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#33
November / Dezember2012 2012 November / Dezember
luxus 9 771662 245009
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beim fcsg
Mutsch
Saibene
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Tag in Thun | Trainer in Rotation | k端nzli in america
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easportsfootball.ch
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ZWÖLF
macht passend W
ie man der Tabelle auf Seite 7 entnehmen kann, sind die Luzerner die Könige in Sachen Doppelbelastung. Stellte ZWÖLF ein Super-League-Team – was zweifelsohne dereinst der Fall sein wird –, machte es den Zentralschweizern diesen Titel auf jeden Fall streitig. Keine zwei Wochen nach dem Erscheinen des Sonderhefts «Fankultur», angesichts dessen Üppigkeit selbst Thomas Mann und Leo Tolstoi vor Neid erblasst wären, legen wir mit dieser Ausgabe gleich eine Schippe nach. Dafür mussten wir zwar mehr Nachtschichten einlegen als Sven Väth, und der Kaffeepreis hat auf dem internationalen Markt aufgrund der gesteigerten Nachfrage Rekordhöhen erreicht, aber es hat sich gelohnt. In der Arbeit an dieser Ausgabe haben wir nämlich gelernt, dass im Fussball wahnsinnig viele Dinge zusammenspielen, die auf den ersten Blick nicht so recht zusammenpassen wollen. Luxemburg und fussballerischer Erfolg etwa. Die St. Galler Jeff Saibene und Mario Mutsch erzählten uns dazu die Geschichten ihrer Aufstiege vom Abwart-Kandidaten bzw. Automechaniker zur Super-League-Sensation. Bei der Konkurrenz aus Thun will man derweil freilich auch immer gewinnen, aber dennoch überhaupt nicht unbedingt vorne mitspielen. Diesen Widerspruch erklärte uns Sportchef Andres Gerber bei einem Besuch im Berner Oberland, wo man nicht nur Abwerbeversuche anderer Vereine fürchten muss, sondern auch die Nachbarn nicht beim Rasenmähen am Sonntagnachmittag stören darf. Noch in den späten Siebzigern konnte man auch die USA kaum mit Fussball in Verbindung bringen. Dennoch versuchte sich die FCZ-Legende Fritz Künzli für einige Monate ausgerechnet dort. Er kehrte aber mit schönen Erinnerungen an hamsternde Teamkollegen beim Mannschaftsessen und taktikfreie Matches zurück. Etwas mehr verspricht sich wohl der Schweizer Torwart Jayson Leutwiler, der dank der absurden Idee eines Middlesbrough-Scouts, ein Spiel der 1. Liga zu besuchen, den Sprung nach England geschafft hat. Dort liess sich übrigens vor über 40 Jahren ein Mittelfeldspieler dafür bezahlen, mit weissen Fussballschuhen einzulaufen. Damit nahm eine Geschichte ihren Beginn, deren (vorläufiges) Ende wir alle kennen. Nicht einmal an der Street Parade – wobei wir wieder bei Sven Väth wären – findet man so viel farbiges Schuhwerk wie bei einem Profifussballspiel. Anscheinend haben wir aber die Eitelkeit der Herren Fussballer überschätzt: Nicht sie selber suchen sich diese Stabilo-Boss-Treter aus, nein, die Ausrüster wollen offenbar die Farbe Schwarz ganz zum Verschwinden bringen. Dass dies einem etablierten Schweizer Trainer hingegen kaum passieren kann, zeigt die Tatsache, dass für die wenigen Stellen hierzulande stets die ewig gleichen Personen rezykliert werden. «Heavy Rotation» wie beim Lokalradio. ZWÖLF machte sich auf die Suche nach dem Grund dafür. Und wollte auch gleich wissen, weshalb «Köbi Kuhns Zwilling» Rosario Martinelli eigentlich trotz Angeboten von Spitzenklubs aus seiner italienischen Heimat so lange dem FCZ treu blieb. Und wieso ein Nigerianer die ganze Fussballwelt verklagt und dabei als Zeugen Morgan Freeman, Muhammed Ali und Steven Spielberg aufrufen will. Wir sind nun mal neugierig. Wenn etwas so nicht zu passen scheint, werden wir hellhörig. Ihr hoffentlich ebenso. Wir wünschen Euch viel Vergnügen mit unserer 33. Ausgabe. Euer ZWÖLF-Team Cover: Claudio Baeggli
14
S.
6
Planet Constantin: Der Walliser Sonnenkönig im O-Ton
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Wie gesagt, äh…: Fussballer reden
7
Das Billett: Jugoslawien im Joggeli
7
Die Tabelle: Doppelbelastung
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Die Liste: Die grössten Schweizer Europacup-Flops
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Auswärtsfahrt: Derdiyok geht in Berlin unter
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Das Fundstück: Servette-Fotoalbum
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Turnier-Irrsinn: Prügeleien in Asien
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Der Cartoon: Forte und Saibene beim Plausch
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Beni Thurnheer: Immer auf die falschen gesetzt
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Barbesuch: Der Clásico in Zürich
16 Thuner Ängste Sportchef Gerber will, dass alles so bleibt, wie es ist 22 Atmosphärische Störungen FCB- und Nati-Fans mögen sich nicht besonders 24 Heavy Rotation Das Trainerkarussell in der Schweiz ist eine beinahe geschlossene Runde 30 Farbenfrohe Sache ZWÖLF sieht in Sachen Fussballschuhe schwarz 34 Alter Fritz Fritz Künzli auf Stippvisite in Amerika 38 Luxemburger Festtage Jeff Saibene und Landsmann Mario Mutsch hatten es noch nie so schön wie in St. Gallen 46 Löchriger Mantel Auch multifunktionale Stadien gelten nicht mehr als Allheilmittel 50
Unser Mann in London: Peter Balzli über geschäftstüchtige Damen der Nacht
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Was wäre, wenn...: ...Stéphane Henchoz gegen Slowenien nicht gestolpert wäre
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Schweizerreise: Bei den Kickers aus Luzern sind die guten Zeiten längst vorbei
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Auslandschweizer: Torwart Leutwiler steht in Middlesbrough in den Startlöchern
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Nigeria-Connection: Ein Mann gegen den Rest der Fussballwelt – und alle anderen
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NLA-Legende: Der FCZler Rosario Martinelli durfte nicht in seine Heimat zurück
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Das schwarze Brett: Neuer Lesestoff
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Nachruf: Die kurze Zeit in Chur von Ex-Weltstar Helmut Haller
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Smalltalk und Impressum
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Planet Constantin «Ich habe die Elefanten-Prüfung.» Dickhäuter CC trötete im Blick aus, was er während seines Afrika-Trips bei Saisonstart so machte.
