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November / Dezember 2011
DER MODERNE VEREIN
Kaenzig / sportchef / patrons / archiv-kultur / gc & Canepa plus: rama & Lustrinelli / Schweizer Bosman / trainer playstation
Rubrik
25 Ligen auf einen Klick. Mit dem League Information Widget sind FuĂ&#x;ballfans ab sofort auf einen Klick up to date. Und zwar mit Tabellen, Matches und weiterfĂźhrenden Statistiken zu 25 nationalen Ligen. Bereit? Jetzt kostenlos auf free-bwin.com
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ZWÖLF
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och immer und gewiss für immer wird das vorliegende Druckerzeugnis als Hobby von anständig anderweitig Arbeitenden gerfertigt. Weil dem so ist und das so bleiben wird, sind unsere Produktionszeiten bisweilen eigentümliche – in aller Regel werkeln wir an unseren «Fussball-Geschichten aus der Schweiz» an Feierabend. Das heisst freilich auch: ZWÖLF schläft nie, wir sind immer da, zu jeder Zeit, twenty-four/seven. Und schläft doch mal einer, dann ist für Stellvertretung gesorgt. Dieses Credo lebt auch unser neu verpflichteter Autor Martin Bieri, der mit der Aufgabe betraut ist, zu unserem Titelthema den grossen Brocken mit Ilja Kaenzig beizusteuern. Keine Kaenzig-Story ohne knackige Calmund-O-Töne, denkt er sich und ruft den einstigen Lehrmeister des heutigen YB-CEO an. Calmund ist jedoch nicht zu erreichen. Nicht sofort jedenfalls. Bieri lässt es also bleiben und geht zu Bett. Um halb eins dann klingelt das Telefon. Der Journalist hat einen tiefen Schlaf, seine Liebste weniger. Sie steht auf, mit dem Schlimmsten rechnend, und hebt ab. Er: «Hier Calmund, Sie haben mich angerufen.» Sie: «Nein, habe ich nicht. Keine Ahnung, wer Sie sind.» Er: «Sie haben mich angerufen.» Sie: «Nein, habe ich nicht.» Er: «Das ist eine Schweizer Nummer, das ist eine Schweizer Nummer!» Sie: «Ich weiss, dass das eine Schweizer Nummer ist. Wissen Sie denn, wie spät es ist?» Er: «Halb eins. Sie haben mich angerufen.» Sie: «Habe ich nicht.» Und so weiter. Bis Calmund den richtigen Gedanken hat: «Hat Ihr Mann etwas mit Fussball zu tun?» Hat er. Das Gespräch findet dann am nächsten Morgen statt. Und Calmund hat sich entschuldigt. Keine Mühe gescheut hat auch der ebenfalls neu engagierte Autor Fabian Ruch, der seinen Beitrag zum Titelthema in Wales verfasste – zum Glück vor Anpfiff dieses Scheissspiels und also nur angespannt, noch nicht aber frustriert. Grund zu Frust hat auch unser Auslandtransfer aus Rumänien – sofern er denn Fan des inzwischen investorlosen und konkursiten Ex-Champions-League-Teilnehmers und potenziellen Xamax-Vorboten Unirea Urziceni war. Mit ihm waren vor allem die Lohnverhandlungen knifflig. Unser Standardhonorar von 150 Franken war ihm nämlich zu wenig. Seine unverschämte Forderung: Er wolle noch ein Heft dazu! Nicht alle sind so gierig. Unsere beiden Starkolumnisten Beni und Balzli etwa pausieren diesmal sogar. In die Bresche für die zwei vom Leutschenbach springen zwei minder unbekannte Namen: ZWÖLF-Comebacker Pascal Claude und Ancillo Canepa, den wir gebeten haben, die Laudatio auf das 125 Jahre junge GC zu verfassen. Nun denn. Jetzt wollen wir Euch nicht länger mit launigen Anekdoten aufhalten. Wir hoffen, Ihr goutiert unsere neusten Anstrengungen, und wünschen Euch viel Spass bei der Lektüre. Euer ZWÖLF-Team PS: Diese Ausgabe widmen wir Ladina, unserer neusten und jüngsten Abonnentin.
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Planet Constantin: Der Walliser Sonnenkönig im O-Ton
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Wie gesagt, äh…: Fussballer reden
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Circus Tschagajew: Grosse Töne vom Xamax-Tschetschenen
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Auswärtsfahrt: WM-Stadion-Eröffnung in Russlands Zweiter Liga
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Grüsse aus der Challenge League: Todessaison in Winterthur
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Der Cartoon: Das Geheimnis des Christian Gross
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Das Fundstück: «kicker»-Sonderausgabe zum Schweizer Fussball
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Die Single: Rund im Letzigrund
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Die Liste: Wo GC schon überall das grosse Geld gewittert hat
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Klassenfahrt: Auf Reisen mit dem FCB
16 DER MODERNE VEREIN 18 Ilja Kaenzig Der romantische Realist im Reich der zerbrochenen Träume 26 Der Sportchef In Spitzenligen eine Institution, in der Schweiz ein Auslaufmodell 28 Die Patrons Ehrentafel der Kluboberhäupter alter Schule 30 125 Jahre GC Ancillo Canepa huldigt dem Rekordmeister 32 Archivkultur Der teils bedenkliche Umgang der Klubs mit ihrer Geschichte 38 Der Fan-Arbeiter informiert Thomas Gander über die Profiteure der Ausschreitungen
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40 Unirea Urziceni Nix mehr los ohne Investoren-Moos bei Rumäniens Ex-Meister
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44 Trainer Playstation: Wie die Stars ihre Avatare kopieren 46 Milaim Rama und Mauro Lustrinelli über das Thuner Wunder 52 FC Thun: Warum die Bodenständigkeit gefällt 54 Groundhopper: Pascal Claude trifft vier Getriebene 56
Generation U: Die Jagd auf die Talente
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Schweizerreise: Münstertaler Freizeitkicker im Südtirol
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Schwarzes Brett: Die Welt der Stadien und die grössten Spiele zwischen Buchdeckeln
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NLA-Legende: Kobra Ilie züngelt in Zürich an der Weltklasse
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Weisch no: Nati-Spieler Perroud – der Schweizer Bosman aus den Siebzigern
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Mämä erklärt: Zerreissprobe im Stadion
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Smalltalk und Impressum ZWÖLF goes interactive Herausreissen war gestern. Mit dem kostenlosen Paperboy App von kooaba lassen sich Artikel jetzt aus ZWÖLF direkt übers iPhone oder Android-Handy anschauen, teilen und weiterempfehlen.
Planet Constantin «Es gibt ein Recht für dich und mich – und eines für die Fussballverbände.» Wir zählen nach: Also drei? Christian Constantin über Recht und Unrecht der vereinigten Gerichte dieses Planeten.
«Was machen, wenn die UEFA sich nicht an richterliche Anweisungen hält?» Ja was wohl? Klagen, dänk! CC, überleg doch, könntest du auch mal machen!
«Die Richter sind von den Fussballverbänden ernannt. Das System entspricht nicht den Regeln der Rechtsprechung und der Ethik. Deshalb ist ein Zivilgericht besser in der Lage, vernünftige Urteile zu fällen.» Nicht nur deshalb, bleibt anzufügen. Auch weil sie mitunter die für den FC Sion vorteilhafteren Urteile fällen. CC im «Sportpanorama».
«Meine einzige persönliche Befriedigung ist der Sieg gegen GC, denn da geht es um den Sport.» Der UEFA-Boss im Knast würde ihn also kaltlassen. CC auf die Frage, ob ihn die polizeiliche Vorladung von Platini und Infantino mehr befriedige als der Sieg auf dem Rasen.
«Ich bin ein Unschuldsengel.» Solange dies nicht richterlich bestätigt ist, glauben wir überhaupt nichts mehr. CC im «Sportpanorama».
«Voilà.» CC zu einer Justizbeamtin des Waadtländer Kantonsgerichts, der er durch ein Fenster hindurch ein Autogramm von sich selber gab.
«Diesen Jamaikaner mit den langen Rastahaaren.» Im Tor? Als Trainer? Rechts aussen? Als Richter? CC auf die Frage, welche Musik er als Jugendlicher hörte.
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wie gesagt, äh . . . «Ich musste diese einmalige Gelegenheit wahrnehmen» und «Ich kann noch einmal einen ganz grossen Schritt machen»: Solch dramatisch-pathetische Worte spricht man eben, wenn man auf dem Gipfel seiner Transferträume angelangt ist und wie Hakan Yakin... soeben bei Bellinzona unterschrieben hat. «Hakan hat mir versprochen, dass er nächsten Sommer fliessend Italienisch spricht.» Unabhängige Beobachter versichern: Als er dies sagte, wusste Bellinzona-Presidente Gabriele Giulini offenbar, dass Yakin der Jüngere heute überhaupt kein Italienisch spricht.
Jedem die Sprache, die er zu verstehen scheint. «Bulat: Spielzeuge für Erwachsene findest du im Sex-Shop»: Transparent von YB-Fans im Spiel gegen Xamax. Wo im Raum Wankdorf der nächste Sex-Shop ist, entzieht sich unserer Kenntnis. Christian Gross scheint es dort so oder so zu gefallen. Auf die Frage, wo es sich besser lebe, ob in Zürich, Basel oder Bern, antwortete Gross: «Eindeutig Bern. Die ganze Atmosphäre um das Stade de Suisse herum ist inspirierend.» Ob er damit die flirrende Autobahnausfahrt, das knisternde Etwas rund um den Beton-Zweckbau der Wirtschaftsmittelschule oder den romantischen Sonnenuntergang hinter dem Strassenverkehrsamt ansprach: Wir wissen es schlicht nicht.
Apropos nicht Wissen: Das tut wie Tausende andere auch YB-CEO Ilja Kaenzig, wenn es um den Umgang mit Fan-Chaoten geht. Aber er verpackt es trotzdem in Worte. Phrase 1: «Vieles ist eine Frage der Mittel und der Gesetzgebung.» Phrase 2: «So etwas wie im Letzigrund darf niemals passieren.» Phrase 3: «Da ist bei der Sicherheit wohl nicht so gut aufgepasst worden.» Aufpassen muss auch GC. Und zwar, dass man nicht immer missverstanden wird beim (jetzt werfen auch wir mal was ein ins Phrasenschwein) Rekordmeister. So hatte Vereins-CEO Marcel Meier vor der Saison klar gesagt, wie er sich GC wünsche: offensiv, dominant, magisch. Auf kritische Nachfrage der «NZZ am Sonntag» erklärte er nun: «In den Nachwuchsteams spielen wir auch so.» Und doppelte später für die erste Mannschaft sprechend nach: «Ansätze kann man täglich im Training beobachten.»
Diese Entwicklung scheint Resultat der Motivationskünste von Ciri Sforza zu sein. «Da düemmer alli öis kremple uf», erklärte er in der MorgenShow von Radio Energy Zürich. Dabei hätte man bei GC nur auf den Grössten aller grossen Ex-Sportchefs hören müssen. «Bei meinem Abgang vor zwei Jahren habe ich dem damaligen Präsidenten Berbig gesagt, dass sie Sforza an der kurzen Leine führen müssen, sonst werde es in einem Fiasko enden. Berbig war anderer Meinung. Leider habe ich recht bekommen!» Hinterher... ach lassen wir das. Erich Vogel im «SonntagsBlick».
Aber auch das ist nur die halbe Wahrheit hinter der GC-Krise. Die ganze kennt Newsnetz-Kommentarschreiber K.A.: «Seit Jahren sind hier externe Kräfte am Werk, die aus Neid GC zerschlagen wollen. Nur so viel: Die links-grüne Regierung ist angetreten, GC den Garaus zu machen. Nicht weil den Kapitalismusüberwindern der GC-Fussball nicht gefällt. Dahinter steckt Parteipolitik: Der ehemalige FDP-/Bankenklub muss fertiggemacht werden, das erzählen zahlreiche Genossen gerne, wenn sie einige Rotweingläser zu viel intus haben.» Ob die Welt schon reif ist für diese traurige Wahrheit? Wir wollen nicht traurig aufhören, deshalb zum Schluss zwei Kalauer: Zuerst der «Blick» nach dem Remis gegen Manchester: «Frei hoch zwei! Alex und Fabian Basel total high!»
Und dann noch dies: Der österreichische Schiedsrichter, der die beiden FCZ-Spieler Alphonse und Margairaz vom Platz stellte, tat dem bereits in der Kritik stehenden Christian Gross einen grossen Gefallen. Allerdings weniger mit seinem Namen, für den Gross nun überhaupt keine Verwendung hat: Der Schiri heisst... Harkam.
Circus TSCHAgajew «Seit dem ersten Tag fühle ich mich als Neuenburger. Aber niemand versteht mich.» Und das soll, so hält sich in Neuenburg ja hartnäckig das Gerücht, wirklich nicht nur am mangelnden Französisch von Bulat Tschagajew liegen.
«In der Schweiz, in Russland, in Dubai oder etwa in Hongkong. Einfach überall, wo ich Büros habe.» Tschagajew auf die Frage, wo er Steuern zahle.
«Für kleine Fehler wollte ich mich öffentlich entschuldigen, in einem Interview auf TSR. Aber der Beitrag wurde nie gezeigt. Man sagte mir, dass die Info nicht neu sei. Aber wie kann ein Beitrag zu alt sein, in dem ich sage, wie sehr ich die Neuenburger liebe?» Zu alt wirklich nicht. Aber vielleicht fast zu pathetisch?
«In unserer Kultur teilt man.» Macht, Geld und den Traum vom Champions-League-Sieg? Tschagajew mit Blick auf den Tisch während des Mittagslunchs beim Interviewtermin mit «Le Monde».
Mein Vorgänger, Monsieur Bernasconi, hat Babybells gesehen und hat dann Babybells gekauft. Aber er hat nie geschaut, was eigentlich drin ist.» Käse? Beim Blick auf die roten Dinger beim Lunch fand Tschagajew endlich die richtige Metapher, um all die Fehler zu erklären, die vor ihm passierten. Denn Tschagajew weiss:
«Auch wenn es nur 300 Zuschauer gewesen wären: Ich kann den Neuenburgern nicht die Liebe zu Xamax stehlen.» Auch wenn es plötzlich nur noch zwei wären: Er brächte es einfach nicht übers Herz. Denn er liebt die Fans:
«Von mir aus können sie bis zum Ende der Meisterschaft daheimbleiben» Tschagajew zum Heimspiel-Boykott von Xamax-Fans.
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Die Auswärtsfahrt
FK URAL - FK Khimki 5:2 1. Division, 19.8.2011 Zentralstadion Ekaterinburg, 25 500 Zuschauer
Ras, dwa, tri – fertig!
Man mag es kaum glauben: Erst Ende 2010 gab die FIFA bekannt, dass die Fussball-WM in sieben Jahren in Russland stattfinden wird, und schon jetzt ist das erste WM-Stadion fertig. In Ekaterinburg, gern auch geschrieben im Kolonialstil als Jekaterinburg, wurde es beim Heimspiel der Zweitligisten FK URAL gegen den FK Khimki eröffnet. Fallschirmspringer, Luftballons, sonniges Wetter, ausgelassene Zuschauer und ein (fast) glücklicher Bürgermeister gaben sich ein Stelldichein bei der Eröffnungsfeier. Getoppt wurde die Veranstaltung jedoch von knapp über 700 Soldaten eines Militärblasorchesters, die auf dem Rasen gemeinsam die FIFAHymne spielten. Wie ging die gleich noch mal? Hmm, hm, hm, hmmm. Egal, kennt ja eh keiner. Aber die Sache bescherte zumindest einen Eintrag ins «Guinness-Buch der Rekorde», und so wurde wieder ganz nebenbei bewiesen: Bier und Fussball gehören unzertrennlich zusammen! Tja, fragt sich jetzt der Fussballinteressierte: Gibt es denn auch Wodka in russischen Stadien? Unmissverständlich klare Antwort: Nein, gibt es nicht und wird es auch nie geben. Und im ganzen Stadion ist absolutes Rauchverbot! Nur sieben Monate Bauzeit benötigte man
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Text & Bilder: Stefan Semken
in Ekaterinburg für das Stadion, und es ist das Pilotprojekt der russischen WM 2018. Moskau hatte vorgeschlagen, dass man doch als Anti-Korruptions-Massnahme testweise ein Stadion in Windeseile bauen solle. Jetzt ist eine Kommission aus hohen Funktionären mit der Auswertung beschäftigt, und vor Ort wird befürchtet, dass das Jahre dauern könnte. Zurück zum Stadion: Fast 27 000 Zuschauern bietet es heute Platz, und der belesene internationale Fussballfan weiss sofort: Das reicht nicht! Richtig, und so muss im Jahr der WM noch aufgestockt werden – man munkelt, dass voraussichtlich die Kurven erweitert werden. Danach würde das Stadion 41 000 Zuschauern Platz bieten. Und dann spürte man etwas im Stadion, das nicht real war. Jeder Besucher hatte es in sich, und es war hochgradig infektiös: Das WM-Fieber war in Ekaterinburg angekommen! Im Gesicht eines jeden Zuschauers konnte man ein kleines Lächeln sehen, und man fühlte, dass die Ekaterinburger stolz auf das Erreichte sind. Nun wollen sie mehr und warten ungeduldig auf die Welt. Ach ja, der FK URAL gewann in einem fulminanten Zweitligaspiel 5:2 gegen Khimki – aber das war eigentlich nur Nebensache.
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07.10.11 08:31
grüsse aus der challenge League
Das Elend der Welt Zugegeben, es ist eine kleine Welt, die Challenge League. Trotzdem wird kaum ein treuer Besucher der Liga tauschen wollen mit einer Saisonkarte aus der Super League. Wo man sich Fahnen klaut und Pyros wirft, um auf die Titelseiten sämtlicher Zeitungen zu kommen, die Überforderung der Sicherheitsdienste zu demonstrieren und Fussballfreunde pauschal zu diskreditieren. Die Super League ist eine weitgehend spassfreie Zone geworden, während sich die Challenge League ohne Humor und ausgeprägte Frustrationstoleranz gar nicht ertragen liesse. Jedenfalls nicht in Winterthur. Das Gute zuerst: Wir sind ein seriöser Verein in geordneten finanziellen Verhältnissen und einem originellen Stammpublikum von etwa 2000 Personen. Der Rest ist Elend. Dass unsere Mannschaft am Ende der Tabelle steht und zu Hause noch keinen einzigen Punkt gewonnen hat, wäre noch erträglich. Der Abstiegskampf garantiert Stimmung und Spannung, im Gegensatz zum ambitionslosen Rumgekicke im Mittelfeld der übergrossen Challenge League. Aber damit ist
Der Cartoon
Von: Konrad Beck, Christian Wipfli
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Text: Dominik Siegmann
es ja bald vorbei, nach dieser sogenannten Todessaison mit sechs Absteigern. Wir befinden uns im prämortalen Zustand, und es besteht keinerlei Hoffnung. Und das nicht, weil der Abstieg in die 1. Liga so tragisch wäre. Fahren wir halt nach Baden statt Wohlen, empfangen wieder Gossau statt Vaduz. Solange wir problemlos drei Minuten vor Anpfiff ins Stadion kommen und den Rundlauf WC-Wurst-Bierhahn in fünf Minuten absolvieren... Schliesslich haben wir seit zweieinhalb Jahren einen Trainer und Sportchef in Personalunion, von dem wir nach der ersten halben Saison vermuten mussten, dass er keinen Blumenstrauss gewinnen würde. Der vorherige Trainer/Sportchef durfte vier Jahre ohne sehenswerte Entwicklung üben. Er ist seither übrigens Geschäftsführer beim GC, der auch keinen Sportchef mehr hat (ein Schelm, wer Böses denkt). Mitleid mit den Grasshüpfern haben wir trotzdem nicht, teilen wir mit ihnen doch auch unseren Berater ohne Funktion, Alain Sutter. Der sorgt dafür, dass GC jedes unserer einigermassen vielversprechenden Talente unter Vertrag nimmt – trotz der kommunizierten
Zusammenarbeit im Nachwuchs mit dem FCZ seit diesem Frühling. Mittlerweile spielen jedenfalls mehr Junge mit Winterthurer Vergangenheit als aus dem Millionen-Campus in Niederhasli unter Kollege Sforza. Ob der Rat, mit einem komplett erfolglosen Trainer/Sportchef mitten in einer komplett erfolglosen Saison den auslaufenden Vertrag zu verlängern, auch von der personifizierten Fussballkompetenz Sutter kam, muss leider offenbleiben. Unser Präsi ist dazu ein echter Ehrenmann: Offenbar erwartet er vom Trainer/Sportchef, dass er zurücktritt, wenn die Lage hoffnungslos ist. Vielleicht ist ihm auch eingefallen, dass er in diesem Fall auf dem Arbeitsamt noch ein paar Monate Sperrfrist hat, im Falle der branchenüblichen Entlassung hingegen die branchenübliche Abfindung kassiert. Merke: Trainer und Sportchef in Personalunion ist immer schlecht, weil der sich so unersetzlich macht und nicht mal mehr einen Chef hat, der ihn entlassen kann. So ein Elend. Das Schweizer Sportfernsehen überträgt jeweils die Montags-Partien der Challenge League live ab 20 Uhr. Die nächsten Partien: 24.10. Vaduz - Wohlen, 31.10. Bellinzona Aarau, 7.11. Delémont - Wil
Das Fundstück
Die Single
«kicker»-Jubiläumsheft zum SFV
Text: Gregory Germond www.sportantiquariat.ch
Liebe Freunde des raren Sportstücks
Dieses wunderschöne Cover, das den «kicker» aus dem Jahre 1926 ziert und auf das 30-Jahr-Jubiläum des damaligen Schweizerischen Fussball- & Athletik-Verbands hinweist, ist aus heutiger Sicht sicher erstaunlich. Nicht allzu oft hat der Schweizer Fussball die Frontseite des altehrwürdigen «kickers» gestellt. Wieso es aber damals selbstverständlich war, hat verschiedene Gründe. Der Gründer Walter Bensemann weilte um 1890 als Jungspund in Montreux in einem englischen Internat, wo er das Fussballspielen lernte. Später auf seinen Wanderjahren als Fussballprophet und Vereinsgründer machte er dann manche Freundschaft mit den Helvetiern. Und bei der Gründung des «kickers» 1920 war schliesslich einer der Financiers ein gewisser Albert Mayer aus Montreux. Er war Mitglied der Technischen Kommission des SFVA und auch Mitglied des IOC. Der «kicker» verstand sich als Organ für den süddeutschen Fussballraum. Praktisch jede Region Deutschlands hatte damals eine Fussball- und Sportzeitung! Nun aber zum Heft selbst: Dort dominieren Mannschaftsfotos und Porträts von Verbandsoberen den Bildteil. Erstaunlich häufig ist der FCZ präsent, und sogar alle Teamfotos der drei Schweizer-Meister-Equipen des FC Winterthur (1905/06, 1907/08 und 1916/17) füllen eine Seite! Auch eine RugbyMannschaft des Knabeninstituts La Sillig aus Vevey fand ihren Platz. Zahlreiches Bildmaterial hatte ich so noch nie gesehen! Ein spannender Beitrag zur Verbandsgeschichte wurde im Textteil von Arnold Wehrle, sicher der führende Chronist des Schweizer Fussballs damals und Gründer der heute noch existierenden Sportinformation (si), verfasst. Dort steht etwa, dass vom fünfköpfigen Gründungskomitee des SFV vier Engländer waren. Eine absolute Rarität das Heft, logo!
Dä Ball isch rund im Letzigrund Sexofrigolator/Viernull, Eigenproduktion 2005 Aus der Sammlung von Pascal Claude Allein der Umstand, dass im Jahr 2005 in der Schweiz noch eine Vinyl-Single mit Ballbezug produziert wurde, macht diese Schallplatte zur Preziose. Nicht mehr als recht, dass mit Christophe Badoux ein Meister der Fussballillustration für die Umschlaggestaltung gewonnen werden konnte. «Dä Ball isch rund … » wird von Viernull in einer Rock- und von Sexofrigolator in einer Elektroversion dargeboten, wobei vor allem Letztere in ihrer Mischung aus Saalschutz und dem frühen Stephan Eicher viel Freude bereitet. Mit etwas Glück noch im Plattenladen zu finden. Diese und die früheren «Singles» zum Anhören auf www.zwoelf.ch
Die Tabelle Rang
Anzahl
1. 2.
BSC Young Boys Lausanne-Sport
13 11
3.
FC Luzern
10
4.
FC Thun
10
5.
FC Basel
9
6.
Grasshopper-Club Zürich
9
8.
FC Sion
8
9. 10.
Servette Genf FC Zürich
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ZWÖLF präsentiert den Tabellenstand der Super League. Diesmal: Spieler im Kader, die auch schon für einen anderen Klub in der Super League aufgelaufen sind. Die grössten «Resteverwerter» sind die Berner Young Boys, während man sich beim FCZ überhaupt nicht für Gebrauchtwaren interessiert.
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Rubrik
Die Liste
Seid umschlungen, ihr Millionen! dieses Finanzprodukt hin «schon seit geraumer Zeit Das Geld liegt nicht dürfte für niemanden gewesen sein. fast wertlos» gewesen. auf der Strasse. Und schon gar nicht dort, GC und die Aktien GC und die Amis In nur zehn Tagen seien die Das Aktiending war beileibe wo GC es vermutet. 175 000 Inhaberaktien weg nicht die einzige Vision des
GC und die Bank
Das, was GC zusammen mit der Swissfirst-Bank Ende 2004 plante, ist nicht unkompliziert. Und deshalb die entsprechende Meldung auf der GCHomepage vom 2. Oktober 2004 gleich im Wortlaut: «Die Swissfirst-Bank hat ein Finanzprodukt mit dem Namen TasiNote zur Zeichnung aufgelegt. Dieses wurde speziell für GC geschnürt und beinhaltet eine Beteiligung am sportlichen Erfolg des Grasshopper-Club. Die potenziellen Kunden investieren nicht in den Klub, sondern in ein klassisches Portefeuille von Anlagen. GC erhält eine kleine Erfolgsbeteiligung. Die Londoner Barclays Bank garantiert dafür, dass ein Kunde, der in diesen sogenannten Basket investiert, am Ende der zehnjährigen Laufzeit mindestens seinen Einsatz zurückerhält. Ziel des Managers der Anlage, der Theta Finanzberatung und Porfolio AG, ist es, eine Rendite von etwa 5,5 Prozent netto pro Jahr zu erwirtschaften.» Eine Beteiligung am sportlichen Erfolg? Nun ja, allzu einträglich
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gewesen, frohlockte der hoch ambitionierte Romano Spadaro («Erfolg ist jetzt planbar») im April 1997 in der «SonntagsZeitung». Beflügelt von diesen Zahlen, träumte Spadaro schon mal vom Börsengang: «Insgesamt bringt uns das 20 Millionen Franken ein.» Mitte Dezember wurde die GC-Aktie dann tatsächlich gehandelt: zu einem Emissionspreis von 47 Franken und durchaus zur Freude hiesiger Finanzexperten, wie «Das Magazin» berichtete. Vom «beträchtlichen Kurspotenzial», das die ZKB dem Titel bescheinigte, war indes nur ganz am Anfang etwas zu sehen. Und schon knapp dreieinhalb Jahre später war GC kein börsennotierter Verein mehr – man wollte sich offenbar die schärferen gesetzlichen Rechnungslegungspflichten ersparen, die just beschlossen worden waren. Freilich war das
Papier laut dem damaligen Präsidenten Peter Widmer ohne-
risikofreudigen Romano Spadaro. Um die Abhängigkeit von seinem vereinsinternen Kontrahenten Werner Spross zu mindern und seine eigene Position zu stärken, suchte der sizilianischstämmige Präsident dauernd nach Investoren. 1998 glaubte er einen solchen in der amerikanischen Anschutz-Gruppe gefunden zu haben. Der Kontakt war laut dem «Magazin» von einem «Blick»-Journi angeregt und vom ehemaligen Eishockeyspieler Doug Honegger hergestellt worden. Ein paar zusätzliche Rappen waren ja auch bitter nötig, wollte der Präses seine vollmundigen Worte in die Tat umsetzen: «Wir wollen und müssen auf der internationalen Ebene wieder eine Rolle spielen.» Die Dollarmillionen vor Augen, lehnte er sich im «Tagi» jedenfalls schon mal ganz weit aus dem Fenster: «Ich will unter die 32 besten Klubs Europas, und um das zu schaffen, muss ich das Budget erhöhen können. Von 15 auf 40 Millionen Franken.» Sein kurz darauf per «Putsch» inthronisierter Nachfolger Peter Widmer erklärte den Verein
gegenüber den Amerikanern «zu deren Enttäuschung»
(«Blick») dann aber für unverkäuflich und unterbreitete ihnen das Angebot, als Minderheitsaktionäre einzusteigen. Laut Werner Spross freilich war die Anschutz-Gruppe «stets weit weg».
