. Nun peitschte uns das Publikum nach vorne. Wir liessen uns vom Gegentreffer nicht beirren und spielten ruhig weiter. Ich zog weiterhin die Fäden, gewann viele Zweikämpfe und sorgte mit einigen gelungenen Dribblings für Furore. Nach einem tollen Spiel wurde ich in der 83. Minute von Trainer Vonlanthen ausgewechselt. Roger Wehrli kam ins Spiel. Die Masse tobte, sie verstand die Auswechslung nicht. Auch ich war überrascht, war doch Wehrli ein defensiverer Spieler. Klar, er hatte Vorteile beim Flanken, ich jedoch war torgefährlicher. Vonlanthens Schachzug griff auf alle Fälle nicht. In der 90. Minute enteilte Geels unserer entblössten Abwehr, allen voran Yves Montandon, und sorgte für den 1:3-Endstand. Einmal mehr musste sich die Schweizer Nationalmannschaft mit einer ehrenvollen Niederlage begnügen. Das Fiasko danach Für mich persönlich war das Spiel aber ein Highlight. Ich konnte mit meiner Leistung sehr zufrieden sein. Viele Jahre musste ich auf mein erstes Länderspiel warten, zu wenig konstant waren meine Leistungen beim FC Basel. Viele Kritiker waren der Meinung, dass ich auf internationaler Ebene vom Tempo her überfordert sein könnte. Im Spiel gegen Holland belehrte ich sie eines Besseren. Auf dem Papier war die Schweizer Nationalmannschaft zu jener Zeit sehr stark. Im Sturm spielte unser Goalgetter Sulser zusammen mit den überragend schnellen Botteron und Elsener. Das Mittelfeld dirigierte der laufstarke Barberis, unterstützt von Arbeiter Marc Schnyder. Und hinten hatten wir mit Chapuisat einen feinen Techniker als Libero. Ich war wirklich sehr stolz, in diesem Team zu spielen. Leider wurde dann die restliche Qualifikation zur Europameisterschaft 1980 in Italien zum Fiasko. Wir verloren sämtliche Partien gegen Holland, Polen und die DDR, einzig gegen Island konnten wir zweimal knapp gewinnen. Ausserdem wurde während der Qualifikation Trainer

Markus Tanner: *1954, FC Basel (1974–1981), FC Luzern (1981–1984), FC Zürich (1984–1985), SC Kriens (1985–1986). Schweizer Meister 1977 und 1980. Cupsieger 1975. 8 Länderspiele.

Vonlanthen durch Nachwuchs-Chef Leon Walker ersetzt. Das Problem des Teams bestand darin, dass innerhalb der Mannschaft zwei unterschiedliche Spielphilosophien aufeinanderprallten. Auf der einen Seite das moderne Zonenspiel von Servette, auf der anderen Seite die Manndeckung der Grasshoppers. Der Kompromiss des zweisprachigen Trainers Vonlanthen, beide Ideen in unser Spiel zu integrieren, scheiterte kläglich. Auch neben dem Platz waren wir keine verschworene Einheit – getrennte Esstische von Deutschschweizern und Romands sprachen Bände. Mit Tennisball und Lockenpracht Eigentlich war ich zeitlebens ein klassischer Strassenfussballer, spielte eher wie ein Romand und nicht wie ein Deutschschweizer. Als Kind hatte ich stundenlang mit meinen Freunden auf der Strasse im Basler Wasgenring gespielt. Hausaufgaben interessierten mich nie – in jeder freien Minute jagte ich dem Ball nach. Weil wir auf der Strasse oft mit Tennisbällen spielten, wurde ich technisch sehr stark. Ausserdem hatte ich einen besonders harten Schuss, was mir in Anlehnung an den schussgewaltigen Engländer Malcolm MacDonald den Spitznamen «Super-Mac» eintrug. Mein Markenzeichen war immer mein Lockenkopf. Bis heute trage ich die glei-

