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Mai / Juni 2012
JAHRE
FUSSBALL ADE SILBERBAUER & FARNERUD | LUBAMBA | PISHYAR | MODEFANS
90 Jahre schild.
das schönste tor zu guteM stil.
Wir gratulieren deM Magazin zWölf zuM 5-Jahr-JubiläuM. schild.ch
ZWÖLF W
ist fünf
ir sind schon fast Profis geworden in diesen fünf Jahren ZWÖLF. Baten wir zu Beginn ein Kindheitsidol wie Heinz Hermann um ein Interview, herrschte grosse Aufregung in unserer bierseligen Redaktionsstube, die erst ein Wohnzimmer oder eine Küche war, bis wir schliesslich über einer illegalen Bar landeten. Mittlerweile hatten wir sogar Carlos Varela überstanden und würden auch ohne Angst Alex Frei interviewen. Wir sahen uns nicht als Fussballjournalisten, sondern als Fussballinteressierte. Wir überraschten unsere Jugendidole, als wir sie nicht zu ihrer aktuellen Entlassung als Trainer, sondern über ihre goldene Zeit in den 80er-Jahren befragten. Die Anfahrten zu Interviewterminen waren anfangs noch wie Schulreisen. Zum Fotografen und den zwei Interviewern gesellten sich noch Kumpels, die unbedingt dabei sein wollten. Als wir irgendwann alle Idole unserer Jugendzeit durch hatten, nahmen wir uns auch aktuelle Spieler und Trainer vor. Vielleicht ist deshalb die kindliche Aufregung einer erwachsenen Souveränität gewichen. Mittlerweile sind wir schon recht selbstbewusst. Die Medienchefs kennen uns, somit müssen wir nicht jedes Mal das Sprüchlein aufsagen, wer wird sind und was wir vorhaben. Mit Ausnahme von Hakan Yakin bekamen wir jeden gewünschten Spieler an den Tisch, und noch immer sind wir verblüfft, wie spannend diese Gespräche sein können, wenn man ganz normal mit diesen Stars plaudert und nicht durch SF-Fragen ihre Phrasenmaschine anwirft. Erstaunt sind wir auch jedes Mal von neuem, wenn wir eine Ausgabe in den Händen halten, die auch tatsächlich das Interesse von richtigen Lesern wecken kann. In der Gründerzeit las sich unsere Abonnentenliste noch wie eine erweiterte Verwandtschaftsaufstellung unseres grossen Teams, und wir müssen vermuten, dass nicht alle Tanten das Heft wirklich von A bis Z gelesen haben. Aber sie leisteten einen grossen Beitrag dazu, dass wir überhaupt abheben konnten. Hier möchten wir auch unseren ersten Geldgeber nicht unerwähnt lassen. Dank Thomas Beugger vom Lotteriefonds Baselland erhielten wir eine Förderung für unser Magazin, erste Entwürfe für die Statue, die wir zu seinen Ehren vor dem ZWÖLF-Stadion in Zürich errichten wollen – noch sind einige Einsprachen wegen des Schattenwurfs hängig – sind bereits in Arbeit. Wer fünf Jahre überlebt hat, der darf sich auch mal eine Feier leisten. Die unsere findet am Samstag, 12.5.2012 – man beachte das treffende Datum – in Zürich statt. Ihr seid dazu alle ganz herzlich eingeladen, wie auch die alten Haudegen. Wir hoffen, sie kommen alle: Longo, Ponte, Egli und natürlich unsere Tanten. Und nein, selbstverständlich ist diese Ausgabe nicht eine einzige Selbstbeweihräucherung. Im Gegenteil: Als Titelthema haben wir uns nämlich vollkommen unpassend das Thema «Abschied vom Fussball» ausgesucht. Wir lassen ehemalige Nati-Recken von ihrem zweiten Leben erzählen, erinnern uns mit Beni Thurnheer an Timo Konietzka, besuchten das «One-Hit-Wonder» Badile Lubamba und lassen uns obendrein auch noch von einem Ex-Fan erklären, was am Leben ohne Fussball besser ist. Zudem ist unser finnischer Aussenposten den Geschäften von Majid Pishyar auf den Grund gegangen, unterhielten uns mit den YB-Nordländern und waren endlich wieder einmal auf der Wettinger Altenburg. Das ist eine ganze Menge, aber some things changen halt eben nie. Wir zum Beispiel. Euer ZWÖLF
JAHRE
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Planet Constantin: Der Walliser Sonnenkönig im O-Ton
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Wie gesagt, äh…: Fussballer reden
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Die Single: Kreuzfahrt der Herzen
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Die Liste: Was im Fussball besonders ZWÖLF ist
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Auswärtsfahrt: Glanz vergangener Tage beim PSV
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Grüsse aus der Challenge League: Ein Leben mit dem FC Lugano
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Der Cartoon: Hosen für den Kraftwürfel
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Klassenfahrt: Auf Reisen mit GC
FUSSBALL ADE 16 Auszug aus dem Paradies Nationalspieler aus verschiedenen Epochen erzählen von ihrem Werdegang nach der Aktivkarriere 24 Der Capitano, der ein Fremder blieb Ago Di Bartolomei, Spielführer der AS Roma, nahm sich auf den Tag genau nach dem verlorenen Meistercup-Finale das Leben 28 Der Ex-Fussballfan Ein ehemaliger Nerd über die neue Lebensqualität nach seiner Trennung vom Fussball 30 Die zweite Karriere des Badile Lubamba Der einstige Senkrechtstarter macht heute Geschäfte im Kongo 34 Begegnungen mit Timo Konietzka Beni Thurnheer erinnert sich an den ersten Bundesliga-Torschützen 36
5-Jahr-Jubiläum: ZWÖLF schaut zurück und will mit euch feiern
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Die Pishyar-Falle Hinter den Engagements von Majid Pishyar bei Fussballvereinen ist ein klares Muster zu erkennen
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Bevor die Modefans kamen Aus den düstersten Zeiten des FCB, des FCZ und von YB
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«Man muss nicht unbedingt der Beste sein» Die YB-Skandinavier Alexander Farnerud und Michael Silberbauer im Interview
52 Unser Mann in London: Peter Balzli über das Twitter-Monster Joey Barton
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Schweizerreise: Das kurze Hoch des FC Wettingen
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Schwarzes Brett: Neue Fussballbücher und Tschuttibildli
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Auslandschweizer: Patrick Gerhardts Weltreise
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Spiel meines Lebens: David Sesa über sein Highlight gegen Inter
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Der Fanarbeiter informiert: Verhärtete Fronten
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Mämä erklärt: Handeln in Sachen Hand
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Smalltalk und Impressum
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ZWÖLF goes interactive Herausreissen war gestern. Mit dem kostenlosen Paperboy App von kooaba Shortcut lassen sich Artikel jetzt aus ZWÖLF direkt übers iPhone oder Android-Handy anschauen, teilen und weiterempfehlen.
Planet Constantin «Die Nummer 1 zu sein, ist nach meinem Empfinden besser als die 2 oder 3.» CCs Kommentar zur Auszeichnung von «World Soccer»: als «verrücktester Präsident Fussballeuropas».
«Bisher hatten wir gute Beziehungen zu Biel, aber das ist jetzt vorbei. Niemals mehr werde ich den Bielern Tausende Franken überweisen für Spieler, die uns interessieren könnten.» Und das alles, obwohl Biel ganz im Sinne von Constantin handelte – und gegen die Wertung des Cupspiels gegen Sion Protest einlegte.
«Warum soll das Wallis nicht aus der Schweiz austreten und ein souveräner Staat werden, so wie es das Fürstentum Liechtenstein ist?» Dann wäre Sion nach Siegen gegen Saas-Fee und Leukerbad als Meister auf Lebzeiten für europäische Wettbewerbe qualifiziert. CCs Ausweg nach der Annahme der Zweitwohnungsinitiative im «TagesAnzeiger».
«Ich stelle ja nur fest, dass die Walliser anders ticken als der Rest der Schweiz.»
Frage eines FC-Luzern-Fans an Coach Murat Yakin anlässlich eines Fantreffs: «Wie angle ich mir auch eine Vize-Miss wie du?» Yakin stutzt. «Vize-Miss? So gut sieht sie nicht aus. Sie war bloss bei der Wahl dabei.»
Apropos Krach im Haus: Was tun, wenn man gerne wegmöchte, aber irgendwie nicht selber künden mag? Reden wie Murat Yakin an ebenjenem Fantreff: «Wir haben eine Kommunikationslücke in unserem Verein. Die kennen auch die Medien. Wenn sie keine Informationen bekommen, dann gehen sie zum Präsidenten. Das ist leider so. Stierli ist ein gutmütiger Mensch und nimmt öfters das Telefon ab, plaudert auch, wenn er eigentlich nicht sollte.» Plaudern tut auch YB-Boss Ilja Kaenzig. Muss er ja, weil es in Bern einfach viele Fragen gibt zurzeit. Nur gut, kennt Kaenzig alle Antworten. Drei aus den letzten Wochen zur Auswahl: «Wer A sagt, muss auch B sagen.» «Wir sind von den Spielern abhängig.» Und (in Bern ists seit Jahren eine feste Redewendung): «YB ist viel weiter als Basel damals.»
Aber deswegen gleich austreten? Die Walliser könnten ja erst mal eine eigene Zeitzone einführen. Oder eine eigene Liga. CC auf Nachfrage von «20 minutes online» zu den Souveränitätsgelüsten.
Vielleicht meint Kaenzig das irgendwie relativ, und es verstehts nur niemand. Denn im Fussball ist vieles relativ. «Ich war als Kind Bayern-Fan. Das relativiert sich irgendwann.» Heiko Vogel im «Tagi»-Interview.
«Der Papst, Obama und Sarkozy würden so was machen. Aber nicht die Schweizer Fussball-Liga.»
Relativieren könnte sich auch die Motivation der FC-Thun-Spieler, wenn sie sich die Aussage von Stadioninvestor Ferdinand Locher gegenseitig noch einmal laut vorlesen. Der meinte doch tatsächlich, dass es für Thun sekundär sei, ob man in der Challenge oder in der Super League spiele.
CC zur Absage der Liga an sein Angebot, die 40 000 Franken Busse wegen unerlaubter Trikotwerbung (Zweitwohnungsinitiative) statt der Liga den belgischen Familien der Opfer des Car-Unglücks im Wallis zukommen zu lassen. Die Liga lehnte ab: Die Opfer seien keine Schweizer gewesen.
«Wenn ich eines Tages aufhöre, führe ich den Klub erst in die Challenge League. Mit einem 4-Millionen-Budget soll mein Nachfolger erst mal seine Sporen abverdienen. Aber so weit sind wir nicht: Berlusconi ist 76 und immer noch Präsident der AC Milan.»
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wie gesagt, äh . . .
Sechstes constantinsches Gebot: Du sollst nicht gleiche Bedingungen haben. CC zu seinen Zukunftsplänen.
« Bankrotterklärung», würde YB-Trainer Christian Gross dazu wohl sagen. Tatsächlich sagte er es zu einem Journalisten, der wissen wollte, ob er sich als Trainer einsam fühle. «Kennen Sie mich überhaupt?», fragte Gross nach. Der Journalist meinte, nicht allzu gut. Gross tobte: «Wissen Sie, wie lange ich in der Schweiz Trainer bin? Das ist doch banal, was Sie da sagen! Ich war in anderen Ländern tätig. Überlegen Sie sich mal, was ich da gemacht habe! Respektieren Sie das Business, in dem wir arbeiten. Dann stellen Sie solche Fragen nicht.» Nächste Frage.
Die Single Etwas weniger angespannt gehts beim FC Basel zu und her. Wenn bei einem Skirennen Schweizer auf dem Podest landen, kommt Marco Streller zu Heiko Vogel und fragt ihn: «Und? Wo ist der Felix Neureuther?» Vogels Antwort: «Im Dressurreiten sind wir Deutschen Weltklasse!» Weltklasse ist auch der FC Bayern, wenn auch aus Basler Sicht nicht alle Spieler dieses Vereins. Basel-Dragovic vor der Partie gegen die Münchner: «Dass Gomez nicht gerade der grösste Kicker ist, wissen wir alle.» Spätestens seit jenem Abend in München: 44. Gomez 3:0. 50. Gomez 4:0. 61. Gomez 5:0. 67. Gomez 6:0.
Ebenso bekannt ist, dass man sichs in der Romandie gern mal gut gehen lässt – wenn Anlass dazu besteht:«Wenn jemand Servette rettet, trinken wir einen guten Weisswein», verkündete jedenfalls Christian Jouvenoz, Präsident des Supportvereins Club des 100. Während die einen den Wein temperierten, fragten sich die anderen, wo eigentlich Servette-Pleitier Majid Pisyhar sei. «Er ist physisch nicht in Genf», richtete sein Anwalt Olivier Péclard aus. Alles klar.
Hier noch der Beweis, dass Ansagen über die StadionLautsprecher ein Exempel für feinste Ironie sein können. Letzigrund, bei einem GC-Spiel: «Die Nachspielzeit wird Ihnen präsentiert vom Pflegeheim Drusberg.» Jetzt schwebt der FC Aarau doch tatsächlich in akuter Aufstiegsgefahr. Und das, obwohl das Brügglifeld (olé!) nicht mehr Super-League-tauglich sei, befindet zumindest die SFL. Erste Anpassungen wurden deshalb bereits vorgenommen. Damit das Catering etwas effizienter funktioniert, hängt nun über der Kasse ein hilfreicher Zettel: «1 Bier = 4.–, 2 Bier = 8.–, 3 Bier = 12 .–, 4 Bier = 16 .– ...»
Kreuzfahrt der Herzen Dodo Haudiesaus Perlen der Volksmusik, Plautzen Records 2012 Aus der Sammlung von Pascal Claude Just als diese Rubrik aufgrund nicht nachwachsender Ressourcen einzugehen droht, kommt aus der Grenzstadt die Erlösung: Die gefürchtete Whiskykurve des FC Kreuzlingen besingt sich und ihren Verein auf einer 4-Song-Schallplatte, die jeder Galionsfigur das Herz bricht: «Wenn der Samstag dann kommt und die Reise sich lohnt – das ist FCK. Wo die Tribüne steht und die Seebrise weht – das ist FCK», singt Rafioli Pizzanta – Punkrock im Gewand des Seemannsliedes. So was hat die 2. Liga interregional lange nicht gesehen. Bereit zum Entern! Diese und die früheren «Singles» zum Anhören auf www.zwoelf.ch
Die Tabelle der Super League.
ZWÖLF präsentiert den Tabellenstand
Rang
1. 2.
Klub
FC Basel Grasshopper-Club Zürich
Nennungen
416 384
3.
FC Zürich
306
4.
Young Boys
293
5.
FC Sion
283
6
FC Luzern
194
7.
Xamax Neuchâtel
191
8. 9. 10.
Servette Genève FC Thun Lausanne-Sport
183 108 95
Diesmal: So oft wurden die Vereine in den vergangenen 5 Jahren im ZWÖLF namentlich genannt. Hierbei gelten auch die Übernamen (Grenats für Servette oder Leuchtenstädter für Luzern).
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Rubrik
Die Liste
Die zehn Zwölfsten Weil wir Jubiläum feiern, wollen wir euch endlich mal sagen, was im Fussball fast ebenso ZWÖLF ist wie wir selber.
As ZWÖLF as it gets
Nichts im Schweizer Fussball ist auch nur annähernd so ZWÖLF wie La Chaux-de-Fonds. Denn tatsächlich steht der FC aus der ZWÖLFtgrössten Schweizer Stadt mit historischem Stadtrecht auf Platz ZWÖLF der ewigen Rangliste der NLA/Super League und ebenso auf dem ZWÖLFten Platz der All-TimeTabelle der Challenge League. Darüber hinaus kam Stadtrivale Étoile-Sporting La Chaux-deFonds 1919 als ZWÖLFter Verein zu Meisterehren. Und als wäre dies noch nicht genug, war die Charrière Austragungsort eines einzigen Länderspiels,
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und zwar am 21. Mai 1911 gegen Italien (3:0). Es war die ZWÖLFte Partie der Schweizer Nationalmannschaft – und das in einer Stadt, welche ohne das überschätzte und ohnehin stets verschluckte «La» genau ZWÖLF Buchstaben hat.
Der ZWÖLFer im Tor
Händeringend suchen die Klubs in jeder Saison nach einem Top-Mann zwischen den Pfosten. Dabei gibt es da ein Juwel, dessen Talent seit Jahren sträflich verkannt wird. Vom unfähigen Management von LASK Linz verschmäht, beim SKN St. Pölten zum Spielball von Intrigen geworden, dann der viel beachtete Neuanfang beim SC/ESV Parndorf und die überragende Saison beim SV Blindenmarkt: Christoph ZWÖLFer heisst dieser Wunderkeeper, ein Name wie Silberklang, und den 2-MeterMann gibts für ein Taschengeld beim ASK Ybbs – mit Gimmick natürlich.
ZWÖLF-Kicker
Vergesst die Ultras und die Choreos, die Doppelhalter und die Singwettbewerbe in den Stadien! Wenn es um Treue,
Loyalität, bedingungslose Unterstützung, Tradition und Innovation geht, kann es gar niemand mit der Supportervereinigung der Kickers Luzern aufnehmen. Wir müssen zugeben, dass wir die Damen und Herren aus der Zentralschweiz kaum kennen, doch wir sind uns sicher: Niemand sorgt besser «für eine lebendige Fussballkultur» als die grossartige Truppe aus Luzern. Ach ja, sie nennt sich übrigens «Club ZWÖLF».
NeunzehnZWÖLFundsiebzig
Es gibt nichts Grösseres als eine Weltmeisterschaft. Doch ebenso gross wie die Vorfreude ist meist die Enttäuschung. Nahezu sämtliche Endrunden waren nur ernüchternd. Da messen sich die besten Spieler der Welt miteinander, und heraus kommen Partien, die so fade sind wie portugiesisches Essen. Nur einmal, für einen kurzen Moment, wurde der Fussball
so richtig zelebriert und so gespielt, wie wir das tun würden, wenn wir es könnten. Das war 1982, bei der ZWÖLFten Weltmeisterschaft, als die Seleção mit Sócrates, Zico, Falcão und Júnior jenes Spektakel bot, das uns zu unverbesserlichen Fussballromantikern gemacht hat.
Das ZWÖLFte Spektakel
Was für die WM allgemein gilt, trifft noch viel mehr auf die Schweizer Nati zu. Wenn sie überhaupt mal an einer Endrunde war, dann hinterliess sie einen ähnlich bleibenden Eindruck wie Johannes Paul I. Wenn andere Nationen ihre «100 grössten Spiele» küren, ist – ausser bei einigen Fussballzwergen – keines gegen die Schweiz dabei. Lediglich gegen unsere östlichen Nachbarn gab es ein einziges Mal so etwas wie Spektakel. Es kann nicht erstaunen, dass dies just im ZWÖLFten WM-Spiel der Eidgenossen war, als am 26. Juni 1954 das Viertelfinale gegen Österreich in Lausanne über die Bühne ging. 3:0, 3:5, 4:5, 4:6, 5:6 und zum Schluss 5:7. Sagenhafte ZWÖLF Tore in einem WM-Spiel, ein Rekord für die Ewigkeit.
Rubrik
Die beste ZWÖLF
Lächerlich, wie mancherorts um gewisse Rückennummern gekämpft wird. Alle wollen die 10, viele die 9, die 7 ist ebenso begehrt. Und kaum einer wird den Assoziationen und den grossen Vorbildern gerecht. Wenn sich Rumpelfüsser hierzulande eine solche Nummer überstreifen und sich damit auf eine Stufe mit den Grössten der Branche stellen, bleibt dem Zuschauer nur das Kopfschütteln. Doch immerhin gibt es einen, der seine Rückennummer mit Stolz tragen kann: der unvergleichliche und weitherum geschätzte Danick Yerly, Mittelfeldspieler beim FC Sion, dem designierten KonjunktivVizemeister. Mit seinen bis dato 42 Einsatzminuten gehört der junge Walliser zweifellos zu den Leistungsträgern und verzückt die Fussballwelt mit seinem fantastischen Spiel. Für uns gab es keinen Zweifel, und nachdem jedes Redaktionsmitglied intern eine Laudatio von epischer Länge hat halten dürfen, küren wir Yerly hiermit zur besten Nummer ZWÖLF der ganzen Liga. Eine Ehre, die höchstens durch die Tatsache ganz leicht geschmälert wird, dass er landesweit der einzige Akteur mit dieser Nummer ist.
Der ZWÖLF-Modus
Viermal gegen den gleichen Gegner, nur ein läppischer Absteiger – das soll der ideale Modus für die Super League sein? Verklärt
denken wir zurück an die goldene Zeit der Liga, zwischen 1989 und 1993. Ivan Zamorano, John Eriksen und Igor Dobrovolski wirbelten auf unseren holprigen Plätzen, in der NLA standen Klassiker wie Chiasso - Bulle auf dem Programm, in der NLB Strassenfeger wie Brüttisellen - Emmenbrücke. Möglich war dies nur, weil die SFV-Oberen endlich den idealen Modus entdeckt hatten: ZWÖLF Vertreter im Oberhaus, zwei Gruppen à ZWÖLF Teams in der NLB. Gefolgt von einer epischen Anzahl Partien in Aufund Abstiegsrunden. Die Grass hoppers fanden den ZWÖLFerModus so toll, dass sie unter Leo Beenhakker unbedingt auch mal diese Abstiegsrunde testen wollten, bevor der Modus völlig unverständlicherweise wieder geändert wurde.
ZWÖLFolution
Der Rappan-Riegel, das WMSystem, der Libero, die YakinRaute: Alles nett und schön, doch nichts hat überlebt, und nichts hat den Fussball so geprägt wie die Revolution Doppel-Sechs, in der Fachsprache der Einfachheit halber schlicht ZWÖLF genannt. So wertvoll wie ein doppelter Sechser im Lotto. Mit ihr gewinnst du, ohne geht es nicht mehr. Wir persönlich würden ja diese beiden Jungs ein bisschen weiter nach vorne schieben, aber die Fussballwelt ist wohl noch nicht bereit für die
zweite ZWÖLFolution in so kurzer Zeit.
Der ZWÖLFfinger
Am ZWÖLFten ZWÖLFten 1966 – 6 plus 6 ist ja auch ZWÖLF, das wissen wir nun – wurde er geboren, am ZWÖLFten ZWÖLFten 1994 wurde ein Haftbefehl gegen ihn ausgestellt. Und zwei Tage später wurde er von der Polizei abgeführt, direkt im Anschluss an die Late-Night-Show mit Thomas Gottschalk. Er, das ist Maurizio Gaudino, der sich mit dem Brilli im Ohr und dem Dreitagebart gerne so präsentierte wie die Hauptakteure in jenen Geschäften klischeemässig auch aussehen, derentwegen er
Tickerkrimi
angeklagt wurde. Als Autoschieber sorgte er für einen kleinen Skandal, in den Fankurven erschallte der Gesang: «Schiri, wir wissen wo dein Auto steht/ Gaudino hats, Gaudino hats». Dass der ehemalige FCB-Profi einfach zu cool ist, diese Ansicht teilte auch Londons Bürgermeister Boris Johnson und rammte ihm bei einem Charity-Spiel 2006 in Rubgy-Manier den Kopf in die Weichteile.
Cup x ZWÖLF
Jetzt ist klar, warum Constantin auch die fernste Fussball-Galaxie angreift (oder zumindest verklagt). In der Schweiz gibts für ihn nur noch Blumentöpfe zu gewinnen nach dieser Bilanz: ZWÖLF Mal im Cup final, ZWÖLF Mal gewonnen. Mehr geht nicht. So holt sich CC seine nächsten ZWÖLF woanders. In der Meisterschaft hat er sie schon. Gar mal drei. Und dann erst noch minus.
Wenn er schon nicht im TV kommt, wollten wir den Kracher zwischen Biel und Brühl wenigstens im Liveticker vom «Blick» verfolgen. Ist ja mittlerweile fast ebenso spannend, wenn man im Sekundenrhythmus auf den Refresh-Button klickt. Also Beamer an, Chips und Bier bereit. Es war ein unglaublich fesselnder Abend.
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Die Auswärtsfahrt
PSV Eindhoven Feyenoord Rotterdam
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Eredivisie, 26.2.2012 Philips-Stadion, 33 000 Zuschauer Text & Bilder: Benedikt Widmer
lichtjahre entfernt von 1988
Eindhoven hat sein Stadion noch am rechten Fleck. Während andere europäische Grossklubs reihenweise in die mondäne Peripherie auswandern, trägt der PSV Eindhoven seine Heimspiele seit 1913 an der Frederiklaan aus. Mitten in der Stadt. Der Hexenkessel fasst mittlerweile 33 000 Zuschauer und war natürlich restlos ausverkauft, als der ewige Rivale aus Rotterdam als Gast erschien. Die Stimmung im Philips-Stadion war elektrisierend. Der PSV Eindhoven lebt noch immer vom Glanz vergangener Tage. Seit vier langen Jahren konnte der Verein keinen Titel mehr gewinnen. Und Lichtjahre entfernt scheint gar die Zeit, als die Mannschaft 1988 den Europacup der Landesmeister errang. Ikonen wie Ronald Koeman, Romario oder später Ronaldo trugen zum Mythos von PSV bei, der noch heute tonnenschwer auf den Schultern der jungen Spieler lastet. Doch zu Hause ist der PSV Eindhoven nach wie vor eine Macht – erst recht, wenn man nach Jahren des Darbens endlich wieder einmal an der Tabellenspitze lag. Getreu der obersten Maxime in den Niederlanden, offensiv zu spielen, legte die Mannschaft von Trainer Fred Rutten los wie die Feuerwehr. Die PSV-Offensive um Jan Vennegor of Hesselink scheiterte in der Anfangsphase immer wieder aus aussichtsreichen Positionen. Doch spätestens als nach 30 Minuten Feyenoord-Verteidiger Bruno Martins einen Schuss von Zakaria Labyad auf der Linie klärte, war das 1:0 für den PSV Eindhoven nur noch eine Frage der Zeit.
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Die Zuschauer amüsierten sich an jenem Sonntagnachmittag köstlich, einmal abgesehen von einer kleinen Rangelei unter Hools und Gaskammer-Geräuschen aus dem Feyenoord-Block. Kurz vor der Halbzeit bediente der Belgier Dries Martens, der mit seiner Spielweise stark an Valentin Stocker erinnert, seinen Captain Ola Toivonen mustergültig. Der Schwede musste die Kugel nur noch über die Linie ins leere Tor schieben – 1:0 für Eindhoven. Nach der Pause wurde das gute Fussballspiel zu einem regelrechten Spektakel. Mertens, der überragende Mann auf dem Platz, erzielte nach 65 Minuten aus 20 Meter ein Prachtstor ins hohe Eck. Feyenoord schien geschlagen. Doch die Mannschaft aus der Hafenstadt kam zurück – und wie. Feyenoord-Stürmer Guyon Fernandez traf innerhalb von sieben Minuten zweimal. 2:2 – das Spiel wurde endgültig zum Krimi. Beide Teams suchten nun das Siegestor. Doch das glücklichere Ende war dem Heimteam beschieden. Nach einem Schnitzer von Feyenoord-Torwart Erwin Mulder sorgte Zakaria Labyad für die Entscheidung. 3:2 für Eindhoven. Das Stadion tobte. Es war der letzte Aufschrei für lange Zeit in Eindhoven. Denn mit dem PSV ging es nach dem Sieg über Feyenoord wieder steil bergab. Nach drei Niederlagen in Serie mit 5:13 Toren in der Meisterschaft und in der Europa League wurde Trainer Fred Rutten entlassen. Nun soll Philipp Cocu dem Klub wieder zu altem Glanz verhelfen. Oder wenigstens zum ersten Titel seit langen vier Jahren.
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grüsse aus der challenge League
Etwas perplex Reden wir nicht um den heissen Brei herum: Ich trauere ziemlich arg dem Fussball der Integrationsfiguren nach; als man die Aufstellungen auswendig kannte (sogar diejenigen der Gegner!); als die Challenge League noch Nationalliga B hiess. Weil mich hier im Tessin mehr oder weniger alle kennen, aber dort, wo mich (hoffentlich) jemand lesen wird, die wenigsten, scheinen mir einige Zeilen angebracht, um mich fussballerisch vorzustellen. Meine schwarz-weissen Chromosomen verdanke ich meiner Familie väterlicherseits: Der Grossvater war eine Führungskraft des FC Lugano und brachte als solche im Jahr 1931 den Schweizer Cup mit nach Hause, so wie auch mein Vater 1968. Ich selbst hatte auch eine direkte Beziehung zum Verein: als linker Flügel – eine ausgestorbene Rolle – in der Juniorenabteilung, dann als Betreuer des Nachwuchses. Hinzu kommen zwei verschiedene Perioden in leitender Funktion bei der ersten Mannschaft – leider mit weniger brillanten Ergebnissen als die Vorgänger aus meiner Familie.
