ZWÖLF #1

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CHF 5.–

HWEIZ S DER SC

#01 Mai/Juni 07

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agazin.ch

G: T L A S SU N N E F EW U R I N T E RV I BE I A N M I E T N DO P O O: R A IMON DE R EU R N E T T A STA DIE N N E D DE R SCH N I N EITSWA H H R , E H C I S OT T E U R E R K N A B , L L ME N D A E N O Z BL E N DE R HT : T W I L IG R E G Ü R T N E RGIC A BE V I T G A N S CH F R MA X FRI HTE N VO C I H C S E E: G FA N K U RV GE N DE N R Ä N

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© 2006: Coca-Cola, Coke, the Coke side of life, der Dynamic Ribbon Device und die Konturfl asche sind eingetragene Schutzmarken der The Coca-Cola Company.

football on the

side of life™


EDITORIAL

Wir wollen spielen Das Trippeln der Seitenlinie entlang hat ein Ende. Weg mit dem orangen Überhemd, Trikot in die Hose, Schuhe geschnürt, Stollen gezeigt, ein letzter Schluck aus der Plastikflasche: Die Aufwärmphase ist vorbei, wir sind bereit – ZWÖLF wird eingewechselt. Wir wollen spielen. Wir, das sind rund 70 Fussballliebhaber aus der ganzen Schweiz - mit der Idee und dem Ziel, ein neues Fussballmagazin für die Schweiz zu machen. Um Geschichten aus und rund um den Ball soll es gehen, um Super League, Fansektor, Fussballprovinz und Nationalmannschaft, nicht um Datenbanken und Statistiken. ZWÖLF will leidenschaftlich, unterhaltend und überraschend berichten, kritisch beobachten, den Fussballfan nach seiner Meinung fragen und diese auch veröffentlichen. ZWÖLF ist unabhängig. Dahinter steckt kein Verlag und kein Verband. Dafür ein Verein: Der Verein für Fussballkultur mit einem breiten, offenen Netzwerk von erfahrenen Profis und motivierten Amateuren in der ganzen Schweiz. Wer ZWÖLF interessant findet, unterstützt das Projekt - mit einem Abonnement oder mit einem Gönnerbeitrag. Denn ZWÖLF funktioniert wie guter Amateurfussball: mit viel Herzblut und Begeisterung, aber ohne Lohn. Die Autoren der ersten Ausgabe von ZWÖLF haben ehrenamtlich geschrieben, aus Freude am Fussball. ZWÖLF ist ein Non-Profit-Projekt, Geld fliesst ausschliesslich ins Magazin. Wir sind überzeugt, dass es einen Platz für ein Magazin ZWÖLF gibt. Sechsmal im Jahr, immer am 12. des Monats. Im Einzelverkauf in und vor Stadien, in Fanshops, am Kiosk oder im Abonnement (siehe Talon auf Seite 29). Warum eigentlich ZWÖLF? Weil 11 manchmal nicht genug sind? Findets raus. Wir müssen aufs Feld: Wir wollen jetzt spielen.

Viel Vergnügen mit dem ersten Heft Das Team von ZWÖLF

3


4

IMPRESSUM

Was, wer, wo «ZWÖLF – Fussball-Geschichten aus der Schweiz» wird von

Autoren dieser Ausgabe:

«ZWÖLF – Verein für Fussball-Kultur» mit Sitz in Bern herausge-

Thomas Boschung, Pascal Claude, Dani Eder, Aurèle Greiner,

geben. ZWÖLF erscheint alle zwei Monate. Verein und Magazin

Reeto von Gunten, Johannes Kaufmann, Daniel Kehl, Christian

sind unabhängig. Verkaufseinnahmen dienen der Deckung der

Koller, William Kong, Reinhard Krennhuber, Marianne Meier,

anfallenden Kosten. Allfällige Überschüsse werden in das Ma-

Axel Post, Roger Probst, Felix Reich, Peter Ruch, Urban

gazin investiert. Meinungen von Autoren müssen sich nicht mit

Schaniel, Philipp Schrämmli, Diego Stocker, Michael Thut.

jenen der Redaktion decken.

Kontakt:

Bild:

www.zwoelf-magazin.ch

Dave Joss (Bildchef), Angela Casutt, Daniel Bernet, Reto Crame-

info@zwoelf-magazin.ch

ri (Illustrationen), Dani Eder, Andreas Eggler, Aled Evans, Lukas Frei, Martin Parzer, www.nanzig.com, Keystone, Trix

ZWÖLF – Verein für Fussballkultur

Niederau/St. Galler Tagblatt, Archiv Sportmuseum Basel.

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Marco Durisch, Aled Evans, Ole Rauch.

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ZWÖLF – Das Fussball Magazin. Leserservice, Postfach,

Mediabox Print GmbH, Eichstrasse 25, 8045 Zürich, www.medi-

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Andri Riesen und Remo Meister (Basel), Tobias Habegger

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(Bern), Emanuel Thaler (Luzern), Jürg Ackermann (Ostschweiz), Michael Imesch (Wallis), Andreas Eggler, Roland Kehl und Mi-

Druck:

chael Vetsch (Westschweiz), Stefan Schürer (Zürich).

Zürcher Druck & Verlag AG, Riedstrasse 1, 6343 Rotkreuz


INHALTSVERZEICHNIS

6

Wie gesagt, äh… Fussballer reden

7

Einlaufen mit Kurzpässen

8

Die zwölf Gebote Rezepte zum Erfolg in der Super League

15

«Nonda steckte ich zu einem Freund in eine Hütte im Wallis» Raimondo Ponte über Einstellungen und Entlassungen

18

Malley statt Mailand U17-Europameister in der 1. Liga

Raimondo Ponte: Seite 15

21

Luzerns Chaoten Gantrufer und ein Grand Signor mit Cojones

24

«Wenn Köbi Kuhn anruft…» Aber noch ist Thuns Nelson Ferreira Portugiese

28

Sicherheitswahn im Vorfeld der EM Klubfans leiden für „saubere“ Euro-Spiele

31

Basel ein Jahr nach der Schande Heilsamer Schrecken, Gespräche und Prävention

34

Fankurve: So tönts von den Rängen

38

Max Frisch fragt Ivan Ergic

40

Das gibt es nur bei uns: Raclette-Zelt von Sion

41

Hier riechts nach Leidenschaft Das St. Galler Espenmoos, die Schweizer Anfield Road

Ivan Ergic: Seite 38

44

Das Album: GC anno 1984

46

Die NLA-Legende: FCZ-Verteidiger Jörn Anderson

48

Rückpass: Die YB-Meister im Museum

51

Ist alles nur Fussball: Reeto von Gunten sagt, was Fussball ist

52

Seitenwechsel: Degustieren mit Christophe Bonvin

54

Schweizerreise: Chur hatte nie wirklich gute Fussballer

56

Leiberltausch: Klub-Transfer à la Austria

57

Clemens Herstmeister: Briefe an den Kaiser

58

Mit zarten Füsschen getreten Frauen, Fussball, Mannschaften und ein Buch

Jörn Andersen: Seite 46

60

Die andere Liga: Klassenkampf auf grünem Rasen

61

Der Coach: YB-Fan Christof stellt für Köbi auf

62

ZWÖLF war dabei: Pausenfüller Petric

5


6

WIE GESAGT, ÄH...

Planet Constantin Wenn er aufhöre, wolle er den besten Klub der Welt hinterlassen, liess sich Christian Constantin schon zitieren. Doch das war nur eine der bemerkenswerten Aussagen des Sonnenkönigs aus dem Wallis, hauptamtlich Präsident des FC Sion.

Den Vogel abgeschossen hat Murat Yakin, im Nebenamt Kolumnist beim Gratisblatt «heute»: Murat in «heute» 9.3.:«Vogel ist ein kleiner, bösartiger Intrigant». Murat in «Weltwoche» 15.3.: «Die Worte stammen nicht von mir, sondern vom verantwortlichen Redaktor.» – «Sie wissen nicht, was in Ihrer Kolumne steht?» – «Nein, ich habe sie noch nicht gelesen.» Murat in «heute» 16.3.:«Meine Worte wurden aus dem Zusammenhang gerissen.» Murat im Sporttip-Spot: «Was denn?»

Ivan Rakitic ist der Mann der Stunde in Basel. Der 19-Jährige gibt sich wohltuend bescheiden, hält sich aber gleichwohl an die Technik der nichts sagenden Interviews. Sätze wie «Es spielt keine Rolle, wer die Tore erzielt» oder «Die Hauptsache ist, dass es dem Team gut läuft» sind die Folge. Dass er in seinem Alter keine grossen Reden hält, kann aber auch als Selbstschutz dienen. Hakan Yakin («Ich glaube, ich habe heute vor allem als

«Nächste Saison bin ich der einzige lateinische

Team überzeugt» oder «Ein Wechsel ist immer auch etwas Posi-

Klub in der Super League.»

tives, vielleicht auch etwas Negatives, das ist klar») oder Gök-

Sind wir nicht alle ein bisschen Sion?

han Inler («Technisch waren sie mehr als uns») wissen, was ge-

«Sport Magazin», Juli 2006.

meint ist.

«Der Trainer muss den Charakter haben, mit

«Schweiz. Entdecke das Plus» heisst der Slogan der Fussball-

einem Klub wie Sion und einem Präsidenten wie

EM. TV-Moderator Frank Baumann in «20 Minuten»: «Bire-

mir umgehen zu können.»

weich, hilflos und tragisch. Ich hoffe sehr, dass das Schweizer

Als Anstellungsprofil sollte das reichen, NZZ, 10.2.2007.

Team an der EM besser Fussball spielt, als ihre Funktionäre texten.»

«Das überlasse ich gern Carole. Da spiele ich oft Vogel Strauss.»

Öffentliche Selbstkritik ist seine Sache nicht: Christian Gross

CC nicht über die Sion-Aufstellung, sondern über die Erziehung der

auf die Frage der «NZZ am Sonntag» nach Transferflops beim

Kinder, «SonntagsBlick», 25.3.2007.

FCB: «Eigentlich bin ich von allen Transfers überzeugt.» Waren ihm Namen wie Buckley, Carignano oder Sterjovski nur entfal-

«Ich bin wohl ein hoffnungsloser Macho.»

len?

Wer? Constantin? «Schweizer Illustrierte», 26.3.2007. Bescheiden wie eh und je dagegen Lucien Favre: Die Frage der

«Jeder, der Kunde des FC Sion ist, also jeder Zu-

NZZ nach Spielern im Kader des FCZ, die besser sind als Favre

schauer, darf seine Meinung äussern. Aber ich

zu seiner Aktivzeit, beantwortete er mit: «4, 5, 6 sind stärker, als

weiss am besten, was das Beste für den Klub

ich es war.» ZWÖLF hat nachgezählt, bis auf Xavier Margairaz

ist.»

aber niemanden gefunden.

Wieso sich dann äussern? «Schweizer Illustrierte», 26.3.2007. Krassimir Balakov verblüfft immer wieder: Den Abgang von

«Ich gebe Kuljic nur unter bestimmten Konditi-

Demba Touré zu Dynamo Kiew quittierte er mit der Bemerkung,

onen frei. Zum Beispiel, wenn er Lastwagenfah-

«dass dem Verein die sportliche Lage nicht so wichtig ist wie

rer werden will.»

die finanzielle». Die GC-Einkaufstour in der Winterpause hatte

CC zu Transfergeschäften, «NZZ am Sonntag», 1.4.2007

er wohl ebenso vergessen wie die Tatsache, dass Touré unter ihm kaum je in der Startformation stand.


EINLAUFEN 25’001 Fans bei Basel - St. Gallen: Exakt ein Fan zu viel. So was

7

Die Single

stört wie Eltern an einer Teenie-Fete. Der 25’000-und-erste Fan hat nichts verbrochen, aber er verstösst gegen das Gesetz von Harmonie und Ebenmass. Wäre er dem Matchtelegramm zulie-

ALLEZ LS

be doch zu Hause geblieben! Zwar ergeben an einem Challenge-League-Match 2 Journalisten, 4 Schiedsrichter, 2 Balljungen

Guy Rolland Sextett.

und 1 Wurstverkäuferin zusammengezählt in der Regel 500 Zu-

Mabel Records 1973

schauer. Aber 25’001 Fans hätte sogar GC nicht aufzurunden gewagt. Weshalb zählt man bei Basel jede Nase, wenn andere auf hübsche runde Zahlen (auf-)runden? Pressemann Josef Zindel erklärt: Der FCB zahlt pro anwesenden Fan Fr. 2.20 Sicherheitssackgeld an die Polizei. Man rechne: Nimmt man die Zahl

Aus der Sammlung von: Pascal Claude

F

ast jeder Schweizer Fussballklub mit NationalligaErfahrung darf sich rühmen, auf einer Vinyl-Single

27’800 (abgesetzte Tickets plus Abos) gehen 61’160 Franken an

besungen zu werden. So auch Lausanne Sports, das bei

die Polizei. Zählt man genau nach – 25’001 passierten die Dreh-

der Neugründung nach dem Konkurs ein «s» opfern

kreuze –, spart der Klub Fr. 6’157.80. Bei 18 Heimspielen pro

musste und seither FC Lausanne-Sport heisst. 1973 war

Jahr macht das ... äh – das Gehalt eines Spielers?

die Welt noch in Ordnung, die Spieler hiessen Kok, Burgener und Chapuisat, und das Guy Rolland Sextett

Der zwölfte Mann ist eine Frau. Das behauptet das «junge thea-

untermalte die erfolgreichen Zeiten mit einem schönen

ter basel». Drei junge Frauen haben im und um den St.-Jakob-

Schunkler: «Allez LS!» Die B-Seite überrascht mit einer

Park Interviews mit weiblichen FCB-Fans gemacht. Daraus

furiosen Version des «Tiger Walk», was die Single zu

entstand die Theater-Inszenierung «Der 12. Mann ist eine Frau».

einem begehrten Sammlerstück macht.

Sie kann für Vorführungen in Klassenzimmern gebucht werden.

Mit Matchprogrammen lässt sich nach jahrelanger Lagerung Geld verdienen. Kürzlich bei einem der Online-Auktionshäuser

Die Tabelle

im Angebot: Programme des Europacup-Spiels FC Karl-Marx-

Der Stand in der Super League

Stadt gegen Sion vom 1. November 1989. Preis: ab 12 Franken.

Team

Punkte

1.

Zürich

1

Das reicht für Bratwurst und Bier.

2.

Sion

1

Sich gar eine Beizenznacht verdienen wollte der Anbieter des

3.

Basel

2

Programmhefts Schachtjor Donezk gegen Servette, Europacup

4.

GC

4

1983/84. Auktionseinstieg bei Fr. 36.99. Dafür sind die Texte

5.

St. Gallen

7

auch in kyrillischer Schrift.

6.

Aarau

14

7.

Luzern

15

Als wohl einziger Verein der Super League führt der FC Thun in

8.

Young Boys

20

seinem Fanartikel-Sortiment sogar Ohrstecker mit dem Ver-

9.

Thun

109

Schaffhausen

111

eins-Signet. In Silber, Gold und Weissgold.

10.

Wäre und hätte: Wäre Richard Nunez bei GC geblieben, wäre

ZWÖLF präsentiert den aktuellen Tabellenstand in

GC seit 2003 trotzdem nie mehr Meister geworden. Hätte Nunez’

der Schweizer Super League. Diesmal: Solange war-

Formverlauf angehalten, würde er im kommenden Sommer ab-

ten die Vereine auf einen nationalen Titelgewinn

lösefrei zu YF Juventus wechseln. Trotzdem wäre Toni Dos San-

(Meis-terschaft oder Cup). Pro Jahr verteilten wir ei-

tos heute nicht der aktuelle GC-Topskorer. Stehende Bälle wa-

nen Punkt.

ren schliesslich dem Uru vorbehalten.


8

Die zwölf Gebote Alle Vereine wollen ihn, die wenigsten haben ihn: Erfolg. Stattdessen prägen falsche Propheten wie Krassimir Balakov und Gernot Rohr, Glücksritter im Stile Christian Constantins und Transferflops wie Cesar Carignano den Alltag der Super League. ZWÖLF zeigt, wie mans richtig macht, und liest den Vereinen die Leviten: Die 12 Gebote auf dem Weg zum Erfolg. Text: Stefan Schürer

E

inwurf Nef, Flanke Stahel: Manchmal fällt einem der

Mohamed Kader. Die Geldtöpfe der Champions League

Erfolg vor die Füsse, so wie Iulian Filipescu und dem

vor Augen, verbrennt Roger innert Jahresfrist Millionen.

FC Zürich am 13. Mai 2006 im Basler St.-Jakob-Park. Fili-

Der Servette FC meldet im Februar 2005, mitten in der

pescu schiebt ein, der FCZ ist Meister. Der FCZ gedul-

Saison, Konkurs an. Es folgt die Zwangsrelegation in die

dete sich bis zu jenem 13. Mai 25 Jahre auf den Meisterti-

1. Liga.

tel. Die Dürreperiode bei YB dauert nun schon über 20

Christian Constantin hat es Marc Roger in seinem ers-

Jahre an. Lugano ist im Schuldenmeer verschwunden, im

ten Leben als Präsident von Sion gleichgetan. Der Verein

Grasshopper-Club hat man mit dem einstigen Messias

bezahlte Constantins Parforceritt in Richtung Champions

Richard Nunez auch den Erfolg zum Teufel gejagt, und im

League nur ein Jahr nach dem Double mit dem finanzi-

FC Sion folgten auf die sieben fetten Monate mit dem Dou-

ellen Kollaps.

blegewinn 1997 mehr als nur sieben Jahre Magerkost.

GC, einst Aushängeschild des Schweizer Fussballs,

Lang ist das Sündenregister allerorten. Damit das Leiden

warf in dieser Winterpause sämtliche Bekenntnisse zum

ein Ende nimmt: von der Kanzel herab die Erfolgsformel

eigenen Nachwuchs über Bord. Zum Rückrundenstart

der Super League.

wurden mit Wesley – sein viermonatiges Gastspiel soll 420`000 Franken kosten –, Galindo, Rinaldo und Ailton

1. Habe Geduld Es gibt keinen schnellen Erfolg. Marc Roger, der Mann,

vier neue Spieler verpflichtet, keiner wirklich fit oder ein Gewinn für die Mannschaft. Der rasche Erfolg bleibt entsprechend auch bei GC aus.

der den französischen Weltmeister Christian Karembeu zum Servette FC geholt hat, sitzt im Februar 2007 auf der Tribüne des Nou Camp in Barcelona und schaut sich Eu-

2. Beschränke die Macht des Trainers

ropas Königsklasse an. Endlich Champions League. Zwei

Kein Verein verträgt einen Sonnenkönig auf der Bank:

Tage später schlagen die spanischen Polizeibehörden

Heinz Peischl mustert zu Beginn seiner Herrschaft im

zu. Roger, gesucht per internationalen Haftbefehl, wird

Sommer 2003 unglaubliche 20 Spieler aus. Sportchef

verhaftet.

Andy Egli degradiert er zum Erfüllungsgehilfen. Legen-

Die Liste der ihm vorgeworfenen Delikte ist so umfang-

där ist Peischls Gruppe Wald: jene unerwünschten Spie-

reich wie das Verzeichnis der Spieler, die Roger im Fe-

ler, die er nicht loswird, darunter Rainer Bieli, verbietet

bruar 2004 nach Genf lockte: neben Karembeu mehr als

Peischl das Training mit dem Team. Die Verstossenen

20 weitere Spieler, darunter Eric Hassli, Joao Paolo oder

müssen sich mit ausgedehnten Waldläufen fit halten. Per-


9

Manchmal fällt der Erfolg vor die Füsse: der FCZ jubelt nach Filipescus 2:1 gegen Basel / Bild: Dave Joss

sonen, die in sportlichen Belangen über Peischls Tage

Ohne ausländische Topstürmer ist in der Schweiz kein

hinausplanen, sind im Klub Fehlanzeige. Peischl selber

Zinnbecher zu gewinnen. Ein systematisches Scouting-

verliert vor lauter Umstürzen am Spielfeldrand mitunter

system – versteht man darunter mehr als gelegentliche

den Kopf. Mehrere Male hintereinander wechselt er in

Dienstreisen nach Südamerika – leistet sich aber kein

der Halbzeit das Spielsystem. Im April 2005 fällt über ihm

Schweizer Verein. Auf Hinweise von Spielervermittlern

die Guillotine. Der Fall Peischl taugt zum Lehrstück: YB

oder verwackelte Videobilder ist jedoch kein Verlass.

erfüllte Gernot Rohr lange jeden Transferwunsch. Die

Dies zeigt der Transfer des vermeintlichen Nachfol-

Folge dieser und anderer Berner Kopflosigkeiten: Heute

gers für Christian Gimenez beim FC Basel, Cesar Cari-

stehen bei YB mit Yakin, Yapi-Yapo und Chiumiento drei

gnano: Kostenpunkt vier Millionen Franken. Carignano

klassische Spielmacher unter Vertrag. Rohr ist längst

spielt mittlerweile in Mexico. Die Young Boys präsen-

Vergangenheit. Auch bei GC lebt man mit der Hypothek,

tierten diesen Sommer den Brasilianer Marcos als neuen

dass man Trainer Balakov in Personalfragen seit einem

Goalgetter, verpflichtet aus Tunesien. Aus China holte

Jahr freie Hand lässt.

man vor zwei Jahren Shi Jun. Eingeschlagen hat bis jetzt keiner der beiden. Seine ausländischen Stürmer ohne

3. Suche deine Ausländer in der Schweiz

Ladehemmungen verpflichtete YB in den letzten Jahren vorzugsweise in der Schweiz: Leandro kam von Xamax,

Die besten Ausländer finden sich in der Schweiz. Amoah

Neri von Schaffhausen und Joao Paulo via Spanien von

kam von Will zu St. Gallen und schoss die Espen mit 25

Servette.

Toren zum Titel. Der Name Moldovan steht für die Glanz-

Gewiss, das System ist kein Perpetuum mobile. Die

zeiten von GC in den 90er-Jahren; Moldovan wurde aus

letzten beiden Spieler, die im Trikot des FCZ die Krone

Neuenburg geholt. Raffael ist die Torgarantie im FCZ;

des Torschützenkönigs holten, Shabani Nonda und Al-

vorher spielte er in Chiasso. Oft liegt das Gute ganz nahe.

hassane Keita, verpflichtete der FCZ aus dem Ausland.


10 Kein Grund allerdings, im Tranferlotto nicht auf dem heimischen Markt zu spielen.

4. Ehre deine Stars Ausnahmekönner sind in der Schweiz fast so selten wie Meistertitel des FC Aarau. Die wirklich Grossen der letzten Jahre lassen sich an einer Hand abzählen: Richard Nunez, Hakan Yakin, Mihai Tararache, Mladen Petric – Spieler, die eine Meisterschaft beinahe im Alleingang entscheiden können. Spieler dieser Klasse sind bei Laune zu halten. Nunez verweigerte Defensivarbeit mit erstaunlicher Beharrlichkeit. Was solls? Mit seinen Toren bescherte er GC zwei Titel. Löcher im Mittelfeld stopfen können viele; Kunstschüsse aus 20 Metern beherrschte im Hardturm lange nur König Richard I. Christian Gross wusste genau, weshalb er Hakan Yakin mehr Freiheiten zugestand als anderen. Der Spieler dankte dem Trainer das Vertrauen mit den besten Jahren seiner Karriere. Macht ein Ausnahmekönner Schwierigkeiten, liegt das Problem beim Verein. Grosse Trainer kommen auch mit schwierigen Charakteren zurecht – Marcel Koller und sein Zwist mit Nunez bildet hier bloss die Ausnahme, welche die Regel bestätigt.

5. Leiste dir Kompetenz

Richard Nunez verweigerte Defensivarbeit. Was solls? / Bild: Key

sen herum. Nach einem halben Jahr wurde Bickel geholt. Seither ist die Transferpolitik des FCZ von erfreulicher

Präsidenten sind oft überfordert. Ein Fussballverein ist

Weitsicht geprägt. Die grossen Zeiten von GC sind ihrer-

keine Grossbank und kein Architekturbüro. Jeder Klub

seits fest mit dem Namen Erich Vogel verknüpft; Vogel

benötigt deshalb einen Sportchef mit Fachverstand, mit

holte als Manager über Jahre Grosskaliber wie Johann

Vorteil – siehe den Fall Riedle – im Vollamt. Der Sportchef

Vogel oder Alain Sutter. Jetzt ist Vogel zurück im Hard-

ist nicht bloss für die Organisation des Trainingslagers

turm und mit ihm die Hoffnung auf bessere Zeiten.

in Marokko zuständig. Er plant über die 90 Minuten und

Selbstverständlich bedarf dabei auch der Sportchef

die anschliessende Pressekonferenz hinaus und verpasst

Schranken. Hier lässt YB grüssen: Der mit weit reichenden

dem Verein Konzept und Strategie. Gehen Präsident oder

Kompetenzen ausgestattete Marcel Hottiger veränderte

Trainer von Bord, hält er das Schiff auf Kurs.

während seiner 20 Monate als Sportchef das YB-Perso-

Sven Hotz steckte über Jahre Millionen in den FCZ. Der

nal beinahe im Wochenrhythmus. Sein eigener Abgang

Erfolg kam, als Hotz seinem Trainer Lucien Favre und sich

Ende 2006 stellte – wie die NZZ vorrechnete – den 67. und

selber mit Fredy Bickel einen kompetenten Sportchef zur

letzten Wechsel seiner Amtszeit auf Trainer-, Spieler-,

Seite stellte. Im FCZ ist mit Bickel eine Machtbalance ent-

Funktionärs- und Betreuerebene dar.

standen, die präsidiale Schnellschüsse ebenso verhindert wie Sololäufe des Trainers. Bei Dienstantritt auf dem Letzigrund durfte Favre noch aus dem Vollen schöpfen.