«Ich habe ein miserables Gedächtnis…» Offenbar nicht nur bei Trainernamen. CCs Antwort auf die Frage, ob er denn allein in Afrika gewesen sei.
«Alle Schiris sind FCB-Fans.» Blick befragte fast alle Trainer der Super League zur Schiri-Situation. Doch wereliwer lieferte in diesem Artikel das Zitat, das zum Titel wurde?
«Ich bin bereit, 100 000 Franken zu zahlen, um die Qualität der Schiedsrichter zu verbessern.» 100 000 Franken für einen Schiri? Und pro Spiel oder pro Halbzeit? Oder verstehen wir da was falsch. Constantin in «Le Matin» zu seinem Massnahmenplan, wie er die Schiedsrichter fördern würde.
«Wenn man sieht, was in gewissen Ländern durch die Wirtschaftskrise passiert, könnte ich mir vorstellen, dass die Schweiz bald einmal Saisonnier-Schiris aufnimmt, um die Arbeit zu verrichten, die kein Schweizer mehr machen will.» Wir sehen schon die Blick-Schlagzeile: «Saisonnier-Schiris: Alles Schwarz-Arbeiter!» CCs zweite Idee zur Behebung der Schiri-Misere.
«Ich weiss nur, dass er sich nach meiner Nummer erkundigt hat. Und bekanntlich ist es nicht schwierig, diese herauszufinden» Vom grossen zum kleinen Diktator. CC auf die Frage, ob sich Silvio Berlusconi gemeldet habe, um ein Angebot für Gennaro Gattuso zu machen.
«2340» Das ist nicht seine Telefonnummer. Sondern lediglich die Anzahl SMS, die nach eigenen Angaben auf CCs Handy erschienen, als er aus dem afrikanischen Busch zurück kam.
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wie gesagt, äh . . . Mit unzähligen Anfragen wurde ZWÖLF in der Vergangenheit schon konfrontiert. Kein Wunder, sind wir doch das fussballerische Kompetenzzentrum der Schweiz schlechthin. Nur mit der Anfrage von Radio 24 waren wir schlicht überfordert: Rechtzeitig zum Start der WM-Qualifikationskampagne der Schweizer Nati verlangte das Zürcher Lokalradio von uns für die muntere Morgensendung, deren Hörern kurz und knapp das Fussballspiel zu erläutern. «Also wann Foul gepfiffen wird, wann es Abstoss gibt, was eine Rote Karte bedeutet etc.» Das war dann doch selbst für uns zu knifflig.
Nicht so knifflig war hingegen die Frage an Stephan Lichtsteiner, was an der Quali-Kampagne der Schweizer Nati anders sei als vor zwei Jahren. Überraschend dafür die Antwort: «Wir sind als Mannschaft kleiner geworden.» Ganz gross dafür das Selbstvertrauen der Basel-Fans: Wer nicht bei uns spielt, spielt beim Gegner und gehört deshalb ausgepfiffen (aus dem FCB-Forum).
Einen Pfiff gibts auch für die Redaktion von «Tagi Online»: «Der FCZ gewann in Echallens mit 6:0. Gavranovic und Drmic durften sich als vierfacher Torschütze feiern lassen.» Vielleicht waren sie einfach übermotiviert, womit wir nach Amerika wechseln. Die US-Nationalmannschaft mag in einigen Bereichen noch Defizite aufweisen, die Motivation gehört hingegen ganz bestimmt nicht dazu. Dennoch befand der Verband, Jürgen Klinsmann sei der richtige Mann für den Job des Nationaltrainers, obwohl dessen Stärken einzig darin liegen, eine müde Truppe richtig heisszumachen, während er in taktischer Hinsicht noch einige Luft nach oben habe. Oder wie Philipp Lahm es sagte: «Unter Klinsmann mussten wir Spieler uns selbstständig zusammentun, um vor dem Spiel zu besprechen, wie wir überhaupt spielen wollten.» Bei den US-Boys kann sich Klinsmann nun richtig austoben: Vor dem WM-Qualispiel gegen Jamaika bestellte er den Motivationscoach Donnie Moore, der ihnen vorzeigte, wie man Telefonbücher zerreisst und Bratpfannen verbiegt. Nach der skurrilen Show meinte Maurice Edu dennoch artig: «Jeder hat ein bisschen was mitgenommen.» Zum Beispiel das Wissen, dass man beim nächsten Mal die Zeit besser für fussballerische Dinge nutzen würde. Denn die USA verloren mit 1:2, es war die erste Niederlage überhaupt gegen die «Reggae Boyz». Apropos Musik. In Züri West kriegte sich die Quartierzeitung nach der Cup-Auslosung kaum mehr ein, denn ihr FC Altstetten zog das ganz grosse Los: «Auf dem Utogrund läuft der FC St.Gallen ein, die beste Mannschaft der Schweiz.» Gegen diese war dann leider selbst das magische Altstetten machtlos, wie das Blatt nach dem 0:7 nüchtern feststellte: «St.Galler entzaubern Altstetten.»