Der Cartoon Von: Konrad Beck, Christian Wipfli www.konradbeck.ch
Bigio Biaggi, nach 36 Jahren TSI im Ruhestand und nach fast 60 Jahren FC Lugano «fast pensioniert». Übersetzt von Michele Coviello.
Seit Jahren, und auch jetzt noch, ziehe ich in meiner Freizeit – Ferien inklusive – keine Verpflichtung in Betracht, ehe ich den Spielplan konsultiert habe. «Kommst du zum Abendessen?» – «Moment, ich schaue nach…» Ohne viele Widerreden zu befürchten, glaube ich, dass ich zu jenen fünfzig Personen auf der Welt gehöre, die am meisten Partien des FC Lugano gesehen haben. Bei den Heimspielen sowieso: In den vergangenen fünfzig Jahren kann man an einer Hand abzählen, wie viele ich davon verpasst habe. Und die Auswärtsspiele? Erhebe die Hand, wer ein 0:0 in Frauenfeld vorzuweisen hat! Genf? Zürich? Bern? Basel? Viel zu selbstverständlich. Die Stadien, welche unauslöschliche Spuren im Lebenslauf eines Fans hinterlassen, stehen in Renens, Malley, Biel, Schaffhausen, Glarus, Grenchen, Baden… Und heute? Schluss mit den Auswärtsfahrten, aber zu Hause bin ich immer dort, an meinem üblichen Platz auf der alten Tribüne des Cornaredo. Inzwischen harren nur noch wenige mit mir aus – und ach,
genauso spärlich sind auch die Emotionen geworden. Und um die ganze Wahrheit zu sagen, bin ich nicht begeistert von der Reduktion der Liga auf zehn Teams auf die kommende Saison. Ich befürchte, dass langsam die Peripherien verschwinden werden, mit dem wenigen oder dem vielen an Unverfälschtheit, das sie uns noch bieten könnten. Vielmehr hätte ich den heutigen Stand mit strengeren Regeln bezüglich Kontingenten und Kadergrössen bevorzugt. So hätte man den Einsatz von jungen Schweizern oder selbst geformten Spielern begünstigen können – und, wer weiss, vielleicht hätte man damit wieder eine kleine oder grosse Integrationsfigur entdeckt.
Das Schweizer Sportfernsehen überträgt jeweils die Montags-Partien der Challenge League live ab 20 Uhr. Die nächsten Partien: 16.4. FC Lugano - FC St.Gallen, 23.4. FC Wohlen - Stade Nyonnais, 30.4. FC Vaduz - FC Chiasso.
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42 000 Kilometer im Flugzeug und weitere 1000 im Car: 1954/55 absolvierte GC eine Weltreise mit 18 Partien (16 Siege, 2 Remis) und Zwischenladungen in 21 Ländern. Die Idee für die Reise hatten Trainer Willy Tremel und Kuoni-Chef Jack Bolli. (Bild: GC/zvg)
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Unter der Leitung von Vik Eugster vom Trio Eugster singt das GC-Team 1978 mit Ponte, Hermann, Sulser, Elsener und Berbig das schmissige «Hopp GC!» ein. (Bild: Keystone)
Heute: Mit den Grasshoppers. Fussballer sind viel unterwegs. Wir zeigen auf diesen Seiten Juwelen aus den Reisefotoalben von Schweizer Mannschaften.
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In Durban (S端dafrika) suchte GC 2002 Beistand der etwas anderen Art. Trainer Marcel Koller (ganz rechts) wars nicht ganz geheuer. (Bild: GC/zvg)
Laufbestzeit im Januar 2005 in Engelberg f端r GC I mit Ricci Cabanas und Bremser Richard Nunez (Bild: Keystone)
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Abschied vom Fussball
Wie KÜbi Kuhn, der hier 1977 den Beginn seiner wenig glorreichen Karriere als Versicherungsagent mit seinen FCZKollegen feiert, verabschieden sich die meisten irgendwann vom Fussball. Die einen freiwillig, die anderen gezwungenermassen, wieder andere gar tragisch. ZWÖLF porträtiert einige Akteure, die dem Rasensport Lebewohl gesagt haben.
Auszug aus dem Text: Silvan Lerch / Fotos: Jean Weber & Stefan Bohrer, Lukas Mäder
Der Rücktritt ist für viele Profis eine Horrorvorstellung. Sie fürchten den Sturz in die Bedeutungslosigkeit. Was passiert, wenn das Unweigerliche eintritt? Stars aus verschiedenen Epochen berichten von ihrem ganz unterschiedlichen Werdegang.
«F
ussball ist ein oberflächliches Geschäft.» Dominique Herr weiss, wovon er spricht. Nach mehreren Hirnerschütterungen musste er 1996 seine Karriere beenden – von einem Tag auf den anderen, mit bloss 30 Jahren und einem Zweikampf zu viel. Angesichts sei-
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ner Kopfschmerzen und des Gedächtnisverlustes blieb dem damaligen Sittener gar nichts anderes übrig. Plötzlich war er «weg vom Fenster». Mit seinem Rücktritt verschwanden auch all die Schulterklopfer, die dem Innenverteidiger zwei Jahre zuvor noch zur WM-Teilnahme in den
USA gratuliert hatten. Auf solche falschen Freunde konnte Herr zwar leicht verzichten, weil er sich von seiner Popularität nie hatte blenden lassen. Was er dagegen noch heute manchmal vermisst, ist die Intensität der Emotionen, wie er sie nur im Profi-Fussball erlebt hat.
Paradies
Herr, während über 10 Jahren Teamstütze bei Basel, Lausanne und Sion, fand sich unerwartet als Einzelkämpfer wieder. Dieser Effekt verstärkte sich noch durch das Scheitern seiner Ehe. Wohin sollte ihn nun sein Weg führen? Der Basler, der als kleiner Junge dank
Nachbar Karl Odermatt zum Fussball gekommen war, dachte ans Trainerdiplom. Nur schreckte ihn die rigide Haltung des Fussballverbands ab. Der verlangte vom 52-fachen Nationalspieler, denselben Grundkurs zu absolvieren, wie er für jeden Hobbykicker Pflicht ist – etwas, was
Auszug aus dem Paradies
mittlerweile zur Diskussion steht (siehe Kasten). Das wollte sich Herr, bei aller Bescheidenheit, dann doch nicht antun. Zudem war er nicht bereit, wegen eines allfälligen Engagements im Fussball darauf zu verzichten, am Wochenende seine beiden Kinder zu sehen.
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Auszug aus dem Paradies Dominique Herr (*1965): 1984–1988 FC Basel, 1988–1992 Lausanne-Sports, 1992–1996 FC Sion; 52 Länderspiele, 4 Tore. WM-Teilnehmer 1994, zweifacher Cupsieger.
Ein WM-Fahrer als Bittsteller So nahm er Abstand vom Gedanken, eine Tätigkeit im gewohnten Berufsumfeld zu suchen – zumal dieses Mitte der 90er-Jahre hierzulande noch längst nicht so professionell strukturiert war und Arbeitsmöglichkeiten bot wie heute, wo viele Vereine neben Trainer und Sportchef auch Funktionen im Organigramm bekleiden wie Geschäftsführer, Marketingleiter oder Kommunikationsverantwortlicher. Bald jedoch merkte Herr, dass die Schweizer Arbeitgeber nicht auf einen früheren Profifussballer gewartet hatten. Eine Anstellung fand er gleichwohl – bei einem Bekannten, dem ein Logistikbetrieb gehört. Herr sollte die Expansion in die Westschweiz leiten. Ohne Branchenkenntnisse, aber mit viel Ehrgeiz stürzte er sich in die Aufgabe. Was ihn als Verteidiger ausgezeichnet hatte, half ihm auch jetzt: Kampfeswille und Bescheidenheit. Herr war sich nicht zu schade, den Rollentausch vom Star zum Bittsteller hinzunehmen. Früher waren (Autogramm-)Wünsche an ihn herangetragen worden, nun musste er mit seinen Anliegen auf Menschen zugehen – und nicht selten Absagen akzeptieren. Trotz Erfolg wurde Herr im Speditionsbereich nicht glücklich. Zu fremd blieb ihm diese Welt. Die neu geschaffene Existenz gab er auf. Er kehrte zurück ins heimische Basel und in die Branche, die er aus seiner Lehrzeit kannte: das Versicherungswesen. Hier begann er noch-
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mals von vorne. Seither hat sich Herr in der Firma zum Filialleiter für die Region Nordwestschweiz hochgearbeitet. Auch ausserhalb des Fussballs eine Führungsposition einnehmen zu können, erfüllt den 46-Jährigen mit Stolz – und mit Freude. Zu seinen Aufgaben zählt, die Heimspiele des FC Basel zu besuchen, wo der Arbeitgeber als Sponsor auftritt. Es gäbe lästigere Pflichten für den ehemaligen FCB-Profi. Dennoch wahrt er eine gewisse Distanz zum Fussballbusiness, ganz im Gegensatz zu so manchem früherem Wegbegleiter. Herr glaubt, für viele sei eine der Triebfedern, sich zum Trainer auszubilden, die Sehnsucht nach der Anerkennung, wie sie sie als Spieler genossen hatten. Der Star vor dem Nichts Wer aus dem Scheinwerferlicht tritt, muss sich neu orientieren. Die Gefahr droht, zuerst einmal im Dunkeln zu tappen oder gar in ein Loch zu fallen. Dies widerfuhr einem Teamkollegen Herrs aus Basler Zeiten. Als René Botteron 1987 mit 32 Jahren zurücktrat, stand der Ex-Internationale vor dem Nichts. Wie er später der «Basler Zeitung» gestand, hatte er sich als Fussballer nie überlegt, was «danach» kommen sollte. Warum auch? Botteron hatte es mit wehendem Haar und stupenden Flügelläufen via FC Zürich ins Ausland geschafft zu Köln, Nürnberg und Standard Lüttich, was zu Beginn der 80er-Jahre für einen Schweizer alles andere als selbstverständlich war. Zudem stand er als erster Eidgenosse in einem Europacup-Final. Was machte es da, dass er seine Mechanikerlehre abgebrochen und die Ausbildung zum Kaufmann hingeschmissen hatte? Statt an die Zukunft zu denken, fuhr Botteron lieber seinen weiss-blauen Porsche Carrera spazieren, die Erfüllung eines Bubentraums. Die Ernüchterung folgte erst nach der Rückkehr in die Schweiz. Mehrere Verletzungen prägten Botterons En-
gagement in Basel. Ein Meniskusschaden bedeutete das Aus. Der dreifache Schweizer Meister begab sich auf Arbeitssuche, ohne Erfolg. Jahrelang lebte er vom Ersparten, bis sich der FCZ seiner erbarmte und ihn als Assistenztrainer verpflichtete. Mehr als ein missglücktes Intermezzo wurde daraus nicht. Als Trainer müsse man sehr von sich überzeugt sein, das Gefühl haben, alles zu verstehen, obwohl dies nicht der Fall sei, und harte Entscheide fällen können, sagte Botteron der «Basler Zeitung». Seine ruhige, konfliktscheue Art passte schlecht zu diesem Anforderungsprofil. Dass er schliesslich doch noch die Möglichkeit erhielt, fernab des Fussballs ins Berufsleben einzusteigen, hatte er wie Herr einem Bekannten zu verdanken. Den einstigen Wirbelwind verschlug es auf eine Bank. Mit dieser Wendung fand Botteron späte Zufriedenheit. Beinahe 40 musste er dazu werden. Verhängnisvoller Tunnelblick Einen Gegenentwurf zu Botteron stellt Marco Zwyssig dar. Der Ostschweizer stieg erst mit 25 Jahren ins Profifussballgeschäft ein. Vorher hatte er ein Betriebsökonomie-Studium abgeschlossen. Dennoch blieb ihm Zeit genug, gleich auf all seinen Stationen Meistertitel zu feiern: in St. Gallen, Innsbruck und Basel. 2005 trat Zwyssig 33-jährig zurück. Dem Ex-Nationalspieler bereitete es keine Mühe, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Wirtschaftsspezialisten sind gesucht. Zwyssig heuerte bei der St. Galler Kantonalbank an. Heute unterrichtet er Betriebs- und Volkswirtschaftslehre an einem Institut für Erwachsenenbildung. Trotz eines Berufs mit grosser rationaler Komponente lässt ihn das emotionale Geschäft des Fussballs nicht los – oder vielleicht gerade deswegen. Zwischenzeitlich übte Zwyssig ein Verwaltungsratsmandat beim FC St. Gallen aus. Momentan trainiert er die Senioren seines
Auszug aus dem Paradies Marco Zwyssig (*1971): 1993–1996 FC Gossau, 1996–2001 FC St.Gallen, 2001–2002 Tirol Innsbruck, 2002–2005 FC Basel; 20 Länderspiele, 1 Tor. Vierfacher Meister, EM-Teilnehmer 2004.
Stammvereins Gossau. Und auf nächste Saison hin möchte er einer Aktivmannschaft vorstehen. Zwyssig ist überzeugt, mit Managementqualitäten «gerade im Trainerbereich» einiges bewirken zu können. Gleichzeitig ignoriert er die branchenüblichen Gepflogenheiten nicht. Als Familienvater stellt er sich die Frage, wie stark die berufliche Zukunft in einem Metier voller Schleudersitze liegen soll. Zwyssig definiert denn auch nicht Profitrainer als Fernziel. Die Herausforderung, erste Schritte in diese Richtung zu unternehmen, scheint ihn jedoch zu reizen. Wie auf dem «normalen» Arbeitsmarkt herrsche im Fussball eine Wettbewerbssituation. Entweder setze man sich durch, oder man bleibe auf der Strecke. So spiele das Leben. «Du musst halt mehr tun als die anderen», lautet Zwyssigs lapidares Erfolgsrezept. Ob die Spieler nun einen breiten schulischen Rucksack mit sich führen oder einen eher schmalen, die Faszination für den Fussball erhalten die meisten nach dem Rücktritt aufrecht. Erleichtert wird der Abnabelungsprozess, wenn sie schon während der Karriere berufstätig waren. So lässt sich vermeiden, dass die ExProfis mangels Erfahrung unattraktiv für den Arbeitsmarkt sind und sich daher erst recht in einen Tunnelblick flüchten, durch den ihnen der Fussball als einzig glücklich machendes Betätigungsfeld erscheint. Leidende Cowboys Heutzutage ist zwar in der obersten Schweizer Spielklasse Semiprofessionalität kaum mehr vorstellbar, noch in den 90er-Jahren aber ist das durchaus vorgekommen. Urs Zurbuchen, seines Zeichens letzter Meister- und Cupsieger-Torhüter der Young Boys, arbeitete bis zu seinem Rücktritt 1993 zu 60 Prozent als kaufmännischer Angestellter. Damit war er keine Ausnahme. Selbst in den titelreichen YB-Jahren 1986 und 1987 lebten nur die Ausländer und die
Schweizer Stars wie Georges Bregy oder Dario Zuffi als Vollprofis. Den Abschied vom Fussball vollzog Zurbuchen problemlos. Er denkt zwar gerne zurück, nun gilt sein Interesse aber dem Schrebergarten hoch über dem Zürichsee. Angestellt ist er als Schulhausabwart. Dass er ein ehemaliger Nationalspieler ist, weiss die jetzige Schülergeneration nicht. Oder wenn, dann nicht von Zurbuchen. Standesdünkel kannte er nie. Auch Pius Fischbach, Ex-Internationaler von Winterthur und dem FCZ, arbeitete parallel zum Fussball. In den 70er-Jahren war dies normal. Trainiert wurde nach 16 Uhr. Übungseinheiten am Vormittag hielten erst sporadisch Einzug. Dennoch gab es klare Hierarchien in der Mannschaft: Unten befanden sich die Wasserträger, zu denen sich Fischbach selber zählt, und oben die Techniker, die «Cowboys», wie sie der einstige Verteidiger nennt. Dieses Gefälle schlug sich im Gehaltsgefüge nieder. Umso «paradoxer» findet es Fischbach, dass so mancher «Cowboy» aus alten Tagen nur mehr schlecht als recht durchs Leben komme. An Ehemaligen-Treffen seien es deshalb vielfach die Wasserträger, die eine Runde spendierten. Bei näherem Betrachten wirkt dieser Umstand gar nicht mehr so paradox. Da die Wasserträger nie dieselbe Anerkennung genossen hatten wie die Stars, konnten sie wohl einfacher Abschied nehmen vom Fussball und sich ganz der Berufswelt hingeben – wie Fischbach, der frühere Rahmenvergolder und heutige Galerist. Nun sind sie es, die besser verdienen. Das Einkommensverhältnis zu den Stars hat sich in sein Gegenteil gekehrt. Ein Maurer gegen Pelé Fischbachs Teamkollegen Karl Grob gelang die Abkehr vom Fussball derart gut, dass ihn bloss bei der Pensionierung die Wehmut packte, nicht aber beim Rücktritt als Sportler. Das sagt viel aus über
den heute 66-Jährigen, immerhin hütete dieser während 20 Saisons das FCZ-Tor, von 1967 bis 1987. Grob wurde fünfmal Schweizer Meister, viermal Cupsieger und traf auf Koryphäen wie Beckenbauer, Cruyff oder Pelé. Für den gelernten Maurer war es eine wunderbare Zeit. Trotzdem bedrückte es ihn nicht, als sie zu Ende ging. Mit 42 Jahren strebte er nach einer Veränderung. Das Angebot, beim FCZ Goalietrainer zu werden, schlug Grob aus. Er wusste, worauf er sich einliess. Während seines FussballerDaseins hatte er lange als Teilzeitkraft im Aussendienst gearbeitet. Ihm stand kein schmerzhafter Lebensabschnittswechsel bevor. Dagegen tat es ihm weh, als 2011 auch seine zweite Karriere ein Ende fand. In ihr hatte er genauso Treue bewiesen wie in seiner ersten gegenüber dem FCZ. Grob arbeitete für eine grosse Detailhandelskette in der Lebensmittelbranche, zuletzt als «Mädchen für alles», so seine eigenen Worte. Wie Herr oder Zurbuchen machte auch Grob kein Aufheben um seine Vergangenheit. Wen interessierte schon, dass er Angebote von Glasgow Rangers, Santander und Hajduk Split erhalten hatte? Die tägliche Arbeit im technischen Dienst musste verrichtet werden. Das zählte. An Regentagen kann es gleichwohl noch heute vorkommen, dass Grob zu Fotoalben greift, um in Erinnerungen zu blättern. Ganz will
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Auszug aus dem Paradies Karl Grob (*1946): 1966–1967 FC Küsnacht, 1967–1987 FC Zürich, 1987–1988 FC Biel; 7 Länderspiele; fünffacher Schweizer Meister und vierfacher Cupsieger.
sich der Pensionär doch nicht von einer Epoche trennen, die so viele Jahre seines Lebens geprägt hat. Wein statt Fussball Im Vergleich zu früher scheinen sich viele Profis schwerzutun, die Energie aufzubringen, nicht nur körperlich an sich zu arbeiten, sondern auch geistig. Ohne zu stark Klischees bedienen zu wollen, lässt sich sagen, dass die Spielergenerationen zusehends den Eindruck erwecken, sich nebst Fussball vor allem für Freizeitaktivitäten zu interessieren, kaum aber für (Weiter-)Bildungsangebote. Zweifellos hat sich das Spiel in technischer, taktischer und athletischer Hinsicht stark weiterentwickelt. Die Ansprüche sind gestiegen, das Bedürfnis nach Regeneration wächst. Dennoch befremdet die oft formulierte Losung, sich nur auf den Fussball konzentrieren zu wollen. Umso spannender liest sich da der Lebensentwurf von Christophe Bonvin, dem einstigen Stürmer von Sion, Servette und Xamax. Schon Anfang 20 begann er, sich mit der Kultur des Weins auseinanderzusetzen. Als er 1997 mit dem Double für Sion abtrat, war aus dem 45-fachen Nationalspieler längst ein Traubenexperte geworden. Sein Familienname hätte nicht besser passen können: Bonvin etablierte sich als Weinbauer, dazu eröffnete er ein Bistro
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und eine Buchhandlung. Den Fussball vermisst er nicht. Ihm ist die Identifikation zwischen Klub und Spieler zu stark verloren gegangen. Über Fussball fachsimpeln tut er trotzdem gern, aber nur auf Wunsch seiner Kunden. Derweil zieht es Hanspeter Zwicker vor, sich nicht mehr zu seiner Vergangenheit als Profi zu äussern. Darauf liege «kiloweise Staub», sagte er dem «Tages-Anzeiger» noch 2007. Unterdessen lehnt er Interviewanfragen ab. Dabei hätte der Ex-Internationale bestimmt viel zu erzählen. Kaum eine Karriere in der Neuzeit des Schweizer Fussballs verlief so turbulent wie diejenige des Ostschweizer Stürmers. Ende der 70er-Jahre verliess er St. Gallen in Richtung FCZ. Da war er gerade einmal 17. Später zog es ihn zu Lausanne, nach Bregenz, zu Wettingen, Xamax und zwischendurch gleich zweimal zurück auf den Espenmoos. Schliesslich landete Zwicker bei Old Boys Basel in der Nationalliga B auf dem Abstellgleis. Da war er gerade einmal 30. Vom Pub ins Kinderdorf Der Stürmer galt als Ausnahmetalent – und als Lebemann. Torchancen behandelte er wie Partys. Beides liess er nicht gerne aus. Mit 20 wurde er Vater. Zweimal heiratete er, zweimal liess er sich scheiden. Zwicker jagte nicht nur dem Ball nach,
Bildung für die Profis
sondern auch dem privaten Glück. Und dem beruflichen. Nach dem abrupten Ende seiner Fussballer-Laufbahn versuchte er sich unter anderem als Kellner, auf dem Bau und als Pub-Besitzer. Nichts schien ihn zu befriedigen. «Ich war unberechenbar, auf und neben dem Platz», gestand Zwicker dem «Tages-Anzeiger». Sein Glück fand er dann aber doch noch, nach der vielleicht grössten Schmach. Zwicker rasselte durch den Kurs zum Erwerb des A-Trainer-Diploms. Einmal mehr musste er sich neu ausrichten. Es verschlug ihn ins Kinderdorf nach Trogen. Hier absolvierte er eine Ausbildung zum Sozialpädagogen. Endlich war der Beruf zur Berufung geworden. Allerdings hat selbst Zwicker nicht vollends mit dem Fussball gebrochen. Der 52-Jährige verfolgt ihn weiterhin am Fernsehen. Dieses Beispiel ist bezeichnend: So unterschiedlich die Charaktere und Karriereverläufe sein mögen, ganz lösen sich nur die wenigsten Ex-Profis vom früheren Tätigkeitsbereich. In ihm sind sie anerkannt, in ihm fühlen sie sich zu Hause. Das entbindet die einstigen Spieler jedoch nicht von der Verantwortung, sich zu emanzipieren, sobald es um die berufliche Existenz geht. Nicht für alle kann der Fussball die schönste Hauptsache der Welt bleiben.
Die Vereinigung der Schweizer Fussballprofis (Swiss Association of Football Players, SAFP) half mit, dass Verträge den Spielern das Recht auf eine (Zweit-)Ausbildung zugestehen, beispielsweise auf eine Lehre. Die Klubs sind sensibilisiert. Gleichzeitig beobachtet SAFP-Präsident Lucien Valloni vermehrt Junge, die ganz auf die Karte Fussball setzen. Zu diesem Schritt entschlössen sich vor allem Jugendliche, deren Migrationshintergrund in Ländern liege, wo der Sport einen höheren gesellschaftlichen Stellenwert geniesse als in der Schweiz. Generell stuft Valloni das Interesse der Profis an (Weiter-) Bildung als gering ein, zumindest in Bezug auf die Angebote der SAFP. Dazu zählen Sprachkurse sowie eine Karriere- und Berufsberatung. Beides wird kaum nachgefragt. Trotzdem lanciert Valloni nun einen Online-Managementkurs an einer Fernschule. Zudem fordert er den erleichterten Zugang zur Trainerund Schiedsrichterausbildung für ehemalige Profis. (ler)
Text: Federico Mastrolilli / Deutsche Fassung: Filippo Tabet
Captain und Fremder Die AS Roma erlebte mit Ago Di Bartolomei ihre grosse Zeit, danach gab es für ihn nur noch Enttäuschungen: Exakt 10 Jahre nach dem Meistercup-Finale gegen Liverpool nahm er sich das Leben.