6. Schwäche die direkten Konkurrenten

Zusätzlich zu Sergio Bastida verpflichtete Favre mit Simo

Die wertvollsten Spieler sind jene, die von der direkten

und Petrosyan zwei weitere Spielgestalter. Die drei stan-

Konkurrenz kommen. Das eigene Team wird gestärkt,

den sich in der Folge im zentralen Mittelfeld auf den Füs-

der Rivale geschwächt. Der FCB hat dieses Bayern-Prin-


11 zip zeitweise verinnerlicht. Zu Beginn dieses Jahrzehnts

Startformation. Urs Fischers weite Bälle in die FCZ-Spit-

ist der FC Lugano eine Fussballmacht. Dank Christian

ze fanden auf seine alten Tage hin immer seltener den

Gimenenz und Julio Hernan Rossi spielt Lugano zwei

Adressaten; auf und neben dem Platz hörte dennoch alles

Saisons um den Titel mit. Gimenez wechselt 2001 nach

auf Fischers Kommando. Einen unverzeihlichen Fehler

Basel, Rossi ein Jahr später, beide jeweils für eine Ablö-

leistete sich YB unter Gernot Rohr, als es Publikumslieb-

sesumme von über drei Millionen Franken. Zusammen

ling Gürkan Sermeter zu Aarau abschob und die entstan-

erobern die beiden Argentinier daraufhin mit dem FCB

dene Lücke dann mit Spielern füllte, die nicht annähernd

die Champions League, während der FC Lugano von der

die Klasse Sermeters aufweisen. Der Mannschaft fehlt

Fussballlandkarte verschwindet. Den Grasshoppers ver-

seither die Seele, den Fans die Symbolfigur. Manch einer

setzt der FCB 2004 mit der Verpflichtung von Mladen Pe-

bleibt deshalb daheim. Fussball ist vor allem auch eine

tric einen entscheidenden Schlag: GC wartet seither auf

Herzensangelegenheit.

einen Titel. Hätte der FCB seine finanzielle Macht erfolgreich für eine Verpflichtung von Xavier Margairaz eingesetzt,

8. Verfalle nicht dem Jugendwahn

hiesse der Schweizer Meister 2006 wohl nicht FCZ.

Nachwuchsspieler lassen sich nicht heranzüchten. Selbst bei Ajax Amsterdam, Europas Vorzeigeklub in Sachen

7. Es gibt nur einen...

Nachwuchsförderung, schafft pro Saison höchstens ein Spieler den Sprung in die erste Mannschaft. Es ist deshalb

Jeder Verein braucht Identifikationsfiguren. Sie halten

unsinnig, wie GC jedes Jahr drei Millionen Franken in

die Mannschaft zusammen und die Fans bei der Stange.

die Nachwuchsabteilung zu verlochen. Der GC-Campus

Fussballer wie Massimo Ceccaroni, Erich Hänzi oder

in Niederhasli hat mit Ausnahme von Ricardo Cabanas

Mats Gren. Solche Spieler sind zu halten, solange dies un-

in den letzten Jahren nur Aussenverteidiger hervorge-

ter sportlichen Aspekten gerade noch tragbar ist. Reicht

bracht. Die Nachwuchsabteilung des FCZ steht dagegen

einem Original wie Marc Zellweger der Atem noch, um

im ganzen Land: Inler kam von Aarau, Barmettler von

die Aussenlinie abzugrasen, gehört er in die St. Galler

GC, Margairaz und von Bergen kamen von Xamax. Die

Basel holte Christian Gimenez von Lugano und schwächte damit die Tessiner im Titelrennen / Bild: Dave Joss


12 Bespiele zeigen: Die Jungen müssen nicht selber ausge-

geboten. Dass er schliesslich bei GC und nicht beim FCZ

bildet werden. Ein Irrtum ist es auch, mit dem eigenen

strandete, ist symbolisch für die Wachablösung auf dem

Nachwuchs allein eine schlagkräftige Mannschaft auf-

Platz Zürich. Noch vor kurzem wäre Ailton mit Sicherheit

bauen zu wollen. Mehr Erfolg verspricht da der Weg, wie

beim FCZ untergekommen. Kein Schweizer Verein hat in

ihn der FC Luzern beschreitet. Um eine Achse erfahrener

der Vergangenheit mehr Geld in überalterte Stars ver-

Fussballer herum werden junge Spieler nach und nach

pulvert. Ob Jean-Marc Ferreri, Tomas Brolin oder Haris

an höhere Aufgaben herangeführt. In Luzern hat man

Skoro: Sie alle hatten ihren Zenit um Lichtjahre über-

deshalb auch dankbar zugegriffen, als Balakov bei GC

schritten, als sie beim FCZ unterschrieben.

einen Super-League-erprobten Spieler wie Gerardo Se-

Was auf die Altstars zutrifft, gilt auch für die wirklich

oane aussortierte. Ist man sich dieser zwei Irrlehren be-

teuren Spieler. Nur in seltensten Fällen sind sie ihr Geld

wusst, soll die Karte Jugend ausgespielt werden: Junge

wert. Auch in dieser Kategorie ist der FCZ unübertroffen:

Spieler kosten wenig und können später zuweilen ge-

Über fünf Millionen Franken überwiesen der FCZ und

winnbringend weiterverkauft werden. Zuletzt löste Basel

ihm zugewandte Investoren 2001 für Francisco Guerrero

für Zdravko Kuzmanovic, einst vom YB-Nachwuchs ver-

nach Argentinien; heute spielt Guerrero in der Challenge

pflichtet, vier Millionen Franken.

League bei YF Juventus. Stolze zwei Millionen liess sich GC 1999 Kjetil Lövvik vom SK Brann Bergen kosten. Sechs

9. Verzichte auf teure Altstars

Monate später kehrte Lövvik zurück in den Norden. Wäre einer dieser Spieler die bezahlten Millionen tatsächlich

In der Super League wird kein Spieler im Vorruhestand

wert gewesen, er hätte nicht in die Schweiz gewechselt,

zur grossen Nummer. Ailton wurde im vergangenen Som-

sondern in eine europäische Grossliga.

mer gleich von mehreren Spielervermittlern via SMS feil-

10. Verpflichte unverbrauchte Trainer Bei der Auswahl der Trainer fehlt es allerorten an Courage. Köbi Kuhn ist der erfolgreichste Nati-Trainer aller Zeiten. In der Super League amtierte Kuhn – abgesehen von einem Interims-Intermezzo 1983 beim FCZ – nie als Cheftrainer. Auch ein Jürgen Seeberger, lange Jahre mit Schaffhausen erfolgreich, hätte längst eine Chance bei einem Spitzenklub verdient. Lieber bedient man sich der ewig gleichen Namen: Geiger, Peischl, Andermatt, Egli, Gress, Zaugg, Engel, Schällibaum. Das Trainerrecycling scheint kein Ende zu nehmen, begleitet durch Zwischenspiele der Übungsleiter beim Schweizer Fernsehen. Dass sich der Ausstieg aus dem Wiederverwertungszyklus durchaus lohnen kann, zeigt der Blick auf die jüngere Geschichte des FC Thun. Sowohl mit der Verpflichtung von Hanspeter Latour als auch von Urs Schönenberger setze man auf Trainer ohne NLA-Erfahrung und wurde mehr als reich belohnt. Für Marcel Koller war St. Gallen die erste Trainerstation in der Super League; Koller führte St. Gallen zum Titelgewinn. Meistertrainer des FC Aarau war mit Rolf Fringer ebenfalls ein Super-League-Novize. Christian Gross Unverbraucht zum Erfolg: Christian Gross als NLA-Trainerdebutant

debütierte in der höchsten Spielklasse bei GC und holte

schon Meister mit GC. / Bild: Dave Joss

dort zwei Mal die Meistertrophäe.


13

Charles Amoah (mit Ionel Gane, links) kam von Wil, schoss St.Gallen zum Meister und ging als Star. / Keystone

11. Suche dir einen Mäzen

12. Der Ball muss ins Tor

Kein Schweizer Verein wird je grossen Gewinn abwer-

Erfolg ist nicht planbar. Flankt Stahel hinter das Tor oder

fen. Vermeintliche Goldesel wie die Champions League

tritt Filipescu im entscheidenden Moment über den Ball,

oder neue Stadien ändern nichts an diesem Dogma. Den

helfen weder der sachkundigste Sportchef noch die be-

Geldsegen der Champions League bezahlen Schweizer

ste Transferphilosphie. Im FCZ würde man heute noch

Vereine teuer: Der Kader muss aufgebläht werden, die

die Wunden lecken. Dennoch besteht kein Grund für

Spielergehälter steigen, und die besten Spieler werden

eine Abkehr von den zwölf Geboten.

weggekauft.

Kommt es wieder einmal zum High Noon, muss der Ball

Der Krebsgang des FC Thun ist hierfür symptomatisch.

wieder in letzter Minute durchs Nadelöhr, sind die zwölf

Ein neues Stadion bringt zwar regelmässig mehr Zuschau-

Gebote der Schlüssel zum Tor in den Schweizer Fussball-

er und mehr Geld, ist aber ebenfalls kein finanzielles All-

himmel:

heilmittel. Der Aufschwung des FC Basel im neuen St.-Ja-

Ein Barmettler, einst bei GC verschmäht und mittler-

kob-Park darf hier nicht blenden; hinter dem Aufstieg zur

weile auf dem Weg zum FCZ-Urgestein, wirft dann ein,

Schweizer Fussballgrossmacht steht das Geld von Roche-

Rückkehrer und Kluboriginal Gygax passt in die Mitte,

Erbin Gigi Oeri. Der St.-Jakob-Park bildet nur die Kulis-

und Eudis, verpflichtet aus Lausanne, steht zum Einschie-

se. Wer im Schweizer Fussball überleben will, benötigt

ben bereit; der Ball ist in der Luft, der neue FCZ-Coach

eine kleine Hausbank, heisst diese nun Andy Rihs oder

Uli Forte, geholt aus Wil, springt von der Trainerbank

Heinz Spross. Eine solche sollte sich in der Regel – zumal

auf, Fredy Bickel hält den Atem an, und Präsident Ancillo

in Zürich, Bern oder Basel – aber finden lassen. Erfolg hat

Canepa denkt bereits an die Champions League – Eudis

seinen Preis.

aber setzt den Ball vielleicht an die Querlatte.


Raimondo Ponte: «Ich erzähle den Journalisten nicht, ich sei hier und dort im Gespräch.»

Von Zürich über Nottingham nach Zürich R

aimondo Ponte ist einer der grossen Figuren des Schweizer Fussballs der letzten 30 Jahre. Ponte stiess 1975 zu GC. 1980 wechselte er zum damaligen Meistercup-Sieger Nottingham Forest. Nach einer Saison in Nottingham

mit 7 Toren wurde Ponte zum damaligen französischen Spitzenklub Bastia transferiert, den er 1982 in Richtung Hardturm verliess. Bei GC beendete er 1988 seine Spielerlaufbahn. Ponte gewann mit GC drei Schweizer Meisterschaften, wurde einmal Cupsieger und einmal Supercupsieger. Ponte spielte 34 Mal für die Nationalmannschaft und erzielte dabei 2 Treffer. Seine Trainerkarriere startete Ponte in Baden. Von 1995 bis 2000 trainierte er den FCZ. 1998/99 stiess er mit dem FCZ ins Achtelfinale des Uefa-Cups vor und schied dort unglücklich gegen die AS Roma aus. Nach einer Forfaitniederlage gegen Xamax, die für den FCZ den Fall in die Abstiegsrunde bedeutete, musste Ponte den Letzigrund verlassen; auf dem Matchblatt figurierten zu viele Ausländer. Zuletzt trainierte Ponte den Challenge-League-Verein YF Juventus; im März 2007 wurde er dort entlassen. Von Ponte erschien 1985 das Buch «Auf dem Weg nach Mexiko». (sts)


15

«Nonda steckte ich zu einem Freund in eine Hütte im Wallis» Als Spieler war er der Star bei GC, als Trainer feierte er mit dem FCZ grosse Erfolge im Europacup. Mit ZWÖLF unterhielt sich Raimondo Ponte über Trainerentlassungen, Spielervermittler und seine Zeit in England und erzählte, wie er Shabani Nonda zum FCZ holte. Ein Gespräch über Jobsuche, Umgangssitten im englischen Fussball und kurzsichtige Trainer. Interview: Stefan Schürer & Gian-Andri Casutt, Bilder: Lukas Frei ZWÖLF: Sie wurden vor kurzem bei YF Ju-

damit einverstanden, die zwei Spieler

Ponte: Ich bin keiner, der sich anbiedert.

ventus entlassen. Wie muss man sich

müssten gehen. Am nächsten Tag ruft

Ich erzähle den Journalisten nicht, ich

so eine Entlassung vorstellen?

mich Bauert an und teilt mir mit, ich sei

sei hier und dort im Gespräch, wenn ich

entlassen.

nicht auch tatsächlich Kandidat bin. Ich

Raimondo Ponte: Die Trennung bei YF war bitter. Michele Vecchiè, der Präsident, der mich verpflichtet hatte, bekam Pro-

ZWÖLF: Wie verlief die Trennung beim FC Zürich?

trete auch nicht mit Klubs in Kontakt, die noch einen Trainer haben. Ruft mich ein

bleme mit der Justiz. Sein Nachfolger

Ponte: Die Trennung war notwendig ge-

Verein an, frage ich, ob die Sache mit

wurde Arnold Bauert, danach folgte des-

worden. Nach der Forfaitniederlage ge-

dem aktuellen Trainer schon geregelt

sen Sohn Piero Bauert, der war aber von

gen Xamax, wegen der wir in die Auf-/

ist. Mich selber ins Geschäft bringen

Geldgebern abhängig. Ich wurde ange-

Abstiegsrunde mussten, fehlte das Ver-

kann und will ich nicht. Schliesslich

wiesen, bestimmte Spieler aufzustellen.

trauen der Mannschaft. Ich habe dem

möchte ich nicht, dass dies die anderen

Das war das erste Mal, das mir so etwas

Präsidenten, Sven Hotz, meinen Rück-

Trainer tun, wenn ich selber einen Job

passiert ist. Ich habe mich dem wider-

tritt angeboten. Hotz wollte es jedoch

habe.

setzt; ich stelle nach Leistung auf. Ge-

noch einmal versuchen. Die Spieler hat-

ZWÖLF: Wenn Sie einen Verein aussuchen

wisse Spieler glaubten aber, machen zu

ten aber ein Alibi, und daher lief es nicht

könnten: Wo würden Sie gerne arbei-

können, was sie wollten, weil sie von

gut. Wir verloren, und ich ging. Ich sass

ten? Und lieber als Trainer oder Mana-

den Geldgebern im Hintergrund ge-

mit meinem Nachfolger, Gilbert Gress,

ger?

deckt wurden. Nach einer Niederlage

und Herrn Hotz zusammen; das gibt es

Ponte: Von den Qualitäten her bin ich viel-

gegen Concordia habe ich in einer

wohl sonst nie. Mit Herrn Hotz bin ich

leicht besser als Manager: Ich spreche

Mannschaftssitzung angekündigt, dass

noch heute freundschaftlich verbunden.

viele Sprachen, habe ein gutes Auge

ich mit zweien dieser Spieler nicht mehr

ZWÖLF: Jetzt sind Sie wieder auf Jobsuche.

und habe bei der Sanierung des FC Lu-

arbeiten möchte. Der Präsident, Bauert,

Wie bringt man sich in einer solchen

zern wertvolle Erfahrungen gesammelt.

ist aufgestanden und hat gesagt, er sei

Situation ins Gespräch?

Mit GC fühle ich mich immer noch ver-


16 bunden, ich habe dort zwölf Jahre gespielt. Einmal wäre ich beinahe Mana-

sind Sie zu diesen Spielern gekom-

sumantrag. Ich hatte Angst, dass ihn ein

men?

anderer Klub verpflichten würde, wäh-

ger von GC geworden, nach dem Ende

Ponte: Ein Spielervermittler, von dem ich

rend wir fort waren. Ich rief darum einen

meiner Spielerkarriere 1988. GC hat

noch nie gehört hatte, rief mich an und

Freund an; der hatte im Wallis eine Hüt-

sich dann aber für das Duo Ottmar Hitz-

sagte, er habe einen Spieler für mich:

te, und in diese hat er Nonda dann für

feld und Erich Vogel entschieden.

Masinga. Ich reiste nach Südafrika; Wir

zwei Wochen mitgenommen und ge-

schauten uns zu zweit ein Spiel an. Ma-

schaut, dass er bleibt. Als wir zurück-

singa interessierte mich nicht, stattdes-

kehrten, sind sie zusammen nach Zürich

Ponte: Schwer zu sagen. GC scheint diese

sen ein 17-Jähriger, der kurz vor Ende

gekommen. Zweieinhalb Jahre später

Saison ähnliche Fehler zu machen wie

der Partie eingewechselt wurde: Shaba-

verkauften wir Nonda für zehn Millio-

wir zu Beginn meiner Zeit beim FCZ. Wir

ni Nonda. Ich nahm ihn gleich mit in die

nen.

verpflichteten damals viele Spieler für

Schweiz. Masinga wechselte dann zu St.

ZWÖLF: Und wie holten Sie Lima?

hunderttausend Franken oder etwas

Gallen, wo er nach drei Monaten wieder

Ponte: Lima war ein Glücksfall. Der seiner-

mehr, denen dann aber die Klasse fehl-

abgeschoben wurde. In der Schweiz

zeitige GC-Manager Erich Vogel hatte

te. Heute würde ich mehr auf Qualität

war tiefster Winter, als Nonda kam. Non-

ihn gesehen und für nicht gut genug be-

statt Quantität setzen, wie nach einiger

da spielte sein erstes Spiel gegen Dü-

funden. Beim FCZ suchten wir damals

Zeit auch beim FCZ. Bei GC fehlen der-

bendorf, eine 2.-Liga-Mannschaft, auf

einen Innenverteidiger. Und wie die

zeit wohl auch Spielerpersönlichkeiten,

Schnee. Nonda trug so viele Kleider wie

Spielervermittler so sind, hat mir einer

um die herum die Mannschaft aufgebaut

möglich, er hatte noch nie Schnee gese-

Lima als Innenverteidiger angeboten.

werden kann.

hen. In der Halbzeit konnte er sich nicht

Wir hatten ein Testspiel, Lima spielte als

ZWÖLF: Sie haben beim FCZ zahlreiche

mehr bewegen vor Kälte. Nonda war of-

Innenverteidiger, doch er steht immer

Spieler geholt, die nachher eine grosse

fensichtlich ein Rohdiamant, und ich riet

viel zu weit vorne. In der Halbzeit frage

Karriere gemacht haben: Lima spielte

Sven Hotz, ihm einen Vierjahresvertrag

ich Lima, auf welcher Position er sonst

später bei der AS Roma, Konjic bei Mo-

zu geben. Dann gab es Probleme. Wir

spielt: Lima antwortet, er sei ein Sech-

naco, Bartlett bei Charlton und Nonda

wollten Nonda ins Trainingslager mit-

ser. Darauf habe ich Herrn Hotz gesagt:

in Rom und heute in Blackburn. Wie

nehmen, waren aber zu spät für den Vi-

«Ich weiss, wir brauchen einen Abweh-

ZWÖLF: Was würden Sie anders machen bei GC?

«Nonda trug so viele Kleider wie möglich, er hatte noch nie Schnee gesehen.»


17 spieler, aber Lima müssen wir einfach

im ersten Spiel ein Tor, eins bereitete

fürs defensive Mittelfeld verpflichten.»

ich vor. Im dritten Spiel war ich aber auf

Den Spielervermittler, der mir Lima als

der Tribüne. Da ging ich zu Clough ins

Innenverteidiger verkaufen wollte, habe

Büro und fragte: «Why?» Clough schaut

ich darauf angesprochen. Der hat sich

kurz hoch und sagte: «I am the boss, fuck

dann gewehrt und gemeint, Lima könne

off.» Clough war ein grosser Trainer, er

auch als Verteidiger spielen. Drei Vier-

hat alle so behandelt. Heute bereue ich,

tel der Spielervermittler haben aber

dass ich nach einem Jahr bei Nottingham

keine Ahnung vom Fussball. Die haben

zu Bastia weitergezogen bin.

einfach Spieler unter Vertrag.

ZWÖLF: Welcher Trainer hat Sie in Ihrer

ZWÖLF: Zu Ihren schwierigsten Entschei-

Spielerkarriere sonst noch beein-

dungen beim FCZ gehörte sicher die

druckt?

Entlassung von Kurt Jara?

Ponte: Hennes Weisweiler war ein beson-

Ponte: Kurt Jara ist der Götti von meinem

derer Mensch. Wir kamen 1982 gleich-

Sohn, ich bin Götti von seinem. Ich wur-

zeitig zu GC, er von Cosmos New York,

de 1995 ursprünglich als Trainer auf den

ich von Bastia. Wir waren die einzigen

Letzigrund geholt. Eine Woche später

Neuen, das war die Basis für eine spezi-

war ich Manager und Jara Trainer; Sven

elle Beziehung, ich kannte ja alle noch,

Hotz meinte, es brauche einen Manager

er fragte mich dauernd. Wir sind zusam-

und ich sei für diesen Posten geeignet.

men Meisterschaftsspiele anschauen

Wir hatten dann eine schlechte Phase,

gegangen, er als Trainer, ich sein Spie-

verloren in St. Gallen mit 5:0. Sven Hotz

ler. Im Training hat er mich dennoch wie

kam nach dem Spiel in die Kabine und

die andern Spieler zusammengestaucht.

entliess Jara. In den Medien hiess es

Weisweiler hat mich auch auf die Bank

dann, ich hätte Jara entlassen. Freund-

gesetzt. Zu seinem 60. Geburtstag wa-

schaften können an solchen Geschichten

ren Günter Netzer und ich als einzige

kaputtgehen. Heute sind Jara und ich

seiner ehemaligen Spieler eingeladen.

wieder gute Freunde. ZWÖLF: Wie ist als Trainer der Umgang

«Heute bereue ich, dass ich nach einem Jahr bei Nottingham weitergezogen bin.»

mit den Stars?

ZWÖLF: Wie war es unter Erich Vogel? Ponte: Erich Vogel war mein erster Trainer, als ich zu GC kam. Sein Problem war,

Ponte: Wenn man selber ein guter Fussbal-

Ponte: Nottingham war eine wunderbare

dass er die Spieler öfters verwechselt

ler war, weiss man, was in den Köpfen

Erfahrung. Wir spielten mit GC im Euro-

hat. Vogel war sauer, als ich vom Präsi-

der Leute vorgeht. Schwieriger für ei-

pacup gegen Nottingham. Damals wur-

denten einen Profivertrag bekam. In

nen Trainer ist der Umgang mit der

den die Klubs noch in Direktpartien auf

einem Freundschaftsspiel gegen Schlie-

zweiten Garnitur. Die machen eher Pro-

ausländische Spieler aufmerksam. Nach

ren hatte er zu meinem Teamkollegen

bleme und meckern. Die musst du fast

dem Hinspiel auf dem Hardturm schrieb

Walter Steiner in der Pause gesagt:

noch besser behandeln als jene, die

der «Blick», ich hätte schlecht gespielt.

«Spiel so, wie Raimondo früher gespielt

spielen. Ein Nixon zum Beispiel hat beim

Brian Clough, der Manager von Notting-

hat.» Ich war erstaunt und fragte ihn,

FCZ nie verstanden, dass es nicht reicht,

ham, wollte mich trotzdem haben. Mein

was los sei. Vogel antwortet, der Erfolg

einmal die Woche im Training Gas zu

Bruder verhandelte, ich sprach kein

sei mir in den Kopf gestiegen, ich spiele

geben.