das billeTt Etwas entzaubert scheint auch der FC Luzern zu sein. Das kann aber wieder kommen. «Diese Investition lohnt sich für Otto’s», findet jedenfalls Otto’s-CEO Mark Ineichen zur Verlängerung des Sponsorengagements seines Unternehmens beim FCL. Wir erinnern uns dunkel, dass Otto’s früher ganz offiziell Ottos Schadenposten hiess, und finden das im Zusammenhang mit einer kriselnden Mannschaft... na ja. Und noch einmal Luzern: «Ich hätte den Spielern Buchnüssli, Senf und Pfeffer in den Allerwertesten gesteckt, damit sie gelaufen wären.» Wir überlegen uns gerade, ob Bernhard Alpstaeg, wichtigster Geldgeber des FC Luzern, das regelmässig macht und deshalb die Wirkung abschätzen kann. Alpstaeg weiss auch, wie sich nebst den Spielern auch die sportliche Führungsriege motivieren lässt. Von Trainer Komornicki hat er den Eindruck, er habe «keine Ahnung von Fussball», zur Arbeit von Sportchef Heinz Hermann äussert er nicht minder pointiert: «Im Augenblick ist es wohl besser, ohne Sportchef zu arbeiten.» Dies notabene nur wenige Monate nach der Verpflichtung des Schweizer Rekordinternationalen.
Negatives Denken wird auch in Basel gepflegt. Da hatte doch Philippe Degen zwei Tore zum 4:1Sieg über Sion beigesteuert, und trotzdem erklärte Heiko Vogel den Medien danach anschaulich den Unterschied zwischen Optimist und Pessimist: «Überall las oder hörte man von einer Doublette von Degen – ich sehe es als missratenen Hattrick.» Eher optimistisch ist YB-CEO Ilja Kaenzig, dass GC Leihgabe-Goalie Roman Bürki gar nicht übernehmen kann. «GC will ihn übernehmen. Aber mit Hosenknöpfen zahlen geht nicht.»
Geld hin oder her. Lucien Favre zum Schluss über seine Übernamen: «Meistertrainer, Systemtrainer, harter Hund, Feuerwehrmann – ich bin alles schon gewesen, aber das sind nur Klischees. Ein Trainer muss gut sein, Punkt.» Ob Trapattoni noch immer ein guter Trainer ist, daran scheiden sich die Geister. Die irische Presse ist sich einig: «Keine andere Nation würde Traps Quatsch dulden», schrieb der «Evening Herald»noch vor der 1:6-Heimpleite gegen Deutschland. Sie ist für viele die Quittung dafür, dass der einstige «Maestro» meist in der Heimat weilt statt seine Spieler zu beobachten. Die Geister, die er durch seine ständige Abwesenheit rief, haben ihn nun in den Augen der Presse in Form der Bundeself ereilt: «Eine Horror-Show! Die Gespenster, Geister und langbeinigen Monster der Deutschen bescherten den Fans die fürchterlichsten 90 Minuten, an die man sich in Irland erinnern kann. Sie waren wie Übermenschen», lautete das ernüchternde Fazit der «Irish Times». Und das, obwohl Horst Hrubesch längst zurückgetreten ist.
Text: Pascal Claude
Schweiz – Jugoslawien 1:1 Stadion St. Jakob, Basel 6. Juni 1998 Es war das letzte Nati-Spiel im alten Joggeli und das drittletzte gegen ein Land, das sich Jugoslawien nennt. Für dieses Jugoslawien war es ein letzter Test vor der WM 1998 in Frankreich, vor der letzten WM mit einem Teilnehmer namens Jugoslawien. Das Spiel an sich war nicht das Letzte, soweit die Erinnerung eine Einschätzung zulässt. So erzielte ein blonder Jüngling mit Namen Patrick Müller nach seiner Einwechslung ein schönes Tor für die Schweiz, aus einiger Distanz, was die Leute freute, weil sie merkten, dass da einer nachkommt, den man brauchen kann. Die vielen serbischen unter den 24'000 Zuschauern sangen während 90 Minuten Lieder zum Kosovo. Unser Sitznachbar unter dem grossen, schützenden Tribünendach übersetzte sie jeweils für uns, nicht ohne Stolz.
Die Tabelle Rang
1. 2.
Klub
FC Luzern FC Basel
ZWÖLF präsentiert den Tabellenstand der Super League. Spiele
Punkte
Schnitt
2 152
6 300
3.00 1.97
3.
FC Zürich
59
96
1.63
4.
Young Boys
53
85
1.60
5.
GCZ
27
39
1.44
6.
FC Thun
24
34
1.42
FC Sion
12
17
1.42
8. – –
Servette FC Lausanne* FC St.Gallen**
5 13 –
4 29 –
0.80 2.23 –
* nur Spiele in der Challenge League / ** keine Europacup-Spiele
Diesmal: Die Könige der Doppelbelastung. In der EuropacupZeit muss sie oft als Ausrede herhalten, die Doppelbelastung. Unsere Tabelle seit 2003 zeigt, welche Mannschaften sich in der Meisterschaft am besten schlagen, während sie gleichzeitig noch europäisch vertreten sind.
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Die Liste
EUFLOPA-CUP Die Sternstunden kennen wir alle. Hier die schlimmsten Fehltritte der Schweizer in Europa.
DIE MYPA-BLAMAGE Dabei war alles so schön angerichtet. Erstmals seit 10 Jahren durfte YB wieder europäisch spielen! Nichts konnte die Freude trüben. Nicht das Aus im Cup gegen Malcantone Agno, nicht das 2:3 auswärts im Hinspiel der UEFA-CupQualifikation 2003 gegen die finnischen Amateure von MyPa. Die «Berner Zeitung» bezeichnete es sogar als «eigentliches Wunschresultat», weil so das Publikumsinteresse beim Heimspiel grösser sei. Die Bühne war das Joggeli – das Stade de Suisse war noch nicht fertig –, wo
die Zukunft simuliert werden sollte. Für 200 000 Franken offerierte YB den scharenweise angereisten VIPs «geräucherte
8
Forellen, Kalbskarree, Eglifilets und junge Kartoffeln mit Thymian», sogar die YB-Wurst wurde nach Basel transferiert. Nur das Spiel wollte nicht so recht zum Event passen. Zwei Sermeter-Tore reichten nicht zum Weiterkommen, das 2:2 fiel 5 Minuten vor Schluss. Eine «kolossale Blamage», meinte die BZ. Und hatte damit nicht unrecht.