E
s gibt nur wenige private Fotografien von Agostino Di Bartolomei. Dem Betrachter fallen gleich die dichten Augenbrauen sowie der weiche, aber gleichsam strenge Blick auf. Das Lachen ist nur im Ansatz sichtbar, was zu Agos Leben eben passte. Vielleicht war es so ein Lächeln, das er seinem Sohn Luca schenkte, als er ihn am Morgen des 30. Mai 1994 in die Schule verabschiedete. Dann holte sich Ago einen Stuhl aus dem Garten, setzte sich auf den Balkon und schoss sich mit einer Pistole eine Kugel ins Herz. In jenes Herz, das er 15 Jahre lang der AS Roma gegeben hatte. In jenes Herz, das nun in jenen der Fans weiterschlägt. Um der komplexen Figur Di Bartolomei näherzukommen, eignet sich ein Zitat von Albert Camus über Fussball. Die berühmten Zeilen des französischen Schriftstellers (und Torhüters) lauten: «Alles, was ich am sichersten über Moral und menschliche Verpflichtungen weiss, verdanke ich dem Fussball.» Es ist unmöglich, dem nicht zuzustimmen, und in diesem Sinn ist die tragische Geschichte Di Bartolomeis exemplarisch. Fussball ist nicht ein Spiel, ist
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nicht lediglich Zeitvertrieb, und es ist auch nicht nur «das wöchentliche Aufholen der Jugend», wie es der spanische Schriftsteller und Fussballliebhaber Javier Marías nannte. Fussball ist das Leben selbst, beobachtet aus einer speziellen, privilegierten Sicht. Dies jemandem zu erklären, der nie Fussball gespielt hat, ist schwierig; ob es überhaupt Sinn macht, mit so jemandem zu reden, ist sowieso fraglich. Ein Opfer von Intrigen Zweimal musste Ago seinen geliebten Verein, die AS Roma, verlassen. Erst wegen seiner Rivalität zu seinem Mitspieler Ciccio Cordova, dann wegen der Herzlosigkeit der Führung unter Präsident Dino Viola. Von Enzo Bearzot, dem grossen Coach der italienischen Nationalmannschaft (und Weltmeistertrainer), wurde er konsequent ignoriert. Ago hat nie das Trikot der Azzurri getragen, obwohl er als bester Mittelfeldspieler seiner Generation galt. Die Führungsspieler des grossen Juventus hätten es nie zugelassen; ihm wurde Antognoni von der Fiorentina vorgezogen, der uncharismatische Regisseur mit den
fragilen Knien. Später, als er die AS Roma für die AC Milan verlassen musste, wurde er im ersten Spiel gegen seinen geliebten Verein von seinen ehemaligen Mitspielern verunglimpft. Ciccio Graziani, der Angreifer und Weltmeister, lief nach dem Spiel direkt auf Ago zu und schlug ihm ins Gesicht. Bruno Conti, der Flügel und ebenfalls Weltmeister, hatte gemeinsam mit Di Bartolomei die ganze Juniorenabteilung der AS Roma durchlaufen, aber auch er äusserte sich despektierlich über seinen ehemaligen Captain: «Es stimmt nicht, dass ich ein Freund Di Bartolomeis bin, wie geschrieben wurde. Auf dem Feld hat er mir Sachen gesagt, die mir nicht gefallen haben (…) Er scheint wichtige Freunde zu haben. Auf alle Fälle spielt er bei Milan so, wie er es bei uns gemacht hat: ruhig, sauber, ohne auch einmal mit einem schweissdurchnässten Trikot vom Feld zu gehen. Und er war immer unser Bester…». Es waren Graziani und Conti, die im Elfmeterschiessen des Meistercupfinales von 1984 zwischen der AS Roma und Liverpool versagten, verwirrt von den irren Tanzeinlagen des simbabwischen Torhüters Bruce Grobbelaar, und die damit dem
agostino di bartolomei
Verein den ersten Titel im Europacup verwehrten. Schliesslich wurde Ago endgültig von seinem alten Verein verlassen, der ihm nach dem Karriereende nie eine Anstellung, etwa als Jugendtrainer, angeboten hat, was sein Leben mit Sinn gefüllt hätte. All diese Bitterkeit, diese Ernüchterung. Keinen Freund im Fussball Nichts ist schlimmer, als zu versuchen, einen Ausweg aus einer schwierigen Situation zu finden, wenn man nicht weiss, wie man überhaupt in diese Situation hineingeraten ist. Zu stolz, um einen Anruf zu tätigen oder um einen Gefallen zu bitten, verbringt Ago die Tage nach seinem Karriereende zwischen Missverständnissen und Enttäuschungen. Er versucht erfolglos, ins Versicherungsgeschäft einzusteigen, dann will er – wie sein Vater – eine kleine Fussballschule aufzubauen. Es droht der Bankrott, für seine Projekte braucht er Geld und den Goodwill der Entscheidungsträger. Doch die Banken verwehren ihm die für den Neubeginn notwendigen Kredite, die lokalen Ämter ignorieren ihn. Die Präsidenten der kleinen Vereine in der Umgebung Roms umgarnen ihn, wenn es jedoch darum geht, konkret zu werden, bleiben sie unverbindlich. Bald klopft fast niemand mehr an seine Haustür. Zum Gefühl des Verlustes gesellen sich eine schmerzhafte Gleichgültigkeit und das Bewusstsein, im Fussball keinen einzigen Freund zu haben. Einzig der «Baron» bietet Hoffnung. Der Baron, das ist Nils Liedholm, der äusserst erfolgreiche schwedische Trainer, der in Italien die moderne Zonendeckung einführte. Liedholm hatte sich in DiBa – wie Di Bartolomei von den Fans genannt wurde – verliebt, als dieser Captain der Nachwuchsmannschaft der Roma war. Er machte ihn zum Captain der schönsten AS Roma aller Zeiten, die 1983 nach über 40 Jahren Pause den erst zweiten Scudetto des Vereins holte. Zusammen erleben sie jene unglückselige Nacht des Meistercupfinales, als die AS Roma – und im Allgemeinen das moderne Spiel – sie beide abservierte, weil sie zu langsam waren für die neuen Zeiten. Diese verdammte Schnelligkeit Mit dem letzten Elfmeter von Alan Ken-
nedy, der die schicksalhafte Begegnung im Meistercupfinale in Rom entscheidet, wird das Ende von Agos Zeit bei den Römern eingeläutet. Sein Vertrag läuft aus, doch niemand hält es für nötig, ihm anzukündigen, dass er sich nach 15 Jahren Treue einen neuen Verein suchen muss. Ago geht, ohne dass jemand im Verein mit ihm gesprochen hat. Aber er ist zu stolz, um zu warten. Er wählt eine der wenigen Telefonnummern, die er auswendig kennt. Er ruft den «Baron» an, der inzwischen zur AC Milan zurückgekehrt ist und sich überrascht zeigt. Der damalige Fussball ist noch nicht ein an der Börse kotiertes Geschäft wie heute. Aber es zirkuliert schon viel Geld, und alles wird immer komplizierter. Daher erwartet Liedholm eine solch untypische Frage nicht, ganz ohne Agenten und Mittelsmänner: «Gibt es in Ihrer AC Milan vielleicht einen Platz im Mittelfeld für mich?» Seine letzte Begegnung für die AS Roma spielte er im Finale der Coppa Italia gegen Hellas Verona. Die Fans widmeten ihm den Banner: «Sie haben dir die AS Roma genommen, aber nicht deine Kurve.» Die AC Milan ist die zweite grosse Liebe des Schweden, hier hatte er zusammen mit seinen Landsmännern Gunnar Gren und Gunnar Nordahl im legendären «Gre-NoLi-Sturm» für Furore gesorgt, hier hatte er zuvor schon als Trainer gearbeitet, und hierhin nimmt er Ago tatsächlich mit. Der Kreis schliesst sich, obwohl in der Curva Sud der AS Roma ein Banner erscheint: «Aus dem Herzen einer Kurve an das Herz eines Maestros: Bleib bei uns, Baron!» Die Appelle an die Gefühle waren jedoch nicht genug, die Wege des grossen Meisters und der AS Roma trennten sich. Und Ago begreift, dass auch seine Zeit zu Ende geht. Sven Göran Eriksson, der Liedholm folgt, führt das Pressing als neue Religion ein. Aber für erfolgreiches Pressing braucht es weniger elegante Techniker, dafür umso mehr grosse Lungen – Lungen und Beine. Es braucht diese verdammte Schnelligkeit, schon immer der
Fluch des Captains der «Giallorossi». Bei Liedholm rennt der Ball, und die Männer denken, bei Eriksson muss der Ball erobert werden, damit der, der den Ball spielt, nicht denken muss. Liedholm hatte früh das Talent von Di Bartolomei erkannt. «Das ist ein wahrer Captain!», urteilte er über den jungen Ago. Als Jimmy Nicol im Elfmeterschiessen des berühmten Meistercup-Endspiels von 1984 den ersten Elfmeter über die Querlatte schoss, bestimmte Liedholm DiBa als nächsten Schützen. Er war sich sicher, dass er verwandeln würde, so wie er auch im Halbfinal gegen Dundee im Rückspiel nicht versagt hatte. Ago nimmt sich den Ball aus den Händen Grazianis, der schon in Richtung Elfmeterpunkt unterwegs war, und diesen Elfmeter – ein Elfmeter wie ein langer Schrei, so lang wie sein Leben –, den schiesst er auf seine Weise: ein Schritt Anlauf, zentraler Schuss, und drin ist er. Er trifft wie ein wahrer Captain. Andere hatten den Mut nicht aufgebracht, diesen Elfer zu schiessen. Ob es nach dem Spiel mit Falcão wirklich zu einer Abrechnung kam, zählt wenig, und wenn, dann nur als enttäuschende Anekdote. Bekannt war, dass Ago den Brasilianer nicht mochte. Er sah in ihm keinen grossen Spieler, sondern einen, der sich gut verkaufen kann. Das pure Gegenteil zu sich selber. Ago war der historische Captain der kleinen AS Roma der 1970er-Jahre: jener Mannschaft, die kaum einen einstelligen Tabellenplatz erringen konnte. Falcão hingegen verbrachte diese Jahre in Porto Alegre, und diese schwierigen, höhepunktlosen Zeiten – lediglich verschönert durch den einen oder anderen unerwarteten Sieg gegen Juventus dank Agos Freistosshammer – konnte sich einer wie Falcão gar nicht vorstellen. Ein finsterer Gentleman Für Falcão war die Nacht des 30. Mai 1984 lediglich Routine. Für Di Bartolomei war es viel mehr. Die letzte Begegnung
«Erinnere dich an mich, leg die Pistole aus der Hand. Gäbe es mehr Liebe für den Star, wärst du heute hier.»
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Aus «Tradimento e perdono» von Antonello Venditti, gewidmet Ago Di Bartolomei
agostino di bartolomei das Schicksal besiegt hätte. Er, der ruhige und gebildete Captain, den die Mitspieler nie verstanden haben, wie zu Beginn auch die Fans nicht. Als junger Spieler trat er zwar schon als Leader auf, die Fans waren aber erst auf der Seite seines Rivalen Ciccio Cordova, und so blieb er von Schlägen, Beleidigungen und Drohungen nicht verschont. Cordova, ein richtiger «Romanista», der jedoch kurz später keine Skrupel hatte, auf die andere Seite des Tibers zum Stadtrivalen Lazio zu wechseln – die Captainbinde noch am Arm. Kaum jemand hat Ago je wirklich verstanden. Fremd im eigenen Haus, ein trauriger und finsterer Römer, Gentleman und Ausnahmekönner. Jener, der es Ago in diesem berühmten Elfmeterschiessen gleichmachen und den Elfmeter versenken sollte, trat gar nicht erst an. Der grosse brasilianische Superstar Falcão, auch der XIII. König Roms genannt, hatte zu starke Schmerzen in den Beinen oder eine zu schwache Persönlichkeit, um die Verantwortung für ein ganzes «Volk» zu übernehmen. Zehn Jahre spä-
eben. Die definitive Begegnung, nach der alles Sinn machen sollte. Eine Katharsis für ganz Rom, für alle Fans, für eine bestimmte Lebenseinstellung. Diese Begegnung sollte auch Agos Leben einen Sinn geben, weil er dann der erste (und wahrscheinlich einzige) Captain der AS Roma geworden wäre, der
ter haben die meisten Protagonisten diese Momente vergessen, sind in ihrem Leben weitergekommen, haben diese herbe Enttäuschung überwunden. Camus erinnert uns in seinem Werk «Der Mythos des Sisyphos» daran, dass «nur ein einziges wirklich seriöses philosophisches Problem existiert: das des Selbstmordes. Zu beurteilen, ob das Leben lebenswert ist oder nicht, ist der Versuch, die fundamentalen Fragen der Philosophie zu beantworten.» An diese Frage hat Agostino zehn Jahre lang gedacht, bis zu diesem Morgen des 30. Mai 1994.
Federico Mastrolilli schreibt für den äusserst lesenswerten Blog von römischen Fussballliebhabern (www.lacrimediborghetti.com). Dieser Text ist ursprünglich eine Buchrezension des nur in Italienisch erschienenen «L’ultima partita». Die deutsche Fassung wurde gekürzt und angepasst. Über Di Bartolomei erschien auch der Dokumentarfilm «11 metri» von Francesco Del Grosso.
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Foto: stanislavkutac.ch
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Für Bern oder Zürich | 10. Jahrgang
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Text: Remo Vogel / Illu: Tobi Schweizer
Ich lieb dich überhaupt nicht mehr Fussballnerd – das war einmal. Heute geniesst der Autor das Leben dank Radquer und Verschwörungstheorien in vollen Zügen.
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ennen Sie Randy Robinson? Nein? Macht nichts. Den gibts nur im Film «The Wrestler», gespielt von Michey Rourke. Grosses Kino. Mit dem unsterblichen Satz: «Nineties suck. That Cobain pussy had to come around and ruin it all.» Und wieso tut das hier was zur Sache? Ganz einfach: Der «Ram Jam» hat mir die Augen geöffnet. Dass Fussball allgemein überbewertet wird. Es war ein paar Tage nachdem ich «The Wrestler» im Kino gesehen hatte. Irgendein Champions-League-Gurkenspiel, Barcelona gegen FC Irgendwas. Eine Begegnung, die ich schon so oft gesehen habe, dass ich erst nicht wusste, ob es eine Wiederholung war oder eine Live-Übertragung. Wäre ohnehin auf das Gleiche herausgekommen, das Spiel endete sicher gleich wie das letzte. Barça bekam ungerechtfertigte Elfmeter und der Gegner zwei übertriebene Rote. Und wahrscheinlich war es auch noch das 57. Gruppenspiel und die Rangliste schon in Stein gemeisselt. Wie auch immer, das Spiel langweilte mich. Da hab ich umgeschaltet. Und gezappt. Bis auf einem Sender Wrestling lief – und ich wegen dem «Ram Jam» stoppte. Hier zu behaupten, dass es eine Offenbarung war, wäre übertrieben. Wrestling bleibt eine Beleidigung für den Intellekt. Aber
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der Bann ward gebrochen. Ich war dem Fussball untreu geworden, erstmals seit Langem. Und so habe ich angefangen, nachzudenken. Wer waren die wahren Helden meiner Kindheit? Zwicker? Ponte? Favre? Warum kann ich nach wie vor die Tabelle der NLB-Abstiegsrunde von 1987/88 auswendig? Was nützt es mir, wenn ich nach wenigen Sekunden «Eurosport Classics» weiss, welches WM-Spiel da gezeigt wird und wie viele Minuten es noch bis zum nächsten Tor geht und wer dieses erzielen wird? Nicht dass ich damals über Ranglisten und Panini-Alben gebrütet hätte, bis ich auch wirklich das kleinste Detail kannte. Ich hab gar nix gemacht. Nur ein bisschen hingeschaut, und schwupps war alles da. Ein bisschen wie bei Maria und ihrem Jesus. Irgendwann war dann die Platte wohl einfach voll. Das muss so ungefähr nach der WM 2002 in Dings drüben gewesen sein. Plötzlich fielen mir Resultate nicht mehr ein, ich hatte das Tableau nicht mehr vor meinem geistigen Auge. Und ich dachte schon: Jetzt hat es dich erwischt, das Alter. Also konzentrierte ich mich umso mehr beim Fussballschauen, las regelmässig die Ergebnisse nach. Ich war der alte Herr Geiser aus Max Frischs «Der Mensch erscheint im
Holozän», der sich Brockhaus-Auszüge an die Wand pinnt, um einst Gewusstes nicht wieder zu vergessen. Doch es half nichts. Die Mannschaftsaufstellung von Luganos letztem Cupsieg blieb zwar stets abrufbar, aber mit der Flut an neuen Spielen – Meisterschaft, Pokal, EM, WM und diesem verfluchten Europacup – kam ich einfach nicht klar. Ich musste mir eingestehen, dass ich Fussball-Alzheimer habe. Zuletzt verliess mich auch die Lust. Nach wie vor liess ich zwar kaum einen TV-Fussballabend aus, doch da regte sich nichts mehr. Höchstens noch so viel, wie wenn man in einer überaus erfüllten amourösen Beziehung steckt und dennoch einer vorbeigehenden Schönheit einen Blick nachwirft. Ein Reflex, ein bisschen Nostalgie, aber umgehend wieder vergessen. Und wenn man dieses Bild noch etwas strapazieren wollte: Warum sollte man überhaupt hinschauen, wenn sich ein paar Buben mit der Hälfte meiner Lenze auf dem Buckel, die ich aufgrund der Einheits-Gelfrisur und ihren Tattoos ohnehin kaum unterscheiden kann, wimmernd im Gras winden? Früher – und dazu erhebe ich den Zeigefinger wie meine Oma selig, wenn sie Sätze so begann (und das war sehr oft) – ja früher, da wären die dafür noch ausgelacht worden! Von meinen Idolen zum Beispiel, von Zwicker, Ponte, Favre. Fängt man erst mal an, etwas kritisch zu hinterfragen, ist man schon verloren. Denn so musste ich mich fragen, ob Zwicker, Ponte, Favre wirklich gelacht hätten. Oder waren sie viel eher keinen
Ex-Fan
Deut besser, einfach in einer Zeit mit besserem Modegeschmack, und ich war lediglich zu jung, um dies zu bemerken? Taugen sie überhaupt etwas als Idole? Wäre ich nicht besser gefahren mit Albert Zweifel, Peter Müller und Werner Günthör? Müller: Unglaublich, wie er 87 in Crans-Montana Zurbriggen den Titel wegschnappte – und anerkanntermassen ohne jegliches Talent. Günthör: Der Mann hat es geschafft, dass die halbe Nation zuschaut, wenn ein paar Fred Feuersteins eine Kugel durch die Luft schmeissen. Und Zweifel: Held unzähliger Wetziker Radquerrennen. Beim Siegerinterview sah er jeweils so aus, als ob er mitten in einer verdeckten Operation gegen den Vietcong steckte. Wie auch immer: Jener Abend, der mit dem «Ram Jam», hat mich ins Rotieren gebracht. Und seither häufen sich meine Seitensprünge. Reize gibt es genug. Gerade jetzt. Neue Formel-1-Saison, belgische Classiques, Leichtathletik. Und zudem habe ich ohne Fussball viel mehr Zeit. Zeit für Verschwörungstheorien. Die Auswirkungen auf mein neues Leben sind durchs Band bemerkenswert.
Formel 1 schaue ich mit meinen Buddies von der Autowaschanlage. Und im Internet hab ich viele neue Freunde gefunden, in all den Foren über die Mondlandungs-Lüge. Und das Kennedy-Attentat. Und am wichtigsten: Früher bin ich im Büro in der Pause gelangweilt dagesessen, vor allem am Montag, und hab über verpasste Torchancen sinniert. Man kann es nicht anders sagen: Ich war ein Nerd. Heute bin ich eine Art Patsy Kensit der Berner Verwaltung. Jeder will mit mir, jeder darf mit mir. Oder in der Sprache meines neuen Lieblingssenders: Ich bin mittendrin statt nur dabei: Schumi gegen Vettel, wer zahlt weniger Steuern? Ich hab die Insiderinformationen. Und die Gerüchte: Schumi soll mit der Baubewilligung gleich noch die Lizenz zum Dynamitfischen in seinem Tümpel dazu erhalten haben. Oder das Saisonfinale bei den Skifahrern: Feuz ist weggerutscht, weil die Ösis Fischhäute auf die Strecke geschmissen haben, als der Berner Ailton im Starthäuschen stand. Dazu trumpfe ich noch mit meinem neuen Internetwissen auf: Kontrollieren
die Tempelritter die Gümliger Gemeindeversammlung? Ist es Zufall, dass Micheline Calmy-Rey zwei «L» wie Libyen in ihrem Namen hat? Und wieso hat der Ratzinger so eine weibliche Stimme? Es ist eine Art Obama-Effekt: Alle hängen an meinen Lippen. Sie sehen: Mein neues Wissen ist mein soziales Kapital. Mein Chef will am Sonntag immer mit mir Radquer schauen gehen. Unsere Sektretärinnen wollen mit in die Autowaschanlage. Es winken Beförderungen, mehr Frauen, mehr Spass. Und ein glorreicher Sommer durch die Sonne Yorks: Die EM schenk ich mir. Am Ende gewinnt doch nur wieder Barcelona, dank der Schiris. Dafür schaue ich Olympia: Das ganze Pantheon des Breitensports: Turmspringen, Synchronschwimmen, Seiligumpen, Jassen. Und dann ist ja noch das olympische Fussballturnier. Vielleicht bleib ich mal hängen. Meine neue Freundin mag Fussball. Die kann ich ja immer noch mit der Geschichte von Eglis dramatischem Ausgleich gegen die Iwans beeindrucken.
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Das Leben nach dem Samba
Text: Ueli Zoss Bilder: Florian Kalotay
Badile lubamba
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In seiner Geburtsstadt Kinshasa nennen sie ihn immer noch «le petit Suisse». Das hat Badile Lubamba nicht nur seiner Körpergrösse, sondern auch seiner beiden Länderspiele für die Nati zu verdanken.
ein Wettkampfgewicht hat er behalten, obwohl Badile Lubamba seit einer Weile kaum mehr Fussball spielt. Wer um seine sportliche Karriere weiss, erkennt ihn sofort wieder, den 174 cm kleinen ehemaligen Verteidiger. Die Fans mochten ihn, auch wegen des Schalks, den der heute 36-Jährige immer noch versprüht. «Mir geht es gut, ich fühle mich glücklich», hält er ungefragt als Erstes fest. Im Gegensatz zu einigen andern Spieler, die er von früher her kenne. Diese hätten nach der Karriere den Sprung ins Berufsleben verpasst. «Einige bekamen Probleme, auch mit Drogen wie Alkohol.» Lubamba wechselt das Thema rasch. «Lionel Messi war gegen die Schweiz einfach nur grossartig», sprudelt es aus ihm aus. Er selbst trug ebenfalls zwei Mal das Nati-Trikot. Am 2. September 2000 gab der Aussen-Billy im Hardturm sein Debüt gegen Russland. Neben Lubamba verteidigten Stéphane Henchoz, Patrick Müller und Giuseppe Mazzarelli. Nach der Einwechslung von Blaise Nkufo kamen erstmals zwei schwarze Spieler in der Nati zum Einsatz. Diese verlor 0:1, das Publikum fand aber Gefallen am Länderspielneuling. Dessen Unbekümmertheit und Soli entlang der Seitenlinie lösten unter den Zuschauern immer wieder ein Raunen und «Hopp Schwiiz»-Rufe aus. Nach einer kurzen Nacht musste er um 9 Uhr früh wieder im Cornaredo sein, zum Training mit dem FC Lugano. Sein Handy klingelte nonstop. Gratulationen von seinem Vater Alain, von afrikanischen Freunden an den «petit suisse» – und von mehreren Managern. «Es war schon verrückt», erinnert sich Lubamba. «Ein gutes Spiel auf internationaler Ebene – und schon reissen sich die Berater um einen. Ich kam damals ohne deren Dienste aus. Ich stand doch erst am Anfang und wollte meine Leistung nur bestätigen.»
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Badile Lubamba Geboren 26. April 1976 in Kinshasa 1994–1995 1995–1996 1996–1997 1997–1998 1998 1999–2000 2000–2001 2002–2003 2003–2004 2004–2005 2005–2006 2008–2009
FC Bulle Lausanne-Sports FC Meyrin SR Delémont Lausanne Sports FC Luzern FC Lugano Troyes AC (Fra) Vevey Sports FC Sion Neuchâtel Xamax FC La Tour/La Pâquier
2 Länderspiele (0 Tore)
Fehlpass mit Folgen Fünf Wochen nach dem «Samba mit Lubamba» («Blick») – immer noch unter Enzo Trossero und immer noch im Rahmen der WM-Qualifikation – bestritt der Lugano-Mann sein zweites Länderspiel. Für Mazzarelli spielte Sébastien Fournier, für Müller kam Marco Zwyssig zum Einsatz. Die Schweiz gewann gegen die Färöer 5:1, aber Lubamba musste sich nach dem Spiel die Frage gefallen lassen, wieso er diesmal so schlecht gespielt habe. Er sei übermotiviert gewesen. Und dann dieser Fehlpass zum frühen Gegentor. Das habe ihn blockiert. Fürs nächste Testspiel gegen Tunesien fehlte Lubamba im Aufgebot. Es war nicht das erste Mal, dass Trossero, der wenig später als Nationaltrainer grandios scheiterte, ebenso schnell einen Spieler fallen liess, wie er ihn nominiert hatte. Shootingstar Lubamba sollte fortan nie mehr das Nati-Dress tragen. «Es war dennoch eine gute Zeit. Ich war stolz, es geschafft zu haben, für meine neue Heimat zu spielen.» Stolz auf ihn waren sie auch in Kinshasa, als sie erfuhren, dass sich Badile «Schweizer Nationalspieler» nennen darf. Im Kreis der Nati habe er sich wohlgefühlt, «Ich wurde mit offenen Armen empfangen.» Rassismusprobleme, wie sie Nkufo später geltend machte, habe es in seinem Fall nicht im Ansatz
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gegeben. Lubamba, im Kindergartenalter aus dem ehemaligen Zaire mit den Eltern in die Schweiz gekommen, hätte auch für die Nationalmannschaft der Demokratischen Republik Kongo spielen können. «Das wollte ich nicht, weil ich es meinem damaligen Klub Lugano gegenüber nicht verantworten konnte, mehrmals im Jahr zu fehlen.» Der Fischzüchter Heute trägt Lubamba Anzug und könnte in der Lounge einer Bar an der Zürcher Bahnhofstrasse als Banker durchgehen. So abwegig ist die Vorstellung nicht, denn er ist in der Tat zum Geschäftsmann geworden. Er nimmt seinen Laptop zur Hand. Auf dem Desktop erscheint ein Foto von ihm, Hand in Hand mit einer dunkelhäutigen Schönheit an einem Strand. «Das war in Los Angeles, meine Frau und ich machten kürzlich einen Sprachaufenthalt. Sie wird bald die Green Card bekommen.» Nach ein paar Mausklicks läuft ein Video, das wohl ein Amateurfilmer gedreht hat. Es zeigt Lubamba an der Seite von Afrikanern, dann sprudelndes Wasser und schliesslich einen grossen Teich. «Das ist ausserhalb von Kinshasa, dort habe ich vierzig Hektaren Land gekauft. Wir haben Quellwasser gefunden, das man unbesorgt trinken kann, und schliesslich ist das meine Fischzucht, die ich aufgebaut habe.» Im Wasser zappeln Exemplare der Gattung Tilapia, die zu der Familie der Buntbarsche zählt. Das nächste, professionell gemachte Video zeigt ein grosses rotes Backsteingebäude in Kinshasa, in einem der besseren Gegenden der Hauptstadt des Kongo. Zu sehen sind zwei grosse und grosszügig eingerichtete Büros, die nach Marmor und teurem Holz aussehen, sowie Schlafzimmer mit Badezimmern auf europäischem Standard. «Dort arbeite ich und vermiete die Zimmer an Freunde, Geschäftsleute oder Touristen», sagt Lubamba und ist stolz darauf, ein solches Haus mit einer solchen Innenausstattung zu besitzen. «Das habe ich zum grossen Teil meiner Karriere als Fussballer zu verdanken», sagt er auf die Kosten des Anwesens angesprochen, «aber mir kommt auch mein Geschäftssinn zu-
gute.» Seine Aktivitäten regelt er auch von zu Hause in Montreux aus, mit Air France fliegt er aber oft nach Kinshasa. Den Kongo kannte er lange Zeit nur vom Hörensagen. «Als ich zum ersten Mal zurückkehrte, war es ein Schock. Hier die schöne Schweiz, dort das arme Leben vieler Menschen, die Kinder, die ohne Schulbildung aufwachsen.» Der Jugend will er helfen. Er hat die Fondation Lubamba, eine Stiftung für Waisenkinder, gegründet. Die Strassenfussballer werden in der zur Stiftung gehörenden Académie vielleicht einmal zu Profispielern geformt. Lubamba möchte zudem einen eigenen Klub gründen. Es kommt für ihn aber nur das Beste infrage: «Ich orientiere mich an TP Mazembe, dem Serienmeister im Land.» TP steht für «tout puissant», was nicht weniger als «allmächtig» heisst. Die letzte Afrika-Meisterschaft hat Sambia mit vier Spielern von TP Mazembe im Kader gewonnen. Auf Klubebene feierte Mazembe als Champions-League-Sieger des afrikanischen Verbandes vor zwei Jahren mit der Teilnahme an der Klub-WM in Abu Dhabi den grössten Erfolg. In diesem Anhängsel-Wettbewerb der FIFA erreichten die Kongolesen den Final, den Inter Mailand 3:0 gewann. Zuvor hatten sie Porto Alegre, den Copa-LibertadoresSieger aus Brasilien, dank zwei Traumtoren aus dem Turnier gekegelt. Der starke Mann im Team aus dem Süden des Kongo ist Klubpräsident Moïse Katumbi. Der dank den Kupfervorkommen zum Selfmade-Millionär avancierte Gouverneur übernahm den Klub nach dem dritten Bürgerkrieg innert 13 Jahren und führte ihn im fussballbegeisterten Land an die Spitze. «Es wäre möglich, eine Mannschaft zu formen, die hinter Mazembe die Nummer 2 werden könnte», meint Lubamba, der als Aktiver nie in Afrika gespielt hat. Spielball zwischen allen Fronten Einer der bekanntesten Spieler in den Reihen von Mazembe war einst Shabani Nonda, der auf die Saison 1996/97 hin für wenig Geld zum FC Zürich kam und zwei Jahre später als NLA-Torschüt-
Badile lubamba zenkönig für neun Millionen Franken zu Rennes wechselte. Auch Lubamba verschlug es auf die Saison 2002/03 hin in die Ligue 1. Er unterschrieb für drei Jahre bei Troyes. Der Klub aus der Kleinstadt östlich von Paris spielte damals an der Spitze mit und war eine Saison zuvor Teilnehmer am UEFA Cup. «Ich hatte damals Angebote aus der Bundesliga, die AS Roma wollte mich, und Bernard Tapie reiste eigens nach Lugano, um mich nach Marseille zu holen.» Aber Lugano erteilte ihm die Freigabe nicht. Erst als die Vereinsführung gewechselt hatte, kam er frei. «Damals war ich auf dem Sprung zu einer grossen Karriere im Ausland.» Er wird grundsätzlich: «Als Fussballer bist du oft Spielball zwischen Klubpräsidenten, Beratern und Trainern. So landete ich schliesslich bei Troyes, aber dort wurde der Trainer, der auf mich gesetzt hatte, bald einmal gefeuert.» Der Nachfolger verschmähte seine Dienste – mit der Folge, dass der Vertrag vorzeitig aufgelöst wurde. Lubamba kehrte nach nur einem Jahr im Ausland in die Schweiz zurück. Doch auch der Abstecher nach Sion brachte ihm kein Glück. Zu jener Zeit hatte Christian Constantin beim in die 1. Liga zwangsrelegierten Klub den kamerunischen Bierbrauer Gilbert Kadji als Vereinspräsident abgelöst und vor Gericht erfolgreich die Teilnahme an der Challenge League erstritten. Trainer Gilbert Gress brachte Sion aber nicht sofort wieder in die Super League. Die Nerven lagen blank, was sich in einem Faust- und Wortgefecht zwischen Lubamba und Stürmer Léonard Thurre entlud. «So was kann geschehen», sagt er, will aber nicht nochmals ins Detail gehen. Lubamba erhielt eine interne Sperre aufgebrummt, und als Sion zwei Jahre später gegen YB im Penaltyschiessen als erster unterklassiger Verein Cupsieger wurde, stand Lubamba längst in Diensten von Xamax. Der Karriere-Neustart missriet jedoch gründlich. Xamax stieg unter Miroslav Blazevic in die Challenge League ab. Lubamba schwante nichts Gutes: «Schon damals zeichnete sich der Niedergang von Xamax ab. Das Ende mit
Bulat Tschagajew hat mich nicht überrascht.» Mentor Andy Egli Es gibt viele Trainer aus seiner Karriere, auf die Lubamba nicht gut zu sprechen ist. Georges Bregy ist einer von ihnen. Unter ihm spielte Lubamba in der Saison 1998/99 während sechs Monaten bei Lausanne. Viel besser erging es ihm bei Andy Egli, der ihn für die Rückrunde zu Luzern holte. Über den 77-fachen Internationalen weiss Lubamba nur Gutes zu berichten: «Er hat mich in der NLA zum Stammspieler gemacht. Ich bin ihm ewig dankbar.» Vom ehemaligen Abwehrrecken erhält er immer noch Aufgebote: Egli ist Chef des
Teams ehemaliger Schweizer Nationalspieler, das für karitative Zwecke regelmässig vor allem ländlichen Gegenden seine Aufwartung macht. Im Tor steht meist Karl Engel, Lubamba verteidigt neben Egli, Zwyssig, Ramon Vega oder Peter Schepull. Auch die spätere Zeit beim FC Lugano möchte Lubamba nicht missen. Im Grossen und Ganzen sei er glücklich mit seiner Karriere, sagt er, obwohl er keinen rauschenden Abgang von der Fussballbühne gefeiert hat. Was seine Klubstationen betrifft, würde er im Nachhinein einiges anders machen. «Ich hätte vielleicht mehr erreichen können», lautet sein Fazit. Mit sich und der Welt ist er trotzdem zufrieden.
