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Juli / August 2012
PLAN L E I P EM-S E TEAMS ALL INFOS ALLE TADIEN S L ALLE ERAL B HR Ü IER I T E FIND SSER H AU
X. Alonso Spanien
M. Özil Deutschland
K. Benzema Frankreich
Freundschaft gilt fürs Leben. Der Sieg für die Ewigkeit.
ZWÖLF
am Mischpult A
ch ja, es ist ja EM diesen Sommer. Hätten wir beinahe verpasst. Wie Hitzfeld mit der Schweizer Nati. Oder vor zwölf Jahren Monsieur Gress, weil die Italiener seltsamerweise plötzlich arg nachliessen gegen Dänemark. Jener Gress übrigens, der heute tatsächlich wieder Nationaltrainer ist – wenn auch nur in Andy Eglis Auswahl von Altinternationalen. In diese illustre Auswahl werden es indes längst nicht alle U17-Europameister von 2002 schaffen: Der beste Torschütze von damals zum Beispiel hat sich gänzlich vom Fussball verabschiedet. Gleich wie Ramon Vega, der dies freilich erst nach einer erstaunlichen Karriere tat, die dem fulminanten Auftritt im Wembley folgte.
So hüpfen unsere Gedanken, wenn wir an die EM denken. Nicht an die EURO notabene. Deshalb verzichten wir auf Spielpläne, Mannschaftsporträts und die grossen Stars als Poster im Weltformat; stattdessen präsentieren wir Euch unser «EM-Mixtape». Darauf findet Ihr jene Tracks, die für uns den idealen EM-Soundtrack bilden. Ohne die grossen Hits selbstverständlich, wir sind schliesslich noch mehr «underground» als Dani Gygax. Deshalb spielen wir Euch auch den traurigen spanischen Song der EM 1960, als Diktator Franco der legendären Mannschaft um Di Stéfano und Kubala den Weg ins Finale auf dem politischen Parkett verbaute. Oder die Ballade des Baslers Urs Siegenthaler, der es vom NLB-Trainer zu einem der gefragtesten Spielanalysten der Welt gebracht hat. «Ballesterer»-Gründer Reinhard Krennhuber schliesslich schrieb für uns den grossen Opener: ein mitreissendes Rock-Epos über die ukrainischen EM-Spielorte. Alles EM also? Mitnichten. Wir haben überdies mit GC-Jungspund Steven Zuber gesprochen, der auch im Interview schon Platzreife bewies. Und wir haben in Martigny nachgeschaut, ob denn Constantin dieses Olympiques-des-Alpes-Stadion schon hingestellt hat. Hat er nicht, aber dort gibts immerhin einen Fussballverein, der einst sogar den FC Sion ärgerte. Geärgert haben sich jüngst auch die Bayern; aus Mitleid haben wir ihnen gleich zwei Texte gewidmet: eine Auflistung ihrer vielfältigen Verflechtungen mit der Schweiz sowie Erinnerungen an Kalle Rummenigge, die vielleicht grösste NLA-Legende überhaupt. Zu Legenden erklären möchten wir hiermit auch Fredy Bickel und Stéphane Chapuisat. Sie waren die Helden unseres Jubiläumsabends im Mai, bei dem sie sich den kritischen Fragen der Moderatoren und der Zuschauer stellten. Letztere (und Erstere auch) erwiesen sich als erstaunlich durstig, sodass wir bereits in der Halbzeitpause mit dem Rollwagen die umliegenden Geschäfte nach Bier abklappern mussten. Aber das haben wir rüstige Jubilare gerne auf uns genommen – schliesslich waren wir ganz verzückt über Euer unerwartet zahlreiches Erscheinen! In diesem Sinne: Kopfhörer auf und o'zapft is! Euer ZWÖLF-Team
Cover: Judith Balla und Angelica Paz Soldan
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Planet Constantin: Der Walliser Sonnenkönig im O-Ton
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Wie gesagt, äh…: Fussballer reden
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Die Single: Abendständchen in Feuerthalen
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Die Liste: Die Bayern und wir
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Auswärtsfahrt: Rohe Ostern in Polen
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Beni Thurnheer: Plausch mit dem Champions-League-Sieger-Trainer
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Der Cartoon: Yann Sommer, gesehen von Konrad Beck und Christian Wipfli
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Grüsse aus der Challenge League: Brühl kommt wieder!
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Das Fundstück: Xamax-Memorabilia
EM-MIXTAPE 14 Everything Is Illuminated Eine Abenteuerfahrt zu den vier ukrainischen EM-Orten 23 Am Boden der Tatsache Vor zehn Jahren ist Marko Milosavac abgehoben – doch der Fussballhimmel blieb für den U17-EM-Held ein Traum 24 Fit im Alter Wie Andy Egli seine Altinternationalen-Truppe auf Trab hält 30 Spy in the Name of Löw DFB-Guru Urs Siegenthaler findet, er sei ja nicht der liebe Gott 36 Um ein Haar Porca miseria: Wie die Italos Gilbert Gress und der Nati einen Strich durch die EM-Rechnung machten
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38 Das verhinderte Gigantentreffen Das EM-Viertelfinale 1960 zwischen Spanien und der UdSSR fand nie statt – weil Diktator Franco nicht wollte
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«Gruppen können tödlich sein» Fraktionen in der Mannschaft – Fluch oder Segen?
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«Die Jungen sollen ruhig sein» Der 20-jährige GC-Stürmer Steve Zuber macht sich trotzdem so seine Gedanken: über fordernde Platzhirsche und nörgelnde Trainer
54 Unser Mann in London: Peter Balzli über die Auferstehung des FC Wimbledon
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S.
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Schweizerreise: Der FC Martigny zehrt von der Vergangenheit und den Krümeln des FC Sion
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Spiel meines Lebens: Ramon Vega schwärmt vom Remis gegen Gastgeber England an der EM 1996
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NLA-Legende: Kalle Rummenigge leistete in Genf deutsche Wertarbeit
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Das schwarze Brett: Spiele, DVD, Postkarten
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Smalltalk und Impressum
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Planet Constantin «In Sion ist es so, dass sich der Vorstand jeden Morgen bei mir im Badezimmer trifft.» Es soll dort ziemlich viele Spiegel geben. CC in «Le Matin».
«Jacques Brel hat immer die Mutigen, die Echten gesucht. Ich habe in Genf mal ein Bier mit ihm getrunken.» Wir wollen ja gar nicht daran zweifeln. Nur zu bedenken geben, dass CC bei Brels Tod gerade mal 21 war. Constantin in «20 minutes».
«Ein Cupfinal gegen Sion ist immer etwas Spezielles und sehr Kompliziertes, egal für welchen Trainer.» Es soll auch für die Sion-Trainer nicht einfach sein, unter CC einen Cupfinal zu bestreiten. Der Präsident im «Nouvelliste».
«Was soll man da noch sagen, wenn einer einen Buben schlägt? Aber soll ich nun die Todesstrafe über Serey verhängen?» Kleiner Einblick in den Strafenkatalog des FC Sion, nachdem Spieler Serey Die einen 13-jährigen Balljungen geohrfeigt hatte. CC im «Blick».
«Er hatte schon einige Male mit seinem Heiler in Abidjan telefoniert. Doch seine Angst ging nicht weg. Dann bat er mich, bei ihm im Bett zu übernachten.» So beginnen diese Bahnhofskiosk-Romane. Oder CCs Erinnerungen in «Le Matin Dimanche» an Integrationsprobleme von Spieler Ahmed Outtara und dessen Panik vor dem Cupfinal.
«Mehrmals kuschelte er sich an meine Schulter. Ich ging dann, als er zu schnarchen anfing.» Szenen einer Ehe: CC noch einmal zu Outtara.
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«In meinen Sommerferien vor zwei Jahren auf Sardinien habe ich in unserem Luxusresort, wo Chelsea eine Jugendakademie betreibt, ein Plauschturnier bestritten. In einem anderen Team spielte Mario Balotelli. Der Star von Manchester City konnte mir keinen reinmachen und fragte mich danach, ob ich in der Ligue 1 in Frankreich spiele.» Erst heucheln, dann verpflichten lassen? Balotelli und Sion, hoppla, das hätte aber gepasst. CC im «Blick».
wie gesagt, äh . . . Endlich haben wir die mit Spannung erwartete Gruppenauslosung für Olympia 2012 hinter uns: Mexiko, Südkorea und Gabun. Nicht alle Fans erwiesen sich als geografisch sattelfest, ein Kommentar auf der Facebook-Seite des SFV lautete sogar: «Hä? Wer isch de Gabun??» Wahrscheinlich hatte Eren Derdyiok zum Zeitpunkt dieser Aussage seine drei Tore gegen Deutschland noch nicht wirklich verdaut. Der NeoHoffenheimer auf die Frage, ob die Nati-Partie gegen Deutschland das Spiel seines Lebens war, leicht konfus: «Das kann man laut ansprechen.» Vieles kann man auch mit Basel-Cheftrainer Heiko Vogel ansprechen. Nur wussten das die Spieler anscheinend nicht. Alex Frei auf die Frage, was sich denn geändert habe, als Vogel vom Co zum alleinigen Chef wurde: «Man wusste zum Beispiel nicht, ob man mit ihm immer noch die gleichen Witze machen kann.»
Dass die Fussball-Intellektuellen zu immer noch abstruseren Bildern greifen müssen, um das Spiel mit dem Ball mit irgendwas zu vergleichen – wir verstehens nicht. Heiko Vogel: «Im Weinbau wie im Fussball muss man vom Charakter her ähnlich gestrickt sein.» Ob alle Türken oder Türkei-Schweizer oder Schweiz-Türken oder wie auch immer ähnlich gestrickt sind, wollte Murat Yakin im Rapper-Video, in dem er vor acht Jahren mitspielte, beweisen. Oder widerlegen? Jedenfalls nervte er sich, dass ihn ein Online-Portal in Anlehnung an dieses Video kürzlich als «Schweiztürke» bezeichnete. Yakins Erklärung fürs Mitmachen beim Clip: «Mich haben dabei besonders die beiden Gegensätze fasziniert. Einerseits der Glamour mit der protzigen Limousine, andererseits die Bescheidenheit des Kebab-Verkäufers.» Von wegen Klischees!
Bleiben wir noch ganz kurz bei den Yakins. Thema Familienplanung. Der vierfache Vater Hakan auf die Frage, ob sein Jüngster (Diego, 2) bald ein Geschwisterchen bekomme: «Jetzt haben wir die Hochzeit hinter uns gebracht. Da ist ein zweites Kind kein Thema.» Die Antwort seiner Frau auf die gleiche Frage: «Ich würde mich über ein Geschwisterchen freuen. Am liebsten ein Mädchen.» Wie man auch noch für Missverständnisse sorgt, zeigt unser alter Weggefährte Raimondo Ponte. «Ich bin enttäuscht, wenn ein Trainer aus Wil von einer destruktiven Spielweise spricht», sagte der scheidende Chiasso-Trainer nach einem Spiel gegen die Ostschweizer. Und er ergänzte, was seine Spieler dann hoffentlich nicht mehr hörten: «Er sollte zuerst schauen, welche Spieler uns zur Verfügung stehen.»
Die Single Zuerst schauen, wer vor ihm steht: Das hätte BaselSpieler Aleksandar Dragovic auch machen können bei der Pokal-Übergabe. Dann wäre es aber nie zum Fast-Dragogate gekommen. Wir wissen, dass Dragovic mit FCB-Boss Heusler letztlich bei Ueli Maurer aufkreuzen musste, um sich zu entschuldigen. Aber schöner sind eigentlich seine Worte, die er an der Feier zuvor über Lautsprecher quer über den Barfüsserplatz in Basel gewählt hatte: «Dieser Ueli Maurer oder wie der auch immer heisst. Ich kann mich nur bei ihm entschuldigen. Auch wenn es mir sehr, sehr schwerfällt. Aber ich muss es wegen des Vereins tun. Innerlich weiss aber, glaube ich, jeder, dass es sehr, sehr viel Spass gemacht hat.»
Weniger Spass machte es bei YB, als es mit Trainer Christian Gross nun wirklich nicht mehr vorwärtsging. Die Konsequenzen dafür musste auch Goalie-Trainer Pascal Zuberbühler spüren, den Gross mitgebracht hatte und der ebenfalls entlassen wurde. Wir bewundern Zubis unerschütterlichen, aber unerhörten Glauben ans ganz Gute im Fussball: «Ich habe keine Erklärung für die Entlassung erhalten.» Auch der Zinnbecher mit eingraviertem Namen und der Früchtekorb sollen dem Vernehmen nach auf sich warten lassen. Weil Zubi seine Aktivkarriere längst beendet hat, wird auch seine Website www.zubi1.ch nicht mehr gepflegt. Wer sie trotzdem besucht, wird von interessanten Werbungen begrüsst: «Frau für Treffen o.f.I. Aufregende Frauen möchten Sie kennenlernen. Mit Kontaktgarantie!» Dazu gibts auch noch diverse Angebote für Jobs, auf die Zubi nun nach seiner Entlassung als Torwarttrainer von YB allenfalls zurückgreifen könnte.
Wie es geht, wusste Marcel Reif als Sky-Kommentator beim Champions-League-Halbfinale Bayern gegen Real: «Die Bayern sollten mehr wollen müssen.» Und nur wenige Tage später offenbarte er gewisse Erinnerungslücken: «Der letzte Sieg von Gladbach in Dortmund ist schon eine Ewigkeit her. 1998 – damals spielte er, Lucien Favre, noch in der Schweizer Nationalmannschaft.» Um seinen Spielern den Siegeswillen einzuimpfen, zog HSV-Trainer Thorsten Fink einen etwas ungewöhnlichen Vergleich: «Wenn man in die Disco geht und die schönste Frau haben will und sagt: ‹Hör mal, willst du mit mir gehen?› So klappt das nicht. Man muss sagen: ‹Hey Puppe, ich bin der geilste Typ, du kommst mit mir!› Man muss etwas wirklich wollen und das ausstrahlen.» Also wollen müssen, sozusagen. Zum Schluss noch der kolportierte Dialog zwischen Hakan Yakin und Schiedsrichter Ludovic Gremaud. Yakin: «Was willst du mit 2000 Franken im Monat? Such dir lieber einen richtigen Job!» Darauf Gremaud: «Weisst du, was der Unterschied zwischen uns ist, Yakin? Ich spiele nächste Saison wenigstens in der Super League.»
Abendständchen Chörli Fussball-Club Feuerthalen, Hug Records 60er-Jahre Aus der Sammlung von Pascal Claude Bevor Fussballvereine auf die (zweifelhafte) Idee kamen, sich selbst zu besingen, war in klubeigenen Chören das klassische Liedgut gepflegt worden. Bekanntestes Beispiel hierfür ist das Jodeldoppelquartett des FCZ, von dessen schönen Männerstimmen nicht zuletzt die Vereinskasse profitierte. Auch beim FC Feuerthalen hat man sich vor einem halben Jahrhundert andächtigen Volksweisen hingegeben: zuweilen etwas schief bei der Intonation, aber das stört nicht weiter. Jedem verspringt mal ein Ball. Gut Nacht! Diese und die früheren «Singles» zum Anhören auf www.zwoelf.ch
Die Tabelle der Super League.
ZWÖLF präsentiert den Tabellenstand
Rang
1. 2.
Klub
FC Basel FC Sion
Punkte
78 59
3.
FC Luzern
57
4.
BSC Young Boys
55
5.
Neuchâtel Xamax
52
6.
Servette
52
7.
FC Thun
44
8. 9. 10.
FC Zürich FC Lausanne-Sport Grasshopper Club Zürich
41 31 26
Übrigens: So sieht die «richtige» Tabelle der Chaos-Saison 2011/12 aus. Ohne Punktabzüge für irgendwen und in der Annahme, Xamax hätte die Rückrunde gleich gespielt wie die Vorrunde.
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Rubrik
Die Liste
Mia san auch ein bisschen mia Nicht erst seit Shaqiri: Die Bayern zeigen schon seit je eine aussergewöhnliche Affinität zur Schweiz.
Alain Sutter
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Hier muss es grad mal persönlich werden: Es ist nämlich eines der prägenden Ereignisse im Leben des ZWÖLF-Präsidenten und des ZWÖLF-Finanzchefs, als sie zum Abschluss ihrer Interrail-Tour 1995 noch kurz an der Säbener Strasse vorbeischauten und daselbst keinen Geringeren als den zufällig in Bümpliz geborenen Brasilianer («Sport») vorfanden. Es entspann sich folgender launiger Plausch: «Hopp Alain!» – «Hoi zäme.» – «He, Alain, wo sind dia andara?» – «Ds Berlin.» Ja, ja, die anderen Stars wie Matthäus, Scholl und Kahn waren wieder mal woanders, derweil Alain zusammen mit Ersatzkeeper Sven Scheuer und Emil Kostandinov einsam seine Runden auf dem bayrischen
Trainingsgelände drehte. Es war halt keine Traumbeziehung, die der helvetische Fussballgott mit dem teutonischen Titanen führte. Geholt nach einer riesigen Bundesliga-Debütsaison aus Nürnberg, verweigerte Sutter erst grad mal das Bier bei der Präsentation auf dem Oktoberfest. Und als ihn dann später ein Virus befiel und die homöopathischen Mittelchen nicht verhindern konnten, dass er fast bis auf die Knochen abmagerte, verschmähte er auch noch den Rat des schon längst entnervten Wurstfabrikanten Hoeness, «ab und zu mal auf sein Müsli zu verzichten und sich einen ordentlichen Schweinebraten einzuverleiben».
Ciriaco Sforza
Das Trauerspiel mit Sutter hinderte die Bayern nicht daran, gleich darauf einen weiteren Nati-Helden zu verpflichten. Ciri Sforza spielte gar zweimal bei den Bayern, so wie er fast überall zweimal spielte. Als «Spiritus
rector» bezeichnete ihn der wie Klinsmann und Herzog ebenfalls neu zu den generalüberholten Bayern gestossene Otto Rehhagel gerne, wahlweise profaner auch mal als «Quarterback». Für die «Welt» strahlte Sforza die «gewisse Lässigkeit des wahren Könners» aus; doch schon im April 1996 nach einer Heimniederlage gegen Rostock war alles anders: Rehhagel gefeuert, der längst nicht mehr so hoch im Kurs stehende Sforza auf dem Sprung zu Inter Mailand. Kaum länger dauerte Ciris zweites Bayern-Intermezzo vier Jahre später. Freilich blieb er sogar noch länger, als er willkommen war. Abermals aus Kaiserslautern losgeeist, erhielt er zwar Matthäus‘ Trikot mit der 10 und gewann darin sogleich die Champions League mit den Bayern; doch primär an ihm lag das nicht. Jedenfalls wollten ihn die Bayern zum Start der Saison 2002/03 schon wieder loswerden. Als sich Sforza schliesslich spät zur zweiten Rückkehr nach Kaiserslautern durchrang, lief aber die Saison bereits. Und für die Bayern sollte diese dann insofern historisch werden, als das Trikot mit der 10 keinen Träger hatte.
Slawomir Wojciechowski
Dass Ottmar Hitzfeld den selbst für NLA-Verhältnisse wenig auffälligen Polen in der Winterpau-
se 1999/2000 für 1,5 Millionen D-Mark wohl bloss darum verpflichtete, um seinem Ex-Klub Aarau was Gutes zu tun, ist hinlänglich bekannt – auch Uli Hoeness, der angesichts von Wojciechowskis ausbaufähiger Bilanz von drei Bundesliga-Spielen und einem Tor einst zu Hitzfeld meinte: «Wenn du deinen früheren Verein wieder einmal unterstützen willst, dann sag es doch, und wir überweisen einfach direkt einen Betrag.» Weniger bekannt ist derweil, dass es der Pole im Karriereherbst noch ein zweites Mal in Deutschland versuchte. Beim Landesligisten Victoria Köln (6. Liga) schaffte er das Kunststück, sowohl im letzten Spiel des Jahres 2007 als auch im ersten Spiel 2008 eine Rote Karte zu kassieren.
Lars Lunde
Sein 1-Millionen-Franken-Transfer vom frischgebackenen Meister YB zu den Bayern im Oktober 1986 war ein Knaller: weniger wegen der Bombendrohung, die
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nach Bekanntgabe seines Wechsels nach München bei der YBFinanzgesellschaft per Telefon eintraf – als vielmehr deshalb, weil damals ja noch die rigide Begrenzung auf zwei Ausländer pro Team bestand. Es sollte freilich bis zum 28. März 1987 und dem 22. Spieltag dauern, bis der Däne erstmals für die Bayern traf. Selbstzweifel hatten ihn da schon länger befallen; den Mut hatte er aber noch nicht verloren – meinte er doch drei Wochen vor seinem ersten Treffer und nach einem Europacup-Spiel, in dem seine Konkurrenten Roland Wohlfahrt und Dieter Hoeness je zweimal getroffen hatten: «Auch ich habe gezeigt, dass aus mir durchaus etwas werden kann.»
Xherdan Shaqiri
Der Kraftwürfel will es nun also besser machen als Sutter, Sforza, Wojciechowski und Lunde. Was ihn in München ausser einem harten Konkurrenzkampf auch noch erwarten wird, darauf hat er schon längst einen Vorgeschmack bekommen: Altherrenwitze. Etwa von Waldi Hartmann: «Er wird ja Zauberzwerg genannt. In München kommts dann zu einem Wettbewerb der Zwerge mit Philipp Lahm und Rafinha.» Oder von Trainer Jupp Heynckes: «Ich wollte Shakira, doch sie holten Shaqiri.» Und dabei musste sich Shaq Attack doch schon wegen seines so undeutschen Namens rechtfertigen: Er habe kosovarische Wurzeln, «deshalb heisse ich nicht Hans oder Urs».
Reinhold Mathy
Einige gingen freilich auch noch den umgekehrten Weg: vom FC Bayern in die Schweiz. Einer von ihnen war Reinhold Mathy, von Uli Hoeness einst als «grösstes Talent» gepriesen,
«das in den letzten zehn Jahren bei uns spielte», von Udo Lattek mit dem Satz geadelt: «Der Junge müsste mit seinen Fähigkeiten 50 Länderspiele haben.» Bei Karriereende 1993 mit 31 Jahren hatte er aber genau null Länderspiele. Denn der schon als 19-Jähriger als kommender Rummenigge-Nachfolger gehandelte Offensivspieler war einfach nicht geschaffen für den grossen Fussball. Wie erst später publik wurde, litt er schon während seiner besten FussballerZeit Mitte der Achtziger unter einem Burn-out – zu einer Zeit, als noch niemand diesen Begriff verwendete und man für so etwas auch sonst kein Verständnis hatte. Die «taz» bezeichnete das «ewige Talent» denn auch als «allererbärmlichsten Vereins angestellten» der Bayern; andere machten sich einen Spass daraus, ihn einen «Simulanten» oder die «Memme aus Memmingen» zu nennen; und seine Kollegen hängten ihm im Frühjahr 1987 zwei Fussballschuhe überkreuz an den Spind und ein Blatt Papier, auf dem «Verräter» stand. Das mag erklären, warum ein Mann von Mathys Kaliber schliesslich in Wettingen landete und selbst dort ein bescheidenes Dasein fristete. Sportlich kam er in seiner einzigen Saison 1991/92 nie auf Touren, und privat war die Zeit im Aargau auch nicht berauschend: Zeitweise lebte Mathy («Ich hätte wohl ein Weltklassespieler werden können») gar in der Schiedsrichterwohnung über der Haupttribüne in der Altenburg.
Norbert Eder
Den Vizeweltmeister von 1986, der sämtliche seiner neun Länderspiele im Jahr der WM von Mexiko machte, hatten wir just in dieser Rubrik schon mal: bei den FCZ-Transferflops. Deshalb
cki-Fussball») dann ein Kulturwechsel folgen – wie die Zeiten sich doch gleichen!
Ottmar Hitzfeld hier nur die schönen Worte von Uli Hoeness, geäussert beim Verkünden von Eders Wechsel zum NLB-Klub FC Zürich im Sommer 1988: Dem FC Bayern seien Offerten vorgelegen, «die uns eine wesentlich höhere Ablösesumme eingetragen hätten, als wir sie jetzt unter wohlwollendstem Entgegenkommen vom FC Zürich erhalten werden». 150 000 D-Mark sollen es gewesen sein, und über einen Nachschlag von 75 000 Franken wurde später dann bei allem Wohlwollen trotzdem noch heftigst gestritten.
Pal Csernai
Gar noch grösser als der Name Christian Gross ist jener eines anderen gescheiterten YBTrainers: Der Ungar Pal Csernai kam im Oktober 1989 mit der Empfehlung von zwei BayernMeistertiteln (1980 und 1981) zu den abstiegsgefährdeten Bernern. Und auch dem «feinen Pinkel» («Jeans – das habe ich noch nie in meinem Leben getragen») wurden in der Bundesstadt «Arroganz, Reserviertheit, Kälte, Eitelkeit» vorgeworfen. Erfolg hatte er freilich auch keinen, und deshalb war er Ende Saison schon wieder weg. Bei YB sollte unter Martin Trümpler («Wir wollen keinen Schickimi-
Etwas erfolgreicher als Csernai in der Schweiz war Hitzfeld in Deutschland. Ja er war gar dermassen erfolgreich, dass er bereits im Januar 2001 Udo Lattek als den fleissigsten Titelhamsterer unter den deutschen Trainern ablöste – allerdings nur, wenn man auch die in der Schweiz geholten Pokale dazuzählte. Für Lattek absolut illegitim: In Bezug auf den mit Aarau geholten Cuptitel meinte «Pils-Udo» etwa, er zähle ja auch nicht alle Kegelmeisterschaften mit, die er in seinem Leben gewonnen habe.
Uli Hoeness
Dass die Bayern so versessen auf uns Schweizer sind, muss wie alles andere in diesem Verein mit Uli Hoeness zu tun haben. Und tatsächlich hat dieser «über das Sportliche hinaus ein ganz persönliches, enges Verhältnis zu diesem tollen Land». Was er damit (auch) meint: seine Wohnung auf der Lenzerheide, die er nun schon seit über 30 Jahren hat. Und nach der Annahme der Zweitwohnungsinitiative und der damit einhergehenden Wertsteigerung des hoenessschen Heims ist auch sichergestellt, dass der Geldsäckel des Ober-Bayern für die nächste Einkaufstour in der Schweiz weiterhin gut gefüllt sein wird.
Rubrik
Die Auswärtsfahrt
Lechia Gdansk Zaglebie Lubin
0 1
Ekstraklasa (Polen) – 9.4.2012 PGE Arena, 14 985 Zuschauer Text & Bilder: Niko Hüls
Hass am Ostermontag
Ostern ist in Polen ein heiliges Fest. War es zumindest bisher immer. Aber spätestens seitdem man an Karfreitag bis 20 Uhr in den gängigen Einkaufszentren im Grossraum Danzig einkaufen kann, sollten sämtliche Sittenwächter alarmiert sein. Ein ebensolcher versuchte dann auch während des Spiels Lechia Gdansk gegen Zaglebie Lubin die Wogen zu glätten, als die Lechia-Fans unter grossen Schmähgesängen gegen die Nachbarn von Arka Gydnia ein grosses Banner ausrollten, mit dem sie diese – jugendfrei formuliert – als «Typen, die Kinder verprügeln» beschimpften. Warum? Eine Sache, die bei einem A-Jugendspiel passiert sei, als Arka-Fans die Kinder eines LechiaFans verhauen hatten, weil dieser wiederum provozierend in Arka-Richtung «argumentiert» hatte. Ein bisschen viel Hass für einen Ostermontag an der polnischen Ostsee? Sicher. Aber, was hat überhaupt Arka Gydnia damit zu tun, wenn Lechia gegen Lubin spielt? Eine einfache Frage, zumindest wenn man sich in den weit gestrickten und gut gepflegten Fan-Freundschaften des polnischen Fussballs auskennt. Die Freunde aus Gydnia füllten den Gästeblock zu gut zwei Dritteln und leisteten den Fans aus Lubin Schützenhilfe bei einem Kick, der wohl nicht nur nach mit-
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teleuropäischen Standards die unterste Note der Bewertungsskala bekommen hätte. Und dreifach ärgerlich an diesem Tag war, dass erstens diese Heimniederlage Lechia Gdansk ein weiteres Stück näher an den Abgrund in Richtung zweite Liga stiess, zweitens auch noch ausgerechnet Arka in «ihrem» Stadion einen Triumph feiern durfte, obwohl die nicht mal mehr erste Liga spielen (und per Banner den Umzug in diese PGE-Arena lustvoll als Quasi-Sargnagel für Lechias Zukunftspläne verspotteten), und drittens, dass die Grün-Weissen mit einer grossen Aktion und Tickets zu 10 Zloty endlich mal wieder eine volle Hütte haben wollten, dann aber doch nur 15 000 Zuschauer kamen, wovon ein Grossteil noch nicht mal rechtzeitig im Stadion war, weil die Kassenhäuschen mit dem Ansturm überfordert waren. Und das alles ausgerechnet an Ostern. Dafür funktioniert das bargeldlose Bezahlen hervorragend, zumindest wenn man weiss, was «Aufladestation» auf Polnisch heisst. Die Europameisterschaft kann also kommen. Ob Lechia nach dem Sommer noch Heimspiele in diesem Stadion austragen darf, steht allerdings aus verschiedensten Gründen in den Sternen.