KLATSCHE IN PORTO Mit einem 1:0 über Biel holte sich La Chaux-de-Fonds 1961 zum sechsten und letzten Mal den Schweizer Cup und qualifizierte sich zum ersten Mal für den Europacup. Der Gegner in
der ersten Runde war ein machbares Los, gehörte doch Leixões wahrlich nicht zu Portugals TopAdressen. Im Hinspiel auf der Charrière machte das Team um die Stars Kiki Antenen, Roberto Frigerio, Willy Kernen und Léo Eichmann denn auch alles klar und schickte die Portugiesen mit einem 6:2 nach Hause. Was konnte also im Rückspiel noch geschehen? Leixões machte
zwar Druck ohne Ende, zur Halbzeit hielt sich der Schaden indes mit 0:2 noch in Grenzen. Doch nach dem Wechsel brachen die Neuenburger völlig ein, kassierten noch drei weitere Gegentore und stellten damit einen traurigen Rekord auf: Nie hat seither eine Mannschaft einen derart komfortablen Vorsprung preisgegeben.
ZERLEGT IN DER DDR Fulminant war auch der erste Auftritt des FC Sion auf der europäischen Bühne. Mit dem Cupsieg 1965 begann eine wunderbare Geschichte, die auch gleich im Cup der Cupsieger eine Fortsetzung fand. In der ersten Runde wurde Galatasaray gleich 5:1 besiegt, im Achtelfinale wartete der 1. FC Magdeburg, der sich regelmässig im Mittelfeld der DDROberliga klassierte. Zuversichtlich reisten die Walliser mit dem Zug in den deutschen Osten und kassierten dort die höchste Klatsche aller Zeiten eines Schweizer Vereins im Europacup: 1:8 vor 8700 Zuschauern.
SECHS IN POLEN Ohne Bobadilla sei GC nur eine durchschnittliche Truppe, liessen die Verantwortlichen von Lech Poznan vor dem UEFACup-Qualispiel 2008 wissen. Sie
hatten sich getäuscht, wie die 90 Minuten im Mijeski-Stadion in Poznan zeigten. Denn GC war selbst vom Durchschnitt weit entfernt. Die Defensive mit Voser, Vallori, Colina, Daprelà war inklusive Goalie Jakupovic heillos überfordert, während die 16 000 die Dutzenden von Chancen ihres Teams singend mit «Zürich Auf Wiedersehen» begleiteten. Trotz der 0:6-Schlappe – mit zwei Toren von Lewandowski – entschuldigte Trainer Latour seine Spieler: «Schauen Sie doch, woher die kommen: Entweder sind sie noch sehr jung, oder sie kommen aus tieferen Ligen.» Die Demütigung fand zwei Wochen später eine Fortsetzung: Wegen des Leichtathletik-Meetings musste GC in die AFG-Arena nach St. Gallen ausweichen und sich beim 0:0 ununterbrochen die hämischen Gesänge der 1500 dennoch angereisten Lech-Fans anhören. Ausser dem Gästeblock blieb das Stadion wenig überraschend leer.
HARDTURM-SUPPE Als «machbar» stufte der «Tages-Anzeiger» 2005 die UEFA-Cup-Gruppe von GC mit Middlesbrough, Alkmaar, Liteks Lowetsch und Dnjepropetrowsk ein. Nach zwei Spieltagen und zwei Niederlagen drohte das Europacup-Abenteuer einmal
Rubrik
mehr früh zu enden. Glücklicherweise waren die Ukrainer ebenso schlecht gestartet und steckten zudem in der Meisterschaft im Abstiegskampf, weshalb sie ihre Stammspieler schonten und das B-Team im Hardturm auflaufen liessen. Auch GC musste auf einen Leistungsträger verzichten, denn Sturmhoffnung Eduardo hatte sich am Tag zuvor einen Muskelfaserriss zugezogen – beim Treppensteigen. Angesichts des garstigen Novemberwetters hatte Latour vorgeschlagen, die Partie über Mittag auszutragen und jedem Zuschauer noch eine Suppe zu geben. Ein mittelgrosser Suppentopf hätte bereits gereicht, um die wenigen Hartgesottenen und die Handvoll ukrainischer Exilanten im Stadion zu verköstigen. «Sind wir satt?», hatte Latour schon nach der Niederlage in Bulgarien auf die Tafel geschrieben. Alleine damit konnte die erschreckende Leistung der Hoppers gegen das mässig motivierte Dnipro nicht erklärt werden. Erst als die Osteuropäer nach dem 3:0 ganz aufhörten zu spielen, kam das Heimteam noch auf ein Tor heran. Die Kampagne beendete GC dann zwei Wochen später – mit der vierten Niederlage im vierten Spiel.
ESPEN-DESASTER 128 Jahre alt war der FCSG im Jahre 2007 schon, der Gegner im UI-Cup, Dacia Chisinau aus Moldawien, existierte gerade
mal 7 Jahre. Ein «ungenügender Auftritt» («St. Galler Tagblatt») reichte immerhin für
einen 1:0-Sieg in der Fremde, dessen einsames Highlight ein betrunkener moldawischer Fan war, der ungehindert den ganzen Platz überqueren konnte. Das Heimspiel sollte für die Ostschweizer nur Pflichterfüllung sein. Nicht einmal 2000 Zuschauer wollten die Partie sehen, die zu einem Desaster wurde. Das Mittelfeld war «völlig harmlos», das Abwehrverhalten «katastrophal» und die Chancenauswertung «kläglich». Logische Folge: Das Gegentor in der 56. Minute. Auch im Penaltyschiessen brachten die St. Galler in gutschweizerischer Manier keinen einzigen Ball im Tor unter. So durfte Chisinau in der nächsten Runde gegen den HSV die Kassen füllen, beim FCSG musste Fringer zwei Monate später gehen, doch auch Balakow konnte den Fall in die Challenge League nicht verhindern.