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Begegnungen mit Timo
Text: Beni Thurnheer / Illu: Stephan Schmitz
Beni Thurnheer erinnert sich an den kürzlich verstorbenen Timo Konietzka.
Ich bin 18, und er ist 29. Ich bin Zuschauer eines Nationalliga-B-Spieles auf der Winterthurer Schützenwiese und stehe – wie immer als Fan – hinter dem gegnerischen Tor. Immer wieder rennt er deshalb auf mich zu: Timo Konietzka. Er ist der erste (offiziell) bezahlte Vollprofi des Vereins. Das macht vielen hinter mir stehenden Arbeitern zu schaffen. «Das ist auch eine Kunst, mit Nichtstun Geld zu verdienen!», heisst es da etwa. Doch dann schiesst Timo ein Tor. Und noch eins. Alle, die ihn eben noch kritisiert haben, jubeln ihm zu. Er schiesst den FCW praktisch im Alleingang in die Nationalliga A und in den Cupfinal. Ich bin 25, und er ist 36. Unterdessen kennen wir uns persönlich, denn ich bin Radio-Fussballkommentator geworden. «Sag mal, Timo, stimmt es, dass du deshalb zum FC Winterthur gekommen bist, weil dessen Finanzchef das Transfergeld in einem Plastiksack nach München brachte und es über dir auf dem Massagetisch ausgeschüttet hat? Die Verlockung war wohl unwiderstehlich, denn du musstest ja ohnehin weg aus Deutschland, nachdem du einen Schiedsrichter geohrfeigt hattest.» – «Alles völlig übertrieben. Dem Schiedsrichter habe ich lediglich die Pfeife aus dem Mund geschlagen.» Und die Geschichte mit dem Bargeld? «Passt halt so schön zu einem ‹geldgierigen Profi›.» Ich bin 28, und er ist 39. Ich bin unterdessen Fussballkommentator beim Schweizer Fernsehen und er Trainer beim FC Zürich. Ich erlebe unvergessliche Europacup-Spiele von Turku über Dresden bis Liverpool. Hanjo Weller ist Timos neuer Regisseur, Peter Risi und Franco Cuccinotta seine Torschützen. Wenn die
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Fussballer zu bequem werden, erzählt Timo vom Ruhrpott, von den Bergleuten, die ihr Leben lang untertags schufteten mit Kohlestaub auf der Lunge. Da kommt er her, da hat er sich durchgesetzt. «Glück auf...» – manchmal beginnt er sogar das Bergmannslied anzustimmen, nur selten macht sich einer darüber ein wenig lustig. Ich bin 29, und er ist 40. Immer wieder erlebe ich, wie fanatisch Timo den Fussball liebt und lebt. Er ärgert sich masslos, wenn im Training ein Spieler nicht bei jeder Situation den Ball wirklich ins Tor schiebt, auch wenn er ganz alleine davor steht oder das Training eigentlich unterbrochen ist. «Das schleicht sich ein, da geht ein Automatismus kaputt!» Als einmal nach einem Spiel einer seiner Stürmer – der junge Freddy Scheiwiler – offen zugibt, dass er nicht berührt wurde, als es für ihn einen Penalty gab, ist Timo ausser sich: «Spinnst du, so etwas zu sagen! Jetzt pfeift doch der Schiedsrichter das nächste Mal sicher nicht mehr!» Ich bin 30, und er ist 41. Die Zürcher Sportjournalisten organisieren ein Plauschmätschli, Team «Eins» gegen Team «Zwei». Timo verstärkt Team «Eins». TV-Reporterlegende Karl Erb gibt beim «Zwei» den Libero und hat nur ein Ziel: Timo soll kein Tor schiessen. Dieses persönliche Duell lädt sich immer mehr auf, es eskaliert durch gegenseitiges immer härteres Einsteigen, die Herren geraten sich in die Haare. Timo schiesst trotzdem noch sein Tor, doch das Spiel endet unentschieden, und Karl Erb selbst beendet die Partie nach genau 90 Minuten, indem er den Ball an sich nimmt. Denn es hat sich herumgesprochen: Normalerwei-
se dauert ein Spiel so lange, bis das Team von Konietzka in Führung gegangen ist. Ich bin 31, und er ist 42. Wieder wird ein Plauschspiel ausgetragen, diesmal spielen wir aber in derselben Mannschaft. Timo steht im Ruf, geizig zu sein. Seine Mitspieler beschliessen deshalb, ihm ei-
konietzka nen Streich zu spielen, und lassen sein Portemonnaie verschwinden. Nach dem Spiel warten alle mit unbändiger Vorfreude, bis Timo verzweifelt nach seinem Hab und Gut suchen wird. Doch nichts der-
das Neueste, dafür wird er von diesem nur gelobt. Das ärgert den «Sport», der sich genau gegenteilig verhält. Gewinnt GC, war es ein Sieg der Mannschaft, die Niederlagen gehen immer aufs Konto des Trainers. Beim «Blick» ist es natürlich genau umgekehrt. An diesem Beispiel schwant mir, in welche Richtung sich der Sportjournalismus entwickeln wird. Ich bin 34, und er ist 45. Ich moderiere das «Sportpanorama», und Timo ist mein Gast, zusammen mit seinem grössten Kritiker, «Sport»-Chefredaktor Walter Lutz. Beide äussern pointiert ihre jeweils gegenteiligen Meinungen, doch endlich kann der Trainer dem Journalisten einmal seine Meinung ins Gesicht sagen. Konietzka fühlt sich nach der Sendung pudelwohl, kommt mit uns Fernsehleuten noch in ein nahe gelegenes Wirtshaus und spendiert mit dem Honorar, das er für seinen Auftritt bekommen hat, dem ganzen Tisch das Trinken. Geizig? Das war einmal! Aus dem Ruhrpott-Malocher ist ein lebensfroher Schweizer geworden. Ich bin 39, und er ist 50. Und wir sind nun beide Schweizer. Er entspricht dem wackeren Eidgenossen viel mehr als ich. Er spielt Schwiizerörgeli, besucht Schwingfeste, immer wieder taucht an seiner Kleidung irgendwo ein Schweizer Kreuz auf. Timo ist mit deutscher Gründlichkeit Schweizer geworden.
gleichen geschieht. Erst vier Tage später wird er merken, dass ihm sein Geldbeutel fehlt. Er hat ihn bis dahin kein einziges Mal gezückt! Ich bin 33, und er ist 44. Und er wird Meister mit den Grasshoppers. Der «Blick» erhält von ihm immer als Erster
Ich bin 42, und er ist 53. Wir sind nun beide Journalisten. Nach seiner Fussballer- und während seiner darniedergehenden Trainerkarriere schreibt Konietzka nämlich für den «Blick» und haut dabei jedermann ziemlich bösartig in die Pfanne. Ehrlich und ungeschminkt will er sein, verletzend und undiplomatisch kommt er rüber. Auch hier wieder: Boulevardjournalismus mit deutscher Gründlichkeit. Dabei ist Timo mit dem Alter immer herzlicher geworden, und diese Rolle passt eigentlich gar nicht mehr zu ihm. Ich bin 45, und er ist 56. Und trotzdem ist er viel fitter als ich. Er geht immer noch
jeden Tag joggen. Die Gesundheit ist neben dem Sport sein grosses Thema. Mit Begeisterung sorgt er für die Verbreitung des MBT-Schuhs. Dank seiner nach wie vor grossen Popularität in Deutschland kann er dort viele Kunden akquirieren. Mit der Massai-Barfuss-Technik bringt der zivilisationskranke moderne Mensch seine Muskeln und Gelenke wieder in ein natürliches Gleichgewicht. Natürlich überredet er auch mich dazu. Und tatsächlich: Es wirkt! Ich bin 54, und er ist 65. Der Innerschweizer Franz Heutschi organisiert immer wieder Busfahrten zu BundesligaSpielen. Diesmal gehts nach Dortmund, mit Timo als Ehrengast, denn dort hat er seine ersten grossen Erfolge gefeiert. Im Stadionmuseum stehen sogar die Statuen jener 11 Spieler, die 1963 deutsche Meister geworden sind, im letzten Jahr bevor die Bundesliga eingeführt wurde. «Da stehe ich», erklärt er auf der Hinfahrt mehrfach stolz. «Du stehst da nicht mehr», informiert ihn der Stadionführer kurz vor dem Umgang. Ein Schock! «Was heisst das, ich steh da nicht mehr?» – «Irgendjemand hat deine Statue kaputt gemacht, und jetzt liegt sie da zerbrochen in der Ecke.» Ob dies die Tat eines Schweizer Fussballers war, den er einst im «Blick» zerfetzt hat? Dieser Moment hat Timo bestimmt noch mehr geschmerzt als der verlorene Cupfinal mit Winterthur. Ich bin 61, und er ist 72. Wir sehen uns an der FIFA-Gala für den Weltfussballer des Jahres im Zürcher Kongresshaus. «Ich komm mal zu dir in die Innerschweiz, um über die alten Winterthurer Zeiten zu schwärmen», verspreche ich ihm, «vielleicht schreibe ich dann auch im ZWÖLF etwas darüber.» Kurze Zeit später erfasst ihn ein schwerer Schwindel, und er muss den Saal vorzeitig verlassen. Schon wenige Tage später folgt die Entwarnung. «Er joggt schon wieder!» Ein Jahr später flachse ich am gleichen Anlass: «Unternimmst du einen neuen Versuch, es in diesem Saal bis zum Schluss auszuhalten?» Wir lachen beide herzlich. Es ist meine letzte Begegnung mit Timo.
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Vor fünf Jahren Haar wäre ZWÖLF. Doch um ein einem anderen unser Magazin unter r einige Namen erschienen. Hie die an er üb , ge hlä weitere Vorsc mmlung allen der Gründungsversa wurde: Ernstes abgestimmt Katenatscho Kubi & Zubi meter Aussenrist Elf kan Ha Grasfresser lvetor He Fehleinkauf guge itz Sp Kerze itz Sp Elferraus Sense Vollspann llo Netzhaut Tre
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Gute Tipps
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Der erste Abonnent
Es war an einer «Torw ort»-Lesung in Bern, und wir waren verzw eifelt auf der Suche nach Gönnern. Und da trafen wir Hanspeter Latour, der uns nach der Vorstellung unseres Projekts gleich ein e Hunderternote in die Hand drückte und uns legendäre Worte mit auf den Weg gab, die wir leider wieder vergessen haben. Es wa r schon spät. Und darüber hinaus – jetzt dar f man es zugeben – hat sich unser werter Vereinspräsident kurz darauf vom Spender abg edreht und mit dem Latour-Hunderter an der Bar fünf Bier geordert. Latour war es auc h, der viele Monate später unserem Autor nach einem Treffen einen Fünfliber überreic hte mit der Auffor-
jubiläum derung, sich doch eine Bratwurst zu holen. Bald, Herr Latour, können wir uns endlich revanchieren, wenn wir mächtig genug sind, um Sie zum Nachfolger von Ottmar Hitzfeld zu schreiben! Andere Finanzierungspl äne haben sich leider zerschlagen. So lesen wir in alten Protokollen, man solle Mäzene angehen wie Nicolas Hayek oder Thomas Sch midheiny. Und einen hatten wir eigentlich schon so gut wie im Sack. Denn neben dem Namen Michael Schumacher, damals bei m FC Echichens aktiv, steht geschrieben: «O R kennt einen, der einen kennt, der einen kennt, der Schumacher kennt.»
Intervieworte
Das waren die Vorschläge, die unsere Interviewpartner als Treffpunkte vorgeschlagen haben: 1. Autobahnraststätte 2. Stammbeiz 3. Stadionrestaurant 4. Zuhause 5. Burj Al Arab
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Das Jubiläumsfest
chtet euch Wir feiern, und euch wollen wir auch dabei haben. Betra 2 201 Mai 12. hiermit als herzlich eingeladen, am Samstag, Uhr 19 ab an der Badenerstrasse 415 in Zürich (beim Letzigrund) z, und zum Talk mit illustren Gästen, zwölfischem Fussballqui ern. Plaud und en Trink , Essen selbstredend auch einfach zum und auf letter News im ite, Mehr Infos demnächst auf unserer Webs Facebook. Wir freuen uns auf euch!
Die Pishyar-Falle Text: Risto Rumpunen / Deutsche Fassung: Mämä Sykora
Er versprach den Schnee in die Wüste zu bringen und Servette in die Champions League: Doch mit Majid Pishyar geraten Vereine und Firmen in Existenznot. Nach dem stets gleichen Muster.
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or drei Jahren prophezeite ich, dass Servette innerhalb der nächsten paar Jahre nach Majid Pishyars Amtsantritt in Konkurs gehen würde. Schon damals schien es, dass dies geradezu ein Markenzeichen ist für seine Art, Geschäfte zu machen. Ich bot Medienunternehmen aus sechs Ländern Storys über Pishyars schräge Geschäfte an. Niemand war interessiert. Was mich dazu anstachelte, Pishyars unternehmerische Aktivitäten zu verfolgen, war eine simple Frage: Womit verdient er wirklich sein Geld? Der Mann mit iranischen Wurzeln, kanadisch-schweizerischer Bürger, hat Büros mit tollem Ausblick in neun Städten, darunter Genf, Dubai und New York. Er ist Chef der 32 Group Company – 32 ist eine Glückszahl in Persien – und diversen kleineren Unternehmen. Pishyars Spur nahm ich seltsamerweise in Helsinki auf. Vor sechs Jahren hörte ich zum ersten Mal von ihm, bereits wenige Monate später führten mich die Recherchen in ein heilloses Durcheinander, das auf den ersten Blick nichts mit ihm zu tun zu haben schien. Mehrfach habe ich versucht, einen Interviewtermin mit ihm zu bekommen, geklappt hat es nie. So weiss ich bis heute nicht, ob er überhaupt jemals in Finnland war, sein Geschäftspartner zumindest wurde von einer kleinen Anwaltskanzlei
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in Helsinki empfangen. Auf jeden Fall tauchte der Name «32 Group» während des Insolvenzverfahrens gegen das finnische Unternehmen Artic Image Ltd. auf, dem Pishyars Firma 3,5 Millionen Euro Know-how-Gebühren schuldet. Österreichisches Opfer Seinen ersten Auftritt auf der Fussballbühne hat Majid Pishyar im Dezember 2004. Genau zu der Zeit, in der Servette händeringend nach Geldgebern sucht, um den Konkurs noch abzuwenden – gehandelt wird auch ein angeblich schwerreicher Investor aus Dubai –, stellt er sich bei Admira Wacker Mödling als neuer grosser Investor vor. Der neunfache österreichische Meister, dessen grosse Zeit lange zurückliegt, befindet sich in arger finanzieller Schieflage und dümpelt im Mittelfeld herum. Niemand wird misstrauisch, als Pishyar sich standhaft weigert, Details über seine Geschäfte preiszugeben. Er verkündet, es sei immer sein Traum gewesen, einen Fussballverein zu besitzen, und spricht schon davon, dass Admira eines Tages in der Champions League spielen werde. Admira habe er sich ausgesucht wegen der vorzüglichen Nachwuchsarbeit, sagt er und erntet dafür fragende Blicke. Denn die Leistungsträger wie Vladimir Jugovic, Vitalijs Astafjevs, Tomasz Iwan,
Wolfgang Knaller, Marek Swierczewski oder Michael Hatz sind allesamt bereits weit über 30. Kurz nach seiner Ankunft nimmt Pishyar Kontakt zu einem Sportartikelhersteller auf, der ihm ein Geschäftsmodell vorschlägt. Die Gespräche laufen gut an, bis Pishyar den Plan plötzlich fallen lässt und stattdessen seine eigene Textilmarke «Trentadue» einführt. Er stellt einen ehemaligen iranischen Nationaltrainer ein und macht ihn später auch noch zum Sportdirektor. Viele neue Spieler kommen, die erste Saison wird zum Desaster. Die Löhne werden nur unregelmässig bezahlt, die Mannschaft landet auf dem drittletzten Platz. Dennoch wird Pishyar zum neuen Präsidenten gewählt. Kurz bevor Pishyar bei Admira einsteigt, kann der Verein eine neuen Sponsor aus Skandinavien an Land ziehen, die Nordea Bank. Wie in Österreich üblich, wird damit auch der Verein umbenannt; er heisst neu Nordea Admira. Ein Sprecher der Bank gibt an, man wolle damit die für österreichische Investoren massgeschneiderten Fonds promoten. Es fällt schwer, dem Glauben zu schenken, denn die Nordea Bank hat in Österreich keine einzige Filiale. Eine Schweizer Quelle behauptet gar, der Deal sei gefälscht gewesen, doch die Bank will davon nichts wissen. Bei der Luxemburger Filiale, über die das Geschäft abgewickelt worden ist, lässt man mich nicht mit der Person sprechen, die den Vertrag mit dem Verein unterzeichnet hat. Unterdessen entpuppen sich Pishyars Pläne mit Admira als Luftschlösser. Die zweite Saison unter Pisyhar endet im Abstieg. Bei seiner letzten Generalversammlung als Klubeigentümer schmetterte Pishyar sämtliche ihm unangeneh-
Majid pishyar
men Anträge ab, da er die Vollmacht von 70 bis dahin unbekannten iranischen Vereinsmitgliedern besass, die alle kurz vor der GV ihren Mitgliederbeitrag entrichtet hatten und damit stimmberechtigt waren – und die allesamt erstaunlicherweise als Wohnort Doha (Katar) angegeben hatten. Wenige Monate später sind vom Verein nur noch Trümmer übrig. Die Lizenz wird verweigert, der Klub geht in Konkurs und wird in die Regionalliga zwangsrelegiert. Schnee in Dubai 2003, ein Jahr vor seinem Einstieg bei der Admira, hatten Majid Pishyar und seine 32 Group der Weltpresse jene grössenwahnsinnige Idee vorgestellt, die seinen Namen bekannt machte und ihm die Aura eines abenteuerlustigen Geschäftsmanns mit haufenweise Geld verlieh. Eine riesige Indoor-Skipiste sollte in Dubai entstehen, wofür die neusten Technologien zum Einsatz kommen sollten. Es war ein 1-Milliarde-Dollar-Projekt, und die Nachricht vom bevorstehenden Bau einer Skihalle in der Wüste erregte weltweites Aufsehen. Pishyar versprach, das Gebäude sei bis Ende 2006 fertig gestellt. Dazu posierte er lächelnd vor den Plänen und liess sich von den lokalen Behörden feiern: «Wie hier Regierung und die Privatwirtschaft zusammenarbeiten, ist vorbildlich für andere Staaten. Das ist eine Win-win-Situation für alle!» Die Bilder des «Snowdome», die sich bald auch auf der Website der 32 Group fanden, wurden als eigene ausgegeben. In Tat und Wahrheit wurden sie aber von einer finnischen Architektin erstellt, die nie einen müden Rappen dafür bekommen hatte. Das kleine finnische Unternehmen Artic Image, das die Pläne in Auftrag gegeben hatte, zeigte sich verstimmt und liess
sich, nachdem mit Pishyar keine Einigung hatte erzielt werden können, auf einen langen Rechtsstreit ein. Pishyar setzte alles daran, das Verfahren zu verzögern, was Artic Image in existenzielle Nöte brachte. Gleichzeitig gab die 32 Group die Pläne weiter an einen Londoner Architekten mit dem Auftrag, ein Redesign vorzunehmen. Dass sich Artic Image überhaupt mit Pishyars Unternehmen eingelassen hatte, war erstaunlich, denn schon zu Beginn der Verhandlungen hatten die Anwälte der Finnen eindeutige Warnungen erhalten. Majid Pishyar sei «ein sehr schwieriger Kunde», und seine Firma habe «einen sehr schlechten Ruf». Nichtsdestotrotz fertigten die Anwälte bald Abkommen zwischen den beiden Unternehmen an, ohne zuvor die gebührenden Sorgfaltsprüfungen durchzuführen, die sie als zu
hinderlich empfanden bei einer Firma mit Sitz in Dubai und der Schweiz. Und so nahm das Schicksal seinen Lauf. Zehn Jahre vor der Präsentation des Snowdome-Projekts hatte die Gründerin von Artic Image, die finnische Erfinderin Ritva Laijoki, eine Idee für Winteraqua rien. Dank der finanziellen Unterstützung von regierungsnahen Financiers und Organisationen konnte sie ihre Erfindung weiterentwickeln und in einigen europäischen Ländern und in den USA patentieren lassen. Dafür wurde sie 1994 in ihrer Heimat mit der Auszeichnung für die beste Erfindung des Jahres geehrt. Einige sahen in ihrem Werk grosses Potenzial. Nach einem erfolgreichen und vielen gescheiterten Versuchen, auf ihrem Patent basierende Projekte zu verkaufen, kam ihr die Idee für eine Indoor-Skihalle in Dubai. Sie hatte zwar keine Ahnung, wie man
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ein solches Riesenprojekt angehen sollte, aber was es ihr an Geschäftssinn mangelte, machte sie mit ihren Überzeugungskünsten wett. Sie überzeugte eine Architektin, die durch den Bau eines Fussballstadions in Helsinki Berühmtheit erlangt hatte, Pläne für diese Skihalle zu zeichnen gegen das Versprechen, später dafür bezahlt zu werden. Mit diesen Plänen sowie Verträgen und Geheimhaltungsvereinbarungen machte sich ein Broker auf die Suche nach Investoren. So kamen die Zeichnungen zu Majid Pishyars 32 Group in Dubai, wo sie lokalen Geschäftsmännern unterbreitet wurden. Im Juni 2003 schickte die Projektmanagerin von 32 Group eine Jubel nachricht nach Helsinki: «Jedermann liebt das Projekt!» Das Unternehmen erwartete von Dubais Regierung Land im Austausch für die Pläne. Es war die letzte gute Nachricht aus den Emiraten. Chaos in Finnland Während beide Seiten fleissig um Investoren für das Projekt weibelten, wartete man bei Artic Image weiterhin vergeblich auf Geld von Pishyar. Wie angekündigt, wurde Ende 2006 tatsächlich eine Skihalle in Dubai eröffnet, allerdings nicht der «Snowdome». Unbeeindruckt füttern Pishyar und seine Entourage die Presse fleissig mit Beteuerungen, dass es mit dem «Snowdome» vorwärtsgehe, ledig lich die Komplexität des innovativen Designs sorge für einige Verzögerungen. So langsam dämmerte es Ritva Laijoki, dass sie einen anderen Weg würde suchen müssen. Tatsächlich konnte sie eine finnisch-amerikanische Doppelbürgerin und vertrauenswürdige Geschäftsfrau aus Texas für ihre Pläne gewinnen. Diese erkannte jedoch schon nach wenigen Wochen, dass Laijokis Unternehmen Artic Image ein einziges Chaos war. Es folgten ein heftiger Streit und einige Gerichtsverfahren, bis über Artic Image im Juni 2008 von den finnischen Steuerbehörden die Insolvenz verhängt wurde.
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Der Konkurs folgte indes nie. In Finnland bedeutet dies, dass die Buchführung in diesem Fall nicht genauer unter die Lupe genommen wird. Im Insolvenzbericht finden sich die nie bezahlten 3,5 Millionen Euro von Pishyars 32 Group sowie der Lohn für die Architektin, eine Gruppe von Investoren musste zudem über 2 Millionen Euro abschreiben. Als ich Ritva Laijoki und ihre Anwälte fragte, warum sie nicht versuchten, das Geld der 32 Group einzutreiben, liess man mich wissen, es sei schlicht unmöglich, gegen ein so grosses Unternehmen anzukommen. Willkommen in Genf Pishyar kümmert es wenig, was seine Weigerung, die Leute in Finnland zu bezahlen, auslöste. Nur wenige Monate nachdem er die Admira zugrunde gewirtschaftet hat, wird er bei Servette als neuer Präsident vorgestellt. Auf kritische Fragen hinsichtlich seines Engagements in Österreich reagiert er mit dreister Verkennung der Realität: «Als ich Präsident wurde, war der Klub am Ende der Tabelle. Ich habe ihn da rausgeholt. Ich habe alles in Ordnung gebracht.» In Genf prüft niemand seine Worte, und so übernmmt er einen sportlich mässig erfolgreichen, aber zumindest nicht verschuldeten Verein. Ich lese von seinen grossen Worten, wie er den Nachwuchs fördern und den Klub wieder an die Spitze bringen wolle. Und es ist, als hätte jemand die Nadel auf einer alten Schallplatte mit einem Sprung platziert. In einem Interview mit der Business-Website «24/7» prahlt Pishyar darüber hinaus mit der Rendite von 15%, die seine Firmen abwürfen, während alle anderen Unternehmer in der Finanzkrise Geld verlören. Dies nährt bei den Fans natürlich die Hoffnung, mit seinem Geld wieder an die ruhmreichen Zeiten anknüpfen zu können. Während Pishyar mit Servette nach einer beeindruckenden Aufholjagd die Rückkehr in die Super League feiern kann und dafür jedem Spieler einen Porsche ver-
spricht (auf den sie noch heute warten), macht sich eine Gruppe Iren auf die Suche nach dem Verbleib ihres Geldes, das sie über eine dubiose Immobilienfirma in Dublin in Dubai investiert haben. 20 Millionen Euro versandeten auf diese Weise in der Wüste, derweil sich Pishyar in einem Interview mit dem «SonntagsBlick» brüstet, den Schnee genau dahin gebracht zu haben: «Die Leute dachten, ich sei verrückt, aber ich habe den Snowdome in Dubai gebaut!» Hat er nicht. In London traf ich jenen Architekten, der von Pishyar damit beauftragt worden war, die Snowdome-Pläne weiterzuentwickeln. Offensichtlich plagte ihn sein schlechtes Gewissen, denn es gilt als verwerflich, die Pläne eines Berufs kollegen ohne dessen Einwilligung zu übernehmen. Er verriet mir, er habe mit einer Gruppe von Ingenieuren das Projekt auf Herz und Nieren geprüft und sei zum Schluss gekommen, dass es unmöglich sei, eine derart futuristische Skihalle zu bauen, weil die Kosten für den Bau und den Unterhalt astronomisch seien. Selbstredend hatte die 32 Group auch bei ihm noch Ausstände von über einer Million Dollar. Pleite in Portugal Auch bei Servette steigt nach Pishyars Engagement die Zahl der Kreditoren laufend an. Einige trifft es besonders hart. Der italienische Sportartikelhersteller GIB Sportswear hat im Auftrag von Pishyar die gesamte Servette-Linie entworfen und pünktlich geliefert. Im letzten Sommer kommen nochmals 11 000 Stück hinzu: Shirts, Shorts, Stutzen, Trainingsanzüge, Jacken. Pishyars Sohn Amid ist begeistert und verspricht der ganzen Belegschaft, die für die Produktion auf die Sommerferien verzichtet hat, eine Woche Ferien in Dubai. Es bleibt ein Traum, denn bis heute ist kein einziger Euro bezahlt. 224 E-Mails blieben unbeantwortet, Amid Pishyars Handy ist stets ausgeschaltet. GIB Sportswear kämpft ums Überleben. Gleich ging
Majid pishyar
es einem Genfer Reinigungsunternehmen, das deswegen im Februar dieses Jahres einen Konkursantrag gegen Servette einreicht. Es ist der Anfang vom Ende von Pishyars Zeit in Genf. Aber einen Mann wie Pishyar kann dies nicht verunsichern. Längst hat er sich beim portugiesischen Verein SC Beira-Mar eingenistet. Obwohl er lediglich eine Minderheit der Aktien erworben hat, schafft er es, den Klub zu übernehmen. Seine Ziele? Den Verein an die Spitze zu bringen und viele neue Talente zu fördern. Wir kennen es bereits. Darüber hinaus kündet er ein «Fussball-Dorf» an sowie eine Geschäftszone um das Stadion. In Aveiro sei dies möglich, weil die Unterstützung der Stadt im Gegensatz zu Genf gegeben sei. Die Pläne werden freilich nie umgesetzt, dafür schafft es Pishyar in Rekordzeit, den Verein in grosse Probleme zu bringen. Zur Generalversammlung im März, von der sich die Mitglieder Antworten erhofft haben, reist
der Präsident gar nicht erst an. Ein Schock ist die Nachricht, dass 90 Prozent der Einnahmen des Vereins an die 32 Group gehen und Pishyar zudem fünf Jahre lang im Besitz sämtlicher Transferrechte sei. Nicht einmal das Defizit hat er wie versprochen ganz abgebaut. Neue Geldgeber zu finden, ist angesichts dieser Knebelverträge nahezu unmöglich, und der sportliche Erfolg ist für Pishyar nicht notwendig. Bei Spielerverkäufen klingelt seine Kasse ohnehin. Übernehmen, hinhalten, abhauen Immerhin sieht es schliesslich auch Pishyar ein, dass sein Snowdome-Projekt eine Illusion bleiben wird. In einem Interview mit «L’Hébdo» im Februar dieses Jahres verkündet er, er sehe sich gezwungen, aufgrund der Finanzkrise den Plan zu begraben. Ich hingegen frage mich, ob er den Bau überhaupt einmal ernsthaft vorgehabt hatte. Jedenfalls ist nie auch nur ein Stein gelegt worden. Als ihn der Interviewer
fragt, warum nie jemand ans Telefon gehe in seinen Büros im 51. und 52. Stock der Emirates Towers, gibt er an, dass er habe umziehen müssen. Vielleicht nicht ganz freiwillig. Denn schon vor zwei Jahren vermutete eine meiner Quellen, dass Pishyar demnächst des Landes verwiesen werde wegen seiner Art, Geschäfte zu machen. Wie viele Personen auf der Lohnliste der 32 Group stehen, weiss man nicht. Sucht man nach Stellenausschreibungen, findet man lediglich welche für Verkäufer eines Juwelierladens. Stutzig macht ausserdem, dass der jüngste Eintrag auf der Website des angeblichen Weltkonzerns vom Juni 2011 datiert. Hat sich Pishyar auf ein Ziel festgelegt, ist seine Vorgehensweise erstaunlich konsequent. Er tritt als Retter auf, verspricht eine goldene Zukunft, bezahlt seine neuen Partner im Voraus und übernimmt dann das Unternehmen – oder eben den Verein. Seine Opfer sind bevorzugt Firmen, Klubs oder Personen, die bereits in grossen Schwierigkeiten stecken. In dieser Situation haben die wenigsten die Mittel für einen aufwendigen Rechtsstreit. Ist er erst einmal am Ruder, bezahlt er sehr spät oder überhaupt nicht, was für kleine Firmen lebensbedrohlich ist, dafür überweist er regelmässig Beratungshonorare an seine Unternehmen und seine Partner. Eine Weile lang bleibt so etwas unbemerkt, manchmal gar über Jahre. So lange hat er Zeit, sich nach dem nächsten Opfer umzusehen, wo er das gleiche Muster anwendet. Wenn alles zusammenbricht, schiebt er in einem letzten Furioso die Schuld anderen in die Schuhe, meistens Behörden, Stadtregierungen und dergleichen, kurz darauf verlässt er die Bühne durch die Hintertür. Gefolgt von seinen Schutzengeln mit den harten Gesichtszügen skrupelloser Anwälte, gekleidet in massgeschneiderten Nadelstreifenanzügen und mit Airline-Bonuscards anstelle von Flügeln. Auf dem Weg zum nächsten Fussballverein, der einen Retter sucht.