GC und der Gärtner
Die Liaison von GC mit Werner Spross, dem «Gärtner der Nation», war bekanntlich lange Zeit eine blühende und fruchtbare. Das Ende hingegen war äusserst unschön. Mit achtzehn Millionen Franken stand der Klub laut Berechnungen der «NZZ am Sonntag» im Jahr 1999 in der Kreide. Mindestens fünf davon wollte Spadaro-Nachfolger Peter Widmer laut Spross gerne geschenkt bekommen. In seinem Buch «Mein Weg nach ganz oben» erinnert sich die langjährige «GC-Hausbank» an ein reichlich unmoralisches Angebot Widmers: «Als ihm endlich aufging, dass ich auch den letzten Franken wiederhaben wollte, sagte er etwas vom Schlimms-
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ten, was ich in meinem Leben je gehört habe: ‹Wenn Sie auf die fünf Millionen nicht verzichten, lasse ich GC morgen konkurs laufen, gründe eine neue Aktiengesellschaft, und Sie sehen von Ihren Millionen gar nichts mehr.›»
GC und die Scheichs
«Erich Vogel verhandelt mit Investoren. Von einem Tag auf den anderen kann alles wieder positiver aussehen», liess Präsident Roger Berbig die NZZ am 2. Mai 2009 wissen, als eigentlich alle, aber wirklich alle inklusive ihm selbst («Wir sind hereingerasselt», so Berbig gleichentags im «Tagi») schon wussten, dass die 300 Millionen Franken von Volker Eckel und seinem ominösen arabischen Halbbruder eher nicht auf dem GC-Konto landen würden. Die ganze Posse muss jetzt hier nicht nochmals aufgerollt werden – sie ist ja noch in schlechtester Erinnerung. Schön bizarr ist freilich, was der «Blick» am 9. November 2010 meldete: Laut den «Rottweiler Nachrichten» sei Volker Eckel Vater einer Tochter geworden – und dies nur ein Jahr nachdem er bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Behauptet hatte Letzteres damals seine Privatsekretärin, und ebendiese Sekretärin schwängerte und heiratete Eckel dann nach seiner Auferstehung.
GC und die Russen
«20 Millionen futsch!», titelte der «Blick» im November 2009. Durch die Lappen gegangen war GC laut Recherchen des Boulevardblatts ein rundes Jahr davor ein veritabler Mega-Transfer. 12 Millionen Euro (bei einem Wechselkurs von 1,62) bot der Zenit-St.Petersburg-Besitzer Gazprom offenbar für Raúl Bobadilla. Viel, viel Geld also, aber trotz-
dem kein Grund für die damalige GC-Führungstroika mit Roger Berbig, Heinz Spross und Erich Vogel, den Spieler auch tatsächlich abzugeben. Die durchaus noble Begründung von Heinz Spross gegenüber dem «Blick»: «Gazprom ist kein Spielervermittler. Wir konnten doch Bobadilla nicht zumuten, ihn zu verkaufen, ohne zu wissen, wo er dann landen würde. Dann wären wir wirklich Menschenhändler gewesen.» Ein Jahr später gab man den Argentinier für 5,6 Millionen Franken an Borussia Mönchengladbach ab.
GC und der Discount
Im Prinzip hätte die Liaison von GC mit Denner-Chef Philippe Gaydoul prima gepasst – war der Klub im Juni 2009 doch schon längst auf dem Weg von der Nobel- zur Billigmarke. Gaydoul, mit dem schon vier Jahre lang ergebnislose Gespräche geführt
Einstieg verhindert hätten. Nicht schuld sei freilich seine Frau gewesen, auch wenn sie «begeistert war, dass ich es nicht mache». Vielmehr dürfte der Unwille von Heinz Spross, sich elf Millionen Franken Altlasten ans Bein zu streichen, Gaydouls Investition im «zweistelligen Millionenbereich» verhindert haben.
GC und der Tycoon
Eine wirklich witzige Anekdote in Sachen Investorensuche erzählte das Magazin «Facts» passenderweise am 1. April 1999. So sollen unzulänglich informierte GC-Verantwortliche bei Mitarbeitern des Medientycoons Rupert Murdoch vorstellig geworden sein mit dem Argument, der Grasshopper-Club sei schliesslich von englischen Studenten gegründet worden, und da böte sich ein Engagement Murdochs doch wohl an. Dumm nur, ist Murdoch nicht Engländer, sondern Australier.
GC und die Pharma
worden seien, solle die Demission Erich Vogels als Bedingung für ein Engagement gestellt haben, wusste die «NZZ am Sonntag». Doch obwohl der Sportchef dann tatsächlich zurücktrat, wurde es auch mit dem Präsidenten des Schweizer Eishockeyverbands nichts. Laut Zentralpräsident Andres Iten war das Problem «vielleicht, dass bei GC unterschwellig der Verdacht da war, es gehe Gaydoul nicht um das Wohl von GC, sondern um kommerzielle Interessen», wie er in der «Aargauer Zeitung» erklärte. Gaydoul selbst sprach im «Tagi» von «weichen Faktoren», die seinen
mit dem «Tagi» beantwortet er die Frage, ob der Platz Zürich auch in Zukunft noch zwei Vereine ertrage, mit einem «entschiedenen Nein». Die ganze Sache sah Brunner denkbar unromantisch: «Wir haben auch im VR darüber geredet. Wenn man die Budgetsituation ansieht: GC hat jetzt 10 Millionen, der FCZ hat 10 Millionen,
In derselben Ausgabe berichtete das «Facts» von der «Betteltour» des damaligen «GCBusiness-Consultants» Erich Zogg. Der ehemalige «Blick»Journalist sei bei Bayer Leverkusen mit der «abstrusen Idee» angetanzt, der Bundesligist des deutschen Pharmamultis solle doch bei GC als Premiumsponsor einsteigen – und zwar, um den Schweizer Konkurrenten Novartis zu ärgern. Ein BayerVerantwortlicher liess sich im «Facts» dazu wie folgt zitieren: «Der machte seinen Klub kleiner, als er schon ist.»
GC und der FCZ
Im Januar 2005 geht es GC mal wieder ganz schlecht. Für den damaligen Präsidenten Walter Brunner ist klar: «Eine Fusion ist unausweichlich.» Im Interview
das gibt 20 Millionen, aber wir könnten doch mit nur noch einer Mannschaft 30 Prozent der Kosten sparen.» So einfach ist das. Und deshalb kam und kommt die Idee auch immer wieder hoch. Einst wiederholte Male zu Werner Spross’ Zeiten, der bereits mit Edi Naegeli darüber gesprochen haben wollte und sich auch Ende der Neunziger wieder für ein Zusammengehen von GC und FCZ aussprach. Und zuletzt gerade eben anlässlich des Derbys der Zürcher Krisenklubs in Form eines «Vorschlags» von René C. Jäggi in der «SonntagsZeitung». Abgeschmettert wurde die Fusionsidee übrigens gleichentags im «SonntagsBlick» von Erich Vogel.
GC und die Ösis
Als «Idee aus der Not» bezeichnete die «SonntagsZeitung» das, was sich GC-Präsident Peter Widmer gemeinsam mit seinem FCB-Amtskollegen Werner Edelmann im Herbst 2002 ausdachte: Weil 700 000 Einwohner pro NLA-Klub «schlicht zu wenig» seien, schlug man ein Zusammengehen mit der österreichischen Liga vor. Immerhin: Die (Schnaps-)Idee sei in Österreich «sehr positiv» aufgenommen worden.
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Katalonienreise 1916: Mitten im Ersten Weltkrieg reist der FC Basel nach Katalonien und gewinnt Freundschaftsspiele gegen den FC Barcelona (3:1) und gegen den FC Tarrasa (Bild, 4:3).
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Dänemarkreise 1946: Als «Prämie» für den Wiederaufstieg in die Nationalliga A darf der FCB mit diesem Car auf eine Dänemarkreise.
Heute: Mit dem FC Basel. Fussballer sind viel unterwegs. Wir zeigen auf diesen Seiten fortan Juwelen aus den Reisefotoalben der Schweizer Vereine. (Bilder: FCB-Archiv)
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Weltreise 1964: Die Clubleitung des FC Basel vor der Abreise. Gebucht hatte eigentlich der FCZ, nach dessen Absage sprang der FCB ein und spielt u.a. in Hongkong, Malaysia, Australien, Tahiti und den USA. (Foto: R. Schneiter-Bolliger)
Trainingslager 1978 auf den FranzĂśsischen Antillen. Aktive Erholung mit Sport. Maissen unter dem Sonnenschirm, Tanner und Gaisser in den LiegestĂźhlen.
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Der moder Rubrik
Keiner in der Schweiz verkörpert den modernen Fussball wie Ilja Kaenzig. Bei uns gibt sich der YB-CEO realistisch und romantisch zugleich, wenn er erklärt, was das viele Geld mit den Klubs macht. Was dort der Sportchef tut, erörtern wir selbst. Dazu werfen wir einen Blick in die Vergangenheit: auf die Ehrentafel mit den grossen Patrons und in die oft armseligen Archive der
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rne Verein Rubrik
Schweizer Klubs. Stolz auf fr체her darf GC sein. Wir haben Ancillo Canepa das Wort gegeben, um seine Erlebnisse mit dem 125-j채hrigen Rekordmeister zu er채hlen. Und schliesslich heben wir den Zeigefinger Richtung Neuenburg, indem wir das Ende des vom Investor verlassenen rum채nischen Ex-Meisters Urziceni schildern.
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Ilja Kaenzig
Ilja Kaenzig
Im Reich der zerbrochenen Träume Text: Martin Bieri / Bilder: Frank Blaser
«Niemand hier will den Fussball verkaufen», sagt Ilja Kaenzig, CEO von YB. Aber: Man müsse das Rattenrennen eben mitmachen, obwohl er unglücklich darüber sei. Ein Mann mit vielen Gesichtern und wenig Prinzipien. Kenner sagen: Er ist genau der Richtige für seinen Job.
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lja Kaenzig trägt feinen Zwirn. Der Kunstrasen, auf dem der Chef des BSC Young Boys steht, ist schäbig. Der Teppich sieht aus wie ein steifer Flokati. Er hat einen graugrünen Ton, von dem man nicht mit Sicherheit sagen kann, ob er wirklich eine Farbe ist. Kunststoffgranulat durchsetzt den Belag, da und dort imitieren braune Häufchen Maulwurfhügel. Beim Verlassen des Feldes möchte man sich am liebsten die Schuhe putzen, und man versteht, dass Kaenzig die Matte loswerden will. Sie rauszureissen käme teuer, einfach einen Rollrasen darüberzulegen, könnte billiger sein, rechnet er vor und gerät etwas ausser Atem. Der Mann, der Bern auf Trab hält, kommt aus dem Tritt. Es ist nicht die Last der Millionen, die ihn drückt, die Treppen im Stade de Suisse sind steil. Geradeso steil schien einst Kaenzigs Karriere zu verlaufen. Die Geschichte seines Werdegangs ist der Traum jedes nur halb begabten Fussballers, der trotzdem glaubt, nicht ohne das Spiel leben zu können. Als 22-jähriger Student
schaffte Kaenzig den Sprung mitten in den damals besten Klub des Landes, zu GC. Dann zu Bayer Leverkusen, dann zu Hannover 96. Er war noch keine 30 und bereits Manager in der Bundesliga: ein Märchen. Aber weil Märchen nicht wahr sind, ist es auch diese Geschichte vom Wunderkind auf der Treppe zum Fussballhimmel nicht. Ilja Kaenzigs Laufbahn ist keine Reise ins Licht. Es gibt Widersprüche darin und Rückschritte. Seine Agentur Boutique Football, die Investoren und Fussballklubs zusammenbringen sollte, scheiterte. Mit 35 arbeitete das Wunderkind für den «Blick». Ilja Kaenzigs Geschichte ist auch die Geschichte von dem, was der Fussball im Wesentlichen ist: ein Reich der zerbrochenen Träume. Was einem dort zum Überleben nützt, sind viele Gesichter. Kaenzigs delikate Position Seit Anfang August 2010 trägt Ilja Kaenzig dasjenige des sogenannten Delegierten des Verwaltungsrats der Sport &
Event Holding AG. In der Holding sind die BSC Young Boys Betriebs AG und die Stade de Suisse Nationalstadion AG zusammengefasst. Im Verwaltungsrat der Holding sitzen Benno Oertig und die Gebrüder Rihs. Andy und Hans-Ueli Rihs sind mit Hunderten Millionen am Hörgerätehersteller Sonova beteiligt, der Verwaltungsratspräsident Oertig hat sein Geld in der Inkassofirma Intrum Justitia gemacht. Kaenzigs Position ist aus strukturellen Gründen delikat. Sie liegt genau dort, wo Chance und Risiko des Unternehmenskonstrukts zusammenkommen. Oertig und die Gebrüder Rihs sind nämlich auch Aktionäre der Nationalstadion AG und damit des Stadions. Für den finanziellen Erfolg des Stadions sind die Resultate des sportlichen Betriebs wichtig. Beide Bereiche unterstehen Kaenzig. Über ihm stehen nur die Geldgeber. Die haben klargemacht, wohin die Reise gehen soll. Oertig, der als Präsident den Verwaltungsrat nach aussen vertritt, sprach nach der Anstellung Kaenzigs von Fünfjahresplänen. Nach Aufbau und Konsolidierung müsse nun eine Phase des sportlichen Erfolgs kommen, sagte Oertig und wollte sich Bayern München zum Vorbild nehmen. Diese Parolen waren für viele Aussenstehende Gerede, manchen kamen sie wie Ausreden vor: Kaenzigs Vorgänger Stefan Niedermaier und Oertig sollen sich einen Machtkampf geliefert haben. Später kamen Zweifel an Niedermaiers paternalistischer Betriebsführung und Skepsis wegen seiner Nähe zum Spielervermittler Jean-Bernard Beytrison auf. Vergangenheit hin oder her, Kaenzig ist zum Erfolg verdammt. Auf den ersten Blick sieht man das dem Mann nicht an.
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Ilja Kaenzig Er wirkt standfest und selbstsicher. Der erste Blick, den er einem zuwirft, ist ein prüfender. Dann ist Kaenzig höflich, ja gewinnend, scheint offen zu kommunizieren, verbreitet keine Hektik. Stimmlage und Wortwahl sind konziliant. Konflikte, glaubt man, sucht, wer so spricht, nicht. Das bedeutet nicht, dass so einer nicht handelt. Im Gegenteil: Letzten Sommer engagierte Kaenzig Christian Gross. Der kultivierte Fussball, den YB unter Vladimir Petkovic gespielt hatte, führte nur zu zweiten Plätzen. Kaenzig hatte noch lange nach seinem Amtsantritt versichert, er glaube an Petkovic. Dass er in diesem Glauben nicht besonders standfest sein würde, konnte man ahnen, wenn man früher Kaenzigs Kolumnen im «Blick am Abend» gelesen hatte. Dort hatte er gegen Petkovic argumentiert, dafür aber das Wirken der Verwaltungsräte, die ihn später einstellen sollten, gelobt. Diese wiederum hatten ebenfalls schon früh ihre Wertschätzung für Christian Gross durchblicken lassen. Männer, die sich für erfolgreich halten, lassen sich von erfolgreichen Männern beeindrucken. So kam die Verpflichtung von Christian Gross letztlich nur im Hinblick auf die tatsächlichen finanziellen Möglichkeiten der Berner überraschend. «Niemand ist schuld» Die Ironie dabei: Als Gross noch mit dem FC Basel im Stade de Suisse gastierte, wünschte er den Kunstrasen immer gern zum Teufel. Darum eilte es besonders: Der Teppich musste raus. Oder eben: Ein anderer musste drüber – wie es nun zum Rückrundenstart geschieht. YB suchte im Grunde die Lösung für ein selbst gemachtes Problem, wie der Stadtpräsident Alexander Tschäppät neulich richtig bemerkte. Der Kunstrasen war nicht nur verlegt worden, um das Stadion eventtauglich zu machen, sondern damit dort auch trainiert werden konnte. Der Komplex des alten Wankdorfstadions umfasste zwei Trainingsplätze. Doch die wurden überbaut. Die Mantelnutzung schrieb an dieser Stelle ein Schulgebäude vor, die Immobilie «Fussballstadion»
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muss rentieren. Und so fehlen YB jetzt Trainingsgelegenheiten, weil in der Stadt Fussballfelder rar sind. Der Klub steckt mitten in den Widersprüchen des modernen Sportbusiness, in dem er doch so gerne eine grosse Rolle spielen möchte. Das unternehmerische Konstrukt, das man in Bern zu diesem Zweck gebaut hat, mag für den Mann auf der Position Kaenzigs voller Gefahren sein, andernorts aber wird YB um seine Struktur beneidet. Die Verbindung von Sport und Stadion gilt als gute Lösung, um den Herausforderungen des Geschäfts gewachsen zu sein, weil beide Bereiche dieselben übergeordneten Interessen verfolgen. Allerdings gerät die Holding immer wieder in Verdacht, diese Interessen seien nicht primär die von YB, sondern jene der Investoren. Kaenzig kann das nicht verstehen: «Man hört immer wieder, die Investoren seien schuld an der Kommerzialisierung. Aber das stimmt nicht. Ich bin auch nicht schuld daran. Niemand ist schuld, niemand hier will den Fussball verkaufen. Aber die Frage ist, ob man mit den Wölfen heult oder nicht. Der finanzielle Druck ist einfach immer grösser geworden.» Damit ist der Kern des Gesprächs erreicht: Wie funktionieren Fussballvereine heute? Sind sie Unternehmen geworden und vor allem: Von wem werden sie geführt? Von Menschen wie Ilja Kaenzig. Kaenzig sagt oft Sätze wie die gerade zitierten. Sie klingen, als sei er Akteur und Zuschauer zugleich. Er berichtet kenntnisreich aus der Innenperspektive und bringt doch sein Erstaunen darüber zum Ausdruck, dass die Dinge so laufen, wie sie eben laufen. Als sei er nicht daran beteiligt. Man hat den Eindruck eines intelligenten Mannes und eines Opportunisten. Im Fall von Kaenzig stellt sich die Frage, ob das nicht tatsächlich dasselbe ist. «Unglaubliches Fachwissen» Der österreichische Spielerberater Hubert Peterschelka kennt Kaenzig nach eigenen Angaben schon seit 20 Jahren. Geschäftlich hatten die beiden beim Wechsel von Emanuel Pogatetz zu
Bayer Leverkusen miteinander zu tun. Der Agent beschreibt den Manager als einen «Fussballfanatiker» mit «unglaublichem Fachwissen» und hat den Eindruck, Kaenzig sei am richtigen Ort gelandet, «in einer fussballbegeisterten Stadt mit Niveau und einem gewissen Stil». So ein stilvoll Begeisterter sei Kaenzig selbst auch, daneben fleissig und verhandlungsschlau. «Ilja ist mit allen Wassern gewaschen. Dem macht keiner was vor», sagt Peterschelka. Insofern verkörpert Kaenzig die zwei Seiten des Geschäfts: Er ist Realist und Romantiker. Und wie jeder Romantiker hat er eine nostalgische Ader. «Früher hat die Arbeit in gewisser Weise mehr Spass gemacht», sagt Kaenzig. Denn früher «hat man die Wirkung des eigenen Handelns direkt gesehen. Heute spielen viel zu viele Faktoren mit rein. Es ist unmöglich, abzuschätzen, was welche Folgen hat und was warum geschieht.» Man ist zu gut informiert und weiss doch zu wenig. «Wenn ich lese, dass man in England dabei ist, jeden Spieler mathematisch zu erfassen, um seinen sportlichen und finanziellen Wert berechnen zu können – mit solchen Dingen haben wir uns früher nie befasst.» «Vielleicht bin ich schon zu alt» Kaenzig meint Dinge wie den Player Qualitiy Index, mit dem sich die mutmassliche Qualität eines Spielers messen lassen soll. Unter Berücksichtigung diverser Parameter wie Alter, Erfahrung oder Länderspieleinsätze drückt der Index die Wahrscheinlichkeit aus, dass ein Spieler an einem Tor beteiligt ist. Solche Berechnungen basieren auf technischen Voraussetzungen, «die Schweizer Klubs in zehn Jahren noch nicht haben werden», wie Kaenzig sagt. Er spricht von fest installierten Kamera- und Computersystemen, die in der Lage sind, einen Spieler in jeder Sekunde seines Einsatzes aus verschiedenen Perspektiven einzufangen, sein Verhalten zu berechnen und in statistische Aussagen zu übersetzen. Die Firma Opta, die mit so einem System arbeitet, nennt ihr Tun das «Finden der Schönheit im Detail». Ilja Kaenzig
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Ilja Kaenzig ist blind für diese Schönheit. Es ist ihm nicht geheuer, dass unterdessen schon Finanzmathematiker beigezogen werden, um den Fussball durchschaubarer zu machen. Am Tag, an dem er das erzählt, wird in London Kweku Adoboli verhaftet. Der junge Börsenhändler soll illegal spekuliert und der UBS einen Verlust von 2,3 Milliarden Dollar beigebracht haben. Auch ein zerbrochener Traum. «Früher gab es so etwas nicht. Vielleicht bin ich schon zu alt für diese Entwicklung», sagt Kaenzig, ganz Nostalgiker. Früher, was waren denn das für Zeiten, früher? Noch in den 90er-Jahren wurden die Spieler in manchen Schweizer Vereinen im Hinterzimmer des Präsidentenbüros bar ausbezahlt. Wer bis dahin nicht erraten hatte, wo sein Platz in der Fussballwelt war, dem wurde es jetzt klar. Manche Umschläge waren dick wie ein Buch, in anderen hörte man das Münz klingeln. Damals trat Kaenzig in den Grasshopper-Club ein. Erich Vogel, der damalige Manager von GC, ist noch heute stolz auf seine Entdeckung. «Ich habe schon immer eine Nase für das wahre Talent der Leute gehabt», sagt Vogel. Fredy Bickel zum Beispiel sei zuerst als Buchhalter angestellt worden. Dass das nichts werden würde, war Vogel nach einer halben Woche klar. So auch bei Kaenzig: «Er bot mir Spieler aus Russland an, zu denen er über die Beziehungen seiner Mutter Kontakt hatte. Russen hatten damals aber einen schlechten Ruf in Europa. Ich interessierte mich überhaupt nicht für seine Spieler. Ich interessierte mich für ihn.» Ein so sorgfältiges, detailreiches Dossier wie jenes des damaligen BWL-Studenten Kaenzig sei selten gewesen: «Er wusste alles über die Spieler, er kannte sogar ihren Lohn.» Also stellte Vogel Kaenzig ein. «Den hat fast der Schlag getroffen, als ich ihn angerufen habe», sagt Vogel. «Vieles geschieht aus Zufall» Das GC der 90er-Jahre hatte nichts mit einem Hinterzimmerklub zu tun. Kaenzig kam zu einem Vorzeigeverein. «GC war damals führend, was die Struktur im
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Innern und die Präsentation nach aussen anbelangt», sagt Kaenzig. «Und zwar nicht nur in der Schweiz führend, sondern europaweit. Organisatorisch konnten wir uns mit Real Madrid messen. Natürlich gab es Unterschiede, was das Talent, den Nachwuchs, auch die Finanzen betraf. Aber insgesamt waren wir viel näher dran als heute.» Das ist Kaenzigs Hauptargument: die ungleiche Verteilung der Mittel. «In den letzten Jahren ist eine unglaubliche Schere aufgegangen. Die Spiesse sind nicht mehr gleich lang.» Als Treiber dieser Entwicklung wirke die globale Aufmerksamkeit, die der Fussball heute geniesse. Dadurch sei unvorstellbar viel Geld im Spiel, was einen eben dazu zwinge, das Rattenrennen mitzumachen. Ein Beispiel: «Scouting. Früher suchte man Kontakt zu Leuten, die Satellitenempfang hatten, damit wir uns Spiele aus andern Ländern anschauen konnten. Man sammelte den ‹kicker›. Im Büro in Leverkusen gab es Fächer, wo die Jahrbücher der verschiedenen Länder, Karten und sogar Geld gelagert wurden, falls man mal dorthin fahren musste. Es gab noch keine Billigflüge. Wollte man sich jemanden live anschauen, kostete das ein Vermögen. Videokassetten waren der Hit. Wenn jemand so eine bringen konnte, war die Verhandlung auf einen Schlag weit fortgeschritten.» Heute schaut man in einer Datenbank nach, wenn man etwas über einen Spieler wissen will. Unter dem Druck dieser Technologisierung wird das Handeln des Einzelnen nebensächlich. Darum hat es früher mehr Spass gemacht. Kaenzig, der von sich sagt, sein Weg folge keinem Plan, er sei einfach oft im richtigen Moment am richtigen Ort gewesen, rechnet mit dem Unbekannten. «Vieles, was im Fussball geschieht, geschieht aus Zufall. Wir haben lange nicht so viel Einfluss, wie wir glauben.» Erstaunliche Sätze für einen Manager. Die Formulierung, sein Beruf sei die Kunst, mit dem Ungewissen umzugehen, findet Kaenzig schön. Das entspricht nicht der klassischen Vorstellung eines Unternehmers als wirtschaftlicher Souverän. Im Dickicht der Überinformation wuchert das
Irrationale. Insofern macht es vielleicht doch Sinn, Analogien aus der Hochfinanz auf den Fussball anzuwenden. Was ist noch mal aus dem einst gefeierten ökonomischen Rationalisten Florian Homm, dem ehemaligen Grossaktionär der börsennotierten Borussia Dortmund GmbH, geworden? Sein Hedgefonds löste sich unter Millionenverlusten ebenso in Luft auf, wie er sich selbst. Seit 2008 ist er verschwunden. «Fussballvereine sind keine Unternehmen», sagt Ilja Kaenzig. «Sie sind wie Unternehmen aufgestellt, aber sie sind keine. Unternehmen können ihr Geschäftsfeld verlagern. Das können Fussballvereine nicht.» In Sichtweite des Stade de Suisse beweist der SC Bern allerdings das Gegenteil. Knapp die Hälfte seines Umsatzes macht der Eishockeyklub mit Gastronomiebetrieben. Er führt 16 Restaurants und beschäftigt dort mehr Leute als im Unternehmensbereich Sport. Genau genommen ist der SCB ein Gastrobetrieb mit Werksmannschaft. Auch YB könnte man aus den genannten Gründen als Teil eines Unterhaltungskonzerns mit Immobilie und Fussballklub bezeichnen. Doch Kaenzig sieht das anders. «Wir wollen die Marke nicht verwässern. Man darf nicht zu viel unter einem Label zusammenfassen. YB ist ein Fussballverein, und das soll er auch bleiben, sonst wird die Marke schwach. Wir leben von Historie und Traditionen, von Identifikation. Auf diese spezifische Romantik sind Fussballvereine angewiesen.» Das stimmt, denn sie verwalten und vermarkten sie, wie Kaenzig mit seinen Aussagen beweist. Es scheint für ihn keinen Widerspruch zwischen dieser Romantik und ihrer Kommodifizierung zu geben. Aber vielleicht eine Grenze. Die FrauenfussballWeltmeisterschaft im letzten Sommer zum Beispiel war ihm zu künstlich. «Wir suchen den Kommerz nicht. Jedenfalls nicht mehr als die andern. Die tun das auch. Wenn man sich in Frankreich die Trikots anschaut, sieht das schlimmer aus als bei uns mit all der Werbung.» Apérokonfekt im Stadion Unterdessen sitzt Kaenzig im Restaurant Eleven, einem Lokal, das gar nichts
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Ilja Kaenzig mit einer traditionellen Stadionkneipe zu tun hat. Überhaupt die Architektur: Im alten Wankdorfstadion gab es Ateliers für Künstler, wer in die Tribünen der Schützenwiese eintritt, steht fast in den Kabinen, im Espenmoos musste man den administrativen Bereich in Containern unterbringen, weil zu wenig Platz war. Das Stade de Suisse sieht von aussen als Ganzes aus wie ein Bürokomplex mit Einkaufszentrum – was es ja auch ist. In der Future Lounge im Obergeschoss wird gerade für einen Empfang auf-, hier im Eleven nach einem Bankett abgeräumt. Oben stehen die Lachsbrötchen in Reih und Glied, im Eleven sind «assortierte Gipfeli» und ein «gefülltes Apérokonfekt mit Schinken» serviert worden. Die Kellnerin streicht die Tischtücher glatt. Das Milieu passt zu einem der verschiedenen Gesichter, die Kaenzig im Verlauf des Gesprächs offenbart. Erich Vogel beschreibt es so: «Vielleicht führt Iljas Weg gar nicht an die Spitze eines Vereins, sondern an die Spitze eines Verbandes.» Er meint nicht den SFV. Diese Sache in Hannover Das wäre dann ein weiterer Zweig auf Kaenzigs ohnehin an Gabelungen reichem Berufsweg. Nach der Entlassung bei Hannover versuchte er sich von den Klubs unabhängig zu machen und gründete die Agentur Boutique Football, mit der er Investoren und Klubs zusammenbringen wollte. Die Geschäftsidee soll an der Wirtschaftskrise gescheitert sein. Sein Engagement beim «Blick» – früher hatte Kaenzig für die NZZ geschrieben – kam vielen wie ein Seitenwechsel vor. Schon in Hannover war Kaenzig durch Nähe zum Boulevard aufgefallen. Aber vielleicht ist das einfach eines jener professionellen Spiele, die Kaenzig so gut beherrscht. Im Gespräch gibt er sich offen, erzählt viel und interessant. Aber er weiss genau, mit wem er spricht. Gerade in Hannover spielte die Presse keine unwesentliche Rolle im konfliktreichen Verhältnis zwischen dem Präsidenten Martin Kind, dem Geschäftsführer Ilja Kaenzig und dem Trainer Ewald Lienen. Es gipfelte in einer von vielen als stillos empfundenen Entlassung Lienens. Kaenzig stellte ihn kurz vor einem Mor-
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gentraining frei, nachdem man sich erst am Abend zuvor auf eine Fortführung der Zusammenarbeit geeinigt hatte. Die Mannschaft akzeptierte den Entscheid, protestierte aber heftig. Kaenzig sagt, es sei zu einem Generationenkonflikt gekommen. Er habe den Auftrag erhalten, tragfähige Strukturen aufzubauen, ohne viel Geld auszugeben. Lienen habe andere Vorstellungen gehabt, wie ein Klub geführt werden und welche Rolle ein Trainer darin spielen sollte. In dieser Situation machte sich Kaenzig zum Vollstrecker einer Modernisierung, die der Nostalgiker in ihm bedauert. Um solche Enttäuschungen auf allen Seiten geht es, wenn vom Fussball als Reich der zerbrochenen Träume die Rede ist. «Heute», sagt Kaenzig, «würde ich einiges anders machen.» Hat er damals Fehler begangen, so zeigt er heute Format, weil er sie nicht nur bei den andern sucht. «Ein ehrlicher Charakter» In Hannover hat sich Kaenzig Feinde gemacht, fragt man woanders nach, hört man viel Gutes über ihn. Ein Spielerberater, der mit ihm zusammengearbeitet hat, aber nicht genannt werden will, lobt ihn als harten, geschickten Verhandlungspartner, als Mann, der «gute Ideen für Verträge» habe. Er meint damit das Einbauen von Klauseln und Paragrafen zum Vorteil des von Kaenzig vertretenen Klubs: Beteiligungen bei Weiterverkauf, festgeschriebene Transferbeträge bei Rückkehr des Spielers, interessante Leihgeschäfte. Kaenzig verhalte sich loyal zu seinen Arbeitgebern und sei bereit, einen hohen Einsatz zu leisten. Reiner Calmund schwärmt in den höchsten Tönen von seinem ehemaligen Assistenten Kaenzig und bezeichnet ihn als einen durch und durch «ehrlichen Charakter». Es gab allerdings Zeiten, da schien Calmunds eigene Ehrlichkeit Aussenstehenden nicht über alle Zweifel erhaben. Nach seinem Abgang von Bayer – er selbst sagte, er sei zurückgetreten, die Presse fand heraus, dass er entlassen worden war - tauchten Fragen zu ungeklärten Transaktionen im Zusammenhang mit Spielerberatern wie Juan Figer und Volker Graul auf. Besonders der «Spie-
gel» versuchte Calmund immer wieder, Korruption nachzuweisen. Schon 1999 wurde, im Zusammenhang mit dem Doppeltransfer von Jurica Vranjes und Marko Babic zu Bayer Leverkusen, gegen Calmunds Geschäftspartner Anton Novalic wegen Veruntreuung ermittelt. Novalic hatte sich, wie er später dem 2008 ermordeten Journalisten Ivo Pukanic – der hatte die ganze Geschichte ins Rollen gebracht – schilderte, die Rechte an den Spielern des von ihm präsidierten NK Osijek gesichert. Dieses Geschäftsmodell ist auch in der Schweiz bekannt: 2007 machte der «Tages-Anzeiger» publik, dass Heinz Spross als Finanzchef von GC finanziell an den Rechten von Raúl Bobadilla beteiligt war. Novalic konnte nichts Gesetzwidriges nachgewiesen werden. Ins Gefängnis musste er trotzdem. Im Zusammenhang mit dem Bankrott seiner eigenen Bank wurde er wegen Amtsmissbrauchs verurteilt. Calmunds Weste hingegen blieb weiss. Alle Untersuchungen gegen ihn wurden eingestellt. Er selbst fasst sein Wirken so zusammen: «Ich bin ein Schlitzohr, auch mal ein Drecksack, doch bei mir galt: ein Mann, ein Wort.» Kaenzig war mehrere Jahre Calmunds engster Mitarbeiter. «Gehen Sie davon aus, dass alles korrekt gelaufen ist», sagt Kaenzig heute. «Mit der Revisionsstelle der Bayer AG, eines Weltkonzerns, im Rücken ist das gar nicht anders möglich.» Sein Unbehagen, über solche Dinge zu sprechen, wird spürbar. Nicht unbedingt, weil es etwas zu verheimlichen gäbe, sondern weil es bitter ist, dass sie zum Geschäft gehören. Doch Kaenzig macht mit. Er liebt die Schönheit des Spiels und hört doch auf den Ruf des Geldes. Auf die Frage, was das Wort «Opportunismus» für ihn bedeute, sagt er: «Opportunismus ist eine Eigenschaft, die man seinen Kindern nicht beibringen sollte. In einem Geschäft wie dem Fussball aber muss man es machen wie die andern. Sonst ist man schnell raus.» So ist das im Reich der zerbrochenen Träume. Man verliert sich leicht. Davor schützt, sich viele Gesichter zu geben. Das bedeutet vielleicht, das eigene zu verlieren. Das ist die tragische Intelligenz des Opportunismus.