che Frisur. Die Frauen liebten meine Haare. Ich war ein Sonnyboy und genoss mein Single-Leben während meiner Karriere in vollen Zügen. Beim FC Basel war ich immer ein Frauenheld. Leider absolvierte ich nur 8 Länderspiele für die Schweiz. In der Saison 1979/80 erkrankte ich an Gelbsucht. Nach einem halben Jahr Pause kam ich zwar wieder gesund auf den Platz zurück, die starken Leistungen von «Super-Mac», wie im Spiel gegen Holland, konnte ich aber nie mehr wiederholen. Markus Tanner heute: Nach 18 Jahren in der Versicherungsbranche arbeitet er heute in der Administration von TixiTaxi, dem Fahrdienst für Menschen mit einer Behinderung. «Super-Mac» ist ein grosser Tierfreund und nur noch selten im Fussball-Stadion anzutreffen. In «Das Spiel meines Lebens» erzählen 50 Schweizer Fussballer der letzten 60 Jahre von ihren schönsten 90 Minuten. Das Buch ist für 29.80 Franken erhältlich über www.dasspielmeineslebens.ch Für ZWÖLF treffen die Autoren David Mugglin und Benedikt Widmer weitere Grössen vergangener Tage und lassen sie von ihrem persönlichen Highlight ihrer Karriere erzählen.

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Betriebsklima erheblich gestört

Text: Romano Spadini Bild: imago

Das deutsche Trainer-Grossmaul Uwe Klimaschefski kam als König des Saarlands im Sommer 1986 nach St. Gallen – und wurde keine neun Monate später als Bettler auf Platz 14 vom Acker gejagt.

A

m 12. März 1987 wurde das leidige Kapitel Klimaschefski beim FC St. Gallen geschlossen. Das Fass war übergelaufen. Der harte Hund von Bremerhaven konnte keine Argumente für ein Fortsetzen seines Engagements bei den Espen mehr liefern. Der Verein, auf Rang 14 liegend, klopfte an die Türe zur Nationalliga B. Neben dem sportlichen Sinkflug wurden dem grossen Sprücheklopfer auch noch menschliche Defizite nachgesagt. Sein Verhältnis zu den Spielern wie auch dem Vorstand hatte grossen Schaden genommen. Der ehemalige König des Saarlandes war in St. Gallen untragbar geworden. Noch im Juli 1986 hatte Klimaschefski zu Recht Anlass zu grossen Hoffnungen gegeben. Sein Name hatte einen guten Klang in der Branche, und die Ostschweizer wurden zu ihrem spektakulären Transfer auf dem Trainerstuhl von allen Seiten beglückwünscht. Klimaschefski, am 11. Dezember 1938 in Bremerhaven geboren, hatte seine grössten Erfolge als Trainer allesamt im Saarland gefeiert, wo er den kleinen FC Homburg berühmt machte. Nicht weniger als fünf

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Mal betreute er den Verein, den er in der Saison 1973/74 in die 2. Bundesliga führte. Dass ohne ihn bei den Homburgern nichts klappen würde, dokumentierte er mit folgenden Sprüchen: «Bevor ich nach Homburg kam, wurde dort mit Strohballen gespielt.» Und: «Ich muss jetzt zu meinen Spielern. Die sind so blind, dass sie ohne mich nicht den Weg von der Kabine bis zum Bus finden.» Auch beim ungleich bekannteren Verein des Saarlandes, dem 1. FC Saarbrücken, war «Klima» erfolgreich. Mit dem Verein, den er von 1982 bis 1986 coachte, gelang ihm der Durchmarsch von der Regional- bis in die Bundesliga. In der Saison 1984/85 erreichten die Saarstädter sensationell das Halbfinale im DFBPokal, was Klimaschefski endgültig den Ruf als König vom Saarland einbrachte.