Wort Englisch. In England spielten sie

ja schon wie die Grossen mit herunter-

ZWÖLF: Als Spieler wechselten Sie 1980

damals noch nach alter Regel, nur ein

gelassenen Stülpen. Ich schaue nach

Meistercup-Sieger

Ersatzspieler. Im Kader waren 30 Spie-

unten, trage die Stülpen aber korrekt.

Nottingham Forest. Wie blicken Sie

ler; 18 durften also nicht einmal auf die

Dagegen hatte mein Mannschafskollege

heute auf die Zeit in England zurück?

Bank. Der Druck war enorm. Ich machte

Barberis die Socken unten.

zum

damaligen


18

Kopenhagen 2002: Philippe Senderos, Captain des U-17-Nationalteams, mit dem Pokal. Die Schweiz ist Europameister. / Bild: Keystone

Challenge für die Champions Sandro Burki, Giona Preisig, Tranquillo Barnetta und Reto Ziegler: Mit ihren Penalty-Toren im U-17-EM-Final gegen Frankreich haben sie dem Schweizer Fussball vor fünf Jahren den grössten internationalen Triumph beschert. Doch die Wege haben sich getrennt. Während die einen die weite Fussball-Welt eroberten, sind andere von der Bildfläche verschwunden. Text: Jürg Ackermann

«

Es gibt in diesem Moment nur noch dich, den Ball und

jungen Schweizer Fussballern auf der Ehrenrunde im St.-

das Tor. Meine Beine waren frisch, ich wurde ja erst

Jakob-Park vor dem Cup-final zujubeln – das seien zwei-

in der Verlängerung eingewechselt. Ich wollte unbedingt

fellos die schönsten Augenblicke seiner Karriere gewe-

schiessen, und ich wusste, dass der Ball reingehen wür-

sen, sagt der mittlerweile 22-jährige Tessiner.

de.» Fünf Jahre sind seit dem Triumph in Dänemark ver-

Die gemeinsamen Erinnerungen einen sie noch immer,

gangenen. Doch die Erinnerung ist frisch wie Tau an

doch die Wege haben sich getrennt. Während Tranquillo

einem Frühlingsmorgen. Giona Preisig kommt ins

Barnetta (Bayer Leverkusen) und Reto Ziegler (Sampdo-

schwärmen, als er bei einem Espresso in seiner Wahlhei-

ria) Woche für Woche im Rampenlicht stehen und in Le-

mat Lausanne in die Vergangenheit schweift. Der Mo-

verkusen beziehungsweise Genua nicht mehr unerkannt

ment, als er für die Schweiz den zweiten Elfer im Penalty-

Café trinken können, spielt Preisig bei Malley. Im Bahn-

schiessen gegen Frankreich in die Maschen drischt, und

hof-Buffet in Lausanne verlangt niemand ein Autogramm

dann die 30 000 Zuschauer, die ein paar Tage später den

von ihm. Mit der Spesenentschädigung, die er vom


19 Waadtländer Erstliga-Verein erhält, finanziert Preisig einen Teil seines Studiums an der Technischen Hochschule in Lausanne. Die Lust am Fussball hat er nicht verloren, doch die Ambitionen auf eine grosse Karriere sind begraben. Der Mittelfeldspieler hatte es nach der Matura ein Jahr lang als Profi beim FC Chiasso versucht, dann warf ihn ein Kreuzbandriss zurück. «Über die Challenge League hinaus hätte ich es wohl nicht geschafft.» Darum habe er sich für ein Studium entschieden. Das FussballGeschäft sei ein delikates Metier. «Mit 30 sind die Karrieren meist zu Ende. Und was kommt dann?» Preisig beschäftigt sich nun mit der Beschaffenheit von Gebirgen und Böden. «Die Geologie ist meine zweite Leidenschaft», sagt der Tessiner, der nicht mehr von der Serie A, sondern vom Brunnenbau in Afrika oder Asien träumt. Wenn er das Studium in zwei Jahren beendet hat, will er als Hydrologe seine Kenntnisse in der Dritten Welt einsetzen.

Verschwunden in der Challenge League

Mittelfeldspielder Giona Preisig studiert heute Geologie und spielt bei Malley. / Bild: Andreas Eggler

Mit der Beschaffenheit von Böden beschäftigt sich auch Sandro Burki. Drei Tage nach dem Interview in einem Ba-

als Erster des U-17-Europameister-Teams voller Hoffnung

dener Strassencafé steht im Stade de Suisse das Aus-

ins Ausland zu Bayern München wechselte.

wärtsspiel gegen die Young Boys auf dem Programm.

Nach dem misslungenen Abenteuer in Deutschland

Burki, dem der Kunstrasen nicht behagt, wird erst gegen

ging Burki zu YB, wurde für sechs Monate zum FC Wil in

Ende des Spiels aufs Feld kommen. Beim abstiegsgefähr-

die Challenge League abgeschoben, spielte dann ein

deten FC Aarau eingewechselt zu werden, war nicht das,

Jahr in Vaduz und ist nun in Aarau gelandet. Doch Burki ist

was sich der Aargauer vor fünf Jahren erhofft hatte, als er

nicht der Einzige, dem der Sprung an die Spitze verwehrt geblieben ist: Von den 18 Spielern des damaligen Teams

Hier spielen sie heute

haben es nur drei (Barnetta, Senderos, Ziegler) in eine

Die U17-Europameister und ihre jetzigen Teams:

Challenge League (siehe Kasten).

grosse Liga geschafft. Der grosse Rest spielt heute in der

Tor: Swen König (Wohlen), Diego Würmli (Concor-

«Bei vielen Spielern hat man gesehen, wohin die Wege

dia Basel). Verteidigung: Tranquillo Barnetta (Ba-

führen würden. Barnetta und Senderos waren schon da-

yer Leverkusen), Arnaud Bühler (Sion), Michael

mals herausragend – auch wegen ihrer professionellen

Diethelm (Luzern), Philippe Senderos (Arsenal),

Einstellung. Anderen wie Burki traue ich den Schub noch

Henri Siqueira-Barras (Pitesti/Rumänien).

zu. Es gibt Spieler, die den Knopf erst nach 20 aufma-

Mittelfeld/Angriff: Goran Antic (Aarau), Sandro

chen», sagt Markus Frei, der vor fünf Jahren Trainer des

Burki (Aarau), Slavisa Dugic (Wohlen), Stefan Iten

U-17-Teams war. Die jungen Schweizer Fussballer nutzten

(Wohlen), Boban Maksimovic (Winterthur), Marko

damals die Gunst der Stunde und ernteten die Früchte ei-

Milosavac (Baden), Giona Preisig (Malley), Chri-

ner langjährigen Aufbauarbeit, die in den 90er-Jahren

stian Schlauri (Concordia Basel), Marco Schneuwly

unter Hansruedi Hasler, dem Nachwuchsverantwort-

(Kriens), Yann Verdon (Baulmes), Reto Ziegler

lichem beim SFV, und mit dem Einstieg der Credit Suisse

(Sampdoria Genua).

als Hauptsponsorin begann. Die Grossbank machte jedes Jahr Hunderttausende von Franken locker, die dem


20 Schweizer Nachwuchs zugute kamen. Dank diesen Zuwendungen war es Trainer Frei etwa möglich, das U17-Team während 70 Tagen im Jahr auf den Coup in Dänemark vorzubereiten.

Siege gegen Rooney und Ronaldo Die Schweiz hatte an der EM sämtliche Spiele gewonnen: Gegen Frankreich, die Ukraine, gegen Portugal (mit Cristiano Ronaldo), gegen Georgien und gegen England, das mit Wayne Rooney stürmte, aber von den unbekümmerten

Schweizern

im

Halbfinal gleich mit 3:0 abgefertigt wurde. Der unerwartete Triumph von Kopenhagen war ein Erfolg eines starken Kollektivs, das mental Ausserordentliches leistete. «Ihr habt uns gesagt, ihr wollt alles für den Erfolg tun, dann beweist es uns», lautete die Devise von Frei und Mentaltrainer Ruedi Zahner, die Trainings um 5 Uhr morgens ansetzten oder die Spieler einzeln die Nationalhym-

Sandro Burki wechselte als erster der Europameister ins Ausland.

ne oder einen Rap in der Gruppe

Heute spielt er in Aarau gegen den Abstieg. / Bild: Dave Joss

vorsingen liessen, immer mit dem Ziel, die Persönlichkeit und das

in meiner Karriere so etwas noch-

achten, den Ball so setzen, dass das

Selbstvertrauen zu stärken.

mals erleben werde. Wir spielten

Ventil gegen oben zeigt, sich ent-

den Final und wussten, dass es keine

spannen und sich für eine Ecke ent-

ist ja nicht, den Ball ins Tor zu brin-

unüberwindbaren

mehr

scheiden. Preisig, Burki, Barnetta

gen», sagt Frei. «Die grosse Heraus-

gibt», sagt Burki, der vor fünf Jahren

und Ziegler machten alles richtig.

forderung ist es, mit dem Druck um-

zu den Führungsspielern im U-17-

Zum Feiern blieb ihnen in Kopenha-

gehen

jungen

Team gehörte, im Mittelfeld die Fä-

gen aber nur wenig Zeit. Um Mitter-

Fussballer machten es damals mit ih-

den zog und wie seine Mitspieler im

nacht mussten sie wieder im Hotel

rer Unbekümmertheit vor. «Wir wa-

entscheidenden Moment kühlen Kopf

sein, in die Disco kamen sie als 17-

ren im Penaltyschiessen in Däne-

bewahrte.

Jährige nicht rein. «Wir haben dann

«Das Problem im Penaltyschiessen

zu

können.»

Die

Gegner

heimlich noch ein paar Bier organi-

mark viel besser organisiert als im letzten Jahr an der WM in Deutsch-

Heimlich Bier organisiert

siert», erinnert sich Preisig und leert

land gegen die Ukraine», erinnert

Das Elfmeterschiessen wurde minuti-

mit einem Schluck den Espresso im

sich Tranquillo Barnetta.

ös vorbereitet. Beim Kegeln und spä-

Bahnhof-Buffet in Lausanne. Der Pe-

«Das Video mit dem Finalsieg ge-

ter im Training auf dem Fussballplatz

nalty von Kopenhagen hat sich für

gen Frankreich habe ich mir oft an-

hatten sie die Situation antizipiert:

immer in seine Erinnerung einge-

geschaut. Ich glaube nicht, dass ich

viel Wasser trinken, auf die Atmung

graben.


Twilight-Zone Allmend: Blender, Betrüger, Bankrotteure Die Luzerner Allmend war schon immer ein Tummelfeld für zwielichtige Gestalten – für wortgewaltige Gantrufer, Patriarchen aus Venezuela und Stühlediebe mit Mobility-Autos. Doch damit soll jetzt Schluss sein. Text: Diego Stocker, Illustration: Reto Crameri

E

s ist erstaunlich ruhig in Luzern. Der FC Luzern spielt

Diese Empörung erstaunt, würde man doch gerade in Lu-

– zumindest zeitweise – ansehnlichen Fussball. Und

zern einen gelasseneren Umgang mit Chaoten erwarten.

im Vorstand ist Ruhe eingekehrt. Die Laune in der Leuch-

Denn im Komödienstadl FCL spielten «Fussball-Chaoten»

tenstadt wäre gänzlich ungetrübt, würde die Idylle nicht

schon immer eine tragende Rolle. Früher jedoch wüteten

durch so genannte Gewaltexzesse rund um die FCL-

sie nicht auf der Stehplatzrampe, sondern in der Tep-

Spiele gestört. Seit die lokalen Medien im Spätherbst 2006

pichetage des Vereins.

«Fan-Randale» als kampagnentaugliches Thema ent-

Die eindrücklichen Luzerner Chaoten-Jahre begannen

deckten und sich mit verblüffender Leichtfertigkeit vor

1997: Über die Ära der FCL-Präsidenten-Ikone Romano

den Propaganda-Karren des SFV spannen liessen, wurde

Simioni haben sich dunkle Schatten gelegt. Eine millio-

keine Gelegenheit ausgelassen, Luzern zur neuen Ge-

nenschwere Vereinsschuld drückt aufs Gemüt des gros-

walt-Hochburg der Fussballschweiz hochzustilisieren. Im

sen alten Manns des Luzerner Fussballs. Da kommt einer

Zentrum immer und immer wieder: der so genannte

wie gerufen, der zuvor beim FC Basel wegen dubiosen

«Fussball-Chaot». Klubvertreter, Politiker und Medien-

Transfergeschäften in Ungnade gefallen war: Robert Zei-

leute übertrumpften sich gegenseitig im Schwarzmalen.

ser, Spielervermittler und umtriebiger Chef und Inhaber


22 des Möbeldiscounters Lipo. Robert Zeiser hatte es in der

lung ist der FC Luzern so arm wie zuvor, dafür aber um

Möbelbranche mit Liquiditätsposten zum Millionär ge-

ein turbulentes Kapitel seiner skandalträchtigen Vereins-

bracht. Mit demselben Geschäftsprinzip sucht er im

geschichte reicher.

Fussball-Business den Erfolg. «Papa Lipo» wird FCLVertragsdauer grosszügig vor. Als bescheidene Gegen-

Koller holt 3,5 Millionen Franken – in bar und vakuumverschweisst

leistung verlangt das Karl-Lagerfeld-Double unter den

Nun folgen die glorreichen Monate des Albert Koller.

Spielervermittlern Spielpraxis für seine mehr oder weni-

Noch im gleichen Jahr rettet der schnittige Gastro-Unter-

ger talentfreien Schützlinge.

nehmer, Armee-Hauptmann und Geschäftsführer des

Hauptsponsor und schiesst das Geld für die vierjährige

Fortan wird der Allmend-Rasen von fussballerischen

rechtsbürgerlichen «Info-Clubs für freies Unternehmer-

Perlen wie Muri Ibrahim, David Ogaga oder Otavio Bra-

tum» den FC Luzern auf spektakuläre Art vor dem Unter-

ga zerpflügt. Zeisers afrikanisches Gruselkabinett ver-

gang. Er treibt in letzter Minute auf wundersame Weise

ursacht Lohnkosten von jährlich einer halben Million

Investorengelder in Millionenhöhe auf.

Franken, sein Sponsoringbeitrag beträgt die Hälfte. Diese Rechnung geht nicht auf – Simioni muss es ausbaden.

Unter anderem, indem er im Sportwagen nach Liechtenstein rast und in einer Bank dreieinhalb Millionen Franken abhebt – in bar und vakuumverschweisst. Woher

Keiner bringt Munis und Milchkühe gekonnter unter das Bauernvolk

das Geld genau kam, kann bis heute niemand mit Be-

Zwei Jahre später: Simioni ist weg, Zeiser auch. Das Loch

Ein Jahr später präsentiert Koller den nächsten Retter und

in der Kasse ist geblieben. FCL-Präsident ist der junge

Hoffnungsträger. Dieser stammt aus Venezuela. Der Phar-

Albert Koller. Da betritt Gantrufer Alois Wyss aus Gross-

ma-Unternehmer Guillermo Valentiner ist ein Patriarch

wangen die Bühne. Wyss, der es einst in Robert Lembkes

alter Schule mit acht Kindern aus verschiedenen Ehen.

«Was bin ich?» zu fünfminütigem Medienruhm gebracht

Ein Grand Signor mit Cojones. Warum der einflussreiche

hatte, ist in der Gantrufer-Szene die unbestrittene Num-

venezolanische Geschäftsmann eine Million Franken in

mer 1. Keiner bringt Munis und Milchkühe gekonnter un-

den FC Luzern investiert, bleibt unklar. Gerüchte kom-

ters Bauernvolk. Beim FLC taucht der wortgewaltige Tau-

men auf. Von schmutzigem Geld und Drogengeschäften

sendsassa aus dem Luzerner Hinterland immer wieder

ist die Rede. Valentiner lacht über diese Beschuldigungen

auf – nie in einer Funktion, immer mit windigen Ideen.

und präsentiert sich während seinen Stippvisiten in der

stimmtheit sagen.

Die Versuche, die beiden Spitzenfussballer Lajos Deta-

Schweiz als Ehrenmann. Die versprochene Million trifft

ri und Regi Blinker nach Luzern zu locken, scheiterten

tatsächlich auf dem FCL-Konto ein, ist aber angesichts

kläglich. Nun aber zaubert Wyss mit dem Deutschen Paul

des suboptimalen Geschäftsgebarens von Präsident Kol-

Morlock ein Ass aus dem Ärmel, das dem todkranken FC

ler zu jener Zeit schnell wieder weg. Mit dem verlorenen

Luzern mit einer 5,5-Millionen-Spritze neues Leben

Geld verabschiedet sich auch Valentiner auf Nimmerwie-

schenken soll.

dersehen.

Morlock wird in den lokalen Medien euphorisch als

Nach Valentiners Abgang kriegt FCL-Präsident Koller

Heilsbringer und Retter gefeiert. Rührige Fans schreiben

bös den Koller. Ein von ihm geführter Restaurationsbe-

Dankesbotschaften aufs Bettlaken. Die Vereinsleitung

trieb geht Konkurs. Es folgt eine Strafanzeige wegen Be-

um Präsidenten-Novize Koller freut sich auf eine sorgen-

trugs, ungetreuer Geschäftsführung, Urkundenfälschung,

freie Zukunft an der Spitze des Schweizer Fussballs und

Veruntreuung und Gläubigerbevorzugung. Im Juli 2001

wartet aufs versprochene Geld – und wartet und wartet,

tritt Koller beim FCL ab und hinterlässt Schulden in Milli-

bis das Luftschloss um Paul Morlock in sich zusammen-

onenhöhe. Drei Jahre später filmt eine Überwachungska-

bricht. Der deutsche Hoffnungsträger entpuppt sich als

mera, wie der Ex-Präsident im Nobelhotel National drei

Hochstapler mit dunkler Vergangenheit: Wegen Verun-

antike Stühle klaut und im schwarzen Smart abtranspor-

treuung, Urkundenfälschung und Checkbetrug sass er

tiert. Wenig später fährt Koller auch im Hotel Château

während drei Jahren im Gefängnis. Nach dieser Enthül-

Gütsch vor. Die Ladetür des Mobility-Lieferwagens steht


23 bereits offen, als der durchgeknallte Stühledieb von

Unregelmässigkeiten vom Markt nehmen muss und zum

einem Securitas-Wächter überrascht wird. Koller und

Auszug aus seiner Traumvilla gezwungen wird. Weil er

Freundin fliehen in den Wald. Danach fällt der Ex-Präsi-

die Miete nicht mehr bezahlt hat.

dent endgültig zwischen Stuhl und Bank. Er ruiniert sich versucht in Berlin ein Restaurant zu führen. In der Folge

Der FCL-Fan muss nicht mehr Brote kaufen, um seinen Klub zu retten

verliert sich seine Spur irgendwo im Nirgendwo. Der

Heute kräht in Luzern glücklicherweise kein Hahn mehr

nächste Fixtermin: Am 25. Mai wird sich Koller vor Ge-

nach Rüdiger Hahn und Konsorten. Das liegt nicht zuletzt

richt verantworten müssen. Ob er dort auch tatsächlich

an Walter Stierli, der die Struktur- und Imagebereinigung

erscheint, ist fraglich.

des FC Luzern zur Chefsache erklärt hat. Der Profibetrieb

in einer Kaffeerösterei als Lagerarbeiter den Rücken und

Nach der turbulenten Ära Koller wird es ruhiger um

wurde vom Verein losgelöst und der neu gegründeten

den FC Luzern. Fast schon nicht erwähnenswert sind da:

FCL-Innerschweiz AG angegliedert. Das hat für den ge-

ein Präsident (Pedro Pfister), der missliebige Personen

meinen FCL-Fan zur Folge, dass er nun nicht mehr Brote

mit zum Himmel stinkenden Fäkalausdrücken eindeckt,

kaufen muss, um seinen geliebten Klub zu retten, sondern

sowie ein Hauptsponsor (Rüdiger Hahn), der das auf den

Aktien. Noch läuft der Aktienverkauf harziger als erhofft.

Spielerleibchen beworbene Produkt „Quizphone“ wegen

Aber es ist ruhiger geworden am Pilatus.

Ganz im Norden, in Olafsfjördur Ob Cupsieger oder Cupfinalist: Dem FC Luzern stehen die Tü-

hatte, entschloss er sich, für seine Gruppe ganz klas-

ren zu einem europäischem Wettbewerb offen. Der Gegner

sisch via Reisebüro zu buchen. Ein Flug nach Reykja-

muss ja nicht unbedingt wieder aus Island kommen, denkt sich ein FCL-Fan und erinntert sich an das letzte europäische Abenteuer der Innerschweizer. Text: Emanuel Thaler

R

vik und von dort per Mietauto auf den nicht durchgehend asphaltierten Strassen in den Nordosten nach Olafsfjördur. Am Dienstagabend schliesslich, fünf Tage vor Anpfiff des Hinspiels, klingelte das Telefon des besagten

ein von der Ausgangslage her wäre es durchaus

Fans. Am Apparat war die FCL-Sekretärin. Doch nicht

noch möglich: Der FC Luzern qualifiziert sich für

die versprochene Fanreise war der Grund ihres An-

das internationale Geschäft. Erstens verzichten von

rufs: Die komplett verzweifelte Frau wollte sich erkun-

Jahr zu Jahr mehr Teams auf die ungeliebte UI-Cup-

digen, wie denn die drei Fans nach Island kommen

Teilnahme, und zweitens sind die Blau-Weissen nach

würden. „Häfliger Reisen in Sursee, so einfach geht

wie vor im Cup dabei. Doch das grosse Zittern fängt

das“, antwortete dieser. Auch wenn sich das Gepäck

mit der Qualifikation erst richtig an.

von Andy Eglis Mannschaft schliesslich ein paar Tage

Als die Innerschweizer zum letzten Mal europäisch

verspätet hatte, fanden – des Fans Tipp sei Dank – ge-

vertreten waren (vor knapp sieben Jahren im UI-Cup

nügend Spieler den Weg in den Norden, um immerhin

gegen die isländischen Feierabendkicker von Leiftur

ein 2:2 zu erkämpfen. Weiteres Ungemach blieb den

Olafsfjördur), ging so einiges schief mit der Reisepla-

Reiseleitern aus Luzern allerdings erspart. Nach dem

nung. Gleich nach der Auslosung, rund zwei Wochen

Grosserfolg in Island hatte die Mannschaft Erbarmen

vor dem Hinspiel, erkundigte sich ein Fan auf dem

und liess in der 90. Minute des Rückspiels den Aus-

FCL-Sekretariat nach einer Fanreise. „Infos folgen,

gleichstreffer zum 4:4 zu – womit die Reise ins zweifel-

wir organisieren was“, beschied man ihm. Nachdem

los etwas günstiger gelegene Frankreich nach Sedan

er auch nach einer Woche noch nichts vom FCL gehört

wieder storniert werden konnte.


24

«Wenn Köbi Kuhn anruft...» Thun-Spieler Nelson Ferreira (25) spricht im Interview über die Kaderreduktion im Oberland, schwindenden Zusammenhalt im Team, Ausgang nach Niederlagen und darüber, was es braucht, dass er sich einbürgern liesse. Interview: Roger Probst, Bilder: Patric Spahni. ZWÖLF: Der FC Thun hat turbulente

Ferreira: Ich erinnere mich an die An-

League-Zeit war es extrem, aber

Zeiten hinter sich. Auf die sport-

fänge unter Hanspeter Latour. Er

auch heute werde ich noch regel-

liche Misere folgten ein Trainer-

hat uns als Team zusammenge-

mässig angesprochen. Negative

wechsel und eine Kaderredukti-

schweisst. Damals gab es nur we-

Reaktionen hatte ich bisher nie. Es

on. Macht es so noch Spass,

nige Wechsel. In den letzten Mo-

ist toll, wenn Fans mit meinem

Fussball zu spielen?

naten haben viele Spieler den

Leibchen in der Stadt herumlaufen

Nelson Ferreira: Spass macht es im-

Klub verlassen, und neue sind da-

oder mir Knirpse stolz sagen, sie

mer. Trotzdem war es zeitweise

zugekommen. Leider identifizie-

hätten mit mir ein Tor in einem

schwer, sich aufs Wesentliche zu

ren sich nicht alle Spieler gleich

Computerspiel geschossen. Das

konzentrieren. Die Kaderredukti-

stark mit dem FC Thun. Das wirkt

ist doch wunderbar! Aber es ist

on hat mich beispielsweise sehr

sich auf die Stimmung und den Zu-

auch schwer, dabei nicht den Bo-

mitgenommen. Auch wenn ich den

sammenhalt aus. Die mässigen

den unter den Füssen zu verlie-

Entscheid verstehen kann, so wa-

Resultate nach der Winterpause

ren.

ren doch teilweise gute Kollegen

waren ebenfalls nicht förderlich.

ZWÖLF: Wie wichtig sind die Fans?

davon betroffen.