kinkimag.ch
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kinki magazin
Berufung: Sportchef Text: Fabian Ruch / Bild: André Bex
Die Position des Sportchefs ist im Ausland ein Kennzeichen der Professionalisierung. In der Schweiz jedoch steht sie heute tiefer im Kurs als auch schon.
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lain Baumann verkauft jetzt wieder Versicherungen. Beinahe ein gesamtes Fussballerleben war er bei YB angestellt, zuerst als Spieler, später jahrelang als Teammanager und zuletzt als Sportchef. Doch im Januar musste der loyale Teamarbeiter den Verein verlassen – er hatte sich mit dem damaligen Trainer Vladimir Petkovic nicht mehr verstanden und genoss auch bei CEO Ilja Kaenzig wenig Kredit. «Natürlich würde ich sehr gerne weiter als Sportchef arbeiten», sagt Baumann. «Aber es gibt nun einmal nur eine sehr begrenzte Anzahl Arbeitsplätze in der Schweiz, zumal nicht mal jeder Klub in der Super League eine solche Funktion besitzt.» Im Sommer beriet Alain Baumann noch den Aufsteiger Lausanne bei dessen Transferaktivitäten, doch die finanziellen Mittel der Westschweizer sind, um es freundlich auszudrücken, bescheiden. Lausanne kann sich bloss auf jenem Teil des Transfermarkts bedienen, auf dem die anderswo ausrangierten, nicht mehr erwünschten, überzähligen Fussballer verzweifelt eine neue Anstellung suchen. Gerade ein Team wie
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Lausanne wäre dringend auf einen Sportchef angewiesen, der das Business und vor allem viele Spielerberater kennt, doch Baumanns Engagement auf Mandatsbasis endete aus finanziellen Gründen nach wenigen Wochen. Lausanne hat kein Geld, um sich einen Sportchef zu leisten. In der Schweiz nicht etabliert Diese Geschichte ist im Prinzip tragisch, und sie zeigt auf, wie unprofessionell viele Vereine auch heute noch aufgestellt sind. Der Beruf des Sportchefs hat sich in der Schweiz nicht etabliert, und wer einmal eine Chance in der Super League vergeben hat, ist bald vom Sportchef-Karussell geflogen. Marcel Hottiger und Reto Gertschen, noch vor wenigen Jahren ebenfalls bei YB in dieser Funktion tätig, wissen das, sie spielen heute im Spitzenfussball keine Rolle mehr. «Man bekommt in dieser Branche eine Chance, sich zu bewähren», sagte Marcel Hottiger einmal, «aber eine zweite gibt es selten.» Ein schlechter Transfer hier, eine unglückliche Trainerwahl da, schon ist der Druck grösser, bald ist man gescheitert und nicht mehr vermittelbar.
Derzeit gibt es in der Schweiz mit Fredy Bickel beim FC Zürich, Andres Gerber beim FC Thun und Costinha bei Servette bloss drei Funktionäre, die man streng genommen als Sportchefs bezeichnen darf. Die Super-League-Vereine sind ganz unterschiedlich organisiert. Es gibt Technische Direktoren wie Christophe Moulin bei Xamax und Hansruedi Hasler bei YB, andere Vereine haben Teammanager oder Koordinatoren, aber keinen Sportchef im engeren Sinn. Die finanziellen Mittel, um beispielsweise die Spielersuche professionell und global zu orchestrieren, besitzen bloss der FC Basel sowie die Young Boys, wo neben dem Deutschen Ingo Winter, ein langjähriger Weggefährte des mächtigen CEO Kaenzig, auch Stéphane Chapuisat im Scoutingbereich tätig ist. Ein Sonderfall ist selbstverständlich auch in dieser Hinsicht der FC Sion, bei dem es Präsident Christian Constantin immer wieder gelingt, aufregende Transfers zu realisieren. Er hat sich aber vor Kurzem mit seinem wichtigsten und treuesten Mitarbeiter, Generaldirektor Domenicoangelo Massimo, überworfen. Bei Redaktionsschluss hiess es, Massimo wolle nicht mehr für Constantin arbeiten, wie bei Xamax aber sind im Wallis personelle Veränderungen ja beinahe täglich möglich. Die Erich-Vogel-Schule Kontinuität jedenfalls lassen die meisten Schweizer Vereine vermissen. Sportliche Leitfiguren, wie sie beispielsweise Bre-
Der Sportchef mens Sportchef Klaus Allofs seit über einem Jahrzehnt darstellt, sind sehr rar. «In der Schweiz hat der Sportchef halt keine grosse Tradition», sagt Ilja Kaenzig, der einst bei den Bundesligisten Leverkusen und Hannover dieses Amt ausführte. Erich Vogel prägte die Branche in der Schweiz wie kein Zweiter, als GC noch Einfluss und vor allem Geld hatte und der erfolgreichste Klub der Nation war. Das ist lange her. GC-Mitarbeiter Ilja Kaenzig ging bei den Grasshoppers gewissermassen in Vogels Lehre, und Gleiches tat gleichzeitig Fredy Bickel, der seine Karriere im Fussball einst in der GC-Presseabteilung lancierte, später als Technischer Koordinator sowie als Assistent Vogels arbeitete – und dann die Gelegenheit nutzte, beim serbelnden YB in der damaligen NLB den erfolgreichen Neuaufbau durchzuführen. Vogel, Kaenzig, Bickel – man kann, wenn man will, die nachhaltig erfolgreichen Schweizer Sportchefs aller Zeiten auf diese drei Namen reduzieren. Und jetzt scheint der Trend wieder so zu sein, dass diese Position bei vielen Klubs als verzichtbar angesehen wird. «Dabei ist ein Sportchef sehr wichtig», sagt Bickel, «er hat den Überblick über die Szene, pflegt Kontakte und versucht, immer einen Schritt weiter zu denken.» Die Super League ist eine klassische Ausbildungsliga, die besten Kräfte werden – Darwin würde sich freuen – immer von grösseren Klubs aus dem Ausland abgeworben. Bickels Credo ist es, auf jeder Position stets mehrere Alternativen bereits zu kennen, wenn wieder ein Stammspieler den FCZ verlässt. Oft aber reagieren helvetische Vereine hektisch und ohne Konzept bei der Spielersuche. «Doch der Erfolg eines Teams hängt enorm stark von der Zusammenstellung des Kaders ab», sagte Bickel schon vor Jahren. «Es ist schade, gibt es in der Schweiz nicht mehr Sportchefs.» Spezialfall Magath In der Bundesliga ist nahezu bei jedem Verein ein klassischer Sportchef, der oft als Manager bezeichnet wird, installiert. Meistens kümmert er sich, wie es seine Berufsbezeichnung sagt, um den sport-
lichen Teil, während weitere Experten für wirtschaftliche Angelegenheiten oder Marketing in leitender Position wirken. Wandervogel Felix Magath, aktuell wieder in Wolfsburg angestellt, gibt dagegen gerne den Trainersportchefgeschäftsführer bei seinen Arbeitgebern und übernimmt eine heikle Dreifachfunktion. «Das ist nicht ideal für einen Verein», sagt Horst Heldt, der bei Stuttgart und Schalke mit Magath zusammenarbeitete. «Wenn so ein einflussreicher Trainer weggeht, gibt es Probleme.» Weil es aber auch in Deutschland nicht viele qualifizierte Sportchefs gibt, regte Matthias Sammer, Sportdirektor beim deutschen Fussballbund (DFB), kürzlich eine interessante Idee an. «Jeder Trainer muss jahrelang Kurse besuchen, bevor er in der Bundesliga arbeiten kann», sagte Sammer. «Aber ein Sportchef, der ja eigentlich höher gestellt ist, kann einfach so arbeiten. Das geht eigentlich nicht.» Sammer schlug vor, der DFB könne doch auch einen Ausbildungslehrgang für Manager anbieten. Es gibt zwar längst viele Möglichkeiten, sich im Sport- und Fussballmanagement weiterzubilden, aber spezifisch auf den Profifussball ausgelegte Module existieren nicht.
Lehrling im Chefsessel Auch in der Schweiz greifen Vereine deshalb bei der Besetzung der sportlichen Leitung gerne auf verdienstvolle ehemalige Spieler zurück. Bei Thun ist Andres Gerber so in seine neue Rolle als Sportchef reingerutscht. Er glitt nahtlos vom Spielfeld auf den Bürosessel, erledigte seine neue Aufgabe letzte Saison in der Challenge League mit Bravour, weiss aber auch, dass er noch einiges lernen kann. «Ich will und muss noch viele Kontakte knüpfen und mich noch besser mit den Mechanismen des Geschäfts vertraut machen», sagt Gerber. Gerade gerissene Spielerberater nutzen ja jede Möglichkeit, einen Verein zu täuschen. Im familiären Umfeld Thuns darf Andres Gerber auch mal einen Fehler machen, ohne gleich um seinen Job fürchten zu müssen. Bei YB gab es diese Wohlfühloase für Alain Baumann nach der Entlassung des früheren CEO Stefan Niedermaier im August 2010 nicht mehr. Baumann ist seit zwei Monaten wieder in leitender Anstellung im Versicherungsgeschäft aktiv – in dieser Branche arbeitete er bereits während seiner aktiven Karriere, um sich in weiser Voraussicht ein zweites Standbein neben dem Fussball aufzubauen.
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Der Gentlemen’s Club
Edi Nägeli FCZ, 1957–1979
Ein Drittel seines Lebens war Stumpen-Edi Präsident des FCZ. Im Verein wurde Nägeli als kleiner Diktator beschrieben, der Transfers im Alleingang erledigte. Seine Spieler bezeichnete er als seine Söhne, und einen Sohn lässt man nicht so einfach ziehen, was Köbi Kuhn bei seinem angestrebten Transfer zu GC erlebte: Nägeli weigerte sich schlichtweg, den Auflösungsvertrag zu unterschreiben.
Karl Oberholzer GCZ, 1974–1985
Günter Netzer sagte nach dem Tod des im Alter vereinsamt und in bescheidensten Verhältnissen lebenden «Feldherrn vom Hardturm»: «Ich verspüre für diesen feinen Menschen nur positive Gedanken.» Zu den Coups des kettenrauchenden BBC-Kadermanns, der massgeblich die Professionalisierung des Schweizer Fussballs vorantrieb, gehört die Verpflichtung ebendieses Günter Netzer.
Ruedi Baer YB, 1980–1993
Zu Fall gebracht wurde der schwergewichtige InterdiscountGründer durch den Verkauf von Piotr Nowak. Seine Transferpolitik wurde seitens des Trainers, der Vorstandskollegen und der Fans infrage gestellt. Bär spürte daraufhin im Umfeld des Vereins keine Loyalität mehr und zog mit seinem Rücktritt die Konsequenzen.
André Luisier FC Sion, 1981–1992
Der «Nouvelliste»-Verleger wurde als Citizen Kane des Wallis bezeichnet, und Kritik an seinem 800 000-Franken-pro-SaisonEngagement beim FC Sion vertrug er nur sehr schlecht. Heute bezeichnen viele im Wallis das Wirken Luisiers beim FC Sion als Spinnerei eines ruhmgeilen Egozentrikers.
Romano FC Luzern, 1
Nach 23 Jahren der Regentscha flossen bei diesem die Tränen, als wurde. Freilich endete auch seine er kurz darauf auch das Ehrenam
Hubert FC Wettingen
Nach all den Märchen mit Spitze der Automatenkönig das sinkend ter, dann bezeichnete er seinen mel», der nichts unternehme, und lige Hubi dann auch noch privat u
Patrons
Sie waren keine CEOs und keine Sportchefs. Sie waren Patrons alter Schule – und über Jahre hinweg der Klub.
o Simioni 1975–1998
aft des omnipräsenten Baulöwen s er zum Ehrenpräsidenten gekürt e Mission mit Misstönen, sodass mt abgab.
Stöckli n, 1982–1991
enplätzen und Maradona verliess de FCW-Schiff schliesslich als ErsNachfolgerkandidaten als «Sürd schliesslich kam der hemdsärmunter den Konkurshammer.
Gilbert Facchinetti Xamax, 1979–2003
Von seinem Nachfolger Pedretti am Schluss noch als senil bezeichnet, war die Geschichte von Bauunternehmer Facchinetti und seinem «Bébé» doch einfach die einer «Amour fou». «Monsieur Xamax» konnte nie richtig loslassen und bewirtet sein Team heute noch sporadisch bei sich zu Hause.
Sven Hotz FCZ, 1986–2006
Der grosszügige und grossherzige Patron hielt seinem Verein auch in den vielen dunklen Stunden die Treue und ihn mit geschätzten 50 Millionen Franken im Laufe der Jahre am Leben. Urs Fischer fehlten buchstäblich die Worte, um das Lebenswerk des Liegenschaftsverwalters zu würdigen: «Diese Sätze sind noch nicht erfunden.»
Carlo Lavizzari Servette, 1980–1989
Er war der Grandsegnieur des Genfer Fussballs und besass dank Immobiliengeschäften nicht nur eine prall gefüllte Klasse, sondern auch grosse menschliche Klasse. Nach seinem Rücktritt schenkte er seinem Verein 5 Millionen aus seinem Privatvermögen.
Ernst Lämmli FC Aarau, 1989–2000
Von seinem Meistermacher Rolf Fringer wurde der Architekt als Glücksgriff für den FC Aarau bezeichnet. Roberto di Matteo beschrieb ihn als typischen Schweizer, der eher zurückhaltend und äusserst seriös auftrete. Er selber pflegte stets zu sagen, dass Arbeiten sein Hobby sei.
Mein GC
Text: Ancillo Canepa
FCZ-Präsident Canepa grätschte schon GC-Stars um und entwickelte Führungsgrundsätze für den Rivalen. Hier schildert er seine Erlebnisse mit dem Jubilar.
I
ch möchte mich an dieser Stelle nicht zu aktuellen Ereignissen rund um GC äussern. Vielmehr möchte ich über meine persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen mit dem Grasshpper-Club in beinahe 50 Jahren (!) berichten. Bevor ich dies tue, gratuliere ich dem Grasshopper-Club Zürich zu seinem 125-jährigen Bestehen herzlich. GC hat Schweizer Fussballgeschichte geschrieben und sich auch international über all die vielen Jahre einen Namen gemacht. Meine GC-Jugenderinnerungen gehen in die 60er-Jahre zurück. Ich begann leidenschaftlich die mit Kaugummi verpackten Tschutti-Bildli zu sammeln. Bis ich endlich meine FCZ-Mannschaft aus der Saison 1963/64 vollständig beisammenhatte, musste ich nicht nur mein gesamtes, weil bescheidenes Taschengeld investieren, sondern zwangsläufig auch viele Bilder anderer Spieler erstehen. Der FCZ spielte damals an der Spitze, der Grasshopper-Club am Ende der Tabelle. Vielleicht auch deswegen kamen mir die abgebildeten GC-Spieler etwas blass und glanzlos vor. Aber die GC-Spieler von damals waren trotzdem alles andere als unsympathisch. Akteure wie Janser, Kunz, Blättler, Bernasconi, Winterhofer, Fuhrer, Gaillard, Staudenmann, Citherlet oder Berset mit ihren mehr oder weniger spektakulären Posen kann ich
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selbst heute, nach fast 50 Jahren, spontan vor meinen Augen abrufen. Als 12-jähriger eingefleischter FCZFan ging ich gelegentlich zu «Studienzwecken» sogar ins Hardturm-Stadion. Und zwar dann, wenn der GC-Gegner
am darauffolgenden Wochenende gegen den FCZ spielte. Ich wollte mich mental auf die bevorstehende Auseinandersetzung mit dem FCZ vorbereiten und die Spieler des Gegners studieren. Ich hätte wohl Trainer werden sollen. Die erste erfolgreiche GC-Periode, die ich selber mitverfolgen konnte, begann Anfang der 70er-Jahre. Es wurden berühmte Trainer und noch berühmtere Spieler geholt. Der Erfolg blieb nicht aus. Nach vielen Jahren wurde GC 1971 wieder Schweizer Meister. Und am 6. Mai 1971 (ein Tag nach meinem Ge-
burtstag) durfte ich als Junior mein erstes Spiel in der ersten Mannschaft des damaligen Zweitligisten und kantonalzürcherischen Regionalmeisters (!) FC Rüti bestreiten. Und dies vor fast 3000 Zuschauern ausgerechnet gegen ebendiese Meistermannschaft von GC. Ich konnte es kaum glauben, als ich den damaligen Meister-Cracks wie Deck, Ohlhauser, Grahn, Peter Meier, Bigi Meyer oder Gröbli auf dem Rasen gegenüberstand. Zwei Episoden sind mir aus dem damaligen Spiel immer noch in bester Erinnerung. In einer Spielszene folgte ich dem berühmten Peter Meier («Wembley-Meier»), einem schnellen und feingliedrigeren Supertechniker, zur Cornerfahne. Er deckte den Ball geschickt mit seinem Körper ab und wollte mich umdribbeln. Übermotiviert grätschte ich ihm von hinten in die Beine. Er stand zum Glück schnell wieder auf und zeigte mir zu Recht den «Scheibenwischer». Viele Jahre später traf ich ihn, mittlerweile auch er ein ehemaliger FCZ-Spieler, anlässlich unserer regelmässigen Treffen mit den ehemaligen FCZ-Stars. Ich erzählte ihm von unserem Zusammentreffen vor fast 40 Jahren. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern. Also war meine Intervention vielleicht doch nicht so schlimm, wie ich befürchtete. Trotzdem schäme ich mich heute über mein übles Tackling von damals. In diesem sogenannten PropagandaSpiel (so nannte man früher Freundschaftsspiele zwischen grossem Verein und kleinem Verein) wurde ich in der zweiten Halbzeit eingewechselt. Als Gegenspieler wurde mir Adi Noventa, ebenfalls ein Newcomer, zugeteilt. Ich
125 Jahre gc war natürlich nervös, tänzelte ständig um ihn herum, was ihn offenbar nervte. «Bleib ganz ruhig, das kommt schon gut», sagte er mir, nachdem ich ihm gestanden hatte, dass es mein erstes Spiel «im Eis» sei. Und dann lobte er mich bei jeder gelungenen Aktion (es waren nicht so viele, auch wenn ich einige Wochen später bei GC ein Probetraining absolvieren durfte...). Was für ein toller Sportsmann, dachte ich mir. Mit grossem Interesse habe ich dann seine beachtliche Karriere in der Nationalliga A verfolgt. Heute sind wir gute Kollegen und treffen uns des Öfteren. Er arbeitet beim Liechtensteinischen Fussballverband und setzt sich unter anderem für nationale und internationale Sozialprojekte ein. Später hatte ich dann auch beruflich mit der Fussballsektion des Grasshopper-Clubs zu tun. Mein Arbeitgeber war die Revisions- und Beratungsgesellschaft des Grasshopper-Clubs. Ich lernte dabei viele grossartige Persönlichkeiten des Klubs kennen. Sei dies Dr. Uli Albers, Benno Bernardi, Heinz Spross oder schon damals Roger Berbig, um nur
einige zu nennen (übrigens auch Fredy Bickel, der damals als Hansdampf in allen Gassen bei GC tätig war). Ich erhielt sogar den Auftrag, für die Fussball-Sektion eine «Corporate Governance» (frei übersetzt: übergeordnete Führungs- und Verhaltensgrundsätze) zu entwickeln. In Fachartikeln wurde GC gelobt, als erster Profifussballverein in der Schweiz professionelle Führungsstrukturen einführen zu wollen. Allerdings kam es in der Fussball-Sektion kurz darauf zu einem Führungswechsel, und meine gut gemeinte «Corporate-Governance-Bibel» verschwand in der Schublade und ward nie mehr gesehen. Vielleicht taucht sie eines Tages im FCZ-Museum wieder auf. Als Präsident des FCZ habe ich heute natürlich viele Anknüpfungspunkte mit meinen Kollegen vom Grasshopper-Club. Das Letzigrund-Stadion, das neue Stadion, Sicherheitsfragen und vieles mehr verbinden uns. Ich schätze das kollegiale und vertrauensvolle Verhältnis, das ich in den letzten Jahren primär mit Heinz Spross, Roger Berbig, Urs Linsi oder neu mit Marcel Meier pflegen konnte. Auch einige ehemalige
oder aktuelle Trainer und Spieler habe ich näher kennengelernt. Und ein Geheimnis sei an dieser Stelle ansatzweise verraten: Einige der GC-Ikonen rannten als Bub zuerst mit dem FCZ-Leibchen herum…. Abschliessen möchte ich meinen Beitrag mit einem Dank. Ich habe und werde nicht vergessen, dass wir 2009 dank der Mithilfe von GC vorzeitig den Meistertitel gewinnen konnten. GC schlug in einem für sie nicht mehr relevanten Spiel unseren Widersacher FC Basel 3:1. Dank diesem Sieg konnten wir auf dem Spielfeld in Bellinzona eine spontane und unvergessliche Meisterfeier mit unseren mitgereisten Fans abhalten. Für diese sportliche und professionelle Einstellung verdienen sie auch heute noch Anerkennung und meinen grössten Respekt. Dass es auch umgekehrt laufen kann, mussten wir dann schmerzhaft letzte Saison erleben. Wegen des verlorenen Derbys gegen GC vergeigten wir kurz vor Schluss den Meistertitel und mussten uns mit dem zweiten Platz zufriedengeben. Aber so ist Fussball – und so soll er auch bleiben.