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Bevor die Modefans kamen Heute wollen sie ja alle schon damals dabei gewesen sein, die harten Fans von heute. Bei den Spielen in der düstersten Zeit des Vereins.
Nicht einmal die Kühe schauten zu
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iebe Redaktion, das muss Euch doch endlich mal einer deutsch und deutlich sagen: Ihr in Eurer Redaktion seid hartnäckig wie eine Grippe, verbissen wie Schumi, nervig wie Krümel im Bett und unnachgiebig wie Stahlbänder. Aufsässig seid ihr, bockbeinig, dickköpfig, halsstarrig, hartgesotten und kompromisslos dazu. Kurz: Ihr seid unbelehrbar! Vor rund anderthalb Jahren habt Ihr mich nämlich um eine Kolumne für Euer Magazin gebeten. Ich habe Euch darauf schon damals in einem vertraulichen Brief mit exakt 8412 Zeichen inklusive Leerschlägen erklärt: Ja, könnte ich mir im Prinzip gerne vorstellen, aber nein, ich darf nicht. Von wegen Gewaltentrennung und so, aufgrund meiner hauptamtlichen Tätigkeit als Medienchef des FC Basel 1893 halt.
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Ist doch wahr: Wo kämen wir denn da hin, wenn ich Euch heute die Kappe waschen soll, weil Ihr mal wieder einen Bockmist über Strellerfrei zusammengeschrieben habt. Und morgen soll ich dann wieder lieb Kind sein, so tun, als wäre nichts, und Euch die Seiten füllen? Geht nicht. Nicht mit mir, da bin ich viel zu korrekt. Ich weiss, auf welcher Seite des Tisches ich inzwischen sitze. Nicht mehr auf jener der Journalisten. Journalist, das war ich mal, ganz früher. Aber das reicht heute nicht mehr, jetzt plötzlich wieder zu den Wurzeln zurückzukehren und für Euch einen Artikel zum Thema «Bevor die Modefans kamen» zu schreiben, wie mich Mämä Sykora unlängst per Mail gebeten hat. Ja, hab ich denn damals an eine Wand geschwatzt, als ich Euch erklärte, weshalb ich nicht mehr journalistisch tätig sein darf?! Wobei es mich grundsätzlich ja reizen würde, das Thema «Bevor die Modefans kamen». Das tönt nicht unspannend. Und ich hätte durchaus einiges dazu zu sagen. Denn ich war im Fussball schon dabei, bevor die Modefans Mode wurden. Deshalb ist es schade, dass ich hier nicht von damals schreiben darf. Zum Beispiel von damals, als mein FCB noch in der Nationalliga B war, die Stadien in der 1. Liga und die technischen Möglichkeiten der Datenübermittlung hinter dem Mond. Oder sogar hinter dem Mond hinter dem Mond. Und ich als Matchberichterstatter für die «Basler Zeitung» unterwegs war.
Was könnte ich Euch Geschichten von damals erzählen, du meine Güte, wenn ich nur dürfte. Zum Beispiel, wie ich seinerzeit, das muss noch vor Shaqiri Geburt gewesen sein, in Châtel-St-Denis beim Dorfbrunnen anhalten musste, um mich zum nächsten Kiosk durchzufragen. Ich ihn, den Kiosk, nicht den Dorfbrunnen, dann endlich auch fand, und zwar direkt neben dem Spritzenhäuschen bei der Brückenwaage. Wie ich mich bei der guten Frau hinter den Heftchen und Kaugummis nach dem Weg zum Stadion erkundigte, weil dort in einer Stunde Châtel-St-Denis gegen den FCB beginnt, nein, nein, nicht ein Testspiel, sondern ein richtiges Meisterschaftsspiel der Nationalliga B, eines um Punkte, man stelle sich das vor: ein Meisterschaftsspiel im Fussball zwischen dem FCB und Châtel-St-Denis!! Ist so, als müsste der FCZ gegen SpreitenbachKillwangen antreten. Wie ich dann von der Kioskfrau die leicht vorwurfsvolle Antwort erhielt, dass man hier in Châtel beim Eid des heiligen Denis kein Stadion habe, écoutez Monsieur, das dann doch nicht!, sondern einen Fussballplatz. Ein Stadion, sagte sie, mögen sie meinetwegen drunten in Genf haben, oder in Lausanne, was wir hier haben, ist ein Fussballplatz. Und der, Monsieur, der liegt… alors, wie soll ich Ihnen das jetzt am besten erklären? Bref, Sie nehmen gleich dort vorne nach der Boucherie die Strasse Richtung Remaufens, biegen dann aber nach dem zweiten Stall nicht links Richtung Chemin de la Léchère ab, sondern rechts ab Richtung Route de Lussy. Die können Sie eigentlich nicht verpassen. Und dort fragen Sie dann nochmals, und dann müssten Sie ihn eigentlich finden, unseren Fussballplatz. Heute gehe ich davon aus, dass die Leserinnen und Leser von «Zwölf» keine Kioskfrau mehr benötigen, sondern per GPS nicht nur zum Joggeli, zum Let-
ersatzgoalie modefans
zigrund oder zum Stade de Suisse de la Wankdorf gelotst, sondern sogar direkt zum Bratwurst-Stand im Sektor D des Joggeli, des Letzigrund oder des Stade de Suisse de la Wankdorf ferngesteuert werden. Schade, schade, wirklich schade, dass ich hier und heute wegen dieser blöden Gewaltentrennung nichts von diesen früheren Zeiten schreiben darf. Auch nicht, wie ich mir, ich weiss nicht mehr, war es 1991 oder 1992 oder sogar noch vor der Gründung des Genfersees, auf der Bodenweid-Tribüne in Bümpliz Mitte der zweiten Halbzeit plötzlich einen Holzsplitter aus dem Allerwertesten ziehen musste. Ich erinnere mich, wie ich zunehmend ungeduldig auf dem Sitz herumzurutschen begann, weil das 1:0 für den FCB noch immer nicht gefallen war, auch jetzt in der 68. Minute noch nicht, auch nach 400 von 11 wackeren Bümplizer Verteidigern über den Drahtzaun gedroschenen Bällen nicht. Und da muss es irgendwie passiert sein, das mit dem Holzsplitter. Immerhin, heute spüre ich sie kaum mehr, die Narbe, oder höchstens noch ein klein bisschen bei ganz starkem Föhnwetter. Oder nichts erzählen, wie ich in Bulle leicht verlegen bei der Familie Dupont am Chemin des Bouleyres klingeln musste: Pardon, ich bin von der Zeitung und hab es pressant, Sie wissen schon, der Redaktionsschluss. Dürfte ich deshalb s’il-vous-plaît und ausnahmsweise Ihr Telefon benutzen, weil vergessen wurde, nebenan im Stadion den einzigen Anschluss in Betrieb zu nehmen? On ma dit, sagte ich Madame Dupont, der Platzwart sei in den Ferien und sein Stellvertreter habe geglaubt, das Spiel finde morgen statt. Das alles geschah zu einer FCB-Zeit, als der FCB zurzeit grad nicht in Mode war. Sondern in der Krise. Und jeweils im Frühling nach neun Spieltagen der NLBRückrunde zu rechnen begann: Wenn wir nun die restlichen sieben Partien alle
gewinnen oder maximal noch einen Punkt abgeben, dabei aber mindestens hundertacht Tore erzielen und nie mehr als einen Gegentreffer kassieren und Delémont gleichzeitig nicht höher als 4:0 gegen Emmenbrücke gewinnt, aber Yverdon in den Auswärtsspielen gegen Malley, Martigny, Monthey und Montreux total mindestens sieben Punkte verliert, ohne dass Etoile Carouge zu Hause gegen Chênois über ein Remis höher als 6:6 hinauskommt, dann, ja, dann haben wir noch theoretische Aufstiegschancen. Lauter solche Sachen dürfte ich Euch schreiben, wenn ich nur dürfte. Weil das aber nicht geht, bleibt es dabei: keine Kolumnen von mir für Euch, weiterhin nicht, zumindest so lange nicht, bis mich Bernhard Heusler feuert, weil ich Euch solche Briefe schreibe, statt zu arbeiten. Deshalb beende ich hier diesen Brief nun schleunigst und mit nur noch einer ganz kleinen Zusatzinformation, die ich vielleicht in eine Kolumne einbauen würde, wenn ich Kolumnen schreiben dürfte: Der FCB erreichte damals in Châtel-StDenis ein 1:1. Und zwar ohne Kühe, die am Spielfeldrand zuschauten, wie heute irgendwelche fantasievollen Legendenstricker in Basel immer wieder behaupten. Die Kühe schauten nicht, sondern sie kauten. So entstehen im Verlauf der Jahrzehnte Überlieferungsfehler… Wer aber da gewesen sein muss, damals in Châtel-St-Denis beim Spiel gegen den FCB, waren weit über 30 000 Zuschauer. Etwas anderes ist gar nicht möglich, zumindest dann nicht, wenn all jene nicht
lügen, die uns heute auf der Geschäftsstelle beim FCB anrufen, anmailen, anflehen und um Tickets für das Spiel gegen die Bayern anbaggern. Und unserer Telefonistin den Kopf volljammern: «Wer nundebuggel hat ein Anrecht auf eine Karte gegen die Bayern, wenn nicht ich?!!? Denn schliesslich und endlich war ich schon immer FCB-Fan, ja, ich war nundefahne schon beim Spiel in ChâtelSt-Denis dabei, als neben mir noch kein Schwein zu so was ging…!!!» Solche Anekdoten könnte ich den Lesern auftischen, und zwar so lange, bis der Notarzt kommt, wenn ich nur dürfte. Doch ich darf nicht. Aber das habe ich ja schon erwähnt, weshalb ich Euch nochmals um Verständnis bitte, dass auch dieses Mal diesem Brief keine Kolumne für Euch beiliegt. Mit freundlichen Grüssen von meiner Tischseite zu Euch Journalisten auf Eure Tischseite hinüber. Josef Zindel Medienchef FC Basel 1893
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Wir waren einfach unverbesserlich
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eine erste Saisonkarte musste ich noch im Tabakfass Nägeli, im Geschäft des damaligen Präsidenten, kaufen gehen. Die Südkurve hiess noch «Züri-Egge», und da herrschte eine brutal strikte Hierarchie: Zuoberst standen die Alten, als Junger hattest du dort nichts verloren. Begonnen hat man zuunterst, dann hat man sich wörtlich hochgearbeitet. Mitte der 80er kam man sehr schnell nach oben, weil sich die Reihen stark lichteten. Sportlich war der FCZ damals gar nicht so schlecht dran. Aber der Zuschaueraufmarsch war erschreckend. Der FCZ wurde gar nicht mehr wahrgenommen. An Matchtagen konnte man mit dem Tram zum Stadion fahren, und absolut nichts hat auf eine Fussballpartie hingedeutet. Keine Menschen, keine Fahnen, keine Vereinsfarben, gar nix. 1986 spielten wir beispielsweise zu Hause gegen Baden, 20. Runde, und wir hatten noch Aussichten auf den Meistertitel. Offiziell waren 800 Leute anwesend, aber tatsächlich war es nicht einmal die Hälfte. Auswärts war es noch tragischer, da waren immer die gleichen paar Nasen dabei, selbst in Basel waren es nicht mehr als 40. Und es wurde noch schlimmer. Zuerst fiel der Zuschauerschnitt, dann auch der FCZ. Der Mythos der 1970er-Jahre verblasste zusehends. 1988 fielen wir in
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die NLB, da häuften sich die Partien gegen Gegner mit wenig klangvollem Namen. Old Boys, Zug, Urania Genf – und das alles nur wenige Jahre nach Auftritten wie jenem gegen Liverpool im Meistercup! Wir konnten das irgendwie gar nicht so recht begreifen, was da passiert war. Viele haben sich in dieser Zeit vom Verein abgewendet. Man galt fast schon als Freak, wenn man weiterhin ins Stadion ging. Selbst der harte Kern der Jahre zuvor tauchte nicht mehr auf, und damit war die Kurve praktisch tot. Im «Züri-Egge» war kaum noch Leben, man hörte jeden Zwischenruf. An jedem 1.-Liga-Match von heute ist mehr Stimmung. Und noch immer wollten wir Fans schlicht nicht wahrhaben, wie schlecht wir wirklich waren. Alles wurde schöngeredet. Wir waren einfach unverbesserlich, hielten uns immer noch für das grosse Zürich. Ich war damals in der Lehre, einer meiner Mitstifte spielte beim FC Brüttisellen. Und zu jener Zeit war FCZ Brüttisellen keine Erstrundenbegegnung im Cup, sondern trauriger Ligaalltag in der NLB. Für meinen Kollegen war das natürlich ein Traum, mal gegen den «grossen» FCZ spielen zu dürfen. Vor dem Spiel haben wir uns am Gitter noch unterhalten; er auf dem Rasen, ich in der Kurve. Es waren vielleicht 600 Zuschauer im Letzi, alle erwarteten einen ähnlichen Kantersieg wie damals gegen Baden. Doch es wurde die grosse Schmach. Nach einer Stunde waren wir 0:3 hinten, Gilli gelang noch der Ehrentreffer. Ein Ehrentreffer gegen einen Dorfverein. Und das, obwohl immerhin Spieler wie Jan Berger, Robert Kok, Ercument Sahin und Marco Grassi für uns auf dem Platz standen. Das war einfach nur ganz, ganz übel. Unvorstellbar, diese Schmach! Da gewinnt ein Lehrlingskollege gegen die Mannschaft meines Herzens, mehrfacher
Schweizer Meister. Ich war einfach nur fassungslos. 1992 wurde der Fanklub «Tigers» gegründet, um der Kurve wieder etwas Leben einzuhauchen. Unser erster Präsident, Antonio Trozzola, brachte das italienische Ultrà-Gut ein. Langsam kehrte die Stimmung zurück, die erste «Südkurve»-Fahne wurde gehängt. Als sich dann Ende der 90er der sportliche Erfolg wieder einstellte, mussten sich viele erst wieder dran gewöhnen, denn viele kannten nur das Leiden. Als wir 1998 erstmals seit 1984 (!) wieder europäisch spielten, gegen Celtic und die AS Roma, war das ein Highlight für mich. Da sah man all diese Gesichter von damals wieder, der Kern der Kurve war wieder vollständig versammelt. Plötzlich war die Kurve wieder gut gefüllt, endlich waren wir wieder Zürich! Doch leider war das erst der Anfang. Neue «Fans» schossen wie Pilze aus dem Boden. Für den Verein war das natürlich ein Segen, für die alte Garde aber auch schmerzhaft. Wir haben die Kurve am Leben erhalten, und wir genossen trotz der Tristesse die familiäre Atmosphäre. Mit der neuen Masse sank unser Stellenwert rapide, die
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Kurve wurde anonym. Und dann noch diese ständigen «Ich bin schon ewig dabei!»-Behaupter, obwohl ich keinen von denen jemals in Emmenbrücke oder sonst wo gesehen habe. Das hat wirklich genervt. Auch deshalb haben sich von denjenigen, die die düstere Zeit wirklich erlebt haben, die meisten mittlerweile aus der Kurve verabschiedet und sind nur noch ab und an im Stadion. Es macht aber auch stolz, was auf unseren Grundsteinen aufgebaut wurde. Wir begannen mit Gesängen, Bannern und Choreografien, heute ist das alles noch viel grösser geworden. Im Gegensatz zu heute hatten wir aber keinen Machtanspruch, und wir nahmen uns auch nicht derart wichtig, wie das die heutige Kurve tut. Da gibt es Leute, die seit ein paar Jahren dabei sind und Parolen wie «Wir sind der Verein!» vom Stapel lassen. Der Verein ist immer grösser als alle Fans, er wird auch noch da sein, wenn die Kurve leer ist. Roger «Udo» Rohr, jahrelanges Mitglied des FCZ-Fanclubs Tigers
Schweigeminuten im Wankdorf
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ls Etoile Carouge am 21. November 1999 ins Wankdorf kam, stand bei YB bereits der vierte Trainer
der Saison an der Seitenlinie: Marco Schällibaum. Die Mannschaft war Drittletzter in der Nationalliga B, und kurz nach dem Anpfiff gab es eine Schweigeminute. Eigentlich gab es damals in jedem Heimspiel eine Schweigeminute, denn stets war gerade ein altgedienter Funktionär verstorben, mitunter hatte auch ein Mitglied eines legendären Meisterteams das Zeitliche gesegnet – immer gab es einen Grund, das Spiel nach zwei Minuten zu unterbrechen und kurz einer in den Fussballhimmel entwichenen YB-Seele zu gedenken. Ich erhob mich kurz und wünschte mir, dass auch mein Name eines Tages im Wankdorf verlesen würde und dass meine Asche auf dem Rasen verstreut werden würde, so es den BSC Young Boys dannzumal noch geben sollte. Das war höchst fraglich, der Klub stand vor der Pleite und dem Zwangs abstieg in die fünfte Liga. Sportlich lief es ebenfalls nicht rund - Solothurn, Kriens und Baden waren zu stark für uns. Der Gang in die NLB-Abstiegsrunde war schon beschlossene Sache, als Carouge kam. Eine eisige Bise drückte die Temperatur an diesem Sonntagnachmittag auf drei Minusgrade, ich fror allein auf der Tribüne und wusste: Ich bin wirklich krank. Schwer krank. Ich bin ein unheilbar kranker YB-Fan. Die anderen Zuschauer – angeblich 1760, in Wirklichkeit höchstens 600 – sassen ebenfalls auf der Haupttribüne, denn der Rest des Stadions blieb
geschlossen: Der Klub hatte kein Geld mehr für die Schneeräumung auf den Stehrampen. Fleissige Helfer hatten den Platz notdürftig von der weissen Last befreit, doch die Unterlage war pickelhart und das Spiel miserabel. Nach zwei Minuten unterbrach der Unparteiische für eine Schweigeminute. Nach vier Minuten traf Thierry Ebe zum 0:1 für die Gastmannschaft, und leider war es da bereits klar: Auch Etoile Carouge war zu stark für uns. YB machte in diesem Winter wirklich sehr unglücklich. Halb erfroren trottete ich nach dem Schlusspfiff Richtung Guisanplatz. Die YB-Wurst lag zentnerschwer im Magen, und plötzlich wurde mir klar, dass man bei eisigem Wind und pickelhartem Platz nicht einmal meine Asche auf dem Rasen verstreuen könnte. Dieser Gedanke deprimierte mich, und ich legte spontan eine Schweigeminute ein. Chrigu «Rrrr» Zingg ist Autor beim famosen Fussball-Blog «Zum Runden Leder». Mehr zur YB-Saison 1999/2000 auf http://super-acht.zueriwest.ch (Punkt 12)
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interview: Michael Silberbauer / Alexander Farnerud
«Man muss nicht unbedingt der Beste sein.»
Interview: Martin Bieri, Christoph Lenz Bilder: Stefan Bohrer
Der eine sammelt Kunst, der andere ist auch ohne glücklich. Michael Silberbauer und Alexander Farnerud dirigieren seit dieser Saison das Spiel der Young Boys. Aber jetzt mal konkret: Wie macht man das? Was geht schief? Und hilft die skandinavische Prägung? ZWÖLF: Ihr beide spielt seit Sommer zusammen, Alexander im zentralen, Michael im defensiven Mittelfeld, manchmal in der Innenverteidigung. Wie entwickelt sich eine solche Beziehung zwischen Nummer 6 und 7? Farnerud: Wir haben uns von Beginn weg gut verstanden. Aber je mehr man miteinander spielt, desto einfacher wird es. Irgendwann weisst du, wie der Kollege agiert, wohin er läuft... Silberbauer: Alex und ich haben sicher Vorteile: Unsere Ansichten über das Spiel sind sehr ähnlich. Wir unterhalten uns
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Training oder, so wie jetzt, beim Mittagessen statt.
auch oft darüber. Vieles läuft auf der verbalen Ebene ab. Aber trotzdem: Damit die Rädchen ineinandergreifen, braucht man Spielpraxis. Das gilt für das gesamte Team.
YB spielt nicht überzeugend. Insbesondere der zweite Pass, jener nach der Angriffseröffnung, scheint ein grosses Problem in der Mannschaft zu sein. Was geht da schief? Farnerud: Ich teile diesen Eindruck. Aber das hat auch mit den Gegnern zu tun. Wir spielen oft gegen Teams, die sehr kompakt hinter der Mittellinie stehen. Da müssen wir uns bewegen, Räume aufmachen. Das sind die schwierigen Spiele: gegen jene Gegner, die einfach nur dastehen und warten, dass du anrennst. Da gibt es kaum Platz. Aber man muss Fussballspiele auf unterschiedliche Weise gewinnen können. Und manchmal ist es leichter, manchmal schwieriger.
Wo tauscht ihr euch aus: im Training, nach dem Mittagessen, während des Spiels? Silberbauer: Immer. Im Spiel trifft man ganz spontane Abmachungen. Im Sinne von: Hey, lass uns dies versuchen. Oder warum läufst du nicht mal diesen Weg. Die Abstimmungen finden aber auch im
Denkt ihr, dass das Spiel der Young Boys durch euch eine skandinavische Prägung erhielt? Farnerud: Skandinavische Spieler unterscheiden sich von südeuropäischen. In Schweden dreht sich schon bei den Junioren alles um das Team. Man wird dazu erzogen, zusammenzuspielen. Die indivi-
duelle Entwicklung ist weniger wichtig als die Kooperation. So gewinnen die Schweden ihre Spiele. Das ist unsere Mentalität.
«Ich bin ziemlich easy.» Alexander Farnerud
Wie ist es in Dänemark, Michael? Silberbauer: Da ist es dasselbe. Es gibt einige gute Spieler, aber keine richtig grossen Stars. Deshalb müssen dänische Mannschaften als Team gewinnen. Das ist wohl die skandinavische Sicht auf den Fussball. Als ich am Anfang meiner Karriere in die Niederlande wechselte, machte ich eine neue Erfahrung: Da gab es immer wieder einzelne Typen, die das Spiel entscheiden konnten. Für mich und Alex ist es aber sicher ein Vorteil, dass wir dieselbe Schule durchlaufen haben. Es scheint, als sei diese Bedeutung des Teamgeists die Verlängerung der skandinavischen Gesellschaft. Es gibt einen starken Sozialstaat, ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl. Farnerud: In Schweden gilt: Was okay ist, ist gut. Man muss nicht unbedingt der Beste sein. Wenn die Nationalmannschaft sich für die Euro qualifiziert, sind alle zufrieden. Sie muss dann nicht auch noch das Turnier gewinnen. Wir Schweden sind genügsam. Und man muss sagen: Die schwedische Gesellschaft funktioniert so ja auch ganz gut. Mit dieser Lockerheit haben die Dänen 1992 die Europameisterschaft gewonnen. Silberbauer: Korrekt. Die gingen kurz vor dem Spiel noch zu McDonalds. Diese Einstellung kann ein Vorteil sein. Aber ich glaube, Alex wollte eher auf die andere Seite hinaus. Der Wettbewerb ist nicht so stark ausgeprägt. Das sagt man auch über die Schweiz. Das Mittelmass wird am höchsten geschätzt. Was vom Durchschnitt abweicht, ist suspekt. Farnerud: So ist es in Schweden.
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Du, Alex, hast im letzten Jahr unglaublich hart für das Team gekämpft. Du hast die Bälle bei der Verteidigung geholt, sie über das ganze Feld getragen und etliche Tore erzielt. Ende Saison hast du aber sehr müde gewirkt. Hat diese Aufopferung für das Team dich als einzelnen Spieler geschwächt? Farnerud: Nun, es ist ja nicht die Meinung, dass man sich selbst schadet. Das Team ist die Grundlage von allem. Aber es ist natürlich trotzdem erlaubt, individuell zu handeln und persönliche Fähigkeiten zur Geltung zu bringen. Oft braucht man sogar Einzelleistungen, um ein Spiel zu gewinnen. Auf dem Feld hast du einen Job, und der muss erledigt werden. Trotzdem bist du immer auch auf der Suche nach dem perfekten Spiel für dich persönlich. Ist es möglich, einen Angriff von A bis Z durchzuplanen? Silberbauer: Im Grunde ja. Aber weisst du, im letzten Drittel des Spielfelds, da gelten andere Gesetze. Farnerud: Es braucht die Überraschung. Silberbauer: Genau. Man muss auch vom Plan abweichen können. Ebenso kannst du einstudieren, wie du im Strafraum angreifen willst. Das hilft den Leuten, die den Ball reinspielen, weil sie wissen, wo die Attacke stattfindet. Aber wann und wie genau der Ball in den Strafraum kommt – das ist nicht planbar. Alex, wie würdest du Michael Silberbauer als Spieler beschreiben? Farnerud: Nervtötend, faul, egoistisch (lacht). Silberbauer: Wie bitte? Farnerud: Nein, er ist ein sehr guter Spieler. Hat ein tolles Auge, spielt gute Pässe, bleibt ruhig am Ball. Und... ja... Und du, Michael, wie ist Alexander Farnerud auf dem Platz? Silberbauer: Obwohl er sehr mannschaftsdienlich spielt, vertraut Alex auf seine Instinkte. Er ist unheimlich schnell, was ihn in viele gute Positionen bringt. Wir haben mit Jakob Larsson gesprochen, einem Jugendfreund von dir,
Michael. Er ist heute Talentscout bei Alborg. Er hat uns erzählt, dass du während deiner Jugendjahre relativ schmächtig gewesen seist und dass du auf allen Positionen gespielt hättest. Sogar im Tor. Stimmt das? Silberbauer: Ja, ich war wirklich lange sehr klein und konnte somit nicht auf körperliche Eigenschaften setzen. Und ja, ich habe viele verschiedene Positionen gespielt. Sogar in der dänischen Nationalmannschaft wurdest du polyvalent eingesetzt. Ist das ein Vor- oder ein Nachteil? Silberbauer: Weisst du, die identische Frage hat mir letzte Woche ein dänischer Journalist gestellt. Nun, das Gute ist auch das Schlechte. Es ist immer ein Vorteil, wenn man auf verschiedenen Positionen einsetzbar ist. So konnte ich auch in Spielen auflaufen, die ich sonst wohl auf der Bank verbracht hätte. Andererseits habe ich dadurch vielleicht bestimmte Qualitäten auf einer Position nicht voll entwickelt. Trotzdem bin ich überzeugt, dass die Spieler im modernen Fussball wieder flexibler werden. Viele, die im rechten Mittelfeld spielen, können heute ohne Weiteres auch in der rechten Verteidigung eingesetzt werden, wie Dani Alves, Scott Sutter.