Hau-Ungesund Für die Norweger des SK Haugar Haugesund war es bereits ein riesiger Erfolg, europäisch zu spielen – zum ersten und einzigen Mal in der Vereinsgeschichte. Und dies trotz verlorenem Cupfinal, denn Gegner Viking kam 1980 auch zu Meisterehren. Für die ambitionierten Sittener sollte dies kein Stolperstein darstellen, und man suchte sich schon mal die Lieblingsgegner für die nächste Runde aus. Im Tourbillon kamen Brigger & Co. indes nicht über ein 1:1 hinaus, und das Rückspiel im hohen Norden versprach einige Schwierigkeiten: Beim Anblick des Platzes wurde den Wallisern schnell klar, dass darauf kein gepflegtes Spiel möglich sein würde. Dank unzähligen Helfern kriegten es die Norweger irgendwie hin, dass der Schiedsrichter das Spielfeld für
akzeptabel befand. Mit dem Schlamm kam das Heimteam dann deutlich besser zurecht und feierte mit dem 2:0 einen historischen Sieg. Wie peinlich das Aus der Sittener war, zeigte dann die nächste Runde: Haugesund wurde von Newport County aus Wales aus der 4. englischen Division mit 6:0 zerlegt.
SCHUHSPENDER GC Bei GC jubelte man 1995 nach der erstmaligen Qualifikation für die Champions League über mindestens 6 Millionen Franken Einnahmen, und Trainer Christian Gross wusste: «Die Erwartungshaltung ist
gross, die Fans sind mit der Qualifikation allein noch nicht zufrieden.» Manager Erich Vogel sprach derweil davon, dass man nun den ersten Schritt vollzogen habe, um die Hoppers zu einem europäischen Grossklub zu machen. Bei so viel Selbstbewusstsein war es gerade recht, dass als erster Gast in der Königsklasse die bescheidenen Ungarn von Ferencváros in den Hardturm kamen, die auch noch verletzungshalber auf fünf Stammspieler verzichten mussten. Das Tiefstapeln von Trainer Novák («Wir haben nicht einmal Geld für Fussballschuhe!») zahlte sich aus, denn GC gab sich der Nonchalance hin. Zahlreiche Chancen wurden ausgelassen, Gren leistete sich innerhalb von 3 Minuten zwei Gelbe Karten (Roy Hodgson: «Der Ref muss verhext gewesen sein!»), Murat Yakin verschoss einen Elfer, dafür trafen die Ungarn in
der letzten halben Stunde drei Mal. Für die 900 000 Franken Siegesprämie gabs dann doch einige Fussballschuhe.
FCL UND DIE WOLLMÜTZE Der Reiseplan stand schon: Am Donnerstag wollte man nach Sedan reisen, um dort zum Hinspiel der 2. Runde des UICups 2000 anzutreten. Dummerweise musste Luzern zuvor noch kurz die isländischen Freizeitfussballer von Leiftur Ólafsfjörður (850 Einwohner) aus dem Weg räumen. Das 2:2 auf der Insel – verfolgt von 250 Zuschauern, die des starken Winds wegen mehrheitlich im Auto blieben – war zwar peinlich, aber Sorgen machte sich beim FCL keiner. Spielertrainer der Isländer war damals JensMartin Knudsen, der bekannte Goalie von den Färoern mit der Wollmütze. Und der bekam im Stadion Allmend denn auch einiges zu tun. Vier Mal musste er hinter sich greifen, weil
aber seine Vorderleute den Zentralschweizern ebenso viele einschenkten – nie hatte ein isländisches Team mehr Tore im Europacup erzielt –, musste der FCL tief beschämt die Frankreich-Reise kurzerhand abblasen. Andy Egli nahm das höchst blamable Aus auf seine Kappe: «Ich habe Leiftur wie schon in Island nicht ernst genommen und so Coachingfehler begangen, die letztlich zum 4:4 führten.» Die Spieler traf freilich keinerlei Schuld.
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Die Auswärtsfahrt
Berliner AK TSG 1899 Hoffenheim
4 0
DFB-Pokal, 1. Runde, 18.8.2012 Poststadion Berlin, 1468 Zuschauer Text: Corinna Morell Bilder: Ian Stenhouse
Derdiyok und die Halal-Wurst
Im DFB-Pokal spielt Berlin um seinen Fussball-Ruf, Derdiyok für seinen neuen Arbeitgeber und Babbel gegen seine eigene Vergangenheit. Berlin kann natürlich viel mehr als nur kieziges Eckkneipentum, Hipster-Metropolenromantik und internationales Grossstadtflair. Weder die Union noch Hertha sind erstklassig,und so sorgt ausgerechnet der Berliner AK für Grossstadtflair. Und das mit einer Haltung, die ohne altdeutsche Fuppes-Tümelei auskommt und Viertliganiveau ziemlich lässig rüberbringt. Auf Tribüne und Stehplätzen finden sich Secondos und Deutsche, alte Vereins-Babas, junge Wilde, Fussball-Mamas, Studenten, schicke Mädchen. Zusammengehalten wird das gemischte Publikum vom Selbstbewusstsein des Underdogs, auf den Fanshirts prangt das RUN-DMC-Logo, nur dass hier «RUN BAK» zu lesen ist. Die Berliner Tragödie zu retten, wird allerdings schwierig, denn der BAK spielt in der Regionalliga Nordost, und Babbel hat die AMannschaft aufgestellt. BAK hat Halal-Wurst am Grillstand. Die TSG hat Wiese, Delpierre und Derdiyok. Diesen Voraussetzungen trotzt die rekordverdächtig volle Heimtribüne auf Deutsch und Türkisch, während der überschaubare Gästeblock vermutlich auf Schwäbisch oder Badisch trötet. Der Präsident des BAK, ein Berliner Geschäftsmann türkischer Herkunft, blickt unruhig aufs Spielfeld. Er sieht, wie bereits in der 3. Minute Metin Cakmak den Ball elegant über Tim Wieses akkuraten Komantschen-Scheitel hebt. Noch traut der Präsident dem Frieden aber nicht so recht. Nach 30 Minuten fällt das 2:0, und der Präsident wirft endlich erleichtert die Hände in die Luft. Hinter dem enttäuschten Gästeblock sieht man