nen Typ, der genau dem Gegenteil von Olk entsprach. Neuer Trainer ab Sommer wurde der Peitschenknaller Klimaschefski, was den «Blick» zur Schlagzeile «Klima-Schock in St. Gallen» hinreissen liess. Präsident ad interim Paul Schnetzer kündigte im Ringier-Blatt vollmundig an: «Wir holen einen Mann wie Uwe Klimaschefski, weil wir uns in St. Gallen nicht noch einmal eine erfolglose Saison leisten können.» Am 10. August 1986 begann mit dem Spiel gegen Aufsteiger Bellinzona das Abenteuer mit Klimaschefski. Sein Debüt als Espen-Coach ging allerdings mit der 0:2-Pleite im Tessin gründlich in Hosen. Die Gemüter bei den St. Gallern waren schon nach dem ersten Saisonspiel erhitzt. Übergangspräsident Schnetzer kritisierte den neuen Trainer nach dem missglückten Saisonauftakt im «Blick» wie folgt: «Manchmal sagt er nichts, manchmal zu viel. Er muss noch lernen.» Das fing ja gut an bei den Olmastädtern… Doch das Team wusste sich zu steigern und grüsste nach dem 7. Spieltag und dem Sieg über Servette vom 5. Tabellenplatz. Bis Mitte September lief es also gut in der Ehe zwischen Trainer und Mannschaft, doch danach zogen dunkle Wolken auf über dem Espenmoos.

Stunk schon am 1. Spieltag Nach der Winterpause der Saison 1985/86 liess der Vorstand des FC St. Gallen die Bombe platzen: Dem im Umgang mit den Spielern sanften Werner Olk wurde gekündet. Als Nachfolger für die neue Saison präsentierten sie ei-

Psychospiele des «Anderen» Die sportliche Talfahrt wurde am 8. Spieltag mit der 0:2-Niederlage in Lausanne eingeläutet. Nach drei torlosen Remis und dem blamablen Cup-Aus gegen Locarno fanden Mannschaft und Coach den Weg nicht mehr aus der Ne-


NLA-Legende gativspirale und brachen auf der Zielgeraden der Hinrunde regelrecht ein, was vier Niederlagen in Folge und der damit verbundene Absturz auf Platz 14 deutlich bezeugen. Die Gründe für die Krise waren sowohl im sportlichen Bereich als auch im Verhältnis der Mannschaft zu ihrem Trainer zu finden. Das Team besass zwar in den Personen von Jurkemik, Hegi, Hörmann, Braschler oder Zwicker über genügend Klasse, doch einige der genannten Führungsspieler fanden nicht zu ihrem normalen Leistungsvermögen. So blieben die Spitzen Braschler und Zwicker stumpf, und Regisseur Hörmann konnte erst gegen Ende der Hinrunde überzeugen. Auch beklagte die St. Galler Mannschaft einen verunsicherten Huwyler im Tor. Geht man den Umständen für die Verunsicherung Huwylers auf den Grund, so bleibt Klimaschefskis Rolle dabei nicht ganz unumstritten. Bereits Ende August klagte der Goalie im «Blick»: «Klima will mich psychisch fertigmachen.» Der langjährige Stammtorwart machte seine Formbaisse an der Person des Trainers fest, den er nur den «Anderen» nannte. So erklärte er nach der Partie gegen Aarau niedergeschlagen: «Ich kann mich nicht einmal über den Sieg freuen. Der Andere hat es geschafft, dass ich zurzeit am Boden zerstört bin. Das Torwart-Training bringt nur ihm etwas. Da kann er sich totlachen, wenn er mir die Bälle aus kürzester Distanz ins Lattenkreuz drischt. Und dann diese miesen Sprüche …» Es war nicht das erste Mal, dass «Klima» mit einem Torhüter aneinandergeriet. In Deutschland fesselte er einst seinen Keeper an den Pfosten – und liess

die Teamkollegen auf den Bedauernswerten schiessen!

te dann noch weiter: «Aber sie gefielen nicht allen.»