Rubrik
beni thurnheer
Mein Freund, der Champions-League-Sieger Pressekonferenz am Tag vor dem Champions-League-Halbfinal-Hinspiel Chelsea gegen Barcelona an der Stamford Bridge. Rund 50 Fernsehkameras, doppelt so viele Fotoapparate und nochmals doppelt so viele Schreibblöcke und Laptops nehmen alles auf, was Chelsea-Interimstrainer Roberto Di Matteo zum Besten gibt. Die Gelegenheit, ihm Fragen zu stellen, wird rege genutzt. Englische Wortfetzen fliegen hin und her, bis plötzlich einer eine Frage auf Italienisch stellt: ob der vielfache italienische Nationalspieler Di Matteo auch für die Ehre seines Vaterlandes kämpfe. Die vielen englischen Journalisten sind irritiert, ich auch. Roberto Di Matteo ist doch in Schaffhausen aufgewachsen und wurde mit dem FC Aarau Schweizer Meister! «Roberto, füühlsch du dich nöd au e chli als Schwiizer?», werfe ich deshalb vor versammelter Weltpresse auf Schwiizer-
Der Cartoon Von: Konrad Beck, Christian Wipfli www.konradbeck.ch
tüütsch in die Runde. Wie die Journalisten jetzt alle blöd aus der Wäsche gucken... So war es aber nicht. Ich spielte zwar mit dem Gedanken, hatte aber den Mut einfach nicht. Immerhin: Nach dem Ende der Veranstaltung kann ich mit unserem Chelsea-Trainer beim Warten auf den Lift doch noch ein paar Worte wechseln. «Macheder bim Schwiizer Fernseh wieder es EM-Schtudio? Isch cool gsii s letscht Mal.» Danke, danke, aber jetzt, Barcelona... «Die schpilled nöd gern gäge eus, das chan ich dir säge!» Und schon ist (leider) der Aufzug da. Vor dem Rückspiel in Barcelona bekomme ich von Di Matteo dafür viele wichtige Informationen. So ist es aber nicht, denn ein Kollege kommentiert diesmal. Der Final in München. Beim TV-Kommentatoren-Meeting erfahre ich, dass die
Sieger die Trophäe und die Medaillen hoch oben in der Tribüne bei UEFA-Präsident Michel Platini abholen werden. Auf dem Weg dorthin werden sie hautnah an uns vorbeikommen! Chelsea gewinnt, und die Stars passieren tatsächlich unseren Sektor. Als Roberto an meiner Position vorbeikommt, klatschen wir uns beide freudestrahlend ab. So war es aber nicht. Zwischen mir und der Treppe sassen nämlich noch ungefähr sechs andere Kommentatoren. Am Montag rufen mich die Kollegen des Informationsmagazins «10 vor 10» an. Ob ich ihnen nicht ein Interview mit Roberto Di Matteo vermitteln könne. So war es wirklich. Es hat sich offenbar rasch herumgesprochen, dass ich einen besonderen Draht zu ihm habe. Ich rufe ihn also an, und er nimmt sein Handy sofort ab. So war es aber nicht.
Rubrik
grüsse aus der challenge League
Roger Tanner, 1966, Ex-1.-Ligist beim SC Brühl und Brühler Exilant aus dem Berner Oberland, Erfolgstrainer bei den D-Promo-Junioren des FC Allmendingen Thun.
Oh ja: Wir kommen wieder Am Anfang war Freude pur: Nach 38 Jahren stieg der SC Brühl St. Gallen wieder in die zweithöchste Spielklasse auf, und nun durfte ich live erleben, was ich bisher nur aus Erzählungen kannte. Die historische Dimension wurde noch verstärkt durch die Tatsache, dass zur gleichen Zeit auch die Geldvernichter aus dem Westen der Stadt ein ChallengeLeague-Downgrading erfuhren. Ein Stadtmatch gegen den Erzrivalen! Ich fühlte mich als historisches Glückskind. Okay – Erzrivale, das klingt aus heutiger Sicht eher lächerlich. Aber meine Fussball-Sozialisation stammt aus den 1970er-Jahren, und damals hatte das durchaus seine Berechtigung. 30 Spiele später stehen wir wieder am Ausgangspunkt unserer Träume: Wir sind zurück in der dritthöchsten Spielklasse. Was bleibt von diesem Jahr? Zuerst mal die Erinnerung, wie schnell Euphorie in Ernüchterung umschlagen kann, wobei der Tiefpunkt nach einer 1:7-Niederlage gegen Kriens (es hätte auch ein 1:12 sein können) ziemlich
Das Fundstück
schnell erreicht wurde. Danach folgte der ersehnte Stadtmatch: Mehr als 6000 Zuschauer im Paul-Grüninger-Stadion, ein traumhaftes Fussballfest ohne Sektoren, aber sportlich mit einer weiteren Niederlage eben trotzdem enttäuschend. Dabei wären doch genau das die Siege, bei denen ich sagen könnte: Heute ist ein guter Tag zum Sterben. Sportlich lief die Saison immer weiter, doch ein Ligaerhalt-Strohhalm nach dem anderen wurde geknickt. What else? In Delémont eine weitere Niederlage und eine Gratissuppe für alle. War ich jetzt bei den Fussball-Randständigen angekommen? Der erste Sieg im letzten Vorrundenspiel gegen Wohlen durch ein Phantomtor. Das völlig konfliktfreie Heimspiel gegen Aarau, das die St. Galler Polizei aber zu einem Machtkampf Ordnungskräfte vs. Fangruppen aufbaute (moralischer Sieger blieben die in Unterzahl angetretenen Fans des FC Aarau). Zum Schluss das bedeutungslose letzte Saisonspiel. Und was geschieht? Die einzi-
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ge reine Amateur-Mannschaft, die bei ihrer Mission Impossible von Anfang an in Rücklage war, wird vom Heimpublikum mit Standing Ovations und La Olas verabschiedet. Eine Woche zuvor wurde der Stadtrivale am St. Galler Westend zwischen Autobahnkreuz und Shopping-Wahn lauthals ausgepfiffen. Die Brühler Mannschaft hat sich den Applaus und die durchschnittlich fast 1600 Zuschauerinnen und Zuschauer verdient, weil sie nie aufgab und immer wieder zusammenfand. Und irgendwie ist in dieser Saison aus unserer Underdog-Rolle ein ziemlich starkes Gemeinschaftsgefühl gewachsen: That’s our way. Oh ja: Wir werden wiederkommen. Vielleicht nächstes Jahr. Oder übernächstes. Oder in 38 Jahren. Wie alt bin ich dann? Scheisse. Das Schweizer Sportfernsehen überträgt jeweils die Montags-Partien der Challenge League live ab 20 Uhr.
Text: Gregory Germond www.sportantiquariat.ch
Liebe Freunde des raren Sportstücks Heute: Xamax-Memorabilia
Pünktlich zum viel umjubelten 5-Jahr-Jubiläum unserer Herzpostille (na das ZWÖLF, logo!) verabschiedete sich der 100-jährige FC Xamax Neuchâtel (neu FC Xamax 1912) in die fünfthöchste Liga bzw. 2. Liga interregional. Als Hommage möchte ich Euch einige der ziemlich zahlreich produzierten Memorabilia von Xamax vorstellen, wovon das meiste recht originell war. Die 80er-Jahre mit den zwei Meistertiteln und den Europacup Auftritten waren hierbei die ergiebigsten. So erinnern wir uns gerne an das Europacup-Buch
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der Saison 1981/82, das noch vor dem Ausscheiden gegen den HSV erschienen war, weshalb ein Nachtragsheft publiziert wurde, das aber meistens fehlt und deshalb sehr begehrt ist. Kultig sind auch die Wimpel mit dem Vereinsemblem auf der Vorderseite und den gedruckten Signaturen des Kaders auf der Rückseite. Leider fehlt jeweils die Saisonzahl, ausser sie wurden gerade Meister! Aussergewöhnlich für die moderne Zeit waren die Autogrammkarten, wurden sie doch auf echtem Fotopapier an die Fans abgegeben. Auf den zweiten Blick ist das freilich wenig er-
staunlich, war doch der damalige Trikotsponsor das grösste Fotolabor der Schweiz. Auch für die Freunde der gepflegten Statistik sorgte Xamax, und zwar in Form eines Buches nach dem 500. NationalligaMatch im Jahre 1989. Jede Saison ab 1973 mit allen LigaResultaten, Alpencup, Schweizer Cup, Teamfotos, Telegrammen des Cupfinals, Torschützen usw. So ein Werk würde manchem FC in der Schweiz gut anstehen! Die Neuenburger haben sich vorgenommen, trotz des Falls in den Amateurfussball ihr 100-Jahr-Jubiläum gebührend zu feiern. Am
14. September wird eine Ausstellung der Privatsammlung von Gilbert Facchinetti – der 24 Jahre Präsident war – eröffnet, die bis zum Januar im Musée d‘art et d‘histoire de Neuchâtel zu bestaunen sein wird. Freuen dürfen sich die Freunde der Schweizer Fussball-Historie: Es ist nämlich bei einem namhaften Neuenburger Verlag eine zweibändige (olé!) Klubchronik in Planung! Wir dürfen gespannt sein. Und wer weiss, vielleicht schafft Xamax zum 10-Jahr-Jubiläum von ZWÖLF ja die Rückkehr in die Super League! In diesem Sinne: Au revoir, Xamaxiens!
«Dafür werden unsere Enkel noch zahlen» Text & Bilder: Reinhard Krennhuber
Zwischen Frühsommer und Nulltemperaturen, Glaspalästen und Plattenbauten, Wellnessoasen und Uraltzügen: «Ballesterer»-Redakteur Reinhard Krennhuber hat die vier ukrainischen EM-Orte besucht. Er hat mit Ultras, Literaten und Priestern Bier getrunken und über Oligarchen geredet. Und Fussball geschaut hat er auch.
«A
ls ich vor 15 Jahren hierhergezogen bin, hat es keine asphaltierten Strassen gegeben, es war alles Pampa», erklärt mir Artem Frankow, Chefredaktor der ukrainischen Wochenzeitung «Futbol», als wir durch den Kiewer Stadtteil Obolon spazieren. Hier ist der gleichnamige Fussballklub zu Hause, der sich als Gegenentwurf zu den grossen Vereinen des Landes mit ihren Oligarchen und teuren Legionären sieht. Mit Ausnahme des Brasilianers William Batista, der aber lediglich eine einzige Minute gespielt hat, finden sich nur Ukrainer im Kader; nach drei Jahren im Oberhaus steht nun aber der Gang in die Zweitklassigkeit an. Dennoch ist es für Obolon-Präsident Olexandr Slobodjan der einzig richtige Weg: «Wir müssen an die guten Traditionen des ukrainischen Fussballs anknüpfen, die in den vergangenen Jahren leider verloren gegangen sind. Ohne arrogant wirken zu wollen, halte ich unseren Klub für vorbildlich. Nur so kann sich das grosse Potenzial der ukrainischen Spieler entfalten, und davon wird auch unser Nationalteam profitieren.» Dieser Seitenhieb gilt in erster Linie den Giganten der Liga. Auch Artem sieht Versäumnisse in der Nachwuchsförderung: «Fast alle ukrainischen Klubs verfügen über Nachwuchsakademien mit guter Infrastruktur, aber diese Investitionen versanden. Schachtar beispielsweise verleiht Dutzende Eigenbauspieler, weil sie selbst keinen Platz haben. Und die Fussballschule von Dynamo Kiew hat seit 15 Jahren keinen grossen Spieler mehr herausgebracht.» Dynamo, für das Artem zumindest Sympathien hegt, spielt dennoch wie jedes Jahr um die Meisterschaft mit. Seit November im neuen Olympiastadion, wo es am kommenden Tag Aufsteiger Tschornomorez Odessa empfängt. Das Finalstadion der EM, das 70 000 Zuschauer fasst, ist vom zentralen Unabhängigkeitsplatz aus, an dem 2004 die Orange Revolution ihren Ausgang nahm, in einer Viertelstunde zu Fuss erreichbar. Am Chreschtschatyk-Boulevard ruht wochenendbedingt der Verkehr. Vor dem Rathaus zählt eine Digitaluhr die Zeit bis zum Ankick der EM herunter: 68 Tage
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und ein paar zerquetschte Stunden und Minuten. Auf der Flaniermeile findet anlässlich des 1. April ein lustiges Fest statt, der Andrang der Massen hält sich jedoch genauso in Grenzen wie einige Hundert Meter weiter, wo die Anhänger der inhaftierten Ex-Ministerpräsidentin Julija Timoschenko ein Zeltlager aufgeschlagen haben. Auf Plakaten wird Präsident Wiktor Janukowitsch karikiert, die Direktheit der Botschaften verwundert. Ein Passant erklärt: «Timoschenko bezahlt ihre Leute, damit sie hier campieren. Janukowitsch lässt sie in Ruhe, weil es mehr Aufsehen erregen würde, wenn er die Leute wegschaffen liesse. Während der EM werden sie aber wohl nicht mehr hier sitzen.» Der Weg zum Stadion führt vorbei an Wolkenkratzern, die in den vergangenen Jahren in Kiew zuhauf entstanden sind. Die Glasfassaden des Olimpijskij Tower und seiner Nebengebäude ragen bis zu 120 Meter in den Himmel. Das neue Olympiastadion ist nicht minder eindrucksvoll. Für rund 700 Millionen Franken wurde die Arena, in der einst über 100 000 Zuschauer die Erfolge des sowjetischen Rekordmeisters Dynamo Kiew bejubelten, drei Jahre lang komplett umgebaut. Die Kostenexplosion lässt vermuten, dass nicht nur die Dynamo-Fans vom neuen Stadion profitierten. Zum Vergleich: Die Allianz-Arena in München, ein Stadion ähnlicher Grösse, wurde trotz der viel höheren Löhne in Deutschland für 400 Millionen Franken realisiert. Vor dem Spiel kann ich auf den Flatscreens im Pub mitverfolgen, wie Schachtar Donezk, das Team des Oligarchen Rinat Achmetow, Worskla Poltava mit 2:0 schlägt und damit mit Tabellenführer Dynamo gleichzieht. Ihor, ein Dynamo-Fan, ist pessimistisch: «Achmetow ist der reichste Mann des Landes. Er investiert deutlich mehr Geld in seinen Klub, als Dynamo abkriegt. Das hat in den letzten beiden Saisons den Ausschlag gegeben. Und er wird es auch heuer wieder richten». In der Tat beziffern ukrainische Medien das Budget der OrangeSchwarzen auf 140 Millionen Franken, während Dynamo laut Vereinspräsident Ihor Surkis mit einem Drittel auskom-
men muss. Da hilft nur Galgenhumor. Als Donezk-Trainer Mircea Lucescu eingeblendet wird, verweist Ihor auf den Spitznamen, den ihm die Kiewer Fans nach einem Unfall mit einem Tram in der Winterpause gegeben haben: «Wir nennen ihn Strassenbahndompteur.» Mehmedi auf Ideye Brown Eine halbe Stunde vor Matchbeginn stauen sich vor den Eingängen des Olympiastadions die Massen. Das elektronische Ticketsystem funktioniert weitgehend reibungslos, allerdings wird es vor den Toren der neuen Arena schnell eng, weil sie – eingebettet in einen Kessel – nur von zwei Seiten begehbar ist. Im Gegensatz zum Eröffnungsspiel Ukraine gegen Deutschland, bei dem es zu teils bedrohlichem Gedränge kam, verläuft der Einlass dieses Mal ohne Probleme, auch wenn 42 000 Menschen Dynamo siegen sehen wollen. Bereits ab 2.50 Franken sei eine Karte für ein Meisterschaftsspiel zu haben, das neue Stadion habe sich als Publikumsmagnet erwiesen, sagt Ihor. Während Dynamo seine Ligaspiele im alten LobanowskiStadion vor grossteils weniger als 5000 Zuschauern austrug, spielt man seit dem Umzug vor Zehntausenden. Vor dem Match erlebt der neue Dynamo-Klubsong seine Premiere. Die Zuschauer singen den Refrain der rockigen Nummer mit, und auch die Ultras in der Kurve lassen sich nicht bitten. «Das Lied hat ein Freund von mir geschrieben. Es ist ein erstes Zeichen, dass der Verein die Fans ernst nimmt. Von einer guten Zusammenarbeit sind wir aber noch weit entfernt», sagt Ihor. Als die Mannschaften auflaufen, setzen die Dynamo-Fans zu einer Schalparade an. Vereinzelt sind rechtsradikale Insignien auszumachen: Auf der Haupttribüne schwenkt ein Jugendlicher stolz seinen mit einem Keltenkreuz und einer germanischen Gottheit versehenen Schal. Er bleibt jedoch die Ausnahme. Der Stadionsprecher weist mehrmals darauf hin, dass rechtsradikale und antisemitische Symbole und Fangesänge im Stadion verboten sind. Auf dem Platz setzt Dynamo seinen Erfolgslauf nahtlos fort. Die Mannschaft
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Oben: Statue des Namensgebers der Karpaty-Lwiw-Ultras Oben links: Strassenbahn in Charkiw Unten links: Unterführung in den Vereinsfarben von Metalist Charkiw
hat keines der bisherigen 24 Spiele verloren, auch Odessa kann den Lauf nicht stoppen. Nach einer halben Stunde verwertet der Ex-Xamaxien Ideye Brown ein Zuspiel des Ex-FCZlers Admir Mehmedi, beim Stand von 3:0 erhält auch Andrij Schewtschenko nach seiner Verletzungspause eine Viertelstunde Spielpraxis. Der vor drei Jahren heimgekehrte Sohn des Klubs ist der unumschränkte Star der Mannschaft. Als «Schewa» eingewechselt wird, steht das Stadion. Dynamo gewinnt schliesslich ungefährdet mit 3:1 und liegt vor dem Showdown in Donezk drei Punkte vorn. Potemkinsche Stadt Aus der Hauptstadt am Dnepr geht es am nächsten Abend in den Osten, nach Charkiw. Der Fahrpreis von 17 Franken für den Vierer-Liegewagen entschädigt
dafür, dass der Zug für die 500-Kilometer-Strecke acht Stunden benötigt. Als ich am nächsten Morgen aus dem Zug steige, betrete ich eine andere Ukraine. Im Osten sprechen 99 Prozent der Bevölkerung Russisch, ein Grossteil der Bewohner ist in Industrie und Landwirtschaft beschäftigt. Während der Bahnhof für die EM generalsaniert wurde, breitet sich dahinter eine verfallene Industriegegend aus, durch die sich jahrzehntealte Strassenbahnen ihren Weg bahnen. Mein Taxifahrer signalisiert in gebrochenem Englisch, dass die Innenstadt auch schönere Plätze zu bieten habe. Und so ist es dann auch: In der Sumska-Strasse, in der sich mein Apartment befindet, sind die Häuserfassaden fesch herausgeputzt, sehr viel weiter sind die Renovierungen jedoch nicht fortgeschritten. In den Hinterhöfen verfallene Ba-
racken, abseits der Hauptverkehrswege lässt der Zustand der Strassen selbst ukrainische Taxifahrer das Tempo auf Laufgeschwindigkeit drosseln. Auch wenn das Leben in der 1,5-Millionen-Metropole dank Zehntausender Studenten pulsiert und viele Grünanlagen zum Verweilen in der Frühlingssonne einladen, wird schnell klar, dass man Charkiw nicht an westeuropäischen Standards messen kann. Das bestätigt auch die Journalismusstudentin Maria, die während der EM in der Charkiwer Fanbotschaft arbeiten wird und mir den Charme der Stadt bei einer Führung näherbringt. Vom zentralen, zwölf Hektar grossen Freiheitsplatz, dem grössten urbanen Platz Europas, an dem während der EM die offizielle Fanzone Charkiws eingerichtet wird, geht es über die benachbarte Universität in den weitläufigen Schewtschenko-Park, in dem wir
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Ganz oben: Schachtar-Fans vor dem Klassiker gegen Dynamo Oben: Pokalfieber in Lwiw Rechts: Das neue Dynamo-Stadion zieht die Massen an
auf ein Grüppchen Sporting-Fans treffen, die für das Viertelfinalrückspiel der Europa League den weiten Weg aus Lissabon angetreten haben. Benannt ist der Park nicht nach Dynamo-Legende Andrij, sondern nach Taras Schewtschenko, einem bedeutenden Lyriker des 19. Jahrhunderts und Vorreiter der ukrainischen Unabhängigkeitsbewegung. 700 Franken pro Nacht Das deutlich grössere Abbild von Lenin am Freiheitsplatz wird neuerdings von einem Gebäude in den Schatten gestellt, das dem Gründer der Sowjetunion wohl kaum gefallen hätte. Jenseits der Strasse kreuzen Skater und Rollerboarder auf dem weitläufigen Vorplatz des Kharkiv Palace Hotel. Finanziert hat die 115 Millionen Franken teure 5-SterneHütte mit 180 Zimmern, einem Ballsaal für 600 Gäste und jedem erdenklichen
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Schnickschnack eine Investorengruppe um den Multimilliardär und MetalistPräsidenten Olexandr Jaroslawskyj. Trotz Zimmerpreisen zwischen 180 und 700 Franken pro Nacht sei man für den Zeitraum der EM zu 95 Prozent ausgelastet. Danach hoffe man auf finanzkräftige Gäste, die durch die Europameisterschaft auf Charkiw aufmerksam werden. Damit diese auch landen können, hat Jaroslawskyjs DCH-Gruppe weitere 100 Millionen Franken in den neuen Flughafen der Stadt gesteckt. Die 11 Millionen, die der Oligarch in die Jugendakademie des FC Metalist investierte, nehmen sich dagegen genauso bescheiden aus wie die Aufwendungen von 25 Millionen Franken für das EM-Stadion in Charkiw, dessen Neubau zu 70 Prozent von der öffentlichen Hand getragen wurde. Mit seinem Engagement im Fussball folgt Jaroslawskyj dem Beispiel zahlrei-
cher anderer ukrainischer und russischer Millionäre. Seit dem Einstieg seiner Gruppe 2006 konnte sich Metalist, zuvor nur durch einen sowjetischen Cupsieg 1988 aufgefallen, als drittstärkste Kraft im ukrainischen Fussball etablieren. Der sportliche Erfolg hat dem Mäzen allgemeine Anerkennung eingebracht. Auch von Menschen, die dem Turbokapitalismus, mit dem Jaroslawskyj und Co. zu ihren Millionen gekommen sind, skeptisch gegenüberstehen. Im Café Dukat unweit des Zentrums treffe ich den Schriftsteller Serhij Zhadan. Er und seine Freunde würden seit Jahrzehnten zu Metalist gehen, sagt der Mittdreissiger – wegen der Liebe zum Verein, nicht wegen der Erfolge. Dennoch klingt Respekt vor dem Engagement des Oligarchen durch. «Jaroslawskyj hat viel von Achmetow gelernt. Er identifiziert sich mit dem Klub und betrachtet ihn nicht nur als Spielzeug. Das
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honorieren die Fans», sagt Zhadan und verweist auf die Sozialprojekte von Metalist und die Freikarten, die man Schülern und Studenten zugesteht. Dem Oligarchenfussball der aktuellen Ausprägung attestiert er dennoch ein Ablaufdatum. «Ohne Akademien, ohne junge Spieler aus der Region wird man langfristig nicht erfolgreich sein.» Aktuell sind mehr als die Hälfte der Spieler im Metalist-Kader Legionäre. «Es ist paradox, aber gute ukrainische Spieler sind teurer als gleichwertige Brasilianer oder Argentinier. Wir haben im Vorjahr Denis Olijnik für mehrere Millionen an Dnipro verkauft. Für das Geld bekommt Jaroslawskyj zwei Brasilianer», sagt Zhadan. Von der EM erhofft er sich wenig: «Die EM ist kein Mechanismus zur europäischen Integration. Die Integration beschränkt sich auf den Fussball, der schon gut entwickelt ist und sich jetzt noch ein Stück weiterentwickeln wird.» Er kritisiert, dass die Bevölkerung kaum von dem Grossereignis profitiert. «Die EM wurde nicht dazu genutzt, etwas Systematisches zu verändern», sagt Zhadan. «Das Turnier wird vorbeigehen, aber unsere Probleme werden bleiben. Dagegen müssen wir selbst etwas unternehmen.» «Wir sind hier, Metall» Tags darauf will Metalist etwas gegen das drohende Ausscheiden aus der Europa League unternehmen. Schon am Nachmittag sind zahlreiche blau-gelbe Fans vor der «Spinne», wie das Stadion aufgrund seiner Bauweise genannt wird, unterwegs. Nicht nur die Fans, sondern auch die Plattenbauten und die U-BahnStationen tragen hier die Vereinsfarben, der Stadtteil Charkiw-Komintern wurde von Jaroslawskyjs Unternehmen quasi generalgebrandet. Je näher der Anpfiff rückt, desto grösser wird der Rummel vor der Arena. Das auf öffentlichen Plätzen geltende Alkoholverbot hat zumindest für diesen Abend keine Bedeutung, Polizisten sind nur direkt am Stadion zu sehen. Noch bevor die Mannschaften auflaufen, ein erstes Stimmgewitter: 38 000 Zuschauer singen die pathetische Klubhymne mit, ein Meer
blau-gelber Schals. Die Pressetribüne ist heillos überfüllt, und so begebe ich mich in die Nordkurve, wo die alteingesessenen Fangruppen wie United Kharkiv und Old School Fans stehen. Die Ultras Kharkiv gegenüber mit ihren gelben Trikots oder nackten Oberkörpern machen einen vergleichsweise handzahmen Eindruck und scheinen nicht umsonst zwischen dem Schüler- und dem Studentenblock angesiedelt. Von Beginn an entwickelt sich ein schnelles Spiel, in dem Metalist den Ton angibt. Doch kurz vor dem Ende der ersten Hälfte verstummen die Heimgesänge. Die Charkiwer Abwehr verliert die Übersicht, und Ricky van Wolfswinkel köpfelt zum 0:1 ein. Nach der Pause überschlagen sich die Ereignisse: Erst bringt der Argentinier Jonathan Cristaldo Metalist zurück ins Spiel, kurz darauf versemmelt Cleiton einen geschenkten Elfer für die Gastgeber. Die Fans singen «Wir sind hier, Metall, mit dir!». Doch es hilft nichts: Sporting lässt kein weiteres Tor zu und steigt ins Semifinale auf. Die Metalist-Fans bedanken sich bei der Mannschaft für die anständige kämpferische Leistung, dann verschwinden sie zwischen den blau-gelben Plattenbauten in die blau-gelben UBahn-Stationen. Eine zweigeteilte Liga Die nächste Zugfahrt sorgt für Aufheiterung: Kurz vor der Abfahrt nach Donezk fällt ein russisch-orthodoxer Priester sichtlich ausser Atem in den Nebensitz und schläft erst einmal eine Stunde. Als ich ein Bier öffne, wacht er auf und faselt etwas auf Russisch, das ich nicht verstehe, aber für einen Fingerzeig gegen Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit halte. Doch weit gefehlt: Wie sich später herausstellt, wollte der Pater nur wissen, ob ich das Bier bei der Schaffnerin gekauft habe. Der bärtige Herr verschwindet, taucht wenig später mit einer eigenen Flasche auf, prostet mir zu und stellt sich vor – als Anatoli Leonidowitsch Ieromonach Ioann. Mit Unterstützung der anderen Fahrgäste, Zeichensprache, einem Notizblock und einem Stift entspinnt sich eine Unterhaltung über Gott