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Die Geschichte liegt irgendwo im Keller Text: Silvan Kämpfen / Bilder: André Bex
Wer stand 1964 im Kader des FC Thun? Kaum einer weiss auf solche Fragen eine Antwort, weil sich in der Schweiz fast niemand um Fussballgeschichte gekümmert hat. Doch jetzt wirkt eine neue Generation, welche die Vergangenheit müh- und langsam aufarbeitet.
«N
ume nid gsprängt», sagt der Berner jeweils. Zu keinem Zeitpunkt wäre dieses Motto allerdings weniger angebracht gewesen als am 3. August 2001. Denn an diesem Tag wurde unter traurig-grauem Berner Himmel wahrhaftig Dynamit gezündet. SF DRS und selbst ZDF übertrugen live, wie der Mythos Wankdorf dem Erdboden gleichgemacht wurde. Das Bonmot wäre auch aus einem anderen Grund fehl am Platz gewesen. Denn es eilte. Wenige Stunden vor der Zündung hatte sich herumgesprochen, dass ein Teil des YB-Archivs noch immer in einem kleinen Raum des Stadions herumlag und bei der Räumung offenbar vergessen gegangen war. Im Kleinbus fuhr man hin und packte schnell alles ein. Ein Stück Schweizer Fussball war gerettet.
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Diese Geschichte, die in allen möglichen Variationen kursiert, ist natürlich nicht wahr. Tatsächlich wurde die Räumung der Stadionkammer schon gut zehn Tage vor der Sprengung in die Wege geleitet. Moritz Rapp, der das YB-Vermächtnis samt Fotos, Trikots und Pokalen während 36 Jahren ehrenamtlich betreute, jeden Artikel über YB ausschnitt und einklebte, erinnert sich an die Nach-Wankdorf-Zeit: «Zuerst lagerten wir die Ware bei einem Bauunternehmen, das war mir aber zu teuer. Dann brachte ich alles zur Tochter eines Freundes nach Spiez, das war mir aber zu weit weg. Bei einem YB-Funktionär im Keller gingen Mäuse ein und aus, da machte ich mir Sorgen um die Chronik.» Wohin er damit als Nächstes ging, daran erinnert sich der 88-Jährige nicht mehr.
So vergingen die Jahre, und das YBArchiv war noch lange nach der Eröffnung des Stade de Suisse ohne Heimat. Im Ausland wäre so etwas nur schwer denkbar. Das Bewusstsein für Historisches ist und war in der Schweizer Fussballwelt ziemlich gering. Hier gibt es keine Herbert-Zimmermann-Sätze, die auch Schulkinder aufsagen können, als handelte es sich um den «Erlkönig». Vor den Stadien stehen keine Gedenktafeln an irgendeine «Hennes-Weisweiler-Jahrhundertelf» wie in Gladbach. Und es hat auch niemand ein Lied über den Cupfinal 1957 geschrieben («Hampden in the Sun»), geschweige denn, dass dieses 50 Jahre später noch gesungen würde. Nein, hier muss man fast froh sein, wenn jeder FCZ-Fan Köbi Kuhn kennt und jedem Basler Kind Karl Odermatt ein Begriff ist. Aufgabe der Liga? Das hat tiefe Wurzeln. Vor zwei Jahren publizierte Philippe Guggisberg, Historiker bei der Swiss Football League, ein Buch zum 75-Jahr-Jubiläum der Liga. Spätestens bei der Recherche merkte er: Im Haus des Fussballs zu Muri erfährt man kaum etwas über den Fussball des letzten Jahrhunderts. «Es hat mich schon schockiert, wie wenig Informationen vorhanden sind», sagte er. Die Liga hat zwar Sitzungsprotokolle oder Jahresberichte aufbewahrt. Sobald es aber um den Fussball selbst geht, zum Beispiel
Archiv
irgendein Matchtelegramm, ist sehr schnell Schluss. «Wenn jemand anfragt, was der FC Thun in den 60ern gespielt hat, haben wir keine Chance.» Auch eine Liste mit Direktvergleichen zwischen den Mannschaften fehlt. Diese könnte Guggisberg zum Beispiel gut gebrauchen, wenn er für die SFL-Homepage eine Matchvorschau schreibt. Doch gesammelt oder zusammengetragen hat so etwas niemand. Da bleibt höchstens noch eine Hoffnung: Irgendwo im Keller liegen alle Ausgaben des «Sport». Wer diese durchforstet, wird wahrscheinlich fündig. Für Guggisberg steht die Liga aber nur begrenzt in der Pflicht, diesen zeitlichen und finanziellen Aufwand zu betreiben: «Wir sehen uns als Organisator.» Immerhin: Ab nächstem Jahr plant die Liga eine Mediendatenbank zu führen, ergänzt durch Zusammenfassungen von SF. «Doch die Pflege der Historie ist eigentlich Aufgabe der einzelnen Klubs», ergänzt Guggisberg. Viele Klubs in der Schweiz tun diesbezüglich wenig bis gar nichts. Als Nega-
tivbeispiel fällt immer wieder der Name Luzern. Das Archiv der Leuchten bestehe aus zwei bis drei Kartonschachteln und gehe höchstens bis 1978 zurück. Zum Vergleich: Im Sportantiquariat in der Zürcher Altstadt stehen Monatsblätter des FCL im Umfang von 4000 Seiten aus den Jahren 1923 bis 1969 zum Verkauf. Eine Anfrage aus Luzern blieb bisher aus. Als die Fans zum 110-Jährigen eine Choreo planten und den Klub anfragten, ob auch sie etwas geplant hätten, lautete die lapidare Reaktion: «Ah, wir sind 110?» Böse Zungen mögen nun einwenden, die Vergangenheit sei bei lediglich einem Meistertitel und zwei Cupsiegen halt eben auch nicht so interessant. Doch das greift etwas kurz. Fussballhistorie besteht aus mehr als nur Titeln und Pokalen. Was für eine Rolle hatte der Sport während und zwischen den beiden Weltkriegen? Und wie hoch war der inflationsbereinigte Lohn von Paul Wolfisberg verglichen mit jenem von Hakan Yakin? Solche Fragen gehen über Tore und Telegramme hinaus,
sind aber bestimmt nicht weniger relevant. Die Schweizer Vereine gehören zu den ältesten auf dem Festland und sind wichtige Zeitzeugen der Anfänge und der Entwicklung der Königssportart. Die Gelegenheit, im neuen Stadion etwas aufzubauen, liessen die Luzerner bisher ungenutzt verstreichen. Wie der PR-Verantwortliche Daniel Frank mitteilt, plane man aber «mittelfristig» ein Museum und wolle das Archiv ständig erweitern. Allerdings gibt es im Umfeld des FCL kaum mehr Menschen, die über die Geschichte des Vereins Bescheid wissen. Sie sterben langsam aus. Es fehlen die Leute Jene Geschichte, die sicher interessiert – sowohl wegen des Geschehens auf als auch neben dem Fussballplatz –, ist jene des Grasshopper-Clubs. «Rekordmeischter!», rief Rici Cabanas im April viermal dem Schiedsrichter hinterher. Vielleicht war das nötig. Denn vielleicht dachte sich Adrien Jacottet tatsächlich: «Stimmt, das sind ja die.» Ist GC gerade
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nicht erfolgreich, unterscheidet es sich nicht von Thun und Lausanne, auch wenn es just 125 geworden ist. Wer im Ausland bei Rekordmeistern zu Besuch ist, der ist sich anderes gewohnt: Vitrinen soweit das Auge reicht, glanzvoll in Szene gesetzt. Die unzähligen Trophäen werden gehegt, gepflegt, und vor allem wird mit ihnen geprotzt. Bis zum Exzess. Bei GC dagegen liegt alles in den Katakomben in Kisten verpackt. Ein Mini-Rundgang im ersten Stock der Geschäftsstelle in Niederhasli ist das höchste der Gefühle. Trotz zwei Tribünenbränden: Material wäre bei den Hoppers genügend da. Nur die Leute, die etwas damit anfangen wollen, die fehlen. Marketing-Leiter und Ex-Goalie Stefan Huber ist sich dieser Misere bewusst und erklärt sich: «Für diese Saison war etwas Grösseres geplant, ein Buch und eine grosse Feier im Letzigrund. Doch die dafür notwendige sechsstellige Summe wollte niemand sponsern.» Wenn dann in Zürich aber dereinst ein neues Stadion
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zu stehen komme, «dann wird das 100 Pro ein Thema», versichert Huber. Sportantiquar Gregory Germond lässt das immer wiederkehrende finanzielle Argument nicht gelten. Er sieht das Pflegen der Vereinshistorie als nachhaltiges Marketing, als längerfristig gewinnbringende Investition. «Glorien, grosse Partien, Anekdoten, die Leute drumherum: Das ist der eigentliche Brand, wie die Marketing-Leute sagen. Ein Fussballklub lebt von seiner Geschichte, ja, er ist seine Geschichte.» Es macht für ihn deshalb mehr Sinn, 200 000 Franken in die Vereinshistorie zu investieren als in einen Nachwuchsspieler. Pokal in der Metallsammlung Germond kann viele Geschichten aus dem Ärmel schütteln, die ihn noch immer zutiefst erschüttern. In Burgdorf etwa sind in den 80er-Jahren Rowdys in den Klubraum eingedrungen und haben kurzerhand die gesamte Chronik abgefackelt. Nicht zu denken, wenn
sich so etwas in einer von Moritz Rapps Abstellkammern ereignet hätte und das YB-Archiv geplündert worden wäre. In Winterthur ist von den drei Meisterpokalen nur noch einer vorhanden. Er steht in der Stadionbar «Libero». Die anderen beiden seien vermutlich einst in die Metallsammlung gegeben worden, wie Barbetreiber Michael Sauerland erklärt. Wie kann so etwas nur passieren? Warum kümmert sich niemand um dieses Material? Warum werden solch wertvolle Kulturgüter einfach vergessen oder gar weggeworfen? Luzerns Daniel Frank spricht von den turbulenten 90er-Jahren, als es gegen den Konkurs anzukämpfen galt und alles andere im FCL vernachlässigt wurde. Schwierige Zeiten und grosse Fluktuationen gehören tatsächlich zu den Hauptargumenten für grosse Lücken in den Vereinsarchiven. Claudio Miozzari vom Sportmuseum Schweiz bringt es auf den Punkt: «Wenn der neue Xamax-Eigentümer in die Geschäftsleitung einsteigt und
Archiv
alle rauswirft, dann weiss eben niemand mehr, was im Schrank hinten links war.» Und letztlich sagen sie alle dasselbe: Was ein Klub in dieser Frage tut, hängt von Einzelpersonen ab. Ob jetzt beim FC Basel oder im FC Gelterkinden – es braucht jemanden, der fürs Historische Begeisterung aufbringen kann. «Sonst passiert da gar nichts», sagt Philipp Guggisberg. Paradebeispiel dafür ist momentan der FC Zürich. Präsident Canepa gilt als leidenschaftlicher Sporthistoriker. Ihm wird nachgesagt, dass er zu Hause eine der grössten Sportbibliotheken der Schweiz habe. Es war denn auch keine grosse Überraschung, als er 2008 an einer Generalversammlung den Wunsch äusserte, sich historisch besser zu präsentieren, ein Buch herauszugeben und ein Museum ins Leben zu rufen. Da kamen die Millionen aus der Champions League wie gerufen. Es konnte losgehen. Für den Aufbau des Museums und die Herausgabe des Buchs «FCZ: eine Stadt, ein Verein, eine Geschichte» wurden 350 000 Franken in die Hand genommen. Das Museum arbeitet jetzt mit einem Jahresbudget von 250 000 Franken und beschäftigt den ausgebildeten Archivar Saro Pepe im 70-Prozent-Pensum. Vorher aber lief auch im Letzigrund vieles schief. So steht heute der Meisterpokal von 1899 auch nur deshalb im FCZ-Museum, weil der ehemalige Stadionabwart in den Neunzigern einmal in einen Container reingeschaut hat. «Als Raimondo Ponte zum FCZ kam, brauchte es ein neues Büro. Da wurde dann halt geräumt», erzählt Museumsleiter Saro Pepe und gesteht auch ein, dass er selbst noch massenhaft Gegenstände mitgenommen habe, bevor der alte Letzigrund abgerissen wurde. Das Hauptproblem beim FCZ waren also die Objekte, von denen niemand wusste, wo sie waren. Canepa erkannte das Potenzial aber und nutzte im Herbst 2009 im Rahmen der Champions League einen TV-Auftritt und stellte Kontakt zur Gratispresse her. Die Aufrufe verfehlten die Wirkung nicht. Nicht zuletzt aus Altersheimen kamen viele Rückmeldungen
im Stile von: «In den 30er-Jahren war ich im Vorstand. Ich habe noch eine Kiste zu Hause mit Fotos und Verträgen.» Neben den obligaten Trophäen und Medaillen ist auch vieles aufgetaucht, von dem gar niemand wusste, dass es das überhaupt gab: Super-8-Filme aus den 70ern, gedreht von der Ersatzbank aus; Fotos aus den 1910er-Jahren, Briefe des SFV an die Fanclubs wegen Sicherheitsbedenken Anfang der 80er. Oasen in der Archivwüste Den Namen «Museum» hat die Lokalität in dem hässlichen 70er-Block 500 Meter vom Letzigrund entfernt eigentlich nicht verdient. Der Raum wirkt mehr wie ein Jugendtreff. Die Original-Trikots aus der Ära Kuhn sind zum Anfassen da, in der Ecke lädt ein Bücherregal zum Schmökern. Wer will, kann eine DVD mit vergangenen Partien einlegen und es sich bequem machen. Es geht beschaulicher zu und her als zwischen den Riesenvitrinen in Barcelona oder Hamburg, dafür lebt der Ort etwas mehr. «Wir wollten so etwas wie eine Stube schaffen für den FCZ und seine Fans», sagt Pepe. Vor allem vor den Spielen läuft es hier gut. Unter der Woche werden hier auch einmal Pressekonferenzen abgehalten oder Schulklassen eingeladen. Unumwunden nennt Pepe das Museum denn auch einen «Marketingraum».
Wen man auch immer fragt: Was der FCZ in den letzten Jahren auf die Beine gestellt hat, hat Vorbildcharakter. Zürich ist aber nicht die einzige Oase in der Schweizer Archivwüste, die sich von Luzern über Thun bis nach Sion ausdehnt. Klar ist: Nirgends wird der Fussball in der Schweiz so zelebriert wie in Basel. Deshalb hat auch die Vereinsgeschichte stets einen höheren Stellenwert gehabt als im Rest des Landes. Nicht zuletzt der heutige Medienchef und ehemalige Sportjournalist Josef Zindel hat sich lange mit der FCB-Vergangenheit beschäftigt und zahlreiche Bücher publiziert. Basel hat wie St. Gallen den grossen Vorteil, dass man das gesamte Archiv, das früher im Estrich des Landhof-Stadions beherbergt war, dem örtlichen Staatsarchiv zur Betreuung übergeben konnte. Dieses ist frei zugänglich, beispielsweise für Studenten, die eine Arbeit schreiben. In Zusammenarbeit mit dem Sportmuseum hat man das Material nun aufgearbeitet und 2008 im Stadion ein, wenn auch eher kleines, Museum eröffnet. Claudio Miozzari spürt, dass selbst in Basel das Bewusstsein für Sporthistorik wächst. Er führt als Beispiel den Sportplatz Landhof in Kleinbasel an, die ehemalige Heimat des FCB. Für den Erhalt des Kleinstadions engagierte sich die Basler Fanszene erfolgreich. Gregory Germond spricht von einer neuen Generation in den Klubs und bei
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Archiv
den Fans. «Die Kinder der 80er und später wurden ganz anders mit dem Fussball sozialisiert als ihre Eltern», sagt er. Tatsächlich standen früher der Spielbetrieb und das Vereinsleben im Vordergrund. Heute sind es die Geschichten drumherum, unsägliche Transferpossen, amüsante Spielerinterviews, knackige Stadionwürste, die genauso faszinieren. Der Fussball hat einen nostalgischen «Weisch no»Faktor erhalten, der auch den Austausch zwischen den Generationen fördert. Als eigentliche Historien-Pioniere sehen sich die Berner Young Boys, die 2006 als erster Klub in der Schweiz ein Museum eröffneten. Möglich gemacht hat dies Charles Beuret, langjähriger «Bund»-Reporter und späterer Medienchef des Stade de Suisse. Er kennt den Klub wie kein
die freaks «Und dann gibt es da noch ein paar Freaks.» Philipp Guggisberg von der Swiss Football League sagt es ganz leise. Die Bezeichnung ist ihm nicht ganz geheuer, aber sie ist weder abschätzig noch falsch. Denn ohne diese «Freaks» sähe es noch viel düsterer aus in der Schweizer Fussballarchivkultur. Ohne Beat Haueter zum Beispiel wüsste kaum jemand, dass der Ungar Tamas Tiefenbach 1991 aus der Schweiz ausgewiesen wurde. Der damalige Bulle-Spieler hatte anscheinend in einem Laden ein Kilo Brot und einen Liter Öl gestohlen. Später sollte er in 42 Spielen für den FC St. Gallen 16 Tore erzielen. Haueter führt die Internet-Datenbank FCSG-Data. «Von einem Spieler kann man häufig nachlesen, wie viele NLASpiele er gemacht hat. Entscheidend ist doch aber auch: Wie viele Male spielte er für welchen Klub und in welchen Bewerben?», erklärt der 43-Jährige seine Beweggründe. Gebrauchen kann er die Daten vor allem für Vorschauberichte, die er für fcsg.info schreibt. Als Mitarbeiter der Sportinformation sitzt Haueter
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Zweiter und war deshalb prädestiniert für den Aufbau des Museums. Es ist etwas kleiner als jenes des FCZ, aber ähnlich konzipiert. Abstriche gibt es aber: So ist das Museum zwar im Stadion, dort aber sehr schlecht gelegen. Es ist zudem nur am Samstagnachmittag während zweier Stunden geöffnet und auch nur dann, wenn nicht gespielt wird – aus Sicherheitsgründen. Beuret sagt denn auch in aller Gemütlichkeit: «An einem Samstag kommen fünf Besucher, das geht in Ordnung.» Schade eigentlich, zu sehen gäbe es einiges. Wie in Zürich wurde auch hier ein kleines Kino eingerichtet, das die besten YB-Momente noch einmal Revue passieren lässt, zum Beispiel der letzte Titelgewinn von 1986 auf der Maladière mit Dario Zuffi oder Lars Lunde. Den musea-
quasi an der Quelle. Pro Woche widmet er dem Projekt mehrere Stunden, nimmt dafür auch mal wieder den einen oder anderen Tag frei. Dann erfasst er die Telegramme aus dem «Sport», der Bibel schlechthin für alle Schweizer Fussball-Statistiker. Mittlerweile ist er in den 80ern angelangt, ein Limit kennt er (vorerst) nicht. Es gibt bei vielen Schweizer Klubs solche «Freaks», die ihre Freizeit opfern für die historische Aufarbeitung ihres Vereins. Jeder tut es auf eine andere Art. Im Gegensatz zu Haueter, der alles selbst nachzählt, sind viele von ihnen Informatiker und arbeiten mit einer Software. YB-Fan Nik Rohrer etwa interessiert sich für Spielsysteme und Direktvergleiche. Es kommt auch schon vor, dass er auf der Liga-Website nach dem Vergleich mit seinen aktuellen Daten Unstimmigkeiten entdeckt. «Wie kann das sein, dass bei euch ein Spieler ausgewechselt wird, der auf der Ersatzbank sitzt», will er dann von den Herren in Muri wissen. Weitere bekannte Datenbanken heissen dbFCZ oder arowa.ch. Und dann ist da natürlich Daniel Reichmuth, alias Superservette. Er sammelt in erster Linie Bilder und Zeitungsartikel rund um den
len Teil dominiert vor allem die glorreiche Zeit unter Albert Sing, als man zwischen 1957 und 1960 viermal den Titel holte. Und natürlich ist YB auch das Wankdorf, und das Wankdorf ist der Final von 1954. So haben auch Ferenc Puskás und Fritz Walter ihren Platz. Daneben werden die Besucher aber auch an jüngere, unangenehmere Ereignisse erinnert, wie etwa die unüberlegte Reservation des BundeshausBalkons von Stadtpräsident Tschäppät vor dem Cupfinal 2006. All diese Figuren bilden einen Teil der Geschichte YBs, des Schweizer Fussballs, des Fussballs überhaupt. Genauso dazu gehört allerdings auch Moritz Rapp. Ohne den pensionierten Lok-Führer gäbe es kein YB-Museum, und wir wüssten noch weniger als ohnehin schon.
SFC und stellt sie auf seine Homepage. «Wenn mir jemand ein Mannschaftsfoto aus den 1920er-Jahren vorbeibringt und da ein unbekannter Spieler drauf ist, dann bereitet mir das immer noch eine unglaubliche Freude», sagt der Innerschweizer. Regen Kontakt zu ihren Klubs scheinen die Hobby-Statistiker nicht zu pflegen. Haueter erzählt, dass er bei den Verantwortlichen des FCSG lange auf Abwehrhaltung gestossen sei, bringt dafür aber auch Verständnis auf: «Letztendlich ist die Zukunft wichtiger, und sportliche sowie finanzielle Planungen fordern die Klubverantwortlichen schon genug.» Am fehlenden statistischen Material liegt es nicht, dass die Schweizer Fussballgeschichte so dürftig aufgearbeitet ist. Dank den Archiven der Medien ist fast alles noch da. «Nur wenn es dann etwa um den Uhrencup geht, wird es langsam schwierig», sagt Nik Rohrer. Was es letztlich braucht, ist ein viel breiteres Engagement der Klubs und der Liga, damit sich noch mehr «Freaks» hinsetzen und sich den Sportzeitungen des vergangenen Jahrhunderts annehmen. Nur so erfahren wir die ganze Wahrheit über Tamas Tiefenbach und Konsorten. (sik)
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Sicherheit
Text: Thomas Gander
Die Gewalt im Fussball ist für einige ein lohnendes Geschäft. Eine Lösung zu finden, zahlt sich also nicht für alle aus.
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ussball als öffentliches Gut einerseits und Gewalt als betroffen machender oder faszinierender Bestandteil unserer Gesellschaft andererseits – diese Kombination löst nicht nur bei den Fans, sondern bei der breiten Bevölkerung Emotionen und entsprechende Reaktionen aus. Nicht zu unterschätzen ist dabei auch das Entstehen einer Profilierungsfläche, die nicht zuletzt in einem Wahljahr von tragender Bedeutung ist. Sie bildet eine unheilige Allianz mit dem «Event-Journalismus», welcher durch den Online- und Gratiszeitungsmarkt Auftrieb bekam und wo die Gewalt-Fussball-Thematik ein wesentlicher Profitfaktor ist (Werbeeinahmen entstehen durch Anzahl Klicks auf einen Artikel – man beachte die Liste «meistgelesener Artikel»). Eine objektive Debatte über die Gewaltrealität im Fussball und im Eishockey scheint dabei gar nicht mal mehr nötig zu sein. Vor Kurzem äusserte ich diese Gedanken an einem Podium, veranstaltet vom Arxhof, einem bekannten Massnahmenzentrum für junge Erwachsene. Die Reaktion einer Frau aus dem Publikum war interessant: «Die Lösungsfindung in dieser Gewaltthematik befindet sich in einer ständigen Ambivalenz. Einerseits rufen die Medien zur Lösungsfindung auf, andererseits können sie gar kein Interesse daran haben, dass diese Thematik von der Medienbildfläche verschwindet.» Die Sicherheitsdebatte im Fussball ist zu einem bedeutenden ökonomischen Faktor und zu einem Profilierungsfeld geworden. Es lohnt sich, dieses Thema zu bewirtschaften. Mit Sicherheit wird Profit
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gemacht. Eine «Lösung» zu finden, zahlt sich nicht für alle aus. Mit Betroffenheit und Aktivismus erhält man schnell Zuspruch und Bekanntheit in der Bevölkerung. Immer mehr (Finanz-)Mittel werden so legitimiert und generiert, um gleichzeitig die Entrüstung darüber auszudrücken, dass Steuergelder dazu verwendet werden. Profiteure allerorten Die Polizei ist daran, dank dem Fussball ihre Mittel auszubauen. Das Klagen über Personalnotstände kann Realität und Strategie sein. In Bern verzehnfachten sich die Polizeikosten in den letzten acht Jahren auf 4 Millionen Franken pro Jahr. Auch die privaten Sicherheitskräfte konnten aufrüsten. Die Stadioninfrastruktur mit ihren teuren hochauflösenden Kameras, den Hochsicherheitssektoren und der sonstigen Sicherheitsinfrastruktur bringt einigen Unternehmen grössere wiederkehrende Erträge ein. Beim FC Basel ist der Anteil der Organisationskosten, der pro Zuschauer in die Sicherheit fliesst, von 2.57 Franken (2004) auf 4.89 Franken (2009) gestiegen. Hundertausende Franken werden in Projekte (wie die Prüfung einer Fancard) gesteckt. Projektleiter kommen und gehen und werden teuer bezahlt. Im «Club» des Schweizer Fernsehens zum Thema Gewalt im Fussball durften mehrere potenzielle Mit-Debattierende, die sich in den letzten Monaten immer wieder prominent geäussert haben, nicht eingeladen werden, weil sie im Wahlkampf stehen. Und selbstkritisch ist anzu-
merken: Auch die Soziale Arbeit konnte dank der Gewaltdebatte ihr Tätigkeitsfeld auf die Stadien ausbreiten und neue Stellen schaffen. Und ich kann hier, in Interviews und auf Podien meine Meinung ausbreiten. Auch die Fankurven stehen in dieser Ambivalenz. Die Sicherheitsdebatte bildet Reibungsfläche, Konfrontationsmöglichkeiten und Wege, sich abzugrenzen. Alles wichtige Mechanismen, die es einer Subkultur – zu der sich die Fankurven in der Schweiz entwickelt haben – ermöglichen, noch näher zusammenzurücken, ihre Ideale zu leben und eine Solidarität aufzubauen. Begleitet von einem Widerstand, der für viele Jugendliche attraktiv und spannend ist. Subjektives Sicherheitsempfinden Das gesellschaftsdominierende Thema Sicherheit macht auch vor dem Stadion nicht halt und funktioniert nach dem immer gleichen Muster: Man nehme einen gravierenden Einzelfall (lange war es der 13. Mai 2006 in Basel, nun ist es der Spielabbruch im Züricher Derby vom 2. Oktober 2011), nütze die Macht der Bilder aus und kreiere daraus einen allgemeinen Zustand oder eine Tendenz. Die mediale Inszenierung und die politische Vereinnahmung werden dabei kaum durchschaut. Schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten – für die Quote und für Trittbrettfahrer. Je mehr wir davon sehen, hören und lesen, desto höher schätzen wir die Wahrscheinlichkeit ein, dass ein Ereignis ein Dauerzustand ist – auch wenn dies nicht der Realität entspricht. Eine permanente Bedrohung sowie eine abstrakte Gefahr, bei jedem Spiel Hunderten von gewaltbereiten Fussballfans zu begegnen, werden vermittelt. Das Ergebnis: zig reale Massnahmenvorschläge, die meist pauschal die Gesamtheit der Fans treffen.