«Holt mir den Zwicker zurück» Auch junge Spieler wie Moscatelli, Hengartner, Gort oder Piserchia zitterten vor ihrem knallharten, Sprüche klopfenden Trainer und konnten ihr Potenzial unter ihm nicht ausschöpfen. Da stand bei ihm Skandalnudel HansPeter Zwicker deutlich höher im Kurs, denn diesen wollte Klimaschefski bei seinem Amtsantritt unbedingt zurückhaben aus Wettingen: «Holt mir den Zwicker zurück. Der soll doch bei mir vorne besoffen im Sturm herumstehen. Wird auch so noch immer besser sein, als was ich habe …», tönte Klima gewohnt markig. Als er das Enfant terrible dann unter seinen Fittichen hatte, riet er ihm dann aber: «Mensch Junge. Hör auf zu saufen und rauch nur noch die Hälfte.» Zwicker verriet dem «Blick» gute zehn Jahre später, dass er die trockenen Sprüche Klimaschefskis immer sehr lustig gefunden habe. Er bemerk-

Alle waren froh, als er ging Mit dieser Feststellung hat es Zwicker auf den Punkt gebracht. Klimaschefski ist in St. Gallen nicht nur an der sportlichen Bilanz, die natürlich schon sehr dürftig war, gescheitert. Mit seinem lockeren Mundwerk bot er Angriffsflächen für den Vorstand und verunsicherte gleichzeitig seine Mannschaft. Was im Stahlbad der Bundesliga noch funktionierte, war in der beschaulichen Olmastadt dann doch zu viel des Spektakels neben dem Platz. Captain Roger Hegi gab nach der Entlassung Klimaschefskis im «Blick» folgendes Statement zu Protokoll: «Klima hatte keinen Kredit mehr. Weder in der Mannschaft noch beim Publikum. Wir sind alle froh, dass er geht.» Unter seinem Nachfolger Markus Frei erlebte das Espenmoos nach dem «KlimaSchock» dann einen regelrechten Klimawechsel. Die Mannschaft erreichte am Ende einen guten 7. Schlussrang.

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Rubrik Auslaufen

Top 5

mämä erklärt

Das sind unsere momentanen Lieblinge: Liebster Fangesang: «When you sit in row Z And the ball hits your head That’s Zamora» (zur Melodie von Dean Martins «Amore» über Fulhams Chancentod Bobby Zamora) Liebster Forum-Username: Dasdiyok (fcbforum.ch) Liebste MatchtelegrammBemerkung: «FC Meilen 3 ohne Forro (Weihnachtsbaum schmücken), Bächler (Facebook gehackt), Paulo Jorge Da Silva Rodrigues (Mindesttemperatur unterschritten), Ritz (Repräsentative Verpflichtungen für den Kinderhort Obermeilen), Samiezadeh (Sandburg eingestürzt), Marinkovic (Nachholtermin Velo-Prüfung), Orifa (Brot im Fondue verloren) und V. Sudakow (Knie im Wodka)» (fcmeilen.ch) Liebster Ticketpreis: FC Zürich – FC Vaslui, unbedeutendes Europa-League-Spiel am 14.12.2011: Tribüne 100 – 150 Franken, Kurve 50 Franken. Liebste Schreibweisen für Basels Kraftwürfel: Shakiri, Shaquiri, Xhakiri, Shaxhiri, Shakira, Chagiri, Schaquiri, Schackiri, Streller (alles aus Newsnetz-Kommentaren)