die Flugzeuge in Tegel in den Himmel steigen. Im Rücken der Heimtribüne liegt der Hauptbahnhof. Ob Babbel gerade auch an die vielfältigen Heimreisemöglichkeiten denkt? In der 38. Minute hüpft Derdiyok immerhin beherzt vor das leere Tor, trifft magischerweise nicht und kommt dekorativ im Berliner Tor zu liegen. Wenig später schaut Tim Wiese zum dritten Mal hinter sich, als ein Schuss ganz langsam, ganz ungezwungen, ganz dramatisch ins rechte Eck des Tores rollt. Die Heimtribüne ist der Ohnmacht nahe. Zwei Polizisten stellen sich ans Geländer, um das Wunder von Nahem zu sehen. «Ey, setzt euch hin! Wirsehnnix!», schnauzen die Fans. Die beiden Freunde und Helfer trollen sich beschämt, Entschuldigung murmelnd. Ein junger Mann fragt uns, ob wir sein Nokia-Handy gesehen haben, das er verloren hat. Nach der Halbzeit ist das Bier ausverkauft. Die 1200 Berliner Fans röcheln im Freudenrausch minutenlang «Bee Ah Kaa». Vor der Weltkarriere könnte man noch ein wenig am Schlachtruf-Repertoire feilen. Das letzte Tor der Partie bereitet Wiese mit einem misslungenen Abstoss gleich selber vor. 4:0, Zeit für die ganz grosse Phrasenkiste: Im Poststadion geht dieselbe ab, denn der BAK schickt Hoffen heim. Mit der Offensive klappts bei Hoffenheim nur im Gästeblock, der nach ein bisschen Prügelei von der Polizei umstellt wird. Vielleicht sollten die Gäste auch mal mosern, dass sie nichts sehen können. Der Schiri pfeift ab, Derdiyok gleitet traurig vom Platz. Wiese hat die Haare schön. Babbel kann nach Hause fahrn. Oder fliegen. Ist ja alles in der Nähe. Der BAK ist selig vor Freude, irgendwo im Jubel höre ich ein Handy die Nokia-Melodie klingeln. Run BAK! Voetbal Halal!
(bwin inserat)
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turniersinn
Das Fundstück
Heute: Asien
Philippinischer Punch 1913 kam ein gewisser E. S. Brown mit der Idee auf, in Manila Fernostspiele analog den Olympischen Spielen auszutragen. Auch ein Fussballturnier stand auf dem Programm, das die Gastgeber gleich gewannen. Dem Triumph haftete indes der Makel an, dass das Siegerteam entgegen den Regeln aus Briten, Spaniern und Amerikanern bestand. Bei der nächsten Austragung zwei Jahre später wurde dies unterbunden, mit dem Resultat, dass die Philippinen gegenüber China den Kürzeren zogen. 1917 sah es wiederum nicht gut aus: Zwar fegte man dank Barcelona-Legende Paulino Alcántara Japan noch mit 15:2 vom Platz, China erwies sich aber erneut als zu stark. Als ein Chinese per Elfmeter auf 4:0 erhöhte, entlud sich der Frust, und der geschlagene Torhüter streckte den Schützen per Faustschlag nieder. Daraus entwickelte sich eine muntere Prügelei, nach der die Philippinen keine Lust mehr auf Fussball hatten. Auch bei den nächsten vier Austragungen des Turniers blieb ihnen stets nur die Silbermedaille. Bis 1927 hatte sich somit wieder einiger Ärger aufgestaut. Und diesmal gab es schon in der 2. Minute einen Elfmeter für China, woraufhin die Philippinen erst mal für 10 Minuten aus Protest das Feld verliessen. Kaum ging das Spiel wieder los, wurde ein Chinese derart rüde umgetreten, dass dem Schiedsrichter nur der Platzverweis blieb. Dem zweiten Tor der Chinesen folgte dann erneut eine gepflegte Keilerei, die für die Philippinen so anstrengend gewesen sein muss, dass sie sich weigerten, die zweite Halbzeit zu spielen. Erst nach langer Überzeugungsarbeit durch den Referee erklärten sie sich bereit, wenigstens noch 30 Minuten zu spielen. Was die Philippinen so viele Jahre vergeblich versucht hatten, wäre Japan 1930 fast gelungen. Im entscheidenden Spiel gegen China stand es nach der regulären Spielzeit 3:3, leider weigerten sich die Japaner, die fällige Verlängerung anzutreten. So ging Gold schon wieder an China. Vier Jahre später, 1934, nahmen die Philippinen einen neuen Anlauf, endlich wieder einmal auf heimischem Boden. Zeitungen bezeichneten das Geschehen auf dem Rasen als «Schlachtfeld»: Vier Chinesen muss-
ten verletzt vom Platz getragen werden, von den Gastgebern brach sich einer den Arm und einer den Knöchel. Das Spiel endete einmal mehr mit einem Sieg von China. Es war leider für die Ärzte in Fernost die letzte Austragung dieses Turniers. Boykott-Festival Eigentlich war es erfreulich: Obwohl für Afrika und Asien zusammen nur gerade ein Startplatz bei der WM 1958 vorgesehen war, meldeten sich doch immerhin 11 Teams für die Qualifikation an – mehr als doppelt so viele wie vier Jahre zuvor. Doch die Kampagne wurde zu einem einzigen Debakel. Es fing schon damit an, dass die FIFA die Meldungen von Asienmeister Südkorea und Afrika-Vizemeister Äthiopien nicht akzeptierte und Taiwan sich vor der Vorausscheidung wieder zurückzog, weil man im Falle eines Sieges auf den Erzfeind China getroffen wäre. Und es wurde noch schlimmer: In den vier Gruppen wurden nur zwei Duelle tatsächlich ausgetragen. Hongkong wollte plötzlich doch nicht mehr mitmachen, und die Zyprer bekamen keine Reiseerlaubnis nach Ägypten. Und die Türkei – wegen der Verbannung in die AsienZone ohnehin schon sauer – wollte auf keinen Fall gegen Israel antreten, das während der Suezkrise den Zorn der islamischen Staaten auf sich gezogen hatte. In der zweiten Runde hätte es Israel mit Indonesien, dem Sudan und dem verfeindeten Ägypten gleich mit drei islamischen Ländern zu tun bekommen. Ägypten und der Sudan schlossen ein Duell auf dem Rasen kategorisch aus, Indonesien bestand vergeblich auf einem neutralen Austragungsort. Damit wäre Israel kampflos für die WM-Endrunde qualifiziert gewesen. Da aber kein Land ohne Qualifikationsspiel starten durfte, wurde aus den Gruppenzweiten der anderen Kontinente ein Gegner für ein Play-off ausgelost. Diese Ehre kam den Belgiern zuteil, die allerdings keine Lust verspürten, den «Lucky Loser» zu spielen. Ebenso wenig wie die danach angefragten Uruguayer. Im dritten Versuch klappte es dann endlich: Die Waliser waren weniger heikel und putzten die Israelis zweimal mit 2:0 weg, fuhren nach Schweden und schafften es bis ins Viertelfinale.