der fan-arbeiter informiert
Die Forschung subsummiert dieses Phänomen unter der Verfügbarkeitstheorie (Availability Heuristic). Die Folge ist eine Wahrnehmungsverzerrung in der Öffentlichkeit. Es entsteht ein völlig anderes Bild, als es die Matchbesucherinnen und Matchbesucher – trotz den gravierenden Ereignissen, die sich im Abstand von ein paar Jahren wiederholen – selber erleben. Als Beispiel: 2010 führten der FC Basel, die Fanarbeit Basel und die Universität Bern eine Online-Befragung durch, an der über 4200 Fans des FC Basel aus allen Stadionsektoren teilnahmen. Befragt zur Wahrnehmung der eigenen Sicherheit, gaben 98,3% an, dass sie sich während des Heimspiels sicher oder sehr sicher fühlten. Nach oder vor einem Heimspiel fühlten sich 95,1% aller Befragten sicher oder sehr sicher. Die Aussage, dass der Besuch eines Fussballspiels nicht gefährlich ist, dass Gewalt an einem Fussballspiel aber durchaus vorkommen und ein(e) Matchbesucher(in) damit konfrontiert werden kann, ist in unserer heutigen von Ängsten geleiteten Gesellschaft kaum nachvollziehbar, geschweige denn akzeptierbar. Schnell wird man so in die Ecke der Verharmloser oder gar Gewaltbefürworter gedrängt. Schliesslich gilt es dem Bild der absoluten Sicherheit und dem unrealistischen Idealbild der völligen Gewaltfreiheit nachzustreben. Umso wichtiger wäre es, über die Sicherheit im Fussball möglichst sachlich zu diskutieren. Dies passiert auch: Letztes Mal konnte ich dies an einem lokalen runden Tisch erleben. Dabei ist feststellbar, dass jede «Partei» den Begriff Sicherheit anders definiert und auch die Risikobereitschaft ganz unterschiedlich beschrieben wird. Ein auswegloser Weg also? Nein! Geförderte Machtspiele Die Philosophin Katrin Meyer, welche zu normativen Theorien von Macht, Gewalt und Sicherheit forscht, plädiert in einem WoZ-Artikel dafür, die Prämisse von Sicherheit um 180 Grad zu überdenken. «Sicher ist nicht nur, wer sich gegen Gefahren wehren, sondern vor allem auch, wer sich auf etwas verlassen kann»,
schreibt sie. Sicherheit sei nicht nur ein Ausdruck von Verteidigung, Abwehr und Gefahr, sondern auch ein Zustand von Vertrauen und Verlässlichkeit. Dieser für mich sehr gesellschaftsliberale Ansatz hat bestenfalls zur Folge, dass man nicht reflexartig versucht, sein Gegenüber oder seinen Kontrahenten zu einem Feind zu machen, sondern man sich bewusst ist, dass man sich auf diesen verlassen können muss, um seine eigene Handlungsfreiheit zu behalten. Zugespitzt formuliert ist sich jeder in einer Fankurve bewusst, dass es die Polizei rund um Fussballspiele braucht und sie mit ihrer Präsenz auch die Selbstregulierung in der Fankurve unterstützt. Statt jedoch einen konstruktiven Dialog aufzubauen, über Verhalten und Wirkung zu diskutieren, herrscht ein gegenseitiges Misstrau-
en. Machtspiele werden gefördert und Feindbilder geschürt. Nicht selten entsteht daraus die Legitimation von Gewalt. Bernhard Heusler, Vizepräsident des FC Basel 1893, hat praxiserfahren in einem sehr interessanten Interview auf Kurzpass.ch diesen Zusammenhang eindrücklich in Worte gefasst: «Neben einer konsequenten und glaubwürdigen Fanpolitik des Klubs gehört dazu eine konstruktive und ständige Zusammenarbeit mit Behörden und Polizei. Dies setzt voraus, dass man sich gegenseitig ein Mindestmass an Vertrauen und Respekt entgegenbringt. Weder sind die Fans unter Generalverdacht zu stellen und als Haufen von Chaoten und Kriminellen zu «entmenschlichen», noch sollten sich Fanbetreuer, Sicherheitsleute, Klubverantwortliche und Polizei gegen-
seitig mit Vorurteilen und Argwohn begegnen, um sich beim erstbesten Negativereignis gegenseitig die Schuld zuweisen zu können. Offener Dialog und Zusammenarbeit bedeuten eben, dass man sich auf Augenhöhe begegnet, die allenfalls abweichende Positionen des Gegenübers anerkennt, zuhört und – soweit möglich – zu verstehen versucht. Diese Haltung gilt auch ganz besonders gegenüber den Anliegen der Fans.» Oder: «Eins dürfte klar sein: Mit populistischer Stimmungsmache ausserhalb dieser offiziellen Gremien und ohne Dialog gewinnen wir im delikaten Bereich der Fanpolitik und Sicherheit gar nichts. Wer den Weg der Polemik und des Populismus sucht, muss sich bewusst sein, dass damit der schwierigen Aufgabe der Bekämpfung von Gewalt in und ausserhalb der Stadien mehr geschadet als zur Verbesserung der Situation beigetragen wird. Denn bestärkt und gestärkt werden damit diejenigen radikalen Kräfte, welche die Konfrontation suchen. Es wird damit der Nährboden geschaffen für die von uns allen schon beobachtete und gefürchtete Vorwand-Gewalt, die zu einer gefährlichen Solidarisierung unter den Fans führen kann.» Hier spricht nicht irgendein Sozialromantiker, sondern der Hauptverantwortliche des zurzeit erfolgreichsten Klubs der Schweiz mit dem grössten – nicht immer pflegeleichten – Anhang, der die «Fanpolitik» vor fünf Jahren zur Chefsache erklärt hat. Dies übrigens sehr erfolgreich. Dialog ist keine naive Floskel. Dialog schafft Sicherheit! Selbst dann, wenn wir nicht die gleiche Definition von Sicherheit verfolgen. Dialog schafft auch einen gesunden Pragmatismus. Er verhindert in einer aufgeheizten Debatte, in eine lähmende Hysterie zu verfallen, und hilft, einen kühlen Kopf zu bewahren. Erst recht, wenn ein gravierendes Ereignis den Motor dieser «unheiligen Allianz» wieder in Gang setzt und den ganzen gemeinsamen Weg infrage stellt. Mit Sicherheit. Thomas Gander ist Geschäftsführer von Fanarbeit Schweiz (FaCH)
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Urziceni
Text: Radu Baicu (scoutingromania.com) Übersetzung: Mämä Sykora
Todesursache: Erfolg Ein dubioser Investor übernahm den kleinen rumänischen Verein Unirea Urziceni und führte ihn in die Champions League – und ein Jahr später in den Konkurs. Eine Geschichte, die unweigerlich an Xamax denken lässt.
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er Verein hat Geschichte geschrieben, nun ist er selber Geschichte. 8 Punkte holte Unirea Urziceni in der Gruppenphase der Champions League 2009/10, ein Rekord für den wenig erfolgsverwöhnten rumänischen Fussball. Nun, kaum ein Jahr später, ist der Verein verschwunden, abgeschossen von Dumitru Bucsaru, dem undurchsichtigen Eigentümer, der aus dem Nichts auftauchte, einige Millionen ausborgte und abkassierte, sobald er Gewinn machte. So ist der Fussball dieser Tage, in Rumänien und auch überall sonst: nur ein Geschäft. Das Märchen beginnt Der Klub wurde 1954 gegründet, startete in der 3. Liga unter dem Namen Aurora Urziceni und hatte nie Ambitionen, mehr als eine Liga höher zu spielen. 1984 folgten die Umbenennung in Unirea und gleichzeitig der Abstieg in die 4. Liga. Das Abenteuer 2. Liga begann für die «Wölfe» erst 2003, nur ein Jahr nachdem eine neue Firma namens Valahorum SA eingestiegen war. Das war der Beginn eines schönen und überraschenden Mär-
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chens, denn nur drei Jahre später tauchte das kleine Städtchen auf der Landkarte der 1. Liga auf. Nicht einmal 20 000 Einwohner hat das Städtchen Urziceni, das etwa 60 Kilometer nordöstlich von Bukarest liegt, und sie alle freuten sich lediglich auf ein Jahr inmitten der Elite. Keiner konnte ahnen, dass Dumitru Bucsaru, der mysteriöse Geschäftsmann an der Spitze des Vereins, nicht nur mit den etablierten Vereinen mitspielen, sondern seinen Klub selber zu einem solchen machen wollte. Bis in die Champions League Als Unirea noch in der 2. Liga spielte, wurde der Klub als einer der vielen Partnervereine von Dinamo Bukarest angesehen, die den ehemaligen Polizeiverein des kommunistischen Regimes mit Talenten versorgten. Es war ein offenes Geheimnis, dass die berüchtigten Spielervermittler Victor und Ioan Giovani Becali – Letzterer war auch Adrian Mutus Agent – im Hintergrund die Fäden zogen, freilich ohne offizielles Mandat. Dank ihrer Hilfe konnte der Verein nicht
nur gute Spieler verpflichten, sondern fand auch einen Trainer mit einem grossen Namen: Dan Petrescu, ehemaliger Chelsea-Verteidiger und erpicht darauf, sich als Coach einen Namen zu machen, um es wieder in die beste Liga der Welt zu schaffen. Selbst seine Tochter trägt den Namen des Londoner Klubs, und bald wurde auch Unirea «Rumäniens Chelsea» genannt. Petrescu wurde, was in Rumänien eher unüblich ist, mit allen Kompetenzen ausgestattet und entpuppte sich als wahrer Workaholic. Es war keineswegs so, dass Eigner Bucsaru sich den Weg an die Spitze erkauft hätte, es war eher Petrescus Verdienst, der dem Verein mit seinen Erfahrungen aus der Zeit bei den Blues weiterhelfen konnte. Tatsächlich gab Unirea kaum grosse Summen für Neueinkäufe aus, da Petrescu – mithilfe von Mihai Stoica, dem ehemaligen Präsidenten von Steaua Bukarest – seine Fühler stets nach Schnäppchen und Spielern ausstreckte, die sofortigen Erfolg versprachen. Seine Zielobjekte waren Führungsspieler. Er holte mehrere Captains von Erstligaklubs: etablierte Fussballer um die 30, fast ausschliesslich Rumänen. Kurz: Spieler, die sich noch einmal beweisen wollten. Iulian Apostol etwa, freigestellt von seinem Ex-Verein Farul Constanța, war berüchtigt dafür, über die Presse alles und jeden anzugreifen. Er galt als streitsüchtig, unprofessionell und war sogar in Spielabsprachen verwickelt. Petrescu gab ihm eine Chance, und der kleine Mittelfeldspieler war so beeindruckend, dass er bald auch in der Nationalmannschaft auflief.
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Beeindruckende 8 Punkte holte Unirea aus den Gruppenspielen. Ein phänomenales 4:1 gegen die Rangers im Ibrox Park, zu Hause der Sieg über Sevilla und je ein Unentschieden gegen Stuttgart und die Schotten. Erst das 1:3 in Deutschland besiegelte das Ausscheiden des Aussenseiters. László Bölöni, ehemaliger rumänischer Nationaltrainer, bezeichnete die Spieler als «Helden». Frustriert, aber stolz widmete man sich wieder der Liga, um auch im Jahr darauf wieder auf der grössten Bühne auftreten zu können. Doch ohne Ausgaben für neue Spieler war der Plan zum Scheitern verurteilt. Und als Petrescu inmitten der Saison zum russischen Verein Kuban Krasnodar wechselte, war dies ein erstes Zeichen dafür, dass in Urziceni mehr als nur die Lichter der Champions League ausgehen könnten. Ein glücklicher Mann erlebte die Veränderungen im Verein aus nächster Nähe: Epaminonda Nicu. Der vielseitige Verteidiger schaffte den unglaublichen Sprung von den schlammigen Plätzen der dritten rumänischen Liga zum top gepflegten Rasen, der zur Wochenmitte unter den Klängen der Champions-League-Hymne vibriert. Drei Mal kam Nicu in den Gruppenspielen zum Einsatz, weitere vier Spiele folgten in der Europa League. Heute ist er 31, trägt die Farben des FCM Târgu Mureș und kämpft wieder gegen den Abstieg. Darlehen der Konkurrenz Unirea spielte zwar nicht spektakulär und unterhaltsam, aber sehr erfolgreich. Lob gab es für Petrescus grossartige taktische Arbeit, aber auch für den Besitzer des Klubs, der sich in Diskretion übte. Eine Eigenschaft, die höchst selten ist bei den Vereinsbossen im rumänischen Oberhaus. Regelmässig wurde über den ruhigen Buscaru berichtet, aber die wichtigsten Fragen blieben unbeantwortet: Wer ist dieser Mann eigentlich? Woher kam er? Es sind die gleichen Fragen, die auch in Neuenburg seit Tschagajews XamaxÜbernahme offen sind. Später sollte man herausfinden, dass Buscaru 10 Millionen Euro geliehen hatte von Steaua-Boss Gigi Becali, dem Cousin der beiden oben er-
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wähnten Spielervermittler. Aber es schadet doch dem Wettbewerb nicht, wenn zwei Konkurrenten in einen solchen Deal verwickelt sind, richtig? Falsch, wie sich herausstellen sollte. Denn Steaua hätte Unirea noch stoppen können auf deren Weg zum Titel 2009, stattdessen nahm man die 0:1-Niederlage in Urziceni mehr oder weniger kampflos hin. Man sei glücklich, solange CFR Cluj nicht noch einen Titel gewinne, wurde verkündet. Zum Glücklichsein gab es auch allen Grund, denn Unirea und Bucsaru winkte nun das grosse Geld der Champions League. Und damit durfte Steaua auch auf die Rückzahlung des Darlehens hoffen. Mit Zinsen, versteht sich. Drei Jahre brauchte Unirea nach dem Aufstieg für den Gewinn der Meisterschaft. Einem 10. Platz in der ersten Saison folgten der 5. Platz und das Erreichen des Cupfinals, nun durfte man sich mit den ganz Grossen messen, denn dem rumänischen Meister stand ein fixer Startplatz in der Champions League zu. (Un) glücklicherweise wurden den «Wölfen» die Glasgow Rangers, der FC Sevilla und der VfB Stuttgart zugelost. Die Heimspiele wurden in Bukarest ausgetragen, und das Publikum begann langsam stolz auf die Mannschaft zu werden und versuchte, Petrescus Team lieben zu lernen.
Flucht der Spieler 2010/11 war die letzte Saison in Liga 1, und sie war ein Kampf und eine fürchterliche Show. Bucsaru bezahlte einen Teil seiner Schulden bei Gigi Becali, indem er einige Schlüsselspieler zu Steaua abschob. Andere Spieler warteten derweil seit Monaten auf ihren Lohn, obwohl die Champions League Bucsaru Einnahmen von über 17 Millionen Euro beschert hatte. Sie schalteten die Liga ein, erreichten eine Vertragsauflösung und fanden bald bei anderen Vereinen Unterschlupf. So viel zu den «Helden». Ersetzt wurden die Abgänge durch Junioren von Steaua und Dinamo, also von jenen Klubs, die Unirea in der Vergangenheit in unterschiedlicher Art und Weise unterstützt hatten. Die Youngsters taten ihr Bestes, um den Abstieg zu verhindern, doch es schlich sich das Gefühl ein, dass sich der Verein auch dann aus Liga 1 verabschieden würde, wenn den Jungen diese Heldentat gelingen sollte. Denn in der Winterpause stand eine Fusion mit Concordia Chianja zur Debatte. Unirea wollte 13 Spieler vom Zweitligisten übernehmen, um den Klassenerhalt zu schaffen, was eine irre Kettenreaktion zur Folge gehabt hätte. Der Plan: Concordia sollte nach Berceni umziehen, der dortige Drittligist die restlichen Concordia-Spieler übernehmen und nach Roșu umziehen.
Urziceni
Der Verband aber akzeptierte keinen Zusammenschluss in der laufenden Saison, und weil Concordia plötzlich selber um den Aufstieg in die erste Liga mitspielte, zog der Verein das Fusionsangebot zurück. Im Frühling stand fest, dass Unirea nicht nur aus Liga 1 verschwinden würde, sondern ganz aus dem rumänischen Fussball. Für immer. Nicht nur die Spieler warteten nach dem Champions-League-Reibach vergeblich auf ihr Geld, auch der Staat ging leer aus. Steuern und Sozialleistungen blieben unbezahlt, sodass sich die Behörden zum Eingreifen gezwungen sahen. Im April 2010 standen Massageliegen, Fernseher und sogar die zwei Tore des TineretuluiStadions zum Verkauf, die so vieles erlebt hatten in den letzten Spielzeiten. Alle Besitztümer des Vereins wurden verscherbelt, auch wenn der Wert noch so gering war. Bucsaru kümmerte das wenig. Oder hat wirklich jemand gedacht, die Preisgelder der UEFA seien auf dem Bankkonto des Vereins gelandet? Der Verein war nicht mehr zu retten. Urzicenis Bürgermeister gab zu Protokoll, dass die Stadt schlicht zu arm sei, um auch nur für die laufenden Verpflichtungen aufzukommen. Ganz zu schweigen von den horrenden Schulden beim Staat, die ebenfalls hätten beglichen werden müssen. So fand sich niemand, der den Klub übernehmen wollte. Bucsaru liess die Frist für das Lizenzierungsgesuch für Liga 2 ungenutzt verstreichen, der Verein Unirea Urziceni wurde aufgelöst. Einsamer Wolf sucht Buscarus Beweggründe sind offensichtlich. Er kam, profitierte von den finanziellen Freiheiten, die ihm der schlecht organisierte und korruptionsfreundliche rumänische Fussball bot, und benutzte fremdes Geld, um sich nicht nur einen schlechten
Ruf zu schaffen, sondern vor allem auch, um damit Gewinn zu machen. Er feierte sportliche und finanzielle Erfolge und zog sich zurück, solange der Geldfluss noch anhielt. Dazu suchte er sich die perfekte Umgebung aus: eine kleine Stadt, die nicht in der Lage ist, einen professionellen Fussballverein zu unterhalten, und eine Fussballlandschaft, die einen falschen Abramowitsch akzeptiert, solange er ehrlich genug ist, das geliehene Geld den Glazers zurückzubezahlen. Bedauern? Gab es kaum. Rumänien hat schon den nächsten kleinen Verein in der Champions League, Oțelul Galați, Gruppengegner des FC Basel. Trainer dort ist Dorinel Munteanu, Rekordnationalspieler Rumäniens, der sich einen Namen schaffen will, um wieder zu seinem Lieblingsverein, dem 1. FC Köln, zurückkehren zu können. Unirea hinterliess einen hervorragenden Leistungsausweis und eine Geschichte, die sich so schnell wohl nicht wiederholen wird. Und einen einzigen verstimmten Fan. Er folgte dem Team als einziger Anhang überall hin, meist sass er alleine auf der für die Unirea-Fans reservierten Tribüne. «Lupul singuratic» – einsamer Wolf – nannte er sich. Zum Schicksal seines Vereins meint er nur: «Es ist traurig, aber ich werde einen neuen Verein finden. Ich bastle schon an neuen Transparenten. Ich liebe
Fussball, für mich bedeutet er einfach alles.» Die Frage bleibt: Wäre die Geschichte wirklich anders gelaufen für Unirea, wenn die Tribünen stets voll gewesen wären? Auch in der Schweiz möglich? Der Fall Unirea wäre durchaus auch in der Schweiz denkbar. Für angebliche Investoren, die nach dem gleichen Muster abkassieren wollen wie Bucsara, ist die Schweiz sogar ein gutes Pflaster. Einen kleinen Verein kriegt man fast geschenkt. Es braucht in unserer Ausbildungsliga – wenn man es geschickt anstellt – verhältnismässig wenig Geld, um mit den Besten mithalten zu können, gerade wenn man lediglich den kurzfristigen Erfolg anpeilt und auf fertig gereifte Spieler setzt. Die 5-Jahres-Wertung der UEFA garantiert momentan dem Meister einen fixen Startplatz in der Champions League, damit wird man für Nachahmungstäter interessant. Zwar müssen Schweizer Vereine eine AG sein, ansonsten gibt es aber kaum Einschränkungen für Investoren. Es fehlt ein Schutzmechanismus wie die «50+1-Regel» in Deutschland, die verhindert, dass ein Investor mehr als 50% der Aktien und des Stimmrechts haben kann. Hierzulande kann ein Mehrheitsaktionär wie etwa Bulat Tschagajew ganz alleine bestimmen, was mit dem Verein geschehen soll. Beschliesst er die Auflösung des Vereins, wird das Eigenkapital gemäss den Aktienanteilen aufgeteilt. Damit wandert ein netter «Return on Investment» auf das Privatkonto des Besitzers und der Verein in den Mülleimer der Geschichte. (syk)
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Trainer: Playstation Text: Mämä Sykora
Mit den immer realistischer werdenden Videospielen hat sich auch der reale Fussball stark verändert.
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ergleicht man die Ballführung und die Bewegungen der Spieler bis Ende der 90er-Jahre mit denen von heute – egal auf welchem Niveau –, sind die Unterschiede augenfällig und erstaunlich. Von Köbi Kuhn über Heinz Hermann bis Ciriaco Sforza, sie alle trieben den Ball trabend vor sich her, den Kopf oben zwecks guten Blicks für die Mitspieler. Wenn heute Xherdan Shaqiri, Valentin Stocker oder Moreno Costanzo mit dem Ball am Fuss das Mittelfeld durchschreiten, dann holpert das Spielgerät selten unbearbeitet vor ihnen her, sondern wird mit der Sohle gestreichelt, seitlich nachgezogen oder mit Übersteigern beschützt. Wie die Profis sich bewegen und den Ball behandeln, so lernen es auch die Jugendlichen. Doch was hat zu diesem krassen Wandel in so kurzer Zeit geführt? Auffällig ist, dass die neue Art des Fussballspielens, das Tänzelnde, besonders von jüngeren Spielern zelebriert wird und exakt dann Einzug in den Profifussball hielt, als sich den Fussballsimulationen mit der Einführung der Spielkonsolen der 6. Generation im Jahre 2000 (Playstation 2, Xbox) neue technische Möglichkeiten eröffneten.
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Pionier Matthäus Genau zur gleichen Zeit wechselte ein 13-jähriges Talent aus Argentinien zum FC Barcelona und machte sich daran, zum besten Spieler der Welt zu werden. Wenn er nicht gerade irgendwo auf einem Rasen dem Ball nachjagte, sass er mit dem Controller in der Hand vor dem Fernseher und spielte Fussballgames. Zehn Jahre später eliminierte er im Viertelfinale der Champions League Arsenal im Alleingang. Nach seinen vier Toren sagte Arsène Wenger über ihn: «Messi ist wie ein Spieler aus einem Playstation-Game.» Die Vorstellung, wie Wenger sich an einer Spielkonsole versucht, ist zwar etwas gewöhnungsbedürftig, in der Tat sagte Messi aber einst, er habe viel von der Playstation gelernt. Die Bewegungen, die die virtuellen Kicker beim Drücken auf die verschiedenen Knöpfe vollführen, sind seit geraumer Zeit alle physikalisch möglich, wie Ralf Anheier, PR Manager von EA Sports, dem Herausgeber der FIFA-Reihe, bestätigt. Seit der Ausgabe 2001 wird mit MotionCapturing gearbeitet. Dabei tragen echte Profis Ganzkörperanzüge mit Detektoren, die die Bewegungen erfassen. Das
erste Model war Lothar Matthäus, später kamen auch Torres, Ronaldinho, Klose oder Kakà zum Handkuss. Für die aktuelle Ausgabe setzte EA Sports u.a. Spieler der Vancouver Whitecaps ein. Wer also bei FIFA 12 einen Spieler steuert, der sieht unter anderem die Bewegungen von Davide Chiumiento. Viele der heutigen Profis geben als Hobby die Playstation an. Es ist nur natürlich, dass sie in der Juniorenzeit gerne die Tricks und Bewegungen ausprobiert haben, die auf der Spielkonsole so leicht von der Hand gehen. Übersteiger, die 360°-Drehung und eben auch die elegante Art, einen Ball zu führen – wer das lange übt, kann diese Tricks bald in sein Spiel einbauen. So verbreiten sich diese Bewegungsabläufe in Windeseile. Erfunden wurde indes noch kein Trick auf der Playstation, doch auch Ralf Anheier ist der Ansicht, dass es zumindest Situation im realen Fussball gibt, die von Videogames beeinflusst worden sind. «Den Einfluss der Fussballsimulationen auf das echte Spiel schätze ich zwar als noch nicht so gross ein, in Sachen Taktik und Abläufen sowieso nicht. Aber es kann gut sein, dass die Profis, die gerne und oft zocken, einiges von den Games übernommen haben für ihr Spiel.» Der Maradona-Spin Nicht nur die technischen Möglichkeiten der Konsolen haben sich verbessert, auch die Mediennutzung hat sich in den letzten zehn Jahren merklich verändert.
fussball-games
Heute sieht man Fussball aus allen Ligen, und wenn heute irgendwo ein spektakuläres Tor fällt oder ein Spieler einen neuen Trick vorführt, ist das dank Youtube bald überall auf der Welt zu sehen. Von da an ist es nur noch ein kurzer Weg, bis ihn einige andere Spieler kopieren, und bald hat man auch die Möglichkeit, ihn auf der Playstation anzuwenden. Da fast jeder Nachwuchsfussballer auch Fussball auf der Konsole spielt, ist der Trick schnell weit herum bekannt. Ein gutes Beispiel für die Unterschiede zu früher ist die 360°-Pirouette auf dem Ball, auch bekannt als «Maradona-Spin» oder «Marseille-Roulette»: Zwar narrte schon der grosse Diego in den 80er-Jahren seine Gegenspieler damit, aber erst dank Zidane und der gleichzeitigen Verbreitung in Fussballgames sehen wir diesen Trick heute an Weltmeisterschaften ebenso wie an Grümpelturnieren. Nicht bei allen sehen diese Bewegungen gleich elegant aus wie bei den Playstation-Figuren. Die Ähnlichkeit mit den Profis ist hingegen verblüffend. Valentin Stocker sagte nach einem ersten Test mit FIFA 12: «Es ist erstaunlich, wie perfekt ich abgebildet bin. Ich sehe fast mehr nach mir aus, als wenn ich in den Spiegel schaue!» Lionel Messi hingegen will sich nicht mit seinem virtuellen Abbild vergleichen: «Dieser Playstation-Messi macht viele unglaubliche Sachen.» Gerade in seinem Fall heisst das indes nicht, dass es nicht realistisch wäre. Bald wie live Alleine um die Bewegungen der Spieler kümmern sich bei EA Sports mehrere Teams, zwei Personen sind alleine für die Gesichter zuständig. Mit jeder Version der beiden dominierenden Fussballsi-
mulationen FIFA und Pro Evolution Soccer wird die Grafik weiter verbessert, auch wenn die Sprünge freilich nicht mehr so gross sind wie noch vor einigen Jahren. Machbar wäre schon heute alles, die Grenzen werden durch die Hardware gesetzt. Ralf Anheier nochmals: «Ich schätze, in den nächsten fünf Jahren wird noch einiges passieren. Mit der neuen Konsolengeneration und dem Ziel Fotorealismus wird man dann auf den ersten Blick kaum mehr Unterschiede zu einer Liveübertragung feststellen können.» Je realistischer das Game, desto grösser der Anreiz für die Spieler, das Gesehene bzw. Gespielte nachzuahmen. Auf ProfiEbene ist dies schon jetzt zu beobachten. In der letzten FIFA-Version standen 120 Torjubel zur Auswahl, einige davon waren wenig später auch in den Stadien zu sehen. Doch nicht nur für das Einstudieren von Jubelszenen werden PlaystationSpiele verwendet. Einige deutsche Vereine nutzen die Playstation auch für die Taktikschulung. Bei Union Berlin etwa steht im Medienraum eine Konsole, auf der das Verhalten bei Standardsituationen veranschaulicht wird. Gar einen Schritt weiter geht man bei Manchester City: Die jungen Talente in der Fussballakademie des Vereins werden ermutigt, an der zur Verfügung gestellten Konsole zu spielen. Scott Sellars, Cheftrainer der Akademie, ist der Ansicht, dass die Jungs Fussball am besten lernen, indem sie beobachten. Videogames sind dafür ideal, weil man einerseits das Spiel sieht, gleichzeitig aber auch selber handeln muss. Weil die Stärken der Spieler im Spiel dank unzähligen Attributen sehr genau abgebildet werden, kann man sich gar ein Bild über eine gegnerische Mannschaft machen, ohne sie je spielen ge-
sehen zu haben. Einer, der diese Möglichkeit nutzt, ist Ole Gunnar Solskjær, als «Killer mit dem Babyface» jahrelang Stürmer bei Manchester United und heutiger Trainer des norwegischen Vereins Molde FK: «Für mich ist das eine fantastische und einfache Möglichkeit, mir schon mal einen Überblick über die Spieler im Kader des Gegners zu verschaffen.» Rooneys Selbstbildnis In ihrem Privatleben nutzen die Profis die Playstation freilich nicht zu Lernzwecken, sie füllen lediglich einen Teil ihrer vielen freien Zeit aus. Am liebsten spielen sie natürlich mit der eigenen Mannschaft. Wayne Rooney, der sich früher selber als Spieler erstellt hat, ist besonders verbissen. Nach seinem Fallrückzieher-Tor im Manchester-Derby forderte er noch am gleichen Abend online CityVerteidiger Joleon Lescott heraus, den er einst in die Welt der Fussballsimulationen eingeführt hatte. Über den Ausgang jener Partie herrscht indes Uneinigkeit: Rooney sprach von einem leichten Sieg, Lescott verkündete einen 6:0-Erfolg und dass «der Schüler zum Meister geworden» sei. Lescott (29) und Rooney (26) gehören zur mittleren Fussballergeneration. Bei der älteren waren Spielkonsolen noch nicht so ein Thema, die jüngere kennt sie schon seit frühster Kindheit. Man darf gespannt sein, ob der reale Fussball dadurch in den nächsten Jahren einen weiteren Wandel erlebt. Schaut man sich die Youtube-Videos an, in denen schon Kleinkinder mit ihren videospielähnlichen Dribblings ganze Juniorenmannschaften durcheinanderwirbeln, scheint dies schon programmiert.