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Mämä Sykora ist der ZWÖLF-Fussballprofessor und Präsident der Alternativliga Zürich

düsteres neues Jahr Ende Dezember, das ist eigentlich immer ein guter Anlass, um einen fiktiven lustigen Rückblick auf das kommende Jahr zu veröffentlichen. Doch irgendwie schleicht sich das Gefühl ein, dass es im kommenden Jahr für Fussballfans wenig zu lachen geben wird. In der Schweiz sowieso. Uns erwartet nämlich die zweite Hälfte einer unsäglichen Saison, bei der die Resultate lediglich eine Nebenrolle spielen. Da ist einerseits das Trauerspiel in Neuenburg, bei dem man davon ausgehen muss, dass der letzte Vorhang in absehbarer Zeit fallen wird. Das Ende eines Traditionsklubs, nur wenige Monate nach der Übergabe des Vereins an einen derart dubiosen Mann, dass die Fortsetzung der Geschichte wirklich jedem schon klar war. Dann ist da auch noch die «Neverending Story» um den FC Sion und CC. Die Rechtsstreite an allen Fronten werden wohl noch Jahre andauern, sodass die Tabelle noch bis in weite Ferne mit einem Stern als «provisorisch» gekennzeichnet werden muss. Aus sportlicher Sicht hingegen war die Meisterschaft zudem schon lange nicht mehr so eindeutig. Den FC Basel kann derzeit niemand fordern, auch weil die Rivalen u. a. wegen hausgemachter Probleme (FCZ) völlig abfallen. Auch das Thema «Fans und Gewalt» wird uns weiterhin treu begleiten. Politiker und Medien lauern auf den nächsten Zwischenfall – der mit Sicherheit kommen wird –. um danach weitere Massnahmen zu fordern, die zwar nicht greifen werden, dafür den Matchbesuch immer ungemütlicher machen. Ah ja, die EM findet auch noch statt. Aufgrund der schieren Anzahl von in der Redaktion eingegangenen Protestmails von kämpferischen Mitbürgerinnen und

Mitbürgern, die sich über die Säuberungen der ukrainischen Strassen von streunenden Hunden enervierten, möchte man glauben, dass das Schicksal der Vierbeiner mehr Leute bewegt als die EM. Das wird indes Unternehmen kaum davon abhalten, diesen Sommer alles auf die Karte Fussball zu setzen. In Polen und der Ukraine werden Firmen reihenweise in Konkurs gehen – als Erstes wohl abermals der Maskottchenhersteller der Euro –, weil die übersteigerten Erwartungen nicht annähernd erfüllt werden und der Kontinentalverband allerorten die Hand aufhält. Auch hierzulande wird versucht werden, die EM-Euphorie von 2008 wieder aufleben zu lassen. Mit einigen wunderbar peinlichen Kampagnen und Inseraten und selbstverständlich EM-Bars zuhauf in allen Städten. Wir werden die Wiederaufnahme des absurden Zürcher Streits um die momentan verbotenen TVFussballübertragungen mit Ton im Freien miterleben müssen und einige verzweifelte Barbesitzer treffen, die nicht verstehen müssen, warum die Hütte bei Polen - Griechenland, Irland - Kroatien oder Ukrai­ne - Schweden trotz den sündhaft teuren Riesenscreens nicht voll ist. Das alles klingt nicht lustig, ist es auch nicht. Der Fussball im Jahre 2012 wird wohl wirklich keine gute Figur abgeben. Immerhin wird es das Jahr sein, in dem sich in den oben erwähnten Problembereichen einige lange offene Fragen endlich klären werden: Investorenregeln, welche Gerichte im Fussball das Sagen haben, die Gewaltproblematik in den Stadien und vielleicht ja sogar die Auflagen des Verbandes für die Ausrichter von grossen Turnieren. Dann wäre am Ende des Jahres eine witzige Vorschau auf 2013 wieder angebrachter.


Fussball-Smalltalk Wer sich bei Google Maps die Route von «Dortmund» nach «Scheisse» anzeigen lässt, landet bei der Veltins Arena des FC Schalke 04.

An der diesjährigen U17-EM besiegte Deutschland die Türkei mit 2:0. Die Torschützen der Deutschen: Samed Yesil und Levent Ayçiçek.