Heute: Servette-Fotoalben Text: Gregory Germond www.sportantiquariat.ch Liebe Freunde des raren Sportstücks Unglaubliches ist mir bei einem Ankauf in Genf in die Hände gefallen: drei private Fotoalben eines Servette-Spielers aus den Saisons 1960 bis 1962! Das waren aussergewöhnlich erfolgreiche Jahre für den SFC, darum sind die Leinenalben sehr spannend zum Durchblättern. Die eingeklebten Schwarzweiss- und Farbfotos zeigen vor allem Auslandreisen des SFC. Der geschichtsbewandte Servettien wird natürlich wissen, dass die Genfer in beiden Jahren Schweizer Meister wurden. Die legendäre Truppe wurde geführt vom französischen Trainer Jean Snella und bestand unter anderem aus Maffiolo, Kunz, Fatton, Barlie, Nemeth und dem kürzlich verstorbenen Péter Pászmándy. Die Alben beginnen jeweils mit einem von Hand gezeichneten Städtenamen und einer humoristischen Zeichnung, die zum Ausflug passt. Damals war eben eine Partie im Ausland auch immer ein Grund, sich touristisch zu betätigen. Ein Foto zeigt Szenen von der Reise an die Meistercup-Partie 1961 gegen Dukla Prag. Offenbar wurde auch in Pilsen haltgemacht, sieht man doch auf einem Foto einige Spieler (z.B. Robbiani) mit einem Humpen Bier vor dem Mannschaftsbus. Die Spieler alberten herum, auch Zigaretten wurden geraucht! Die Zeichnung ist denn auch bezeichnend: ein liegendes Männchen unter einem Bierfass mit offenem Mund und zwei vollen Humpen in der Hand. Der Abstecher in die Biermetropole konnte gefallen! Das andere hier abgebildete Foto des dritten Albums – 81 sind es insgesamt – zeigt den SFC anlässlich der Weihnachtsfeier 1961. Für die übliche clowneske Show wurde der Raum mit einer grossen Fahne geschmückt, im Hintergrund sieht man einen Wandspiegel mit der Aufschrift: «Joyeux Noël – Pas de cadeaux au deuxieme tour!» Übersetzt: «Keine Geschenke in der Rückrunde!» Das empfehlen wir auch dem heutigen Kader des SFC, will er in der Super League bleiben. Die Spieler von 1961 haben es wörtlich genommen und sind souverän Meister geworden – mit 10 Punkten Vorsprung. Solche Alben sind Unikate, ja eigentlich Stücke für ein Museum. Wer weiss, vielleicht gibts ja von Servette bis 2017 eines – zum 125-Jahr-Jubiläum!
beni thurnheer
Wieder nicht er … Schweizer Sportjournalisten gehören zu den kompetentesten weltweit, wenn es um den internationalen Fussball geht. Der Grund dazu ist kein besonders erfreulicher: Weil die eigene Nationalmannschaft und die heimischen Klubs sich nur unregelmässig für die Endphase eines grossen Wettbewerbes qualifizieren und dort dann auch rasch ausscheiden, richtet sich die Aufmerksamkeit dann halt früher (meistens) oder später (seltener) auf andere Länder und Vereine. Dem Schweizer Fernsehen geht es genauso, denn die eingekauften Rechte – zum Beispiel für die Champions League – müssen natürlich realisiert werden, mit oder ohne Schweizer Beteiligung. In der Gruppenphase wird an jedem Dienstag und Mittwoch ein Spiel live gezeigt, von den übrigen Begegnungen gibt es unmittelbar im Anschluss im Minimum die Tore zu sehen. Ich habe auf meinen zahlreichen Fussballreporter-Reisen durch ganz Europa stets nach einem ähnlich prompten Service gesucht und bin dabei erstaunlicherweise nirgends fündig geworden. Wäre das unseren Printmedien, welche jeden kleinsten Fehler unseres nationalen Senders genüsslich auszuweiden pflegen, nicht für einmal ein klitzekleines Lob wert? Schweizer Vereine sind zwar nur selten in der Königsklasse zu sehen, aber es gibt zum Glück noch einige einheimische Fussballer, die in ausländischen Diensten kicken und so doch noch für eine gewisse helvetische Präsenz sorgen. Doch seit vielen Jahren ist es wie verhext: Fällt die Wahl des Livespiels nicht zuletzt wegen dieses Schweizer Bezuges auf eine bestimmte Begegnung und reist der Reporter deshalb nach Deutschland, England, Italien oder gar in die Türkei, kann man fast schon wetten, dass der entsprechende Schweizer nicht in der Anfangsaufstellung stehen wird! Wie ein roter Faden zieht sich dieses Phänomen durch meine Kommentatorenkarriere. Und ich habe alles versucht! Vergeblich. Die Trainer lassen sich natürlich