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«Schon früher zeigten
Rubrik
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die Alten ihre Muskeln» Rubrik
Sie sind beide Sternzeichen Fisch und im Schaltjahr 1976 geboren, Milaim Rama am 29. Februar, Mauro Lustrinelli ist drei Tage jünger. Die Stürmer der Kukident-Generation beim FC Thun lassen ihre Karrieren Revue passieren. Text: Ueli Zoss / Bilder: Jean Weber & Stefan Bohrer
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Lustrinelli & Rama ZWÖLF: Milaim Rama und Mauro Lustrinelli, was sagt ihr zum Jugendwahn, der im Fussball Einzug gehalten hat? Milaim Rama: Es gibt nicht junge und alte Spieler, sondern nur gute oder weni-
«Vielleicht sind wir dank mir ein bisschen stärker.» Mauro Lustrinelli
ger gute. Mir gefällt das gesunde Selbstvertrauen der neuen Spielergeneration. In Italien oder teilweise auch in England braucht es aber länger als bei uns, bis ein Junger eine Chance kriegt. Mauro Lustrinelli: Ich habe nichts dagegen, wenn Trainer auf die Jugend setzen. Wobei, es ist nicht eine Frage des Alters, ob einer spielt. Höchstleistungen im fortgeschrittenen Sportleralter sind heute keine Seltenheit mehr. Nur dürfen die Älteren im Duell mit der jungen Generation nicht an ihre Grenzen stossen. Der Fussball hat eine grosse integrative Wirkung für die verschiedenen Ethnien. Wie war es für euch als FussballSecondos der ersten Stunde? Lustrinelli: In Bellinzona wuchs ich im Immigranten-Quartier Semine auf. Dort kickte Kubilay Türkyilmaz. Oder Massimo Busacca mit Massimo Lombardo, die wie ich italienischer Abstammung sind. Allesamt haben wir die Champions League erreicht. Busacca mit der Pfeife (lacht). Probleme mit den Einheimischen bekam ich eigentlich nie, weder in der Schule noch als Junior. Die Sprache war ja überall gleich. Rama: Bei mir war es etwas komplizierter. Ich kam als 17-Jähriger in die Schweiz. Mein Vater arbeitet seit 1978 in der Schweiz. Als die Spannungen zwischen den Serben und den Albanern eskalierten, liess er meine Mutter, meine Geschwister und mich nachkommen. Wir lebten in Interlaken, mitten im Zentrum, so in einer Art kosovarischer Enklave inmitten japanischer Touristen
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(lacht). Es war eine harte Zeit. Ich konnte die Sprache nicht, musste viel lernen. In meiner Heimat war alles zerbombt. Auch unser Haus in Zhiti. Obwohl ich selber kaum Geld hatte, weil ich in der 2. Liga beim FC Interlaken nichts verdiente, schickten wir Geld. Damit wurde es wieder aufgebaut. Als es mit der Einbürgerung klappte und ich den Schweizer Pass erhielt, war ich überglücklich. Ich gründete eine Familie und schaffte im Fussball den Durchbruch. Nun seid ihr beim FC Thun Konkurrenten um einen Platz im Sturm. Wer mehr Tore schiesst, ist also besser? Lustrinelli: Wir sind Strafraumstürmer, das ist nochmals ein Unterschied zu offensiven Spielern im Allgemeinen. Ausserhalb des Sechzehners schiesse ich kaum Tore, du doch auch nicht Milaim, oder? Ich treffe meistens etwa vom Penaltypunkt aus. Eine Ausnahme war der Drehschuss zum 3:0 in der ChampionsLeague-Qualifikation gegen Malmö. Es ist eine Binsenwahrheit, dass ein Stürmer an Toren gemessen wird. Das ist manchmal ein Nachteil. Vor allem bei jenen Fussballreportern, die Noten verteilen. Treffe ich keinen Ball, schiesse ich aber in der 87. Minute das Siegestor, erhalte ich eine 5, sonst eine 3. «Lustrigol» war immerhin auch eine Erfindung eines Journalisten Das war nett. Tore zu erzielen, ist auch wichtig, um die Trainer bei Laune zu halten. Ich habe Trainer erlebt, die nur auf die Anzahl Tore achteten. Rama: Der Ball muss ins Tor, nur das zählt. Auch mir gelingen die meisten Tore mitten im Sechzehner. Ich bin kein Distanzschütze. Wie die Tore fallen, darüber führen die Trainer Buch. Ob Andy Egli, Hanspeter Latour, Murat Yakin oder jetzt Bernard Challandes, sie gaben mir ein Mäppchen mit Angaben, wie die Tore fielen und wie sie eingeleitet wurden. Es fällt dabei auf, dass Flanken weit weniger zum Erfolg führen als Angriffe, die durch die Mitte laufen. So erzielten wir gegen Lausanne in dieser Saison fünf Tore. Vorne sind wir dank der Rückkehr von Mauro und neu mit Christian Schneuwly noch stärker als letzte Saison.
Lustrinelli: Vielleicht sind wir dank mir ein bisschen stärker (lacht). Aber du musst nicht übertreiben. Thun ist eine bodenständige Region. Auch als Mannschaft müssen wir bodenständig bleiben. Wir müssen laufen, kämpfen, solidarisch untereinander bleiben und weiterhin gut Fussball spielen. Der Trainer schaut vor allem darauf, dass wir als Team funktionieren. Wichtig ist auch, dass nicht noch mehr Leistungsträger wie Stephan Andrist den Klub verlassen. Nur, der FC Thun war schon mehrmals das überraschend gute Team der Saison. Das kann auch diesmal der Fall sein. Rama: Für Andrist wird sich ein anderer Spieler durchsetzen. Da bin ich mir sicher. Ich kann verstehen, dass er zum FC Basel gewechselt hat. Auch ich habe immer versucht, mich zu verbessern. Als ich ein Angebot von Augsburg bekam, habe ich zugesagt. Der Klub hatte schon damals als Regionalligist grosse Ziele. Jetzt spielt er in der 1. Bundesliga. Diesen Wechsel in die deutsche Regionalliga haben viele nicht verstanden. Gab es in Augsburg so viel mehr zu verdienen? Rama: Im Sommer 2004 stand ich – wenn man so will – auf dem Höhepunkt meiner Karriere. Ich war damals einer der besten Torschützen der NLA. Köbi Kuhn berief mich für die EM-QualiSpiele gegen Russland und Albanien erstmals ins Nati-Kader. Ich kam an der EM in Portugal gegen Frankreich zu einem Teileinsatz. Plötzlich standen mir viele Türen offen. Das Angebot von Augsburg war sicher lukrativ. Trainer Armin Veh setzte auf mich. Viel erreicht habe ich im Ausland aber leider nicht. Ich war oft verletzt und spielte wenig. Mauro, was war eigentlich dein schönstes Erlebnis mit der Nationalmannschaft? Lustrinelli: Wie dir ist mir in der Nati leider kein Tor gelungen. Aber ich traf immerhin zwei Mal die Latte (beide lachen). Unvergessen ist für mich die WM 2006 in Deutschland. Zum 2:0 gegen Togo gab ich den Assist. Mein Zuspiel auf Tranquillo Barnetta war wirklich gut. Ich war auch als Penaltyschütze gegen
MAURO LUSTRINELLI (*1976): 1994–2001 AC Bellinzona, 2001–2003 FC Wil, 2004–2006 FC Thun, 2006/2007 Sparta Prag, 2007–08 FC Luzern, 2008–2010 AC Bellinzona, 2010 BSC Young Boys, 2010/11 AC Bellinzona, seit 2011 FC Thun. 12 Länderspiele, 0 Tore.
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Lustrinelli & Rama die Ukraine vorgesehen. Ich hätte den fünften Penalty geschossen, wenn es denn dazu gekommen wäre. Meine Einwechslung gegen die Ukraine verstand ich übrigens überhaupt nicht. Ich hätte nie gedacht, dass ich ein paar Minuten vor Schluss der Verlängerung den sicheren Penaltyschützen Alex Frei ersetzen würde. Da machte Köbi Kuhn wirklich etwas falsch. Aber auch andere Trainer haben ab und zu ihre Aussetzer. Wer hätte denn nach Streller, Barnetta und Cabanas den vierten Penalty geschossen? Lustrinelli: Das weiss ich nicht mehr genau. Jedenfalls nicht Hakan Yakin, der war auch schon draussen. Bei Thun hast du als Nati-Stürmer offenbar keine 10 000 Franken im Monat verdient. War das der Hauptgrund, dein Glück bei Sparta Prag zu versuchen? Lustrinelli: Die Zahlen habe ich nicht mehr genau im Kopf. Die damalige Vereinsführung verschleppte die Vertragsverlängerung. Ich wollte schon vor Beginn der Champions League verlängern. Es kam zu keiner Einigung. Auch später nicht, als die keineswegs budgetierten Millionen aus der Champions League hereinkamen. Arsène Wenger hat mal gesagt, dass ein Spieler erst zwischen 25 und 30 Jahren ein wirklich ausgebildeter Profi sei und dann ins Ausland wechseln solle. Das habe ich getan. Ich gewann mit Sparta den Cup, schoss das immer noch schnellste Tor in der tschechischen
«YB hatte mich mal auf der Rechnung.» Milaim Rama
Meisterschaftsgeschichte. Ich war damals der einzige Ausländer im Kader, die Leute haben sich extrem um mich gekümmert. Die Tschechen sind sehr offene Menschen. Dann wechselte ich zum FC Luzern. Insgesamt nahm meine Karriere damals einen guten Verlauf.
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Was sind eure Erfahrungen mit Spieleragenten, jener umstrittenen Spezies im Fussball? Rama: Mein erster Agent war Giacomo Petralito, der sich sehr um mich kümmerte. Er hat mich mit vielen wichtigen Leuten bekannt gemacht, auch mit Köbi Kuhn. Das war an einem ChampionsLeague-Heimspiel des FC Basel. Später war Marco Balmelli mein Berater. Einen Agenten braucht es, damit er sich ein Bild über den Klub macht, der Interesse zeigt. Auch ist er wie ein Anwalt für die Spieler, weil er sich mit dem juristischen Teil bei Transfers auskennt. Heute kümmere ich mich selbst um meine vertraglichen Angelegenheiten. Lustrinelli: Ivan Reich ist seit zehn Jahren mein Berater. Mit ihm bin ich inzwischen gut befreundet. Er ist kompetent und immer auf meiner Seite. Das sind Eigenschaften, die im Fussball-Geschäft eher selten sind. Als promovierter Ökonom könntest du deine Interessen auch selbst wahrnehmen. Lustrinelli: Manchmal ist es besser, einen Berater zu haben. Beim FC Wil musste ich einen Anwalt einschalten, als der damalige Investor Igor Belanow die Löhne der Spieler zurückhielt. Meine Lizenziatsarbeit habe ich übrigens über Fussball geschrieben. Ich durchleuchtete die Serie A auf wirtschaftliche Aspekte und wie homogen die Teamgebilde sind. Kannst du dir vorstellen, nach deiner Karriere in der Wirtschaftsbranche unterzukommen? Lustrinelli: Darüber mache ich mir noch keine Gedanken. Ich könnte auch ein Grotto eröffnen (lacht). Ich koche gern. Wenn meine Frau und ich zu Hause essen, schwinge ich immer den Kochlöffel. Dabei kann ich wunderbar abschalten. Als ich zu Thun kam, lud ich die Teamkollegen ein und verwöhnte sie mit Pasta. Ich könnte also auch für 15 Leute kochen. Milaim fehlte an der Party, oder nicht? Rama: Ich hatte einen Einsatz mit der Nati. Es war ein schlechtes Spiel für uns. Wir verloren gegen Marokko 1:2.
Milaim, wie war das eigentlich mit YB. Hattest du nie ein Angebot aus Bern? Rama: Direkt bis zu mir ist nie etwas vorgedrungen. Indirekt schon. YB hatte mich mal auf der Rechnung, zusammen mit Armand Deumi, einem der besten Verteidiger, die je bei Thun gespielt haben. In seinem Fall hiess es, sein Berater habe zu viel Handgeld verlangt. Aber Mauro spielte für YB. Lustrinelli: YB holte mich, weil sich Marco Schneuwly schwer verletzt hatte. Die Saison 2009/10 endete aber schlecht, auch ich verletzte mich und wir verloren im letzten Spiel den Titel an Basel. YB ist ein grosser Klub und der Kantonsrivale. Der kleine Bruder Thun kann aber mithalten, manchmal sind wir sogar die Nummer 1 im Kanton. Das ist wirklich erstaunlich. Dank dem neuen Stadion haben wir gegen den Rivalen allerdings in Sachen Infrastruktur aufgeholt. Zu meiner ersten Zeit bei Thun war noch vieles provinziell. Heute ist alles professionell. Rama: Die neue Arena ist das Beste, was Thun passieren konnte. Im Lachenstadion spielten wir unter Denkmalschutz. Als ich das erste Mal in die Arena einlief, dachte ich: So, das ist es nun. Dafür lohnt es sich, hart zu trainieren. Es war auch das Verdienst von Murat Yakin. Ihm verdanke ich viel. Er gab mir eine Chance, als ich um einen neuen Vertrag kämpfte. Noch zum fast Wichtigsten: Wie lange wollt ihr eigentlich noch Tore schiessen? Rama: Mein Vertrag läuft bis Ende Saison. Dann schaue ich weiter. Lustrinelli: Okay, ich brauche länger, um mich zu erholen. Aber ich habe noch immer den Willen eines jungen Spielers. Ich kehrte zu Thun zurück, weil mir der Verein die Möglichkeit gab, noch zwei Jahre in der Super League zu spielen. Bei Stoke City, unserem Gegner in der Europa League, spielte Sir Stanley Matthews noch als 50-Jähriger. Schon zu seiner Zeit zeigten die Alten ihre Muskeln. Rama: Wir sind zwar 35, aber das spüren wir nicht in den Beinen (sie prosten sich mit einem Cappuccino zu).
Milaim Rama (*1976): 1994–1997 FC Interlaken, 1997–2004 FC Thun, 2004/05 FC Augsburg, 2005/06 FC Schaffhausen, seit 2006 FC Thun. 7 Länderspiele, 0 Tore.
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FC Thun
Warum der FC Thun gefällt
Klein, normal, Oberland, Niesen, Lustrinelli, Märchen, Latour, Aare, See verbinden den ehrenwerten FC Thun, der mal klein angefangen hat.
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anspeter Latour erfand einst den Witz: Was ist ein Blatt Papier, ein Bleistift und Latour? Eine Besprechung des Trainerstabs beim FC Thun. Verbrieft ist auch: Als Latour und seine Spieler einst im Bonstetten-Park am Thunersee auf Regenerationstour waren, unterbrach Latour die Jogging-Einheit. Es war heiss, die isotonischen Getränke waren aufgebraucht. Da kaufte Latour am Kiosk Tranksame für seine Spieler. «Macht 28 Franken», sagte die Verkäuferin. «Aber behalten Sie das Geld nur, der FC Basel hat ja auch Frau Oeri.» Diese Episode ist typisch für den FC Thun für die Zeit nach dem zweiten Aufstieg der Vereinsgeschichte in die NLA. Aufstiegsheld war Milaim Rama: Der Goalgetter schoss im Mai 2002 das goldene Tor gegen Winterthur. Es folgten Zeiten, in denen die Thuner stets mit einem Mini-Budget von um die drei Millionen Franken haushalten mussten und zu den Bettlern der Liga gehörten. Mit bescheidenen Etats kamen sie aber besser zurecht als mit den Einnahmen aus der Champions League in der Saison 2005/06. Spielte Thun bei Arsenal, spickte der Flughafen Belpmoos im Aaretal eine zusätzliche Chartermaschine weg mit einem Heer von Vereinsfunktionären und Möchtegern-Gönnern an Bord, die auf Kosten des Klubs auch mal in einem Londoner Nobelhotel übernachten wollten. Erste Ego-Tendenzen im Team waren damals ebenso auszumachen. Land unter Nur knapp zwei Jahre später waren die rund 7,5 Millionen aus der Champions
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League vollständig aufgebraucht. Das viele Geld verdarb den Thuner Geist. Dem Verein stand das Wasser bis zum Hals. So, wie es der Stadt am Tor zum Berner Oberland ergangen war, als sich das sportliche Aushängeschild anschickte, die Champions League zu erobern. Am 23. August 2005, am Tag des alles entscheidenden Spiels gegen Malmö, stand Thun nach der Jahrhundertflut 80 Zentimeter unter Wasser. Die Trikots und die übrigen Matchutensilien mussten mit einem Boot aus dem Garderobentrakt geholt werden. Gut zwei Stunden vor dem Kick-off im Stade de Suisse stiegen Spieler und Staff des FC Thun in zwei Anti-HochwasserFahrzeuge der Schweizer Armee. Es war die einzige Möglichkeit, das Hotel GwattZentrum wieder zu verlassen. Dort hatte sich die Mannschaft zur Teamsitzung eingefunden. Nach einem halben Kilometer Fahrt durch knietiefes Wasser konnte der Thuner Tross schliesslich in den Mannschaftsbus umsteigen und Richtung Bern fahren. Thun gewann 3:0. Ehrenamtlich zum Erfolg Zu Zeiten von Latour war der Trainer einer der wenigen Teamverantwortlichen, die auf der Gehaltsliste des FC Thun standen. Der damalige Marketing-Chef Heinz Moser betreute auch noch die Junioren. Sportchef Werner Gerber übte seinen mitunter stressigen Job mehr oder weniger ehrenamtlich aus. Heute ist alles mindestens eine Dimension grösser: Das Budget hat sich verdoppelt, auf der Geschäftsstelle herrscht reger Betrieb. Mit dem Einzug ins neue Stadion schnellte die Anzahl Sponsoren in die Höhe. Wie es sich gehört, sind BusinessPartner dazugekommen, je nach Zahlungsfähigkeit gehören sie innerhalb der Edelmetalle zur Kategorie Platin bis Bronze. Exklusiven Zutritt zu einer der Logen in der Arena Thun hat auch der hauseigene Business-Club. Mit dem Verkauf von Fan-Utensilien machten die Thuner in ihrem ersten NLA-Jahr nach dem Wie-
Text: Ueli Zoss
deraufstieg einen Umsatz von rund 40 000 Franken. Jetzt hat der Fanshop im neuen Stadion jeweils am Mittwochnachmittag und an sämtlichen Spieltagen geöffnet. Der FC Thun hat aber den Charme vergangener Tage behalten. Auch die Thuner versuchen, Heimspiele mit überschaubarem Zuschaueraufkommen wie etwa gegen Lausanne einem erweiterten Publikum schmackhaft zu machen, sie stellen aber einen «Chindertag» auf die Beine, und nicht wie der grosse Kantonsbruder YB einen «Kids Day». Und was den Konzertreigen betrifft, tritt in Thun nicht Herbert Grönemeyer wie im Stade de Suisse auf, sondern es rocken schön urchig Gölä und Polo national. Sympathischer Underdog Alles in allem: Der FC Thun gefällt. Er mischt die Tabellenspitze der Super League auf und schaltet in der Europa League den Serie-A-Klub aus Palermo aus. Die Atmosphäre im Klub ist familiärer als diejenige bei YB. Bricht nicht gerade ein Sex- oder ein Wettskandal über den Klub herein wie 2007 und 2009, gehts bodenständig zu und her. Keiner vereint die sympathischen Tugenden besser als Andres Gerber, der frühere Captain und heutige Sportchef. Doch der «Ändu» setzt das Know-how im Fussball-Business, das sich der Ex-Internationale auch bei GC und Lausanne erworben hat, in seiner neuen Funktion clever um. Zu den smarten Typen im Verein gehört ebenso Verwaltungsratspräsident Markus Stähli. Der FC Thun ist trotz mehr Möglichkeiten ein Underdog der Liga geblieben. Dem Aussenseiter gönnt man den sportlichen Erfolg aber mehr als den ohnehin favorisierten Teams. Selbst als Thun im ersten Derby dieser Saison YB wieder einmal eine Schlappe verpasste – die GrossTruppe verlor auf eigenem Terrain 0:2 –, meinten einige Berner, der Schaden würde sich in Grenzen halten, man gönne Thun den Sieg.
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Nachtzug in die 4. Liga Text: Pascal Claude / Bilder: zvg
Manche brauchen mehr als ihren Klub. Sie sind ihre ganze Freizeit auf Fussballplätzen: im nahen Bremgarten oder im Nahen Osten. Vier Getriebene erzählen.