und die Welt, Stalin und Hitler, Bier und Schnaps. Die knapp sechsstündige Reise vergeht dank meines neuen Freundes wie im Flug. Und am Ende wundert mich nicht einmal mehr, dass sich der Pater als Fan der deutschen Elektro-Pioniere Kraftwerk outet. In der Kohlen- und Stahlmetropole Donezk sind die EM-Vorbereitungen noch nicht abgeschlossen. Anstatt eines Bahnhofs empfängt die Reisenden eine Grossbaustelle. Der Weg hinaus führt durch Paletten voller Pflastersteine über Schotter und ausgelegte Holzplanken. Am nächsten Tag wird hier das Gros der 2500 Dynamo-Fans zum Match gegen Schachtar eintreffen. Das Vorspiel verläuft weitgehend friedlich – am Bahnhof genauso wie in der Innenstadt. Ein paar Dynamo-Fans werden vorübergehend festgenommen, weil sie sich durch frühzeitiges Aussteigen in einem Vorort der Überwachung entziehen wollten. Im herausgeputzten Zentrum laufe ich Artem Frankow in die Arme, der gerade aus Kiew angekommen ist. Wir überbrücken die Wartezeit bei einem Bier und einem Gespräch über die verschiedenen Allianzen im ukrainischen Fussball. «Der ukrainische Fussball ist ein zweigeteiltes Reich», sagt der «Futbol»-Chefredakteur. Darauf folgt eine geballte Ladung an detaillierter Informationen über Koalitionen, komplizierte politische Verstrickungen und Firmengeflechte, die schliesslich für zwei Lager sorgen: jenes von Dynamo und jenes von Schachtar. Showdown in der Wellness-Oase Nach dieser Flut an Informationen ist ein bisschen Ablenkung angesagt, die ich im weitläufigen «Fan Land» finde, das Schachtar vor seiner Arena aufgezogen hat. Die Fanmeile könnte genauso bei einem deutschen Bundesligisten zu finden sein, und ich muss an Zhadans Text aus dem Buch «Totalniy Futbol» denken, in dem er die neuen Stadien als WellnessOasen bezeichnet, in denen sich die Durchschnittsukrainer für eine gewisse Zeit wie im Westen fühlen dürfen. An diesem Sonntagnachmittag ist der Westen allerdings der Rivale. Weil
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die heimischen Ultras wegen der EMbedingt verschärften Repressionen den Support verweigern, hat der Verein eine Zettelchoreografie organisiert, die das Stadion in Orange-Schwarz hüllt. Dynamos Spieler werden von den 58 000 bei jeder Ballberührung niedergepfiffen, Kiew-Trainer Juri Sjomin wird von zwei Burschen ohne Unterlass mit Beschimpfungen eingedeckt. Ein Steward steht teilnahmslos daneben und greift erst ein, als sich andere Schachtar-Fans über die Teenager beschweren. Der Hexenkessel zeigt Wirkung. Der Schiedsrichter schlüpft in die Rolle des Spielentscheiders: Als der bereits verwarnte Denis Garmasch kurz vor der Pause nach einer Behandlung über das Feld zur Seitenoutlinie läuft, um sich beim Assistenten wieder fit zu melden, zeigt er dem Mittelfeldspieler die zweite Gelbe. Die Schachtar-Fans johlen, und Kiew-Trainer Sjomin fällt in seiner Verzweiflung nichts Besseres ein, als seinen Widerpart Mircea Lucescu zu attackieren. Mit grosser Kraftanstrengung verhindern Betreuer beider Seiten eine Schlägerei zwischen den Trainern, Sjomin wird ebenfalls des Feldes verwiesen. Nach der Pause nutzt Schachtar seine Überzahl schnell zum Führungstreffer, Dynamo hält dagegen, kann aber zwei sehr gute Chancen nicht nutzen. Zehn Minuten vor dem Ende fällt das 2:0 für Donezk, das nun punktgleicher Tabellenführer ist. Mehmedi darf nur für die letzten Minuten ran, das wird für den Rest der Saison auch jeweils so bleiben. Vor dem Dynamo-Sektor geht es nach dem Match erstaunlich ruhig zu. Das britische Fernsehteam von Sky Sports zieht ohne Bilder der erwarteten Ausschreitungen ab. Filmen können sie nur feiernde Schachtar-Fans, die im angrenzenden Lenin-Komsomol-Park die dort zur Schau gestellten Sowjetpanzer erklimmen. Am Horizont zeichnen sich die Umrisse der für die Donbass-Region charakteristischen Abräumhalden ab. Industrieromantikerherz, was willst du mehr? Masoch statt Bandera Die letzte Zugetappe ist gleichzeitig die heftigste. Donezk und Lwiw, den öst-
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lichsten und den westlichsten EM-Austragungsort des Landes, trennen 1200 Kilometer oder eine mehr als 24-stündige Zugreise. Alternativen in Form von Direktflügen zwischen den beiden Städten gibt es nicht. Im offenen Schlafwagen ist an Schlaf kaum zu denken. Zu viele Mitreisende haben zu alkoholischen Tranquilizern gegriffen und schnarchen jetzt um die Wette. Entspannung setzt erst nach dem Umsteigen in Kiew ein. Nach frühsommerlichen Tagen im Osten empfängt mich die Westukraine mit Temperaturen um den Nullpunkt, draussen wehrt sich der Schnee gegen das Tauwetter. Drinnen im Abteil ist das egal, die steinalte Zugkombination ist dank eines Kohleofens gut geheizt. Lwiw präsentiert eine weitere Facette der Ukraine. Dem Charme der ehemaligen Habsburgerstadt mit ihren alten Bürgerhäusern, gepflasterten Strassen und malerischen Gässchen kann man sich kaum entziehen. Bei einem Spaziergang auf den Burgberg offenbart sich aber auch die andere Seite: Plattenbauten, soweit das Auge reicht. Ein Kontrastprogramm zum kleinstädtisch wirkenden Zentrum – und die Erklärung, wo die 800 000 Einwohner von Lemberg leben. Ich werde von Karpaty-Fan Andrij durch die Stadt geführt, einem der Mitbegründer der Ultras Banderstadt. Die Gruppe ist benannt nach Stepan Bandera, dem Anführer der westukrainischen Nationalisten vor und im Zweiten Weltkrieg. Das Monument für Bandera liegt in der Nähe des Bahnhofs, Andrij ist es jedoch zu weit dorthin. Vielleicht will er meine Aufmerksamkeit aber auch nicht auf ein von den Medien viel diskutiertes Thema lenken. Denn die Hardcore-Fans des FK Karpaty huldigen Bandera nicht nur in ihrem Fanklubnamen. Sie sind Nationalisten, und aufgrund von Überschneidungen mit der rechtsextremen Szene von Lwiw finden sich unter ihnen auch Neonazis. Andrij jedoch ist kein Neonazi. Das wird beim Gespräch mit ihm und seinen Freunden schnell klar. Die Bierschenke, in die sie mich geführt haben, ist sympathisch und bietet exzellentes Bier diverser
Kleinbrauereien an. Andrij erzählt, dass er kurz vor seiner «perfekten Saison» stehe und damit wohl der einzige Fan ist, der in dieser Saison kein Pflichtspiel von Karpaty versäumt hat. Danach geht es um Ihor Kolomojskyj, den drittreichsten Ukrainer, Eigentümer von Dnipro Dnipropetrowsk und Hauptsponsor von Dynamo Kiew. Er sei an einer Übernahme des Vereins interessiert, meint Andrij, was die Fans mit dem Spruchband «Lieber mit Deminskij (aktueller Karpaty-Präsident, Anm.) in der zweiten Liga als mit Kolomojskyj in der Premjer Liha» kommentiert haben. Als ich ihn nach seiner politischen Einstellung frage, bezeichnet sich Andrij als Patriot. Er macht keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen Odessa, sowohl im Fussball als auch als Urlaubsort. Die Stadt am Schwarzen Meer gilt als jüdisch, genauso wie Kolomojskyj Jude ist. Verlachte Ordnungshüter Am nächsten Tag steht für Karpaty im Cup-Viertelfinale gegen Tschornomorez einiges auf dem Spiel. Der Traum von Europa, Wiedergutmachung für eine völlig verkorkste Saison. Andrij beruhigt die Nerven mit ungefiltertem Bier. Immerhin würde das Spiel heute im alten UkrainaStadion steigen und nicht in der EM-Arena, in der Karpaty bisher sieglos geblieben sei, meint er. Im Minibus geht es zu einem Park im Süden der Stadt. Der Spaziergang zum Stadion wird zum Bilderbucherlebnis. Einige Tausend Menschen stapfen in der Dämmerung schnellen Schritts durch den Wald. Neben den Wegen leeren Kids ihre mitgebrachten Bierdosen und Wodkaflaschen, alte Frauen verkaufen Hülsenfrüchte aus grossen Jutesäcken. Vor den Stehplatzeingängen der 1963 eröffneten Arena sammelt sich der grünweisse Ameisenhaufen. Das Interesse ist für einen Mittwochabend erstaunlich, am Ende werden 18 000 Zuschauer die alten Drehkreuze passieren. Die Karpaty-Fans fackeln, was das Zeug hält. Rauchtöpfen vor dem Spiel folgen zahlreiche Bengalen beim Torjubel nach dem frühen 1:0. Die jungen Ultras rund um das Vorsängerpodium geben alles und reissen den Rest des Stadions mit.
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Der Ton auf der Tribüne ist durchaus rau, genauso wie das Auftreten einiger Besucher. Manche von ihnen tragen einschlägige rechtsextreme Marken. Hälfte zwei beginnt mit einer aufwendigen Choreografie der Ultras. «Kubok Lwowu!» (Der Cup für die Löwen!) lautet die auf das Stadtwappentier bezogene, mit weiteren Bengalen untermalte Botschaft. Die Polizisten starren auf den Fanblock, machen aber keine Anstalten, die Zündelei zu unterbinden. Der Vorsänger grüsst die Ordnungshüter, die auf der Laufbahn wie Hühner in einem Holzverschlag sitzen, die Kurve lacht sie aus. Und auch die Karpaty-Spieler können endlich wieder lachen. Nach dem 2:0 kassieren sie trotz zweier Ausschlüsse für Odessa zwar noch
das Anschlusstor, bringen das Ergebnis aber über die Zeit und dürfen vorerst weiter von Europa träumen. Keine Illusionen Von Europa träumen auch viele Ukrainer. Die EM wird sie diesem Traum jedoch kaum näher bringen. Zurück in Kiew, verbringe ich den letzten Abend mit Ihor und seinem Kumpel. Sie freuen sich auf die EM, auf die Spiele, auf die internationalen Fans. Illusionen geben sie sich aber längst nicht mehr hin. Eine Illusion wäre es, zu glauben, die Fussball-EM werde nachhaltig etwas am Alltag der Ukrainer verbessern. 25 Milliarden Franken wurden anlässlich des Turniers in Stadien, Verkehrswege und
andere Projekte investiert, mehr als die Hälfte davon trug die öffentliche Hand. «Der Staat hat sich enorm verschuldet, Verbesserungen sind für die Bevölkerung jedoch kaum spürbar», sagt Ihor. «Die Last tragen die Steuerzahler, wahrscheinlich werden unsere Enkel noch für dieses Turnier zahlen.» Dafür macht er nicht nur die aktuelle Regierung verantwortlich. Die Parteien seien alle gleich, das ganze System laufe in die falsche Richtung, sagt der Dynamo-Fan. «Die Ukraine ist von Korruption zerfressen, es regieren die Businesstypen. Wie es den Menschen geht, ist in den Hintergrund getreten. Daran muss sich grundlegend etwas ändern. Aber dafür ist die Zeit noch nicht reif.»
dem Gehalt. Top trainiert, gut ausgebildet und dann erst noch im Dienste des Staates – so etwas schürt Ängste. Die erfolgreichste Fussballsektion stellte das Dynamo aus Kiew. Im Zweiten Weltkrieg unter deutscher Besetzung kam es zu jenem Ereignis, dem trotz nicht mehr ganz eruierbarem Verlauf ein zentraler Platz in der Vereinsgeschichte zuteilwurde: dem «Todesspiel», bei dem sich eine Mannschaft aus ukrainischen Zwangsarbeitern – darunter acht Dynamo-Spieler – trotz Todesdrohungen weigerte, ab-
sichtlich gegen eine Flakelf der deutschen Wehrmacht zu verlieren. Nach dem Spiel (5:3) sollen acht Ukrainer verhaftet worden sein, wovon vier die Gefangenschaft nicht überlebten. Skulpturen vor dem Dynamo-Stadion erinnern noch heute an diese Tragödie. Als erste Mannschaft schaffte es Dynamo, die Phalanx der Moskauer Vereine zu durchbrechen. 1961 feierte sie die erste Meisterschaft. Zwölf weitere Titel sollten bis zum Ende der UdSSR folgen, dazu neun Pokalsiege. Kein sowjetischer Ver-
Die Welt von Dynamo Text: Mämä Sykora
Mit seinen «Roboterfussballern» machte Oberst Walerij Lobanowsyj einst alle platt. Seit seinem Tod aber ist Dynamo Kiew selbst in der heimischen Liga nicht mehr die Nummer 1.
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as geschwungene «D» war einst im Westen Sinnbild für die gefährlichen Sowjets. 1923 wurde die Organisation Dynamo als Sportverband der Sicherheitsorgane gegründet – nicht nur in der UdSSR, sondern auch in einigen ihrer Satellitenstaaten. Die Schirmherrschaft übernahm die sowjetische Geheimpolizei. Es entstanden Dynamos in Moskau, Tiflis, Zagreb, Bukarest, Minsk, Tirana, Riga und Kiew. Die prominenten Sportler erhielten oft den Rang eines KGB-Offiziers, freilich mit entsprechen-
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ein war erfolgreicher. Eng verbunden ist der Aufschwung mit dem Namen Walerij Lobanowskyj, der schon als Flügelspieler mit seinen mit extremem Drall getretenen Eckbällen für Furore gesorgt hatte. Als Trainer aber war er derart innovativ, dass die grossen Nationen neugierig nach Kiew schauten. «Es gibt nur Fussballer» Inspirieren liess sich «Loba», der 1974 als Dynamo-Trainer eingesetzt wurde, von Hollands «totaalvoetball», der an jener WM-Endrunde zu bestaunen war. Und er stellte in Kiew gleich alles auf den Kopf: «Es gibt keine Stürmer, Mittelfeldspieler oder Verteidiger; es gibt nur Fussballer, und die müssen alles können auf dem Feld.» Er, der Ingenieur, verachtete fussballerische Erfolgsmomente, die auf Glück und gegnerische Missgeschicke basierten. Er wollte kalkulierbare Ergebnisse. Und so holte er die Wissenschaft an Bord. Zusammen mit Anatoli Zelentsow (Interview auf www.zwoelf.ch) analysierte er unzählige Partien bis ins kleinste De-
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tail, führte aufwendige Tests mit den Spielern durch und ermittelte so exakt deren Stärken und Schwächen. Schliesslich erarbeitete er auf diesen Erkenntnissen basierende Trainingsprogramme, die nach seinen Berechnungen Erfolg bringen müssten. Lobanowskyj erkannte beispielsweise, dass die meisten Tore nur wenige Sekunden und Ballberührungen nach dem Ballgewinn fielen. Deshalb verlangte er ein enges Netz um den ballführenden Gegner und überfallartig vorgetragene Konter. Die Spielzeit teilte er ein in Phasen der Hyperaktivität und der Erholung, in Angriffs- und Rückzugswellen. In Lobanowskyjs Team waren vom Biochemiker bis zum Kybernetiker alle Wissenschaften vertreten. Es sammelte Unmengen an Daten. Um diese zu verarbeiten, bestellte Lobanowskyj für Dynamos Forschungslabor einen Computer. Was prompt den KGB auf den Plan rief, der nicht glauben konnte, dass Oberst Lobanowskyi einen Computer wirklich für fussballerische Zwecke nutzen würde. Zwölf Monate später war der Geheimdienst überzeugt. Der verdächtigte Rotschopf gewann im ersten Jahr die Meisterschaft, den Pokal, den Cup der Cupsieger und den Europäischen Supercup dank zwei Siegen über Bayern München. «1 Prozent Talent und 99 Prozent harte Arbeit» mache den idealen Spieler aus, war «Loba» überzeugt. Er verlangte viel von seinen Jungs. Teilweise war seine Mannschaft monatelang im Trainingslager, um so dem Traum des perfekten Spiels noch ein Stück näher zu kommen. Es gab Sprints, Taktikschulung, Hallenfussball mit verbundenen Augen. Jeden Tag. «Roboterfussballer» nannte man das Team im Westen. Nur einer fiel im Kollektiv auf: Oleg Blochin, der Linksaussen, der 100 Meter in 10,8 Sekunden lief und 1975 zu «Europas Fussballer des Jahres» gewählt wurde.
Für die Ukrainer war Dynamo ihre Nationalmannschaft, ihr ganzer Stolz. Unter Lobanowskyj wurde die Vormachtstellung zementiert. 1986 gewann das Team erneut den Cup der Cupsieger mit einem 3:0 gegen Atlético Madrid, wobei das zweite Tor von Blochin als Musterbeispiel für die Dynamo-Schule gilt: ein Konter über das ganze Feld und fünf Stationen in zwölf Sekunden. Das Ende der Herrschaft Selbstredend dominierte Dynamo die ukrainische Liga nach dem Zerfall der UdSSR. Neun Mal in Folge holte man den Titel, und es ist kein Zufall, dass die Dominanz just in dem Jahr zu bröckeln begann, in dem Lobanowskyj 63-jährig an den Folgen eines Schlaganfalls verstarb, den er nach einem Meisterschaftsspiel erlitten hatte. Immerhin blieb ihm die Wachablösung erspart. Nur einen Monat später, im Juni 2002, konnte Schachtar Donezk seinen ersten Meistertitel feiern, sieben weiter folgten seither, zuletzt gar drei in Serie. Dynamo verlor selbst die einigende Wirkung auf die Ukrainer: Hatten die früher geschlossen das grosse «D» unterstützt, füllen sie heute die Stadien in ihren jeweiligen Heimatstädten. Das Olympiastadion in Kiew bleibt derweil halb leer. Der Schriftsteller Juri Andruchowytsch führt dies darauf zurück, dass wegen der Überlegenheit Dynamos in den Anfangszeiten der Premjer Liha die Spannung fehlte. Dazu kam später der Frust über den Niedergang. 2005 scheiterte der gefallene Gigant am FC Thun in der Champions-LeagueQualifikation – mit weitreichenden Konsequenzen. Präsident Ihor Surkis kritisierte namentlich seine teuren Legionäre als «egoistische Individualisten». Es war das Ende des kurzen Versuchs mit drittklassigen Profis hauptsächlich aus Südamerika. Heute zählt man bei Dynamo wieder mehrheitlich auf einheimisches Schaffen. Um Schachtar wieder zu überholen, braucht es dennoch einen neuen «Loba». Zelentsow, der wissenschaftliche Mastermind von einst, ist zuversichtlich: «Die Spieler der 1975er- und 1986er-Mannschaft, die heute Trainer sind, haben bei uns viel gelernt. Da sehe ich tolle Perspektiven.»
MILOSAVAC
Grounding
Text: Mämä Sykora
Marko Milosavac brillierte 2002 beim EM-Titel der U21. Zehn Jahre später hat er keine Fussballträume mehr.
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ayne Rooney war der Verzweiflung nahe. Immer wieder verwarf er die Hände, weil seine Mitspieler kaum je einen Ball am Schweizer Mittelfeld vorbei zu ihm nach vorne brachten. Hilflos musste er zuschauen, wie nach etwas mehr als einer Stunde eine Flanke von rechts in den Strafraum der Engländer flog, wo Marko Milosavac im zweiten Versuch das alles entscheidende 3:0 erzielen konnte. Es war dessen drittes Tor im Turnier, und es bedeutete den Finaleinzug an der U17-EM in Dänemark im Mai 2002. Kurz darauf durfte Milosavac mit seinen Teamkollegen den Pokal in die Höhe stemmen. Fünf Jahre später ist wieder Positives zu lesen über den Mittelfeldspieler: «Aus halblinker Position zirkelte Marko Milosavac den Ball mustergültig an der verdutzten Verteidigung vorbei ins nahe Toreck.» Es war die 10. Runde der 1. Liga, Gruppe 3. FC Rapperswil-Jona - Kreuzlingen. Weitere drei Jahre später findet sich sein Name noch in den Spieltelegrammen zu den ersten Runden des Schweizer Cups: «FC United Zürich ohne Milosavac (Beruf)». Zehn Jahre nach dem sensationellen Europameistertitel hat der Sohn serbischer Einwanderer den Fussball ganz aufgegeben. Und darüber reden mag er auch nicht mehr. Die Fragen sind immer die gleichen: Wie hat das passieren können? Wie kann ein so talentierter Junge derart scheitern? Markus Frei, sein Trainer in der U17, musste es oft wiederholen: «Er hatte Potenzial, war technisch brillant, schlitzohrig, tor gefährlich, aber schon damals war er physisch schwach und hat zu wenig an sich gearbeitet.» Bis zum Profi ist es in dem Alter noch ein wei-
ter Weg, und eine Karriere entwickle sich nun mal nicht von selbst. Bei GC hatte man schon vor der EM die Schnauze voll von Milosavacs Attitüde. Als er sich weigert, die United School of Sports zu besuchen, weil er ja doch ohnehin Fussballprofi werde, wirft ihn Piet Hamberg, damaliger GC-Nachwuchschef, kurzerhand raus. Auch der Wechsel über die Gleise zum FCZ bringt nicht den erwünschten Aufschwung. Mit der U18 wird er zwar Schweizer Meister, Lucien Favre holt aber nur die jüngeren Mitspieler Dzemaili, Abdi und Stanic in die erste Mannschaft. Milosavac darf lediglich in der U21 mittun, ohne einen Job nebenbei kommt er knapp über die Runden dank den bescheidenen Prämien. Der Kontakt zu den «Helden von Dänemark» bricht bald ab, und als sein Förderer Ryszard Komornicki den Verein verlässt, steht er beim FCZ auf verlorenem Posten. Die Schulterklopfer werden immer weniger, den grossen Versprechungen glaubt er bald auch selber nicht mehr. Einige Spielervermittler ködern ihn mit dubiosen Angeboten aus Osteuropa, dem zieht Milosavac ein Neuanfang beim FC Baden vor. «Ich schaffe das, ich bin ja erst 21!», gibt er sich in der «SonntagsZeitung» optimistisch. Endlich baut er sich auch ein zweites Standbein auf, macht erst ein Praktikum in einem Büro und später an der Migros-Klubschule das Handelsdiplom. Nach
zwei Jahren im Aargau wechselt er 2009 zu Rapperswil-Jona, wo er den Aussenverteidiger gibt, aber auch mit vielen Verletzungen zu kämpfen hat. Seinen Traum hat er noch nicht aufgegeben. «Ich bin ja erst 23, ich kann es noch immer bis in die Super League schaffen!», wird er im «Blick» zitiert. Von Rappi kehrt er nach nur einer Saison zu Baden zurück, um kurz darauf zwei Ligen tiefer anzuheuern. Fussball ist nun bloss noch ein Hobby für ihn, dennoch reizt ihn der Gedanke, mit dem ambitionierten FC United Zürich nochmals so richtig anzugreifen (siehe ZWÖLF #28). Tatsächlich steht der Verein vor dem Aufstieg in die 2. Liga interregional, Milosavacs Beitrag dazu war indes bescheiden: Er hat lediglich zwei Partien für die «Lionhearts» absolviert. Seine Arbeit am Flughafen Zürich nimmt ihn zu sehr in Anspruch. 27 ist er heute, der Fussball nur noch eine Erinnerung.
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Legenden on tour Text: Silvan Lerch / Bilder: Florian Kalotay
Die Nati findet w채hrend der Euro nicht statt? Weit gefehlt! Sie reist einfach nicht nach Osteuropa, sondern durch die hiesige Provinz. Wiedersehen mit den einstigen Helden, den Altinternationalen von heute.
Die Mannen von Andy Egli (54 Jahre, 77 Länderspiele): (von links oben nach rechts unten) Karl Engel (59, 26), Heinz Hermann (56, 118), Ruedi Elsener (59, 48), Yvan Marc Hodel (41, 13), Marc Hottiger (44, 64), Bruno Berner (34, 16), Hanspeter Zwicker (52, 25), Roger Kundert (50, 1), Franco Di Jorio (39, 14)
I
n der siebten Spielminute tritt Gilbert Gress an die Seitenlinie. Was der Trainer der Schweizer Altinternationalen gesehen hat, gefällt ihm gar nicht. Mit dem ersten Angriff ist der Gegner in Führung gegangen – 1:0 für den Gastgeber aus dem Zürcher Nobelquartier Seefeld. Wenig später erklingt auf der Ersatzbank der «Ehemaligen» die bange Frage, wie lange es noch daure. Die Sonne sengt, der interregionale Zweitligist drückt. Es steht nicht nur bloss schlecht um die Traditionself, sie wankt schon. Dann aber setzt Stéphane Chapuisat in unnachahmlicher Manier zur obligaten Körpertäuschung an, prescht vor, und Franco Di Jorio verwertet den Abpraller zum Ausgleich. Die Herren Routiniers fangen sich. Marco Zwyssig räumt hinten ab, Raimondo Ponte glänzt mit klugen Pässen, und Di Jorio wirbelt die Seefelder Verteidigung gehörig durcheinander. Der grösste Aktivposten sitzt aber auf der Bank,
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das Knie dick einbandagiert: Lauthals gibt Andy Egli Anweisungen, motiviert, warnt. Mitte der ersten Halbzeit musste er verletzungsbedingt seinen Innenverteidigerposten Marc Hodel überlassen. Zur Inaktivität gezwungen, läuft er aber erst zu Hochform auf. Trainer Gress, nicht bekannt für stoische Ruhe, verstummt. Türkyilmaz’ Eifer Egli ist denn auch die treibende Kraft hinter der Traditionself, zusammen mit Heinz Hermann (siehe Box). 2010 schrieben sie 50 Ex-Internationale an, darunter alle Mitglieder der WM- und EM-Kader von 1994 bzw. 1996. Einer liess sich laut Egli nicht begeistern: Sébastien Jeanneret. Nach seinem Rücktritt hatte sich der Jurassier vom Fussball abgewendet. Die übrigen 49 erklärten sich dagegen sofort bereit, dem Verein beizutreten, der sich fortan um Spiele der «Legenden-Nati» kümmern sollte. Bald darauf folgte die
Geburtsstunde des Club Suisse 4 Football. Seither haben sich 139 ehemalige Nationalspieler eingeschrieben. Die Bandbreite reicht von A wie Andermatt bis zu Z wie Zwicker oder Zwyssig. Der Club Suisse 4 Football tritt gegen Traditionsmannschaften anderer NatioDas Aufgebot für das Spiel gegen den FC Seefeld Tor: Karl Engel, Jörg Stiel. – Abwehr: Bruno Berner, Andy Egli, Marc Hodel, Marc Hottiger, Yvan Quentin, Marco Schällibaum, Roger Wehrli, Marco Zwyssig. – Mittelfeld: Didi Andrey, Thomas Bickel, Patrick Bühlmann, Franco Di Jorio, Heinz Hermann, Roger Kundert, Erni Maissen, Raimondo Ponte. – Sturm: Stéphane Chapuisat, Ruedi Elsener, Hanspeter Zwicker. – Vertretung in der Festwirtschaft: Roger Berbig, Herbert Hermann, Bigi Meyer, Rolf Bollmann. – Trainer: Gilbert Gress.