Alexander Farnerud 27, im schwedischen Helsingborg geboren, begann seine Laufbahn als Profispieler mit 17 Jahren bei Landskrona BolS. Seine Karriere führte ihn über Strasbourg (Racing), Stuttgart (VfB) und Kopenhagen (Bröndby) zum BSC Young Boys. Der offensive Mittelfeldspieler hat ein ansehnliches Palmarès vorzuweisen: Mit Racing Strasbourg gewann er 2005 den französischen Ligapokal, in Stuttgart errang er 2007 den Bundesliga-Titel. Hinzu kommen mehrere Auftritte in der Champions League und im schwedischen Nationalteam. Die Berner Fans haben dem Schweden kurz nach seiner Ankunft den Kosenamen Farni Rüedu angeheftet. Alexander Farnerud lebt mit seiner Familie in der Region Bern. (len)
interview: Michael Silberbauer / Alexander Farnerud ken Flügel gespielt und erinnere mich, dass ich sehr viel zurückgelaufen bin, um meinem Verteidiger zu helfen. Eins gegen eins wäre es schwierig gewesen für meinen Mitspieler. Wenn man Messi auf dem Platz begegnet: Kommt man sich da nicht vor wie ein Tölpel oder ein Elefant? Farnerud: Nein, aber ich weiss, was du meinst. Ich dachte die ganze Zeit nur: Verdammt, der ist schnell. Aber in bestimmten Dingen kann man ihm schon Paroli bieten. Und man ist ja nicht alleine.
Farnerud: Das stimmt. Theo Walcott ist das andere Extrem. Der braucht die Seitenlinie, damit er weiss, in welche Richtung er laufen muss. Gibt es Spieler, die ihr besonders bewundert? Farnerud: Für mich ist das gesamte Team des FC Barcelona ein Wunder. Silberbauer: Es gibt ja viele Diskussionen darüber, wer der beste Spieler der Welt ist. Messi oder, ähm, wie heisst er noch? Ronaldo. Für mich ist der beste Spieler aber Xavi. Ich glaube auch, dass
er der wichtigste Mann bei Barcelona ist. Farnerud: Man darf das Team nicht vergessen. Beide, Messi und Ronaldo, glänzen nur, wenn sie mit herausragenden Teams spielen. Die Teams brauchen Messi, und Messi braucht das Team. Du, Alex, hast während deiner Zeit beim VfB Stuttgart zweimal gegen Messi gespielt. Wie war das? Farnerud: Stimmt, im Winter 2007. Man muss sehr kompakt sein. Es braucht immer zwei um ihn herum. Ich habe am lin-
Du hast im Sommer 2007 mit Stuttgart den Bundesliga-Titel gewonnen, dabei hast du aber oft auf der Bank gesessen. Wie fühlt sich das an? Farnerud: Man ist ein Team, man gewinnt als Team. Aber klar, wenn man nicht oft spielt, ist man am Erfolg nicht so beteiligt. Trotzdem gab es aber einige Spiele, in denen es eine Rolle spielte, dass ich da war. Einmal wurde ich beim Stand von 1:1 eingewechselt. Mir gelang ein Assist. Wir gewannen das Spiel. Insofern – okay, ich spielte nicht oft, aber ich habe trotzdem dazu beigetragen, dass wir Meister wurden. Ich war Teil dieser Mannschaft. Und ohne die Bank sind die ersten elf auch nicht dieselben. Bei Verletzungen oder Sperren geht es nicht ohne die Reserven. Wie war dein Verhältnis zu Armin Veh? Farnerud: Nur ein Wort: schwierig. Schwierig? Farnerud: Wie ich schon sagte: Der Konkurrenzkampf war wirklich hart. Dass wir die Meisterschaft gewonnen haben, war eine Sensation. Klar hatten wir auch mal Glück. Aber das Team war stark. Zu Beginn haben wir einige Spiele verloren. Und dann haben wir plötzlich angefangen, zu
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gewinnen. Genau als ich verletzt war. Veh hat dann einfach an seiner Stammelf festgehalten. Silberbauer: Never change a winning team.
«Das Gute ist auch das Schlechte.» Michael Silberbauer
Stimmt das Sprichwort? Silberbauer: Ich finde nein. Aber manche glauben daran... Farnerud: ...Veh, zum Beispiel. Aber man kann ihm ja nichts vorwerfen, schliesslich wurden wir Meister. Erst in der zweiten Saison gab es Schwierigkeiten. Vehs Meistermannschaft kam nicht mehr richtig in Form. Es ging auf und ab. Für mich war es eine schwierige Zeit. Ich bin froh, dass sie vorbei ist. Was sind die Qualitäten von Christian Gross? Silberbauer: Er ist sehr selbstbewusst und sehr leidenschaftlich. Wann immer wir ins Training kommen: Gross ist schon da. Wann immer wir am Abend das Stadion verlassen: Gross ist immer noch da. Er sieht unglaublich viele Spiele und weiss, was er will. Farnerud: Er hat viel Erfahrung. Ihr vertraut Christian Gross? Farnerud: Ja. Silberbauer: Es ist einfacher, einem Trainer zu vertrauen, der eine klare Vorstellung seiner Ziele hat. Michael, wir haben gehört, dass du Kunst sammelst. Silberbauer: Mmh. Was genau sammelst du? Silberbauer: Moderne Kunst.
mich einmal an eine Vernissage eingeladen. Da habe ich ein Gemälde gekauft. Ich hängte es zu Hause auf. Es gefiel mir. Das erste Werk war also keine Investition. Es war einfach schön. Wie heisst der Künstler? Silberbauer: Ein Norweger namens Bjarne Melgaard. Er hat einige Sachen in London gemacht. Kommt ursprünglich aus Australien. Ich mag seine Sachen. Er ist ziemlich durchgeknallt. Kennst du ihn persönlich? Silberbauer: Nein. Aber ich habe einige Dinge über ihn gehört. Ich habe dann ein zweites Werk gekauft und ein drittes. Und irgendwann habe ich eine Investition getätigt.
Wir finden das gerade sehr interessant. Das Klischee ist ja, dass Fussballer einen eher extravaganten Lebensstil pflegen. Und mit deiner Erscheinung könntest du dieses Klischee gut erfüllen. Farnerud: Wenn ihr unbedingt was wollt, worüber ihr schreiben könnt: Ich mag Autos.
Was war diese Investition? Silberbauer: Meine grosse Investition ist ein Gemälde von... einem Amerikaner, der vor einigen Jahren gestorben ist... Wie heisst er noch? ... Robert, Robert irgendwas. Rauschenberg! Natürlich. Pop-Art. Nicht im Stil von Andy Warhol, aber trotzdem.
Okay. Farnerud: Ja, ich hatte über die Jahre so einige Autos.
Eine anständige Investition. Rauschenberg ist nicht gerade billig. Silberbauer: Nein, gar nicht.
Du fährst Citroën? Farnerud: Exakt.
Der Rauschenberg hängt jetzt bei dir zu Hause an der Wand? Silberbauer: Nein. Er ist im Safe. Gehst du manchmal zur Bank, um ihn dir anzuschauen? Silberbauer: Bis jetzt habe ich das noch nicht getan. Das Werk ist in Dänemark. Am besten ist es natürlich, wenn mir die Dinge gefallen und sie erst noch als eine Investition taugen.
Gemälde? Gemälde.
Alex, was sammelst du? Farnerud: Briefmarken! Ich liebe Briefmarken.
Und warum? Silberbauer: Ja, warum eigentlich? (lacht) Farnerud: Das war auch meine erste Frage. Silberbauer: Ein Freund von mir hat
Wirklich? Farnerud: Nein. Ich sammle nichts. Silberbauer: Du sammelst Geld. Farnerud: Nein. Das Geld spare ich.
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David Degen hat in ein Zürcher InLokal investiert. Und ihr habt ein Sparkonto? Silberbauer: Sparkasse Landskrona (lacht). Farnerud: Nein. Ich habe mich für Immobilien interessiert. Aber eigentlich will ich nur Fussball spielen und Geld auf die Seite legen. Das ist alles. Da gibt es nichts Interessantes zu erzählen.
Neue? Alte? Farnerud: Neue. Aber im Moment stellt uns ja der Klub ein Auto zur Verfügung. Daher läuft da im Moment gerade nichts.
Michael Silberbauer Seit letztem Sommer spielt der 31-jährige Michael Silberbauer bei den Young Boys. Der dänische Nationalspieler begann seine Karriere bei Aalborg BK. 2004 wechselte er zum FC Kopenhagen, mit dem er Cup und Meisterschaft gewann. 2008 bis 2011 stand er beim FC Utrecht unter Vertrag. In allen seinen Klubs wurde er nach kurzer Zeit zum Captain ernannt und galt als Leistungsträger. In Bern vermochte er seinen guten Ruf noch nicht zu bestätigen. Ilja Kaenzig beschreibt Silberbauer als «intelligent und bodenständig», als «ehrlichen Kerl». Er will nicht glauben, dass Silberbauer bei den Young Boys auf die Länge nicht reüssieren wird. (mab)
interview: Michael Silberbauer / Alexander Farnerud nicht in der Stammelf. Ich hatte keine feste Position. Du bist total glücklich? Farnerud: Ja. Meiner Familie gefällt es in Bern, mir gefällt es. Michael, du bist ja nicht verheiratet. Deine Freundin studiert an der Universität. Silberbauer: Nein, sie wollte sich zwar an der Uni in Bern einschreiben, aber ihre Kombination wird hier nicht angeboten. Sie hat soeben ihren Bachelor gemacht in Philosophie und Betriebswirtschaft. Eine eigenartige Kombination, nicht wahr?
Ist das nicht langweilig? Farnerud: Na ja, es ist ein gutes Auto. Und ich habe ja eine Familie, für die ist es perfekt. Trotzdem gibt es da noch diesen kleinen Teufel in dir… Farnerud: Der Autos mag, ja.
Für mich ist das das Wichtigste. Wie ich sagte: Ich war in Stuttgart, anschliessend bei Bröndby Kopenhagen. Ich hatte Schwierigkeiten, einen Klub zu finden, wo ich mich wohlfühlte, regelmässig spielte und so weiter. Im Moment bin ich hier, ich spiele, es läuft gut.
Als du in Bern ankamst, waren viele von deinen Tattoos und deinen Frisuren beeindruckt. Man dachte: Aha, ein Rockstar. Farnerud: Ach was, ich bin ziemlich easy. Ich habe meinen Citroën, meine Familie.
Bitte schön, etwas anderes hat man ja noch nie gehört von einem Spieler. Farnerud: Nein, wenn du mir dieselbe Frage gestellt hättst, als ich noch bei Bröndby war, hätte ich nicht so geantwortet. Weil es nicht gut lief. Ich war
Muss eine Spielerfrau ihre Ansprüche zurücknehmen, um des Fussballs willen? Silberbauer: Nein. Farnerud: Es kommt auf die Frau an. Das ist unterschiedlich. Silberbauer: Ich würde meiner Freundin nie erlauben, sich einfach zurückzulehnen und nichts zu machen. Ich will, dass sie auch vorwärtskommt. Aber es gibt schon komische Situationen. Meine Freundin zum Beispiel muss ihren Master jetzt vielleicht in Dänemark machen, weil es hier kein Angebot gibt. Für mich kommt es nicht darauf an, ob sie zwei Jahre braucht oder dreieinhalb. Wenn sie einen Job bei einem Unternehmen suchen will: wunderbar. Selbst wenn sie keinen Lohn bekommt. Es ist wichtig, dass die Spielerfrauen auch machen können, was ihnen gefällt. Michael, du selbst machst derzeit auch noch ein Studium. Was studierst du? Silberbauer: BWL. Ein Fernstudium. Und das ist vereinbar mit dem Profifussball? Silberbauer: Es dauert ein bisschen länger als üblich. Aber es geht.
Joey Barton: das Twitter-Monster
Text: Peter Balzli Bild: Keystone
Er ist kein brillanter Fussballer. Aber wenn er twittert, dann lesen alle mit. Der Ex-Häftling Joey Barton hält die Premier League in Atem.
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r hatte das Zeug dazu, einer der ganz Grossen der Premier League zu werden: 2003 wird er in die U21-Nationalmannschaft berufen. 2004 wählen ihn die Fans seines Vereins zum besten Jungprofi des Jahres. Doch Joey Barton geht nie den Weg, den ihm andere vorzeichnen. Aufgewachsen in Huyton, einem der härtesten Viertel von Liverpool, legt er sich gern und oft mit Gegnern, Schiedsrichtern, Trainern und Vereinsmanagern an. Immer wieder streckt er Gegner mit Faustschlägen und hinterhältigen Fouls nieder. Immerhin: In einer Disziplin ist er ein ganz Grosser: im Twittern. Sein Debüt in der Premier League hätte er für Manchester City eigentlich schon im November 2002 machen sollen. Doch Barton vergisst in der Halbzeit sein Leibchen auf der Ersatzbank, und als er aufs Feld soll, findet er das Shirt nicht. So kommt er erst fünf Monate später zu seinem ersten Pflichtspiel in der höchsten Liga. Doch kurz darauf sorgt er für einen Skandal: An der Weihnachtsfeier der Mannschaft drückt er eine brennende Zigarre ins Auge von Jugendspieler Jamie Tandy. Der Verein erwägt eine Entlassung Bartons, gibt ihm aber eine letzte Chance. Auch auf dem Spielfeld macht Barton oft mit seiner Brutalität von sich reden. Sein
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Halbbruder Michael übertrifft ihn in dieser Hinsicht indes bei Weitem: 2005 wird dieser zu lebenslanger Haft verurteilt für die rassistisch motivierte Ermordung von Anthony Walker. Das Opfer wird mit einer Axt im Schädel aufgefunden. 2007 wechselt Joey Barton von Manchester City zu Newcastle United. Bereits im ersten Tyne-Wear-Derby gegen Sunderland foult er seinen Gegenspieler Dickson Etuhu so schwer (genauer: er tritt ihn mit voller Absicht ins Gemächt), dass die Medien die endgültige Sperrung von Barton fordern. Im gleichen Jahr, zwei Tage nach Weihnachten, schlägt er in der Liverpooler Innenstadt einen Fan brutal zusammen – angeblich, weil dieser Trainer und Mannschaft beschimpft habe. Für diese Attacke wird Barton zu sechs Monaten Haft verurteilt, schon nach 74 Tagen wird er aber entlassen. Während seiner Zeit in Newcastle beginnt Bartons Twitter-Karriere. So oft wie kaum ein anderer Spieler kommentiert er per Mobiltelefon den englischen Fussball und setzt sich immer wieder mit kontroversen Sprüchen in die Nesseln. Schnell bekommt er eine grosse Gefolgschaft. In der politisch korrekten Welt der Premier League sind die Pressekonferenzen vor den Spielen meist sterbenslangwei-
Joey Barton Geboren am 2. September 1982 Grösse 175 cm Position Mittelfeld Vereine: Bis 1996 FC Everton 1997–2007 Manchester City 2007–2011 Newcastle United Seit 2011 Queen’s Park Rangers Nationalmannschaft: 2003 England U21 (2 Spiele) 2007 England (1 Spiel)
lig. Weil die englische Presse aus jedem Hauch einer Kritik eine möglichst gehässige Schlagzeile macht, sind die übervorsichtig abgesonderten Statements der Spieler meist schlicht zum Einschlafen. Aus diesem Grund stürzen sich die Journalisten Woche für Woche auf Bartons Twitter-Kommentare. Dessen zahlreiche Rechtschreibefehler stören die Fans wenig. Mittlerweile hat der Mittelfeldspieler fast 1,4 Millionen Follower. Doch als er im Sommer 2011 die Vereinsführung von Newcastle per Twitter kritisiert, platzt dieser der Kragen. Barton wird gegen seinen Willen auf die Transferliste gesetzt. Viele fragen sich, weshalb Twitter im Spitzenfussball so erfolgreich ist. Die Antwort ist einfach: In einer Zeit, in der es zwischen Spielern und Fans fast keinen Kontakt mehr gibt, bringt Twitter die beiden (scheinbar) wieder zusammen. Sie können auf eine fast intime Weise kommunizieren, ohne sich physisch nahe zu kommen. Deshalb folgen Millionen von
unser mann in Rubrik london
Fussballfans den Twitter-Sprüchen ihrer Idole. Und die Stars nutzen das soziale Netzwerk, um ihren Fans das Gefühl von Nähe zu vermitteln. Klar, dass mit der Zahl seiner Follower auch der Wert eines Spielers auf dem Werbemarkt steigt. Social Media mit Risiken Doch Twitter hat seine Risiken: Nachdem der Newcastle-Verteidiger José Enrique seinen Fans, und damit natürlich auch dem gegnerischen Trainer, per Twitter mitgeteilt hatte, dass er im Spiel gegen Tottenham verletzt ausfallen werde, verbot die Vereinsführung TwitterSprüche mit aktuellen Informationen über die Mannschaft und Verletzungen. Die meisten Vereine haben diese Politik mittlerweile übernommen. Twitter ist beliebt unter Fans und Journalisten. Aber Twitter ist auch ein wildes Tummelfeld für Rassisten und Idioten aller Art. Immer wieder wünschen irre Fans ihren Gegnern per Twitter öffentlich Krebs und Krätze an den Hals. Der Tottenham-«Fan» James Crispin wünschte kürzlich dem neugeborenen Baby von Arsenal-Spieler Jack Wilshere den Plötzlichen Kindstod. Crispins Twitter-Konto wurde gesperrt, verurteilt wurde er nicht. Doch langsam erwacht die Justiz. Der Student Liam Stacey wurde Ende März von einem Gericht in Wales zu 56 Tagen Haft unbedingt verurteilt, weil er nach dem Kollaps von Bolton-Spieler Fabrice Muamba beleidigende und rassistische Äusserungen getwittert hatte. Ob die Gerichte indes auf die Dauer imstande sein werden, die gewaltige Flut von TwitterSprüchen auf ihre Gesetzmässigkeit zu überprüfen, muss sich erst noch weisen. Zurück zu Joey Barton: Nach seinem Rausschmiss bei Newcastle wechselt das «Twitter-Monster» (wie ihn der Sportkommentator der «Times» nennt) im letzten Sommer zu den Queen’s Park Rangers. Auch in Westlondon twittert Barton munter weiter. Als sein Trainer Neil Warnock gefeuert wird, macht dieser auch Bartons Twitter-Sprüche für seinen unschönen Abgang verantwortlich. Barton überlegt nicht lange und macht Warnock per Twitter vor aller Welt lächerlich.
Doch Barton treibt es noch weiter: Als Chelsea-Captain John Terry kurz darauf wegen einer rassistischen Äusserung gegen QPR-Spieler Anton Ferdinand offiziell angeklagt wird, tritt Barton gegen Terry per Twitter nach. Das findet zwar viel Beachtung, doch für den Richter sind Bartons Twitter-Sprüche ein klarer Fall von «contempt of court», also die Missachtung des Gerichts. Im Klartext: Bartons Sprüche beeinflussen den Richter und verunmöglichen nach englischer Rechtsauffassung einen fairen Prozess. Barton droht jetzt eine Verurteilung. Doch das Raubein twittert sogleich: «Ich gehe noch so gerne einen Monat ins Gefängnis im Namen der Redefreiheit. Ich habe kein Problem damit. Macht ruhig einen Märtyrer aus mir!» Und: «Wollen sie denn jeden in den Knast werfen, der seine Redefreiheit ausübt? Es wird eine Revolution geben, wenn die so einen Scheiss versuchen.»
Barton ist mittlerweile mit Sicherheit einer der bekanntesten Spieler der Premier League. Für viele Fussballfans unverständlich, ist er bei QPR sogar zum Captain aufgestiegen. Doch die Tabelle lügt bekanntlich nie: Die Rangers befinden sich derzeit auf einem Abstiegsplatz.
Die Meistgelesenen Acht Premier-League-Spieler haben über eine Million Twitter-Follower: 1. Wayne Rooney (Man Utd.) 3 700 562 2. Rio Ferdinand (Man Utd.) 2 489 053 3. Sergio Agüero (Man City) 1 723 230 4. Joey Barton (QPR) 1 362 853 5. Jack Wilshire (Arsenal) 1 356 630 6. Robin van Persie (Arsenal) 1 283 110 7. Michael Owen (Man Utd.) 1 212 418 8. Nani (Man Utd.) 1 016 124 Der erfolgreichste Twitterer unter den Fussballspielern weltweit ist übrigens Kaká (Real Madrid) mit 9 381 025 Followern.
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Schweizerreise
Ein Leben lang Text: Michele Coviello Fotos: Hannes Heinzer
Wer den FC Wettingen kennenlernt, wird ihn nie vergessen. Auch wenn er heute in den Tiefen des Amateurfussballs kickt – sein Name wird immer mit dem demjenigen von Diego Armando Maradona verbunden bleiben. Die Geschichte einer grossen Legende aus dem kleinen Mittelland.
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vom Etui und wünschte mir auf Weihnachten ein Trikot des FC Aarau.
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anchmal kann ich nicht anders. Manchmal kann ich die Ich-Form nicht weglassen. Denn es gibt Geschichten, die wir nicht nur aus Interesse oder Pflicht niederschreiben. Es gibt Geschichten, die mehr sind, die ein Teil der eigenen Vergangenheit darstellen. Deshalb schreibe ich hier auch ein wenig über mich, über einen Primarschüler im Herzen des Aargaus der 1980er-Jahre, der auf dem Pausenhof und auf dem Vorplatz seines Wohnblocks nichts anderes tat, als zu rennen und mit dem linken Fuss auf schlecht gepumpte Fussbälle zu dreschen. Und wenn er im Klassenzimmer stillsitzen musste, so träumte er von vollen Stadien, von europäischen Spielen am Mittwochabend, unter Flutlicht. Und er schaute dabei auf sein Etui, auf das er einen kleinen Kleber geleimt hatte, ein Abzeichen des FC Wettingen. Er war die Nummer 1 der Umgebung, mischte damals die Nationalliga A auf und hätte fast den SSC Napoli aus dem UEFA-Cup geworfen. Wettingen weckte meine ersten Gefühle. Man sagt, dass Männer im Leben ihre Frauen wechseln, den Klub aber nie. Ich habe den FC Wettingen betrogen. Nach dem Höhepunkt in Napolis San Paolo kam der Fall: Wettingen steigt in die NLB ab, Wettingen geht in Konkurs. Was wir neulich mit Xamax erlebt haben, widerfuhr dem FC Wettingen um ein Mehrfaches härter – Wettingen musste 1993 in der 5. Liga neu beginnen. Ich kratzte den Kleber
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Gegen Schöftland um die Existenz Nicht alle waren so untreu. Einige sind geblieben. Fast 20 Jahre später kehre ich auf die Altenburg zurück. Das Wettinger Stadion liegt mitten in einem Wohnquartier, in der Nähe des Bahnhofs, an dem nur ein Regio-Express und Bummler halten. Viel Grün, einige Einfamilienhäuser, kleine Blockbauten aus den 60er-Jahren, moderne Siedlungen von heute mit gelber Fassade und grossen quadratischen Fenstern. Es ist ein ruhiger Samstagabend in der am stärksten besiedelten Gemeinde des Kantons, die trotz ihrer rund 20 000 Einwohner nie eine Stadt werden wollte. Früher, zu Zeiten der NLA, musste man weit weg parkieren und lange bis zum Stadion gehen. Heute kann man gleich dahinter anhalten. Denn heute spielt der FC Wettingen in der 2. Liga inter regional. Darüber hinaus ist er nie mehr gekommen. Auch dort kämpft er um seine Existenz. In der vergangenen Saison feierten die Ostaargauer den Ligaerhalt in der letzten Runde. Auch jetzt wehren sie sich gegen den Abstieg und stehen dicht unter dem Strich. Jedes Spiel ist wichtig, besonders das heutige Derby gegen den SC Schöftland. Präsident Hans-Peter Odermatt hat eine Stunde vor Anpfiff die Mannschaft in ihrer Kabine besucht und kehrt nun zurück auf den Rasen. Kräftig schüttelt er die Hand. Anpacken, das ist er sich gewohnt. Er war einer, der gekommen ist, als viele gegangen waren. Drei Jahre nach dem Konkurs stiess er als Juniorenobmann zum Klub. Seit 2008 ist er nun auch der Präsident. Der ehemalige Finanzchef einer regionalen Bank ist heute selbstständiger Vorsorgeberater und widmet seine Freizeit dem FC Wettingen und dem Stadion Altenburg. Für rund eine halbe Million hat die kleine Arena im vergangenen Jahr ihren Anblick verschönert. Sie gleicht einer gesetzten Dame, die ihre Haut hat straffen lassen – die Spuren der Zeit sind trotzdem nicht ganz weg. Aber die Altenburg macht einen aufgeräumten Eindruck. Die Haupttribüne aus dem Jahr 1962 besticht durch schöne Formen und den neuen Anstrich; die Gegentribüne mit 1000 Plät-
zen habe man aus optischen Gründen stehen lassen, sagt Odermatt. Seit Jahren ist sie aber zur Sicherheit geschlossen. Sie blieb es auch, als neulich der FC Kosova zu Gast war und die Altenburg mit 1250 Zuschauern so viele Zuschauer wie seit Langem nicht mehr erlebte. «Das ist auch etwas wert» Der Alltag ist anders. Für 8 bis 12 Franken kommen hier an den samstäglichen Heimspielen zwischen 120 und 250 Zuschauer. «Mehr nicht», sagt Odermatt, während wir auf der Terrasse des Corner-Clubs stehen. Links von der Haupttribüne versammeln sich hier Sponsoren und Donatoren, essen kleine Sandwiches mit Bündnerfleisch, trinken Rotwein und rauchen Zigarren. Viele davon gibt es allerdings nicht. Hans-Peter Odermatt lässt seine offene rechte Hand von links nach rechts über das Spielfeld schweifen und zeigt damit auf die Banden. Was mir bisher nicht aufgefallen war, ist erschreckend. «Sie sind fast alle leer», sagt Odermatt. Nur wenige hinter dem Tor und in der Mitte des Spielfeldes sind bedruckt. Der Rest: weiss. Es sei ein Kampf, neue Geldquellen zu gewinnen. «Wir wollen gesund bleiben», sagt Odermatt, «und haben unsere Mittel.» 350 000 Franken beträgt das Budget des gesamten Vereins. Lohn gibt es keinen für die Spieler, wie das etwa bei Zürcher Klubs der gleichen Division der Fall ist. «Wir sind dafür auf der Altenburg», sagt Odermatt bestimmt, «hier darf man in einem Stadion auf einem guten Platz spielen. Der alte Geist und unsere Geschichte sind auch etwas wert.» Und die Umsorgung der Spieler auch. Der Verein stellt sämtliche Trainingskleidung und wäscht sie, das Trainingslager ist bezahlt. Dazu gibt es ein Paar Schuhe und einen Teller Pasta im Tribünencafé nach den Spielen. «Das wars», sagt Odermatt, beisst in ein Sandwich und wartet auf das Spiel. Jerry Girardi hört zuerst dem Präsidenten zu und fährt dann selber fort. Auch er lebt sein Leben lang mit diesem Verein. «Seit über vierzig Jahren bin ich dem FC Wettingen verbunden», sagt er. Als siebenjähriger Knabe trat er dem Klub bei. Nach dem Konkurs war Girardi drei Jahre lang als Junio renobmann im Gründungsvorstand
Schweizerreise: Wettingen des neuen FC Wettingen 93 tätig. Ab diesem Sommer wird das ungeliebte Anhängsel «93» wieder ausradiert, weil es zu fest an den Niedergang erinnert. Girardi ist der Sportliche Leiter des Vereins, der 280 Junioren, 80 Aktive und insgesamt 600 Mitglieder zählt. «Das alles funktioniert nur dank unseren zuverlässigen Trainern und der grossen Unterstützung aller Helfer», sagt Girardi. Wir verschieben uns vom Corner-Club in die Katakomben. Die Mannschaften sind nach dem Einlaufen zurück in der Kabine. Girardi kündigt schon an, dass er bald unser Gespräch unterbrechen werde, um vor dem Anpfiff bei der Mannschaft zu sein. Dul-X steigt uns in die Nasen und vermischt sich mit dem Geruch feuchter Erde, der in der Dämmerung vom Platz her ins Gebäude strömt. Auf diesem Rasen entsteht zurzeit eine neue Generation. Im vergangenen Sommer haben sich die Wettinger Führungskräfte für einen Umbruch entschieden. «Wir haben nun zehn A-Junioren, die regelmässig in der 1. Mannschaft spielen», sagt Girardi. Diese Wende sei schon lange im Raum gestanden, nun habe sie der Trainer Peter Traber auch umgesetzt. Aber die Punkte fehlen. Noch nie hat Wettingen in dieser Saison gewonnen. «Wir sind trotzdem guten Mutes, dass es aufgeht», sagt Girardi. Die Nachwuchsförderung hat im Verein schliesslich Tradition. «Zu Zeiten der NLA war Wettingen eine gute Adresse im Nachwuchsbereich», erinnert sich Girardi, «damals standen unsere Inter-Teams auf einer Stufe mit GC und dem FC Sion.» Heute verliere man aber schon viele Talente im E-Junioren-Alter an den FCZ, an GC und ans Team Limmattal – an die zehn pro Jahr. Noch wenige Minuten fehlen zum Anpfiff. Girardi geht zur Mannschaft. Der König im Tribünencafé Auch an diesem Samstag fehlt ihr aber die letzte Entschlossenheit. Schöftland steigt hart ein, tut fast nichts und geht nach einem Konter in der 39. Minute in Führung. Kurz nach der Halbzeit schiessen die erfahreneren Gäste auch das 2:0. Auf den Stehrängen beginnt der Stromkasten eines Mastes zu surren. Das Flutlicht geht an, während ein Mann mit dem historischen Blacky-Dress aus dem Jahr 1989, zahlreichen Fussball-
Schals und einer Wettingen-Wollmütze einsam auf der Gegengerade steht und lauthals über den Platz schreit. Seine Unterstützung hilft nichts. Wettingen verliert zum neunten Mal in dieser Saison. Präsident Hans-Peter Odermatt diskutiert im Corner-Club. Man versuche, mit dieser ganz jungen Mannschaft und den beschränkten finanziellen Mitteln das Niveau zu halten. «Aber wir müssen realistisch bleiben», sagt Odermatt, «vielleicht müssen wir mit der 2. Liga planen.» Das wäre zu bedauern. Ein Drama wäre es nicht. Im Tribünencafé essen die Spieler Penne. Bestimmt wissen sie, dass an einem dieser Tische einst der König des Fussballs gefrühstückt hat – Diego Armando Maradona. Aber das war in einer anderen Ära des FC Wettingen, von der sie kaum noch etwas wissen. Salvatore Romano kennt sie hingegen bestens. Der heutige Assistenztrainer des GC spielte von 1988 bis 1992 in Wettingen. Inzwischen ist Montag. Die Sonne scheint, und Romano strahlt, wenn er durch das Gittertor die Altenburg nach jahrelanger Abwesenheit wieder betritt. Er schaut hoch zu den Sitzplätzen, blickt über den Rasen zur Gegentribüne und sagt: «Ein schönes Stadion.» Sogleich erkennt er e inen alten Weggefährten und setzt zu einer lautstarken Begrüssung an. Reto Turner war damals Betreuer der 1. Mannschaft und hat seit über dreissig Jahren den Verein nie verlassen. Neulich wurde der 68-Jährige zum Ehrenmitglied gewählt. «Das hat mich sehr gefreut», sagt er in seinem breiten Bündner Dialekt. Heute macht er einige Reparaturen im Stadion, hilft dem Platzwart, wenn eine Arbeit ansteht. Romano und Turner beginnen sich über ihre ausgefallenen Trainingslager in Mexiko, Kuala Lumpur und an der Amalfi-Küste zu unterhalten. Dann tigert er weiter an seinem ehemaligen Arbeitsplatz herum, schaut ins einstige Sekretariat, besichtigt den veralteten, aber funktions tüchtigen Kraftraum, schnuppert die Luft der geräumigen Kabine. Damals in der Disco Mirage Links beim Eingang war der Platz des damals jungen Stürmers. «Die Stimmung war sehr familiär», sagt Romano. Noch heute
hat er viele gute Kumpels aus jener Zeit, Martin Rueda und Jörg Stiel etwa. «Der grösste Teil der Mannschaft verbrachte viel Zeit zusammen und jasste.» Heute seien im Car alle mit ihren Laptops und Handys beschäftigt. Gehe man mit dem Team essen, würden alle schon nach fünf Minuten auf ihr Telefon schauen. «Fertig Schieber», sagt Romano. Die Spieler des FC Wettingen assen hingegen oft gemeinsam und verbrachten die freien Stunden in den Bars der Gemeinde. «Wir waren überall drin, haben uns mit diesem Ort identifiziert.» Ja, Wettingen wurde gar zum Zentrum des Nachtlebens der Schweizer Fussballszene. Die Disco Mirage bei der Autobahnausfahrt war jeweils in der Nacht auf Donnerstag voller Kicker. «Sie kamen von überall her», sagt Romano, «sogar aus Lugano.» Den Erfolg habe der FCWvon damals dem Spirit in dieser Kabine zu verdanken. «Als kleiner Verein schafft man das nur durch den Zusammenhalt, nur dadurch», sagt er mit Nachdruck, «man muss es allen zeigen wollen.» Das taten die Wettinger. Nach ihrem dritten NLA-Aufstieg der Geschichte erreichen sie 1989 den 4. Platz und damit den UEFACup. «Wenn der Fall Sion nicht gewesen wäre...», sagt Romano. Er bezieht sich auf den 7. Oktober 1989. Wettingen liegt im Tourbillon 0:1 im Rückstand. Rueda startet in der 93. Minute einen letzten Angriff, bezwingt den Sittener Goalie mit einem Heber. Doch während der Ball ins Tor fliegt,
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Schweizerreise: Wettingen
Salvatore Romano spielte von 1988-1992 mit Wettingen in der NLA.