Trotzdem waren wir immer ein

Ferreira: Für mich ist ihre Unterstüt-

ZWÖLF: Haben Sie Angst, dass Ihnen

Team, auch wenn wir Spieler frü-

zung auf und auch neben dem

so etwas widerfahren könnte?

her öfters gemeinsam weggingen.

Platz enorm wichtig. Ich nehme

Ferreira: Klar mache ich mir Gedan-

Letztlich hängt dies auch mit dem

mir deshalb sehr gerne für sie

ken. Fussball ist ein schnellle-

Erfolg zusammen. Zudem wird

Zeit. So kann ich etwas zurückge-

biges Geschäft. Wenn ich meine

man im Ausgang kritischer be-

ben. Auch meine Fanpost beant-

Leistung über eine längere Zeit

äugt, wenn es nicht läuft.

worte ich selber.

nicht bringe, könnte es auch mir

ZWÖLF: Inwiefern?

passieren, dass ich nicht mehr er-

Ferreira: Wenn wir nicht gut spielen,

Image als Frauenschwarm. Sind

wünscht bin. Solange man immer

höre ich oft hinter vorgehaltener

in der Fanpost auch schon Hei-

da ist und alles für den Verein

Hand, dass wir lieber trainieren

ratsanträge oder Frauenunterwä-

gibt, ist diese Gefahr aber ver-

sollten, als auszugehen. Wenn wir

sche ins Haus geflattert?

hältnismässig gering. Davon bin

erfolgreich sind, ist das kein The-

Ferreira: (Lacht.) Nein, das ist bisher

ich überzeugt.

ma. Ich bewege mich deshalb

noch nicht passiert. Nur dass es

noch bewusster in der Öffentlich-

keine Missverständnisse gibt: Ich

keit, wenn es nicht läuft.

habe seit sieben Jahren eine

ZWÖLF: In den letzten Jahren war der FC Thun ein Synonym für Teamgeist und Beharrlichkeit.

ZWÖLF: Ist es eine Belastung, dass

Und zwar überregional. Diese

Sie auf der Strasse erkannt wer-

Tugenden werden seit einigen

den?

Monaten im Lachenstadion vermehrt vermisst.

ZWÖLF: Sie haben beim FC Thun das

Freundin. Zwölf: Die Liste der Namen ist endlos: Lustrinelli, Jakupovic, Gonçalves, Mili-

Ferreira: Nein, es macht riesigen

cevic sowie Aegerter und Hodzic haben

Spass. Während der Champions-

seit der Champions League den Klub


AUFSTELLUNG 25

Der 25-jährige Portugiese vor der Schleuse in Thun: «Es ist die Region, in der ich daheim bin.»


26 verlassen. Wann gehen Sie vom

zungen der einzelnen Fussballer glei-

Thun habe ich alles: meine Familie und

FC Thun weg?

chen sich immer mehr an. Wie wichtig

Freunde in der Nähe und eine Region, in

sind da die mentalen Stärken?

der ich daheim bin.

Ferreira: Es ist kein Geheimnis, dass ich einmal im Ausland spielen

Ferreira: Es ist entscheidend, sich den Er-

ZWÖLF: Gibt es einen Ort oder eine Ener-

möchte. Am liebsten würde ich

folg jederzeit vor Augen führen zu kön-

giequelle, wo Sie Kraft schöpfen kön-

dies in meinem Mutterland in Por-

nen. Wenn es mir nicht läuft, dann ver-

tugal tun. Es ist aber auch denk-

suche ich auf dem Platz das Einfache zu

Ferreira: Ich bin mit acht Jahren aus Portu-

bar, dass ich mein Glück zuerst

machen oder denke zwischen den Trai-

gal nach Interlaken gekommen. Das ist

bei einem anderen Schweizer Ver-

ningseinheiten an positive Spielse-

ein Ort, wo ich mich immer gerne auf-

ein versuche. In Thun habe ich noch einen Vertrag bis Sommer

quenzen.

halte.

ZWÖLF: Wie zum Beispiel an das Tor ge-

2008. Dann sehen wir weiter. So-

gen

lange ich hier bin, werde ich für

League?

Arsenal

nen?

in

der

Champions

ZWÖLF: Wie verbringen Sie sonst die Freizeit? Ferreira: Ich relaxe sehr gerne oder unter-

den FCT aber immer alles geben.

Ferreira: Ja, dieses werde ich nie verges-

nehme etwas mit Freunden. Wichtig ist

ZWÖLF: Im Sommer 2008 findet die Euro-

sen. Das war nicht nur wichtig für mich,

mir, dass ich mich entspannen und erho-

pameisterschaft in der Schweiz statt.

sondern auch für die Mannschaft und

len kann.

Mit Nelson Ferreira?

den Verein.

Ferreira: Als Profi-Sportler muss ich mir immer hohe Ziele stecken. Ich hoffe deshalb, dass ich dieses Spektakel auf dem Feld erleben darf. ZWÖLF: In welchem Team? Ferreira: Ich bin Portugiese. Sollte Köbi Kuhn anrufen, würde ich keine Sekunde zögern und mich einbürgern lassen.

ZWÖLF: Es gibt Sportler, die schwören auf Mentaltrainer?

ZWÖLF: Wie weit her ist es mit der Entspannung bei der Zeitungslektüre über Ihren Klub?

Ferreira: Bisher habe ich das nicht ge-

Ferreira: Ich habe mir abgewöhnt, alles zu

braucht. Rückhalt hole ich mir vor allem

lesen, was über mich oder den FC Thun

bei der Familie.

geschrieben wird. Ich betrachte die Ar-

ZWÖLF: Wie wichtig ist Ihr Umfeld für das Wohlbefinden?

tikel als Unterhaltung und nehme mir schlechte Kritiken nicht zu Herzen. Ich

Ferreira: Enorm wichtig. Wenn ich mich ir-

weiss, wo ich herkomme und wo ich hin-

ZWÖLF: Die Unterschiede bei den körper-

gendwo nicht wohl fühle, dann kann ich

gehöre. Alles andere ergibt sich von

lichen und technischen Vorausset-

meine Leistung nicht bringen. Beim FC

selber.

Ferreira vor dem Schloss Thun. Auch dank dem Mittelfeldakteur spielte Thun in der Königsklasse.


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28

Der Sicherheitswahn im Vorfeld der EM Die Europameisterschaft 2008 wirft auch in Fanfragen ihre Schatten voraus: Eine äusserst repressive Sicherheitspolitik soll den reibungslosen Ablauf des Grossanlasses garantieren. Leidtragende sind die Klubfans. Text: Pascal Claude, Bilder: Aled Evans.

D

ie Euro 08 steht vor der Tür, und all ihre Delegier-

gen Gewalt rund um die Stadien. Bei den Betroffenen

ten, Verantwortlichen, Projekt- und Teilprojektlei-

nützt nur konsequentes Durchgreifen.» Mit den «Betrof-

ter melden sich zu Wort. Und sie sind sich einig: Nur noch

fenen» meint Weibel vermutlich einschlägig bekannte

einer kann verhindern, dass der Megaevent auch zum

Gewalttäter. Dass von den 427 letztlich bloss gegen eine

Freudenfest wird – der Hooligan. Denn wer Zeitung liest,

knappe Hand voll ein Verfahren eröffnet wurde, interes-

weiss: Er ist überall. «Krawalle», «Massive Zunahme der

siert ihn nicht. «Man muss ganz klar hart durchgreifen»,

Gewalt», «Gewaltorgie», «Massive Ausschreitungen»,

fordert Sozialdemokrat Weibel.

«Angstmoos» statt Espenmoos, so lauten die Über-

Martin Jäggi, der Teilprojektleiter Sicherheit der Euro

schriften seit dem Rückrundenstart. Und die Männer der

08, verbreitet in den Medien seinen Wunsch nach Haus-

Euro 08 nehmen die Vorlagen dankend an.

besuchen bei registrierten Hooligans. «Wir haben dich

Christian Mutschler, der Schweizer Turnierdirektor,

im Auge! Mach bloss keine Schwierigkeiten!», ist laut

mag sich nicht ans Hooligangesetz halten. Weil die Hooli-

«heute» Jäggis Botschaft an die Radaubrüder. Dabei wird

gandatenbank Hoogan noch im Aufbau ist, will er sich

ausgeblendet, dass solche Hausbesuche einem Pranger

laut «NZZ am Sonntag» bei der Stadionverbotsliste des

gleichkommen und damit gemäss Eidgenössischem Da-

Schweizerischen Fussballverbandes (SFV) bedienen, um

tenschützer gegen geltendes Recht verstossen.

missliebige Fans von den EM-Stadien fern zu halten. Dabei hatte das Bundesamt für Polizei erklärt, nur rund ein

Rüffel wegen der anderen Perspektive

Drittel der Stadionverbote würden die Kriterien für eine

Die Beispiele zeigen: Wer sich in der Schweiz zu Fans und

Aufnahme in Hoogan erfüllen.

Fangewalt äussert, hat freie Bahn.

Doch Mutschler will sie alle. Dass auf der SFV-Liste

Solange ein härteres Vorgehen und Nulltoleranz gefor-

nachweislich Leute mit irrtümlich verhängten Stadion-

dert werden, sind den Votierenden keine Grenzen ge-

verboten aufgeführt sind, scheint keine Rolle zu spielen.

setzt. Weder müssen sie sich an die Wahrheit halten, noch haben sie kritische Fragen von Journalisten zu befürch-

Ex-SBB-Chef Weibel als Sicherheitsexperte

ten. Fernsehen und Zeitungen stehen stramm auf einer

Ex-SBB-Chef Benedikt Weibel, der Euro-Delegierte des

Linie, und die heisst Repression. Wagt es ein Schreiber

Bundesrates, tritt inzwischen ebenfalls als Experte in Si-

dennoch, im Sinne der Ausgewogenheit auch die Per-

cherheits- und Fanfragen auf. In der «Neuen Luzerner

spektive der Fans mit einzubeziehen, riskiert er wie im

Zeitung» lobt er den Polizeieinsatz in Zürich-Altstetten

Fall einer grossen Tageszeitung einen redaktionellen

vom Dezember 2004, bei dem 427 Fans des FC Basel vo-

Rüffel.

rübergehend festgenommen worden waren: «Das war

Das Bild, das mit dem Näherrücken des Juni 2008 in der

eine der besten Aktionen der Polizei in der Schweiz ge-

Schweiz von Fussballfans gezeichnet wird, ist jenes von


29

sen herzlich begrüsst werden, wissen anscheinend nicht einmal die direkt Involvierten. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es im Umfeld der meisten Super-League-Vereine Leute gibt, die nach den Spielen die Konfrontation mit gegnerischen Fans suchen und dabei oft wahllos auch Leute in Mitleidenschaft ziehen, die an Ausschreitungen kein Interesse haben, sondern bloss am Spiel. Es ist auch nicht verwunderlich, dass Polizei und Sicherheitsdienste solchem Treiben nicht untätig zusehen, sondern einschreiten. Unverständlich ist hingegen, dass dieses Phänomen als neuer Trend und Ausdruck einer allgemein erheblich gestiegenen Gewaltbereitschaft beurteilt wird. Als hätten sich die Fankurven in den 90er-Jahren nach Spielschluss umarmt, verküsst und mit Blumen beschenkt.

Die Euro als Teflon-Turnier? Die Euro (darf man eigentlich noch EM sagen?) dient als Katalysator, die Repressionsschraube im Schweizer Fussball anzuziehen, neue Sicherheitsbestimmungen durchzusetzen und dem Dogma der Nulltoleranz zu huldigen. Weil sich die Schweiz mit dem Grossanlass der Weltöffentlichkeit präsentiert, bleibt der Widerstand aus. Wir wollen ein Teflon-Turnier, und dafür zahlen wir jeden Preis. Das Hooligangesetz wäre kaum ohne Abstimmung zu Stande gekommen, stünde die EM nicht vor der Tür. Zu viele Ungereimtheiten enthält es, zu viele Datenschutzund Verfassungsfragen lässt es offen. So erlaubt die Datenbank Hoogan, das Kernstück des Gesetzes, den DaPyro-Aktion im Hardturm-Stadion: Bejubeln, weil’s Stimmung bringt,

tenaustausch zwischen Privaten und Behörden. Im

oder mit Feuerwehrschläuchen abspritzen?

konkreten Fall heisst dies, dass der zuständige Dienst für Analyse und Prävention, der Staatsschutz also, in Zukunft Personendaten an den ehrenamtlich tätigen Sicherheits-

wild gewordenen Krawallhorden, die bis auf die Zähne

beauftragten des FC Baulmes weiterleitet.

mit Feuerwerk und Feuerzeugen bewaffnet die Stadien

Ob dieser mit den Daten korrekt umgeht und sie innert

heimsuchen, um darin Angst und Schrecken zu verbrei-

vorgegebener Frist vernichtet, wird nur in Stichproben

ten. Dass ein Matchbesuch heute ein erhebliches Sicher-

überprüft. Ebenfalls offen bleibt die Frage, wie gründ-

heitsrisiko darstellt, hat sich bereits bis an die Kassen-

lich die zuständigen Beamten der Zentralstelle für Hooli-

häuschen herumgesprochen. So wird im Hardturm, wer

ganismus die von den Vereinen ausgestellten Stadionver-

mit einem Kind auf dem Arm ein Ticket für den Stehplatz-

bote prüfen können. Bisher geschah dies nicht. Da ein

bereich lösen will, entgeistert angeschaut: „In die Kurve?

Stadionverbot nun aber die Aufnahme in Hoogan bedeu-

Mit dem Kind?» Wie es drinnen aussieht, dass Kinder in

ten kann, muss abgeklärt werden, welcher Vorfall hinter

den unteren Stehplatzbereichen genügend Platz zum

dem Verdikt steht. Die Vereine sind zwar angehalten,

Rumrennen finden und gerade von den vermeintlich Bö-

dies schriftlich zu präzisieren und Belege bereitzuhalten.


30 Doch ist fraglich, ob Beamte aus Zürich dereinst nach Sion

nach ihrem gemeinsamen Marsch im März erfahren

reisen werden, um dort Videomaterial zu sichten, auf

mussten: Bleibt es ruhig, heisst es, die Fans fürchteten

dem Fan X als Fackelzünder zu sehen sein soll.

sich vor dem Hooligangesetz und kuschten vor angedroh-

Die Fokussierung auf Feuerwerk als Ausdruck von Ge-

ten Sanktionen. Kommt es hingegen zu Ausschreitungen,

walt ist ein entscheidender Punkt in der Stimmungsma-

wird jeweils die Kurve dafür verantwortlich gemacht.

che gegen Stehplatzfans. Wenige Jahre ist es her, da rei-

Dass bei Scharmützeln Polizei und Sicherheitsdienste

sten Sportchefs grosser Schweizer Zeitungen regelmässig

und deren jeweilige Dispositive ebenfalls eine Rolle

ans Mailänder Derby, um mit Bildern und Lobreden auf

spielen können, wird kaum berücksichtigt.

die «feurige» Stimmung in der «Scala des Fussballs» zurückzukehren. In denselben Spalten ist heute von «Aus-

Eigene Rituale, eigene Sprache

schreitungen» zu lesen, wenn (meist zu Beginn der zwei-

Die vielen Euro-Delegierten mit ihren dringenden Ap-

ten Halbzeit) Fackeln gezündet werden. Feuerwerk gilt

pellen lassen ausser Acht, dass es sich bei den Fankur-

heute auch im Sinne des Hooligangesetzes als «gewalttä-

ven um subkulturelle Gebilde von Klubfans handelt, die

tiges Verhalten», womit im Handumdrehen neue Hooli-

mit den zehn Millionen Euro-Ticket-Bestellern nur wenig

gans geschaffen wurden. Heute kann man in einer Staats-

gemeinsam haben. Die Fans auf den Stehplätzen haben

schutz-Schläger-Datei

ihre eigenen Rituale, ihre eigene Sprache, ihre eigenen

landen,

ohne

je

jemanden

geschlagen zu haben. Eine Fackel reicht.

Codes und Normen. Sie sind da, bei Wind und Wetter, daheim und auswärts, und daraus leiten sie das Recht ab,

Fans mit Feuerwehrschläuchen duschen?

ihr Kurvenleben zu einem gewissen Grad selbständig zu

Die Aversion gegen Feuerwerk geht so weit, dass der

regeln. Das kann man heikel finden, anmassend oder

neue FCZ-Präsident Ancillo Canepa androhte, als eine

skandalös. Nicht weniger heikel ist es aber, diesem Kur-

seiner ersten Amtshandlungen die eigenen Fans mit Feu-

venleben ohne Sachkenntnis, dafür mit einem Arsenal

erwehrschläuchen zu duschen, sollten sie sich dem Fa-

von repressiven Massnahmen zu begegnen.

ckelverbot widersetzen. Als beim nächsten Heimspiel in der Südkurve kein Feuer zu sehen war, triumphierte der Präsident und lobte seinen Anhang. Er ignorierte dabei, dass die FCZ-Fans seit dem ersten Spieltag im Hardturm auf Choreographien und Feuerwerk verzichten – ein wei-

Der Autor Pascal Claude (36) mag fast alle Vereine und lebt in

terer typischer Reflex, den auch die FCL- und YB-Fans

Zürich. Er ist Sprecher der Initiative Fansicht.

Feuerwerk auf dem Platz gefällt allen - und auf den Rängen?


31

Ein Jahr nach der Schande Der 13. Mai. Dieses Datum hat sich in das Gedächtnis der Schweizer Fussballfans eingebrannt. Es war der Tag des letztjährigen Saisonfinales zwischen dem FC Basel und dem FC Zürich mit dem in jeder Beziehung dramatischen Ausgang. Ein Jahr danach blickt ZWÖLF auf die Geschehnisse zurück. Und lässt die involvierten Parteien – FCB, Polizei, Fanprojekt und Muttenzerkurve – ihr persönliches Fazit ziehen. Text: Philipp Schrämmli

Für einen kurzen Augenblick stand alles still. Iulian Fili-

lisierung der Fans mussten nach einem breiten Fanboy-

pescu, stämmiger Innenverteidiger des FC Zürich, hatte

kott aber zurückgenommen werden.

den Ball in den letzten Sekunden über die Torlinie gestol-

So weit, so schlecht, könnte man meinen. Nach den

pert. Und damit die Meisterschaft zu Gunsten seines Ver-

schlimmen Krawallen hat sich also gar nichts getan? Weit

eins entschieden. In diesem Augenblick brachen Welten

gefehlt. Nach den aktionistischen Schnellschüssen wur-

zusammen und wurden neue Himmelreiche erschlossen.

de in Basel ein anderer Weg eingeschlagen. FCB, Fan-

Keiner traute sich zu atmen. Das Stadion war gelähmt.

projekt und Muttenzerkurve rauften sich zusammen und

Dann brachen die Dämme: Freudentaumel, Tränen der Enttäuschung und unkontrollierte Gewaltausbrüche. In

trafen sich mehrmals, abseits der Öffentlichkeit, zu Gesprächen.

einer Finalissima, die emotionaler nicht hätte gedacht

Die Essenz dieser Treffen scheint äusserst fruchtbar zu

werden können, übernahmen bei einigen die Gefühle

sein. Wo man hinhört, wird von einem gemeinsamen

die Herrschaft über den Verstand. Die Folgen sind allen

Nenner gesprochen und dass man sich gefunden habe.

noch in Erinnerung. Basler Fans stürmten den Rasen und

Man hat sich arrangiert. Der 13. Mai wurde aufgearbeitet

prügelten wild drauflos.

und abgeschlossen.

«Die Schande von Basel» – so titelten die Gazetten. Harte Massnahmen wurden gefordert. Endlich sollte rigoros

Schlüssel gefunden

durchgegriffen werden. Die Swiss Football League (SFL)

Das Fazit, das gezogen werden könne, stelle indes nicht

reagierte schnell, zu schnell. Die neuen Sicherheitsbe-

eine ultimative Lösung für alle Formen der Gewalt bei

stimmungen, die unter anderem die Personalisierung

Fussballspielen dar. Vielmehr haben die Parteien begrif-

der Matchbillette vorsahen, mussten schon nach wenigen

fen, dass im Dialog, in der Annäherung und im gegensei-

Spielen und eindrücklichen Fanprotesten revidiert wer-

tigen Verständnis der Schlüssel liegt.

den.

Gewalt bei Fussballspielen ist so alt wie der Fussball selber. Der Gründe hierfür sind indes oft nicht fussball-

«Eckiger» Tisch

spezifisch, sondern gesellschaftlich. Und gesellschaft-

Auch in Basel machte man sich Gedanken über die Zu-

liche Probleme, so lehrt uns die Geschichte, können in

kunft. Ein runder Tisch wurde ins Leben gerufen, an dem

der Regel nicht mit Repression allein gelöst werden.

FCB, Polizei und Politik über die Konsequenzen berieten.

Der 13. Mai wurde in Basel verarbeitet. Das will nicht

Fans und Fanprojekt wurden indes nicht eingebunden.

heissen, dass er vergessen oder verdrängt wurde. Statt-

Präsentiert wurde ein umfangreicher und unausgewo-

dessen wurde er letztlich als «Chance» und «heilsamer

gener Massnahmenkatalog. Einige Vorgaben wurden

Schock» wahrgenommen. Die zerstrittenen Parteien ha-

zwar umgesetzt. Wesentliche Teile wie etwa die Persona-

ben sich versöhnt.


32 Man redet wieder, und zwar offen

aber auch keinerlei Illusionen. Von einem Tag auf den an-

«Es bestehen keine Zweifel: Der 13. Mai ist auch für den

deren und auch nicht von einem Jahr aufs andere wird

offiziellen FCB kein Tag, den er in guter Erinnerung hat

man die Gewalt im Sport mit allein repressiven Mitteln,

und behält und den er deshalb gerne als Jubiläum feiern

Massnahmenkatalogen,

würde. Und noch weniger Zweifel bestehen, dass einige

und Dialog nicht in den Griff kriegen. Die zunehmende

Leute dem FCB am 13. Mai 2006 grossen materiellen und

Gewaltbereitschaft ist überall festzustellen und letztlich

immateriellen Schaden angerichtet haben. Das schleckt,

ein gesellschaftliches Problem. Frust, Chancenlosigkeit

auch ein Jahr später, keine Geiss weg.

auf dem Arbeitsmarkt, übertriebener Leistungsdruck

verstärkter

Zusammenarbeit

Doch das, was an jenem Abend von einigen Medien et-

oder ein kaputtes Zuhause führen zu Aggressionen, die

was gar schrill als «Schande von Basel» bezeichnet wur-

sich ein Ventil suchen. Die Polizei setzt deshalb vermehrt

de, so, als ob sich ganz Basel schändlich benommen hät-

auf Gewaltprävention. In den Schulen, in den Sportverei-

te, wurde in der Nachbearbeitung als Chance erkannt.

nen, bei den Eltern, bei den Jugendlichen.»

Und genutzt. Und zwar von beiden Seiten, von Seiten des

Klaus Mannhart, Sprecher der Kapo Basel-Stadt

offiziellen FCB und von Seiten der Fans. Die Chance, die genutzt wurde und die erste Früchte gezeitigt hat, ist und

Fanpolitik in der Kurve, von allen getragen

war die: Man redet wieder miteinander, und zwar offen,

«Das Spiel war kaum abgepfiffen und die Meisterschaft

intensiv und mit mehr Verständnis für die Position und

entschieden, als Hunderte von Fans das Spielfeld

die Bedürfnisse des andern.

stürmten. Alle konnten es sehen. Die, die im Stadion wa-

Das allein schon ist eine wertvolle Konsequenz aus dem unsäglichen 13. Mai 2006, das allein darf für den Moment

ren, und die, die vor dem Fernseher sassen auch. Der FCZ war nach 25 Jahren wieder Meister.

als positives Fazit genügen, denn das allein ist nicht we-

Was dann folgte, war das, was immer folgt, wenn Fuss-

nig, sondern sehr viel. Wenig wäre es erst dann wieder,

ballfans endlich wieder das tun, was man von ihnen er-

wenn beide Seiten den grössten Fehler der Vergangen-

wartet – randalieren. Die Medien freut es. Die ehrbaren

heit wiederholen würden – die Gespräche wieder einzu-

Bürger und auch die weniger ehrbaren sind entsetzt und

stellen nämlich. Das wäre dann in der Tat die «Schande

sehen sich einmal mehr darin bestätigt, dass Fussball-

von Basel». Doch so weit wird es nicht kommen, weil das,

fans eben doch nur rohe, kopflose und bestimmt alles

was beide Seiten eben verbindet, stärker ist als alles

rechtsextreme Chaoten sind.