Alt-Internationale
Quentin (42, 41), Thomas Bickel (49, 52), Patrick Bühlmann (40, 17), Didi Andrey (60, 10), Erni Maissen (54, 29), Roger Wehrli (56, 68), Marco Zwyssig (40, 20),
nen an und, vor allem, gegen Schweizer Amateurvereine wie Seefeld. Andy Egli koordiniert die Aufgebote seiner Truppe. Dabei versucht er die Wünsche des Gegners zu berücksichtigen, der auf der Spielerliste ankreuzen darf, wer zuerst angefragt werden soll. Die Haute Volée der jüngeren Vergangenheit, Stéphane Chapuisat, Murat Yakin und Kubilay Türkyilmaz, befindet sich erwartungsgemäss immer unter den Favoriten. Überraschender ist da schon die Einrückmoral von Türkyilmaz. Früher hatte der Tessiner vor Freundschaftsspielen fast unweigerlich ein Zwicken verspürt, das ihn – natürlich schweren Herzens – daran hinderte, dem Aufgebot Folge zu leisten, um dann rechtzeitig für Partien auf der grossen Bühne wundersam zu genesen. Nun lässt er selbst Begegnungen in der tiefsten Provinz nicht aus, obwohl er meist den längsten Anfahrtsweg zu bewältigen hat. Nicht einmal Gilbert Gress, an dem er sich in der
Nationalmannschaft öfters rieb, schreckt ihn vor Einzügen ab. So wäre er auch gegen Seefeld dabei gewesen, wenn er nicht zeitgleich fürs Tessiner Fernsehen das ALänderspiel zwischen der Schweiz und Deutschland hätte verfolgen «müssen». Wie einst Artur Jorge Ebenfalls hoch im Kurs steht Andy Egli. Er schaffte es noch in jedes Aufgebot. «Die Klubs können es sich gar nicht erlauben, mich als Ansprechpartner nicht einzuladen», sagt der selbst ernannte Haudegen und lacht schallend. Eine Stammplatzgarantie gibt er sich, kraft seines Amtes, dann aber doch nicht. Braucht er auch nicht, um zum Einsatz zu gelangen. Viele Altinternationale leben die Berti-Vogts-Philosophie der Mannschaft als Star. In Abhängigkeit von Bauchumfang und Schrittkadenz lassen sie sich gleich mehrmals pro Spiel einund auswechseln. Da sind Alternativen unabdingbar, möglichst in der Dimension
eines Endrunden-Kaders. Prompt war es gegen Seefeld so weit: Erstmals wollten mehr Akteure teilnehmen, als Trikots zur Verfügung standen. Andy Egli schritt zur Tat. Er kippte Walter Fernandez aus dem Aufgebot. Sosehr dieser auf dem Parkett der internationalen Spielervermittler wirbelt, so überschaubar ist nunmehr sein Aktionsradius auf dem Rasen. Innerhalb der Traditionself bekleidet er das untere Ende der Fitnessskala. Am oberen thront selbstredend der Aufgebotskoordinator. Die unprätentiöse Begründung schiebt Egli nach. Wer nicht vom Talent gelebt habe, dem falle es einfacher, seinen Körper instand zu halten. Aussortiert wurde auch Andy Ladner. Mit ihm hatte Egli zu GC-Zeiten noch zusammengespielt. Bloss, beim finalen Schnitt gibt es, getreu nach Artur Jorge, keinen Platz für Sentimentalitäten. Immerhin hatte sich auf Ladners Position eine Premier-League-erprobte Kraft
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angekündigt, die erst noch extra aus der Westschweiz anreiste: Marc Hottiger. Der Direktvergleich liess Egli keine Wahl. Eine «Laufmaschine» prallte auf einen Ex-Internationalen «ohne überragende Fitness und Feinmotorik». Das Verdikt: Rechts hinten würde Hottiger beginnen, Bernt Hass der Ersatz sein. Blöd nur, hatte Egli die Aufgebote zweier Partien verwechselt. Nicht Haas war gegen Seefeld gemeldet, sondern Linksverteidiger Bruno Berner. Diesen die Seite wechseln zu lassen, kam für Egli allerdings nicht infrage. Die Spieler sollten gefälligst auf ihrer angestammten Position agieren. Schällibaum im Sturm? Stiel als Zehner? Ausgeschlossen! Wohin wildes Rotieren führt, hat die Traditionself einst schmerzlich durch Christophe Bonvin erfahren. Der frühere Stürmer versuchte sich als Torhüter. Als er zu dribbeln begann, den Ball vertändelte und einen Gegentreffer kassierte, war das Abenteuer zu Ende und Bonvin wieder draussen. «Seither wird er konsequent geschnitten», schildert Thomas Bickel, Vorstandsmitglied des Club Suisse 4 Football, die Tragweite der Eskapade. Und lächelt.
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Ein Adonis im 4-5-1 Vor dem Spiel gegen Seefeld griff Egli also zum Hörer, um Ladner wieder ins Boot zu holen. Vergebens. Getrübt sei ihre Beziehung aber nicht, beschwichtigt Egli. Das oberste Gebot laute nun einmal Leistung. Und Bickel meint, zumindest ausgeglichen müsse das Spiel schon sein, sonst stelle sich der Spass nicht ein. Selbst überrascht ob so viel Ambition, gibt er freimütig zu: «Ich habe mich halt weiterentwickelt.» Ob er sich da nicht zu schade sei, von übermotivierten Amateurfussballern ausgedribbelt zu werden? «Das kann doch nicht passieren. Mit Andy Egli im Team marschieren wir wie vor 20 Jahren. Gegen Vertreter aus der Challenge League halten wir locker mit!» Egli nimmt Bickels Augenzwinkern auf. Die Taktik erklärt er gleichwohl mit gebührendem Ernst. Schlagworte fallen: Gute Organisation! Mitte dichtmachen! Und vor allem: Achse bilden! Prompt treten die Altinternationalen gegen Seefeld mit einem massiven Mittelfeldblock an. Trainer Gress mag in der Kabine ja sein ewig junges 4-3-3-System propagiert haben, auf dem Platz lautet die Devise aber
eher 4-5-1, mit Chapuisat als einziger Spitze. «Viele von uns denken mittlerweile viel schneller, als sie laufen», so Egli. Das lasse sich nur dank Mittelfeld-Strategen wie Heinz Hermann und Georges Bregy kompensieren. «Die verlieren die Bälle nicht.» Und bei Bedarf schlügen sie sie einfach viermal hinter die gegnerische Abwehr, wo Thomas Häberli hinpresche und nur noch einzuschieben brauche. «Aber wenn du den nicht hast, wirds eng gegen interregionale Zweitligisten», korrigiert Egli Bickels Zielvorgabe. Marginal, natürlich. Gegen Seefeld ist die anfängliche Skepsis fehl am Platz. Auch ohne Bregy und Häberli kehren die Altinternationalen die Partie. Dank Doubletten ihrer gefährlichsten Akteure ziehen sie auf 5:3 davon. Chapuisat trifft nach feinem Solo und mit rechts, Di Jorio dank Schnelligkeit und Urgewalt aus der Distanz. Nun darf selbst einer aufs Feld, den Egli eigentlich nur als Leiter des Warm-ups vorsah: Didi Andrey. Die distinguierte Seefelder Damenwelt höheren Semesters hätte es dem Leithammel nicht verziehen. Braun gebrannt, mit vollem Haar und ohne Fettpölsterchen, zieht
Alt-Internationale
Andrey die Blicke der Zuschauerinnen auf sich. 61 ist der Mann, frau glaubt es kaum. Allzu lange reicht die Kondition Andreys trotzdem nicht. Es kommt zum auswechselbedingten Ludus interruptus. Baku im Fürstentum Langsam erwacht dagegen Gilbert Gress. «Putain!», grummelt er, als Patrick Bühlmann zum x-ten Mal in aussichtsreicher Position scheitert. «Der hatte wieder die Haare im Gesicht», raunt es von der Ersatzbank, gesäumt mit Legenden im Kojak-Look. Die Aufgabe, die aufmüpfigen Grössen der Traditionself zu betreuen, teilt sich Gress mit Roger Vonlanthen, Paul Wolfisberg und Rolf Fringer, allesamt Ex-Nationaltrainer. Auch Roy Hodgson würde zum erlauchten Kreis gehören. Nur fand Englands neuer Coach noch keine Gelegenheit, seiner Verpflichtung nachzukommen. Die Euro 2012 scheint bei ihm höhere Priorität zu geniessen. Gress hat mehr Zeit, was Schnellschüsse indes nicht ausschliesst. Egli erinnert sich mit Schaudern an das Spiel in Amriswil. Schon nach 17 Minuten erhöhte der Trainer das Durchschnittsalter des Teams schlagartig. Bei 40 Grad im Schatten wechselte er Didi Andrey, Peter Traber und Ruedi Elsener auf einmal ein: alles gestandene Herren um die 60. Ganze sieben Minuten dauerte es, dann hatte sich der 1:0-Vorsprung der Altinternationalen in einen 1:3-Rückstand verwandelt. Und das gegen Eglis Heimatverein! Der Druck auf den Trainer stieg. Nach der Niederlage gegen die Thuner Altstars bemerkte der klubinterne Chronist auf der Homepage süffisant, Gress warte «noch immer auf seinen ersten Sieg». Trotz damals fünf Spielen ohne Dreier hielt sich Gress im Amt – wie Rolf Fringer, der ein Baku in Eschen-Mauren erlebte. Im ersten Länderspiel des Club Suisse 4 Football setzte es gegen Liechtenstein eine 1:2-Niederlage ab, worauf sich ZWÖLF-Kolumnist Beni Thurnheer zur Aussage verstieg, das Resultat sei «völlig verdient». Der vereinseigene Chronist glaubte stattdessen, ein Plus hochkarätiger Schweizer Chancen ausgemacht zu haben, «die das Raunen im Publikum nicht mehr
verstummen liessen». Sein Fazit im fürstlichen Hexenkessel: Die um einiges älteren Eidgenossen konnten zwar «den Ball laufen lassen», dies allerdings «ganz bestimmt besser, als dem Gegner nachzulaufen». Ein vertiefter Blick ins Archiv fördert jedoch zutage, dass die Altinternationalen sehr wohl in der Lage sind, den Rhythmus zu erhöhen. Innerhalb zweier Tage fegten sie einen Drittligisten vom Platz und holten gegen einen Zweitligisten ein 0:3 auf. Spektakel hatte die Mannschaft auch bei ihrer Premiere geboten – 5:1 in Othmarsingen. Und richtiggehend teuflisch ging es zu und her, als die Traditionself dem Erstligisten Cham ein 1:1 abtrotzte. Ihr Kader wies die Erfahrung von 666 Länderspielen auf. In Beelzebubs Lieblingszahl fehlte aber der Leistungsausweis eines Torhüters. Mangels Keeper opferte sich Verteidiger Pascal Thüler – und avancierte laut Homepage zum «Hexer». Skandalöser Wechsel Gegen Seefeld hängt der Himmel voller Geigen. Jörg Stiel unterhält das Publikum mit gewagten Ausflügen, Karl Engel mit prächtigen Flugeinlagen. Nur Roger Wehrli will kein Engel sein. Da sei er für einmal fit, lässt er die Tribüne lautstark wissen, und dann falle dem Trainer nichts Besseres ein, als ihn ein- und wieder auszuwechseln. Wehrli verwirft die Hände, schlendert missmutig vom Platz – und kann sich das Lachen schliesslich doch nicht verkneifen: Abklatschen mit den sich prustenden Teamkollegen auf der Bank. Auch der zunehmende Druck Seefelds tut der Euphorie keinen Abbruch. Andy Egli bemerkt bei hochsommerlichen Temperaturen kühl, es sei wie so oft: Der Gegner stürme blind an, sie aber würden den Fokus auf die Effizienz legen. Wie recht er hat. Die Masseinheit des Erfolgs ist bekanntlich nicht die Anzahl abgespulter Kilometer, sondern diejenige der erzielten Tore. Und da schwingen die Altinternationalen obenaus. 6:3 gewinnen sie nach Di Jorios viertem Treffer. Gilbert Gress kann getrost wieder von der Seitenlinie zurücktreten und sich setzen. In die Festwirtschaft, versteht sich.
Der Verein hinter der Traditionself 105 Jahre alt musste die Schweizer Nationalmannschaft werden, bis sie ihre eigene Traditionself hatte. 1905 war sie zu ihrem ersten Länderspiel angetreten (0:1 gegen Frankreich). 2010 entstand der Club Suisse 4 Football (www.4football.ch). Mittlerweile umfasst dieser 139 Mitglieder. Ihm beitreten darf, wer einen Jahresbeitrag von 100 Franken entrichtet und zumindest eine Partie für die Schweiz auf höchster Stufe absolviert hat. Die Idee dazu lieferten der 77-fache Internationale Andy Egli und der hiesige Rekordnationalspieler Heinz Hermann (117 Einsätze). Sie sind die beiden Vizepräsidenten. Zum Vorstand gehören weiter Thomas Bickel, Stéphane Chapuisat, Erni Maissen und Kubilay Türkyilmaz. Als Präsident agiert der einzige Nicht-Nationalspieler: Walter Gagg, langjähriger FifaDirektor und Ehrenmitglied von Xamax 1912. Nachwuchsförderung gegen Startgage Vornehmliches Ziel des Vereins ist, die Fussballklubs auf Breitensport-Ebene finanziell zu unterstützen. Ihnen soll für die Nachwuchsarbeit gedankt werden, sind sie doch meist die erste Station in der Karriere eines späteren Nationalspielers. Die Amateurklubs können sich beim Club Suisse 4 Football um ein Spiel gegen die Traditionself bemühen. Erfahrungsgemäss spült eine solche Begegnung einen respektablen fünfstelligen Betrag in die Vereinskasse. Der grösste Teil der Einnahmen stammt aus der Trikotwerbung. Die Amateurklubs haben das Recht, die «Brust» des illustren Gegners eigens zu vermarkten – und zwar jede für sich. Das lässt sich das lokale Gewerbe gerne etwas kosten, zumal nach der Partie der Trikotsatz von allen Altinternationalen unterschrieben und dem Amateurklub geschenkt wird. Im Gegenzug muss der Klub der Traditionself eine Startgage von 22 500 Franken zahlen. Sie ist die Haupteinnahmequelle des Club Suisse 4 Football. Zwei Drittel gehen als Spesenentschädigung an die Spieler, der Rest an Andy Egli. Er ist mit einem 50-Prozent-Pensum der einzige Angestellte. (ler)
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urs siegenthaler
Der dritte Mann Text: Thomas Moll / Bilder: Stefan Bohrer; Litho: www.fine-tuned.ch
Seit sieben Jahren ist Urs Siegenthaler Chefscout des DFB und damit Vertrauensperson von Jogi Löw. Eine Begegnung mit dem «Spielleser» («Der Spiegel»), «Geheimdienstler» («Süddeutsche Zeitung») und «Taktik-Guru» («Bild»).
E
s ist der letzte Tag im April, milde Frühlingsluft breitet sich an der Rhein-Promenade in Basel aus. Hier, an diesem friedlichen Flecken Erde, wohnt Urs Siegenthaler in einem modernen gläsernen Haus. Im Erdgeschoss hat er sein Büro eingerichtet, die Urs Siegenthaler AG, ein Ingenieurbüro für Messsteuerung und Regeltechnik. Und die obersten Stockwerke des Hauses nutzt er als zweiten Wohnsitz – wenn er denn mal in Basel weilt. Denn Urs Siegenthaler
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ist ständig unterwegs, etwa 180 Tage im Jahr. Die letzten Wochen waren besonders intensiv. Als Reisender quer durch Europa hat er Dutzende Spiele besucht. Ajax Amsterdam - AZ Alkmaar, Newcastle United - Manchester United, FC Porto - Benfica Lissabon und viele mehr. Jeden Spieler der EM-Gruppengegner von Deutschland hat Urs Siegenthaler mindestens zwei Mal live im Stadion beobachtet. Jetzt geniesst er die letzten ruhigen Tage mit seiner Frau, denn
bald beginnt eine intensive Phase mit zwei Trainingslagern mit der deutschen Mannschaft, den letzten Vorbereitungsspielen und dann der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine.
ZWÖLF: Urs Siegenthaler, viele Buchmacher gehen von einem EM-Finale Spanien gegen Deutschland aus. Sehen Sie das auch so? Urs Siegenthaler: Aufgrund der Leistungen in der Qualifikation gehören sicherlich diese beiden Mannschaften zu den absoluten Topfavoriten für das Turnier. Doch auch Frankreich hat seit über 15 Spielen nicht mehr verloren, Italien ist auf einem guten Weg, und Holland darf man nie vergessen. Gerade was die Nachhaltigkeit des Fussballs angeht, ist Holland mit der Ausbildung an der Basis führend. Und Spanien hat ein unvorstellbar grosses Reservoir an hervorragenden Spielern. Welche Art von Fussball werden wir diesen Sommer an der EM erleben?
urs siegenthaler Ich mache mir etwas Sorgen. Denn der destruktive Fussball ist wieder auf dem Vormarsch und hat teilweise auch Er-
«Ich wünschte, die Nati hätte einen Bregy.» folg, wie die Champions League zeigte. Selbst der kreativste Spieler scheitert irgendwann an der Destruktivität, er ermüdet, es ist ein Abnützungskampf. Schön wäre es, wenn die Trainer wieder Bereitschaft zeigten für den offensiven Fussball. Ansonsten täte mir das etwas weh im Fussballer-Herzen. Welche Lösung würden Sie denn Jogi Löw vorschlagen, wenn ein EM-Gegner sich einfach nur hinten reinstellt gegen die Deutschen? Ich habe vor dem Barcelona-Stil grösste Hochachtung. Doch es wurde deutlich, dass dieses Konzept von Fussball in gewissen Situationen auch zum Nachteil werden kann. Dann nämlich, wenn an diesem Stil bis zum Exzess festgehalten wird. Es tat mir fast weh, wie sich die Spieler von Barcelona gegen Chelsea am Strafraum ständig den Ball zugespielt haben. Genie und Wahnsinn sind sehr nahe beieinander. Wenn das Spiel so festgefahren ist, ist der Torabschluss aus der Distanz die naheliegende Lösung. Die grossen Favoriten kennt man. Wer könnte eine Sensation schaffen? Dänemark gehört zu diesem Kreis und könnte für eine Überraschung sorgen. Wenn es dieser Mannschaft gelingt, die Lockerheit beizubehalten und unbeschwert aufzuspielen, kann sie eine Dynamik entwickeln, die sehr gefährlich wird und Kräfte freisetzt. Man braucht sich nur an die EM 1992 zu erinnern, als die Dänen mit genau diesem Konzept den Titel holten. In der EM-Qualifikation hat das deutsche Team in zehn Spielen zehn Mal gewonnen. Wie hat sich Ihrer Mei-
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nung nach die Mannschaft seit der WM in Südamerika entwickelt? Diese Frage möchte ich mit den Worten von Jogi Löw beantworten: «Es ist eine Zeitfrage, bis die deutsche Mannschaft wieder ein Turnier gewinnen wird.» Ob es in diesem Sommer passiert, kann ich nicht sagen. Ich bin ja nicht der liebe Gott... Die Mannschaft hat ein sehr grosses Potenzial, sie ist jedoch auch noch jung – sehr jung. Es fehlt vielleicht noch etwas an Erfahrung. Ein Topspieler im Alter von über 30 Jahren würde dem Team guttun. Und letztlich benötigt man zum Turniersieg auch immer im richtigen Moment das eine Quäntchen Glück.
Vorteil. Mit Mario Götze kommt sogar ein ähnlicher Fussballer nach, der das Spiel ebenfalls auf diese Art interpretiert. Die Tendenz geht also eher wieder in die Richtung der filigranen Typen, die sehr beweglich und wendig sind.
Hilft das Erfolgserlebnis von Bayern München in der Champions League gegen Real Madrid dem DFB-Team? Dieses Wissen, dass die Spanier ja doch besiegbar sind? Die Medaille hat zwei Seiten: Natürlich freuen auch wir uns über den tollen Erfolg der Bayern, er erfüllt die Spieler mit grossem Stolz. Doch durch den Finaleinzug fehlen sechs bis acht Bayern-Spieler in der Vorbereitungsphase auf die EM, was ein Nachteil ist. Denn Fakt ist, dass die deutsche Nationalmannschaft in den Trainingslagern vor den Turnieren ein starkes Momentum entwickeln kann. Darum hoffen wir, dass die Bayern-Spieler nach dem Finale noch eine Schippe drauflegen können. Andere Teams an der EM haben dieses Problem aber natürlich auch.
Danach steht die Partie gegen den Rivalen Niederlande an... Ein ewiges Nachbarsduell, das sicherlich von den Medien wieder emotionalisiert wird. Die Holländer möchten Revanche nehmen für die klare Niederlage (0:3), die sie im letzten November in Hamburg eingefangen haben. Die Mannschaft ist nicht mehr so jung, darum bin ich gespannt, wie weit sie kommen.
Mesut Özil nimmt im Spielaufbau der deutschen Mannschaft die zentrale Rolle ein. Was zeichnet ihn aus? Es ist sicherlich ein Glücksfall, dass er in der Mannschaft ist. Er macht den Fussball sehr einfach. Und je einfacher er spielt, desto effizienter ist er. Er beherrscht die sogenannten einfachen Zuspiele perfekt. Er löst Zweikämpfe mit einer Leichtigkeit und hat immer den Blick nach vorne gerichtet. Özil bewegt sich zudem sehr schnell, und natürlich bringt er den letzten Pass sehr präzise an. Nicht jede Nationalmannschaft hat einen solchen Spieler, das ist ein grosser
Für einmal hat Deutschland eine Todesgruppe erwischt. Der erste Gegner ist Portugal… Die Mannschaft steht sehr stark in der Defensive und hat mit Ronaldo und Moutinho herausragende Individualisten. Die Erwartungshaltung der Portugiesen ist sehr hoch – sie wollen mindestens ins Halbfinale kommen.
Der dritte Gruppengegner ist Ihr Geheimfavorit. Die Dänen sind ein richtiges Team, das auch als solches auftritt und dadurch über sich hinauswachsen kann. Trainer Morten Olsen ist sehr erfahren und lässt einen modernen Fussball spielen. Die Mannschaft hat eine sehr gute Qualifikation hingelegt. Ich bin gespannt, ob sie an der EM für Furore sorgen wird. ✖ Urs Siegenthaler sitzt in einem dunklen DFB-Trainingsanzug am Esstisch. Auf dem Kopf trägt er ein Cap, das er beim Sprechen immer mal wieder zurechtrückt. Er wirkt konzentriert, hin und wieder lacht er verschmitzt. Er ist ein facettenreicher, neugieriger und begeisterungsfähiger Mensch. Ein Gespräch mit Urs Siegenthaler über Fussball ist auch immer ein Gespräch über das Leben. Zum Beispiel über die Freundschaft zu
konietzka
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Jogi Löw, den er in den Neunzigerjahren zum Trainer ausbildete. Löw, der in seiner Aktivkarriere als Stürmer vor allem Tore
«Das Barça-Konzept kann auch zum Nachteil werden.» für den SC Freiburg in der 2. Bundesliga schoss, zog es damals in die Schweiz: FC Winterthur und FC Frauenfeld, das waren seine ersten Trainerstationen. ✖ War eigentlich das Trainertalent von Jogi Löw vor knapp zwanzig Jahren bereits erkennbar, als Sie ihn kennenlernten bei seiner Ausbildung in Magglingen? Er war damals schon ausgesprochen wissbegierig und sozial kompetent. Wir haben zu dieser Zeit bereits sehr viel über neue Entwicklungen im Fussball diskutiert, und Jogi Löw hat sich sicherlich davon inspirieren lassen. Wie hat sich Ihre Beziehung danach entwickelt? In den ersten Jahren waren wir einfach nur Fussball-Kollegen und haben uns vielleicht ein Mal pro Jahr ausgetauscht. Löw war es auch, der mich vorgeschlagen hatte für den heutigen Job. Als ich dann 2004 in den Betreuerstab der deutschen Nationalmannschaft berufen wurde, haben wir uns sehr viel besser kennengelernt. Heute verbindet uns eine tiefe Freundschaft, die geprägt ist von gegenseitigem Respekt. Was sind die grössten Stärken des Bundestrainers? Jogi Löw ist ein geerdeter und sehr umgänglicher Mensch. Sein Gespür für Menschen ist eine wichtige Stärke. Und er ist immer offen für neue Ideen. Wir diskutieren viel im Trainerstab über neue Trainingsformen und -methoden. Löw hört sich immer alles an. Viele Ideen probieren wir dann auch tatsächlich aus.
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Als dritte Stärke möchte ich seine Fokussiertheit erwähnen. Er arbeitet sehr genau und ist voll auf den Erfolg ausgerichtet. Sie wirken bei Ihrer Arbeit als DFBChefscout praktisch nur im Hintergrund, das Scheinwerferlicht gehört anderen. Ist das nicht ungerecht? Nein, diese Rolle ist genau richtig für mich. Ich habe ja in meiner Laufbahn schon viele Funktionen ausgeübt – ich war Spieler, Spielertrainer, Trainer und Trainerausbildner. In der jetzigen Rolle beim DFB kann ich auf diesen ganzen Erfahrungsschatz aus den letzten Jahrzehnten zurückgreifen und ihn als Berater von Jogi Löw einbringen. Zudem erfüllt es mich mit einer grossen inneren Genugtuung, dass ich dabei all mein Wissen über Fussball weitergeben kann und es somit erhalten bleibt. Auch dann, wenn es mich mal nicht mehr geben sollte. ✖ Ein Typ, der nach öffentlicher Anerkennung strebt, ist Urs Siegenthaler nicht. Vielleicht liegt ihm die Arbeit im Scheinwerferlicht auch gar nicht. Heute arbeitet Siegenthaler als vollwertiges Mitglied des DFB-Betreuerstabs in einer ganz anderen Liga. Er plant gemeinsam mit Co-Trainer Hansi Flick die Trainings der Mannschaft, nimmt als wichtiger Berater auch Einfluss auf die Aufstellung, ist Ideengeber für das Trainerteam und stimmt die Mannschaft in der Regel auch in der direkten Vorbereitung auf den nächsten Gegner ein. ✖ Wenn Sie Ihrer Arbeit nachgehen, reden Sie vom «Hineinfühlen in das Innenleben einer Mannschaft» oder dem «Lesen eines Spiels». Wann haben Sie eigentlich realisiert, dass Sie eine besondere Gabe haben? Ich habe vielleicht das Talent, dass ich ein Fussballspiel sehr schnell erfassen und
analysieren kann. Vergleichen Sie es mit dem Musikgehör: Es gibt Menschen, die hören Facetten eines Musikstückes, die andere nicht erkennen können. Natürlich profitiere ich von meinen 25 Jahren in der Trainerausbildung. Genauso wichtig ist es dann aber auch, die Erkenntnisse zu kommunizieren: Wenn ich ein Problem auf dem Fussballfeld erkenne, muss ich eine einfache Lösung liefern, die dann den Spielern in einer einfachen Sprache vermittelt wird. Neben den DFB-Spielbeobachtungen und den Vorbereitungen auf Turniere beschäftigen Sie sich auch stark mit der generellen Entwicklung des Fussballs. Wie verfolgen Sie diese? Ich reise viel, besuche viele Trainingsplätze auf der ganzen Welt und rede mit Ausbildnern und anderen Trainern. So war ich in den letzten paar Jahren mehrmals in «La Masia», der Jugendakademie des FC Barcelona. Mich interessiert dann: Worauf achtet man bei der Auswahl von Elfjährigen? Wie wird trainiert? Welches Umfeld bietet der Klub diesen Jugendlichen? Erstaunlich, dass der FC Barcelona, Hauptlieferant der spanischen Nationalmannschaft und damit des grössten Widersachers der Deutschen, überhaupt einen «Spion» empfängt. Haben Sie Antworten auf Ihre Fragen erhalten? Der Ausbildungschef von Barcelona beschrieb es so: Der Charakter und die Mentalität sind das Wichtigste bei einem jungen Fussballer. Dann natürlich auch die Willenskraft, also die Bereitschaft, alles dem Fussball unterzuordnen. Fussball-Technik und -Taktik, so berichtete er mir, das lernen die Jugendlichen quasi nebenbei. Wenn man sich in «La Masia» bewegt, spürt man diese besondere Atmosphäre, diese Freude am Spiel und die starken Charaktere der Jugendlichen. Das ist alles sehr ehrlich. Es kommt auch selten vor, dass man sich auf dem Trainingsgelände frei bewegen kann. Doch ich hatte Glück!