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ch überlege mir manchmal, wie das wäre, wenn ich einmal Kinder hätte. Davor habe ich schon ein bisschen Schiss. Ich glaube, ich müsste zuvor noch eine richtig grosse Tour machen.» Die Angst vor dem Verlust der Bewegungsfreiheit teilt Mark mit vielen noch kinderlosen Männern. Bei ihm ist sie aber ein Stück realer. Am Vorabend unseres Treffens war der Berner wieder unterwegs, beim 1/16-Final des Aargauer Cup zwischen dem FC Bremgarten und dem FC Rothrist. «In der Pause machen sie dunkel, weil sonst das Flutlicht automatisch abgeschaltet hätte vor dem Schlusspfiff. Aber gut, wenigstens hab ich jetzt endlich dieses Bremgarten.» Mark ist 30. Seit gut 15 Jahren strukturiert er sein Leben anhand von Spielplänen. Als wir uns zum ersten Mal trafen, im TGV von Paris nach Irun, auf dem Weg an die EM in Portugal, zückte er eine Liste mit seinen «Grounds». Grossklubs wie der SV Höngg waren stolz aufgeführt. Mark besucht sie alle. «Es hat etwas leicht Zwanghaftes, sicher. Also dass ich die 2. Interregio fertig machen will und solche Geschichten. Aber es lässt langsam nach.» Ob er denn weniger fahre heute? «Nein, eigentlich nicht. Es ist einfach normal geworden über die Jahre. Deshalb empfinde ich die Reisen nicht mehr so als Stress.» Auch jene nach Manila nicht. Dort war Mark im Juli, um mit dem WM-Quali-Rückspiel gegen Sri Lanka das erste Heimspiel einer philippinischen Nationalmannschaft seit über 20 Jahren zu besuchen: Hinflug, Spiel, Rückflug. «Im Ganzen war ich wohl rund 35 Stunden dort», resümiert er. Und wagt
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den Versuch einer rationalen Erklärung: «Meine Mutter ist Philippinin.» Die Extrem-Passivsportler Im TGV damals, im Sommer 2004, war Mark mit Adi und Lukas unterwegs. Auch bei ihnen hat es seither nicht nachgelassen mit den Fussballreisen. Im Gegenteil. Sie besuchen jedes YB-Spiel und fahren den Rest des Wochenendes quer durch Europa, seit Jahren, und in den Winter- und Sommerpausen stehen grössere Reisen an. Wie der Ostschweizer Thomas, von dem noch die Rede sein wird, gehören sie zu einer Minderheit von Extrem-Passivsportlern, über die ausserhalb verschworener Fankreise kaum etwas bekannt ist. Sie sind Groundhopper, ohne Zweifel, haben den Besuch möglichst vieler Spiele in möglichst vielen Ländern zum Ziel. Und doch wird der englische Terminus ihrer Leidenschaft nicht ganz gerecht. Zu sehr ruft «Groundhopper» das Bild vom Fussball-Nerd hervor, der, sozial isoliert, Stadien, Spiele und Länder «macht» und die so erworbenen Sammelpunkte seinen Mitstreitern im Internet unter die Nase reibt. In Wahrheit handelt es sich bei den meisten um kulturell, politisch und sozial interessierte Fussballfans, denen oft genug auch der Weg das Ziel ist und die sich auf ihren Streifzügen ein weltweites Netz aus Freunden und Gleichgesinnten aufgebaut haben. «Das entspricht nicht unbedingt dem Bild, das die breite Öffentlichkeit heute von Fussballfans hat», sagt Thomas. Viel hat neben den Reisen und Spielbesuchen nicht mehr Platz im Leben,
das bestätigen alle vier. Sie quittieren die Frage aber auch mit einem gewissen Unverständnis. Braucht es denn noch etwas daneben? «Jedes Mal, wenn ich in einem neuen Land ein Spiel besuche und mit Leuten ins Gespräch komme, löst das neue Wünsche nach neuen Reisezielen aus», erklärt Lukas, «die Welt ist gross, es gibt noch viel zu sehen. Und langweilig ist mir nie. Habe ich eine freie Minute, fange ich an zu planen.» Diesen Sommer war der YB-Fan mit dem FCSG-Supporter Thomas mit der Transsibirischen Eisenbahn unterwegs. Die beiden hatten sich vor Jahren im Zug an ein Spiel kennengelernt und reisen seither oft gemeinsam. Es war, so Lukas, die erste Reise, die nicht in erster Linie dem Fussball geschuldet war – was die beiden aber nicht daran hinderte, mit zwei weiteren Mitreisenden unterwegs ein paar Spiele zu besuchen. Bei Ural Ekaterinenburg gegen Yenisey Krasnoyarsk stellten sie fest, dass mittlerweile auch für Fangruppen in Russlands 2. Liga Youtube die erste Gesangsinspiration ist. Und eine Liga tiefer, in Irkutsk bei Radian Baykal gegen FK Chita, wunderten sie sich über die Reiselust der siebenköpfigen Gästeschar, die unter der Woche die 400 Kilometer angereist war, um noch während des Spiels durch die Polizei auf weniger als die Hälfte dezimiert zu werden. Der Zug ist bei allen noch immer das beliebteste Verkehrsmittel. Adi, der neben einer Saisonkarte der Young Boys auch eine des FC St. Pauli besitzt, erklärt aber, dass er für seine Wochenend-Pendlerei inzwischen auch häufiger den Flieger wählt: «Es ist ein Irrsinn, wie sich die Preise für Bahn- und Flugreisen verschoben haben in den letzten Jahren.» Gewisse Fahrten könne man mit dem Zug aus Zeit- und Geldgründen gar nicht mehr machen. Die andern pflichten ihm bei, und sie sprechen aus Erfahrung. Die Fussballfahrer erzählen, wie die Nachtzüge in Westeuropa allmählich verschwinden, wie das Interrail-Ticket
Groundhoppers
abgewertet wurde und wie die grassierende Reservationspflicht spontanes Reisen erschwert. In ihrer nostalgischen Schwärmerei für die Zeit vor den Billig-Airlines entpuppen sie sich als genaue Beobachter wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen. «Die Ausgangslage beim Fliegen ist eine ganz andere», sagt Mark. «Alle kommen vom selben Ort und haben dasselbe Ziel. Das gibt kaum Gesprächsstoff. Zudem sitzt man sich nicht gegenüber, wie das im Zug oft der Fall ist.» Lukas: «Ich merke auch, wie den Leuten durch das Fliegen die geografische Orientierung abhandenkommt. Sie haben kein Gefühl mehr für Distanzen, nehmen den Flieger von Hamburg nach Frankfurt, weil sie glauben, dass das enorme Strecken sind. Dabei ist das mit dem Zug heute eine kurze Reise.» Für ihn, so Lukas, sei es nach wie vor etwas vom Schönsten, nach einer langen Zugreise in eine Stadt einzufahren, ihre Grösse zu erfassen und dann mitten in ihrem Zentrum auszusteigen. Das habe etwas Unverwechselbares, im Gegensatz zur austauschbaren Physiognomie von Flughäfen. «Der einzige Vorteil dort: Man kann bequem übernachten.» Auch für Thomas haben Bahnhöfe eine besondere Bedeutung: «Wenn ich von St. Gallen nach Zürich komme und die Berufstätigen steigen dort aus und gehen zur Arbeit und ich nehme den Fernzug nach Italien oder sonst wo hin, dann ist das der Moment, wo ich weiss, jetzt geht es los.» Gut 80 Spiele hat der Absolvent einer Touristik-Fachhochschule allein in Italien besucht, und wie seine Berner Pendants schwärmt er nicht in erster Linie für die Klassiker aus Funk und Fernsehen, sondern nennt das Serie-C2-Derby in den Abruzzen zwischen Giulianova und Teramo als Höhepunkt, wo er nach anfänglicher Skepsis von den Ultras eingeladen und umsorgt wurde. «Nach dem Spiel in der Pizzeria meinte der Kellner, ich sei sicher der Schweizer, der am Match war und ihnen Glück gebracht habe. Das hatte sich überall herumgesprochen.» Es sind solche Erlebnisse, die den fundamentalen Unterschied ausmachen zwischen der Art, wie Mark, Adi, Lukas und Thomas zum Fussball reisen, und organisierten
Carfahrten von Reisebüros «zum Bundesliga-Knüller Bayern - Dortmund auf Top-Tribünenplätzen». Es ist das Neue, Unbekannte, Unverbrauchte, das sie anzieht, und dafür scheuen sie keinen Aufwand. «Im Morgengrauen mit dem Zug
Schweiz geflogen werden mussten, planen sie bereits die nächsten Touren. Südamerika («Es gibt im Fussball nichts Besseres als Argentinien», so die allgemeine Einschätzung), das Casablanca-Derby oder das Spiel zwischen East Bengal und Mohun
nach Berlin, Tennis Borussia schauen, und am Abend wieder zurück, das kommt schon mal vor», so Mark.
Bagan, bekannt als Kalkutta-Derby – vor jeweils 120 000 Zuschauern. Wer Lukas, Adi, Mark und Thomas zuhört, staunt, wie sie in ihrem Alter die Welt bereits vermessen haben. Sie erzählen von Gesprächen mit italienischen Gastarbeitern im Nachtzug von Bari nach Mailand, von Zigarettenschmugglern zwischen Belgrad und Sofia, von der Gastfreundschaft beim Spiel in Bethlehem. Keine Zugfahrt, keine Begegnung möchten sie missen. Das sagen alle vier, und man glaubt es ihnen aufs Wort. Raten sie denn auch zur Nachahmung? «Auf jeden Fall», sagt Mark. Man könne zum Einstieg ja mit der Fähre Calais – Dover beginnen und vorher noch ein paar Spiele in Frankreichs Nordosten besuchen, das lohne sich immer. «Ich empfehle den Osten», sagt Lukas, «das Zugfahren dort ist noch unverfälscht.» Und Adi: «Nehmt den Nachtzug nach Budapest. Solange es noch Nachtzüge gibt.» Thomas lässt dazu einen andern für sich sprechen. Seinen lesenswerten Blog (espinho-ontour. blogspot.com) schmückt ein Zitat von Mark Twain: «In zwanzig Jahren wirst Du mehr enttäuscht sein über die Dinge, die Du nicht getan hast, als über die Dinge, die Du getan hast. Also wirf die Leinen los. Verlasse den sicheren Hafen. Lass den Passatwind in Deine Segel wehen. Erforsche. Träume. Entdecke.»
Den Sechzigsten des Vaters verpasst Dem Reisen wird alles untergeordnet, notgedrungen. Eine Beziehung ging in die Brüche «aus Eifersucht auf den Fussball». Eine andere hält nur, weil die Freundin ebenfalls fussballverrückt ist. Stellen sich da keine Sinnfragen, kommen nie Zweifel? «Zweifel? Zweifel haben wir höchstens, was den modernen Fussball angeht», sagen Adi und Mark, «Xamax, Constantin, der ganze Mist.» Wenn er hingegen irgendwo in Graubünden ein Amateurspiel verfolge, gehe es ihm gut, meint Mark. Thomas sagt, er habe zwar die Art der Fussballreisen angepasst: nicht mehr jedes Wochenende mehrere Spiele und in Zügen oder auf Bahnhöfen pennen. Die Intensität sei jedoch dieselbe: «Ich habe den Sechzigsten meines Vaters verpasst wegen dem Stadtmatch in St. Gallen und auch den Geburtstag meiner Grossmutter. Das ist einfach so. Meine Familie weiss das. Und sie sind froh, mache ich nichts Dümmeres.» Obwohl Thomas und Lukas mit einem weiteren Mitreisenden auf ihrer Sommerreise unverschuldet in einen schweren Unfall mit Toten verwickelt waren und mit der Rega aus China in die
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Der Kampf um die Talente Text: Hans-Peter Berchtold / Bild: foto-net
Was heute tief unten im Nachwuchs gesät wird, kann schon morgen im Profibereich entscheiden. Deshalb gibt es bei den Schweizer Grossklubs einen erbitterten Kampf um die Talente.
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as Juniorenkonzept des FC Basel weist beeindruckende Zahlen auf. Von der U15 bis zur U18 stehen alle FCB-Teams an erster Stelle, bei einer Gesamt-Tordifferenz von 103:21. Erst eines von insgesamt 18 Spielen ging verloren. Was hat zu dieser Überlegenheit geführt? «In erster Linie ist es eine Frage der Kontinuität», so FCB-Nachwuchsleiter Benno Kaiser. «In den letzten zehn Jahren gab es kaum Wechsel im Führungs- und Trainerteam.» Das allein kann es doch nicht sein, oder? «Unser Konzept, was die schulische Ausbildung und die Betreuung neben dem Fussball betrifft, greift.» Doch das können auch andere Vereine von sich behaupten. Vielmehr hat Basel als Nachwuchskrösus, der sich die Juniorenabteilung pro Jahr stattliche 4 Millionen Franken kosten lässt, ein engmaschiges Scoutingnetz aufgezogen. Kein JuniorenLänderspiel auf Schweizer Boden wird
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angepfiffen, ohne dass ein FCB-Beobachter an der Linie steht. Man stellt an sich den Massstab, nur die Besten zu holen. Das passiert bereits im U14-Bereich, auch wenn hier die Kader noch zu 90 Prozent aus Basler Kickern bestehen. «Doch», so Benno Kaiser, «wir dürfen dabei so wenig Fehler wie möglich machen. Holen wir für die U16 oder die U18 einen auswärtigen Spieler, müssen wir überzeugt davon sein, dass er dereinst Perspektiven für den Profibereich hat. Sonst macht es keinen Sinn, ein Talent aus seiner familiären Umgebung heraus nach Basel zu holen.» Nachholbedarf in Bern Das Konzept geht auf, auch wenn die eigenen U-Teams bei der aktuellen Überlegenheit wenig gefordert sind und sie deshalb gerne auf internationale Turniere ausweichen. Rund ein Drittel des aktuellen Profikaders beim FC Basel wurde
im eigenen Nachwuchs ausgebildet, und selbst der Stamm in der Nationalmannschaft setzt mit Shaqiri, Klose, Xhaka, Derdiyok, Inler oder Alex Frei auf Akteure, welche einst die Talentschmiede am Rheinknie durchliefen. Da könnten die Nachwuchsverantwortlichen von YB schon neidisch werden. Hier gibt es im Profikader mit François Affolter nur einen, der im eigenen Juniorenbereich ausgebildet wurde. Die Probleme wurden erkannt, auf diese Saison hin wurde im YB-Nachwuchs ein neues Scoutingsystem eingeführt. André Niederhäuser und einem neunköpfigen Beobachterteam soll kein Talent mehr entgehen, zumindest nicht im Grossraum Bern. «Davon wollen wir in den nächsten Jahren profitieren», so Erminio Piserchia, Technischer Leiter im YB-Nachwuchs. Selbst ausserhalb der Kantonsgrenzen wird gesucht. Mittlerweile steht bei der U16 ein Walliser zwischen den Pfosten, und ein Tessiner geht vorne auf Torejagd. Ist es für einen talentierten Spieler nötig, früh zu einem Grossklub zu wechseln? «Ab der U14 kann dies von Vorteil sein», so Piserchia. «Weil er hier von einer optimalen Infrastruktur und Spezialisten im Trainingsbereich profitiert.» Wie der FCB auch hat YB in allen wichtigen Stufen (U14, U16, U18, U21) je einen Profitrainer angestellt. Piserchia zu den Perspektiven: «Unser Ziel muss es sein, im Schnitt jedes Jahr einen eigenen Spieler an den
In die Zukunft zu investieren lohnt sich. Auch im Fussball. credit-suisse.com/fussball
generation u
Der FC Basel hat GC im Juniorenbereich längst den Rang abgelaufen: Von der U15 bis zur U18 steht der FCB-Nachwuchs derzeit an der Tabellenspitze, während GC zuletzt bei der U16 und der U18 Letzer wurde.
Profibereich heranzuführen.» Verträge mit finanziellem Fixum neben Ausbildungsplätzen und der Unterkunft bei Gastfamilien gibts bei YB erst ab der U18. Und das nur für Perspektivspieler. YB profitiert im Nachwuchs zudem von der Zusammenarbeit mit dem FC Thun, wo auf denselben Stufen ausgebildet wird – und die Besten beizeiten Richtung Bern zügeln. Teils wird diese Konzentration zur Bundeshauptstadt hin für den «kleinen Bruder» zum Problem, sodass man sich gegen Süden orientiert. Thun schaut sich mehrheitlich im Oberwallis um, die Zugverbindung ist seit dem NEAT-Tunnel auf 35 Minuten Fahrzeit geschrumpft. Vier Oberwalliser Talente kicken im Berner Oberland in der U14 und der U15. Auch, weil ihnen im eigenen Kanton zu wenig Perspektiven aufgezeigt werden. Hier verfügt der FC Sitten zwar über ein gut funktionierendes Nachwuchskonzept, doch der Weg nach oben ist steinig. Bereits die U21 wird zum Tummelfeld der Profis aus dem SL-Kader, und nicht wenige schliessen sich nach der U18 den umliegenden Klubs an. Deshalb schaffte der FC Monthey zuletzt den Aufstieg in die 1. Liga, und in dieser Liga nimmt Martigny eine führende Rolle ein. Eine fehlende U17 bedeutet zudem für viele Talente frühzeitig Endstation aller Sehnsüchte. Im letzten Sommer wurden von 24 Kaderspielern der Sittener U16 gleich 15 Namen gestrichen, weil für die U18 nur
noch 9 Plätze offen waren. Zudem entliess Christian Constantin in der letzten Winterpause neben dem Nachwuchschef noch drei Assistenztrainer im Juniorenbereich, weil die Resultate unbefriedigend waren. CC wütet auch bei den Junioren Die Basis ist im Wallis indes breit aufgestellt, neben Sitten gibt es seit fünf Jahren im U14- und U15-Bereich zudem ein Team Valais/Wallis. Hauptverantwortlich dafür ist Roger Meichtry, Technischer Leiter des Walliser Fussballverbandes und im Teilmandat im Nachwuchsbereich des FC Sitten angestellt. «Ein Talent kann sich auch bei einem kleineren Klub oder einer Regionalauswahl entwickeln. Früh zu einem Grossklub zu wechseln, ist nicht immer von Vorteil. Vor der U16 sollte dies ohnehin nicht der Fall sein», so Meichtry, der gleichzeitig an der Seite von Dany Ryser Assistenzcoach der aktuellen U17 ist und in dieser Altersklasse Weltmeister wurde. Hat ein Nachwuchsspieler eines Grossklubs die besseren Karten auf ein Aufgebot einer U-Nationalmannschaft? «Nein. Wir schauen uns alle Spieler der verschiedenen Teams an. Vor einem Jahr etwa war praktisch kein Talent von YB oder Luzern in der U17 vertreten, ein Jahr
später sind es einige. Das verschiebt sich regelmässig.» Verschoben haben sich auch die Verhältnisse im Raum Zürich, wo die Perspektivspieler heute eher zum FCZ gehen als zu GC – obwohl die Durchlässigkeit ins Profikader bei den Grasshoppers deutlich grösser ist. Hier erlebte man in der letzten Saison trotz einer optimalen Infrastruktur mit Internat auf dem Campus Niederhasli ein sportliches «Grounding», als gleich die U16 und die U18 auf dem letzten Tabellenplatz landeten. Die Jahrgänge seien beschränkt talentiert gewesen, hiess es. Doch das allein wird es kaum gewesen sein. GC hat auf diese Saison hin neu in den Nachwuchs investiert, mit Johann Vogel kam ein prominenter Trainer für die U15 dazu. Das Scouting wurde intensiviert, aus der Westschweiz hat man gleich drei Spieler für die U15 engagiert. Deren Eltern waren beim Vorstellungsgespräch beeindruckt von den Möglichkeiten des Niederhasli-Internats. Auf das allein kann sich GC jedoch nicht verlassen. Mit zwei Grossklubs im Raum Zürich ist der Kampf um die Talente unerbittlich geworden. Das freilich weiss man nicht erst seit gestern.
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Malgiaritta statt Inler Text & Bilder: David Truttmann
Der Club da ballapè Val Müstair spielt seit 17 Jahren in einer italienischen Liga – mehr oder weniger erfolgreich. Ein Besuch im Südtirol, notabene bei einem Heimspiel.
S
ie heissen Malgiaritta, Ruinatscha, Marcona und Rodigari. Und sie bilden nicht das Mittelfeld eines SerieC-Klubs in der Toskana. Nein, sie sind waschechte Bündner Fussballer und Italien-Legionäre. Nur halt etwas weniger bekannt als die beiden Napoli-Söldner Inler und Dzemaili.
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Jedes Wochenende trägt der Club da ballapè (CB) Val Müstair seine Meisterschaftsspiele im angrenzenden Südtirol aus, in Italien. Zwar spielt die Schweizer Mannschaft nicht in der nationalen italienischen Amateurliga, sondern in einer regionalen Südtiroler Meisterschaft, der VSS-Freizeitmeisterschaft. Das Spiel-
niveau lässt sich aber mit demjenigen der 3. oder der 4. Liga in der Schweiz vergleichen. Und der CB Val Müstair spielt immer auswärts, auch wenn er ein Heimspiel hat. So auch beim Saisonauftakt am 10. September 2011. Hirsch statt Fussball 18.30, Sportplatz Taufers im Münstertal, Italien: Der CB Val Müstair geht heute in seine 17. Saison. Die Aufgabe ist anspruchsvoll, denn der Gegner heisst ASV Schluderns. In der letzten Saison haben die Schludernser sowohl die Gruppenphase als auch die Finalrunde der gesamten VSS-Freizeitmeisterschaft souverän für sich entschieden. Der CB Val Müstair muss heute auf einige Stammspieler verzichten und tritt
Schweizerreise
mit einer sehr jungen Mannschaft an. In der Startelf stehen ein 15-Jähriger und zwei 16-Jährige. «Im September fehlen uns meistens einige Spieler – es ist Hochjagd! Einige Spieler ziehen einen Hirsch dem Fussball vor. Das ist halt so bei uns.» Das sagt ein Nicht-Jäger: Aldo Rodigari, seit mehreren Jahren Spielertrainer und Präsident in Personalunion. Wenn einer den CB Val Müstair kennt, dann er. Von Beginn an war er dabei, er war der erste Captain und hat alle Höhen und Tiefen seines Klubs miterlebt. Heute ruft er mehrmals ein hoffnungsvolles rätoromanisch-deutsches «Dai, Jungs» aufs Spielfeld. Seine jungen Spieler bemühen sich, können die Anfangsphase ausgeglichen gestalten. Zumindest bis zur 25. Minute. Alles begann in den 80er-Jahren. Im Val Müstair war eine Generation von begeisterten Fussballern herangewachsen. Man spielte abends und sonntags, in jeder freien Minute, aber leider immer nur unter sich. Wenn einmal eine Schulklasse oder eine Fussballmannschaft aus dem Unterland ins Tal kam, versuchte man sofort ein Spiel zu arrangieren und einige Spieler zusammenzutrommeln. In einer Schweizer Liga zu spielen, war von Beginn an ausgeschlossen. Das nächstgelegene Auswärtsspiel wäre im Unterengadin beim CB Scuol: Fahrzeit hin und zurück über den Ofenpass etwa zwei Stunden. Eine Fahrt zum Bündner Viertligisten Danis-Tavanasa würde über zwei Alpenpässe führen und drei Stunden in Anspruch nehmen. Die Rückfahrt nicht inbegriffen. «Nein, um Gottes willen, wir fühlen uns sehr wohl in dieser Südtiroler Liga», sagt Aldo
Rodigari. «Das am weitesten entfernte Auswärtsspiel ist in Meran. In einer Dreiviertelstunde sind wir unten. Ist doch toll!» Pappahu und Dario Cologna In der 25. Minute leistet sich an diesem Abend der sonst solide Münstertaler Stammtorhüter einen Schnitzer. Er steht zu weit vor dem Tor, der Ball springt vor ihm auf und senkt sich hinter ihm ins Netz. 0:1. Geknickt fischt er den Ball aus dem Netz. Wenig später kann die Innenverteidigung einen anstürmenden Gegner nur mit einem Foul stoppen. Elfmeter für die Schludernser und 0:2. Mit diesem ernüchternden Resultat geht es für den CB Val Müstair in die Halbzeitpause. In den 90er-Jahren durften – dank einer Ausnahmeregelung – die talentiertesten Junioren aus der Val Müstair in Südtiroler Fussballklubs mitspielen. Einer von ihnen war Dario Cologna, heute Olympiasieger und zweimaliger Gesamtweltcupsieger im Langlauf. Die Ausnahmeregelung für die Schweizer galt aber nur für einzelne Jugendabteilungen. Erst 1994 durften auch die Grossen mitspielen, wenn auch nicht im nationalen italienischen Meisterschaftsmodus, sondern nur in der regionalen Meisterschaft. «Die VSS-Meisterschaft ist sehr professionell und unbürokratisch organisiert und mit 850 Euro pro Saison und Mannschaft sehr günstig», sagt Aldo Rodigari. «Für die Südtiroler sind wir einfach die Schweizer – wir sind akzeptiert in der Liga. Da gibt es keine Diskussionen. Und bei Spielbeginn warten immer alle auf unser Pappahu!»
Pappahu? Was für die neuseeländischen Rugbyspieler der All Blacks der HakaTanz, das ist für die Münstertaler Fussballer bei Spielbeginn ihr Pappahu. Es ist aber kein Tanz, sondern klingt eher wie ein hawaiischer Trinkspruch à la Zicke-Zacke-Hoi. In der Halbzeitpause wird heftig diskutiert. Die Mannschaft hat sich zu wenige Torchancen erspielt, es fehlte der Zug aufs gegnerische Tor, die Defensive wurde zu oft unter Druck gesetzt und beging dadurch unnötige Fehler. In der Kabine wird nun selbstverständlich in rätoromanischer Sprache debattiert. Auch sprachlich unterscheidet sich der Club da ballapè Val Müstair also von den restlichen Mannschaften. Es soll schon vorgekommen sein, dass der Schiedsrichter eine Schimpftirade als Kompliment verstanden hat – oder umgekehrt. Aufbauarbeit ohne Tschagajew Zehn Minuten nach der Pause erzielt Jörg Fasser für die Münstertaler den Anschlusstreffer zum 1:2. Kurz keimt Hoffnung auf, die Bündner setzen die Titelverteidiger unter Druck, können aber nicht ausgleichen und werden schliesslich nach Strich und Faden ausgekontert. In der 60. Minute erzielt Schluderns das 3:1. Wenig später das 4:1 und das 5:1. Kurz vor Schluss fällt sogar noch das 6:1. Es war kein Bündner Abend im Südtiroler Grenzdorf Taufers. Aldo Rodigari seufzt an der Seitenlinie: «Das haben die Jungs heute nicht verdient. Jetzt sind es zu viele Gegentore.» Später in der Bar im Tauferser Klubhaus wiederholt Aldo Rodigari diesen letzten
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Schweizerreise
Satz mehrmals. Er ist ehrlich enttäuscht über den Saisonauftakt. Seine Mannschaft ist im Umbruch, eine sehr junge Spielergeneration rückt nach. Aber in einer 1600 Einwohner zählenden Berggemeinde gibt es gute junge Fussballer nicht im Überfluss. Viele Jugendliche müssen zudem zu Ausbildungszwecken das Tal bereits früh verlassen, sind die Woche über im Oberengadin, in Chur oder Zürich. Das erschwert Rodigaris Aufbauarbeit zusätzlich: «Die Jungs, welche nun nachrücken, sollen Spass und Geduld haben. In drei bis vier Jahren werden wir eine richtig gute Mannschaft beisammenhaben.» Clemens Caratsch, langjähriger Stammspieler und wohl grösster DiegoMaradona-Fan nördlich von Napoli, kommt an den Tisch und tröstet seinen ehemaligen Trainer und Schulkameraden mit lockeren Sprüchen: «Die Jungs sind halt nicht mehr so in Schuss wie wir beide damals. Das waren noch andere Zeiten.» Tatsächlich hatte der CB Val Müstair seine erfolgreichste Zeit um die Jahrtausendwende – als Caratsch und Rodigari knapp 30 Jahre alt waren. Dass der CB Val Müstair sogar seine Heimspiele in Italien – d. h. in Taufers, gleich ennet der Grenze – austragen muss, ist eine alte Geschichte. In Müstair gibt es zwar einen Trainings-
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platz, aber Gäste dort zu empfangen, wäre nicht gerade gastfreundlich: Der Platz ist uneben, und es gibt keine richtigen Mannschaftsgarderoben. Die Fussballfreunde aus dem benachbarten Taufers, auf der anderen Seite der Landesgrenze, helfen mit ihrer Infrastruktur aus. Schon seit 17 Jahren. «Die Zusammenarbeit mit Taufers ist sehr gut.» Und dennoch hofft Rodigari auf einen Ausbau des eigenen Fussballfelds in Müstair. «Die Gemeinde Val Müstair hat uns wieder auf spätere Zeiten vertröstet. Vor zwei Jahren kam es zum Zusammenschluss der ehemals sechs Münstertaler Gemeinden. Deshalb werden vorerst andere Prioritäten gesetzt. Warten wir es ab.» Der Tischnachbar Clemens Caratsch rät zu einer anderen Strategie: «Wir könnten einen XamaxTschagajew gut brauchen.» Jetzt muss auch Rodigari wieder lachen, der das Jahresbudget von 3000 Franken jedes Jahr aufs Neue zusammenkratzen kann. Die offene Grenze Auffälligster Spieler bei den Schweizern war im ersten Meisterschaftsspiel der Verteidiger Martin Oswald. Der 33-Jährige steht exemplarisch für die offene Grenze zwischen der Val Müstair und dem Südtirol. Seine Mutter stammt aus
dem Südtirol, er selbst ist in Müstair aufgewachsen, spricht Rätoromanisch und fliessend auch «Tiroler-Taitsch». In seiner Freizeit spielt der gelernte Maurer und schweizerisch-italienische Doppelbürger sowohl beim CB Val Müstair als auch sporadisch für den Sportverein Taufers in der italienischen Amateurliga. Wer an der Landesgrenze lebt, lernt, sich mit ihr zu arrangieren. Früher mit Zigaretten- oder Alkoholschmuggel, heute im Fussball oder im Ausgang. Plötzlich kramt Aldo Rodigari in der Bar sein Portemonnaie hervor, zieht einen Zeitungsausschnitt heraus. Es ist die Vorrundentabelle des Meisterschaftsjahres 2000/01. Auf Rang 1: CB Müstair. «Die Tabelle trage ich immer bei mir. Da lief es gut, und da möchte ich wieder hin.» Man möchte es Rodigari und seinen Jungs gönnen: «Pappahu!» Anzeige
Das schwarze Brett
Rubrik
Fussballtempel
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Das Spiel meines Lebens
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Züngeln in Zürich Text: Romano Spadini / Bild: Keystone
Der Boulevard machte die Kobra vorschnell zur Blindschleiche. Bei den FCZ-Fans war Adrian Ilie derweil durchaus wohlgelitten.