pfeift Schiedsrichter Bruno Klötzli die Partie ab. Die Wettinger Spieler verfolgen ihn über den Platz, treten und schlagen nach ihm. Alex Germann, Reto Baumgartner, Martin Frei und Roger Kundert erhalten dafür Strafen von sechs Monaten bis zu einem Jahr. Frei und Kundert beenden damit die Karriere. «Danach ging es bachab», sagt Romano. Betrug an Allerheiligen Aber wahrscheinlich hatte der Niedergang schon im Sommer begonnen. Präsident Hubert Stöckli verdiente mit Spielautomaten gutes Geld. Was er dort gewann, setzte er gerne wieder ein: für den Radsport, für
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viele lokale Vereine, aber vor allem für seinen FC Wettingen. Und das nicht zu spärlich. Gerade in der Saison 1989/90 ging er aufs Ganze – all in. Für den UEFA-Cup holte er Trümpfe wie den Serie-A-Stammspieler Dan Corneliusson aus Como und Andreas Löbmann von 1860 München. Das Risiko zahlt sich vorerst aus. Wettingen setzt sich in der ersten Runde spielend gegen die Iren aus Dundalk durch. Dann kommt das grosse Los: der SSC Napoli mit dem damals grössten Fussballer aller Zeiten, Diego Armando Maradona. Elf Tage nach dem Skandal von Sion frühstückt der Weltmeister 1986, italienische Meis-
ter 1987 und UEFA-Cup-Titelverteidiger vor dem Training im Tribünencafé der Altenburg, mit Blick auf die Wettinger Trophäenvitrine. Am Abend bleibt er im Letzigrund wirkungslos. Die Aargauer erzielen ein 0:0. Zum Rückspiel vom 1. November 1989 reist Wettingen im Privatjet an. «Nur vom Feinsten», sagt Romano. Die TV-Stationen warten schon am Flughafen. Maradona ist intern gesperrt. Und Wettingen greift im San Paolo frech an, geht mit Brian Bertelsen in Führung. Heldmann, Löbmann und Corneliusson vergeben unglaubliche Chancen zum zweiten Aargauer Tor. Baroni gleicht zu Beginn der zweiten Hälfte aus. Aber Napoli wäre immer noch ausgeschieden. Wäre, denn der maltesische Schiedsrichter Azzopardi zaubert einen inexistenten Penalty hin. Mauro verwertet. Wettingen scheidet aus, und das «Aargauer Tagblatt» titelt: «Betrug an Allerheiligen». Felix Bingesser hatte damals den Artikel geschrieben. Der heutige Sportchef der Blick-Gruppe sieht den FCW-Niedergang in jener Niederlage: «Hätte Wettingen tatsächlich Napoli eliminiert und einen weiteren attraktiven Gegner erhalten, wäre vielleicht alles anders gekommen.» Doch es kam nicht gut. Anfang der 1990er-Jahre wird das Glücksspiel beschränkt, nur noch ein Automat darf pro Lokal in Betrieb sein. Stöcklis Imperium bröckelt, mit ihm auch der FC. Zweimal schaffen es die Wettinger, sich in der Auf-/Abstiegsrunde zu retten. Aber 1992 verlieren sie schliesslich die Erstklassigkeit. Hubert Stöckli ist schon ein Jahr zuvor mit rund 3 Millionen Schulden abgetreten. In der NLB kommt der Konkurs. Später verlor Stöckli zahlreiche Immobilien und sein Geschäft mit den Automaten. Vor zwei Jahren verstarb er. Salvatore Romano sitzt inzwischen an der Bar des Corner-Clubs. Wir schauen uns Teamfotos an. Hubert Stöckli steht mit Anzug und Krawatte neben seiner Mannschaft. «Was Hubi alles für den Verein getan hat», schwärmt Romano, «Hubi hat dir das Herz geschenkt.» Alles sei von ihm abhängig gewesen. Er habe ein schönes Leben mit dem FCW gehabt. «Aber er hat auch gelitten, als alles kaputt ging.» Auch das wohl ein Leben lang.
Das schwarze Brett
Der neue Trainer
von Marcel Koller, hat Fritz Schmid, derzeit Assistent Buch über den ein mit «Vom Sager zum Frager» Fussball hat sich Der n. iebe «neuen» Trainer geschr ren stark gewandelt. bekanntlich in den letzten Jah en. Doch die vor zwanzig Er ist zum Kommerz geword hine hat auch seine asc Jahren angelassene Geldm Geldgeber eine hohe vorteilhaften Seiten. Weil die dite verlangen, wanWahrscheinlichkeit für ihre Ren men Schritten und gsa delt sich der Fussball mit lan en Sportart. Dieser isch teg stra r eine fast unbemerkt zu liziert, dass die Akteure (wissenschaftliche) Weg imp mehr nur noch von der dieses famosen Zirkus nicht . den wer Unterschicht gestellt echer wie Rausch, tspr Lau . ung bild der Traineraus Offensichtlich wird dies bei ten mit beeinn durch Hochschulabsolven Neururer und Merkel wurde Heiko Vogel repräund hel enz ersetzt. Klopp, Tuc pet om ialk Soz r nde cke dru nt von Gross beim tens. Fritz Schmid, einst Assiste sentieren diese Generation bes eines Trainers gerecht komplexen Aufgabenfelder FCB, will deshalb den vielen denen Daten ein und vor weile in enormer Fülle han werden. Er geht auf die mittler Ordnung und Chaos. en sch zwi ng richtigen Mischu beschreibt die Suche nach der altiges Brachland. gen Spieler sieht Schmid gew Beim Umgang mit dem mündi s des Begriffs «Perdni ssball ein einheitliches Verstän Schmid verlangt vom Profifu achlässigt. «Wenn vern k star s l» werde bei Transfer sönlichkeit». Dieser «Soft Skil r Rechtsfuss, wie sen wir, ob er Linksfuss ist ode ein Spieler zu uns kommt, wis wie viele und ists und Operationen er hatte schnell er läuft, wie viele Ass sönlichPer ne sei r gelaufen ist. Aber übe Kilometer er im Ausdauertest hwuchschef Nac ler, Koh hel Mic t l zu wenig», gib keit wissen wir noch vie en ank des Trainers Die Spieler müssen in die Ged beim FCB, unumwunden zu. werden keine nge gedrillten Befehlsempfä rn einbe-zogen werden, denn aus systematische das ist s mid Sch r zentraler Aspekt Führungsspieler. Ein weitere sball haltmache. Schmids vor dem einfachen Spiel Fus Denken, welches auch nicht Barcelonas Kondimit durch ein langes Interview Grundgedanken, abgestützt Wechselbeziehung te nen ma per dabei stets auf eine tionstrainer, fokussieren sich ungskonzept, in dem itliches, spielbezogenes Ausbild mit der Umwelt. Ein ganzhe ist Schmids Ideal. Trainingsgestaltung steht, das das Spiel im Mittelpunkt der nderen Gestaltung che pre ans lt es nebst einer optisch feh türe Lek erte nsw lese Die egt, hätte dem literarisch hervorragend hinterl lediglich an Süffigkeit. Obwohl der Fussball so zahlheiternde Anekdote, wie sie Buch die eine oder andere auf n Schmid für seine ma n kan dieser Schönheitsfehler z Trot an. get gut et, biet h reic gglin) ügend würdigen. (David Mu akribische Arbeit nicht gen Verlag). 218 Seiten, Frager» (Reinhard-FriedrichFritz Schmid: «Vom Sager zum hhandel. gebunden. Erhältlich im Buc
TSCHUTTIBIlDLI
geschätzten Kollegen Zum dritten Mal geben die melalbum heraus. vom «tschutti heftli» ein Sam ers wurden von hm ilne 13 Spieler jedes EM-Te taltet, als Bonus ist ges n tore stra Illu verschiedenen bildlich unter Wasser. auch die Schweiz dabei, sinn ten eine willkommene bie Die 300 Klebebildchen heitsbrei. Das SamAbwechslung zum Panini-Ein Sticker (1.–) gibts an melheft und die Tüten à 10 n in vielen Städten, ausgesuchten Verkaufsstelle es gehen an das Projekt reis fsp kau 10 Prozent des Ver sich zum Ziel gesetzt hat, «Viva con Agua», welches in Entwicklungsländern zu die Trinkwasserversorgung verbessern.
i bestellen. Hier n über www.tschuttiheft.l Die Sammelbilder kann ma n. ere rmi Verkaufsstellen info kann man sich auch über die
Fussball auf osteuropäisch Es ist gut, dass der Fussballhorizont diesen Sommer etwas ostwärts erweitert wird. Denn dadurch erhalten endlich auch Bücher und Filme die Möglichkeit auf Veröffentlichung, in denen es um das bislang im Westen fussballerisch kaum wahrgenommene Osteuropa geht. Ein löbliches Beispiel ist hierbei Olaf Sundermeyers Buch «Tor zum Osten». Der ehemalige Warschau-Korrespondent bereiste die EMGastgeberländer Polen und Ukraine sowie das benachbarte Russland und zeichnet ein wenig erbauliches Bild von der dortigen Fussballlandschaft: Er trifft auf käufliche Trainer, betrunkene Funktionäre, obskure Oligarchen, fürstlich entlöhnte Söldner und rechtsradikale Ultras. Er spricht aber auch mit einsamen Kämpfern, die sich wacker gegen die schlechten Einflüsse wehren. Sundermeyer versteht es, die politischen Hintergründe anschaulich zu erläutern, ohne dabei den Fokus auf den Fussball zu verlieren. So beleuchtet er den Einfluss der Medien ebenso wie die Rolle der Plutokraten beim Aufschwung von Vereinen wie Schachtjor Donezk oder Metallist Charkow, gleichzeitig erzählt er auf unterhaltsame Weise von den irren Erlebnissen, die er als Fan in den Stadien gemacht hat. Nach der sehr lehrreichen, aber auch bedrückenden Lektüre weiss man erst, wie treffend der Untertitel «Besuch in einer wilden Fussballwelt» ist. Nicht nur als Vorprogramm zur anstehenden EM ist dieses Buch für Leute, die neugierig auf eine fremde Fussballkultur sind, absolut empfehlenswert. Olaf Sundermeyer: «Tor zum Osten. Besuch in einer wilden Fussballwelt» (Verlag Die Werkstatt). 207 Seiten, broschiert, mit zahlreichen Fotos. Erhältlich im Buchhandel.
Verwegene Ultras
Choreografien Einst wurden ihre gewaltigen südeuro lle «to als und lauten Gesänge te werden heu lt, ube bej ng» päische Stimmu ativNeg die Ultras immer häufiger von Gewalt um es ob l, schlagzeilen verfolgt. Ega an n nge tzu erse and ein im Stadion, Aus tätten, den Bahnhöfen und Autobahnrasts tzstürme Pla r ode Einsatz von Pyrotechnik der Presse che ma ngs inu geht. Oft ist die Me Ultras he dlic frie e viel der mit m, ein Proble ch sie dur wo r dann ein Problem haben ode s es das , htig wic es ist eins kriegen. Darum Thein rtin Ma er geb aus Her die h Menschen wie klärung bemüht sind und auc Auf um die und Jannis Linkelmann gibt, en. andere Sichtweisen präsentier ten Seiten die Szene von verschiedens d wir ts» sei Ab In «Ultras im «normale» r, n finden sich Ultra-Anhänge beleuchtet. Unter den Autore . Und ten izis Pol und listen, Fanarbeiter Fans, Wissenschaftler, Journa l der in lzah Vie der aus rk We sticht dieses heraus. genau dieser Vielfalt wegen end hltu Bücher zum Thema Ultras wo tes jüngster Zeit erschienenen ier enz fer dif r ngen ergeben ein seh auf s Die unterschiedlichen Meinu dni stän Ver n sere bes tlich zu einem Bild und tragen damit hoffen allen Seiten bei. ? Porträt in (Hrsg.): «Ultras im Abseits Jannis Linkelmann, Martin The en, Seit 272 . att) rkst We Die (Verlag einer verwegenen Fankultur» hhandel. broschiert. Erhältlich im Buc
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AUSLAN Auslandschweizer
Offen für alles Text: Mämä Sykora / Bild: Fedja Krvavac
Der Berner Patrick Gerhardt eröffnete mit YB das Stade de Suisse, stieg in Rumänien ab, wurde Meister in Kanada und führt derzeit in Bosnien die Tabelle an. Und er ist Nationalspieler Liberias.
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inen Meistertitel hat er bereits in seinem Palmarès, ein zweiter kommt voraussichtlich bald hinzu: Letztes Jahr spielte er mit seinem Verein im Europacup und kam zu seinem Debüt in der Nationalmannschaft. Damit hat Patrick Gerhardt, 26, schon mehr erreicht als die allermeisten seiner kickenden Landsmänner. Dafür wählte er aber einen ungewöhnlichen Weg. Seine aktuelle Station ist Sarajevo, das Ziel ist es hingegen keineswegs. Das Reisen lernt Gerhardt früh kennen. In der Schweiz als Sohn eines Schweizers und einer Liberianerin geboren, zieht er bald zur Grossmutter nach Philadelphia. Die Schulzeit startet er dann wieder in Bern, wo er auch seine Passion für den Sport entdeckt. Im Eishockey und Fussball ist er gleich talentiert, schliesslich entscheidet er sich für den Rasensport, weil er dort mit seinen Freunden spielen kann. Bei den Quartiervereinen Breitenrain und Bümpliz werden die YB-Späher auf den Verteidiger aufmerksam; sie holen ihn in die U15-Mannschaft. Beim letzten Spiel im Wankdorf nimmt er sich Grosses vor: «Bei der Eröffnung des neuen Stadions in fünf Jahren wollte ich wieder dabei sein! Das habe ich geschafft, und damit habe ich mir einen Bubentraum erfüllt.» Denn beim Eröffnungsturnier steht «Pädu» gegen Udinese auf dem Platz. Noch keine 20 Jahre ist er alt, und seit ei-
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niger Zeit darf er unter Bidu Zaugg mit dem Eins und damit auch mit der Legende Stéphane Chapuisat trainieren. Doch mit dem neuen Stadion steigen in Bern auch die Erwartungen, viele neue Spieler kommen hinzu, der Erfolg soll erzwungen werden. Keine gute Ausgangslage für junge Spieler wie Gerhardt oder Marco Schneuwly, die Einsatzchancen sinken auf ein Minimum. Wie Schneuwly lässt sich auch Gerhardt ausleihen, erst zu Concordia Basel, dann zu Delémont. Die Welttournee beginnt In der Zwischenzeit hat bei YB Martin Andermatt übernommen, und der zeigt wenig Interesse an den ausgeliehenen Spielern. «Ich glaube, der kannte mich gar nicht. Nach einem Gespräch mit YB war klar, dass ich einen anderen Weg gehen musste.» Statt für Probetrainings bei anderen Schweizer Vereinen entscheidet er sich für das Abenteuer Ausland. «Es war immer mein Ziel, mal ausserhalb der Schweiz zu spielen, Neues kennenzulernen, andere Kulturen zu entdecken.» So nimmt er das lukrative Angebot des CS Otopeni aus Bukarest an, der eben in die erste Liga aufgestiegen ist. Und damit beginnt seine Welttournee. Momentan steht Gerhardt beim bosnischen Rekordmeister Željezničar unter Vertrag. Und er wirkt äusserst zufrieden.
«Ich will meine Karriere mit niemandem tauschen. Diese Fussballbegeisterung, die ich hier erlebe, findet man in der Schweiz nicht.» In Sarajevo wird er überall erkannt, Taxifahrer lassen ihn umsonst mitfahren, und Kellner offerieren ihm dann und wann ein Stück Kuchen. Selbst bei Niederlagen sei der Umgang mit den Fans angenehm. «Nach dem schlechten Saisonstart klingelte es um 2 Uhr nachts bei mir zu Hause. Als ich aus dem Fenster schaute, sah ich da etwa 30 Fans, die mich zum Runterkommen aufforderten. Erst nach einer dreistündigen Diskussion liessen sie mich schlafen.» Lachend fügt er hinzu: «Die sind hier wirklich fanatisch!» Dies manifestiert sich besonders in den Derbys gegen Stadtrivale FK Sarajevo. Die Hauptstadt ist in zwei Lager gespalten, schon einen Monat vor dem Spiel gibt es kein anderes Thema mehr. Passanten flehen die Spieler an, bitte unbedingt zu gewinnen, alles andere sei egal. Dementsprechend ist auch die Stimmung im Stadion. «Ihr solltet am besten mal herkommen. Das ist unglaublich, das muss man mit eigenen Augen gesehen haben! Da brennt und knallt es, das Spiel muss immer mal wieder unterbrochen werden, weil man nichts mehr sieht wegen des Nebels. Und der Lärm! Es ist unmöglich, den drei Meter entfernten Mitspieler zu verstehen.» Selbst in Liebesdingen kann diese Rivalität zum Hindernis werden. Nach einem zweistündigen Flirt in einer Bar kurz vor der Verabredung zum Date erlosch das Interesse der Dame auf der Stelle, als sie erfuhr, dass Gerhardt für Željezničar spielt – war sie selber doch glühende FK-Sarajevo-Anhängerin. Auch seine Beziehung zu seiner aktuellen Verlobten birgt den Stoff für eine moderne «Romeo und Julia»-Story, denn ihr Vater, ein ehemaliger Nationalspieler, ist eine Legende des Erzrivalen
Auslandschweizer
FK Sarajevo. Zum Glück für Gerhardt ist der um einiges toleranter.
Aufgebot dann doch Folge und absolvierte sein erstes Länderspiel in der Afrika-CupQualifikation auf den Kapverden, das 2:4 verloren ging. Zwei weitere Einsätze verhinderte sein Verdauungstrakt, der sichtlich Mühe hatte mit dem afrikanischen Essen. So erlebte er die riesige Freude nach
unbestrittener Stammspieler. Er spielte auch beim Europa-League-Triumph über Sheriff Tiraspol durch und ist derzeit mit seinem Team klar auf Meisterkurs. Die Zeichen stehen dennoch auf Abschied. Gerhardts Vertrag läuft im Sommer aus, sein Berater hat bereits Kontakte zu wei-
Kämpfen in Kanada Gerhardt liebt es, wenn das Leben zu spüren ist. Er schwärmt von Bukarest, seinem ersten Auslandengagement, wo er selten im Hotel, dafür oft unterwegs war. «Dort lebt man viel mehr draussen als zu Hause, das gefällt mir sehr.» Sportlich lief es für ihn in Rumänien hingegen mässig. Sein Trainer bei Otopeni wurde nach schwachen Resultaten gefeuert, sein Nachfolger, ein Vertreter der alten Schule, verbot Englisch auf dem Platz und setzte ihn auf die Bank. Als dann auch noch die Lohnzahlungen ausblieben, löste Gerhardt den Vertrag auf. Die Suche nach einem neuen Verein wurde durch einen Bandscheibenvorfall erheblich erschwert. Sechs Monate war er zum Nichtstun verurteilt, spielte sogar mit dem Gedanken, die Karriere zu beenden, dann unternahm er doch einen Neuanfang und heuerte im März 2010 bei Brantford Galaxy in Patrick Gerhardt (r.) im Europa-League-Qualifikationsspiel mit Željeznicar ˇ Sarajevo gegen Sheriff Tiraspol. der Canadian Soccer League an. Sie sei «nicht so schlecht», urteilt Gerhardt über die kanadische Liga. dem 1:0-Sieg im Rückspiel nur als Ersatz- teren ausländischen Vereinen hergestellt. Gespielt werde sehr physisch, was auch spieler mit. Es war der erste Sieg Liberias Žilina aus der Slowakei ist interessiert, kein Wunder sei, seien doch die Junioren- seit über fünf Jahren. «Da waren Hundert- auch Nowosibirsk will ihn haben. «So getrainer im Winter im Eishockey tätig und tausende von Leuten auf der Strasse, wir fällt mir das am besten. Ich bin offen für übernähmen im Sommer ein Fussball- brauchten mit dem Bus fünf Stunden für alles und schaue mir alle Angebote an. Ich team. «Wenn du nicht kämpfen kannst, zwei Kilometer. Ich hatte die ganze Fahrt will noch viel entdecken, gerne auch mal hast du da keine Chance.» Gerhardt stellte eine Gänsehaut.» Dass er derzeit nicht etwas weiter weg. China zum Beispiel. sich schnell auf die neuen Anforderun- zum Kader gehört, hat andere Gründe. Oder Australien.» Wird Patrick Gerhardt gar ein neuer gen ein, und mit ihm kam der Erfolg. Als Denn neu zeichnet ein einheimischer zweitletztes Team rettete man sich in die Trainer für die Geschicke der «Lone Stars» Lutz Pfannenstiel, der in seiner Karriere Playoffs, im November entschied Galaxy verantwortlich, und damit haben sich die für Dutzende von Vereinen aktiv war? «Es das Finale mit 3:0 für sich. Die ersten Selektionskriterien gewandelt. Wer spielen ist nicht mein Ziel, möglichst viele Ligen Meisterehren für Gerhardt, der sich zu will, soll sich auch erkenntlich zeigen, mit zu erleben. Bis jetzt habe ich aber jede Stadiesem Zeitpunkt schon Nationalspieler Bargeld oder Geschenken. «Das mache tion sehr genossen, und noch reizt mich eine Rückkehr in die Schweiz nicht. Ich ich natürlich nicht mit», sagt Gerhardt. nennen durfte. Eine Verstärkung für das arg gebeutel- weiss, zu Milan, Real oder Manchester Schon 2007 hatte der liberianische Verband Kontakt mit ihm aufgenommen, te Nationalteam wäre er derzeit auf jeden werde ich es nicht mehr schaffen. Nun vorerst blieb es bei einem Trainingscamp, Fall. Bei Željezničar, zu dem der Kontakt will ich einfach noch möglichst viel sehen weil er seinen Stammplatz im Verein nicht über einen bosnischen Mitspieler bei und erleben. Das ist auch eine Art von gefährden wollte. Später leistete er dem Brantford zustande gekommen ist, ist er Reichtum.»
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«Ich war unberechenbar» Aufgezeichnet von: David Mugglin / Bild: Keystone
Im Zenit seines Schaffens zimmerte David Sesa gegen Inter einen Freistoss ins Eck – nicht seine einzige gute Erinnerung an die Zeit in Lecce.
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ine Fussballkarriere geht manchmal seltsame Wege. Entscheidend ist, dass man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Nur das zählt zuletzt. Mein Karriereverlauf zeigt das nur zu deutlich. Mein Transfer zur SSC Napoli stand unter einem schlechten Stern. Ein explosives Umfeld und sieben Trainer in vier Jahren verunmöglichten es mir, mein kontinuierlich steigendes Niveau weiter zu erhöhen. Zuvor hatte ich sowohl in Genf wie auch in Lecce optimale Jahre als Fussballer erlebt. Mir gelangen viele Tore, und ich glänzte oft als Vorbereiter. Ich hatte mir ein gutes Standing erarbeitet. Des Weiteren besass ich in einer namhaften Nationalmannschaft meinen festen Platz. Ich war richtig gut in Fahrt. Auch Magath war interessiert Im Zenit meiner Karriere, ich war 27, spielte ich mit Lecce – erwartungsgemäss im Abstiegskampf steckend – gegen das grosse Inter Mailand. Inter hatte eine Riesentruppe, fast nur Nationalspieler.