urs siegenthaler ✖ Der Horizont von Urs Siegenthaler endet nicht an der Seitenlinie des Fussballfeldes. Er erzählt immer wieder von anderen Sportarten, die ihm neue Ideen liefern. Er beobachtet gerne im Fernsehen Golfprofis und schwärmt von deren Ruhe und Gelassenheit beim Abschlag. Oder er berichtet von Basketballspielern, die das periphere Sehen trainieren. All diese Eindrücke integriert er in seine Überlegungen, wenn er sich mit dem Fussballspiel und den Trainingseinheiten der deutschen Nationalmannschaft beschäftigt. Dabei lässt er kein Detail aus: Siegenthaler lässt sich zum Beispiel in den Monaten vor der EM regelmässig die wichtigsten Fussballneuigkeiten aus Portugal, Holland und Dänemark aus lokalen Sportzeitungen aufbereiten und übersetzen, damit er und der gesamte Stab immer gut über die kommenden Gegner informiert sind. Wer ist in Form? Gibt es Verletzte? Wie ist die Stimmung in der Vorbereitung? Wo sieht man die Probleme? Nicht nur die Spielweise und die Fertigkeiten der Spieler interessieren ihn, sondern auch die Kulturen der Länder und deren Vergangenheit. Er sammelt haufenweise Informationen, selektiert sie und kondensiert all das Wissen über den Gegner auf wenige Botschaften und Handlungsanweisungen, die er dem Trainerstab und schliesslich auch direkt den Spielern weitergibt. Hierbei reichen zwei oder drei wichtige Punkte, denn zu viele Informationen können die Spieler nicht verarbeiten und später auf dem Feld umsetzen. ✖ Seit rund zehn Jahren gewinnt man durch die digitale Erfassung und Messung von Spielen und Laufwegen Unmengen von Daten über den Fussball. Hat sich dadurch Ihre Aufgabe vereinfacht, oder wurde sie komplexer? Wir setzen uns im Betreuerstab des DFB sehr intensiv mit Messdaten jeglicher Art auseinander und versuchen, dadurch neue Erkenntnisse zu gewinnen. Doch
auch mit den neuen Werkzeugen stösst man manchmal an die Grenzen – zum Beispiel bei der Interpretation der Daten. Ein einfaches Beispiel: Mannschaft A hat 25 Prozent mehr Laufwege absolviert als Mannschaft B. Welche Aussagekraft hat diese Information? Sehr wenig, glaube ich. Wichtigere Informationen wären: Wie schnell sind die Spieler im Sprint? Gehen sie die richtigen und effizienteren Laufwege? Die Rohdaten an sich sind nicht besonders wertvoll. Seit Jahrzehnten arbeiten Sie im Fussball, derzeit für eines der besten Nationalteams der Welt. Und doch führen Sie daneben seit über 40 Jahren ein eigenes Ingenieurbüro in Basel. Warum hängen Sie so daran? Zu meiner aktiven Zeit hatten praktisch alle Spieler neben dem Fussball noch einen Beruf – das gehörte sich so. Auch mein Vater legte sehr viel Wert darauf, als ich noch jung war. Es war auch eine dankbare Abwechslung, wenn du nach einer Niederlage am Montag ins Büro gehen und über andere Dinge nachdenken konntest. Die Arbeit in meinem Büro hat mich über all die Jahre immer begleitet, weil es mir einfach so viel Freude bereitet und ich auf sehr langjährige und gute Mitarbeiter zählen kann. Doch die Menge an Aufträgen hat sich natürlich verringert. Heute habe ich nur noch ein paar wenige Kunden, die ich aber nach wie vor sehr gerne betreue. In der Schweiz ärgern sich viele Fussballfans, dass Sie Ihr Wissen nicht mehr der Schweizer Nati zur Verfügung stellen. Wie schätzen Sie deren aktuelle Verfassung ein? Es ist keine einfache Situation, denn die Mannschaft ist noch sehr jung und – mit gewissen Ausnahmen – ziemlich unerfahren. Gleichzeitig stehen einige dieser Talente wie Shaqiri, Rodriguez oder Xhaka schon stark im medialen Rampenlicht, was nicht so förderlich ist. Es fehlt noch an einer klaren Kontur in der Mannschaft und an Charakterköpfen. Ich wünschte mir, die Nati hätte heute
Vom FCB zum DFB Der 64-jährige Urs Siegenthaler spielte in seiner aktiven Laufbahn beim FC Basel (1966– 73, 77–78), Neuchâtel Xamax (1973–74), den Young Boys (1974–76) und Winterthur (1976/77). Mit dem FCB wurde der Verteidiger fünf Mal Schweizer Meister und zwei Mal Cupsieger. Hauptberuflich liess er sich zum Bauingenieur ausbilden. 1970 gründete er eine eigene Firma. 1978 erhielt er an der Sportschule Köln den höchsten deutschen Trainerschein. Seine erste Station als Spielertrainer war der FC Schaffhausen, anschliessend führte er als Trainer den FC Laufen in die NLB. Danach wurde er Cheftrainer des FC Basel (1987 bis 1990) und Assistenztrainer der Schweizer Nationalmannschaft. In den Neunzigerjahren leitete Urs Siegenthaler die Trainer-Ausbildung beim Schweizerischen Fussball-Verband. Seit 2005 gehört er zum Stab der deutschen Nationalmannschaft, seit 2006 führt er die DFBScouting-Abteilung.
einen Typen wie Georges Bregy in den Neunzigern. Schafft die Mannschaft die Qualifikation für die WM 2014? Es wird ganz schwierig, die Erfolge der letzten Jahre auch in Zukunft weiterzuführen. Aber die Qualifikationsgruppe ist ja zum Glück nicht die stärkste. Es wird hoffentlich knapp reichen. ✖ Urs Siegenthaler steht vom leeren Esstisch auf. Zwei Gläser, eine leere Mineralwasserflasche, ein paar Krümel und das Nutella-Glas erinnern an das Frühstück. Er spaziert quer durch den hellen Raum zum Balkon. Flussabwärts pendelt die St.-Alban-Fähre geräuschlos hin und her. Flussaufwärts wandert der Blick zur nächsten Schiffsschleuse. Dazwischen steht mächtig die Autobahn-Brücke, die nordwärts nach Deutschland führt.
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Das Aus in der Kabine Text: Remo Vogel
Mit einem Bein stand die Schweiz schon in der Barrage für die EM 2000. Doch Zoffs Italiener spielten nicht mit.
E
s war eines jener «Spiele der letzten Chance», an die man sich als Schweizer schon gewöhnt hatte. Doch die Ausgangslage war deutlich besser als auch schon. Ja im Grunde genommen hätte sich die Schweiz längst für die EM 2000 qualifiziert haben müssen. Wären da nur nicht die Partien gegen die direkten Konkurrenten gewesen. Wertvolle Punkte hatten die Eidgenossen da verschenkt: Zu Hause gegen Dänemark kassierten sie in der 93. Minute den Ausgleich, auswärts wurde ein schon sicher geglaubtes Remis fahrlässig noch aus den Händen gegeben, und im Heimspiel gegen Italien schaute trotz bester Chancen nur ein 0:0 heraus. Wenigstens standen noch Partien gegen die inferioren Weissrussen und Waliser bevor. Gelegenheit genug für das Team von Gilbert Gress, die drei Punkte Rückstand auf die zweitplatzierten Dänen wettzumachen. Dänemark hatte nämlich nur noch ein Spiel vor sich – und das erst noch auswärts beim ungeschlagenen Italien. Trotz durchzogener Qualifikationsphase und einer Spielweise, die keine Begeisterungsstürme auslöste, schielte die Schweiz also schon auf die Tabellen der übrigen Gruppen, um sich den Lieblingsgegner für die Barrage auszusuchen. Das Spiel gegen Weissrussland war nach Lausanne gelegt worden. Ausgerechnet nach Lausanne, das berüchtigt ist für sein kritisches Publikum! 12 500 Zuschauer
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wollten die vermeintliche Pflichterfüllung sehen. Angesichts der Ideenlosigkeit des Schweizer Spiels taten sie bald schon ihren Unmut kund. Spätestens beim 0:0 zur Pause war er nicht mehr zu überhören. «Die Zuschauer haben gepfiffen und uns verunsichert», beschwerte sich Gilbert Gress danach. «Die Schweiz ist kein Fussball-Land. Der vermeintliche Heimvorteil war ein Nachteil. Ich war immer gegen Lausanne als Austragungsort für diese Partie. Und ich verspreche, dass ich nie mehr nach Lausanne zurückkehre, solange ich Nationalcoach bin.» Dafür machten ihm die Italiener Freude: Sie führten in Neapel gegen Dänemark schnell 2:0, später immerhin noch 2:1. Nun musste bloss noch die Schweiz treffen – und das tat sie auch dank Kubilay Türkyilmaz. Nach 68 Minuten provozierte er einen Freistoss, den er selber verwandelte, und kurz vor Schluss holte er einen Elfmeter heraus, den er ebenfalls gleich selber unterbrachte. Jubel, Erleichterung, «Kubi, Kubi»-Rufe. Das Ticket für Belgien und Holland schien in der Tasche. Aber noch während der Ehrenrunde in Lausanne glich Dänemark gegen Italien aus. Die Schweizer Spieler und Trainer Gress verschwanden in der Kabine. Hier mussten sie mit ansehen, wie die Dänen durch Tomasson gar in Führung gingen und dieses 3:2 trotz einer Roten Karte
über die Runden brachten. Die Mannschaft von Dino Zoff hatte die erste Heimniederlage seit über fünf Jahren erlitten. Sie besass aber auch jetzt noch beste Karten für eine Qualifikation. Für die Schweiz dagegen war alles vorbei. Kubi war entsetzt: «Da rühmen sich die Italiener, die beste und schönste Liga zu haben, und verlieren daheim gegen die Dänen – unglaublich.» Patrick Bühlmann findet zwar heute, es sei müssig, zu spekulieren, wie die Italiener das noch aus der Hand hatten geben können. «Aber selbstverständlich machten wir uns Gedanken, ob da alles mit rechten Dingen zugegangen ist.» Auch Ciriaco Sforza befand den Spielverlauf in Neapel zumindest für «komisch». Ein Trost blieb den Schweizern. Für den bescheidenen Auftritt der Azzurri «hat sich Dino Zoff später bei mir entschuldigt», erzählt Gilbert Gress. Das musste die Dänen nicht weiter kümmern. Ihnen blieb Fortuna hold. Der Gegner in der Barrage hiess Israel, und der wurde schon auswärts mit 5:0 überfahren. Kein Wunder, hatten sich doch die Israelis in der Nacht vor dem wichtigsten Spiel ihrer Geschichte mit Prostituierten vergnügt. Details über Sex-, Drogen- und Alkoholorgien kamen bald ans Tageslicht. Hotelangestellte berichteten von Kartenspielen, Videogames, übermässigem Bier- und Whiskykonsum und Sexeskapaden: «Hotelgäste beschwerten sich über Lärmbelästigungen. Die Zimmer der Israelis am Morgen danach sahen denn auch ekelhaft aus. Weggeworfene Kondome lagen auf dem Boden, leere Bierflaschen und Speisereste.» Und das russische Callgirl Michelle lieferte pikante Details: «Einer nach dem andern kam in
Fast Dabei
Tröstende Wort für David Sesa nach der verpassten EM-Quali.
mein Zimmer. Insgesamt waren es sieben Nati-Spieler. Und im Nebenzimmer bediente eine meiner Kolleginnen vier weitere Spieler.» Vor dem Rückspiel in Kopenhagen ging es wohl gesitteter zu und her, die Israelis verloren nur 0:3. Währenddessen begann in der Schweiz die Aufarbeitungsphase. Für Gilbert Gress endete die Amtszeit als Nationaltrainer. «Im Dezember 1999 waren Ver-
handlungen mit dem Verband angesetzt, der für mich eine Stunde reserviert hatte. Ich war nicht einverstanden, das so zwischen Tür und Angel zu entscheiden, und wollte einen neuen Termin vorschlagen. Leider hatte ich Verbandspräsident Mathier am Vortag nicht erreicht, darum bin ich einfach nicht erschienen. Das war doof von mir, denn es wäre kein Problem für mich gewesen, den Vertrag zu verlän-
gern.» Gress zeigte späte Reue. Monate zuvor hatte er wegen anhaltender Kritik noch betont: «Wer glaubt, mit dieser Mannschaft mehr Erfolg zu haben als ich, der soll es versuchen. Da räume ich meinen Posten freiwillig.» Nachfolger Enzo Trossero gelang dies noch nicht. Doch dann wurde die Ära Köbi Kuhn eingeläutet, die drei Endrunden in Folge ermöglichte.
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Text: Mämä Sykora
Gestoppt vom Diktator Text: Mämä Sykora
1960 zerschellten die EM-Titelträume der famosen spanischen Nationalelf um Di Stéfano und Kubala an den Machtspielchen von General Franco. Und mit ihnen beinahe auch die ganze erste EM.
«M
ein erster Gedanke war: Dieses Spiel ist ein Schwindel, geschnitten, ein Film. Weil diese Spieler Dinge taten, die nicht möglich sind, nicht real, nicht menschlich!» So erinnert sich Sir Bobby Charlton an das Endspiel im Meistercup 1960 zwischen Real Madrid und Eintracht Frankfurt. Zum fünften Mal in Folge gewannen
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die Königlichen diesen neu geschaffenen Wettbewerb, doch nie zuvor wurde solch ein Spektakel geboten. 7:3 vor 127 000 Zuschauern im Hampden Park in Glasgow, darunter auch der 18-jährige Alex Ferguson, der derart begeistert war, dass er beschloss, auch Fussballer zu werden. Als Mannschaft «von einem anderen Planeten» bezeichnete der damalige eng-
lische Nationalspieler Jimmy Greaves Real Madrid: «Wir haben niemals so etwas wie das gesehen. Wir haben alles mit offenen Mündern verfolgt.» Das Team, das derartige Begeisterungsstürme auslöste, war in der Tat mehr als hochkarätig besetzt. Vier Tore in jenem Endspiel steuerte der Ungar Ferenc Puskás innerhalb von 26 Minuten bei, drei sein kongenialer Sturmpartner Alfredo Di Stéfano (Bild oben rechts). Mit einer besseren Chancenauswertung hätte Real an jenem Nachmittag ein Dutzend Mal treffen können, sie verlegten sich angesichts der krassen Überlegenheit indes auf Showeinlagen: Hacke, Spitze, Dribblings. Mit dieser Mannschaft war alles möglich. Da war neben den beiden Ausnahmekönnern im Sturm noch Gento auf der linken Aussenbahn, der kantabrische
em 1960
Sturmwind, pfeilschnell und ein grossartiger Techniker. José Santamaria, der Chef in der Verteidigung mit dem guten Auge. Zarrága, der unaufgeregte Captain im Mittelfeld. Und doch gab es in jenem Jahr eine Mannschaft, die noch besser war. In der Meisterschaft nämlich musste sich Real dem grossen Rivalen aus Barcelona geschlagen geben. Den Ausschlag gab die Tordifferenz, denn die Katalanen hatten unter Trainer Helenio Herrera, der später bei Inter den Catenaccio erfinden sollte, lediglich 28 Tore kassiert. An Gracia, Rodrí, Segarra, Jesús Garay und Gensana gab es kaum ein Vorbeikommen, vorne wirbelte bei Blaugrana Luis Suárez zusammen mit dem eingebürgerten Ungar Lászlo Kubala und dessen Landsmännern Zoltán Czibor und Sandor Kocsis. Die vier Legenden Aus diesen beiden Mannschaften, den erfolgreichsten Europas, wurde eine Nationalmannschaft geformt, die bald das Team der «cuatro leyendas», der vier Legenden, genannt wurde, nach ihren grössten Stars Kubala, Di Stéfano, Gento und Suárez: die wohl beste Mannschaft des Kontinents zu jener Zeit. Den Beweis dafür konnte sie indes nicht antreten. Denn während in Südamerika seit 1916 eine Kontinentalmeisterschaft ausgespielt wurde, herrschte in Europa ein heilloses Turnierdurcheinander. Die Briten spielten die Home International Championship aus, im Norden gab es die Skandinavische und die Baltische Meisterschaft, dazu den Balkan Cup und den Dr.-Gerö-Cup. Die Idee einer Europameisterschaft existierte freilich schon lange. Bereits 1927 unterbreiteten der Österreicher Hugo Meisl und der Franzose Henri Delauney einen Vorschlag, für den die FIFA, die anfänglich um die Bedeutung der Weltmeisterschaft fürchtete, schliesslich grünes Licht gab. Doch Unterstützung fanden die beiden Initianten kaum. Im Zweiten Weltkrieg ruhte der Fussball, und nachdem 1954 endlich der Kontinentalverband UEFA gegründet worden war, lag dessen Priori-
tät erst mal beim Europapokal für Klubteams. Die Diskussion über die Einführung und den Modus der geplanten EM zog sich über Jahre hinweg und schuf einen Graben zwischen Ost und West. Während die erfolgreichen Nationen aus dem Westen wie Italien, Deutschland, die Schweiz und Belgien dem Projekt ablehnend gegenüberstanden, weil es die Vorbereitung auf die WM-Turniere erschweren würde, sahen die Osteuropäer die EM als Chance, sich auf der grossen Bühne präsentieren zu können. Ein weiterer Konflikt zwischen diesen beiden Lagern. Der Einladung der UEFA zum ersten «Europapokal der Nationen», wie das Turnier damals noch hiess, leisteten denn auch bis zum Stichtag im Februar 1958 gerade mal 15 Teams Folge. Die oben genannten sagten ebenso ab wie England oder Vizeweltmeister Schweden, erst durch eine Verlängerung der Anmeldefrist wurde die Mindestanzahl von 16 Nationen erreicht. Das «sozialistische Europa» hingegen war fast komplett vertreten, und so kam es in der ersten Runde, die wie alle Begegnungen bis zum Halbfinale in Hin- und Rückspielen ausgetragen wurde, gleich zu mehreren mit Spannung erwarteten Ost-WestDuellen: Polen gegen Spanien, Portugal gegen die DDR, die Tschechoslowakei gegen Dänemark. Dazu kam das Schlagerspiel, in dem Ungarn (ohne die 1956 im Westen gebliebenen Stars Puskás, Kocsis und Czibor) den grossen Bruder UdSSR forderte. Zu jener Zeit war man sich im «freien» Europa einig, dass die grösste Bedrohung der Kommunismus sei. Der Kalte Krieg tobte. Stellvertreterkriege wie jener in Korea verhärteten die Fronten, der niedergeschlagene Volksaufstand in Ungarn festigte das Bild der brutalen Sowjets, und der Sputnik-Schock schürte im Westen die Angst. Angesichts dieser Bedrohung wurde jener Mann, der sich 1936 in Spanien an die Macht geputscht hatte, als kleines Übel angesehen: General Francisco Franco, nach dessen Bürgerkrieg 200 000 Tote und 270 000 Inhaftierte zu Buche standen und der bis
1945 100 000 weitere Gegner erschiessen liess. Unterstützung erhielt Franco vom nationalsozialistischen Deutschland und dem faschistischen Italien. Auf die Seite der republikanischen Regierung stellte sich lediglich die Sowjetunion, die restlichen Grossmächte hielten sich aus dem Konflikt heraus. Ein Diktator wird salonfähig Die Isolierung Francos, den der damalige US-Präsident Truman noch «in einer Reihe mit Hitler und Mussolini» gesehen hatte, hielt nach dem Ende des Weltkriegs nicht lange an. Obwohl er, ein erklärter Real-Fan, den Präsidenten des FC Barcelona, Joseph Sunyol, ermorden liess und bei der Besetzung Kataloniens eine regelrechte Jagd auf Vereinsmitglieder anordnete, anerkannte die FIFA den neu gegründeten Franconahen Verband, ohne zu zögern. Der Siegeszug von Real Madrid im Europacup war für «El Caudillo» zudem beste Werbung. Sein Aussenminister bezeichnete Real als «den besten Botschafter, den wir je hatten». Noch heute hat der Verein Mühe, den Ruf loszuwerden, «el equipo del régimen», die Mannschaft des Regimes, zu sein. Auch mit der Nationalmannschaft Spaniens durfte Franco zufrieden sein. Polen wurde bereits auswärts mit 4:2 geschlagen, das Heimspiel in Madrid wurde zum Schaulaufen. Im Estadio Santiago Bernabéu, benannt nach dem Präsidenten von Real, der im Bürgerkrieg aufseiten des «Generalísimo» gekämpft und dafür hoch dekoriert worden war, folgte ein komfortabler 3:0-Sieg. Im Viertelfinale wartete die Sowjetunion, Francos ärgster Feind, dem er die Einmischung in «seinen» Krieg nie verziehen hatte. Die UdSSR war in Europas Fussball die grosse Unbekannte. Gegründet 1922, verzichtete sie auf eine FIFA-Mitgliedschaft, woraufhin der Weltverband seinen Mitgliedern Länderspiele gegen das Riesenreich untersagte. Lediglich die Türkei umging dieses Verbot, indem sie mehrmals als Stadt- oder Universitätsauswahl antrat. Somit waren die Olympischen Spiele 1952 der erste Auftritt der
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László Kubala
Sowjets an einem internationalen Turnier. Dessen Stellenwert war indes bescheiden, zumal die Ostblock-Staaten dank ihren «Staatsamateuren» einen riesigen Vorteil besassen: Ab diesem Turnier stellten sie 8 Mal in Folge den Sieger und gar 15 der 16 Finalisten. Weil sowjetische Vereine auch dem Europapokal fernblieben – dabei blieb es auch bis Ende der 1960er-Jahre –, war die WM 1958 in Schweden, für die sich die UdSSR auf Anhieb qualifiziert hatte, die erste Möglichkeit für westliche Beobachter, die Sowjets spielen zu sehen. Und diese vermochten zu beeindrucken: In der Gruppe schaltete die UdSSR mit Österreich einen letztmaligen Halbfinalisten und mit England einen der grossen Favoriten aus. Erst im Viertelfinale war gegen den Gastgeber Endstation. Nach diesen Auftritten musste die bevorstehende Partie gegen Spanien bei der ersten Europameisterschaft als vorweggenommenes Endspiel gelten. «Ihr dürft nicht fliegen» Während sich die Fussballwelt auf diesen Knaller freute – neugierig war man
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auf Ponedelnik, Ivanov, Metreveli, über deren Athletik man sich wahre Wunderdinge erzählte, und auf diesen Torwart, Lev Yashin, die «schwarze Spinne», die man nicht bezwingen könne –, bereitete Franco die Partie Kopfzerbrechen. Er, der noch im Zweiten Weltkrieg seine «Blaue Division» an die Ostfront geschickt hatte, soll nun «seine» Nationalmannschaft im Land des Erzfeindes antreten lassen? Und den Gegner gar noch zum Rückspiel ins eigene Land einreisen lassen? Der General weiss um die Labilität des Friedens in Spanien und befürchtet bei so einem Zeichen der Schwäche Unruhen oder gar eine Wiedererstarkung der Linken. Den Mitgliedern der «selección» gehen andere Dinge durch den Kopf, als sie sich in der Wartehalle des Madrider Flughafens versammeln. Keiner der Spieler ist schon mal in der Sowjetunion gewesen, alle sind gespannt auf das kurz zuvor erst eröffnete Zentralstadion Lenin, in dem über 100 000 Zuschauer Platz fanden. Ob ihre stupende Technik ausreichen wird, um in diesem Hexenkessel die Angriffswellen der sowjetischen Dauerläufer zu überstehen? Und wie kann man diesen verflixten Yashin bezwingen? Die Gespräche werden abrupt unterbrochen, als eine Gruppe Soldaten durch die Halle direkt auf die spanische Delegation zumarschiert. «Ihr dürft nicht fliegen», eröffnet einer der Uniformierten. Für die «cuatro leyendas» ein Schock. «Warum?», fragt Di Stéfano in seiner Verzweiflung immer wieder. «Warum?» Eine befriedigende Antwort erhält er nicht. «Befehl von Vega», heisst es. Damit ist General Vega gemeint, der gefürchtete Innenminister, die rechte
Hand von Franco. Die vier Legenden, allesamt schon im Herbst ihrer Karriere, müssen hilflos mit ansehen, wie ihre letzte Chance auf einen Titel mit der Nationalmannschaft von der Politik weggespült wird. Und die UEFA fürchtet, für die neu geschaffene EM könnte ein solches Debakel den Todesstoss bedeuten. Alles wird versucht, um den spanischen Diktator umzustimmen. Das Flehen des Verbandspräsidenten bleibt indes vergeblich. Nur den Vorschlag von Pierre Delaunay, Sohn des Vaters der EM-Idee, die zwei Spiele auf neutralem Boden auszutragen, würde Franco akzeptieren. Die Sowjets aber – den kampflosen Einzug ins Halbfinale vor Augen – schlagen das Angebot aus und nutzen die Gelegenheit gleich, um der Welt zu zeigen, dass sie die wahren Sportsmänner sind. Oder wie es die «DDR-Fussballwoche» ausdrückte: «Diese Sabotage der Olympischen Idee durch das faschistische Spanien wird den Fussballsportlern in aller Welt mit aller Offenheit zeigen, wo die ewigen Feinde der friedlichen Entwicklung stecken. Dass sie sich zu solch ausgesprochen dummen Entschlüssen gegen den Willen der Völker entschliessen, wird sie eines Tages restlos vereinsamen vor der Sportwelt, wird sie zu Eremiten machen, die ‹abseits stehen›, weil sie weder die Regeln des Spiels und der Fairness noch der Vernunft kennen.» Das Viertelfinale zwischen den vielleicht besten Mannschaften des Kontinents fällt ins Wasser. Spanien wird disqualifiziert und mit 2000 Franken gebüsst. Die Endrunde der vier verbleibenden Mannschaften, für deren Austragung sich Spanien ebenfalls beworben hatte, wird nach Frankreich vergeben. Die dortige Bevölkerung kann sich indes nicht für die Auftritte der ihnen kaum bekannten Spieler begeistern. Vor halb leeren Rängen qualifizieren sich die Sowjets (3:0 gegen die Tschechoslowakei) und Jugoslawien (5:4 gegen den Gastgeber) fürs erste Endspiel um die Europameisterschaft, in dem Lev Yashin seinen Ruf als weltbester Torwart festigen wird. «Er hätte jeden Angriff der Welt zur Verzweiflung gebracht», meinte «L’Équipe»
em 1960 am Tag nach dem 2:1-Sieg der Sbornaja vor lediglich 18 000 Zuschauern über die besser spielenden Jugoslawen, denen aber zu früh die Puste ausging. Die EM hatte den schweren politischen Schlag überstanden, für die zweite Austragung 1964 meldeten sich 29 der 33 UEFA-Mitglieder an. Von den grossen Nationen blieb lediglich Deutschland fern. Und tatsächlich kam es im Finale zu jener Begegnung, die Franco vier Jahre zuvor verhindert hatte. Im Estádio Santiago Bernabéu. Gento, Kubala, Di Stéfano und der eingebürgerte Puskás waren ausgemustert worden, ihre Nachfolger holten vor den Augen des sichtlich begeisterten Generals den ersten Titel für dessen Land. Für Suárez, den letzten Verbliebenen der vier Legenden, war es schier unerträglich, wie sich der Diktator im Triumph der «selección» sonnte: «Als mir die Nadel ans Revers geheftet wurde, musste ich mich zu einem Lächeln zwingen, das mehr Kraft kostete als alle Spiele meiner Karriere zusammen.»
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Text: Sascha Fey / Illustrationen: Roger Zürcher, Vaudeville Studios
«Gruppen können tödlich sein»
Fraktionen innerhalb einer Mannschaft sind unvermeidbar. Sie werden von Vereinsführungen gar gezielt geschaffen. Trotz der grossen Risiken.
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ls Erfolgsrezept im Fussball wird häufig ein guter Teamgeist angegeben. Bedeutet dies, dass sich alle Spieler gut miteinander verstehen – auch neben dem Platz eine verschworene Einheit bilden und in der Freizeit viel gemeinsam unternehmen? Ist es erstrebenswert, möglichst nahe an die perfekte Harmonie heranzukommen? Für Erich Vogel, früherer Manager von GC, Basel und Zürich, heisst die Antwort auf diese Frage ganz klar Nein. Für ihn sind Reibereien in einer Mannschaft notwendig, damit das Ganze lebt. FCZ-Sportchef Fredy Bickel dagegen hat das Gefühl, «dass alles harmonisch ablaufen muss». Ein gutes Zusammenleben helfe sehr wohl auf dem Feld. Er ist sich jedoch bewusst, dass beide Meinungen vermutlich zu extrem sind. Gruppen gibt es in jedem Team. Es ist natürlich, sich mit Menschen zu umgeben, die ähnliche Einstellungen haben. Formelle Gruppen – beispielsweise Verteidiger, die zusammenkommen und Strategien ausklügeln – sind im Fussball gar wünschenswert und anzustreben.