Trennende: die rot-blauen Emotionen.» Josef Zindel, Öffentlichkeitsbeauftragter FC Basel

Unsere Politiker – ihres Zeichen allesamt Fussballfans und dementsprechend auch Fussballfan-Experten – dürfen endlich wieder nach Zucht und Ordnung schreien und

Polizei setzt auf Gewaltprävention

härtere Gesetze fordern. In Muri schütteln die Herren,

«Dass die unschönen Vorkommnisse vom 13. Mai 2006

denen unser Fussball obliegt, wirr neue Sicherheitskon-

auch in den Medien immer wieder Thema sind, nervt zwi-

zepte und Reglemente aus dem Ärmel, die wenig später

schendurch. Wieso immer dieser Blick zurück statt vor-

wieder rückgängig gemacht werden müssen.

wärts? Die Szenarien hirnloser Gewaltanwendung sind

Der 13 Mai gehört der Vergangenheit an. Vergangen-

immer ähnlich, und auch deren Bewältigung verläuft

heit ist auch die Tatsache, dass sich die Muttenzerkurve

überall nach demselben Muster: Analyse, Schuldzuwei-

in der breiten Öffentlichkeit zur Fanpolitik in Basel

sung, Massnahmen, Repression. In Basel ist das nicht an-

äussert.

ders. Am runden Tisch wurde analysiert, ein Massnah-

Nicht der Schweizer (Fussballfan) muss die Details aus

menkatalog beschlossen und grösstenteils umgesetzt.

Basel kennen, sondern die FCB-Fans. Die Fanpolitik in

Das Referendum gegen die «Hooligan-Gesetzgebung»

der Kurve soll von uns allen getragen werden. Flugblät-

hatte keine Chance mehr. Die Hoogan-Datenbank wird

ter, Kurvenzeitung, Internet, SMS oder Fantreffen unter-

eingerichtet, und die Gerichte haben ihr Strafmass für

stützen uns dabei und ermöglichen eine breite, interne

Schläger verschärft.

Kommunikation. Jeder ist wichtig, soll seine Ideen ein-

Der Polizei kann dies nicht genügen. Sie macht sich

bringen können und auch Kritik üben. Alle sind wir die


33

Den Hinweis auf der Leinwand nahm zu diesem Zeitpunkt niemand mehr ernst. Der St.-Jakob-Park Basel am 13. Mai 2006 nach Spielschluss /Bild Dave Joss

Muttenzerkurve. Wir sind überzeugt, auf einem guten

auf einen Anlass hin zu arbeiten. In den letzten Monaten

Weg zu sein – unserem Weg, denn am Ende haben wir

rückten die Fans und der Verein wieder näher zusam-

alle das gleiche Ziel: das Wohl der Institution FC Basel

men. Es wurde versucht, mit der jeweils anderen Partei

1893.»

eine gemeinsame Basis zu finden. Die Situation heute Muttenzerkurve Basel

sieht viel versprechend aus. FCB und Fans haben eine neue, konstruktive Gesprächsebene gefunden und sind

Heilsamer Schrecken, kontruktive Gespräche

bereit, einen gemeinsamen Weg zu gehen. So gesehen

«Kaum hat Italien sein scharfes Gesetz gegen die Gewalt

war der 13. Mai ein heilsamer Schrecken für alle. Garan-

in Fussballstadien beschlossen, gehen wieder furchtbare

tien, dass es nie wieder zu Gewaltakten kommt, gibt es

Bilder um die Welt: ‹Randale im Römer Stadion, prügeln-

nicht, und es scheint, dass viele Direktbetroffene in Basel

de Polizisten.› So titelte eine Tageszeitung nach dem CL-

dies erkannt haben.

Spiel AS Roma gegen Manchester United.

Nicht an dem beinahe naiven Idealbild einer perfekten

Nach dem 13. Mai wurden auch bei uns schärfere Ge-

Fankurve gilt es zu arbeiten, sondern sich mit der Realität

setze gefordert. In Basel sind Politiker, Polizei und FCB an

und ihren Sonnen- und Schattenseiten auseinander zu

einem runden Tisch diesen Forderungen nachgekom-

setzen und eine Bereitschaft zu entwickeln, miteinander

men. Dabei wurden die Reaktionen der Fans aber deut-

konstruktiv zu streiten. Gesetze und übertriebener Si-

lich unterschätzt, die postwendend in einen Heimspiel-

cherheitswahn, wie er sich auch in der Schweiz anbahnt,

boykott getreten sind.

liefern, wie uns Italien einmal mehr gezeigt hat, auch kei-

Erst jetzt wurde das Fanprojekt «aufgeboten». Die Fanarbeit nimmt für sich in Anspruch, langfristig und nicht

ne Garantie für gewaltfreien Fussball.» Fanprojekt Basel


34 FANKURVE

Geschichten von den Rängen Was beschäftigt auf den Rängen, was freut die Zuschauer? Fans der Vereine der Super League berichten, was rund um ihren Klub und in ihrem Stadion bewegt.

Glücksfall Fernandez Text: «Jumper», Bierkurve Schaffhausen

Bangen um die Existenz Text: Simon Zaugg, Fanprojekt FC Thun

Die Entlassung von

Der Testspiel-Ärger

Jürgen

Text: S.K., besucht regelmässig Heim- und Auswärtsspiele von GC.

Überrissene

Seeberger

«Nein» stand in der

war richtig, weil die

Abstimmung

zum

Stimmung im Team

Projekt

schlecht war und er

trum Thun-Süd» am

«Sportzen-

Ein-

die Spieler nicht mehr erreicht hatte. Die

12. Februar 2006 auf über 62% der Stimm-

trittspreise (22 bis

Mannschaft hat nur eine Chance, in der

zettel. Das Stadionprojekt, das unter an-

62 Franken) und der

NLA zu bleiben, wenn sie motiviert ist

derem an Kredite der Stadt, Landverkauf

Eventcharakter des

und der Zusammenhalt und das Kämpfer-

und Überbauung des heutigen Stadion-

gegen Palermo auf

herz wieder voll da sind. Die Entdeckung

areals gebunden war, wurde vom Volk

dem Hardturm aus-

der Saison ist für mich Adrian Fernandez,

wuchtig verworfen. «Private bauen Stadi-

getragenen Testspiels sorgten für Ärger

der durch einen Glücksfall (Schwanger-

on in Thun.» Dank dieser Schlagzeile ist

unter den GC-Anhängern. Immerhin

schaft seiner Frau) in der Schweiz und

vor gut einem Monat ein tiefes Raunen

4900 gut gezählte Zuschauer fanden den

somit in Schaffhausen gelandet ist. Er ist

der Erleichterung durch das Umfeld des

Weg auf den Hardturm. In der grossen

ein quirliger, unbequemer Stürmer, der

FC Thun gegangen. Doch auch zum neu-

Mehrheit jedoch Anhänger des Gastklubs

sehr viel läuft. Dafür hat mich Pascal Ren-

en Projekt werden nun kritische Stimmen

im Exil, die sich diese für sie einmalige

fer etwas enttäuscht, für den der Unter-

laut. Die geplanten Verkaufsflächen in

Gelegenheit verständlicherweise nicht

schied von der NLB zur NLA wohl doch

der Mantelnutzung des Stadions bedeu-

entgehen lassen wollten. Die Anhänger-

etwas zu gross ist. Der Aufstieg des FC

ten für die Innenstadtläden Konkurrenz.

schaft des Heimklubs zeigte mit ihrer Ab-

Schaffhausen hatte auch Auswirkungen

Weiter muss die Umzonung des Areals,

wesenheit und der leeren Ostseite fast

auf die Fankultur. Die Fanszene ist ge-

auf dem das Stadion stehen soll, noch mal

schon demonstrativ, was sie von künstlich

wachsen und unpersönlicher geworden.

vor das Parlament und bei einem Refe-

stimulierten Events hält. Auch die kon-

Der Vorteil ist, dass wir nun unser Team

rendum gar vors Volk. Die Reglemente

ventionelle Stadionstimmung, insbeson-

optisch und akustisch besser anfeuern

der Liga erfordern, dass bis im März 2008

dere die typisch italienische Gesangs-

können, dafür kennt man sich nicht mehr

ein Baugesuch eingereicht wird. Die Zeit

vielfalt, blieb gänzlich aus, stattdessen

so gut. Der wirklich harte Kern von etwa

wird knapp, das Fazit ist einfach: Ohne

herrschte bei den Torszenen Groupie-

30 Personen, die auch an jedes Auswärts-

ein neues Stadion hat Thun in der höchs-

Gekreische wie zu Zeiten der Backstreet-

spiel gehen, ist aber in etwa gleich ge-

ten Schweizer Liga keine Zukunft. Die

Boys.

blieben.

Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.


FANKURVE 35 Ein Luzerner Kämpferherz Text: Jan Müller, United Supporters Luzern

Eine Prise Galgenhumor

Nach seiner Kniever-

Text: Mark Ammann, Gäubschwarzsüchtig,

letzung Anfang Au-

Dachverband der YB-Fans.

gust hatte sich Defensivallrounder

Auf der Suche nach

Irgendwie unabsteigbar

einem

Mehmeti in der Win-

für

terpause wieder an die Mannschaft he-

diesen Artikel mein-

rangekämpft. Doch dann kam alles an-

te ein Kollege: «Be-

ders: Zum Rückrundenstart wurde das

Und wieder grüsst

richte über die Er-

Luzerner Kämpferherz zusammen mit

der Abstiegskampf –

folge der letzten 20

drei anderen Spielern aussortiert. Trai-

Text: Samuel Zumstein

aber

wir

Thema

Genc

bleiben

Jahre von YB, dann musst du nicht viel

ner Ciriaco Sforza sah für ihn vorderhand

oben. Der FC Aarau

schreiben…» Der leidgeprüfte YB-Fan

keine Zukunft mehr beim FC Luzern und

ist nach GC schliess-

hat sich im Verlauf der Jahre ohne Titel

empfahl ihm, Spielpraxis bei einem NLB-

lich der Verein, der

diesen Galgenhumor angeeignet. Heuer

Klub zu sammeln. Doch nach viereinhalb

aktuell die längste Zeit ununterbrochen

jährt sich der letzte Titelgewinn (Cup-

Jahren und über 100 Partien für die erste

in der Super League spielt – irgendwie

sieg) von 1987 zum 20. Mal, ein Ende die-

Mannschaft liess sich der Schweizer mit

unabsteigbar. Zum Absteigen ist auch zu

ser schwarzen Serie ist auch für die

albanischen Wurzeln nicht einfach so ab-

viel Substanz im Team. Herausragend in

grössten Optimisten nicht in Sicht. Wäh-

servieren. Er wollte sich über Einsätze im

dieser Saison: Hocine Achiou und Gügi

rend dieser zwei Dekaden kamen nicht

FCL-Nachwuchs

Sermeter. Ärgernis der Saison: die For-

weniger als 12 Vereine zu Titelehren, da-

umsonst: Unter Sforza scheint der Ag-

faitniederlage gegen St. Gallen.

runter auch 5 Vereine, welche momentan

gressivleader, der eine der tragenden

Der Unterschied zwischen AG und Ver-

in der zweithöchsten Spielklasse anzu-

Säulen der Aufstiegsmannschaft war, kei-

ein hat uns mehr als nur drei Punkte ge-

treffen sind. Kein Wunder also, dass sich

ne Zukunft mehr zu haben. Viele Fans,

kostet; das ganze Team hat einen Knacks

angesichts dieser Ohnmacht auch eine

die Mehmeti wegen seinem unermüd-

erhalten, von dem es sich lange nicht er-

gehörige Portion schwarzer Humor hin-

lichen Einsatz für die blau-weissen Far-

holt hat. Regeln sind Regeln – klar. Es

zugesellt. Blitzturniersiege werden mit

ben ins Herz geschlossen haben, trauern

schadet aber sicher nicht, wenn sie mit

Gesängen wie «Wir schreiben Fussball-

jetzt noch ihrem Sympathieträger nach.

gesundem Menschenverstand angewen-

geschichte!» kommentiert, und der Ge-

Mehmetis Abstieg ist beispielhaft: Von

det werden.

winn des Uhrencups Grenchen kommt

den Aufsteigerjungs der letzten Saison

Auch alle Jahre wieder: der Trainer-

einer Legende gleich. So singen eupho-

sind mittlerweile noch elf Spieler im Ka-

wechsel. Der Matchblatt-Fauxpas gegen

rische YB-Anhänger öfters «Im Jahr 2010,

der, wovon gerade noch David Zibung,

St. Gallen kostete Schönenberger am

ihr werdet es schon sehn: Wir holen den

Christophe Lambert, Jean-Michel Tchou-

Ende wohl den Job. Wichtig ist jetzt das

U-U-Uhrencup, und wir werden Vize-

ga und Fabian Lustenberger unbestrit-

Stadionprojekt: Das Brügglifeld in Ehren

meister!». Bei der Ursachenforschung fin-

tene Stammspieler sind. Sforzas Erfolgs-

– will Aarau bald wieder vorne mitspie-

det der Anhänger die verschiedensten

hunger ist zweifellos positiv für den FC

len, braucht es ein neues Stadion und da-

Erklärungen: Von Misswirtschaft über

Luzern. Die Kehrseite der Medaille: Für

mit verbundene Mehreinnahmen. Bis es

schlechte Kaderzusammenstellung bis

Kompromisse ist beim Trainerneuling

so weit ist: Titel sind nicht alles. Der FCB

hin zu Pech findet sich alles. Den wahren

kein Platz übrig. Wer seinen Ansprüchen

mag öfter gewinnen: Was für Aarau ein

Grund kennt wahrscheinlich nur der

nicht genügt, wird gnadenlos aussortiert

Triumph wie der Meistertitel 1993 bedeu-

Fussballgott, und so bleibt diese Begrün-

und wenn möglich abgeschoben. Frühere

tet, kann ein Fan einer Erfolgsmannschaft

dung immer noch die logischste: «Es ist

Verdienste zählen dabei genauso wenig

aber gar nie nachvollziehen.

halt einfach YB.»

wie die Akzeptanz bei den Fans.

durchbeissen.

Wohl


36 FANKURVE Genug Aderlass Text: S.H., Saisonkartenbesitzer

Wieder europäisch

18 Millionen Fran-

Text: Marc Egli, Sion Club La Rete

ken. So viel kassierte

In den letzten Jahren

der FCB im letzten

standen für den Sion

Jahr für die Transfers

Club La Rete mässig

von

Rossi,

attraktive Auswärts-

David Degen, Delga-

fahrten nach Baulmes

do und Co. – ein Be-

oder

Müller,

Wohlen

an.

trag, bei dem sich nicht nur die Kassiere

Nach dieser B-Kost stand letzte Saison mit

Favre wechselt

der Kellerklubs die Hände reiben wür-

dem UEFA-Cup-Spiel zwischen Josko

Text: L.B., FCZ-Saisonkartenbesitzer

den. Und prompt versprach Präsidentin

Fenster SV Ried und Sion ein «Schm-

Gigi Oeri, dass sie dieses Geld wieder in

ankerl» einer Auswärtsreise an. Toll,

Lucien Favre – so-

die Mannschaft stecken würde. Das

wenn’s auch dieses Jahr wieder zu einer

viel vorweg – hat

schien auch angebracht nach dem sport-

Europa-Reise kommen würde. Denn die

immer Recht. Wer

lichen Aderlass der letzten Jahre und dem

Erinnerungen an jene nach Ried sind

mit dem FCZ Mei-

Desaster des 13. Mai. Doch wer kam?

noch frisch. 20 Retistas machten sich da-

ster und Cupsieger

Cristiano und Buckley, zwei Spieler, die

mals topmotiviert per Bus und PW auf den

wird, macht alles richtig. Selbst das

etwa den gleichen prägenden Eindruck

Weg. Deftiges österreichisches Essen mit

Verbot, über die Flügel zu spielen,

hinterlassen (haben) wie ein Marco Sas

reichlich Rieder Bier, die malerische Alt-

wird seine unergründliche Logik ha-

anno Tobak. Wenigstens zaubert seit dem

stadt und die sympathischen Einheimi-

ben. Gleiches gilt für die bis vor

Jahreswechsel Franco Costanzo im Ka-

schen prägten den Vormittag. Sion-

kurzem

praktizierte

sten und rechtfertigt je länger, je mehr

Schlachtgesänge weiterer Fans lockten

Weigerung Favres, vor der 83. Minu-

die drei Millionen Franken Ablöse. Auf

uns bald an eine Outdoor-Bar in der Ein-

te einen Spielerwechsel vorzuneh-

weitere Transfers zu verzichten, war eine

kaufsmeile, wo sich das Wallis lautstark

men. Egal ob Stahel Krämpfe plagen

riskante Strategie. Gut möglich, dass der

feierte. Im hübschen Fill-Metallbau-Sta-

oder Ilie die Melancholie befällt. Ge-

FCB doch noch Titel gewinnt. Doch um

dion fanden wir uns im Gästesektor ein.

wechselt wird erst, wenn die ersten

die über 20‘000 Basler Saisonkarten-Käu-

Die La-Rete-Zaunfahne wurde aus Platz-

Zuschauer auf dem Heimweg sind.

fer bei Laune zu halten, werden Oeri und

gründen im Nebensektor angebracht.

Doch sieh an. Jetzt beginnt Favre

Gross so oder so nicht darum herumkom-

Der Sion-Block zauberte trotz lascher

Spieler auszutauschen, ehe seine No-

men, zu investieren – erst recht, wenn Pe-

Partie 90 Minuten Stimmung der Marke

tizblock vollgeschrieben ist. Das Re-

tric oder Rakitic abspringen. Auslän-

«Hühnerhautfaktor» hin. Die Rieder und

sultat: In Sion bringt er Staubli; die-

dische Stars zu holen, ist für einen

die Sion-Spieler schienen mit dem 0:0 ei-

ser erzielt das Siegtor. Daheim gegen

Schweizer Klub fast nicht mehr möglich,

gentlich zufrieden zu sein. Während sich

Sitten wechselt Favre Schönbächler

auf Bundesliga-Auslaufmodelle wie Buck-

vier Mitglieder berufsbedingt nach dem

ein – zur Pause!. Schönbächlers Ka-

ley oder Ailton können wir bestens ver-

Spiel auf die nächtliche Heimfahrt mach-

binettstücken an der Seitenlinie lei-

zichten. Eine andere Chance könnte sich

ten, stürzte sich La Rete ins Nachtleben.

tet den Treffer Raffaels ein. In St.

aber ergeben: In der Saison vor der

So richtig ging die Party ab, als sich fei-

Gallen kommt wieder Staubli und

Heim-EM brauchen unsere Nati-„Stars“

ernde Familienangehörige von Sanel Ku-

bereitet den Ausgleich vor. Favre

dringend Spielpraxis. Falls Huggel, Strel-

lijc zu uns gesellten. Ein überaus gelun-

wird langsam unheimlich. Erlaubt er

ler oder David Degen wieder an die Jog-

gener Ausflug, dem die nächste kultige

nun auch das Flügelspiel? Führt er

geli-Pforte klopfen, sollte Frau Oeri das

Reise an ein UEFA-Cup-Spiel folgte: Die

den FCZ in die Champions League?

blau-rote Portemonnaie hervorkramen

Retistas liessen sich Leverkusen - Sion

Ein Denkmal ist ihm auf jeden Fall si-

und der Nati, der Liga und den FCB-Fans

nicht entgehen. Eine Eu-ropa-Reise auch

cher.

einen Gefallen tun!

nach dieser Saison – das wär toll.

konsequent


FANKURVE 37 Günstig Horrorfilme kaufen Text: Daniel Ryser, Südkurve Es wird von hier viel zu berichten geben, immerhin kommende

ist

die

Saison

die letzte im Espenmoos. Danach folgt der Umzug in die Arbonia-Forster-Gruppe-Arena in ein Niemandsland, wo man höchstens mal mit dem Auto hinfährt, um im Media Markt günstig Horrorfilme zu kaufen, um bei McDonald‘s einen Burger zu beissen und

Fansicht Die Initiative Fansicht befasst sich mit den Anliegen der Fans. Das Angebot ist neu, stösst aber schon auf grosses Interesse. Text: Pascal Claude.

W

enn jemand aus sicherer Distanz zuschaut, wie sich andere gegenseitig anpöbeln, ist er dann ein

um noch schneller wieder von hier zu

Hooligan? Ist es o.k., wenn ein Verein einem Fan der

verschwinden. Jetzt baut IKEA, und es

Gastmannschaft ein Stadionverbot erteilt mit der Begrün-

baut Jelmoli, und es baut der FC, und man

dung, er habe Feuerwerk abgebrannt, dem Fan die an-

erhofft sich von dieser Symbiose, was

geblich belastenden Filmaufnahmen aber vorenthält?

sich alle im Fussball-Business zurzeit er-

Wie wahrscheinlich ist es, dass Fan X beim Auswärtsspiel

hoffen: schnelles Geld und Ruhm und

in Zürich eine Leuchtfackel gezündet hat, wenn er zu die-

vielleicht mal einen Glanzmoment in der

sem Zeitpunkt wegen eines Kreuzbandrisses nachweis-

finanziell äusserst attraktiven Champions

lich an Krücken ging?

League. Willkommen AFG, adieu Espen-

Diesen und ähnlichen Fragen geht die Initiative Fan-

moos. Szene St. Gallen: Trotz sportlicher

sicht nach, und sie versucht, in Zusammenarbeit mit be-

Flaute ist das Stadion fast immer voll, ein

troffenen Fans und Dachverbänden, bei strittigen oder

Schnitt von 10‘000, 11‘000 passen rein.

haarsträubenden Fällen von Stadionverboten eine Neu-

Bei den so genannten Hardcore-Fans, je-

beurteilung des Vorfalls zu erwirken. In Zeiten, in denen

nen, die plötzlich in den Medien gleich

sich Ausschreitungen medialer Hochkonjunktur erfreu-

nach arabischen Terroristen und Andrea

en, erachtet es Fansicht als wichtig, einen Blick hinter die

Stauffacher vom Revolutionären Aufbau

Horrorfassade zu werfen. Rechtsstaatliche Prinzipien wie

Platz drei belegen in der Hysterieskala,

die Unschuldsvermutung gelten bei vielen Super-League-

herrscht Unruhe: Viele Fans haben Stadi-

Vereinen wenig bis gar nichts; so begründete ein Sicher-

onverbote (die meisten wegen Abbren-

heitsverantwortlicher eines Spitzenklubs das Aufrechter-

nen von Feuerwerk), es herrscht oft

halten eines Stadionverbots gegenüber Fansicht mit den

schlechte Stimmung, an unbedeutende

Worten, der betroffene Fan müsse «beweisen, dass er es

Auswärtsfahrten reisen oft wenige mit.

nicht war».

Dagegen steht, dass sich die Fans unter

Fansicht befasst sich mit zweifelhaften Sanktionen, wirft

Organisation des neu gegründeten Dach-

einen genauen Blick auf die Anwendung des Hooligan-

verbandes zu Extrazug-Auswärtsfahrten

Gesetzes und der Datei Hoogan und kommentiert Medi-

organisieren konnten. Trotzdem ist vie-

enberichte, in denen pauschal und einseitig über Fanthe-

len klar: Bis zur EM 2008 legt man sich am

men berichtet wird. Die Reaktionen und Zuschriften seit

besten auf die Matratze und schiebt eine

dem Aufstarten von www.fansicht.ch Ende Februar 2007

ruhige Kugel, die Hysterie in den Medien

lassen darauf schliessen, dass der Initiative die Arbeit

ist gross, und auch in St. Gallen landen

nicht so bald ausgehen wird.

Pyrotechniker neu in der soeben eingeführten Datenbank für notorische Gewalttäter an Sportanlässen.

Der Autor Pascal Claude ist Sprecher der Initiative Fansicht.


38 FRISCHS FRAGEN

Max Frisch fragt... Ivan Ergic

Der Fragebogen des Schriftstellers Max Frisch ist natürlich nicht speziell für Fusballer zusammengestellt worden. Umso interessanter, wenn sie ihn dennoch beantworten, und dabei ins Philosophieren kommen, wie dieses Mal. ZWÖLF legt einige Fragen aus dem Fragebogen jeweils einem Spieler vor. Bei der Premiere FC-Basel-Spieler Ivan Ergic. Protokoll: William Kong. Bild: Dave Joss.


FRISCHS FRAGEN 39

Wem wären Sie lieber nie begegnet?

revolutionärem Denken verloren haben.

den kann. Jedes Genie (ausser vielleicht

«Meinem Trainer im Ausgang vor dem Match

Denn das wäre das Ende des individuellen,

Friedrich Nietzsche) war sich bewusst, dass

gegen den FCZ oder GC.»

kreativen und selbst bestimmenden Men-

es vor seinem Tod nur ganz wenig gewusst

schen – obwohl ich auch dazu neige, einer

hat – im Verhältnis zum ganzen universellen

von diesen schwachen Menschen zu sein.»

Wissen. Und genau aus diesem Grund waren

Wie heisst der Politiker, dessen Tod durch Krankheit, Verkehrsunfall usw.

diese klüger als die ‹gewöhnlichen› Men-

Sie mit Hoffnung erfüllen könnte? Oder

Wie alt möchten Sie werden?

halten Sie keinen für unersetzlich?