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David Sesa (*1973): 1991–1993 FC Zürich, 1993–1994 FC Baden, 1994–1998 Servette, 1998–2000 US Lecce, 2000–2004 SSC Napoli, 2004 FC Aarau, 2005 AC Palazzolo, 2005–2008 SPAL Ferrara, 2008–2009 Rovigo Calcio. 36 Länderspiele, 1 Tor.
das spiel meines lebens
25. März 2000 Lecce - Inter 1:0 (1:0) 27. Spieltag Serie A Stadio Via del Mare – 28 847 Zuschauer – Schiedsrichter: Borriello (Mantova). – Tor: 24. Sesa 1:0. Lecce: Chimenti, Juarez, Viali, Pivotto, Savino, Balleri, Conticchio, Lima, Piangerelli, Sesa (79. Marino, 92. Bonomi), Lucarelli. Inter: Peruzzi, Simic, Blanc, Córdoba, Panucci (46. Vieri, 66. Jugovic), Zanetti, Cauet, Georgatos, Seedorf, Recoba, Zamorano (61. Baggio).
Seedorf, Zanetti, Ronaldo, Zamorano, Mutu, Šimic... ja, sie hatten vermutlich zu viele Stars in ihren Reihen. Das war in den letzten zwanzig Jahren – die Mourinho-Jahre mal ausgenommen – oft das Problem bei Inter. Die Mischung stimmte auch in jener Saison 1999/2000 nicht. Dennoch war das drittplatzierte Inter für den Aufsteiger aus Lecce immer noch eine echte Herausforderung. 150% Einsatz wurde benötigt, um sich effektiv Chancen auszurechnen. Das war uns klar. Lecce ist eine nette sympathische Stadt mit circa 100 000 Einwohnern. Für eine Stadt im Süden Italiens ist die Kriminalitätsrate erstaunlich tief. Die Menschen sind offen, und die zwei Zeitungen lassen ihre Fussballer einigermassen in Ruhe. Der Druck ist im Vergleich zu den anderen Serie-A-Vereinen bescheiden. Auch dank der sehr guten Kameradschaft im Team und dem intakten Vereinsleben war meine Lebensqualität in Lecce durchwegs hoch. Lecces Sportchefs Pantoleo Corvino – zurzeit noch bis Ende dieser Saison bei Fiorentina tätig – wurde beim 1:1-Remis im Test-Länderspiel gegen Jugoslawien in Basel auf mich aufmerksam. Nürnberg mit Felix Magath war ebenfalls interessiert, doch Corvino schenkte mir die grösste Aufmerksamkeit und bekräftigte stets den Transferwunsch. Obwohl mich als Deutschschweizer die Bundesliga stärker reizte, entschied ich mich für den Verstand und Lecce. In meinem ersten Jahr
gelang uns unter Trainer Nedo Sonetti gleich der Aufstieg. Sonetti konnte wegen seines Missverhältnisses zum Präsidenten den Gang in die Serie A nicht mittun. Für ihn kam Alberto Cavasin, für den die US Lecce die erste Serie-A-Station bedeutete. Cavasin war ein grosser Motivator, der einen sehr aggressiven, auf viel Laufarbeit basierenden Fussball spielen liess. Insgesamt ein sehr aufwendiges Vorgehen, das sich rasch abnutzt. Es versteht sich von allein, dass die Trainings äusserst anstrengend waren. Dass Cavasin ein spezieller Typ ist, durften die AC Bellinzona und die Schweizer Journalisten vor wenigen Jahren auch erfahren, als er für ein paar Monate im Tessin tätig war. Dennoch habe ich gute Erinnerungen an die Zeit mit ihm. Baggio auf der Bank Gleich in den Anfangsminuten jener Partie gegen Inter hatte ich eine reelle Torchance aus 15 Meter. Kurz später prüfte ich Angelo Peruzzi mit einem Freistoss über die Mauer. Wir hatten ein leichtes Übergewicht gegen ein Team, welches Christian Vieri und Roberto Baggio auf der Bank sitzen hatte. Nach etwas mehr als zwanzig Minuten zog ich von links in die Mitte und spielte diagonal Alessandro Conticchio in den Lauf frei. Dieser konnte nur regelwidrig und wenige Grashalme vor der Strafraumgrenze von Weltmeister Laurent Blanc gestoppt werden. Bei der Freistossausführung lief ExFCZler Francesco Lima zur Täuschung links über den Ball, und ich schoss mit dem rechten Vollspann zwischen den in der Mauer stehenden Franzosen Benoît Cauet und Laurent Blanc erfolgreich in die hohe Torwartecke. Ich hatte bereits Anfang Dezember bei der AS Roma ein ähnliches Tor erzielt, wie auch am zweitletzten Spieltag, als wir uns mit dem 2:1-Sieg gegen Torino vorzeitig den Ligaerhalt sicherten. Die grosse Gemeinsamkeit war, dass ich bei allen drei Freistosstoren den Torwart in der eigenen Ecke überraschte. Nur wenige Minuten nach meinem Führungstreffer – ich kann mich noch gut erinnern – setzte ich mich in einem
Dribbling gegen Iván Córdoba durch und forderte mit einem Linksschuss ins hohe Eck Angelo Peruzzi zu einer Glanzparade. Das wäre das 2:0 gewesen. Mein Partner im Sturm war damals Cristiano Lucarelli. Mit keinem anderen habe ich in meiner Karriere so gut harmoniert. Er war die perfekte Ergänzung: Lucarelli war eher der Typ Kopfballungeheuer mit seinen 1,90 Meter Körpergrösse, ich dagegen war variabel und unberechenbar und konnte mal links, mal rechts ausbrechen. Lucarelli besetzte eher den linken Raum, deshalb bekam ich es bei meinem grossen Spiel gegen Inter auf rechts öfters mit Córdoba und Blanc zu tun. Lucarelli war für unser Team auf und neben dem Platz eine ganz wichtige Stütze. Er war immer gut gelaunt, sehr angenehm im Umgang. In Livorno hat er ja gottähnlichen Status erlangt. Er ist eine grosse Persönlichkeit, die sich vermutlich mit ihren politischen Aussagen um eine bessere Karriere gebracht hat. Bekanntlich stehen Juventus, Inter, Milan und AS Roma Präsidenten vor, welche das Grosskapital vertreten. Da hätte der Kommunist Lucarelli nicht ins Bild gepasst. Inter hatte in der zweiten Halbzeit durch Ivan Zamorano und Christian Vieri noch Ausgleichsmöglichkeiten, welche sie nicht nutzen konnten. Dennoch war der 1:0-Sieg gegen das grosse Inter alles andere als unverdient. David Sesa lebt heute mit meiner Familie in Ferrara, hat letztes Jahr das Uefa-Prolizenzdiplom erlangt und wartet auf ein Trainerangebot. Durch den Schulbesuch seiner elfjährigen Tochter ist er eher auf den italienischen Markt ausgerichtet. In «Das Spiel meines Lebens» erzählen 50 Schweizer Fussballer der letzten 60 Jahre von ihren schönsten 90 Minuten. Das Buch ist für 29.80 Franken erhältlich über www.dasspielmeineslebens.ch Für ZWÖLF treffen die Autoren David Mugglin und Benedikt Widmer weitere Grössen vergangener Tage und lassen sie von ihrem persönlichen Highlight ihrer Karriere erzählen.
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Interessen statt Positionen Text: Thomas Gander
Die Fronten zwischen Sicherheits- und Fanverantwortlichen haben sich verhärtet. Es ist höchste Zeit, dieses Auseinanderdriften zu stoppen.
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m Januar 2012 veranstalte der FC Basel ein interessantes Symposium mit der Zielsetzung, in der Diskussion um Fanverhalten und Fanpolitik seine eigene Sichtweise einzubringen und damit die sehr einseitig geführte Debatte aufzubrechen. Bojan Stula von der «Basellandschaftlichen Zeitung» brachte im Titel seines Kommentars die Grundstimmung des Symposiums pointiert auf die Frontseite: «Nulltoleranz der Intoleranz». Das anspruchsvolle Programm legte seine Finger auf einen wunden Punkt: Der heute geführte Diskurs ist geprägt von Vereinfachungen, Polemik und Pauschalisierungen mit der Konsequenz, dass Massnahmen eingeführt werden, die gegen jegliche Verhältnismässigkeit, ja teilweise gar gegen unsere Verfassung verstossen. Teilnehmer der Tagung waren auch Sicherheitsverantwortliche (SiVe) und Fanverantwortliche (FaVe) der Swiss Football League, die sich an einem Weiterbildungslehrgang in Magglingen befanden und einen Abstecher nach Basel einplanten. Tags darauf gestalteten wir von Fanarbeit Schweiz die Fortsetzung der Weiterbildung für die FaVe. Später wurde eine Auswertung der Referate durchgeführt. Das Ergebnis scheint ernüchternd. Nicht wenige SiVe hätten den Referenten die Verharmlosung der Situation, die Bagatellisierung und das Befürworten von Pyros unterstellt. Dies, obwohl die Kritisierten immer wieder erwähnten, nicht in diese Rolle hineingedrückt werden zu wollen. Zu vermuten, diese SiVe seien mindestens auf einem Ohr taub oder besässen keine Bereitschaft, sich auf
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eine differenzierte Betrachtung einzulassen, ist nicht angebracht. Vielmehr zeigte der Weiterbildungslehrgang auf, wo das Problem liegt: Fast alle Module werden getrennt zwischen SiVe und FaVe geführt und thematisch unterschiedlich gestaltet. An «unserem» Tag beispielsweise setzten sich die SiVe mit der Einsatzplanung auseinander, und wir referierten bei den FaVe über Prävention und die Methoden der sozioprofessionellen Fanarbeit. Aus dem Gespräch heraus entstand eine interessante Diskussion um den persönlichen Umgang mit Gewalterlebnissen im Umfeld vom Fussball. Noch während der Diskussion wurde mir klar, dass sich genau in der Aufarbeitung dieser Fragestellung die unterschiedlichen Haltungen von FaVe und SiVe verfestigen, die später kaum noch miteinander vereinbar oder verhandelbar sind. Falsche Feindbilder Während sich der FaVe – die von hier weg aufgeführten Gedanken schliessen die sozioprofessionellen Fanarbeitenden mit ein – mit den Ursachen der Gewalt auseinandersetzt und auch damit, wie er selber Gewalterlebnisse verarbeitet, lernt der SiVe verschiedene Eskalationsstufen kennen, wie er sich dort zu verhalten bzw. zu intervenieren hat. Der FaVe – so meine These – hat dabei die Persönlichkeit der Fans und das Potenzial des Sozialraumes Fankurve im Fokus, während es beim SiVe das potenziell delinquente Verhalten der Fans sowie Handlungsstrategien von Verteidigung und Unterbindung sind. Zudem ist die Perspektive des SiVe dieje-
nige eines distanzierten Akteurs. Der Fan soll als Individuum betrachtet werden, emotionelle Bindungen sind hinderlich. Diese unterschiedlichen Herangehensweisen werden sich zwangsläufig nicht nur auf die Argumentation, sondern auch auf die persönliche Haltung niederschlagen. Der FaVE muss sich den Vorwurf gefallen lassen, zu nahe an den Fans – auch an den gewalttätigen – zu sein und so an Objektivität zu verlieren. Der SiVe andererseits sei zu weit von den Fans entfernt, um überhaupt die Zusammenhänge erkennen zu können. Ein Nährboden, um pauschale und falsche (Feind-)Bilder zu kreieren. Während die Intervention eines SiVe auf eine bestimmte Situation ausgerichtet ist, stehen beim FaVe der Beziehungsaufbau und der Vertrauensgewinn mit einem langfristigen Horizont im Zentrum. Eine sich entgegenwirkende Methodik, die sich in der Bewertung des Fanverhaltens niederschlägt. Ein SiVe muss zwangsläufig die Situation und die Mechanismen vereinfachen, um in der Lage zu sein, reagieren zu können. Vereinfachungen helfen dabei, klare Zuschreibungen zu machen. Eine Einteilung in Gut und Böse ist hilfreich, Grautöne sind hinderlich, denn sie schaffen in ihrer Komplexität Unsicherheit und Verzögerungen im Handeln. Ein Selbstschutz also. Nestwärme in der Subgruppe Ein FaVE hat mit den (delinquierenden) Fans auch nach einem Vorfall zu tun. Vielleicht kennt er sogar die Hintergründe eines Vorfallsund erfährt durch seinen persönlichen Kontakt viel über Zusammenhänge, Denkweisen und Wertvorstellungen der Fans. Er beschäftigt sich auch mit den Erklärungen für einen Vorfall, und dabei muss er differenzieren können und Kompromisse in seiner eigenen Haltung eingehen, um sich selber in dieser Sandwichposition nicht zu überfordern. Auch ein Selbstschutz.
der fan-arbeiter informiert
Was ist zu tun? SivE und FavE definieren ihre Bilder und Haltungen meistens unter ihresgleichen. Erlebnisse werden untereinander ausgetauscht und Schlussfolgerungen gezogen. Eine Art Subgruppe mit Wohlfühlcharakter. Man gibt sich gegenseitig Recht und Anerkennung, so entsteht Nestwärme. Aber auch eine Eigendynamik, welche Gegenargumente und andere Sichtweisen kaum noch zulässt, da dies eine Schwächung der eigenen Position zur Folge haben könnte. So werden Rollenbilder und Feindbilder verfestigt und wird eine Schutzmauer hochgezogen: auf der einen Seite der verharmlosende FaVe, auf der anderen der vereinfachende SiVe… Ein Lösungsansatz wäre, gerade an Weiterbildungen diese beiden Funktionsträger möglichst viel gemeinsam «lernen» zu lassen. Offen könnte diese Verfestigung der eigenen Rolle und die Entwicklung von Konkurrenzsituationen mittels eines Workshops thematisiert werden. Dabei ist es wichtig, zunächst die Beziehungs- und Sachebene zu entflechten und vorhandene «Störungen» zu benennen. In einem zweiten Schritt könnten die divergierenden Interessen aufgezeigt und könnte nach gemeinsamen Interessen gesucht werden. Dabei ist es wichtig, sich nicht auf Positionen (der anderen Seite die eigene Meinung
aufzuzwingen) zu konzentrieren, sondern die verschiedenen Interessen ins Zentrum zu stellen. Sollte dies gelingen, wäre der Weg endlich frei, in einem kreativen Prozess sein eigenes begrenztes Wahrnehmungsfeld zu durchbrechen, nach umsetzbaren Übereinkünften zu suchen und gar Verbindlichkeiten einzugehen. Dieses Auseinanderdriften von Funktionsträgern und Haltungen ist kein fussballerisches Phänomen, sondern auch bei vielen Akteuren aus anderen
Bereichen zu beobachten. Die Dynamiken unterscheiden sich kaum. Die oben aufgeführten Gedanken sollen keine Wertung über die Wichtigkeit oder die Wirkung der Arbeit von FaVe oder SiVe sein und haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es ist mir jedoch bewusst, dass trotz dieser Relativierung die Möglichkeit besteht, dass mir genau dies – aus den oben beschriebenen Gründen – jetzt von einigen Lesern zum Vorwurf gemacht wird.
Jeder Club der SFL bezeichnet gemäss Richtlinie einen Sicherheitsverantwortlichen (SiVe) und einen Fanverantwortlichen (FaVe)
on zwischen dem Klub und seinen Anhängern sicher und fördert die Pflege dieser Beziehung Sozioprofesionelle Fanarbeitende (z.B. Fanarbeit Bern, Basel, Luzern etc.) Als unabhängige Organisationen, meist als Vereine strukturiert, besitzen sie eine neutrale Position. In allen Trägervereinen sind die entsprechenden Klubs, nebst der öffentlichen Hand (Kantone, Städte), massgeblich an der Finanzierung beteiligt. Die Fanarbeit wendet die Methodik der sozialen Arbeit an. Die Arbeit richtet sich hauptsächlich an Menschen oder Gruppen im Sozialraum Fankurve und schlägt Brücken zu den verschiedenen Interessengruppen. Wichtig in der sozioprofessionellen Fanarbeit sind die Förderung der Selbstregulierung und Selbstverantwortung der Fankurve, der aufsuchende Charakter sowie die Förderung aktiver, kreativer Fankultur.
Aufgabe SiVe: Er ist dafür verantwortlich, dass sämtliche im Sicherheitsreglement der SFL und den dazugehörigen Ausführungsbestimmungen genannten, den Klubs obliegenden Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden. So stellt er z.B. die Sicherheit und Ordnung im Stadion vor, während und nach Meisterschaftsspielen sicher. Aufgabe FaVe: Er ist dafür verantwortlich, dass jeder Anhänger eines Klubs die Möglichkeit hat, in Fanbelangen mit einer kompetenten Person des Klubs in Kontakt zu treten und allfällige Anliegen kund zu tun. So stellt er z.B. den regelmässigen Kontakt und die Kommunikati-
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Rubrik
mämä erklärt
Mämä Sykora ist der ZWÖLF-Fussballprofessor und Präsident der Alternativliga Zürich
Handeln in Sachen Hand
Handelfmeter sind in 9 von 10 Fällen ein Witz. Bald sehen wir Verteidiger in Zwangsjacken. Es passiert in fast jeder Partie mindestens einmal: Ein Stürmer wird in Strafraumnähe von Gegenspielern bedrängt, worauf er die Kugel einfach mal halbhoch ins Zentrum drischt. Wenn sie auch nur in die Nähe eines Arms kommt, stürzen die Angreifer brüllend in Richtung Schiri und verlangen mit übertriebenen Gesten einen Handelfmeter. Und das Tragische ist: Teilweise bekommen sie ihn sogar. Und das kann nicht im Sinne der Regelpioniere sein, als sie einst den Arm zur verbotenen Zone erklärten. 1815 wurden in Eton (Eng) erstmals Regeln niedergeschrieben, die den Gebrauch der Hände ausdrücklich untersagten. In der Folge wurde an der Formulierung fleissig gefeilt, und zwar solange zu Ungunsten der verteidigenden Mannschaft, dass Spielleiter heute tatsächlich dazu angehalten werden, die sogenannte «Schutzhand» zu ahnden. Die Begründung dafür ist bezeichnend: «Ein Spieler, der sein Gesicht vor dem herankommenden Ball schützen will, muss nicht die Hände zu Hilfe nehmen. Schneller als er die Hände oben hat, kann er nämlich den Kopf zur Seite drehen oder einziehen», meint Viktor Roth, Mitglied der UEFA-Schiedsrichterkommission. Nach so einer Aussage verspürt man grosse Lust, dem Herrn Roth aus wenigen Metern einen Ball entgegen zu treten, nur um mal zu schauen, wie er «natürlich» reagiert. Denn um diesen Begriff drehen sich die Analysen der Schiris andauernd. Weil die
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Absicht schwer zu erkennen ist, achten sie auf «unnatürliche» und «fussballspezifische» Handhaltungen. Sie ignorieren dabei, dass die Arme nun mal dazu da sind, um die Balance zu halten. Ausser Uli Stielike ist nie einer mit angelegten Armen übers Feld gerannt ist, und es gibt keinen Grund, warum man dies im Strafraum plötzlich tun sollte. Dennoch trauen sich die Verteidiger heute kaum mehr, sich natürlich zu bewegen, sondern stellen sich dem Angreifer mit den Armen hinter dem Rücken entgegen. Die eingeschränkte Mobilität bedeutet einen grossen Nachteil, zudem sieht es aus wie beim «Spitalfangis». Auch bei hohen Bällen werden die Angreifer bevorteilt. Wer mit den Armen mitschwingt, steigt höher, und das Risiko eines Handspiels kann ein Stürmer im Gegensatz zum Verteidiger auf sich nehmen. Eigentlich ist die Regel ganz klar: «Ein Handspiel liegt vor, wenn ein Spieler den Ball absichtlich berührt. Dabei achtet der Schiedsrichter auf die Bewegung der Hand zum Ball (nicht des Balls zur Hand), die Entfernung zwischen Gegner und Ball und die Position der Hand (das Berühren des Balles an sich ist noch kein Vergehen)» Es geht alleine darum, jene Spieler bestrafen zu können, die mit voller Absicht ihren Arm einsetzen, um sich einen Vorteil zur erschleichen. So wie Maradona gegen England, Frings an der WM 2002 gegen die USA oder Luis Suárez 2010 gegen
Ghana. Bezeichnenderweise wurde von diesen Beispielen nur eines geahndet, im Gegensatz dazu wird jedes Wochenende weltweit x-fach auf den Punkt gezeigt, weil der Ball einem Verteidiger unglücklich an die Hand gesprungen ist. Es scheint, als würden die Schiedsrichter ihre Rolle in dieser Beziehung völlig verkennen. Es ist nicht ihre Aufgabe, detektivisch nach Berührungen zu fahnden, die allenfalls bei strenger Regelauslegung auch mit einem Elfmeter bestraft werden könnten. Strafstösse gibt es ohnehin schon viel zu viele. Doch leider geht die Tendenz in die andere Richtung. Die Unparteiischen, selbst unglücklich mit den bestehenden Formulierungen, wollen ihre Urteile besser geschützt sehen, und einige fordern nun gar, das Wort «absichtlich» aus der Regel zu streichen. Also Handspiel = Pfiff. Bald würden Defensivleute nur noch in Zwangsjacken antreten können, wenn sie einen Elfer vermeiden wollen. Eine völlig absurde Entwicklung, die dem einstigen Gedanken dieser Regel komplett zuwiderläuft. Spieler, die beim Grätschen den Ball mit der Hand berühren; Verteidiger, die die Orientierung verlieren und dabei das Spielgerät an den Arm bekommen; eine zum Kopfball hochsteigende Traube von Abwehrrecken, von denen einer die Kugel an den Arm bekommt: Eine derart harte Bestrafung wie ein Elfmeter ist dafür schlicht übertrieben. Mit so viel Ermessensspielraum müssen die Refs umgehen können, dass sie zwischen einer (wirklich) klaren Absicht und Ungeschicktheit unterscheiden können. Wenn sie denn schon unbedingt pfeifen wollen, dann sollten sie die gleichen Möglichkeiten haben wie bei Sperren oder gefährlichem Spiel, nämlich indem sie einen indirekten Freistoss verhängen. Noch viel besser wäre es, man würde aufhören, die Arme wie unnatürliche Fremdkörper zu behandeln, die man nur bewegt, wenn man sich einen Vorteil ergaunern will.
Fussball-Smalltalk Champions-League-Viertelfinalist APOEL Nikosia wurde 1926 in einem Süsswarenladen gegründet. Das einstige Wunderkind Nikon Jevtic, 2008 von Schalke als kommender Superstar verpflichtet, liess seinen Namen ganz unbescheiden und offiziell in «Nikon El Maestro» ändern. Heute spielt der Maestro in der zweiten Mannschaft des Budapester Vereins Újpest Dosza, dessen AMannschaft in akuter Abstiegsgefahr schwebt. Zuvor war er bei der Wiener Neustadt freigestellt worden, weil er rassistische Liedtexte auf Youtube gestellt hatte, freilich ohne je ein Spiel absolviert zu haben. Alle Spiele der Gruppe 1 der WM 1966 fanden im Wembley statt, bis auf die Partie zwischen Uruguay und Frankreich, die im White City Stadium ausgetragen wurde. Die Wembley-Besitzer hatten sich geweigert, das für diesen Tag eingeplante Windhund-Rennen zu verschieben. Schiedsrichter beim Finalrundenspiel der allerersten Schweizer Meisterschaft zwischen den Grasshoppers und Villa Longchamp Lausanne war John Tollmann, der Torhüter des FC Basel. An U20-Weltmeisterschaften war Brasilien am meisten dabei (17), kam am häufigsten über die Vorrunde hinaus (17), stand am häufigsten im Halbfinale (11) und auch im Endspiel (8). RekordTitelhalter ist dennoch Argentinien (6). Mohammad Mansour Ardebili musste 2010 als Funktionär des iranischen Fussballverbandes zurücktreten, weil er vergessen hatte, die E-MailAdresse des israelischen Verbandes von der Mailingliste aller FIFA-Mitglieder zu nehmen, an die er seine Neujahrsgrüsse geschickt hatte. Der Iran anerkennt Israel weiterhin nicht als souveränen Staat. Heinz Moser erhielt sechs Nati-Aufgebote für einen Zusammenzug; zu einem Länderspieleinsatz reichte es ihm aber nicht. In den letzten zwei Saisons (bis zum Redaktionsschluss) schossen Lionel Messi und Cristiano Ronaldo zusammen 208 Tore in allen Wettbewerben. Das sind exakt 38 mehr, als alle Spieler vom FC Valencia, dem hartnäckigsten Verfolger der beiden Giganten, insgesamt in der gleichen Zeit in den gleichen Wettbewerben zustande brachten. Und es sind auch mehr, als die letzten fünf der letztjährigen Meisterschaftsrangliste addiert schossen. Vujadin Boškov, als Trainer Gewinner des Cups der Cupsieger mit Sampdoria und in der Schweiz tätig bei YB (1962–64) und Servette (1996/97), spricht sieben Sprachen und ist Professor für Geschichte und Geografie.
2010/11 hatte der FC Basel den fünfzighöchsten Zuschauerschnitt Europas. Frank Borghi, Torwart der USA an der WM 1950, war kein Fussballer, sondern professioneller Baseballer. Er konnte den Ball dank seinem starken Arm zwar weit auswerfen, die Abschläge mussten indes seine Verteidiger für ihn ausführen. Handschuhe hat er nie getragen, im Gegensatz zu seinem Mittelfeldspieler Charlie «Gloves» Colombo, der dies immer tat, egal bei welchem Wetter.
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Zwischen dem 27. Oktober 1928 und dem 4. Dezember 1965 gab es keinen einzigen Platzverweis gegen die Tottenham Hotspurs.
Herausgegeben von: ZWÖLF – Verein für Fussballkultur Postfach 8951 3001 Bern PC 60-668720-9 Gian-Andri Casutt, Präsident
Zwischen 1991 und 1996 wurde der Goldene Schuh für Europas besten Torschützen nicht vergeben. Exakt in dieser Zeit hätte der Schotte Ally McCoist mit jeweils 34 Toren für die Glasgow Rangers zweimal diese Trophäe erhalten.
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Carli Shultis, Stürmerin bei Georgia Soccer, wurde Ende Februar dieses Jahres um 8:30 Uhr verhaftet, nachdem sie sich in einem Café eine Portion warme Hash Browns, das amerikanische Pendant zur Rösti, in die Hose geschoben und ohne zu bezahlen hatte abschleichen wollen. Statt der 1,06 Dollar für die Hash Browns war danach eine Kaution von 1500 Dollar fällig. Gemäss «Futebol Finance» ist Ottmar Hitzfeld mit 3,1 Mio. Franken im Jahr der bestbezahlte Nationaltrainer der Welt, noch vor den letzten EM-Finalisten Joachim Löw und Vicente Del Bosque. Sechs Jahre nach der unrühmlichen SpuckGeschichte zwischen Frank Rijkaard und Rudi Völler liessen sich die beiden zu einem WerbeShooting für holländische Butter überreden. Der Slogan dazu: «Mit echter Butter bekommen Sie jeden an die gemeinsame Tafel.»
Vertrieb: MDS – Media Data Services AG Chefredaktion: Wolf Röcken, Sandro Danilo Spadini, Mämä Sykora. Besondere Aufgaben: Stefan Schürer Autoren dieser Ausgabe: Peter Balzli, Bigio Biaggi, Martin Bieri, Pascal Claude, Michele Coviello, Thomas Gander, Christoph Lenz, Silvan Lerch, Federico Mastrolilli, David Mugglin, Beni Thurnheer, Benedikt Widmer, Josef Zindel, Chrigu Zingg, Ueli Zoss. Bild: André Bex (Bildchef ), Frank Blaser (Titelseite), Stefan Bohrer, Hannes Heinzer, Florian Kalotay, Stefan Schmitz, Tobi Schweizer, Jean Weber. Anzeigen: Kilian Gasser Medienvermarktung GmbH Hellgasse 12, 6460 Altdorf, Tel. 041 871 24 46 kg@kiliangasser.ch ZWÖLF, Postfach 8951, 3001 Bern, durisch@zwoelf.ch, Marco Durisch, Tel. 079 221 11 12 Gestaltungskonzept, Art Direction: bex.fm, Stauffacherstr. 106, 8004 Zürich André Bex, Visueller Gestalter (FH) www.bex.fm Druck: Swissprinters Zürich AG, Zürcherstrasse 39, 8952 Schlieren. Web (Design & Umsetzung) bex.fm Auflage: 10 000 Exemplare ISSN Nummer: 1662-2456
Das nächste Heft erscheint Anfang Juni 2012.
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