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Früher war im Zusammenhang mit der Schweizer Nationalmannschaft viel vom Röstigraben die Rede, und zwar in negativem Sinn. Hier die Welschen, dort die Deutschschweizer, zwei unterschiedliche Mentalitäten. Das könne ja nicht funktionieren. Es gibt sogar ein Buch mit dem Titel «Die Schweizer Fussballnationalmannschaft und der Röstigraben». Röstigraben als Chance Der Sportpsychologe Robert Buchli sieht im «Röstigraben» indes nichts Negatives. Im Gegenteil: «Warum fragen wir nicht nach den Chancen und Möglichkeiten, die wir aufgrund der unterschiedlichen Kulturen, Sprachen und Ansichten haben? Das ist etwas sehr Wertvolles, eine riesige Chance.» Dies umso mehr, als der Schweizer Verband ein einheitliches Ausbildungskonzept geschaffen hat, das die unterschiedlichen Philosophien der einzelnen Landesteile vereint. Gleich sieht es Ottmar Hitzfeld, für den die verschiedenen Mentalitäten «befruchtend» sind. «Das erweitert die Weitsicht der Menschen. Die Frage ist
immer nur, wie man damit umgeht. Man sollte sich öffnen.» Der Röstigraben ist denn auch kaum ein Thema mehr in der aktuellen Nati. Auch nicht, dass derzeit viele Spieler einen Migrationshintergrund aufweisen. «Es ist normal, dass beim Essen ein Welscher eher mit einem Welschen und ein Zürcher eher mit einem Zürcher Kollegen zusammensitzt», sagt Raphael Wicky, der von 1996 bis 2007 75 Länderspiele sowie zwei Europameisterschaften und eine Weltmeisterschaft bestritt. Zu seinen Anfangszeiten im Nationalteam gab es die Alten und die Jungen. «Es war schwierig für einen Jungen, in den Kreis der Alten reinzukommen», so Wicky. «Beim ersten Aufgebot wurde man vielleicht nicht mit einem Lachen begrüsst. Da hat man schon einen Unterschied gespürt. Vor 20 Jahren mussten sich die jungen Spieler zuerst hocharbeiten, waren zuerst Wasserträger. Davor war es allerdings noch schlimmer für die Jungen. Heutzutage wird ein 19-, 20-Jähriger in jeder Mannschaft der Welt gut aufgenommen.» So erlebte Wicky zu Beginn seiner Nati-Karriere denn auch «ein paar Gruppenbildungen, die nicht so positiv waren und auch bestimmt nicht beste Auswirkungen auf den Zusammenhalt hatten». Ansonsten machte er in seiner langen Karriere, in der er auch im Ausland für Werder Bremen, Atlético Madrid, den HSV und das amerikanische Team Chivas spielte, keine negativen Erfahrungen mit Fraktionen.
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Gruppen sprengen Für Bickel sind Gruppenbildungen ebenfalls nicht per se etwas Schlechtes: «Im Erfolgsfall können sich Gruppen gegenseitig anstacheln und dadurch weiterbringen, sie können sich gegenseitig motivieren und sogar sehr inspirierend sein. Bei Misserfolg hingegen können Gruppen tödlich sein. Dann gibt es gegenseitige Schuldzuweisungen, man dividiert sich auseinander.» Deshalb überlegt sich Bickel, ob es für die Mannschaft nicht besser sei, sich von einem der drei Tunesier (Amine Chermiti, Chaker Zouaghi, Yassine Chikhaoui) zu trennen. Manchmal sei es nämlich notwendig, Gruppen bewusst zu sprengen. Klar ist für Bickel, dass er
keinen weiteren Tunesier verpflichten wird, «auch wenn es genau der Stürmer wäre, der mir fehlt». Denn er will diese Gruppe nicht zu stark machen. Die stärkste Fraktion in seiner Amtszeit bei den Zürchern sei jene von Daniel Stucki, Florian Stahel, Silvan Aegerter und Ludovic Magnin gewesen, von denen nächste Saison nur noch Letzterer im Kader stehen wird. Sie sei allerdings nicht schädlich gewesen, betont der 47-Jährige. Daneben hatte der FCZ überdies immer eine starke Westschweizer Fraktion, während die Deutschschweizer in Jung und Alt getrennt seien. Grundsätzlich hat Bickel positive Erfahrungen gemacht mit Blöcken von meh-
reren Spielern aus dem gleichen Land, weil es die Integration erleichtert. Für den Sportpsychologen Robert Buchli können diese allerdings auch ein Bremser sein: «Wegen der Kommunikation kann es für die Integration sinnvoll sein, ich habe jedoch die Erfahrung gemacht, dass dann Pseudointegrationen entstehen. Denn es besteht die Gefahr, dass sich ein einzelner Spieler nur in der Kleingruppe wohlfühlt und sich gar nicht öffnen muss für die ganze Mannschaft. Er muss sich gar nicht bemühen, Deutsch oder Französisch zu lernen, um mit den anderen zu kommunizieren. Es ist auch eine Art Komfortzone für die Spieler. Sie bewegen sich dort drin, und das reicht.»
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Auch Wicky würde als Sportchef nicht zu viele Blöcke bilden. «Viele kleine Gruppen, das finde ich nicht gut», sagt der derzeitige U15-Trainer von Servette und Expert des Schweizer Fernsehens. Viel wichtiger ist für ihn aber, den ausländischen Spielern, die Sprachprobleme aufweisen und von einer ganz anderen Kultur kommen, die Integrationsphase zu erleichtern. «Sie müssen im Verein einen Ansprechpartner haben», so Wicky. Das sei in der Bundesliga heutzutage allerdings auch der Normalfall. «Es geht nach Wohlfühl-Gedanken» Um gegen Gruppenbildungen vorzugehen, gibt es auch Trainer, die von den Spielern verlangen, bei jedem Essen neben jemand anderem zu sitzen. Bickel macht zum Teil die Zimmereinteilungen
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selber. Zwischendurch lässt er die Spieler wählen, unter der Bedingung, dass es ein anderer Zimmerpartner als beim letzten Mal ist. Ab und zu verteilt er auf Auslandreisen auch die Plätze im Flugzeug, «damit mal andere miteinander reden müssen». Ottmar Hitzfeld hält nicht viel von solchen Massnahmen: «Man kann das nicht forcieren, es muss auch menschlich passen. Es geht nach Wohlfühl-Gedanken. Von daher soll man nicht zu viel Einfluss nehmen.» Für den deutschen Trainer sind Gruppen innerhalb einer Mannschaft «legitim und richtig». Es ist für ihn völlig normal, dass die jungen Spieler gemeinsam in ein Pub gehen oder die ausländischen Spieler sich gerne in ihrer Muttersprache unterhalten und auch die Freizeit miteinander verbringen.
Solche Subgruppen könne man nicht verhindern, erklärt Hitzfeld. «Man muss sie akzeptieren, aber auch besonders ansprechen. Generell geht es darum, dass man als Gruppe, die zusammen unterwegs ist, trainiert oder spielt, einen besonderen Teamgeist entwickelt, in dem jeder akzeptiert wird und den nötigen Stellenwert hat.» Wann sollte man als Trainer eingreifen und eine Gruppe auch mal sprengen? «Als Trainer muss man seine Mannschaft immer beobachten und Gespräche führen mit verschiedenen Spielern, ob Stamm- oder Ersatzspieler spielt keine Rolle. Wenn es offensichtliche Probleme sind, kann der Trainer sofort eingreifen. Bei unterschwelligen Schwierigkeiten gilt es, die Ursachen dafür bei den Spielern zu erforschen. Dafür muss die Kommunikation funktionieren.»
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Überdies ist für Hitzfeld wichtig, klare Regeln aufzustellen, wie eine Mannschaft funktioniert. «Man muss zu Beginn jeder Saison wieder betonen, wie wichtig der Teamgeist ist, dass man nur gemeinsam erfolgreich sein kann. Und eben auch, dass alle dazugehören, von den Spielern bis zu den Physios. Das Zugehörigkeitsgefühl in einem Team, der Respekt und die Achtung voreinander, das ist sehr wichtig. Auch der Ersatzspieler, der junge oder der verletzte Spieler müssen akzeptiert werden. Diese Philosophie muss man einer Mannschaft klarmachen und sie immer wieder wiederholen. Es ist nicht getan mit einer Rede, sondern es ist eine permanente Aufgabe des Trainers, die Menschen zu einem Ziel zu führen.» Prügeln für den Teamgeist Heisst das also, dass ein Trainer ein guter Psychologe sein muss? Für Buchli, Mit-
arbeiter beim renommierten Sportpsychologen Jörg Wetzel, sind eher menschliche Eigenschaften entscheidend. Er muss auch bereit sein, Hilfe zu holen, wenn er nicht mehr weiterweiss. Ideal ist es, ein Netzwerk zu bilden, das einen in den ganzen Prozessen begleitet und unterstützt. «Dann ist es nicht so, dass du psychologisch weiss ich was wissen musst. Du musst nur offen sein und Ratschläge einfliessen lassen. Und natürlich musst du als Mensch reif genug sein, um hinzustehen und auch immer wieder etwas anderes zu versuchen.» Gibt es denn so etwas wie die ideale Mannschaft? Buchli meint: «Ganz klar nein.» Für ihn ist entscheidend, dass es in den Ebenen Trainer/Spieler, Position/ Persönlichkeit und Rolle/Akzeptanz der Rolle möglichst übereinstimmt. Dies ist dann der Fall, wenn die Vorstellungen des Trainers und der Spieler kongruent
sind, die Spieler sich in jener Position, in der sie eingesetzt werden, zurechtfinden und sie sich in ihren Rollen wohlfühlen. «Dann ist zumindest eine gute Voraussetzung vorhanden. Aber im Sport ist es zum Glück nicht möglich, Erfolg zu planen», sagt Buchli. Für Bickel ist die Mischung zentral. Damit meint er nicht nur die Altersstruktur, sondern auch die Charaktere. «Ich erlebe jetzt eine interessante Saison. Wir haben eine Mannschaft, die sich neben dem Platz unheimlich gut versteht. Sie sind lieb und freundlich miteinander, tun sich nicht gross weh. Aber auf dem Rasen spüre ich die Einheit nicht, spüre ich sogar zum Teil die Grüppchen.» Deshalb wünschte er sich, dass die Spieler auch mal «die Sau rauslassen» würden. Stattdessen würden von 18 Profis 15 eine Cola bestellen, wenn er mal eine Runde zahle. «Das regt mich auf. Vielleicht
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würde es guttun, wenn ein, zwei mal über die Stränge schlagen würden.» Bickel fährt gleich noch mit einer Anekdote fort. Als er im Dezember 2003 zu den Zürchern stiess, stimmte es in der Mannschaft überhaupt nicht. Zudem verstanden es die Spieler überhaupt nicht, dass Trainer Lucien Favre vom Verwaltungsrat der Rücken gestärkt worden war – der FCZ lag bei Saisonhälfte mit nur 14 Punkten aus 18 Spielen auf dem letzten Tabellenplatz. Als die Mannschaft dann in Spanien im Trainingslager war, sagte er zu Favre: «Ich will, dass wir alle in ein Zimmer gehen, uns einschliessen und mal Tacheles reden.» Zuerst war es ruhig, bis Bickel die Spieler anzündete, indem er preisgab, was der eine über den
Sonderfall Belgien Text: Mauro Landolt
In der belgischen Nationalelf spiegeln sich die politischen Spannungen im Land wider. Dank der Fülle an Talenten blickt man dennoch optimistisch in die Zukunft.
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den Hazard ist derzeit eines der begehrtesten Talente Europas. Jüngst zeichnete «L’Equipe» den 21-jährigen Belgier, der in der Saison 2010/11 massgeblich am Double-Gewinn des OSC Lille beteiligt war, zu Frankreichs bestem Fussballer 2012 aus. Hazard ist kein Einzelfall im belgischen Fussball. Bereits im vergangenen August sicherte sich Chelsea die Dienste des 19-jährigen Romelu Lukaku, der dereinst in Didier Drogbas Fussstapfen treten soll. Und Torhütertalent Thi-
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anderen gesagt habe. Das habe eine Explosion ausgelöst, die lange nachgehallt hat. «Lucien wollte abbrechen, ihm war es offensichtlich nicht mehr wohl.» Am nächsten Tag wollte Petrosjan nach Hause reisen, und im zweiten Training schlugen Muff und Nef aufeinander ein. Doch es funktionierte: Der FCZ war in der zweiten Saisonhälfte das beste Team der Liga. «Konflikte müssen ertragen werden» Auch für Hitzfeld ist essenziell, dass es in einer Mannschaft mal Meinungsverschiedenheiten gibt, mal etwas Unvorhergesehenes passiert. «Ich habe es immer als befruchtend angesehen, wenn die Spieler mal aufeinander losgehen, wenn Emotionen gezeigt werden. Ich will keine leise Mann-
schaft, in der jeder die Regeln peinlich genau befolgt. Eine gewisse Schlitzohrigkeit gehört zu einem Team, das verlangt man ja auch auf dem Platz.» Es ist allerdings notwendig, bei Disziplinlosigkeiten oder Konflikten konsequent zu sein. Es soll nach Möglichkeit alles auf der Vorderbühne ausgetragen werden. Die Spieler müssen spüren, dass der Coach die Auseinandersetzung nicht scheut. Buchli fügt an: «Der Trainer muss sich bewusst sein, dass er mit seiner Funktion auch im Bereich Konfliktkultur ein Vorbild ist.» Es hänge von ihm ab, ob man einander kritisieren dürfe oder nicht, ob der Konflikt direkt oder hintenherum ausgetragen werde. Manche Konflikte müsse der Trainer auch ertragen können, da diese nötig seien, damit Prozes-
baut Courtois (gehört ebenfalls Chelsea) hat kürzlich mit Atlético Madrid die Europa League gewonnen. Die aktuelle belgische Nationalmannschaft ist gespickt mit vielversprechenden jungen Spielern, zu den oben genannten kommen auch noch Kompany (Man City), Vermaelen (Arsenal), Fellaini (Everton), Witsel (Benfica) und Dembélé (Fulham), sie alle sind erst um die 25. Es besteht berechtigte Hoffnung auf einen Aufschwung in der einst stolzen Fussballnation, die zuletzt fünf grosse Turnier in Folge verpasste, in den 1980ern aber einen EM-Final und einen WM-Halbfinal erreichte. Zurzeit erlebt Belgien eine politische Zerreissprobe. Der kulturelle Graben zwischen dem französischsprachigen Wallonien und dem niederländisch geprägten Flandern blockiert das Land seit Längerem. 540 Tage war Belgien gar ohne Regierung – Weltrekord. Auch die Nationalmannschaft setzt sich zu ungefähr gleichen Teilen aus Wallonen und Flamen zusammen, dort scheint es aber einiges harmonischer zu- und herzugehen als auf der politischen Ebene. «Die einzigen zwei Dinge, die Flamen und Wallonen vereint, sind der König und die Nationalmannschaft», pflegt man in Belgien zu sagen.
Grabenkämpfe bei den Roten Teufeln So einfach, wie es das Sprichwort besagt, ist es aber dann doch nicht. Vor allem durch die sprachlichen Unterschiede ergeben sich tendenziell entsprechend flämische und wallonische Grüppchen innerhalb des Nationalteams. Dazu kommt eine nicht unwesentliche Gruppe von Fussballern mit afrikanischer Herkunft, welche in Belgiens Fussball eine längere Tradition haben – die Liga vergibt sogar jährlich den «Ebbenhouten Schoen» für den besten afrikanischstämmigen Spieler – und die auch in der Nationalmannschaft eine eigene Fraktion stellen. Während die erfahrenen Daniel van Buyten (Bayern München) und Timmy Simons (Nürnberg) die flämischen Leitwölfe sind, spielen Torhüter Jean-François Gillet (Bologna) und Mittelfeldspieler Guillaume Gillet (Anderlecht) für die Entwicklung der frankofonen Jungspunde eine wichtige Rolle. Sie alle sind bemüht, der jungen Generation vor allem sportliche und nicht politische Prioritäten beizubringen. Auch der scheidende Nationaltrainer Georges Leekens war in den vergangenen zwei Jahren – trotz verpasster EMQualifikation – eine wichtige Figur in der Entwicklung der talentiertesten Gene-
ersatzgoalie fraktionen se vonstattengingen in einer Mannschaft. Dies müsse er spüren. «Manchmal lösen sich Probleme von selbst, ohne Eingreifen von einer Führungskraft. Das ist auch ein Qualitätsmerkmal eines guten Trainers.» Damit eine Mannschaft funktioniert, braucht es zudem eine Hierarchie, vor allem wenn die Resultate nicht stimmen. Es braucht Leistungsträger, die eine Equipe mitführen, die sich zu Wort melden, die Verantwortung übernehmen. «Das muss man als Trainer fördern», so Hitzfeld. «Ich habe die Leistungsträger immer starkgemacht, sie sind wichtig auf dem Platz.» Für den zweifachen Champions-League-Sieger mit Borussia Dortmund und Bayern München muss ein Leader jedoch nicht zwingend ein Routinier sein. «Es kommt
ration belgischer Fussballer seit Langem. Seine Zweisprachigkeit verhalf ihm dazu, die Fraktionen innerhalb der Nationalmannschaft zumindest auf dem Platz zu harmonisieren. Dies ist in der Vergangenheit nicht immer geglückt. In der völlig missglückten Qualifikation für die WM 2010 – mit Niederlagen gegen Estland und Armenien und 20 Punkten Rückstand auf Spanien – wurden die Gräben innerhalb der Mannschaft offensichtlich, als sich der Wallone Pocognoli und der Flame Stijnen in aller Öffentlichkeit stritten und die unglücklichen Aussagen von Routinier Wesley Sonck über die unreifen und ungenügenden Jungen vom aufstrebenden Vincent Kompany harsch gekontert wurden. Der belgische Verband ist gut beraten, wenn er für den zum Club Brügge wechselnden Leekens wieder einen zweisprachigen Übungsleiter mit integrativen Fähigkeiten verpflichtet. Sportliche Erfolge als politischer Impuls Der Vergleich mit der Schweiz liegt auf der Hand. Wir leben ebenfalls in einem mehrsprachigen Land, wo es durchaus auch kulturelle Differenzen zwischen den Sprachregionen gibt, allerdings ohne die politischen Spannungen, welche sich auf
auf die Autorität an, die der Spieler ausstrahlt, auf das Selbstbewusstsein, auf die Ansichten, auf die Sozialkompetenz.» Die junge Generation sei heute viel reifer. Sie sei ein bisschen freier erzogen worden, mit mehr Selbstständigkeit. Das präge natürlich die Menschen. Für Buchli sind diese Hierarchie und die Transparenz der Rollen «eine effizientere Herangehensweise»: «Man entscheidet schneller, man bekommt Rückmeldungen, welche die längerfristige Entwicklung sicherstellen. Man kann effektiver kommunizieren, schneller mit Niederlagen umgehen und im Erfolgsfall besser auf dem Boden bleiben.» Eine Hierarchie müsse allerdings nicht über die gesamte Saison gleich bleiben, sie entwickle sich.
«Elf Freunde müsst ihr sein, wenn ihr Siege wollt erringen» – so steht es auf dem Sockel der Victoria-Statue, die der deutsche Meister bis 1944 als Wanderpokal überreicht bekam. Dies ist – darin sind sich alle einig – eine Illusion. Ein Team ist ein sehr komplexes Gebilde, Gruppenbildungen sind unvermeidbar, und deren Auswirkungen können sowohl positiv wie auch negativ sein. Essenziell ist es, die Entwicklungen stets genau zu beobachten und bei allfälligen Konsequenzen für den Zusammenhalt in der Mannschaft Gegensteuer geben zu können. Denn dieser ist für den Erfolg unabdingbar, und darauf haben die Fraktionen innerhalb einer Mannschaft nur bedingt einen Einfluss.
das Teamgefüge im Nationalteam auswirken könnten. Wie bei den Belgiern stehen auch in unserer Nati viele Secondos im Kader. Was möglich ist, wenn diese Fraktionen zu einer Einheit auf dem Platz geformt werden können, haben die Belgier in der EM-Quali angedeutet: Bis zum letzten Spieltag durften sie auf eine Teilnahme an der Endrunde hoffen, spätestens in Brasilien will man endlich wieder einmal dabei sein. Die «Roten Teufel» könnten tatsächlich wieder in Europa für Furore sor-
gen – sofern die Politik die Entwicklung der Spieler und der Mannschaft nicht beeinträchtigt. Es kann sicher nicht die Aufgabe der jungen Spieler sein, dieses gespaltene Land zu vereinen. Allerdings könnte ein ähnlicher Exploit, wie er den Griechen mit dem EM-Titel 2004 gelang, dem innenpolitischen Dialog neue Impulse geben. Dass der gesellschaftliche Streit auch dann nicht von heute auf morgen beigelegt werden würde, dürfte aber auch dem kühnsten belgischen Fussballfan klar sein.
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«Ich bin ja keine Figur in einem Videogame» Mit seinen 20 Jahren gehört er bei GC schon zu den Alten. Und auch neben dem Platz hat Steven Zuber durchaus was zu sagen: etwa über Teamleader, die manchmal Arschlöcher seien, und Trainer, die immer nur kritisierten. Interview: Mämä Sykora Bilder: Frank Blaser
interview: Steven zuber
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um Gespräch mit dem U21-Internationalen Steven Zuber treffen wir uns in einer Zürcher Gartenbeiz. Während wir uns noch einrichten, durchstöbern er und sein Begleiter und ehemaliger Teamkamerad Remo Freuler, der heute beim FC Winterthur spielt, ältere ZWÖLF-Ausgaben. Sie freuen sich beide, als sie ein Foto der Winterthurer Schützenwiese entdecken. ZWÖLF: Da warst du ja auch mal aktiv. Steven Zuber: Zuvor noch bei Dorfvereinen, in Wiesendangen und in Turbenthal. Bei Winti bin ich bei den D-Junioren eingestiegen. Immer wenn man bei grossen Fussballern von ihren Anfängen erzählt, kommen die Geschichten aus deren Juniorenzeit, als sie in fast jedem Spiel im Alleingang 10 Tore erzielt haben. War das auch bei dir so? Ja, das war bei mir auch der Fall. Das machte mich natürlich stolz, wenn mich nach dem Spiel zu Hause der Vater fragte, ob ich getroffen hätte, und ich sagen konnte: «Ja, sechs Mal.» Ich konnte damals den Ball nehmen, durch die Gegner kurven und einschiessen. Ausser in der kurzen Zeit, in der ich Innenverteidiger spielen musste. So fällt man schnell auf. Wer hat dich entdeckt? Piet Hamberg (der damalige GC-Ausbildungschef und spätere Technische Direktor der Academy des FC Liverpool, Anm. d. Red.) hat mich zu GC geholt. Anfangs wusste ich nicht einmal, welcher Verein sich für mich interessierte, ich wurde einfach zu einem Probetraining eingeladen. Erst auf dem Platz habe ich erfahren, dass es die U18 von GC war.
«Die Jungen sollen dribbeln.» War das ohnehin dein Herzensverein? Mein Vater war immer für Basel, als Kind war das bei mir dann natürlich ebenso. Das hat sich heute natürlich geändert (lacht).
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Piet Hamberg gilt als ziemlich harter Ausbildner. Ich habe den mal erlebt bei einem Training von kleinen Junioren... Oh ja, der konnte schon wirklich laut werden, wenn etwas nicht so geklappt hat, wie er sich das vorgestellt hat! Das war schon eine andere Welt als in Winterthur, wobei ich auch da einen super Trainer hatte, der mit uns Jungen sehr viel im mentalen Bereich gearbeitet hat. Bei GC kam dann der Feinschliff: Technik, Taktik etc. Für mich war das perfekt. Da war es schon klar, dass du alles auf die Karte Fussball setzen wirst? Ich war an der Schule für Mannschaftssport (MSP) in Zürich, konnte dort aber die 3. Oberstufe nicht mehr machen, weil GC das Kontingent bereits ausgeschöpft hatte. Also habe ich stattdessen das 10. Schuljahr gemacht. Ein Jahr später war ich schon in der ersten Mannschaft, dann war der Fall klar. Meine Eltern waren einverstanden, und ich wollte es versuchen. Damals war Latour GC-Trainer. Wie verlief dein Einstand im Eins? Im Training wurde ich als linker Verteidiger eingesetzt, ich habe mich aber deswegen nicht beschwert. Als Junger musst du einfach ruhig sein und machen, was die anderen sagen. Bis man wirklich in der Mannschaft drin ist, braucht es nun mal ein bis zwei Jahre. So richtig zum Zug gekommen bin ich erst in der Rückrunde 2009/10 unter Ciriaco Sforza. Obwohl eure erste Begegnung nicht gerade positiv für dich verlief... Er hat mich gleich in die U21 zurückversetzt, der Grund dafür ist mir heute noch nicht klar. Er hat bei mir den Willen und die Lust vermisst, obwohl ich einer bin, der auch im Training immer alles gibt. Das hat mich wirklich getroffen. Ich wollte mich sogar ausleihen lassen, aber GC hat mich zum Bleiben überredet. So ein Erlebnis sei auch eine Lehre, da müsse ich durch. Das habe ich dann auch geschafft, wobei mich die Zeit in der U21 sicher gestärkt hat. Wer hat dich in der ersten Mannschaft besonders beeindruckt?