«Wie Peter Pan möchte ich für immer jung

«Der Tod eines Politikers würde keine Hoff-

bleiben. Und wenn es den Wissenschaftlern

Wenn Sie an Verstorbene denken: Wün-

nungen bringen, weil dessen Ideen die Men-

nie gelingt, den Prozess der Alterung zu

schten Sie, dass der Verstorbene zu Ihnen

schen überleben. Niccolò Machiavelli ist

stoppen, muss ich versuchen, in der Seele

spricht, oder möchten Sie lieber dem

längst tot, aber seine Ideen und Thesen sind

jung zu bleiben – weg vom abstrakten Begriff

Verstorbenen noch etwas sagen?

immer noch aktuell. Und was noch schlim-

der «Zeit». Wenn ich spüren sollte, dass ich

«Interessante Frage – wie aus dem Film «The

mer ist: Sie wurden durch die Jahrhunderte

auf Hilfe von anderen angewiesen bin, wer-

Sixth Sense» geklaut. Das gäbe sicher einen

bis zum äussersten Grad auch umgesetzt.

de ich unerträglich für mich selber und mein

Dialog, ich hätte garantiert viele Fragen an

Seine «Anweisungen» hat fast jeder Politiker

Umfeld.»

den Verstorbenen. Zum Beispiel würde ich

in unserem Zeitalter verinnerlicht. Insbeson-

schen. Alter 26.»

ihn fragen, wie das Leben nach dem Tod aus-

dere auf dem globalpolitischen Niveau ist

Wenn Sie Macht hätten, zu befehlen,

sieht, und ihn bitten, mir dieses ewige Ge-

das zu spüren. Und unter dem geopolitischen

was Ihnen heute richtig scheint, würden

heimnis zu verraten.»

Begriff «Realpolitik» verstecken sich Skru-

Sie es befehlen, gegen Widerspruch der

pellosigkeit, Gewalt und die Gier nach Macht

Mehrheit?

Was fehlt Ihnen zum Glück?

– was mit Winston Churchill und Henry Kis-

«Nein. Etwas gegen den Widerspruch der

«Ich bin glücklich, aber es fehlt mir noch ein

singer begonnen und seine Fortsetzung mit

Mehrheit zu tun, wäre autokratisch und ge-

bisschen Glück zum absoluten Glück. Aber

Bill Clinton, Tony Blair oder George W. Bush

gen die positiven Errungenschaften unserer

mit dem absoluten Glück wäre ich unglück-

gefunden hat.»

Gesellschaft.»

lich.»

Wen, der tot ist, möchten Sie wieder se-

Warum nicht, wenn es Ihnen richtig

Wofür sind Sie dankbar?

hen?

scheint?

«Es ist stereotypisch, zu sagen, dass ich da-

«Analog zur zweiten Frage möchte ich die

«Unabhängig davon, wie sehr ich von

für dankbar bin, dass ich das machen kann,

Ideen von verschiedenen grossen Leuten

meinem Verstand und meiner Vernunft über-

was ich am besten kann. Obwohl ich es in

verwirklicht sehen – als «Widerstand» zu den

zeugt bin, hätte ich kein Recht dazu. Jedes

einem bestimmten Rahmen machen muss

genannten Politikern der vorigen Frage. Die-

Individuum hat das elementare Recht, dass

und unter bestimmten Regeln, wo man sich

se Ideen sollen denjenigen von Giordano

es sein Schicksal selbst bestimmen kann,

nicht völlig authentisch und als kreativer

Bruno, Karl Marx, Jean-Paul Sartre, Che Gue-

und es ist gegen die Empfindlichkeit des

Mensch ausdrücken kann. Trotzdem muss

vara, Sokrates oder Prometheus folgen. Ich

Menschen, wenn ihm etwas gegen seinen

ich dafür dankbar sein – genau eben aus die-

möchte gerne ihre heutigen Pendants sehen,

Willen aufgezwungen wird.»

sem Grund, weil viele gar nicht das machen können, was ihnen am meisten liegt.»

die bereit sind, für ihre Ideale zu kämpfen.»

Wann haben Sie aufgehört, zu meinen, Wen hingegen nicht?

dass Sie klüger werden, oder meinen Sie

«Ich möchte keine Leute sehen, die die Hoff-

es noch? Angabe des Alters.

nung aufgegeben haben, etwas ändern zu

«Jeder Mensch kann nie klug genug sein,

Alle Fragen aus Max Frisch, Tagebuch 1966-

können. Und Leute, die den letzten Rest von

und das bedeutet, dass er immer klüger wer-

1971, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1971.


40 DAS GIBT ES NUR BEI UNS

Das Raclette-Zelt von Sion Mancherorts machen sich die Leute kurz nach Spielschluss bereits wieder auf den Heimweg. Nicht in Sion. Hier geht es nach dem Spiel oftmals erst richtig los. Denn zu einem Spiel im Stade de Toubillon gehört der Besuch im legendären Raclette-Zelt. Text und Bild: Dani Eder

D

ie grössten Raclette-Fans kommen aus Luzern. Und

laut Betreiber Adrien Dubuis pro Spiel – und viel Arbeit

als Lausanne noch in der höchsten Liga spielte, wa-

für die drei Racletteurs an den sechs Öfen. Zum ge-

ren die Waadtländer Zuschauer ebenfalls gern gesehene

schmolzenen Käse wird Wein ausgeschenkt: pro Spiel

Gäste. Aber nicht nur Zuschauer zieht es hierhin: Auch

allein im Zelt gut 2700 Ballons *, vorzugsweise Fendant.

Fussballspieler, ob vom Heim- oder vom Gastteam, tref-

Dubuis arbeitet als Sanitärinstallateur. Seine Mitarbeiter

fen sich nach dem Spiel im Raclette-Zelt vor dem Stade de

und er sind Anhänger des Klubs und verrichten ihre Ar-

Tourbillon in Sion.

beit für den Lohn eines Raclettes. Ihre Schicht beginnt

Das Zelt vor dem Stadion könnte auch vor dem St. Gal-

morgens um 9 Uhr und endet gegen Mitternacht – meis-

ler Espenmoos stehen: die Wände aus grün-weissen Bla-

tens auf jeden Fall. Je nach Ausgang des Spiels schliesst

chen, das Dach in schlichtem Weiss. Kein Schriftzug und

das Zelt später. So kann es vorkommen, dass der letzte

kein Schild verraten, was sich im Inneren befindet. Doch

Gast morgens um 3 Uhr das Zelt verlässt.

das ist auch nicht nötig. Dass hier keine Olma-Würs-te

Ein regelmässiger Gast im Zelt ist übrigens auch Sion-

gebraten, sondern Käselaibe geschmolzen werden,

Präsident Christian Constantin – nach Siegen lieber als

riecht jeder Besucher schon von weitem.

nach Niederlagen. Das Raclette-Zelt gehört zum Tourbil-

Seit 23 Jahren steht das kultige Zelt auf dem Platz vor

lon. Dass es dem FC Sion jedoch eines Tages nach Marti-

der Haupttribüne der Sittener Heimstätte. Knappe zwei

nach vor den geplanten Luxustempel folgen wird, ist zu

Stunden vor Spielbeginn wird der erste Käse aus dem Val

bezweifeln.

de Bagnes auf dem Raclette-Ofen platziert, es folgen im

* Ballon nennt man im Wallis ein bauchiges Weinglas

Schnitt elf weitere pro Spieltag. 600 Raclettes ergibt das

mit etwa 2 dl Inhalt.


41

Hier riechts nach Leidenschaft Ballenberg-Dépendance oder Anfield Road der Schweiz: Im baufälligen Stadion Espenmoos in St. Gallen mit seinen wackligen Stahlrohrtribünen wird schon bald das letzte Spiel angepfiffen – der Umzug in den schicken Neubau naht. «Die Stadt» nimmt Abschied vom Stadion, das als Festhütte des Landes galt. Text: Dani Kehl, Bild: Trix Niederau / St. Galler Tagblatt

I

van Zamorano brachte das Geheimnis des St. Galler

schäbige Kleinstadion für auswärtige Fans vor allem ein

Fussballs und seines Stadions am schönsten auf den

lästiges Ärgernis: In einer Stadionecke ohne Dach eng

Punkt. Der vielleicht beste Fussballer, der je in der

zusammengedrängt, Schnee und Regen ausgesetzt, be-

Schweiz gespielt hat, parierte vor kurzem die Frage eines

dankten sie sich beim FCSG mit beissendem Spott für die

Zürcher Journalisten nach dem Bratwurstduft im Stadion

herzliche Gastfreundschaft. Als bei einem Spiel gegen

so, als wäre er noch immer in St. Gallen zu Hause: «Im St.

den FCB auch noch das Flutlicht ausfiel, sangen die Bas-

Galler Stadtzentrum riecht es nach Bratwürsten, aber

ler Fans «Saint-Gall – Senegal» und landeten damit schon

nicht im Stadion. Im Espenmoos riecht es nach Leiden-

vor dem Anpfiff einen Volltreffer.

schaft. Als Spieler riechst du die Leidenschaft der Zu-

Die Geschichte des Espenmoos ist zunächst eine über

schauer.» Kultstadion Espenmoos? Jahrelang war das

eine Bruchbude: im Halbdunkel feuchten, grauen Fabrik-


42 mauern entlang, vorbei an Wasserpfützen, defekten Pis-

als Kraftort und Sinnbild für die erfindungsreiche Ost-

soirs, Erdhaufen und endlich hinauf auf die Holzbretter

schweiz, wo man mit einer durchschnittlichen Mannschaft

der wackligen Stahlrohrtribünen. So muss das Stadion

und einem fanatischen Publikum im Rücken Unmögliches

des Arbeiterkombinats von Metallurg Magnitogorsk aus-

schafft.

sehen, bemerkte ein Zuschauer einmal lapidar. Doch heute sehnen sich Fans aus keimfreien neuen Fussball-

Bratwurst an der kleinen Anfield Road

Arenen bereits wehmütig zurück nach ein bisschen Stadi-

Damals zeigte das Schweizer Fernsehen Woche für Wo-

onromantik und Sinnlichkeit. Die Einheimischen kom-

che Bilder von ausgelassenen und fröhlichen Fans in

men dem Wunsch gerne nach und führen Gäste stolz

Grün-Weiss und kreierte das Bild des Espenmoos als

durch die einzigartige Ballenberg-Dépendance Espen-

«Festhütte der Nation». In einem seiner überdrehten und

moos: Schaut her, das ist St. Gallen, das ist wahrer und

euphorischen

ehrlicher Fussball!

schenkte Beni Thurnheer dem St. Galler Fussball einen

Live-Kommentare

aus

dem

Stadion

Mit dem Meistertitel 2000 wurde das Espenmoos defi-

Satz für die Geschichte: «Das ist kein Fussballspiel vor

nitiv verklärt und zum nationalen Kulturgut. Das Stadion

Publikum, das ist ein Zuschauerspektakel mit ein paar Fussballspielern.»

Mit Mütze auf der Rampe

Fussballfans sind wie kleine Kinder. Sag ihnen jeden Tag, wie einzigartig sie sind, und irgendwann glauben

Der Autor erinnert sich an die eigenen ersten Matchbesuche im heimeligen Wohnzimmer Espenmoos.

sie es selbst. Den Fans des FC St. Gallen purzelten die

St. Galler Fussballfans haben noch eine Saison Zeit,

«Tribune de Genève» bezeichnete das Espenmoos als

sich von ihrem heimeligen Wohnzimmer Espen-

«eine kleine Anfield Road». Für Basels Trainer Christian

moos zu verabschieden. Das klingt kitschig und

Gross ist das Espenmoos das beeindruckendste Stadion

sentimental, aber ein Blick in das Familienalbum

in der Schweiz – ausser dem St.-Jakob-Park natürlich.

zeigt, dass das Espenmoos nicht nur für Spieler,

«Vor allem wegen der Nähe der Zuschauer zum Spiel-

sondern auch für Fans ein wichtiger Ort der Erinne-

feld.» Im Espenmoos sind nicht nur Familiengeschichten,

rung ist: Mit Zipfelmütze und dick eingemummt

sondern auch Vereinsgeschichten eingeschrieben in

schlotterten mein Vater und sein Freund Werner auf

Holz, Stahl und Beton: Die bitteren Jahre in der 1. Liga

der alten unüberdachten Espenmoos-Holzrampe

durchlitt man auf der alten Holztribüne. Den Aufstieg in

und sahen sich bei minus fünf Grad ein Spiel gegen

die damalige NLA feierte man mit der Eröffnung der ein-

Wettingen an. So erzieht man die eigenen Kinder zu

zigartig geschwungenen Haupttribüne. Zum 100-Jahre-

guten Fans, als leuchtendes Vorbild! Dann das erste

Jubiläum bekamen die Stehplatzfans ein Dach über dem

Mal den FC St. Gallen mit eigenen Augen sehen:

Kopf und als Zugabe ein Länderspiel gegen die DDR ge-

Kieswege, Zementabschrankungen und eine nigel-

schenkt. Und an die Meistersaison erinnert ausgerechnet

nagelneue Tribüne, die viel grösser und schöner ist

ein schäbiges Zeltdach – ein halbiertes Festzelt? – hinter

als jene auf dem Krontal des SC Brühl.

dem Tor auf der Nordseite.

Komplimente aus dem ganzen Land nur so entgegen: Die

Der Schreck, als St.Gallen ein Tor macht und der «Goal»-Schrei unerwartet losbricht. Nach dem Ab-

Die grösste Geschichtenbörse der Ostschweiz

pfiff sofort aufs Feld und Spielmacher Perusic be-

«Der Fussballplatz ist ein literarischer Ort.» Der Satz von

rühren. Eine grünweisse Eckfahne schnappen und

Peter Bichsel gilt auch im Espenmoos. Der Fussball lebt,

damit über hundert Umwege zurück ins Zentrum

wenn er erzählt und kommentiert wird. Fussballfans sind

trödeln. Dann die Bilder, die sich überlappen. Der

Plaudertaschen, und das Espenmoos ist die grösste Ge-

blonde Junge am Zaun, der in eine Schlägerei unter

schichtenbörse der Ostschweiz. Wer früher alleine an

Erwachsenen gerät, und der Vater, der ihn schnell

den Match ging, schlenderte so lange um den Platz he-

in Sicherheit bringt. War das 1971 oder 2002? (dk)

rum, bis er einen Bekannten getroffen hatte. Wegen der getrennten Sektoren ist das aber immer schwieriger.


43 Viele haben jetzt einen inoffiziellen Stammplatz: Gegentribüne, 3. Säule links. Wehe, ein Fremder stellt sich dort auf und wagt es, die ungeschriebene Ordnung zu stören.

Wohnen im Espenmoos?

Die fünfjährige Durststrecke nach dem Meistertitel

Wie geht es weiter in St. Gallen? Lange hiess es: Die

trennte auch bei den FCSG-Fans die Spreu vom Weizen.

Espenmoos-Haupttribüne bleibt auch nach dem Be-

Als «die Stadt», wie der bekannteste Klub St. Gallens von

zug des neuen Stadions bestehen und wird für den

älteren Menschen genannt wird, immer tiefer im Ab-

Breitensport genutzt. Die baufälligen Stahlrohrtri-

stiegssumpf versank und Trainer Peischl mit seiner Arro-

bünen kommen weg. Aber nun, wo die neue AFG-

ganz Spieler und Zuschauer zermürbte, wurden die Lü-

Arena im Westen St. Gallens bald fertig ist und poli-

cken auf den Tribünen schnell grösser. Besetzten Fans in

tisch keine besondere Rücksicht mehr nötig ist,

den Jubeljahren ihren Stammplatz mindestens eine Stun-

reden die ersten Lokalpolitiker plötzlich von einer

de vor dem Kickoff, so trudelten während der Peischl-Ära

Wohnüberbauung auf dem alten Espenmoos. (dk)

die letzten Unverwüstlichen erst auf der Gegentribüne ein, als Alex Tachie-Mensah bereits den ersten Ball im Strafraum verstolpert hatte.

sind es heute die drei Argentinier inklusive des Hoff-

Die Wutausbrüche, die Verzweiflung und den Zorn der

nungsträgers Jesus Mendez. Der FCSG spielt wieder an

Fans über das jämmerliche Geschehen auf dem Rasen in-

der Spitze mit, das Schweizer Fernsehen sendet frische

teressierte in der übrigen Schweiz eigentlich niemanden

Jubelszenen aus St. Gallen und schwärmt von der Festhüt-

mehr, und St. Galler Fans hatten wie früher so oft das Ge-

te Espenmoos. Und auf der überfüllten Südkurve wissen

fühl, dass sie wirklich am Ende der Welt zu Hause seien.

die Fans genau, dass der Umzug naht. Sie feiern sich und

Aber jetzt wird alles besser: Sorgten zu Zamoranos Zeiten drei grandiose Chilenen für den Höhenflug, so

das Espenmoos und singen dazu wehmütig die Melodie von «Country Roads».

Sechs Meter über Seespiegel Das neuste der neuen Schweizer Stadien steht in Neuenburg. Auch hier soll im neuen Bau der Mythos des alten Stadions weiterleben.

A

m Neuenburgersee ist der Umzug in die neue Arena

Chris-tian Gross. An die grossen Zeiten, als man nach

im Unterschied zur Ostschweiz schon erfolgt. Das

der Verpflichtung von Uli Stielike in die Kreise der ganz

12‘000 Zuschauer fassende schmucke Stadion mit seinem

Grossen vorstossen konnte. An das Duo Gilbert-Gilbert,

sechs Meter über dem Boden thronenden Spielfeld soll

das Mitte Achtzigerjahre die Maladière zur schwer ein-

an den «Mythos Maladière» anknüpfen und Xamax zu al-

nehmbaren Festung machte. An die gemeinsamen Mahl-

ter Stärke verhelfen. Gerne erinnert man sich an ver-

zeiten vor den Spielen im Hause des Übervaters Gilbert

gangene Tage. An die Zeiten von Max «Xam» Abegglen,

Facchinetti.

dem damals kleinsten, aber talentiertesten Spieler der

Xamax besiegte damals Real Madrid und Celtic Glas-

Mannschaft, der dem Klub zu seinem Namen verhalf. An

gow. Jetzt heissen die Gegner Kriens, Baulmes – aber

die Fusion mit Cantonal Neuchâtel und den folgenden

auch Servette. In den Spielen gegen die Genfer fehlt es

steilen Aufstieg, der den Verein 1972 in die oberste Liga

nicht an Namen und Geschichte. Auf 19 nationale Meister-

führte. An die erste Zeit von Gilbert Gress als Trainer,

titel kommen die beiden Teams zusammen. Neue Stadi-

der sich trotz oder wegen des damaligen Torhüters Chri-

en, grosse Geschichte und viel Ehrgeiz haben beide Ver-

stian Constantin lange im Amt halten konnte. An Spieler

eine.

wie Heinz Hermann, Robert Lüthi, Hans-Peter Zaugg oder

«Zweitklassigkeit». (tb/pr)

Und

vorderhand

eben

auch

das

Atribut


44 DAS ALBUM

Bild: Daniel Bernet.


DAS ALBUM 45

Das Panini-Album, aus welchem diese Doppelseite stammt, erschien im Jahr 1984. Fundort: Fussballbar Halbzeit in Bern. Besitzer: Urs Frieden, YB-Fan.


46 DIE NLA-LEGENDE

Der Bundesligastar zum Schnäppchenpreis Er war der erste ausländische Torschützenkönig der Bundesliga, ein klassischer Goalgetter. Gegen Ende seiner Karriere wechselte er zum FC Zürich und wurde Chef der Abwehr. ZWÖLF erzählt die Geschichten der Stars, die in der Schweiz spielten – zu einer Zeit, als die höchste Liga noch NLA hiess. Diesmal: der Norweger Jörn Andersen. Text: Urban Schaniel

E

in besonderes Spiel erlebt Jörn Andersen im Herbst

sen gestanden (unter anderem für den HSV und Nürn-

1995 bei seinem ersten Zürcher Derby. FCZ-Trainer

berg). 1990 wurde er als erster Ausländer Bundesliga-

Raimondo Ponte stellt den Stürmer in seiner Personalnot

Torschützenkönig (18 Treffer für Eintracht Frankfurt). Der

als Innenverteidiger auf. Die 0:2-Niederlage kann An-

FCZ hoffte wohl, dass der 1,90 Meter grosse, kräftige Mit-

dersen in seiner neuen Rolle nicht verhindern. Er macht

telstürmer alter Schule, der klassische Brecher eben, mit

sich auf dieser Position aber so gut, dass er in der Folge

seiner ganzen Erfahrung und Durchsetzungskraft im

fast nur noch als Verteidiger spielt und zum Abwehrchef

Strafraum steht, bei Flanken den Kopf oder den Fuss hin-

aufsteigt.

hält und so den FCZ vom letzten Tabellenplatz weg, in die

Eigentlich hatte der FCZ Andersen als Torjäger ver-

Finalrunde und in den UEFA-Cup schiesst.

pflichtet, denn im Spätsommer herrschten beim FCZ Un-

Andersens Debüt verläuft mit einem Assist beim 2:2 ge-

ruhe und Aufregung. Auf die neue Saison hin waren elf

gen Sion ansprechend. Gleich im nächsten Spiel trifft der

frische Spieler gekommen. Der Kader hatte eigentlich

blonde Bomber beim 1:1 gegen Lugano zum ersten Mal

genügend Qualität, um sich für die Finalrunde zu qualifi-

für den FCZ. Der Plan, mit Andersen dessen Sturmpart-

zieren. Nach einem miserablen Saisonstart mit 6 Nieder-

ner Urs Güntensperger zu entlasten und Andersen als

lagen und nur einem Sieg aus 8 Spielen läuteten aber die

Identifikationsfigur für die jungen Talente wie Pascal Ca-

Alarmglocken: Das Ziel Finalrunde war gefährdet. Trai-

stillo oder Shabani Nonda zu installieren, scheint aufzu-

ner Raimondo Ponte und der Vorstand sahen sich zum

gehen.

Handeln veranlasst. Ein Goalgetter musste her.

Zwar muss der FCZ auch mit Andersen in die Auf-/Ab-

Zur gleichen Zeit stand Jörn Andersen vor einer unge-

stiegsrunde – wo der Klassenerhalt problemlos gesichert

wissen Zukunft. Auf Grund der desolaten finanziellen Si-

wird. Die Zürcher übernehmen den Norweger für 80‘000

tuation wurde seinem Verein Dynamo Dresden die Profi-

Franken aber dennoch definitiv von Dresden. Das zweite

Lizenz für die bevorstehende Saison verweigert. Das

Jahr beim FCZ verläuft sportlich mit der knappen Qualifi-

Verdikt vom DFB: Zwangsabstieg in die Regionalliga

kation für die Finalrunde und einer ambitionslos bestrit-

Nordost. Der FCZ nutzte Dresdens Fiasko aus und ver-

tenen Finalrunde mit dem 7. Schlussrang wenig erfolg-

pflichtete den 32-jährigen Stürmer Andersen für 30`000

reicher. Obwohl Andersen zum Captain aufsteigt und

Franken vorerst auf Leihbasis. Der Norweger war seit

besonders die jungen Spieler gerne seinen Rat suchen,

dem Bundesligadebüt zehn Jahre zuvor stets auf dem Ra-

wird sein Vertrag nicht verlängert. Angeblich wegen un-


DIE NLA-LEGENDE 47

r gestellt von de zur Verfügung se ei rw he lic h. dersen. Freund le des FC Züric rte von Jörg An Geschäftsstel Autogrammka

terschiedlicher Spielauffassungen überwirft er sich mit

neue Laufbahn als Trainer beginnt er bei der U21 des FC

Trainer Raimondo Ponte, und seine zweite Saison beim

Luzern.

FCZ endet mit leisen Misstönen. Nach 33 Spielen und be-

Wieder Schlagzeilen liefert Andersen, als er im Herbst

scheidenen 2 Toren für den FCZ wechselt Andersen zum

2006 bekannt macht, Joachim Löw habe ihn für den Pos-

FC Lugano in die Nationalliga B und lässt seine Spieler-

ten des Assistenztrainers der deutschen Nationalelf kon-

karriere alsdann beim FC Locarno ausklingen. Seine

taktiert.


48 RÜCKPASS

Die Meister von 1986 im YB-Museum: Urs Zurbuchen, Martin Weber und Lars Lunde schwelgen in Erinnerungen. Bild: Daniel Bernet.

Die meisterliche Rückrunde Der Frechdachs Lars Lunde mit seinen Toren am Laufmeter, der bullige Motor Robert Prytz im Mittelfeld, 30 000 Zuschauer im strömenden Regen gegen GC: In Bern erzählt man sich noch heute davon. ZWÖLF blickt in „Rückpass“ auf Epochen, Meisterteams und spezielle Ereignisse zurück. Diesmal: die YB-Meistermannschaft 1985/86. Text: Tobias Habegger.