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wischen Genie und Wahnsinn: Wohl auf keine NLA-Legende ausser vielleicht Basels legendären Regisseur Alexander Rytschkow trifft das mehr zu als auf Adrian Ilie, den rumänischen Wunderstürmer, der in der Saison 2004/05 die Fans des FC Zürich in Atem hielt. Leute wie er haben in dieser Rubrik seit je ihren Platz. Denn Leute wie er bieten ihren Anhängern so oft ein Fest für die Augen – und sind freilich ebenso oft Anlass für das frühzeitige Ergrauen der Haare. Ihre Karriere ist meist eine unvollendete. Aber sie ist auch eine glamouröse. Nachdem in Deutschland Jürgen «Kobra» Wegmann die Verteidiger und Sprachpfleger das Fürchten gelehrt hatte und bevor in Italien Skandal-Radprofi Riccardo «Kobra» Riccò im Dopingsumpf unterging, biss in Rumänien ebenfalls eine Kobra zu: Adrian Ilie im Dress des nationalen Vorzeigevereins Steaua Bukarest. Aus Craiova stammend, stiess er zusammen mit seinem jüngeren Bruder Sabin 19-jährig zum rumänischen Rekordmeister. Nach drei gewonnenen Meisterschaften wechselte er im Winter 1997 zu Galatasaray nach Istanbul, wo es ihm aber nicht wie gewünscht lief. Zum internationalen Star reifte er dann in seinen vier Jahren bei Valencia, was nicht nur seine 29 Treffer in 84 Spielen belegen. Nach den weiteren Stationen bei Alavés und Besiktas sorgte Ilie schliesslich in der NLA für eine Blutauffrischung. Es ist sicher kein Zufall, dass er ausgerechnet beim FCZ landete. Schliesslich kann man dem damaligen Präsidenten Sven Hotz mit Fug und Recht ein Faible für schlampige Genies nachsagen. Schon bei Ferreri oder Brolin wurde die Präsidentenlegende aufgrund deren schillernder Vitas
NLA-Legenden schwach. Da spielte der Umstand, dass Ilie seit drei Monaten keinen Ernstkampf mehr bestritten hatte, nur eine untergeordnete Rolle. Auch Trainer Lucien Favre war vom Glanz, den die Kobra ausstrahlte, verzaubert und wusste beruhigend zu versichern: «Fussball ist für ihn immer noch sehr wichtig.» Hotz im Hoch Zusammen mit Abwehrchef Iulian Filipescu und Mittelfeldmotor Mihai Tararache bildete Ilie die neue rumänische Achse beim Z. Hotz schwärmte sogleich, dass seine drei «Bullen» seinen Verein endlich zum Erfolg führen würden. «Der Gedanke, dass wir mit ihnen ein Spiel 0:3 verlieren könnten, kommt mir nicht einmal bis zu den Schuhen hoch», posaunte er. Der Saisonstart ging zwar für den FCZ mit der Niederlage gegen Meister Basel in die Hosen, doch Ilie zeigte mit seiner Schlitzohrigkeit sehr gute Ansätze. Doch schon nach der Heimpleite gegen den FC Aarau wehte dem Rumänen ein kräftiger Wind entgegen – in Form von harscher Kritik seitens des «SonntagsBlicks». In gewohnt markiger Manier taufte das Boulevardblatt die Kobra kurzerhand in eine harmlose Blindschleiche um. Angesicht dessen, dass das Spiel gegen Aarau erst sein zweites für den FCZ war, muss hier freilich die Verhältnis-mässigkeit schon infrage gestellt werden, denn auch einem ehemaligen Weltstar darf eine gewisse Eingewöhnungszeit zugestanden werden. Schon im nächsten Spiel strafte Ilie die Worte seiner Kritiker dann Lügen und demonstrierte, dass er sehr wohl weiterhin als bissig und gefährlich taxiert werden konnte. Mit seinem Treffer gegen Xamax konnten die Zürcher einen wertvollen Punkt in der Ferne verbuchen. Obwohl Ilie bei der 2:3-Heimschlappe gegen YB wieder überzeugte und beide FCZ-Tore vorbereitete, liessen vor allem die Boulevardmedien kein gutes Haar an ihm und schossen sich regelrecht auf ihn ein. Doch auch im Verein wurde es für Ilie ungemütlicher. Der Mitfavorit schlitterte nach sechs Spielen ohne Sieg in eine Krise, die schliesslich in der Person des konditionsschwachen Rumänen ein erstes Opfer fand: Beim Der-
bysieg gegen GC, der für den FCZ den Weg aus dem Tief markierte, fand sich der zuweilen durch Lustlosigkeit aufgefallene Ilie auf der Ersatzbank wieder. Und Favre vertraute auch in den nächsten Spielen nicht auf seinen Stareinkauf und liess ihn durch Alhassane Keita vertreten, der eher den Typ Strafraumstürmer verkörperte als der Rumäne, der sich lieber etwas zurückfallen liess und auch in die Rolle des Ballverteilers schlüpfen konnte. Zwar zeigte er sich bald auch als Goalgetter, vorerst jedoch nur beim Cupsieg gegen Herisau, zu dem er vier Tore beisteuerte. «Ich bin zufrieden» Überhaupt wurde Ilie häufig missverstanden, und dies betraf nicht nur seine Interpretation des Strafraumstürmers. Sein ausgesprochen scheues Auftreten wurde oft als Arroganz fehlgedeutet. Auch warfen ihm seine Kritiker vor, dass er sich fernab des grossen Fussballs in der NLA nicht motivieren könne. Genau auf dieses Argument angesprochen, konterte er: «Für mich spielt es keine Rolle, ob 10 000 oder 50 000 Zuschauer im Stadion sind. Natürlich ist der Druck hier weniger gross als in Spanien oder in der Türkei, aber das ist für mich in Ordnung. Der FCZ ist ein guter Klub, ich bin zufrieden.» Auch Sportchef Fredy Bickel konnte die teils harsche Kritik an der Person Ilie nicht nachvollziehen und schritt zu dessen Verteidigung: «Er ist einer der angenehmsten Ausländer des FCZ überhaupt. Ilie weiss vermutlich nicht einmal, wo mein Büro ist. Es gibt keinerlei Probleme mit ihm.» Bis zur Winterpause wurde Ilie von Favre vornehmlich als Joker eingesetzt, bewies dabei allerdings mehr denn je Klasse und Torgefahr. Beim 4:2-Sieg über YB bot er eine Galavorstellung und überzeugte nicht nur mit einem Tor und einem Assist, sondern zeigte seine Klasse auch als Dribbelkünstler und als atemberaubende Pässe schlagender Regisseur. Der «Tages-Anzeiger» sprach von der Demonstration des Adrian Ilie. Auch Favre lobte: «Ilie spürt den Fussball.» Sturmpartner Keita ging noch weiter: «Es ist besser für mich, wenn Ilie spielt.
Dann bekomme ich mehr Bälle. Er hat ein gutes Auge und ist technisch stark.» Doch auch im weiteren Verlauf der Meisterschaft konnte Favre, der zu viele Ähnlichkeiten in der Spielweise von Keita und Ilie entdeckte, seinem rumänischen Stürmerstar keinen unangefochtenen Stammplatz anbieten. Selbst als Teilzeitangestellter zeigte Ilie indes immer wieder seine überragenden Fähigkeiten, und dies wohlgemerkt nicht nur auf dem Platz. Obwohl das häufige Fristen auf der Ersatzbank den Stolz eines ehemaligen Weltklassestürmers verletzt haben muss, begehrte er nie auf und forderte nie einen Stammplatz. Dass seine Darbietungen sehr wohl Anklang bei der Anhängerschaft des FCZ fanden, bewies deren Wahl Ilies zum Zürcher Stürmer des Jahres. Überhaupt bewies Ilie durchaus Fannähe. Schliesslich bezog auch er seine Zigaretten in der Flachpass-Bar im Letzigrund. Comebackversuch in Grosny Die Ziele von Präsident Hotz wurden schliesslich nur teilweise erreicht. In der Endtabelle lief der FCZ nicht auf dem vom Präsi anvisierten 3. Rang ein, sondern belegte nur den 5. Platz. Doch mit dem Cupsieg wurde das Verfehlen der Top 3 in der Meisterschaft mehr als nur kompensiert. Für Ilie endete die Zeit beim FCZ nach nur einem Jahr, seine Reise führte ihn nach Belgien zu Germinal Beerschot, wo er allerdings aufgrund eines Knieleidens ohne Spieleinsatz blieb. Auch sein Comebackversuch im Jahre 2009 bei Terek Grosny scheiterte an der medizinischen Untersuchung. Nach seiner Laufbahn wurde der 55-malige Internationale Unternehmer in seiner Heimat. Er baute ein Hotel sowie einige Villen in Poiana Brasov, ausserdem fungiert er als Besitzer des ehemaligen Zweitligisten Forex Brasov. Obschon Ilie vielleicht nicht alle Erwartungen erfüllen konnte, war die Kritik an seiner Person bisweilen sehr ungerecht. Sieben Tore in 23 Spielen sowie zahlreiche Assists sind eine so schlechte Bilanz dann auch nicht. Dennoch bleibt seine Zeit in Zürich nicht bloss unvollendet, sondern auch unverstanden.
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Der Schweizer Bosman Text: Matthias Dubach / Bild: Keystone
In den Siebzigern klagte ein Schweizer Natispieler vor Bundesgericht auf freie Arbeitsplatzwahl. Georges Perroud bekam recht – die Leibeigenschaft von Spielern wurde in der NLA abgeschafft.
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ie Spannung vor der Urteilsverkündung steigt. Der Kläger ist müde, über Jahre hat sich sein Fall in die Länge gezogen. Der Fussballer hatte das Gericht wegen seines Berufes angerufen. Vier Jahre zuvor spielte er letztmals in der obersten Liga des Landes. Nun will er einfach nur noch Gerechtigkeit. Und sein Recht auf freie Arbeitsplatzwahl. Aus diesem Grund beschäftigen sich die Richter mit dem Fall. Dann wird das Urteil verkündet – die Spannung fällt ab, der klagende Fussballer hat recht bekommen. Die Richter entscheiden, dass es von seinem Verein gesetzeswidrig war, war, nach Ablauf des Vertrags von einem interessierten Konkurrenten eine überhöhte Ablösesumme zu verlangen. Der klagende Fussballer ist – nicht JeanMarc Bosman. Wir schreiben auch nicht das Jahr 1995, wir schreiben den 15. Juni 1976. Die Richter amten nicht am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg, sie arbeiten am Schweizerischen Bundesgericht in Lausanne. Der Fussballer heisst Georges Perroud und focht 19 Jahre vor dem Belgier Bosman denselben Kampf aus: den Kampf für eine freie Wahl des Arbeitsplatzes. Im Vergleich zu Bosman, der lediglich in die zweite französische Liga zu Dünkirchen wechseln wollte, war Perroud eine grosse Nummer in der Schweiz. Der Freiburger kam zunächst als linker Flügelspieler bei Cantonal Neuchâtel zum Einsatz, wechselte 1966 zum FC Sion und stiess 1969 zu Servette Genf. Mittlerweile
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war er zum Verteidiger umfunktioniert worden. Ausserdem spielte Perroud 18 Mal für die Schweizer Nationalmannschaft, er war Nati-Teamkollege von Köbi Kuhn. Zweijährige Sperre gegen Perroud 1972 wollte Perroud wieder ins Wallis zurückwechseln, weil Servette-Trainer Jürgen Sundermann nicht mehr auf den zuverlässigen, damals 29-jährigen Routinier setzte. Doch es kam nicht zum Transfer. Die Genfer forderten für den Nationalspieler trotz abgelaufenem Vertrag wie üblich eine Ablösesumme. Ein Wechsel ging nur dann über die Bühne, wenn auf der im Nationalliga-Reglement vorgeschriebenen Freigabeerklärung drei Unterschriften prangten: eine vom alten Verein, eine vom neuen Verein und eine vom Spieler. Kam diese Erklärung nicht zustande, weil der alte Verein die Freigabe verweigerte oder schlicht eine utopische Ablöse verlangte, verhängte die Nationalliga eine zweijährige Sperre über den Akteur. Die Macht lag völlig bei den Vereinen. Perroud wurde reglementkonform gesperrt. Der Freiburger arbeitete zwar noch als Informatiker und war nicht Vollprofi, doch er zerrte den Servette FC vor das Bundesgericht und klagte auf freie Arbeitsplatzwahl in der Schweiz. Obwohl er zum Zeitpunkt des Urteils bereits vier Jahre nicht mehr Fussball spielte, stellte der klagende Ex-Servettien die Nationalliga auf den Kopf. Die Richter in Lausanne stiessen
sich vor allem an der zweijährigen Sperre, die für die Klubs ein sehr effektives Druckmittel war, wechselwillige Spieler gefügig zu machen oder sie für weniger Geld weiterzubeschäftigen. Folgendes Urteil fällten die Richter im Fall Perroud: Art. 27 Abs. 2 ZGB und 20 OR, Art. 28 Abs. 2 ZGB und 49 OR. Nichtigkeit von Vertragsbestimmungen, welche die Freiheit des Arbeitnehmers in unzulässigerweise einschränken. Abreden zwischen einem Fussballclub und einem Spieler, die dem Club bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses erlauben, dem Spieler die Austrittsbescheinigung mit der Folge zu verweigern, dass er nicht in einen andern Club übertreten kann und deshalb für zwei Jahre von der Nationalliga ausgeschlossen ist. Solche Abreden sind nach den Regeln über das Konkurrenzverbot (Erw. 5), den Art. 27 Abs. 2 ZGB und 20 OR (Erw. 6) und nach den Voraussetzungen für einen zulässigen Boykott (Erw. 7) als nichtig zu betrachten. Im weiteren Beschrieb des in letzter Instanz gefällten Urteils wurden diese Begebenheiten als «ausserordentlich schockierend» und «unmoralisch» bezeichnet. Das Gericht sprach von einer widerrechtlichen Freiheitsbeschränkung. Der «Sport» schrieb nach der Erscheinung der schriftlichen Urteilsbegründung am 4. Oktober 1976: «Bundesgericht schafft Sklavenhandel ab.» Es war nicht mehr rechtens, einem Spieler den Vertrag nicht zu verlängern und ihn gleichzeitig an einem Wechsel zu hindern. Die Folgen in der NLA Die Funktionäre liess das Urteil aus Lausanne zunächst kalt. «Ich rege mich über diesen Fall nicht auf. Zum Pressieren zwingt mich nichts», liess NationalligaPräsident Lucien Schmidlin wissen. Und Edi Naegeli, der FCZ-Präsident, fand: «Diese Sklaven leben ja gewiss nicht in Verhältnissen, wie sie in Onkel Toms Hütte
Weisch no . . . beschrieben wurden.» Doch die faktische Leibeigenschaft war vorbei, den Klubpräsidenten blieb nichts anderes übrig, als zu reagieren. Am 11. März 1977 stimmten sie für die Abschaffung des «Reglements betreffend die Begrenzung der Spielerentgelte und Transfersummen» und führten damit offiziell das Profitum in der NLA ein. Fortan musste bei einem Wechsel eines Spielers mit ausgelaufenem Vertrag der neue Klub eine vorgeschriebene Entschädigung an den bisherigen Verein bezahlen. Dass auch der Amateurstatus der Fussballer – zumindest auf dem Papier mussten die Kicker zuvor noch immer einem «normalen» Beruf nachgehen – abgeschafft wurde, lag aber nicht nur am Fall Perroud, sondern an der ohnehin unaufhaltsamen Professionalisierung im Fussball. Der konkrete Fall des klagenden Servettien fand denn auch mit keiner Silbe eine Erwähnung in den SFVJahresberichten der Jahre 1975/76 und 1976/77. In der Nationalliga waren fortan Lohnbeschränkungen passé. Zuvor waren diese genau geregelt gewesen: 80 000 Franken im Jahr für Ausnahmekönner, 40 000 für Nationalspieler und 25 000 für das fussballerische Fussvolk. Der «Sport» kommentierte bissig: «Jeder kann zahlen, was er will. Jetzt müssen in der NLA keine doppelten Buchhaltungen geführt werden und braucht kein Präsident mehr rot zu werden, weil er Bezüge an die Spieler unter dem Tisch zahlen oder buchhalterische Kniffe anwenden musste, um irgendetwas zu verheimlichen.» Kein Präzedenzfall für das Ausland Auf ein noch grösseres Erdbeben, über die Grenzen der Nationalliga hinaus, wartete man allerdings vergeblich. Erst nach Jean-Marc Bosmans Gang vor das Gericht wurden Ablösesummen bei auslaufenden Verträgen international abgeschafft. Dass im Ausland niemand Perroud als willkommenen Präzedenzfall vorbrachte, verwunderte auch den «Spiegel»: «Den Musterprozess hat der Schweizer Kicker Georges Perroud geführt und gewonnen», stellte das deutsche Nachrichtenmagazin am 18. Oktober 1976 fest. Der «Spiegel» beschäftigte sich mit einem Satz von Fussball-Quer-
denker Paul Breitner, der den Handel mit Ablösesummen als gesetzeswidrig und würdelos bezeichnete. Dass man im Ausland den Schweizer Präzedenzfall heranzieht, wäre aus juristischer Sicht nicht undenkbar gewesen. «In Ländern, die ähnliche Wertesysteme wie die Schweiz haben, könnten Gerichte im Falle einer planwidrigen Unvollständigkeit in ihrer Rechtsordnung grundsätzlich auch Schweizer Urteile als unverbindliches Hilfsmittel bei der Rechtsfindung berücksichtigen», erklärt Simon Meyer, Rechtsanwalt und Doktorand an der juristischen Fakultät der Universität Zürich. Aber erst bei JeanMarc Bosman wurden die Landesgrenzen überschritten, da er von Belgien nach Frankreich wechseln wollte und daher auf freie Arbeitsplatzwahl innerhalb der Europäischen Union klagte. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs betraf folglich alle EU-Länder gleichermassen, neben den Ablösesummen bei auslaufenden Verträgen waren auch die Ausländerbeschränkungen Vergangenheit. Hätte der Fall Perroud also BosmanDimensionen erreichen können, wenn er zu einem Verein im EU-Vorgänger Europäische Gemeinschaft hätte wech-
seln wollen? Meyer: «Eher nicht. Die Schweiz war nicht an das Recht der EG gebunden; Perroud hätte also im Ausland klagen müssen, obwohl die beklagte Partei, Servette Genf, ihren Sitz in der Schweiz hat. Überdies trat der Vertrag von Maastricht, der die Idee der Arbeitsfreizügigkeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft weiterentwickelte, erst 1993 in Kraft.» Die Situation in Deutschland war zu den Aktivzeiten von Breitner, Gerd Müller oder Günter Netzer ohnehin anders als in der Schweiz. Eine zweijährige Sperre gab es nicht. Sondern ein System, das dem wechselwilligen Spieler die besseren Karten in die Hand gab als den Schweizer Kollegen. Die Vereine gingen ein Risiko ein, wenn sie eine Ablösesumme zu hoch ansetzten. Scheiterte ein Wechsel, musste der Verein denselben Spieler wieder einstellen und ihm überdies ein Handgeld bezahlen, dass einem Viertel der geforderten Ablöse entsprach. Dieses System wurde gemeinhin als gerecht erachtet. Breitner selber hatte als Millionär sowieso keinen Grund, ein Gericht anzurufen – aber es heisst ja schon im alten Juristenlatein: Nemo iudex sine actore – wo kein Kläger, da kein Richter.
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Rubrik Auslaufen
mämä erklärt
Mämä Sykora ist der ZWÖLF-Fussballprofessor und Präsident der Alternativliga Zürich
Football Will Tear us Apart Es hat sich einiges geändert in den Stadien. Nicht nur, dass viele der Spielstätten durch moderne Arenen ersetzt wurden, auch das Publikum unterlag einem Wandel. Heterogen war die Besucherschaft von Fussballspielen zwar schon vor 20, 30 Jahren; in ihren Erwartungen war das aber eine einigermassen homogene Gruppe. Gesänge gab es nur eine Handvoll, dafür fielen die Zuschauer rund ums Spielfeld mit ein, wenn mal welche angestimmt wurden. Und die Tribünen waren gut durchmischt: Alt, Jung, Familien, jugendliche Gruppen standen oder sassen da nebeneinander. Heute kennt man so ein durchmischtes Publikum nur noch in ausländischen Stadien. In England oder Deutschland stehen und singen Familienväter mit Halbwüchsigen, hierzulande singt ausser der Fankurve überhaupt niemand mehr, die dafür oft ohne Unterbruch. Die einst wild durchmischte Masse der Zuschauer hat sich in den letzten Jahren immer mehr aufgesplittet. Heute stehen in der Kurve die jüngeren Fans, ausgestattet in den Klubfarben. Für die Familien gibt es eigene Sektoren; die der Fankurve entwachsenen sowie die neutraleren Zuschauer und Gelegenheitsbesucher finden sich auf der Gegentribüne ein, während sich auf der Haupttribüne die VIPs tummeln. Zwar sind sie alle aus dem gleichen Zweck vor Ort, ihre Vorstellungen eines gelungenen Nachmittags sowie die Einschätzungen der Bedeutung «ihrer» Gruppierung für den Verein gehen indes weit auseinander. Das birgt Kon-
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fliktpotenzial. Die Logenfraktion wird gerne von allen Seiten verteufelt, obwohl sie für die Klubs von existenzieller Bedeutung ist. Uli Hoeness unterstrich dies in seiner berühmten Rede von der «Scheiss-Stimmung»: «Was glaubt ihr eigentlich, was wir das ganze Jahr machen, damit wir euch für 7 Euro in die Südkurve gehen lassen können? Was glaubt ihr eigentlich, wer euch finanziert? Die Leute in den Logen, denen wir die Gelder aus der Tasche ziehen!»
Auch die Gegentribüne und die Fankurve scheinen sich immer mehr auseinanderzuleben. Mit der Vielzahl an Gesängen feiert sich die Kurve vor allem selber, den Fans auf der Tribüne wird keine Gelegenheit gegeben, dabei mitzumachen oder auf eine Spielsituation mit spontanen «Hopp XY»-Rufen zu reagieren, ihre Mannschaft in den letzten Minuten noch einmal nach vorne zu peitschen. Die daraus folgende Ruhe auf diesen Rängen führt dazu, dass die Kurve sich abschätzig über dieses «EventPublikum» und die «Modefans» äussert. Umgekehrt ärgern sich beide Tribünen regelmässig darüber, dass die Selbstregulierung der Kurve ihrer Ansicht nach
nicht funktioniert, weil noch immer Pyros abgebrannt werden und Randale wie jene letzthin im Letzigrund nicht verhindert werden. Die Leidtragenden dieser Konflikte sind die Klubs, die es allen recht machen müssen und auf alle angewiesen sind. Die Fans bezahlen zwar weniger Eintritt als der Rest, dafür investieren sie in Merchandising-Artikel und machen die Stimmung, ohne die die anderen Sektoren leer blieben. Die Sponsoren und VIPs steuern einen grossen Batzen für das Budget bei, während die normalen Tribünengänger die immer teurer werdenden Tickets kaufen und einen grossen Teil der Zuschauer ausmachen. Die letzte Gruppe ist dabei eine äusserst dankbare, denn sie ist nicht organisiert, stellt keine Forderungen und ist pflegeleicht. Gerade deshalb kümmern sich die Vereine kaum um sie. Die leisen Proteste der hohen Eintrittspreise wegen tun Vereinsführungen mit dem Verweis auf die Ersparnisse beim Kauf eines Saisonabos ab, ungeachtet dessen, dass viele eben nur fünf Spiele pro Spielzeit schauen wollen. Für eine gute Ambiance braucht es im Stadion alle Gruppierungen. Von den Vereinen verlangt dies einen grossen Spagat und viele Kompromisse und Zugeständnisse an alle Parteien. Der schwelende «Konflikt» bleibt dennoch bestehen und wird sich in Zukunft eher zuspitzen als legen. Die Sektoren entfernen sich immer weiter voneinander, und es deutet nichts darauf hin, dass diese Entwicklung in nächster Zeit aufgehalten werden könnte.
Fussball-Smalltalk Alphonse Wright absolvierte 5 Länderspiele für Belgien, bevor der Landesverband bemerkte, dass er lediglich die englische Staatsbürgerschaft besass.
Dass Sport und Geld zusammen gehören, erkannte man in der peruanischen Stadt Huaraz schon früh und nannte den lokalen Fussballklub «Sport Ancash».
Die 168 Angestellten des FC Basel verdienen im Schnitt 15 529.35 Franken pro Monat.
In den 20 Spielen der FIFA XI, des AllstarTeams, gab es nur 6 Siege.
Im Schnitt schoss die Schweizer Nati in den ersten 30 Monaten unter Ottmar Hitzfeld 0.89 Tore pro Spiel. Bei Köbi Kuhn lag der Schnitt in der gleichen Zeitspanne bei 1.73.
In den K.o.-Runden des Europacups zuerst auswärts antreten zu können, ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil. In 54.98% der Begegnungen setzte sich jenes Team durch, das im Rückspiel Heimvorteil genoss.
Der 80-fache Schweizer Internationale Severino Minelli, einer der weltweit besten Verteidiger zu seiner Zeit, musste bis zu seinem 13. Spiel für die Nationalmannschaft warten, bis er seinen ersten Sieg feiern durfte. Nach 11 Niederlagen und 2 Remis war dies das 5:1 am 17.4.1932 über die Tschechoslowakei. Alleine in der letzten Stunde vor der Schliessung des Transferfensters tätigten Premier-League-Vereine 19 Transfers. Insgesamt investierten die Klubs diesen Sommer stolze 740 Millionen Franken. Am meisten Geld wird in den Transfers von Frankreich nach England umgesetzt. Die 470 Spieler, die auf die Insel gewechselt haben, kosteten insgesamt 1 Mrd. Schweizer Franken. Anfangs des 20. Jahrhunderts wurde der Fussball in Frankreich von diversen konkurrierenden Verbänden organisiert, die alle eigene Meisterschaften austrugen. Zwischen 1906 und 1914 wurden deshalb jeweils mindestens drei Meister gekürt. Zwischen 1976 und 1985 endeten 8 der 10 Endspiele im Meistercup mit 1:0, zwischen 1978 und 1983 gar 7 Mal in Folge. Nur einmal gingen alle drei europäischen Trophäen in ein einziges Land: 1990 triumphierte die AC Milan im Meistercup, Sampdoria Genua im Cup der Cupsieger und Juventus gewann den UEFA Cup. Sie alle wurden in der darauf folgenden Coppa Italia von ein und demselben Team bezwungen: AS Roma. Die Finalpaarung im malaysischen Cup lautete schon 23 Mal Selangor FA gegen Singapore FC. 1990 lief Scarborough F.C. mit einem neuen Trikotsponsor auf: Black Death Vodka, mit dem Slogan «Drink in peace». Nur kurz darauf wurde die Werbung von der Football League verboten. Grund: schlechter Geschmack.
Patrice Evra, Verteidiger in Diensten von Manchester United, hat 24 Geschwister. Der österreichische Zweitligaverein SC Untersiebenbrunn hiess von 2001 bis 2004 kurz und knapp SC Interwetten.com. Danach stieg das Unternehmen aus, weil man «die Negativschlagzeilen satt» habe, ein Jahr später ging der Verein Konkurs. Der Argentinier Pedro Gatica reiste 1986 im Alter von 52 Jahren mit dem Rad nach Mexiko, um sein Team an der WM sehen zu können, nur um dort festzustellen, dass er sich den Eintritt gar nicht leisten konnte. Noch während er um ein Ticket feilschte, klauten ihm Diebe sein Fahrrad. Ole Gunnar Solskærs Comeback nach langer Verletzung bei den Reserven von Manchester United zog 2738 Zuschauer an. Sue Watson, Safety Officer bei Middlesbrough, sah sich 2009 gezwungen, sich in einem Brief an die Fans in Block 53A zu wenden: «Wir erhalten immer mehr Beschwerden unserer eigenen Fans über das dauernde Aufstehen und über den Lärm aus diesem Sektor. Ich bitte Sie, dies zu unterlassen. Machen Sie nach einem Tor so viel Lärm wie Sie wollen, aber der stetige Lärmpegel macht einige Fans verrückt.» Seit 2007 ist es verboten, beim Besuch an der Stamford Bridge des FC Chelsea Sellerie mittzubringen. Nach alter Tradition stimmten die Fans seit den 80er-Jahren ein schlüpfriges Lied an («Celery, celery. If she don’t come, I’ll tickle her bum with a lump of celery») und bewarfen sich dazu mit Sellerie. Nachdem auch immer mehr Selleries aufs Spielfeld und Richtung Gegner geflogen sind, sah sich der Klub zum Handeln gezwungen, verbot das Gemüse im Stadion und richtete gar eine Sellerietelefon ein, bei dem man anonym Selleriewerfer denunzieren konnte.
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Das nächste Heft erscheint Mitte Dezember 2011.
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