Die Chefs auf dem Platz waren natürlich Smiljanic, Salatic und Cabanas. Die konnten manchmal richtige «Arschlöcher» sein. Damals hat mich das total genervt, rückblickend muss ich aber sagen: Es hat mir wirklich etwas gebracht! Beeindruckt hat mich aber vor allem Raúl Bobadilla. Der hat sich von niemandem etwas sagen lassen, hat sein Ding durchgezogen, stets Extratrainings eingelegt und immer alles gegeben. Ihn habe ich bewundert, und von ihm habe ich viel profitiert, alleine schon beim Zuschauen, wenn ich auf der Bank sass. Smiljanic hat uns mal in einem Interview erzählt, wie es für ihn als junger Spieler war. Da herrschte ein sehr rauer Umgangston. Was die Teamleader sagten, hat man ohne Widerrede gemacht. Da hat sich anscheinend einiges geändert, heute seien die Jungen viel frecher. Ja, da hat er recht, einige junge Spieler lassen doch manchmal den Respekt vermissen. Und genau diese Spieler führen dann auch eine Art Hackordnung ein und sind zu den noch jüngeren sehr herablassend. Das behagt mir gar nicht. Du bist zwar selber erst 20, aber dennoch schon einer der «Alten». Achtest du denn darauf, dass so was nicht überhandnimmt? Ich gehe jedenfalls mit allen anständig um. Mir brauchte auch niemand zu sagen, dass ich beispielsweise das Trainingsmaterial verräumen solle, das ist für mich selbstverständlich. Nicht alle sehen das so, da weise ich schon mal darauf hin, aber immer in einem guten Ton. In deinem Alter erlebt man als NichtFussballer oft wilde Zeiten: Ausgang, Partys, Abstürze, Frauengeschichten... Hast du das Gefühl, du würdest etwas verpassen, weil du nicht mit deinen Kollegen mitgehen kannst? Nach der Scheidung meiner Eltern musste ich oft mit meiner Mutter umziehen, so hatte ich nie einen festen Kollegenkreis. Erst als ich zu meinem Vater gezogen bin, hat sich das entwickelt. Gute
interview: Steven zuber
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Freunde waren das indes nicht, sie haben oft Scherze auf meine Kosten gemacht, gerade die Älteren. Und heute kriege ich ab und zu noch SMS von solchen, die jetzt auf gut Freund machen wollen,
«Spaniens U21 würde Schweizer Meister werden.» so im Stile von: «Hey, kennst du mich noch? Ich bin derundder.» Irgendwie lustig. Seit ich bei GC bin, beschränkt sich mein Kollegenkreis praktisch auf Profifussballer. Einige deiner ehemaligen Teamkollegen wie Ben Khalifa, Seferovic, Rolf Feltscher oder Emeghara haben früh Angebote aus dem Ausland angenommen; die haben nun alle einen schwierigen Stand. Bist du auch mal vor dieser Entscheidung gestanden? Als ich in der U16 gespielt habe, hat mich Manchester United eingeladen, um mich mal kennenzulernen. Sowohl mein Vater wie auch GC haben mir davon abgeraten. Manchmal bereue ich das, denn es ist nicht unbedingt falsch, früh wegzugehen. So eine Chance gibt es vielleicht nur einmal, und zurückkommen kann man immer. Die oben Erwähnten kommen im Ausland kaum zum Zug. Was fehlte ihnen, um sich durchzusetzen? Ich weiss nicht genau. Vielleicht fehlte es ihnen etwas an Persönlichkeit, oder sie waren mental nicht bereit für den Sprung. Ein Fehler ist sicher, wenn man sich schnell den anderen Profis anpasst, das gleiche Programm absolviert und nach dem Training gleich mit den Älteren in die Stadt zum Essen geht. Wenn man neu ist, sollte man viel mehr machen als der Rest, Zusatztrainings einlegen, stets an sich arbeiten. Nur so kann man es schaffen. Wenn es bei einem jungen Spieler im Ausland nicht gleich klappt, wird oft die Schuld auf den Berater abgescho-
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ben, der seinem Klienten den Kopf verdreht habe. Seid ihr nicht alt genug, um über so einen Schritt selber zu entscheiden? Klar sind nicht alle Berater gut und ehrlich, ich habe selber auch schlechte Erfahrungen gemacht. Da werden falsche Tatsachen vorgespiegelt, Aussagen verfälscht, und wenn es mal nicht läuft, wirst du schnell fallen gelassen. Aber entscheiden tut immer noch der Spieler selber. Dein Vorbild ist Cristiano Ronaldo. Ein Spieler, der nicht überall Sympathien geniesst, weil er auch als Diva und Showman gilt und gerne die Gegner dumm dastehen lässt. Ronaldo ist einfach ein kompletter Spieler, der bringt alles mit, was es braucht, und ist überall auf dem Toplevel. Messi ist ebenso genial. Ich schätze, es wird sehr, sehr lange dauern, bis die Fussballwelt wieder Spieler wie diese beiden erleben wird. Bescheidenheit ist nicht gerade Ronaldos Stärke. Kürzlich sagte er, er sei besser als Messi. Auch dein Mitspieler Izet Hajrovic, dessen Vorbild ebenfalls der Portugiese ist, spuckte letztes Jahr grosse Töne, als er behauptete, der beste Freistossschütze der Liga zu sein. Findest du das okay, wenn man so angibt? Selbstbewusstsein ist schon etwas Gutes. Vielleicht hätte er nicht gleich sagen sollen, dass Frei und Costanzo keine Chance gegen ihn hätten, aber grundsätzlich finde ich es gut, wenn man sich seiner Stärken bewusst ist und auch nicht tiefstapelt. Ich selber bin aber eher bescheiden. Sforza sagte immer wieder über dich, du solltest effizienter spielen und nichts Spezielles versuchen. Dabei ist dieses Unberechenbare ja gerade deine Stärke. Gerade als Junior ist man noch sehr verspielt, sicher auch zu verspielt manchmal. Aber kaum kommt man in die erste Mannschaft, heisst es oft: «Dribble nicht! Mach dieses und jenes nicht!» Das finde ich falsch. Die Jungen sollen dribbeln, vor allem auf den Seiten. Sie werden selber merken, was klappt und was nicht. Ich
mag es nicht, wenn man mir immer genau vorschreibt, was ich zu tun habe. Ich bin ja keine Figur in einem Videogame, die vom Trainer mit einem Joystick gesteuert wird! Wer Spieler so steuern will, soll die Playstation anwerfen. Unter Sforza waren viele der Ansicht, dass du etwas stagniert hast. Was waren denn die Gründe? Er war sicher nicht der alleinige Schuldige an unserer und auch meiner Misere. Wie alle hat aber auch er seinen Teil zu unserem Tief beigetragen. Ich hätte mir etwas mehr positives Feedback gewünscht. Ich bekam oft den Eindruck, dass alles was ich machte, falsch war. Wenn ich geschossen habe, hätte ich abspielen sollen; wenn ich einen Pass gespielt habe, hätte ich dribbeln sollen. Nach deinen drei Traumtoren für die U21-Nati unter Pierluigi Tami hast du gesagt: «Hier fühle ich mich wohl, hier versteht mich der Trainer.» Wann fühlst du dich denn verstanden? Diese Aussage war nicht gegen Sforza gerichtet. Unter Tami habe ich noch nie ein schlechtes Spiel gezeigt. Er weiss, wie er mit Menschen umgehen muss. In den U-Auswahlen musstest du auch schon einigen Frust verdauen. Erst hast du mit der U17 die EM-Quali gespielt, wurdest aber nicht für die Endrunde nominiert. Letztes Jahr passierte mit der U21 dasselbe. So ist das Leben. In der U17 hat es mich sehr genervt, vor allem weil an der Endrunde Spieler zum Einsatz kamen, die zuvor noch nie aufgeboten worden waren. Sie wurden dann auch mit null Punkten Gruppenletzter, und das einzige erzielte Tor war ein Eigentor. Die U21 wurde ja auch ohne mich Zweiter, da kann ich nicht viel sagen. Zudem hat Tami einige Male mit mir gesprochen; ich wusste, woran ich war. Bei ihm erlebt man Wertschätzung; ich habe sogar ein bisschen Prämien bekommen, obwohl ich an der Endrunde nicht dabei war. Die Wertschätzung eines Trainers ist extrem wichtig.
interview: Steven zuber Bist du denn so sensibel, dass du nur dann Bestleistungen bringen kannst? Ich würde mich schon als sensiblen Menschen bezeichnen. Dass ich gegen Saisonschluss unter Forte wieder etwas besser gespielt habe, hat aber nicht nur mit dem neuen Trainer zu tun, ein Aufwärtstrend war schon zuvor festzustellen. Ich muss mich einfach wohlfühlen, und das ist jetzt – es hat sich auch privat etwas verändert, und ich habe einen neuen Manager – wieder der Fall. Wie muss ein Trainer arbeiten, wenn er mit so vielen Jungen arbeiten muss wie bei GC derzeit? Das Wichtigste: Er muss sehr viel mit den Spielern sprechen! Und zwar nicht nur mit denen in der ersten Elf, sondern auch mit Verletzten. Wenn einer wie Adili, gerade mal 16 Jahre alt, so lange verletzt ist, muss man sich auch um den kümmern, damit er weiss, dass er nicht vergessen wird. Viele junge Spieler brauchen diese Bestätigung, dass man auf sie zählt. Dafür braucht es
positives Feedback, Lob und Schulterklopfen. Kriegt man immer nur Negatives zu hören, entwickelt sich ein Frust, und man wird blockiert. Es braucht die richtige Mischung. Mit der U21 seid ihr auf gutem Weg, euch für die Play-offs zu qualifizieren. Du hattest auch das zweifelhafte Vergnügen, gegen die Spanier anzutreten. Immerhin in den ersten 15 Minuten haben wir das super gemacht. Aber danach ging es richtig los. Wir sind unglaublich viel gelaufen, aber wenn wir mal ein richtiges Pressing aufgezogen haben, sodass es für sie keinen Ausweg mehr gab, kam aus der Bedrängnis ein punktgenauer Pass über 30 Meter direkt auf den Mitspieler. Wir rannten 90 Minuten dem Ball nach. Dieses Spielverständnis und diese Technik, das war unglaublich! Das war die beste Mannschaft, gegen die ich je gespielt habe. Ich denke, die U21 von Spanien würde Schweizer Meister werden, obwohl ich natürlich nicht weiss, ob es körperlich reichen 29.5.2012
Der Offensivspieler (*1991) kam mit 15 Jahren zu GC, wo er 2009 seinen Einstand in der Super League gab und bald zum Stammspieler reifte. Bisher erzielte er in 109 Spieler für die Zürcher 26 Tore, in dieser Saison war er bester Skorer seines Teams. Er durchlief alle Nachwuchsauswahlen des Verbandes, derzeit ist er in der U-21 gesetzt.
würde oder ob Basel dank der Erfahrung doch die Nase vorne hätte. Aber spielerisch wären sie auf jeden Fall die Nummer 1. Jetzt freust du dich auf Olympia? Ich hoffe, dass ich dabei sein werde. Von den Kandidaten für London auf meiner Position war eigentlich nur Xherdan Shaqiri noch besser als ich, von daher darf ich mir schon gute Chancen ausrechnen.
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Ruf Lanz
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Steven Zuber
IN JEDEM FUSSBALLER STECKT EIN VEGETARIER. Hiltl Public Viewing im Güterbahnhof mit allen EM-Spielen live vom 8. Juni bis 1. Juli
Text: Peter Balzli Bild: Keystone
Die Wiedergeburt der «Dons» 1988 wurde der FC Wimbledon Cupsieger, 2002 ruiniert und verschachert. Heute ist er zurück im Profifussball und «eine Fackel der Moral».
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er Wimbledon hört, denkt nur an Tennis. Doch das war nicht immer so. 1988 gewann der FC Wimbledon den Cupfinal gegen den ruhmreichen FC Liverpool und hatte grosse Ambitionen. Doch dann kam der Absturz. Der Verein häufte riesige Schulden an. Die Situation schien ausweglos. In dieser Phase tauchte Pete Winkelman auf. Ein Mann, dessen Name in Wimbledon bis heute die Gemüter zum Kochen bringt. Winkelmann hatte mit Popmusik viel Geld verdient. Er stammt aus Milton Keynes, einer der sogenannten New Towns, die in den 60er-Jahren rings um London gebaut wurden. Winkelman wollte seine Stadt auch sportlich auf die Landkarte bringen. Nach amerikanischem Vorbild versuchte er deshalb einen etablierten Profifussballklub zu kaufen und in seine Stadt zu verpflanzen, wie es in den USA gang und gäbe ist. Der Verein sollte dort einen neuen Stadtteil mit Einkaufszentren beleben. Doch die Queen’s Park Rangers, der FC Barnet und Luton Town lehnten seine Offerte dankend ab. Also nahm er den überschuldeten FC Wimbledon ins Visier, der seine Spiele bereits seit einigen Jahren ausserhalb seines Stadtteils austrug.
Funktionär liefert Schlachtruf Die klammen Klubbesitzer liessen sich schliesslich davon überzeugen, in einer anderen Stadt einen Neubeginn zu realisieren. Trotz massivem Protest der Fans erlaubte der englische Fussballverband FA im Mai 2002 den ersten Verkauf eines englischen Klubs in eine andere Stadt. Ein Entscheid, den die Wimbledon-Supporter dem Verband bis heute nicht verziehen haben. Doch die Fans gaben nicht auf. Einer von ihnen, Kris Steward, hatte eben seinen Job als Finanzberater verloren. Mit einer Gruppe Gleichgesinnter gründete er noch im gleichen Monat den AFC Wimbledon. So eine Gründung sei «not in the wider interests of football» (nicht im grösseren Interesse des Fussballs), liess sich damals ein FA-Funktionär verlauten. Ein Satz, der später eine Art Schlachtruf der Wimbledon-Fans werden sollte und heute bei jedem Heimspiel auf Dutzenden von Fan-Shirts und Fahnen steht. Sofort wurden Spieler gesucht. In sogenannten Spieler-Castings wurden aus mehreren Hundert Bewerbern deren zwanzig ausgewählt, die sofort das Training aufnahmen. Bereits zum ersten Freundschaftsspiel im Juni 2002 gegen
Sutton United kamen unglaubliche 4500 Zuschauer ins Stadion. Es war das Schlüsselerlebnis für die Wiedergeburt, wie Kris Steward später erklärte. Das erste Tor für den Club erzielte übrigens Glenn Mulcaire. Dieser erlangte später zweifelhafte Berühmtheit, weil er als Privatdetektiv für Rupert Murdochs Revolverblatt «News of the World» die Mobiltelefone von Prominenten hackte und dafür sechs Monate im Gefängnis verbrachte. Natürlich musste der neue Klub ganz unten anfangen, in einer Liga mit dem abenteuerlichen Namen «Seagrave Haulage Premier Division». Von dort aus raste die Mannschaft in neun Jahren durch vier Amateurligen. Der erste Aufstieg gelang schon nach zwei Jahren, und zwar ohne Niederlage mit einem Torverhältnis von +148. Im Mai 2011 schafften die «Dons» schliesslich den Wiedereintritt in den Profifussball. Der Aufstieg in die League Two (vierthöchste Spielklasse) gelang in einem dramatischen Aufstiegsspiel im Penaltyschiessen gegen Luton Town. Trotz dieser unglaublichen Erfolgsgeschichte des jungen Vereins war es alles andere als sicher, dass es den «Dons» gelingen würde, sich im Profifussball wieder zu etablieren. Einen weiteren Höhenflug gab es zwar nicht, aber die Gelb-Blauen beendeten ihre erste Profisaison soeben auf Platz 16 von 24. Doch das ist nur die sportliche Seite. Es zeigte sich, dass es für eine englische Fangemeinschaft keinen besseren Treibstoff gibt als ein Grundgefühl der Ungerechtigkeit. Das Gefühl, ein Underdog zu sein, beflügelt im Kampf gegen die Mächtigen und die Ungerechten. Dieser Kampf hat
unser mann in Rubrik london
in England natürlich Tradition: Robin Hood und seine Bande lassen grüssen. Mittlerweile ist der AFC Wimbledon über die Landesgrenzen hinaus zum Symbol geworden für den Kampf der Fans gegen das schnöde Fussball-Business. Gründer und Ex-Manager Kris Steward unterstützte mit seinen Mitstreitern vor sieben Jahren enttäuschte Fans von Manchester United bei der Gründung ihres Vereins namens FC United of Manchester. Und auch die frustrierten Fans des umgetauften FC Red Bull Salzburg bezogen sich explizit auf den AFC Wimbledon, als sie 2005 ihren «Sportverein Austria Salzburg» gründeten. Wimbledon sei «eine Fackel der Moral im Fussballgeschäft» geworden, schrieb jüngst Niall Couper, Autor des Kultbuches «The Spirit of Wimbledon». Couper hatte 2002 ganze vierzehn Tage und Nächte vor dem Sitz des englischen Fussballverbandes ausgeharrt, um dessen Entscheidung über die Zukunft des FC Wimbledon abzuwarten. Prinzipientreue Emporkömmlinge Auch nach dem Wiedereinstieg in den Profifussball tun die «Dons» alles, um ihren Prinzipien treu zu bleiben. Der Verein
gehört weiterhin zu hundert Prozent den Fans. Das Vereinsbudget liegt weit unter dem der meisten Ligakonkurrenten. Präsident Samuelson bezieht für seinen Job nur ein symbolisches Salär von einer Guinee pro Jahr. Der Vorstand weigert sich, weiterhin mit Spieleragenten zu verhandeln, und tut dies direkt mit den Spielern. Und um die Nähe zwischen Spielern und Fans zu pflegen, bleiben die Spieler nach dem Schlusspfiff mindestens noch eine Stunde im Kreis der Fans. In den Jahren nach der Neugründung war es üblich, dass sich die Spieler auch noch mit den Fans betranken. «Das mussten wir ändern», erzählt Trainer Terry Brown mit einer Mischung aus Professionalität und Bedauern. Sein Stadion, die 4722 Zuschauern Platz bietende Kingsmeadow, hat sich der AFC Wimbledon zwar schon vor einer Weile gekauft. Doch so richtig glücklich macht das die meisten Fans nicht. Denn das Feld liegt im Borough Kingston-upon-Thames und nicht in Wimbledon. Deshalb hat die Vereinsführung Verhandlungen mit den Behörden aufgenommen. Ziel: ein Stadionneubau in Wimbledon. Es wäre das Ende einer langen Heimkehr.
Die Anderen Während der AFC Wimbledon schon 2002 den Spielbetrieb aufnahm, taten dies die anderen «Dons» erst im Jahre 2005. Die ungeliebten, von Pop-Impressario Pete Winkelman nach Milton Keynes verpflanzten «MK Dons» hatten von Anfang an alle gegnerischen Fans gegen sich. Sie waren das Symbol für die Kommerzialisierung des Fussballs und die Entfremdung der Klubs von ihren Fans. Die Vereinigung der Fanklubs FSK boykottierte die Fanklubs der MK Dons. Deren Beitritt werde erst erlaubt, wenn zwei Forderungen erfüllt seien, erklärte die FSK. Erstens: Die MK Dons müssten dem FC Wimbledon alle Pokale und Erinnerungsstücke aus der Zeit vor 2002 übergeben. Zweitens: Der englische Fussballverband müsse seine Statuten so ändern, dass es verunmöglicht werde, Vereine einfach so in eine andere Stadt zu verpflanzen. 2007 waren beide Bedingungen erfüllt. Die Fanclubs der MK Dons durften fortan dem Fanklub-Verband beitreten. Zum Missfallen der Wimbledon-Fans entwickelt sich der Verein sehr gut. 2009 wären die MK Dons mit ihrem damaligen Trainer, dem Schaffhauser Roberto Di Matteo, um ein Haar in die zweithöchste Spielklasse aufgestiegen. Die letzte Saison beendeten sie auf Rang 5.
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Schweizerreise
James leidet Text: Samuel Burgener Bilder: Stefan Bohrer; Litho: www.fine-tuned.ch
Der Walliser 1.-Liga-Klub FC Martigny-Sports k채mpft im Schatten des FC Sion um Zuschauer, Sponsoren und Anerkennung. Manchmal hilft ihm die Erinnerung an die alten Zeiten, die besser waren.
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Schweizerreise: Martigny
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m Sommer ist Schluss. James Derivaz braucht eine Pause. Abstand vom Fussball und vom Klub und überhaupt. Es ist ihm alles zu viel geworden, denn er strapaziert seine Nerven arg, seitdem er vor drei Jahren begonnen hat, Trainer zu sein. Wenn er nahe der Seitenlinie steht und coacht, steht und coacht er nicht: Er lebt das Spiel. Und er leidet. An einem Donnerstagabend im Mai empfangen Derivaz und der FC Martigny-Sports im Walliser 1.-Ligaderby den FC Monthey. Sportlich ist der Match im Stade d’Octodure ohne Bedeutung. Doch Derivaz wird hitzig am Spielfeldrand. Er schreit, hüpft, springt, macht Kickbewegungen, fuchtelt mit den Armen, rauft sich die grau melierten Haare, wirft imaginäre Gegenstände nach dem Schiedsrichter, kämpft mit dem Zufall und hadert mit dem Schicksal. Und hätte sein schwarzes T-Shirt Ärmel, er würde sie hochkrempeln. Eine wunderbare Geschichte Derivaz ist 38-jährig. Er war während vieler Jahre launischer, aber begabter Mittelfeldspieler bei Servette, Carouge, dem FC Sion und Martigny-Sports. Nach seiner Karriere als Spieler wollte er Trainer werden. Im Sommer 2008 war die Gelegenheit in Martigny günstig. Bei Christophe Moulin, der den FC Sion 2006 zum Cupsieg und in die Super League geführt hatte, absolvierte Derivaz ein Lehrjahr. Und als Moulin 2009 wieder den Lockrufen des FC Sion folgte, rückte sein Assistent nach. Derivaz durfte von da an Cheftrainer sein, was ihm sehr gefiel. Auch die Leute im Umfeld fanden das toll, weil Derivaz als kleiner Junge im Klub die ersten Gehversuche mit dem Ball gewagt hatte. Und weil sie sich an eine Geschichte erinnerten, die nichts anderes ist als wunderbar:
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An einem Samstagabend im Oktober 2001 spielte Martigny-Sports im Walliser Derby der 2. Liga interregional gegen die US Collombey-Muraz. In der Kabine des Stade d’Octodure gab der Trainer Massimo Prastaro knapp eine Stunde vor dem Match die letzten Anweisungen, als plötzlich Szenen geschahen, die in einen hundslausigen Gangsterfilm gepasst hätten. Drei bewaffnete Polizisten verschafften sich Zutritt zur Umkleide und fragten nach James Derivaz. Die Mitspieler und der Trainer trauten ihren Augen nicht. Als Derivaz sich meldete, gaben die Polizisten ihm gestoppte zwei Minuten Zeit, sich seiner Fussballkleidung zu entledigen, Jeans und Pullover anzuziehen und mitzukommen. Derivaz tat, wie ihm befohlen; er musste auf den Polizeiposten und verpasste die Partie, die Martigny 2:3 verlor. Was aber war passiert? Der passionierte Jäger Derivaz, kein Kind von Traurigkeit, hatte eine eigenwillige Vorbereitung auf das Spiel gewählt. Frühmorgens wilderte er gemeinsam mit zwei Copains im Bagnes-Tal und schoss ohne Erlaubnis zwei Gämsen. Die Polizei konnte das beweisen. In den Wochen zuvor hatte Derivaz wegen der im Wallis beliebten «Chasse» bereits zwei Spiele im Championat verpasst, was ihm die Klubführung nur verzieh, weil er meistens überragend spielte – wenn er spielte. Francesco Bortone kennt die Geschichte von Derivaz. Bortone, 45 Jahre, ist seit drei Jahren Koordinator und Mädchen für alles im FC Martigny-Sports. Eigentlich ist er Präsident, aber weil er hauptberuflich das Elektrizitätswerk von Martigny und somit eine städtischen Anlage leitet, darf er nicht Präsident eines ortsansässigen Vereins sein. Das schreibt in Martigny, einem 17 000-EinwohnerStädtchen am Knie der Rhone, das Gesetz vor. Bortone lehnt sich an eine Beton-
wand vor der kleinen, maroden Tribüne des Stade d’Octodure. Er lächelt, wenn er die Gebärden seines Trainers sieht. Zum Glück führt Martigny bald 1:0. Mit Bregy gegen Sion Die erfolgreichste Zeit des FC Martigny-Sports erlebte Bortone live mit. Im Frühjahr 1988, nach einer überragenden Saison in der Nationalliga B, qualifizierte sich das Team des rumänisch-schweizerischen Trainers Radu Nunweiller für die Auf-/Abstiegsrunde. Nunweiller hatte für Rumänien an der Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko gespielt und war 1983 als Trainer mit Martigny bereits in die Nationalliga B aufgestiegen. Bortone war zu dieser Zeit ein aufstrebender Verteidiger von 21 Jahren. Die Auf-/Abstiegspoule begann gut. Nachdem Martigny-Sports zu Hause den FC Zürich besiegte, der später absteigen sollte, brach Euphorie aus. Die freisinnigen Octoduriens freuten sich bereits Tage zuvor auf das Rencontre gegen den reichen Nachbarn aus der Kantonhauptstadt und CVP-Hochburg Sitten. Sogar Politiker und Kulturschaffende kauften sich Billets. André Luisier, «Nouvelliste»Verleger und kompromissloser Patron des zu dieser Zeit kriselnden FC Sion, fand kaum Schlaf. Der Emporkömmling aus Martigny bereitete ihm Sorgen. So verpflichtete er extra den portugiesischen Nationalspieler Carlos Manuel von Benfica Lissabon. Am Spieltag brachen alle Dämme. 8932 Zuschauer kamen; das kleine Stade d’Octodure war hoffnungslos überfüllt. Der FC Martigny-Sports wollte sich beweisen und rang generös. Der Trainer Nunweiller gab die Richtung vor, und Spieler wie Charles Zwygart, Uwe Rapolder und Georges Bregy, der nach seinem Rauswurf bei Sion für ein halbes
Schweizerreise: Martigny
Jahr hier Unterschlupf fand, waren die Leader auf dem Platz. Der marrokanische Internationale Lahcen Chicha zauberte im Mittelfeld, und der junge Verteidiger Bortone durfte eine Viertelstunde vor Schluss auf den Platz. Doch zu diesem Zeitpunkt war die Hoffnung für Martigny bereits verkümmert. Der FC Sion, gecoacht vom Ungar Peter Pazmandy und angeführt von den Schweizer Nationalspielern Dominque Cina und Christophe Bonvin, siegte humorlos 3:0 und sollte später gemeinsam mit Lugano in der Nationalliga A verbleiben. Martigny-Sports ernüchterte, musste in der Nationalliga B verharren und stieg zwei Jahre später gar in die 1. Liga ab. In diesen Jahren operierte der Klub mit einem Budget von rund 1,2 Millionen Franken, was damals eine stattliche Summe war. Die Unternehmer aus der Region Martigny-Bagnes und Chablais spendeten gerne, und konkurrierende Sportvereine existierten in der Region kaum. Der FC Martigny-Sports verpflichtete regelmässig verdiente Spieler wie den Schweizer Ex-Nationalspieler Serge Trinchero. Doch der grosse Ruhm sollte ihm verwehrt bleiben. Als Uwe Rapolder 1990 zurückkehrte und Spielertrainer wurde und der spätere Nationalspieler und Einheimische Johann Lonfat seine Karriere
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startete, qualifizierte sich die Equipe für die Aufstiegsspiele in die Nationalliga B. Doch damit hatte es sich – bis heute. Billig, aber attraktiv Derzeit fristet der FC Martigny-Sports im Schatten des FC Sion und des NLBEishockeyklubs Red Ice Martigny ein unspektakuläres Dasein. Der FC Sion ist im Stadtteil Martigny-Croix unweit des Stade d’Octodure situiert, weil sein Präsident Christian Constantin hier einen Hotelkomplex und ein Architekturbüro führt. Und der mit der Hilfe einer russischen Investorenfirma auf Vordermann gebrachte Eishockeyklub Red Ice stieg jüngst in die Nationalliga B auf und hegt grosse Pläne. Das alles macht dem städtischen Fussballklub das Leben schwer. Präsident Bortone lehnt noch immer an der Betonwand; seine Equipe führt noch immer 1:0. Er sagt: «Wir kämpfen um alles. Um Anerkennung, um Zuschauer, um Sponsoren.» Bortone weiss, dass der Klub seiner Situation ausgeliefert ist und sich selbst mehr als soziale Einrichtung denn als ambitionierter Sportverein betrachten muss. Bortone kümmert sich um den Betrieb von 18 Juniorenteams und führt mit einem Teambudget von knapp 185 000 Franken die «billigste 1.-Liga-Mannschaft
der Schweiz», wie er sagt. Ob das stimmt, ist nicht überliefert. Sicher ist, dass die beiden anderen Walliser 1.-Liga-Klubs, der FC Naters und der FC Monthey, mehr Geld ausgeben dürfen. Gleichwohl ist Martigny hinter dem FC Sion seit Jahren die Nummer zwei im Kanton und eine Anlaufstelle für einigermassen begabte Fussballer, die in einer höheren Liga den Durchbruch nicht geschafft haben. Wie aktuell die ehemaligen Sittener Maurice Liand, Javier Delgado oder Julien Fallet. Die zentrale Lage, die nicht unbedeutsame Vergangenheit und das Fachwissen der Vereinsführung machen den FC Martigny-Sports attraktiv, auch wenn die Spieler nur wenig Geld verdienen und selten mehr als 300 Zuschauer ihre Spiele beäugen. Sosehr der FC Sion dem FC Martigny-Sports die Luft zum Atmen nimmt, so gut versorgt er ihn mit Notsauerstoff. Die Zusammenarbeit der Klubs klappt gut, vorab wenn es um die Infrastruktur geht. Jeweils Anfang Sommer, wenn die Saison zu Ende ist, treffen sich Francesco Bortone, Christian Constantin und dessen höchster Mitarbeiter Domenicangelo Massimo zum Diner in Constantins Hotel-Restaurant Porte d’Octodure. Alle drei sind Octoduriens, also Einheimische.
Das grosse adidas-Quiz Ab sofort präsentiert ZWÖLF in jeder Ausgabe das etwas anspruchsvollere Quiz. Zusammen mit adidas stellen wir euch jeweils eine Frage, für die einschlägige Internetsuchportale mit einer einfachen Abfrage keine brauchbaren Resultate liefern. Wer hier reüssiert, darf sich mit Recht zum erlauchten Kreis der Fussballkenner zählen. Stellt ihr euch der Herausforderung?
FRAGE: Der Präsident eines Super-League-Vereins hat in seiner Karriere mit zwei aktuellen Trainern einer europäischen Nationalmannschaft zusammengespielt. Wer sind die drei gesuchten Herren? Mitmachen geht so: Email mit der richtigen Lösung an wettbewerb@zwoelf.ch. Einsendeschluss ist der 25. Juli 2012.
Das erleichtert vieles, auch wenn der Umgangston manchmal rau ist. Bei Gelegenheit hilft der Sitten-Generaldirektor Massimo dem Copain Bortone bei der Suche nach Sponsoren. Die einfache Gleichung Bortone sagt, das Überleben sei ein steter Kampf, doch irgendwie gehe es immer. Dann macht er die Gleichung, die er schon seit Jahren macht: Unterstützt ein Restaurantbesitzer aus der Region den FC Sion pro Jahr mit 10 000 Franken, gibt er dem FC Martigny-Sports 1000 Franken. Spendet ein reicher Entrepreneur dem FC Sion 100 000 Franken im Jahr, darf Martigny auf 10 000 Franken hoffen. «Wir boxen in einer anderen Gewichtsklasse. Aber die Hauptsache ist: Wir boxen», sagt Bortone und lacht wieder. Seine Laune ist gut an diesem Donnerstagabend. Seine Equipe gewinnt 2:1, obschon sie nicht überzeugt hat. Das Resultat freut auch den Trainer Derivaz, der sich beruhigt hat, der lacht und mit ein paar Rentnern debattiert. Und der vielleicht Gedanken spinnt über seinen baldigen Abschied und seine Zukunft. Der Fussball wird ihm fehlen, freilich. Aber dafür hat er jetzt viel freie Zeit. Für die Jagd beispielsweise.