D

ie Haare trägt er kürzer als früher. Ein bisschen äl-

den 24. Mai 1986 werden wach. Es ist der Abend, an dem

ter sieht er aus. Doch Lars Lunde, der Torschützen-

die Young Boys dank eines 4:1-Sieges bei Xamax letzt-

könig der Nationalliga-A-Saison 1985/86, ist immer noch

mals Schweizer Meister wurden. 21 Jahre später, werden

schlank und sportlich. Er läuft auf dem Kunstrasen im

im neuen YB-Museum in den Katakomben des Wankdorf-

Wankdorfstadion auf und ab. Zusammen mit anderen

stadions die damaligen Spieler verehrt. Zurbuchen,

ehemaligen YB-Spielern wie Erich Hänzi oder Kudi Mül-

Conz, Wittwer, Weber, Schönenberger, Baumann, Sutter,

ler bestreitet er Mitte April das Vorspiel der Partie YB -

Bregy, Bamert, Prytz, Zuffi, Siwek, Lunde, Bützer – pau-

Aarau. Lunde steht mitten im Strafraum und erhält den

senlos sieht man sie über die Grossleinwand des YB-Ki-

Ball. Er schiesst, trifft aber nur die Latte. Erinnerungen an

nos flitzen.


RÜCKPASS 49 Jeder YB-Fan, der vor 1986 geboren wurde, kennt die Namen dieser Spieler, jeder hat die Bilder der Partie von Neuenburg noch im Kopf: die Flanke von Robert Prytz, die Kopfballvorlage Dario Zuffis, Lars Lunde, der den Ball zum 2:1 unter die Latte knallt, vorbei am chancenlosen Xamax-Goalie Karl Engel. Urs Zurbuchen, der damalige Torhüter, steht im YB-Museum zwischen Pokalen und Trikots. Zusammen mit seinen ehemaligen Mitspielern Martin Weber, dem Berner Urgestein, und Lars Lunde schwelgt er in Erinnerungen: «Der Meistertitel mit YB war das schönste Erlebnis meiner Karriere», sagt Zurbuchen. Für Fans und Fussballexperten kam der elfte Meistertitel völlig überraschend. YB war schlecht in die Saison gestartet. «Doch nach dem Zuzug von Robert Prytz in der Winterpause haben wir aufgedreht und bis zur letzten Runde gegen Zürich kein Spiel mehr verloren», sagt Lunde.

Prämien anhand von Zuschauereinnahmen «Wir haben schon vor der Rückrunde an uns geglaubt»,

Captain Jean-Marie Conz (mit dem Pokal), Goalie Urs Zurbuchen

sagt Martin Weber. Zu Beginn der Saison sei Captain

und Lars Lunde feiern den Titel. / Bild: Sportmuseum Basel.

Jean-Marie Conz vor die Mannschaft gestanden und habe gesagt: «Mit diesem Team können wir Meister werden.» Die Bernerinnen und Berner brauchten allerdings etwas

Nationalliga A in der Saison 1985/86 Schlusstabelle

Punkte

länger, um zu merken, dass im Wankdorfstadion unter der Ägide des polnischen Trainers Alexander Mandzia-

1. YB

44

ra eine potenzielle Meistermannschaft heranwächst. Nur

2. Xamax

42

3800 Zuschauer wollten in der Vorrunde das Heimspiel

3. Luzern

41

gegen Basel sehen. «Unsere Prämien wurden anhand der

4. Zürich

39

Zuschauereinnahmen berechnet», sagt Zurbuchen. «Zum

5. GC

38

Glück sind in der Rückrunde mehr Fans gekommen.»

6. Lausanne

35

Weber fügt an: «Erst das Heimspiel gegen GC lockte

7. Aarau

34

trotz Regen mehr als 30 000 Zuschauer ins Wankdorf.» In

8. Sion

33

diesem Spiel sei der Funke vom Team aufs Publikum ge-

9. Servette

31

10. Basel

30

11. St. Gallen

30

Zeit, neue Meister zu verewigen

12. Wettingen

24

Die Spieler, die den letzten YB-Meistertitel gewonnen

13. Chaux-de-Fonds

18

haben, sind in Bern Legenden geworden. «Ich finde es

14. Vevey

17

schön, Teil eines Museums zu sein», sagt Zurbuchen. «Das

15. Grenchen

16

zeigt uns, dass wir Einmaliges erreicht haben», ergänzt

16. Baden 8 Erstmals seit Bestehen der Nationalliga A gab es in der Saison 1985/86 zwei Torschützenkönige. Es waren zwei Dänen: Lars Lunde (YB) und Steen Thychosen von Lausanne-Sports mit je 21 Treffern.

sprungen. «Plötzlich redeten alle vom möglichen Titel.»

Lunde. «Es ist höchste Zeit, hier drinnen neue Meisterspieler zu verewigen», findet Weber. «In den nächsten zwei, drei Jahren sollte es klappen. Mit den Vorraussetzungen, die YB hat, ist der Meistertitel ein Muss.»


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IST ALLES NUR FUSSBALL 51 Reeto von Gunten ist Autor, Radiosprecher, Musiker und schreibt regelmässig für ZWÖLF. Er lebt mit seiner Familie in Zürich und unterstützt bei Gelegenheit den einzigen Fussballklub der Stadt.

Fussball ist... F

Bild: www.nanzig.com

ussball sei Rock ‘n’ Roll, sagt Noel Gallagher. Manch

Und ganz als wäre dies des Zeitvertriebs nicht längst

einer findet, Fussball sei harte Arbeit, und nicht we-

genug, hat er auch noch die Stadien drum rum gebaut,

nige behaupten, Fussball sei ihre Familie, ihre Religion,

mit den Kurven, den Pyros und den Choreos, den immer

ihr Ein und Ultra.

gleichen Liedern hüben wie drüben, den Codes und den

Für das Fischen braucht es ein Patent, für den Chat eine gültige E-Mail-Adresse, und für die Teilnahme an jedem

Ritualen. Und als er sah, dass es gut war, erfand er noch den Max obendrauf.

Karaokewettbewerb muss man sich vorab von medienab-

Und genau deshalb bin ich dankbar für den Fussball:

hängigen Nullnummern erniedrigen lassen. Um jedoch

weil Fussball letztlich eben keine Wissenschaft ist, son-

der Welt zu erklären, was Fussball ist, braucht man nichts:

dern Zufall, und weil man sich weltweit geeinigt zu haben

kein Diplom, keine Berechtigung und schon gar nicht ir-

scheint, dies einfach so unter den Tisch zu schweigen.

gendeine Ahnung zu haben. Kinder erziehen und über

Und sich stattdessen mit all seinen Freunden stunden-, ja

Fussball reden dürfen alle. Und deshalb tun sie es auch.

tagelang, Saison um Saison, über was weiss ich für De-

Fussball ist, da braucht man nicht lange zu googl recherchieren, alles, was einem auch im abgedrehtesten Delirium niemals selber in den Sinn kommen würde: Fussball ist einer der am weitesten verbreiteten religi1

ösen Aberglauben unserer Zeit. – Fussball ist Schaden2

freude. –Fussball ist unser Leben.

3

tails auslassen und den Chefznüni markieren kann. Darum wird Fussball zu allem Möglichen: zur Ausrede, um die Kinder nicht ins Bett bringen zu müssen, zum Beispiel; von mir aus zum Anlass für ausufernde Sexorgien. Auch wenn er meistens unerbärmlich banal ist und an

– Fussball ist Kopf-

Sitzball für Metrosexuelle erinnert: abgekartet zwischen

4 5 sache. – Fussball ist eine Frage der Technik. – Fußball

zufällig zusammengekauften Gegnern, die sich bei kör-

6

ist Ding, Dang, Dong. Es gibt nicht nur Ding. – Fussball 7

8

ist immer noch wichtig. – Fussball ist Kult. – Und Fussball ist kein Wunschkonzert.

9

perlichem Ereifern zu messen und uns dabei etwas Kohle abzunehmen haben, ohne dabei das tadellose Sitzen der Frisur allzu sehr riskieren zu müssen.

Dabei ist Fussball primär ein Glücksspiel. Auch wenn

Aber selbstverständlich würde ich so etwas nie öffent-

wir‘s nicht gerne hören. Es ist wissenschaftlich bewiesen:

lich behaupten. Denn Fussball ist natürlich eine Wisen-

Fussball ist purer Zufall. Doch um dies nicht gleich je-

schaft. Und alkoholfreies Bier mit lauwarmer Wurst.

dem Dümpel vor die Figur zu schmieren, hat Gott dem Fussball die Spielzüge dazu erfunden, die Taktiken und

1 Umberto Eco, 2 Die Zeit, 3 DVD mit Uwe Ochsenknecht,

die Technik. Aufstellungen, Standardsituationen und Sta-

4 Hakan Yakin (sic!), 5 heise.de, 6 Giovanni Trapattoni,

tistiken.

7 Fettes Brot, 8 Goethe-Institut, 9 Franz Beckenbauer


52 SEITENWECHSEL

Bonvin und der gute Wein Als Profifussballer schoss er für Sion und Xamax Tor um Tor und stand vier Mal in einem Cupfinal. Heute gilt seine Leidenschaft den Trauben. Er wechselte nach seiner Fussballkarriere in eine ganz andere Branche – die aber perfekt zu seinem Namen passt. ZWÖLF berichtet, was frühere Profifussballer heute machen. Diesmal: Christophe Bonvin, heute Weinbauer. Text: Michael Imesch & Aurèle Greiner

«

Der Wein ist ein wundervoller Faktor des Austau-

den», sagt er und lacht. Die Ruhe und die Gelassenheit,

schens und Teilens. In der heutigen Gesellschaft sind

die er ausstrahlt, passen zum heute 42-jährigen Christo-

wir doch so oft gestresst», sagt Christophe Bonvin. Er bit-

phe Bonvin. In seiner Aktivzeit machte er nie durch Intri-

te seine Kunden, sich Zeit zu nehmen, die Rebberge zu

gen, Streitereien oder Undisziplin von sich reden. Sym-

besuchen, gemütlich Wein zu degustieren und über das

pathisch, freundlich und bescheiden wirkt er auch heute

Leben im Allgemeinen zu diskutieren. Vor zehn Jahren

– und zufrieden mit seinem Beruf, bei dem er «viel Freu-

tönte das noch anders. Als brandgefährlicher Stürmer

de und Befriedigung» finde, wie er sagt. Auf seine Mit-

von Sion und Xamax galten für Bonvin Tempo statt Ge-

menschen einzugehen, sich dabei Zeit zu nehmen und

mütlichkeit und Wasser oder Isostar statt Wein. Heute ist

gemeinsam Emotionen teilen zu können – das sei für ihn

Christophe Bonvin Weinbauer in Sion.

äusserst wichtig.

Sein letztes Pflichtspiel ist zehn Jahre her. Mit dem Cupsieg von Sion gegen Luzern beendete Bonvin seine Kar-

Degustationen statt Spiele am Wochenende

riere. Seither dreht sich bei ihm vieles um Wein. 350 000

Spiele seines langjährigen Vereins FC Sion sieht er nur

Flaschen produziert das Familienunternehmen Charles

noch selten live im Stadion. Denn die Weindegustationen

Bonvin in Sion jährlich. Angebaut werden die Reben an

finden meist an einem Wochenende statt. Doch Bonvin

vier verschiedenen Standorten. Direkt verwandt mit der

wird gut informiert, was im Tourbillon läuft, seine Kinder,

Besitzerfamilie ist Christophe übrigens nicht. «Aber über

die beiden Mädchen Thaïs (17) und Naig (13) sowie sein

mehrere Ecken würden wir schon eine Verbindung fin-

Sohn Maël (15), sind oft im Stadion. In Präsident Christian


Christophe Bonvin ist heute häufiger im Rebberg als im Stadion Tourbillon. / Bild: Keystone.

Constantin sieht er einen draufgängerischen Menschen,

de und die Rentabilität die Oberhand über die Menschen

der gerne schnell und am liebsten alleine entscheidet.

gewinne. «Als Spieler habe ich immer jeden meiner Ver-

Als ehemaliger Spieler der Walliser bricht er sofort in

träge respektiert, und es war absolut unvorstellbar, ei-

Nostalgie aus, wenn man ihn auf das Thema «Stadionpro-

nen solchen vor dem Ende zu brechen», so Bonvin. Eine

jekt in Martigny» anspricht. «Im Stade de Tourbillon be-

kleine Funktion im Fussball hat er allerdings noch: Bon-

gann und beendete ich meine Karriere und erlebte dort

vin hat auf Anfrage des Fussballverbands den Posten De-

wunderschöne Momente. Ich werde diese wundervolle

legations-Chef der Schweizer «20 Jahre Nationalmann-

Heimstätte immer in meinem Herzen tragen.»

schaft» übernommen.

Dem heutigen Fussballalltag steht er kritisch gegenüber. «Was sich am Fussball vor allem verändert hat, ist

Mit dem Weinglas vor dem Fernseher

die Liebe zum Trikot des Klubs. Früher konnten wir nicht

Der Ex-Nationalspieler (45 Einsätze) schaut sich auch

drei Mal im Jahr den Verein wechseln.» Er habe das Ge-

heute noch die Spiele der Schweizer Nationalmannschaft

fühl, dass die Spieler heute viel weniger mit dem Klub

an – wenn möglich live im Stadion. Ansonsten geniesst er

verbinde als früher. «Einen Tag spielt man in Sion, den

ein Spiel auch mal gerne vor dem Fernseher mit Freun-

nächsten in St. Gallen, und um die Saison zu beenden,

den und einem Glas Wein. «Denn was gibt es Schöneres

macht man noch kurz einen Ausflug ins Ausland.»

als eine gute Flasche Wein von unserem Betrieb, Käse,

Diese Mentalität widerspiegle ein wenig die Gesellschaft, in welcher der Konsum ins Extreme gezogen wer-

Brot und Freunde, die die Welt zumindest für einen Tag wieder ins Reine bringen?»


54 SCHWEIZERREISE


SCHWEIZERREISE 55

Chur hatte Dani Mahrer, aber selten gute Fussballer In den beiden höchsten Schweizer Ligen fehlen einige grössere Schweizer Städte. ZWÖLF erzählt in «Schweizerreise», was dort zum Sprung nach vorne fehlt. Diesmal: Besuch an der Ringstrasse in Chur, wo man einst Pläne für einen «FC Graubünden» hegte. Text: Johannes Kaufmann Bilder: Angela Casutt.

C

hur, eine Stadt mit 35 000 Einwohnern, ist eine Eis-

ger erst in den Tiefen der Amateurligen in den Griff be-

hockeystadt. Obwohl der FC Chur bereits 1913 ge-

kamen. 1997 fusionierte der FC Chur mit dem FC Neu-

gründet wurde und somit gegenüber dem EHC einen

stadt und dem FC Grischuna zu Chur 97. Eine

Vorsprung von 20 Jahren aufwies, hinkten die Fussballer

Vorwärtsstrategie war dies nur beschränkt. «Wenn drei

den Eishockeyanern und auch dem Churer Skifahrer

Kranke sich vereinigen, entsteht dabei nicht zwingend

Dani Mahrer in Sachen Erfolg und Bedeutung stets hinter-

etwas Gesundes», kommentierte die nicht geringe An-

her. Daran änderte auch die kurze, wenig erbauliche

zahl lokaler Berufsspötter diesen Schritt.

Stippvisite des FC von 1987 bis 1993 in der NLB nichts. Seither spielt man in Chur wieder Amateurfussball.

Vom zweiten «FC Wallis» spricht keiner mehr

Architekt Arnold Mathis lotste in den 80er-Jahren zwar

Fussball ist in Chur eine unwichtige Nebensache geblie-

mit seinem dicken Geldbeutel einige grosse Namen in

ben. Zehn Jahre nach der Gründung von Chur 97 kämpft

die Provinz (Christian Kulik, Ladislav Jurkemik oder Man-

das von Hansruedi Fässler trainierte Aushängeschild des

fred Braschler), ein kollektives Fussball-Feuer konnte er

Bündner Fussballs gegen den Abstieg aus der 1. Liga.

dadurch in Chur aber nicht entfachen. Es fehlten dafür

Die «97er» tun dies vor 300 bis 400 Zuschauern mit einer

nahezu komplett die einheimischen Spieler. Defensiv-

nahezu ausschliesslich aus nichtbündnerischen Spielern

Haudegen Sigi Manetsch blieb zu NLB-Zeiten der einzig

bestehenden Equipe am Kleinstadion an der Ringstrasse.

konstante Wert einer zusammengekauften Mannschaft.

Fässler wird Ende Saison gehen müssen. Unter seinem

Die Bergregion produzierte zu keiner Zeit überragende

designiertem Nachfolger Beat Taxer (trainierte bislang

Fussballer. Die Liste der Bündner Fussballer, die in der

den «kleinen Nachbarn» aus Landquart) soll in Zukunft

höchsten Liga mehr als ein paar wenige Einsätze hatten,

zumindest die Hälfte des Spielerkaders aus einheimi-

ist sehr kurz: Nur Georg Aliesch, Paul Friberg, Ruedi Kägi

schen Spielern bestehen. Die politischen Entscheidungs-

und Peter Vonburg schafften den Durchbruch.

träger debattieren derweil über den immensen Rück-

Mathis’ Utopie des «FC Graubünden» wurde mit dem

stand der Stadt Chur im Bereich Sport-Infrastruktur. Nicht

NLB-Abstieg 1993 definitiv begraben. Die Vision gipfelte

bloss der Fussball kämpft um Anerkennung. Von einem

in einem veritablen Schuldenberg, den Mathis’ Nachfol-

zweiten «FC Wallis» spricht da erst recht niemand mehr.


56 LEIBERLTAUSCH

Klub-Transfer à la Austria Die Schweiz organisiert mit Österreich die Fussball-EM. Österreichischer Fussball? Da war doch mal was. Die Kollegen des österreichischen Fussballmagazins «Ballesterer» halten uns auf dem Laufenden, was jetzt ist. Diesmal: Pasching-Präsident Franz Grad hat vom Fussball genug und will die Lizenz seines FC Superfund nach Kärnten verkaufen. Text: Reinhard Krennhuber / Bild: Martin Parzer. der in der zweiten Liga vor sich hinsiechende FC Kärnten ab kommender Saison ein EM-Stadion (30’000 Plätze) zur Verfügung habe, sei es nur logisch, an einen Lizenzverkauf zu denken. Der Besitzer der international tätigen Transportfirma Transdanubia hatte schon zuvor Amtsmüdigkeit erkennen lassen. Spät war dem mürrischen Querkopf scheinbar die Sinnlosigkeit seines Projekts bewusst geworden. Der Vorstadtklub FC Superfund hat nur wenige Fans und eine bescheidene Infrastruktur. Daneben fehlt es vor Pasching-Präsident Franz Grad und Kärnten-Vorstand Mario Canori

V

allem an Identität, was Grad freilich bisher nicht gestört hatte. Im Gegenteil: 2003 verschacherte er den Vereins-

iele dachten, es handle sich um einen Scherz.

namen an die Investment-Gruppe Quadriga, die ihr Geld

Schliesslich war es der 1. April, als die Meldung die

in erster Linie mit umstrittenen Hedgefonds macht. Fort-

Runde machte, der FC Superfund oder vielmehr seine Li-

an führte erstmals ein österreichischer Bundesligist aus-

zenz solle vom oberösterreichischen 6000-Seelen-Dorf

schliesslich den Sponsor im Namen und im Wappen.

Pasching ins fast 300 Kilometer entfernte Klagenfurt nach

Auch im Ausradieren von Vereinen hat Grad bereits Er-

Kärnten abwandern. Doch schnell wurde klar, dass die

fahrung. Als Mäzen des FC Linz fusionierte er den blau-

zuletzt stark gebeutelte österreichische Liga um eine re-

weissen Traditionsverein 1997 mit dem Stadtrivalen

ale Posse reicher war. Pasching-Präsident Franz Grad,

LASK. Der «neue» Klub behielt sowohl die schwarz-weis-

unter dessen Ägide der Retortenverein von 1997 bis 2002

sen Farben als auch den Namen der Athletiker, die der-

von der 6. in die 1. Liga aufgestiegen war, bestätigte die

massen gedemütigten Fans des FC Linz sprangen ab und

Pläne und lieferte seine Sicht der Dinge gleich dazu.

gründeten den FC Blau-Weiss Linz, der heute in der drit-

Natürlich geht es dem 68-jährigen, stets mit schwarzer

ten Liga spielt. Grad, ein Jahr zuvor noch LASK-Mitglied,

Kappe auftretenden Spediteur ums Geld. Genauer gesagt

profitierte doppelt von dem Deal: Einerseits hatte er ei-

um jenes, das er und andere nicht mehr auszugeben be-

nen möglichen Konkurrenten für Pasching aus dem Weg

reit sind. Die Gemeinde drehe den Geldhahn zu, und

geschafft, andererseits legte er mit Spielern aus dem

überregionale Sponsoren seien auf Grund des de-

Nachwuchszentrum des aufgelösten FC Linz den Grund-

saströsen Images der heimischen Liga nicht daran inte-

stein für den raschen Aufstieg.

ressiert, in den Fußball zu investieren, lamentierte Grad.

Anderswo würde eine Figur wie Franz Grad wohl als

Die regionalen Firmen würde der de facto als Aufsteiger

Feind des Fussballs bezeichnet werden. Nicht so in Ös-

feststehende LASK aus dem nahen Linz an sich binden.

terreich. In den Augen der unkritischen Massenmedien

«Drei oberösterreichische Klubs sind in der Bundesliga

und einiger wichtiger Leute der Fussballszene soll er so-

nicht finanzierbar», lautet Grads Fazit mit Blick auf den

gar noch zu Höherem befördert werden: Sie sehen in ihm

LASK und die ebenfalls erstklassige SV Ried. Und weil

den idealen Bundesliga-Präsidenten.


CLEMENS HERBSTMEISTER 57

Briefe an den Kaiser Clemens Herbstmeister ist Fan von Borussia Mönchengladbach und durfte den Kaiser vor vielen Jahren in einer geliehenen Limousine vom Flughafen abholen. Herbstmeister hat seine deutsche Heimat am Tag des WM-Eröffnungspiels verlassen und lebt nun in der Schweiz. Seitdem hält er den Kaiser postalisch auf dem Laufenden. Lieber Franz Beckenbauer, ich habe Ihnen versprochen, Sie über die Neuigkeiten

Die Schweizer jubelten nicht etwa, weil sie Oliver Neuville

aus der Schweiz auf dem Laufenden zu halten, also tue

noch immer für einen der Ihren hielten, sondern weil

ich das. Ich weiss, ich bin damals einfach abgehauen,

die Schweizer uns insgeheim sehr, sehr lieb haben.

als Sie im Vollstress wegen des Turniers waren. Das

Gern tun sie das übrigens nicht. Viel lieber würden sie

tut mir sehr leid, aber das ganze Fahnen-am-Auto-

die Deutschen hassen – aber es gelingt einfach nicht.

Ding, dieser positive Patriotismus ging mir etwas auf

Das mit dem Hassen ist ja nicht so einfach. Sie wissen

den Geist. Ich zog lustigerweise an dem Tag in die

ja, wie schwierig das ist. Ich glaube, wir sind uns ei-

Schweiz, als ein grosses Stück vom Gotthard abfiel.

nig, dass Sie nicht mal Mayer-Vorfelder oder Peter

Was für ein mächtiges Zeichen!

Neururer richtig gehasst haben. Selbst Platini ist Ih-

Kaum ziehe ich in ein Land, schon beginnt es abzu-

nen irgendwie egal. Und den Schweizern fehlt das

bröckeln. Tunnel und Autobahn wurden gesperrt, und

Hass-Gen. Um so richtig zu hassen, muss man ja ganz

Richtung Bern entstand ein gigantischer Stau. Nicht

schön abgefahren drauf sein. Und das ist man eher in

nur, weil Tausende Autofahrer die westliche Alterna-

South Central oder in Berlin-Marzahn. Aber irgendwie

tivroute nach Italien suchten, sondern auch, weil im

nicht so sehr in Gümligen und Gstaad. Ich spreche von

Wankdorf eine eklige Monsters-of-irgendwas-Band

Street-Credibility, Herr Beckenbauer, Sie wissen schon.

einen Megaevent auf Kunstrasen zelebrierte. Das war

Die Schweizer sind übrigens voll des Lobes für die

gar nicht so idyllisch, wie ich es mir vorgestellt hatte.