Bei einem Gerangel vor einem Eckball im Montevideo-Derby im Oktober 1991 schaffte es Peñarol-Verteidiger Jorge Goncalves, dem NacionalAngreifer Julio César Dely Valdes die Goldkette abzureissen und in seinem Stulpen zu verstecken. Die Aktion wurde von den TV-Kameras eingefangen, Goncalves nach dem Spiel bereits von der Polizei erwartet und abgeführt.

1990 wurden 30 Mitglieder der albanischen Nationalmannschaft und dem U21-Team am Londoner Flughafen Heathrow verhaftet, nachdem sie beim Zwischenstopp auf der Rückreise aus Island im Duty-Free-Shop Waren im Wert von fast 5000 Franken eingepackt hatten und ohne zu bezahlen den Laden verliessen. Die Albaner verwiesen auf Sprachprobleme, nach 24 Stunden erfolglosen Suchens nach einem Übersetzer wurden die Fussballer wieder freigelassen.

Bei einer Bananenflanke muss der Ball mit etwa 100 km/h wirbeln und sich mehr als acht Mal pro Sekunde um die eigene Achse drehen. Die meisten Torschützenkönige in den letzten 30 Jahren stellte Servette mit 7. Zu Meisterehren reichte es indes nur dreimal. Beschränkt man sich auf die letzten 20 Jahre, sind die Young Boys bei den Topskorern am besten vertreten (5). Die Anzahl Titel in diesem Zeitraum: 0. Die Kosten eines Sponsorings auf dem Dress von Manchester United sind von 200 000 Pfund im Jahr 1992 auf 20 Mio. Pfund im Jahr 2011 gestiegen. Diego Forlán gewann 2011 die Copa America mit Uruguay. Dies gelang vor ihm auch schon seinem Vater Pablo Forlán 1967 sowie seinem Grossvater Juan Carlos Corazo als Trainer 1959 und 1967. Das erste Schweizer Tor in der Europacup-Geschichte schoss am 6. März 1956 der Lausanner René Maillard. Es war das 1:2 gegen Leipzig, das Spiel ging 3:6 verloren. Das Rückspiel fand erst 7 Monate später statt, Lausanne gewann 7:3 und stand damit im Halbfinale, das gegen eine Londoner Auswahl knapp verloren ging. FCB-Verteidiger Radoslav Kovac kassierte 2008 eine gelbe Karte, als er – noch in Diensten von Spartak Moskau stehend – bei einem Spiel gegen Lokomotive Moskau einen Flitzer mit einer harten Grätsche stoppte. Der Rekordtorschütze des FC Barcelona war ein Philippiner. Paulino Alcántara spielte von 1912 bis 1916 und nach einem Aufenthalt in seiner Heimat nochmals von 1918 bis 1927 für die Katalanen und schoss in 357 Spielen 357 Tore. Er spielte in der Nationalmannschaft der Philippinen und auch 5 Mal für Spanien. Daneben liess er sich zum Arzt ausbilden und vertrat sein Heimatland bei internationalen TischtennisWettkämpfen.