Zu gewinnen gibts natürlich auch etwas. Wer die richtige Antwort auf diese Frage weiss, darf sich mit etwas Glück bald stolzer Besitzer des «Adidas History Book – The Story As Told By Those Who Have Lived And Are Living It» nennen.
Anlässlich des 60. Geburtstags produzierte adidas das offizielle History Book. Dieses einzigartige Buch erzählt von jenen Menschen, welche Geschichte gemacht haben und immer noch machen. 148 Interviews an 127 verschiedenen Orten wurden aufgezeichnet. Zwei Poster, eins mit sämtlichen Schuh-Modellen, eins mit allen Werbekampagnen, liegen dem Buch bei. Die Dimensionen: 648 Seiten, 3,8 Kilo und mehr als 1600 Bilder. Dieses Buch ist nicht im Handel erhältlich.
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Ramon Vega (*1971): Grasshopper-Club Zürich (1990–1996), Cagliari Calcio (1996–1997), Tottenham Hotspurs (1997–2000), Celtic Glasgow (2000– 2001), Watford F.C. (2001–2002), US Créteil-Lusitanos (2002–2003). Schweizer Meister 1991, 1995 und 1996. Schweizer Cupsieger 1994. Englischer Liga-Cup-Sieger 1999. Schottischer Meister 2001. Schottischer Liga-Cup-Sieger 2001. Schottischer FA-Cup-Sieger 2001. Teilnahme Europameisterschaft 1996. 23 Länderspiele.
Aufgezeichnet von Benedikt Widmer / Bild: Keystone
«Emotionen wie nie»
Mit einem Foul gegen Gazza kurz nach Anpfiff schöpfte Ramon Vega Vertrauen für sein Spiel des Lebens im Wembley gegen England bei der Schweizer EM-Premiere.
E
s waren fünf lange Minuten. Der Gang von den Katakomben zum heiligen Rasen von Wembley schien endlos zu sein. Wir bestritten das Eröffnungsspiel der Europameisterschaft 1996 gegen Gastgeber England – es war das Highlight meiner Karriere. Als erste Schweizer Auswahl überhaupt konnten wir uns damals für eine Europameisterschaft qualifizieren. Es war die Zeit, als die Schweizer Nationalmannschaft nach den schwachen 80er-Jahren mit der Teilnahme an der WM 94 endlich wieder salonfähig geworden war. Unser Trainer war der Portugiese Artur Jorge,
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der das schwere Erbe von Roy Hodgson anzutreten hatte. Vor dem Turnier folgte dann der Paukenschlag: Jorge schmiss von einem Tag auf den anderen die verdienten Spieler Alain Sutter und Adrian Knup aus der Nationalmannschaft. Nun wusste jeder im Team, dass er noch mehr zu leisten hatte. Ich denke, genau das wollte Jorge mit dem Rauswurf bewirken. Die Mannschaft sollte der Star sein. Schottland, äh… England Persönlich pflegte ich mit Jorge stets ein gutes Verhältnis. Ich bin ihm noch heute dankbar, dass er mich an die Euro 1996
mitgenommen hat. Die Endrunde war der Türöffner für meine internationale Karriere. Trotzdem: Jorge hatte auch seine skurrilen Seiten. So verwechselte er in der Kabine vor dem Eröffnungsspiel gegen England den Gegner minutenlang mit Schottland. Wir Spieler schauten einander ungläubig an, einige konnten sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Erst nach einiger Zeit dämmerte es Jorge, dass wir gegen die Engländer spielten. Das Wembley war natürlich ausverkauft – knapp 80 000 Zuschauer sorgten für Gänsehautstimmung. Wie man sich in einem solchen Hexenkessel fühlt, das ist fast unbeschreiblich. Es sind ganz starke Glücksgefühle und Emotionen, wie ich sie nach meiner Fussball-Karriere nie mehr erlebt habe. Zu Beginn des Spiels war ich nervös, denn ich wusste, dass diese 90 Minuten meine gesamte Karriere beeinflussen konnten. Dementsprechend motiviert war ich aber auch in meiner Rolle als Innenverteidiger neben Stéphane Henchoz. Ich
das spiel meines lebens
8. Juni 1996: England - Schweiz 1:1 (1:0) Europameisterschaft 1996 in England Wembley, London – 76 567 Zuschauer – Schiedsrichter: Diaz Vega (Spanien) – Tore: 23. Shearer 1:0. 84. Türkyilmaz (Pen.) 1:1. England: Seaman; G. Neville, Adams, Southgate, Pearce; Anderton, Gascoigne (77. Platt), McManaman (67. Stone); Sheringham (67. Barmby), Shearer. Schweiz: Pascolo; Geiger (67. Koller), Vega, Henchoz, Jeanneret; Bonvin (66. Chapuisat), Sforza, Vogel, Quentin; Grassi, Türkyilmaz.
kann mich noch genau erinnern, wie ich Paul Gascoigne schon kurz nach dem Anpfiff ziemlich rüde zu Boden zog. Doch diese Aktion tat mir gut, und das Vertrauen in meine Fähigkeiten wurde von Minute zu Minute stärker. Jetzt begann ich, das Spiel zu geniessen. Die sind zu packen Wir verfügten damals über eine starke Mannschaft. Die Qualifikationsgruppe hatten wir auf Rang 1 beendet, vor der Türkei und Schweden. Vor allem waren wir sehr gut eingespielt. Vorne wirbelten Kubilay Türkyilmaz und Marco Grassi, und im Mittelfeld sorgte der 19-jährige Johann Vogel für Furore. Auch gegen England hielten wir gut dagegen, spielten von der ersten Sekunde an sehr diszipliniert. Dennoch entwischte Alan Shearer nach 23 Minuten unserer Abwehr. Mit einem Gewaltschuss liess er Marco Pascolo im Tor keine Chance. Entmutigen liessen wir uns durch den Rückstand aber nicht. Kurz vor der Halbzeitpause traf Grassi nach einem Solo von Türkyilmaz leider nur die Latte. Wir merkten: Diese Engländer waren zu packen. Auch in der zweiten Hälfte spielten wir mutig nach vorne. Mir persönlich gelang zu 95 Prozent ein perfektes Spiel. Für die englische Offensive um Teddy Sheringham, Paul Gascoigne und Alan Shearer gab es kein Durchkommen, vor allem weil ich unzählige Kopfballduelle gewann. Dann drückten wir endlich auf den Ausgleich.
Nach einem Freistoss von Ciriaco Sforza schoss Johann Vogel nur sehr knapp am Pfosten vorbei. Jetzt spürten wir endgültig, dass wir nicht mit leeren Händen heimkehren würden. Und so kam es dann auch. In der 84. Minute wurde Marco Grassi im Strafraum angespielt, sein Schuss konnte von einem Engländer nur mit der Hand abgewehrt werden – der spanische Schiedsrichter zeigte sofort auf den Penaltypunkt. Kubi liess sich diese Chance nicht nehmen und schoss haargenau in die rechte Torecke. David Seaman war ohne Chance. 1:1, das späte Glück des Tüchtigen. Der Start ins Turnier gelang somit perfekt. Ein Unentschieden gegen den Gastgeber im Eröffnungsspiel fühlte sich wie ein Sieg an, und mit meiner Leistung hatte ich mich in die Notizbücher vieler europäischer Topadressen gespielt. Nach dem Spiel erhielt ich Angebote von Tottenham, Liverpool, Leeds, Cagliari und Milan. Ich war ausser mir vor Freude. Es war wirklich witzig Während der Europameisterschaft teilte ich das Zimmer mit Marcel Koller. Es war eine schöne Zeit. Um die Stunden zwischen den Spielen zu verkürzen, jassten wir oft. Türkyilmaz, Nestor Subiat und Marc Hottiger waren meine Jassbrüder. Da ich vier Sprachen spreche, war ich eine Art Bindeglied im Team, verstand mich mit allen sehr gut. Der Teamgeist war auch sonst ausgezeichnet. Nach dem Unentschieden gegen England machten wir im Teamhotel viele Spässe. Wir malten Kubis Fussballschuhe gelb an und versteckten sie. Anderen schmierten wir Zahnpasta unter das Kissen. Ja, es war wirklich witzig. Noch hatten wir aber nichts erreicht. Leider konnten wir in den anschliessenden Spielen gegen Holland und Schottland nicht mehr an die Leistung im WembleyStadion anknüpfen, was mir bis heute ein Rätsel bleibt. Wir verloren gegen Holland mit 0:2 und gegen Schottland mit 0:1. Nach dem Turnier entschied ich mich für einen Wechsel zu Cagliari. In Italien wurde zu dieser Zeit der bessere Fussball gespielt als in England – es war die attrak-
tivere Liga. Die Abmachung war, dass ich nach einem Jahr zur AC Milan wechseln würde. Doch bereits im Winter machten die Tottenham Hotspurs ein derart gutes Angebot, dass Cagliari nicht widerstehen konnte. 10 Millionen Franken zahlten die Spurs – und das notabene 1996! Den Wechsel nach London bereue ich nicht, sonst wäre ich heute nicht immer noch da. London ist meine Stadt. Die weltschönsten Männerbeine Das Leben als Fussballer genoss ich stets in vollen Zügen. Als mich Vivienne Westwood anfragte, ob ich als Model an der Mailänder Fashion Week laufen wolle, zögerte ich keine Sekunde. Westwood behauptete einst, ich hätte die schönsten Männerbeine der Welt – eine grosse Ehre. Ich war jung, fit und hatte grossen Spass. Die Momente mit den anderen Models bleiben unvergessen. Der Ernst des Lebens kam erst später, nach der Fussball-Karriere, als ich in der Londoner Finanzwelt Fuss fassen wollte. Ich hatte gegen viele Klischees anzukämpfen, wurde argwöhnisch betrachtet. Man traute dem Ex-Fussballer Ramon Vega nicht viel zu. Es war die härteste Zeit meines Lebens. Doch ich habe mich schliesslich auch im Geschäftsleben durchgesetzt. Dank Tugenden wie Disziplin, Konzentration und Siegeswille. Das habe ich dem Fussball zu verdanken. Ramon Vega arbeitet heute als Vermögensverwalter in London. Seine Botschaft an die Profis lautet: «Jungs, heute seid ihr die Stars, morgen landet ihr auf dem Boden der Realität. Seid vorbereitet.»
In «Das Spiel meines Lebens» erzählen 50 Schweizer Fussballer der letzten 60 Jahre von ihren schönsten 90 Minuten. Das Buch ist für 29.80 Franken erhältlich über www.dasspielmeineslebens.ch Für ZWÖLF treffen die Autoren David Mugglin und Benedikt Widmer weitere Grössen vergangener Tage und lassen sie von ihrem persönlichen Highlight ihrer Karriere erzählen.
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Deutsche Wertarbeit
Text: Romano Spadini Bild: Keystone
Was für ein Transfer! Im September 1987 kam Weltstar Karl-Heinz Rummenigge zu Servette. Er sollte sportlich wie auch menschlich schwer überzeugen.
E
s ereignet sich am 5. Spieltag der Saison 1988/89. Servette empfängt auf der Charmilles die Mannschaft von St.Gallen. Karl-Heinz Rummenigge läuft zur Weltklasse auf. Er sprüht vor Spielfreude und spielt die bedauernswerten Ostschweizer Verteidiger schwindlig. Der Deutsche zieht alle Register seines grossen Könnens und wirft seine ganze, durch zehn Jahre Bundesliga und drei Jahre Serie A geprägte Erfahrung in die Waagschale. Am Schluss stehen vier Tore auf seinem Konto. Servette siegt dank des deutschen Weltklassestürmers mit 7:1. Dieses Spiel steht stellvertretend für so manch überragende Leistung, die Rummenigge in der Saison 1988/89 für Servette erbrachte. Die Mannschaft war in dieser Saison sehr gut bestückt, die Offensive war die wohl stärkste der Schweiz. Im Sturm besass Trainer Donzé mit Eriksen, Kok, Sinval, Fargeon und Rummenigge die Qual der Wahl, das Mittelfeld führte Lucien Favre als Taktgeber an. Doch trotz der Klasse der Einzelspieler enttäuschte Servette als Team und stürzte in der Finalrunde ab. Am Ende der Saison belegte man den 8. Platz. Doch die Kühlerfigur Rummenigge ragte aus dem Team heraus, und er krönte sich mit 24 Toren zum Torschützenkönig.
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In illustrer Gesellschaft Doch wie konnte sich Servette die Dienste eines solchen Grosskalibers wie Rummenigge sichern? Nun, einerseits waren es die 80er-Jahre und die Zeit, als sich beinahe jeder NLA-Verein mit einem hoch dekorierten Star schmücken konnte. So spielten die beiden italienischen Weltmeister Antognoni und Tardelli in der NLA: bei Lausanne respektive St. Gallen. Der deutsche Vizeweltmeister Norbert Eder verstärkte die Abwehr des FC Zürich. Und Ex-Real-Star Uli Stielike trumpfte im Mittelfeld bei Meister Xamax gross auf. Beim gleichen Verein spielte der von halb Europa umworbene René van der Gijp. Und bei GC glänzte der ehemalige ValenciaStar Kurt Jara als Spielmacher. Andererseits lieferte Rummenigge eine sehr simple Erklärung für seinen Transfer an den Genfersee. «Warum ich in die Schweiz gekommen bin? Nun, das war so. In die Bundesliga wollte ich nicht zurückkehren, weil man nie zweimal dasselbe tun sollte, und in Italien gab es nur Angebote (Cesena), die mich nicht reizten. Und dann kam Lavizzari, und ich habe zugesagt.» Lange bevor Kalle die Verteidigungsreihen der Schweizer Vereine unsicher machte, reifte er in München im Nu vom Lehr-
ling zur unverzichtbaren Grösse. Nach der WM 1974 stiess er zum deutschen Rekordmeister. Schnell lernte er von Gerd Müller, und nur ein Jahr später wurde er zum Sturmpartner des grossen Bombers. 1976 holte er seinen ersten Titel mit den Bayern, den Europacup der Landesmeister: Vor dem Spiel war der Jungspund so nervös, dass Bayern-Coach Detmar Cramer ihm einen Cognac zur Beruhigung verabreichte. Zu dieser Trophäe gesellten sich bald zwei nationale Titel mit den Münchnern dazu. Neben Paul Breitner war er 1980 und 1981 die Schlüsselfigur im Team von Pal Csernai. In diesen beiden Jahren wurde er auch zum Fussballer Europas gekürt. In 310 Spielen für die Münchner erzielte er 162 Tore und wurde dreimal Torschützenkönig der Bundesliga. Im Sommer 1984 wechselte er für circa 10 Millionen zu Inter Mailand. Seine Ausbeute bei den Nerazzurri von 24 Toren in drei Jahren liest sich auf den ersten Blick bescheiden, doch konnte Rummenigge aufgrund von Verletzungssorgen nur 64 Partien absolvieren. Nicht wegen des Geldes Nach einer Verletzungspause wechselte er dann im September 1987 zu Servette nach Genf, wo er standesgemäss im silbrigen Learjet am Flughafen Cointrin eintraf. Empfangen wurde Kalle von Dutzenden Schaulustigen und TV-Kameras wie der Fussball-König, der er noch immer war. Dass er mitnichten ein Bettler sei, betonte er schon in seinem ersten Interview im «Blick», als er mit dem Vorurteil aufräumte, er komme bloss des Geldes wegen in
NLA-Legende
die Schweiz: «Ich habe während meinen zehn Jahren in München und den drei Jahren in Mailand sehr gutes Geld verdient. Ich könnte es mir leisten, überhaupt nicht mehr Fussball zu spielen.» Am 16. Spieltag tat er aber ebendies ein erstes Mal im Servette-Dress: im Léman-Derby gegen Lausanne. Sein erstes Tor für die Grenats gelang ihm beim 3:1-Sieg gegen St. Gallen. Und bereits im November spekulierte der «Blick» darüber, dass Rummenigge bald nicht mehr nur die Offensive der Genfer führen, sondern anstelle des glücklosen Thierry de Choudens die Geschicke des Klubs auch als Trainer leiten sollte. Dazu kam es freilich nicht, und Servette steigerte sich in der Finalrunde unter dem früheren Sion-Coach Jean-Claude Donzé so weit, dass man gar noch um den Titel spielen konnte: Am Ende belegte die Mannschaft den zweiten Platz hinter Xamax. Rummenigge erzielte dabei 10 Tore. Rummenigges Situation in Genf war dennoch einigermassen heikel – wegen der noch sehr rigiden Ausländerbeschränkung in der NLA. Darauf angesprochen, betonte der Weltstar immer wieder, er hoffe, dass es keine Probleme zwischen
ihm und den beiden anderen Ausländern, Sinval und Eriksen, gebe. Der «Sport» fand denn auch, dass Rummenigge sehr gerne unverbindlich sei: einerseits, um selbst seinen Frieden zu haben, und andererseits, um niemandem wehzutun. Der «Spiegel» wiederum hatte ihn einst spöttisch als den immer artigen, stets wie frisch durch die Kernseife gezogenen und anschliessend von der Mama fein gemachten Kalle beschrieben. Auch in Genf akklimatisierte sich der Deutsche sehr schnell, und in seiner zweiten Saison bei Servette startete er dann voll durch. Die schon erwähnten 24 Tore sprechen für deutsche Wertarbeit. Teilweise wurde er freilich sogar als Libero eingesetzt. Nach ausbaufähigem Beginn mit 10 Gegentoren in 4 Spielen steigerte er sich auch auf dieser äusserst ungewohnten Position und trat schliesslich mit einer grossen Souveränität auf – fast ein bisschen wie sein Vorbild für die Auftritte als freier Mann: Milan-Libero Franco Baresi. Cool, aber kein Comeback Es entspricht Rummenigges Naturell, dass er ohne zu murren dort spielte, wo ihn Trainer Donzé hinstellte. Starallüren
waren dem 95-maligen Internationalen und heutigen Vorstandsvorsitzenden des FC Bayern München stets fremd. Dafür war er stets cool. Seine Contenance büsste er nicht einmal ein, als ihm Sions Belgier Michel Renquin – ein Widersacher aus dem EM-Finale 1980 – beim Spiel im Juli 1988 nach einem von Rummenigge provozierten Freistoss fünfmal «Hitler» ins Ohr schrie: «Ich weiss, wie sehr sich die Belgier engagieren können und dabei halt vielleicht etwas den Geschmack verlieren.» Apropos verlieren: Als Servette dies im April 1990 im öfter tat und schliesslich gar in Abstiegsgefahr geriet, wäre Rummenigge, der vormalige Schweizer «Fussballer des Jahres» und NLA-Torschützenkönig, beinahe nochmals für die Grenats in die Hosen gestiegen. Für die letzten sechs Spiele wollte Präsident Warluzel den inzwischen 34-Jährigen reaktivieren, und dieser war wohl nicht abgeneigt: «Moralisch könnte ich der Mannschaft in ihrer jetzigen kritischen Lage bestimmt viel bringen», meinte er. So weit kam es indes dann doch nicht. Karl-Heinz Rummenigge hätte den Genfer mit Sicherheit nicht nur moralisch etwas bringen können.
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Rubrik
Das schwarze Brett
ANNO ZUM ZWEITEN
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Brettspiele zum Thema Fussball gibt es mehr als genug. Die Website Board gamegeek.com führt über 500 solche auf, und die Liste ist längst nicht vollständig. Viele davon kamen pünktlich auf eine Endrunde heraus, und bei den allermeisten davon war offensichtlich das Marketing wichtiger als die Entwicklung des Spiels. Dies kann man den Entwicklern von «Champions 2020» nicht vorwerfen. Ausgehend vom simplen Spielprinzip des Klassikers «Street Soccer», entstand ein weitaus komplexeres Spiel für 2 Personen, bei dem vor allem die Taktik, aber auch eine Portion Würfelglück wichtig ist. Gewählt werden kann zwischen vier Mannschaften (Holland, Deutschland, Argentinien, Brasilien), jeder Spieler wählt erst einmal eine Formation und eine Aufstellung. Grundsätzlich gilt das Prinzip, dass der Ball so weit geschossen werden kann, wie Würfelaugen zu sehen sind – allerdings mit vielen zusätzlichen Kniffen. Möglich sind angeschnittene Bälle, Ballstafetten, Steilpässe in die Tiefe, ebenso Grätschen, Fouls, Karten und Offside. Die Spielanleitung hätte man mit Sicherheit verständlicher hingekriegt, dennoch ist schon nach kurzer Zeit ein spannender Match möglich. Wie im richtigen Fussball muss darauf geachtet werden, dass man stets kompakt steht und dem Gegner wenig Raum zugesteht. Gar nicht so einfach, denn die ersten Versuche enden gerne damit, dass ein Knäuel aus Spielern dem Ball nachjagt wie an Grümpelturnieren von Erstklässlern. Die Lernkurve ist aber steil ansteigend, bald sind Partien mit ausgewieften Taktiken möglich. Champions 2020 (Cwali). Spiel für 2 Personen, Spieldauer ca. 50 Minuten. Erhältlich im Spielehandel für ca. 50 Franken.
Endlich DVD
Die Stadionpostkarten-Edition von «Knapp daneben» erfuhr jüngst eine liebliche Erweiterung: Zu den zehn bereits erhältlichen – wovon zwei schon vergriffen sind – kamen kürzlich noch der Wankdorf (1991) sowie eine hoch- und eine querformatige Ausgabe der Winterthurer Schützenwiese (2007) hinzu. 1.50 Franken kostet eine Karte (zzgl. Porto), das ganze Set mit 11 Karten gibts (inkl. Porto) für 17 Franken. Bestellen kann man per Mail an knappdanaben@gmail.com, die Übersicht über die Karten findet sich auf www.knappdaneben.net/stadionpostkarten-kd-edition.
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Wir haben schon einmal darauf hingewiesen, exakt an dieser Stelle, vor genau einem Jahr. Aber weil wir «The Other Chelsea», den Film von Jakob Preuss über Schachtar Donezk, dessen leme, Anhänger, Führungskräfte und Prob auch nun weil und n finde gut rt so dera en wir ENDLICH die DVD erhältlich ist, weis hin. f drau mals ganz einfach noch «The Other Chelsea» nun auf DVD 18 Euro (zzgl. Porto), greifbar auf www.theotherchelsea.com.
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Fussball-Smalltalk Im Jahre 2000 wurde Lee Todd, Stürmer von Cross Farm Park Celtic, bereits nach zwei Sekunden vom Platz gestellt. Er hatte den Anpfiff mit «Fuck me, that was loud» kommentiert. Die abgelaufene Saison war die erste seit acht Jahren, in der Zlatan Ibrahimovic nicht Meister mit seinem Verein wurde. Zuvor holte er 2004 mit Ajax den Titel, 2005 und 2006 mit Juventus (beide später aufgrund des Calciopoli-Skandals aberkannt), 2007, 2008 und 2009 mit Inter Mailand, 2010 mit Barcelona und 2011 mit der AC Milan. Die Champions League konnte der Schwede indes nie gewinnen; seine beide letzten Vereine triumphierten jeweils im Jahr nach seiner Abreise. Bei der Bürgermeisterwahl in seiner Heimatstadt Korb im Jahre 2009 erhielt Claudemir Jeronimo Barreto – besser bekannt als Cacau – sechs Stimmen, obwohl er nicht kandidiert hatte. Das ist laut Kommunalwahlrecht in Baden-Württemberg möglich. John Barnes, späterer 79-facher englischer Internationaler und Englands Fussballer des Jahres 1988 und 1990, wurde als 17-Jähriger von Watford gekauft. Sein Verein Sudbury Court erhielt dafür einen neuen Satz Trikots. Von 1939 bis 1943 war der GC-Verteidiger Severino Minelli der Spieler mit den meisten Länderspielen weltweit. Seine 80 Einsätze egalisierte Ferenc Puskás erst 1956. Seit der Einführung des Europacups im Jahre 1955 spielten in den diversen Wettbewerben insgesamt 1041 verschiedene Vereine mit. Die meisten Europacup-Teilnehmer stellten bislang Frankreich und Rumänien mit je 35. Aus der Schweiz waren es 18, das sind weniger als aus Wales, Schottland oder Luxemburg. Der Journalist Claus Strunz hatte ab 2004 sechs Jahre lang eine Talkshow auf dem Sender N24 mit dem Titel «Was erlauben Strunz?». Vladimir Weiss (*1939) gewann 1964 beim Olympischen Fussballturnier mit der Tschechoslowakei Silber. Sein Sohn Vladimir Weiss (*1964) spielte 1990 für die CSSR an der WM und führte als Trainer die Slowakei an die WM 2010. Dort stellte er seinen Sohn Vladimir Weiss (*1989) in jedem der drei Spiele auf. Der englische Verein Thames Association FC spielte im Dezember 1930 gegen Luton vor 119 531 freien Sitzen im West-Ham-Stadion, das damals 120 000 Menschen fasste. Es gilt als das am schlechtesten besuchte Spiel im englischen Profifussball. Der Verein wurde nur 4 Jahre nach seiner Gründung wieder aufgelöst.
Vom 23-Mann-Kader der Côte d’Ivoire für den Afrika-Cup 2012 spielten 9 Spieler schon für den belgischen Verein KSK Beveren. Dort standen zwischen 2002 und 2006 immer mindestens 12 Ivorer unter Vertrag – darunter auch Yaya Touré und Gilles Yapi. Im Pokalfinale 2004 war Ex-Hopper Igors Stepanovs der einzige NichtIvorer in der Startelf. Glasgow und Istanbul sind die einzigen Städte, die drei Stadien haben, die über 50 000 Sitzplätze verfügen und für Fussball genutzt werden. Die lautesten Fans der Welt hat Galatasaray Istanbul. Am 18. März 2011 stellten sie mit gemessenen 131,76 dB einen neuen Rekord auf. Das entspricht in etwa der Lautstärke eines Formel-1-Rennens. Christian Karembeu, mit Frankreich Welt- und Europameister, war 1995 und 1998 «Ozeaniens Fussballer des Jahres». Er wurde in Neukaledonien geboren. Aleksandr Mostovoi, genannt «Der Zar», hatte nur zwei längere Auslandengagements, war aber beide Male der Inbegriff des Publikumslieblings. Bei Racing Strasbourg blieb er lediglich zwei Saisons, dennoch wurde er bei einer Umfrage im Jahre 2006 zum «Spieler des Jahrhunderts» gewählt. Bei Celta Vigo war er acht Jahre angestellt, nach seinem Abgang sammelten die Fans Geld, um zu seinen Ehren eine Statue zu errichten. Ein desaströses Jahr erlebte der SV St. GeorgHorn 5 in der Saison 1999/2000 in der Liga HU3, der 13. Liga Deutschlands. In 18 Spielen holte man nicht einen einzigen Punkt, schoss ganze 13 Tore und kassierte 231, was einen Schnitt von fast 13 Gegentoren pro Spiel ergab. Zu Saisonende bedeutete dies... Aufstieg! Aufgrund von Umstrukturierungen im Ligasystem «musste» St. Georg-Horn im nächsten Jahr in Liga 12 ran. Masashi Nakayama erzielte 1998 in der ersten japanischen Liga in vier aufeinanderfolgenden Spielen für Júbilo Iwata je einen Hattrick. Er hält auch den Weltrekord für den schnellsten Hattrick aller Zeiten: In der Qualifikation für die Asienmeisterschaft 2000 traf er gegen Brunei innerhalb von 3 Minuten und 15 Sekunden 3 Mal – in der 1., der 2., und der 3. Spielminute – und knackte damit den 62 Jahre alten Rekord des Engländers George Hall. Der EM-Halbfinal 1972 UdSSR - Ungarn (1:0) fand vor 1700 Zuschauer in Brüssel statt. Nicht ganz überraschend, wurde doch gleichzeitig (!) der andere Halbfinal zwischen Gastgeber Belgien und Deutschland ausgetragen. Das Stadion in Antwerpen war mit 55 600 ausverkauft.
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Das nächste Heft erscheint Im August 2012.
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