WM, die Sie organisiert haben. Sie sind begeistert von

Ich erinnerte mich damals an den alten Satz von Oscar

der Riesenparty, den Fan-Meilen und den Public Vie-

Wilde, der besagt, dass man den Entwicklungsgrad

wings. Jetzt fühlen sie sich unter Druck gesetzt und fra-

einer Gesellschaft daran misst, wie gut das Reissver-

gen sich, ob sie das 2008 ähnlich gut hinkriegen. Ich

schlussverfahren funktioniert. Wenig später stand ich

mache ihnen dann Mut und sage, dass niemand allzu

im Grauholz und musste an Kofi Annan denken.

genau vergleichen wird und dass der Weltgemein-

Ein paar Tage danach schien die Aarbergergasse

schaft klar ist, dass ein Land wie Deutschland, das tra-

fest in polnischer Hand. Im Moléson zeigten grosse

ditionell nett zu Ausländern ist, so was einfach drauf-

Bildschirme ein Spiel aus Dortmund, und ich ver-

hat. Ich glaube, ohne mich jetzt anbiedern zu wollen,

suchte, möglichst wenig hochdeutsch zu klingen, was

Herr Beckenbauer, was der Schweiz fehlt, ist einer wie

mir ziemlich schlecht gelang. Ich war beim Dessert,

Sie. Und das wissen die Schweizer. Aber sie wissen

als geschah, was viele Deutsche im Nachhinein als ihr

eben auch, dass nicht jedes Phantasieland eine eigene

persönliches WM-Highlight bezeichnen sollten -

Lichtgestalt haben kann. Lustig ist übrigens, dass viele

Odonkor flankte und Neuville traf. Und für einen

Schweizer die Frage nach ihrer grössten Fussball-Per-

kurzen Moment erwischte ich zahlreiche Schweizer

sönlichkeit mit Ottmar Hitzfeld beantworten. Und

beim Jubeln. Das war ihnen natürlich wahnsinnig

selbst der leuchtete ja zuletzt etwas auf Sparflamme.

peinlich. Erst viel später wurde mir klar, dass diese

Mit besten Grüssen aus Bern

Szene viel mehr Bedeutung hatte, als ich damals ahnte.

Ihr Clemens Herbstmeister


58

Frauen, Fussball und Mannschaften «Wir können ihr Projekt leider nicht unterstützen. Unsere Strategie ist auf Ski, Tennis und Fussball ausgerichtet.» Solche und andere Absagen erhielt Marianne Meier bei der Geldsuche für ihr Projekt, ein Buch über Schweizer Fussball zu schreiben – über Schweizer Frauenfussball. Die Geschichte, wie dieses Buch trotzdem entstand. Text: Marianne Meier / Bild: zvg.

F

rauen und Fussball – das geht in manchen Köpfen im-

gen hatten, war motivierend. Über ein anscheinend un-

mer noch nicht zusammen. Du schreibst über Fuss-

gewöhnliches Thema zu schreiben ist die eine, dafür

ball? Und erst noch über Frauen? Solche Äusserungen

aber auch noch Geld zu kriegen, um den Text als Buch

begleiteten die Entstehung meiner Uni-Arbeit und dann

erschienen zu lassen, eine ganz andere Sache. Es begann

meines Buchs über die Pionierinnen des Schweizer Frau-

ein Spiessrutenlauf für Gelder und Sponsoren, um die Re-

enfussballs von Anfang an. Das Thema rief nur wenig Be-

cherchen als Hommage an diese «Winkelriedinnen» ei-

geisterung hervor. Der Titel «Zarte Füsschen am harten

ner breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Getra-

Leder» wurde an der Uni sogar als «floppig» abgetan.

gen von einer idealistisch angehauchten Naivität,

Anstoss für das Buch lieferte ein Amerikaaufenthalt:

übernahm ich eine persönliche Defizitgarantie und lernte

Am College in North Carolina wurde Fussball nur für

den rauen Wind des mir vorher unbekannten Fundrai-

Frauen angeboten. «Echte Männer» hingegen spielten

sings kennen.

American Football, Baseball oder Basketball. Fussball:

Namhafte Firmen verstrickten sich in ihren Absagen in

auf dem einen Kontinent typisch männlich, auf dem ande-

zum Teil amüsante Widersprüche: «Da unsere Sponso-

ren Erdteil überwiegend eine weibliche Aktivität. Wie

ringstrategie auf Ski, Tennis und Fussball ausgerichtet

kann das sein?

ist, sehr geehrte Frau Meier, können wir ihr Projekt leider nicht unterstützen.» Was ist denn Frauenfussball für

Spiessrutenlauf für Unterstützung

eine Sportart?

Per Zufall stiess ich im Frühjahr 2000 in einer Zeitung auf ein Bild jener Frauenequipe, welche die Schweiz 1970 in

Gibt es eine Frauenschwimmerin?

Italien an der ersten, noch inoffiziellen Frauenfussball-

Wenn der Ball einem Mann vor die Füsse fällt, handelt es

WM vertrat. Es war ein Aufruf, um nach 30 Jahren die er-

sich um einen Fussballer. Wenn derselbe Ball von einer

ste Zusammenkunft organisieren zu können. Umgehend

Frau getreten wird, haben wir es mit einer Fussballerin

meldete ich mich bei der Inserentin und wurde zu diesem

zu tun. Eigentlich banal – doch auch im 21. Jahrhundert

Treffen eingeladen. Die Begegnung mit den Frauen, wel-

keineswegs selbstverständlich. Begriffe wie «Frauen-

che damals eine Bresche in eine Männerbastion geschla-

fussballerin» sind an der Tagesordnung und werden


59

kaum hinterfragt. Bei geschlechtsneutraleren Sportarten

im Publikum. 80 Stühle standen bereit –die sich schliess-

würden dieselben Sprachmuster hingegen störend wir-

lich gut 130 Anwesende teilen mussten.

ken. Wer würde schon von Frauenschwimmerinnen oder Frauentennisspielerinnen reden?

Das Buch zog die Aufmerksamkeit der Medien auf sich. In einem Interview im «Facts» machte mich der Journalist

Zurück zur Finanzmittelbeschaffung: Inhalte meiner

auf einen Widerspruch aufmerksam: «Sie können doch

Arbeit wurden etwa von der FIFA für Publikationen ver-

nicht über Frauenfussball schreiben und die Bezeich-

wendet und als gehaltvoll eingestuft – aber mit keinem

nung ’Mannschaft’ verwenden!» Doch, das geht. Wäh-

Rappen entgolten. Sollte ich mich mit der Rechtsabtei-

rend bei den Begriffen «Ski-Nationalmannschaft» oder

lung des Weltfussballverbands anlegen? Ich liess es blei-

«Volleyball- Mannschaft» keine Klarheit über das Ge-

ben und konzentrierte mich weiterhin auf Briefe, Telefo-

schlecht der Gruppe besteht, meint «Fussballmannschaft» männliche Akteure. Weniger wegen des Begriffs «Mannschaft» als wegen des Worts «Fussball». Trotz klarer sprachgeschichtlicher Herkunft kommt dem Mannschaftsbegriff heute noch ein neutraler Charakter zu. Er steht als geschlechtsneutrales Synonym für ein Sport treibendes Kollektiv. «Team» wird «Mannschaft» jedoch längerfristig den Rang ablaufen.

Jonglieren mit Absatzstiefeln Autorin Marianne Meier bei einer Buchpräsentation / Bild zvg

Weiblichkeit und Fussball wird nach wie vor als unvereinbar empfunden. So war der etwa 40-jährige Fotograf

nate und Vorträge.

der «Freiburger Nachrichten» völlig erstaunt, dass ich

Nach mehreren Monaten begannen meine Bemühungen

nicht im Trainingsanzug zum Fototermin erschien, son-

zu fruchten. Für jede Summe, die auf mein Konto über-

dern in Mantel, Schal und Bluse. Zudem traute er seinen

wiesen wurde, benötigte ich allerdings mindestens eine

Augen kaum, als er meine lilafarbenen Fingernägel ent-

Person als Türöffnerin oder Vermittler. So gelangte ich

deckte. Er liess mich den Ball in den Händen haltend po-

auch an Sepp Blatter, der mein Vorhaben prüfte und in-

sieren, und anschliessend mit meinen Absatzstiefeln jon-

nert Tagen grosszügige Unterstützung zusagte. Es war

glieren.

wohlgemerkt der fünfte formelle Anlauf bei der FIFA.

Als ich meine Schlussarbeit im Sommer 2002 einreichte, waren beim Schweizer Fussballverband knapp

Das plötzliche Interesse

8‘000 Fussballerinnen registriert. Aktuel sind es bereits

Allen Hürden zum Trotz erschien das Buch mit dem Titel

über 16’000 Mädchen und Frauen – eine Verdoppelung in

«Zarte Füsschen am harten Leder» im Dezember 2004 im

fünf Jahren. Kickt die heranwachsende Mädchengenera-

Huber-Verlag. Zur Vernissage am SFV-Hauptsitz fanden

tion weiter mit dieser Unbekümmertheit, werden die Vor-

sich im April 2005 Sportlerinnen wie Kathrin Lehmann

behalte gegen den Frauenfussball in zwanzig Jahren

(Nationaltorhüterin) und Béatrice von Siebenthal (Natio-

möglicherweise ebenso antiquiert anmuten, wie uns heu-

naltrainerin), die damalige Berner Regierungsrätin Eli-

te das spät zugestandene Frauenstimmrecht erscheint.

sabeth Zölch sowie auch Köbi Kuhn ein. Bei der Buchlan-

Das Buch «Zarte Füsschen am harten Leder... » von

cierung «eines solchen Themas», so fürchtete der Verlag

Marianne Meier ist im Huber Verlag in Frauenfeld

anfänglich, würden mehr Leute auf dem Podium sitzen als

erschienen.


60 DIE ANDERE LIGA

Klassenkampf auf grünem Rasen In der Schweiz gab und gibt es nicht nur die NLA und die Super League. ZWÖLF stellt jedes Mal eine «andere Liga» vor. Diesmal: Satus – die Arbeiterliga. Text: Christian Koller. Bild: zvg.

E

in Fussballverein mit Namen Grasshoppers Basel –

1922 gab es auch eine Landesauswahl, die an den Arbei-

ein Feindbild aus den schlimmsten Albträumen

terolympiaden 1925, 1931 und 1937 sowie an der EM der

eines Fans des FC Zürich? Weit gefehlt: So nannte sich ein

Arbeiterfussballer 1932/34 teilnahm. Vor Beginn der Ar-

Verein, der sich dreimal mit dem Titel eines Schweizer

beiter–Länderspiele wurde keine Nationalhymne gespie-

Meisters schmücken konnte. Trotzdem stellte er für den

lt und gesungen, sondern die «Internationale».

Zürcher Stadtklub nie eine Konkurrenz dar, spielte er

In den 1930er-Jahren steckte der Arbeiterfussball in ei-

doch im Championnat des Schweizerischen Arbeiter-,

ner Krise. 1929/30 schloss der Satus mehr als die Hälfte

Turn- und Sportverbandes (Satus) und hatte es dabei mit

der Vereine aus. Die Begründung: Die Vereine seien von

Gegnern wie Horburg Basel oder Aussersihl Zürich zu

der kommunistischen Partei unterwandert. Als Folge gab

tun. Die Arbeiterfussballer trugen seit 1921/22 eine eige-

es bis 1936 zwei getrennte Meisterschaften. In der Eu-

ne Meisterschaft aus. Kontakte zum Schweizerischen

phorie über die Zerschlagung der Arbeiterbewegung in

Fussballverband waren zunächst streng verboten.

Nazi-Deutschland strichen die eidgenössischen Räte

Der Satus verstand sich als Teil der Arbeiterbewegung,

nach einer Hetzkampagne rechtsbürgerlicher Kreise

ebenso wie die Sozialdemokratische Partei und die Ge-

dem Satus 1933 die Subventionen. Nach den faschisti-

werkschaften. Arbeitersport sollte, so schrieb das Satus-

schen Machtergreifungen in Deutschland und Österreich

Verbandsorgan 1928, «nicht Sport als individueller Kon-

wurde der internationale Spielbetrieb zudem immer stär-

kurrenzkampf mit Ruhm und Preis für den Rekord-

ker eingeengt, und der Zweite Weltkrieg brachte die Ak-

menschen, nicht Sport zum Gaudium und Nervenkitzel

tivitäten fast vollständig zum Erliegen. Im Zeichen des

eines sensationslüsternen Publikums und am allerwe-

nationalen Schulterschlusses kam es 1942 aber auch erst-

nigsten Sport als Geschäft» sein. Die Ziele waren höher

mals zu einem Vergleich mit dem «bürgerlichen» Fuss-

gesteckt: Arbeitersport sollte die «seelische und körper-

ballverband: Das Spiel der beiden Basler Stadtauswahlen

liche Schulung und Vorbereitung der Menschen, die die

endete für den Satus mit einer 1:9–Niederlage. Nach

neue Gesellschaft zu bilden haben» fördern. Die Punkte-

Kriegsende ging es zunächst aufwärts mit dem Arbeiter-

wertung in den Mannschaftssportarten kritisierte der Sa-

fussball. 1944/45 wurde erstmals ein Satus-Cup ausge-

tus als Relikt kapitalistischen Geistes. Allerdings: Zu ei-

tragen; 1948 erfolgte gar die Gründung einer Landesliga.

ner anderen, eigenen und sozialistischen Lösung kam es

Diese gab es aber nur bis 1957. Das Scheitern dieser Liga

nie. Die Fussballmeisterschaft wurde in Regionalgrup-

war ein Symptom des einsetzenden Niederganges. Durch

pen mit anschliessenden Finalspielen ausgetragen. Ab

den rasanten wirtschaftlichen Aufschwung schwächten sich die Klassengegensätze scheinbar ab und weltanschauliche Sportverbände erschienen immer mehr als verstaubte Institutionen. Ab 1967 beteiligten sich Satus-Vereine am Amateurspielbetrieb des Schweizerischen Fussball-Verbands. Der Arbeiterfussball wurde immer stärker zu einem Reservat von Gastarbeitervereinen. 1969 stellten diese mit Bella Italia Zürich zum ersten Mal den Meister. In den 80er und 90er Jahren schliefen die Satus–Meisterschaften in etlichen Regionen ein. Heute existieren sie nur noch in

Vereinigte Sportfreunde Basel: Meister und Statur-Cupsieger ‘47.

der Romandie und in Basel.


DER COACH 61

«Köbi hat es nicht leicht» Fans sind die besten Trainer. Deshalb machen sie bei uns die Aufstellung. ZWÖLF befragt in jeder Ausgabe einen Fan eines Super-League-Vereins, wie er die Schweizer Nationalmannschaft zusammenstellen würde. Ob parteiisch, unvernünftig oder subjektiv – bei uns wird jede und jeder zum Köbi für ein Spiel. Diesmal: YB-Fan Christoph.

Tranquillo Barnetta (Leverkusen) Leichtfüssig, dribbelstark und schnell – auf Barnettas Qualitäten kann die Schweizer Nati nicht verzichten.

Alex Frei (Dortmund)

Ludovic Magnin (Stuttgart)

Hakan Yakin (YB)

Der Aggressiv-Leader ist gesetzt. Die Stürmer leben auch von seinen Flankenbällen.

Mario Eggimann (Karlsruhe)

Marco Wölfli (YB)

Ich verstehe nicht, wieso der Nati-Coach den Karlsruhe-Captain einfach ignoriert. Schau ihn dir mal an, Köbi – ein Trip nach Karlsruhe ist keine Weltreise.

Wölfli ist zwar noch kein Buffon, aber im Vergleich mit den Schweizer Torhütern durchaus eine Variante für die Nati.

Bei YB spielt er ja solid. Doch auf internationalem Niveau fehlt ihm die Spritzigkeit. Daran muss das Fussballgenie hart arbeiten.

Philippe Senderos (Arsenal) Keine Frage, das ist unser Abwehrchef während den nächsten zehn Jahren.

Ein eiskalter Vollstrecker. Da bleibt mir die Spucke weg.

Johann Vogel (Betis Sevilla) Ich hätte im defensiven Mittelfeld auf Dzemaili gesetzt. Doch nach dessen schwerer Knieverletzung kommt Kuhn nicht um Vogel herum. Flieg nach Spanien und hol ihn zurück, Köbi!

Blaise N’Kufo (Twente Enschede) Spring endlich über deinen Schatten, Köbi! Im Fussball zählen Tore, nicht alte Geschichten.

Valon Berahmi (Lazio Rom) Wieso glaubt Kuhn, das sei ein Verteidiger? Er schaut wohl keine Serie A, wo Berahmi im Lazio-Mittelfeld für Wirbel sorgt.

Philipp Degen (Dortmund) In meiner Sympathie-Elf würde der Provokateur fehlen. Aber wer sonst sollte hinten rechts stürmen?

zittert», sagt Christof. «Mittlerweile ist Wölfli ein sicherer Rückhalt für YB geworden.» Ein Rückhalt, den sich Christof auch für die Nati wünscht. «Denn bei Länderspielen stockt mir nach wie vor bei jedem Rückpass zum Goalie beinahe der Atem.» Im Winter, wenn der Fussball ruht, kurvt Christof mit dem Snowboard durch den Tiefschnee. Er hält wenig von Skiliften und Gondelbahnen. Viel lieber erklimmt er die Berge mit Schneeschuhen. Auch sonst bewegt er sich lie«Köbi Kuhn hat es nicht leicht, sagt der 28-jährige YB-Fan

ber unkonventionell: Als sich YB 2003 erstmals seit zehn

Christof. Dem Nationaltrainer würden zwar fünf bis sechs

Jahren wieder für den Europacup qualifizierte, reiste

gleichwertige Torhüter zur Auswahl stehen. «Doch keiner

Christof per Autostopp ans Auswärtsspiel nach Finnland.

davon ragt heraus.» Deshalb würde Christof in der Nationalmannschaft auf YB-Goalie Marco Wölfli setzen, den

Christof wurde am Spiel YB - Aarau vom 14. April in

er seit Jahren an fast jedem YB-Spiel beobachtet. «Früher

Bern von Tobias Habegger befragt. Christof tippte ein

habe ich bei Freistössen und Eckbällen regelmässig ge-

2:0 für YB. Das Spiel endete 1:1.


62 ZWÖLF WAR DABEI

Petric als Pausenfüller Passiert im Fussball etwas Wichtiges, ist die Öffentlichkeit oft ausgeschlossen. ZWÖLF war dafür an Anlässen dabei, die gar nie stattgefunden haben. Und berichtet, wie es hätte sein können. Diesmal: An der Vereinsfeier bei GC. Text: Felix Reich

W

eihnachtsfeier bei GC. ZWÖLF war dabei. Die

knie und Limmatstadt hat sich der Neobasler einen ganz

Spieler lauschen artig der Rede des Präsidenten

besonderen Trick ausgedacht: Petric zieht die Schals der

Walter Brunner. Nur wenige erinnern sich noch lebhaft

Erzrivalen durch den brennenden Ring, um sie anschlies-

an die legendäre Feier, an welcher der italienische Kurz-

send magisch zu verschmelzen. Der Trick gelingt zwar

zeitballfänger Marco Ambrosio quatschte, statt dem en-

tadellos, doch das Goldfüsschen verbrennt sich die Fin-

gagierten Magier bei seinen Zaubertricken zuzuschauen.

ger. Alle Spieler beissen sich auf die Lippen, um sich ein

Brunner geriet derart in Rage, dass Ambrosio wutent-

Lachen zu verkneifen.

brannt den Saal verliess. Seine Kollegen folgten ihm. Es

Der gestrenge Blick Brunners wacht über ihnen. Nur

brauchte viel Überredungskunst, um sie zur Rückkehr zu

einer, der schon den ganzen Abend gelangweilt Torten-

bewegen. Ambrosio ging trotzdem. Ein solcher Eklat soll

stück um Tortenstück im Bauch verschwinden liess, prus-

diesmal vermieden werden.

tet laut heraus: Toni Ailton fühlt sich zum ersten Mal unter-

Kim Jaggy, der den Aufruhr damals miterlebte, wurde

halten und lacht sein unwiderstehliches Lachen. Anders

schon vorher von Trainer Krassimir Balakov beauftragt,

als auf dem Fussballplatz zieht der selbst ernannte Stür-

seine Kumpels über die Anstandsvorstellungen des Prä-

merstar seine Kollegen mit. Auch sie lachen. Kalle Riedle

sidenten aufzuklären und für Ruhe zu sorgen. Die Fuss-

kühlt Petrics verbrannte Finger. Brunner platzt der Kra-

baller sitzen denn auch da wie fromme Lämmchen, ob-

gen. Aber dummerweise geht seine Tirade im Gelächter

wohl die meisten kein Wort verstehen, wenn Brunner den

der Spieler unter. Der Präsident verlässt den Ort des Ge-

wahren Zusammenhalt und die Lehre des Lohnverzichts

schehens.

predigt. «Nach der Moral das Vergnügen» ist auch dies-

Einen Tag später gibt er seinen Rücktritt bekannt. Fehle

mal sein Motto. Brunner hat sich etwas Spezielles ausge-

es einer Mannschaft an Respekt und Anstand, könne sie

dacht, um seine Angestellten zu unterhalten. Seiner Liebe

nicht erfolgreich sein. Zudem hat er die Rückendeckung

zur Magie ist er treu geblieben und hat deshalb den zu

Balakovs verloren, der öffentlich zugibt, das mit Petric als

Basel abgewanderten Stürmerstar und Zauberlehrling

Pausenfüller sei wohl keine so gute Idee gewesen. Der

Mladen Petric verpflichtet.

FC Basel wittert ein Attentat und erstattet Anzeige wegen

Den kennen ein paar GC-Spieler noch von der viel zu

Körperverletzung gegen unbekannt. Ailton, der Brun-

lange zurückliegenden Meisterfeier, als dieser mit dem

ners Rücktritt auf dem Kerbholz hat, ist sich keiner Schuld

mittlerweile via Winterthur zu YF Juventus strafversetzten

bewusst. Im Exklusivinterview mit Zwölf gibt er zu Proto-

Festbruder Pascal Castillo öffentlich einen Basel-Schal

koll: «Petric mit Halstuch machen super Trick. Zauber

verbrannte. Als Zeichen der Versöhnung zwischen Rhein-

machen mir immer sehr lustig.»


MATCHBALLSPENDER 63

Dejan Stankovic im Einsatz für die Schweizer Sand-Fussballer. Der frühere Winterthur-Spieler wurde an der Beachsoccer-EM im spanischen Tarragona mit sechs Treffern Torschützenkönig. Das Schweizer Nationteam beendete die EM auf Platz 4. / Bild: Dave Joss.

Merci an... O

hne den finanziellen, logistischen oder ideellen

mann, Basel; Veronika Voney, Inwil; Urs Joss, Basel; Ste-

Einsatz der folgenden Personen, Firmen und Insti-

phanie Disler, Bern; Carlo Dosch, Zürich; Christian

tutionen wäre unser Magazin nicht möglich geworden.

Imesch, Liebefeld; Daniel Vögeli, Bern; Marcel Sieber, Zürich; Carlo Casty, Zürich; Michael Schmid, Bern; Nadi-

Wir bedanken uns beim

ne Sauter, Zürich; Hans Imesch, Könziz; Marc Leuteneg-

Lotteriefonds Basel-Land-

ger, Winterthur; Reto Flury, Zürich; Michael Scholz, Win-

schaft für die grosszügige Unterstützung.

terthur; Reto Wäckerli, Winterthur; Marc Dosch, Zürich; Mirko Oberholzer, Erlenbach; Silvia Bollhalder, Basel;

Unser erster Abonnent: Hanspeter Latour, Uetendorf

Ralf Sonderegger, Rüti; Saro Pepe, Zürich; Pascal Unternahrer, Zürich; David Haberthür, Bern.

Folgende Personen haben uns mit einem grosszügigen Gönnerbeitrag unterstützt und uns sozusagen den Match-

Für die Hilfe bei der Suche nach Fotos: Sportmuseum

ball gespendet. Unser herzlicher Dank geht an:

Schweiz, Basel

Urs Grischott, Andeer; Jens Röcken, Liebefeld; Dr. An-

Für Ratschläge und Tipps in der Startphase: Philipp Kö-

drea von Rechenberg, Chur; Orlando Spadini, Igis; Chas-

ster, 11 Freunde, Berlin; Wolfram Esser, In der Pratsch,

per Sarott, Zürich; Anton Casutt, Chur; Angela Casutt,

Aachen.

Chur; Christian Durisch, Chur; Adrian Staub, St. Moritz; Klaus Röcken, Schliern bei Köniz; Thomas Maechler,

Dank für das zur Verfügungstellen von Sitzungsräumen:

Basel; Michel Fischer, Frauenfeld; Nico Pfäffli, Wohlen;

Restaurant Casa d’Italia, Bühlstrasse 57, Bern; Ristorante

Peter Bezak, Basel; Rudolf und Margrit Brändle-Lende-

Cooperativo, Strassburgstrasse 5, Zürich


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