Fabian Boll, seit 2002 für den FC St. Pauli aktiv, arbeitet halbtags als Kriminaloberkommissar für die Hamburger Polizei. Von den 7 am 16. Oktober 2011 ausgetragenen Spielen der 7. Runde der Serie A endeten deren 5 mit 0:0. Bei der Partie Blackburn Rovers gegen West Bromwich Albion am 23.1.2011 kamen Spieler aus 22 Nationen zum Einsatz. Folgende Länder waren vertreten: England, Schweden, Republik Kongo, Demokratische Republik Kongo, Frankreich, Spanien, Schottland, Norwegen, Kroatien, Grenada, Paraguay, Kanada, Wales, Slowakei, Rumänien, Chile, Tschechische Republik, Nordirland, Kamerun, Österreich, Nigeria und USA. Der Nigerianer Obafemi Martins absolvierte sowohl für Inter Mailand wie auch für Newcastle United 88 Partien und erzielte für beide Vereine je 28 Tore. Das nach dem Old Firm am zweithäufigsten ausgetragene Fussballderby Europas ist jenes zwischen Rapid und Austria Wien. Es kam schon zu rund 400 Aufeinandertreffen. Die kleinste Liga der Welt wird auf den britischen Scilly-Inseln ausgespielt. Dort spielen an jedem Sonntag die Garrison Gunners und die Woolpack Wanderers gegeneinander, und dies insgesamt 17 Mal in der Meisterschaft. Daneben gibt es noch zwei Pokalwettbewerbe. Eröffnet wird die Saison zudem jeweils mit dem Ausspielen der «Charity Shield». Diese und sämtliche bereits in dieser Rubrik erschienen Geschichtchen gibt es – erweitert um ganz viele mehr – ab sofort im druckfrischen ZWÖLF Smalltalk-Büchlein, das auf 48 Seiten fast 700 unfassbare, unmögliche l k SMal Tal und unnütze Dinge beinhaltet. Erhältlich für unnütze 6 Franken über www.zwoelf.ch/smalltalk 290 Dinge, Die Sau inTereSSieren.

«ZWÖLF – Fussball-Geschichten aus der Schweiz» wird von ZWÖLF – Verein für Fussball-Kultur mit Sitz in Bern herausgegeben. ZWÖLF erscheint sechs Mal pro Jahr. Verein und Magazin sind unabhängig. Einnahmen dienen der Deckung der anfallenden Kosten. Allfällige Überschüsse werden in das Magazin investiert. Meinungen von Autoren müssen sich nicht mit jenen der Redaktion decken. Kontakt: www.zwoelf.ch ZWÖLF auf facebook.com info@zwoelf.ch leserbriefe@zwoelf.ch Herausgegeben von: ZWÖLF – Verein für Fussballkultur Postfach 8951 3001 Bern PC 60-668720-9 Gian-Andri Casutt, Präsident Abonnemente: ZWÖLF – Das Fussball Magazin. Leserservice, Postfach, CH-6002 Luzern, Tel.: 041 329 23 10. Fax: 041 329 23 03. E-Mail: zwoelf@leserservice.ch Jahresabo (6 Ausgaben/39.– CHF) per Gratis-SMS an 919 mit ABO12 und Adresse (Beispiel: ABO12 Max Muster, Sportweg 12, 8000 Torhausen) Vertrieb: MDS – Media Data Services AG Chefredaktion: Wolf Röcken, Sandro Danilo Spadini, Mämä Sykora. Besondere Aufgaben: Stefan Schürer Autoren dieser Ausgabe: Hans-Peter Berchtold, Karim Bschirr, Pascal Claude, Michele Coviello, Andreas Eggler, Thomas Gander, Gregory Germond, Roland Kehl, Silvan Lerch, Nik Lütjens, Romano Spadini, Beni Thurnheer, Benedikt Widmer, Ueli Zoss. Bild: André Bex (Bildchef ), Stefan Bohrer, Christian Breitler, Stephen Gatt, Josef Gruber, imago, Keystone, Andreas Meier (freshfocus), Pascal Wallimann, Jean Weber. Anzeigen: ZWÖLF, Postfach 8951, 3001 Bern, durisch@zwoelf.ch, Marco Durisch, Tel. 079 221 11 12 Mediabox Print GmbH, Eichstrasse 25, 8045 Zürich, www.mediabox.ch/print. Gestaltungskonzept, Art Direction, Layout & Illustrationen: bex.fm, Stauffacherstr. 106, 8004 Zürich André Bex, Visueller Gestalter (FH) www.bex.fm Druck: Swissprinters Zürich AG, Zürcherstrasse 39, 8952 Schlieren. Web (Design & Umsetzung) bex.fm Auflage: 10 000 Exemplare ISSN Nummer: 1662-2456

Das nächste Heft erscheint Mitte Februar 2012. ZWÖLF gefällt auch online: www.facebook.com/zwoelfmagazin


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