nicht in die Karten schauen und sogar oft die Spieler selbst bis zuletzt im Ungewissen über einen eventuellen Einsatz. Raimondo Ponte, einst Stammspieler bei Nottingham Forest, erfuhr erst in der Garderobe eine Stunde vor dem Anpfiff, ob und auf welcher Position er spielen würde. Trainer Brian Clough notierte die elf Nummern (jede für eine bestimmte Aufgabe) und die elf Namen auf ein Stück Papier und hängte es an einen Kleiderhaken. Uns geht es nicht anders. So wollten wir viele Jahre nach Pontes Zeit einen anderen England-Legionär bei der Arbeit zeigen: Stéphane Henchoz bei Liverpool. Der wurde dann aber in der Champions League für das wichtige Meisterschaftsspiel drei Tage später geschont. Die Verletzung von Stéphane Chapuisat bei Dortmund wurde immerhin für einmal früh ruchbar, sodass wir die Livebegegnung noch tauschen konnten... und Chapuisat dann doch spielte! Patrick Müller in Lyon: im Abschlusstraining verletzt. Gavranovic auf Schalke: für den Europacup noch kein Thema. Er schoss dann ein Tor. Selbst die Insider-Pres-
Der Cartoon
se vor Ort war düpiert worden. Napoli mit Inler und Dzemaili: Wenigstens Inler lief auf, immerhin… Die Auswahl von Schweizer Spielern in der Champions League ist in dieser Saison trotz der Abwesenheit des FC Basel (und von Napoli mit nunmehr gleich drei Schweizer Natispielern) eine vielfache: Barnetta (Schalke), Djourou (Arsenal), Lichtsteiner (Juventus), Mehmedi (Dynamo), Shaqiri (Bayern). Nur: Werden sie auch spielen? Selbst dann, wenn SF live überträgt? Klar wählten wir diesmal zum Auftakt das Spiel Bayern - Valencia aus. Ein Spitzenspiel sowieso, garniert mit «unserem» Publikumsliebling Shaqiri. Ich fuhr also frohgemut an die Isar, doch es war wie immer. In der Startelf stand Shaqiri nicht, aber vielleicht würde er noch zu einem Teileinsatz kommen. Erste Einwechslung: nicht er. Zweite Einwechslung: wieder nicht er. Dritte und letzte Einwechslung: Jetzt bringt doch endlich unseren Schweizer! Denkste. Wie gesagt: Wir Schweizer Sportjournalisten sind die absoluten Spezialisten für den internationalen Fussball…
Von: Konrad Beck, Christian Wipfli www.konradbeck.ch
Bilder: Hannes Heinzer ********************************************
Fussball schaut man im Stadion. Für viele Zugewanderte ist dies bei ihren Lieblingsklubs aber oft nicht möglich. So wird der Barbesuch zum wöchentlichen Highlight. ZWÖLF besucht fortan an Spieltagen Lokale, in denen Fans ausländischer Mannschaften die Partien verfolgen.
Clube Deportivo Español Iberia, Zürich FC Barcelona – Real Madrid, 7.10.2012 ********************************************
Der «Clube Deportivo Español Iberia», im Volksmund kurzerhand der «Real-Klub», und die vor Kurzem geschlossene «Penya Barça Suïssa» liegen nur einen Steinwurf auseinander. Vor und nach einem «Clásico» wird der Zürcher Albisriederplatz jeweils zu «Pequeña España». Und doch liegen Welten zwischen den beiden Lokalen. Keiner hätte sich im Real-Trikot das wichtigste Spiel des Jahres bei der Konkurrenz angeschaut, im «Clube Deportivo» hingegen erblickt man hie und da BarçaInsignien auf Schals und Pullovern. Überhaupt geht es entspannter zu und her bei den Fans der Königlichen. Es leiden nur die älteren Herren, die unbeweglich auf ihren Stühlen die Partie verfolgen und lediglich bei vergebenen Chancen wild gestikulierend spanische Flüche gegen die unzähligen Neonlampen schleudern. Und es leiden die Kellner, die sich mit ihren Tellern mit Calamares oder «pulpo y papas» einen Weg durch das Gedränge bahnen müssen. Nach jeder erfolgten Lieferung pausieren sie kurz auf dem Balkon, nehmen zwei Züge an ihrer Zigarette und überlassen diese ihrem Schicksal. Die scheppernden Lautsprecher der Flachbildschirme kommen nicht gegen die aus Dutzenden Kehlen strömenden ratternden «R» an, die den «Clube» so für 90 Minuten in ein Stück Heimat verwandeln. Einige der Gäste werden selbst dabei per Telefon kurz in ihre (Berufs-)Realität zurückgeholt. Auf dem Balkon müssen sie Mitarbeitern oder Kunden in gebrochenem Deutsch erklären, welcher Schalter zu drücken ist und wie die Maschine wieder zum Laufen gebracht werde. Ohne dass sie dabei den Blick vom Fernseher nähmen, versteht sich. Selbst die Betreiber sind nicht vor technischen Pannen gefeit. In Halbzeit zwei verabschiedet sich einer der Bildschirme. Die Kellner legen daraufhin jeweils zwischen Zigarette und Pulpo noch einen Zwischenhalt beim Sicherungskasten ein, von dem sich bündelweise Kabel wild die Wände entlangschlängeln, vorbei an Wellen werfenden vergilbten Fotos von spanischen Exilmannschaften. Jeder Elektriker mit Berufsethos würde hier umgehend Hand anlegen. Das Spiel endet 2:2. Zweimal Messi, zweimal Ronaldo. Viermal Jubel. Das Lokal leert sich schnell. Nur ein paar jüngere Gäste bleiben und flachsen miteinander, die einen in kompletter Real-Montur, andere im Barça-Dress. Noch ein letztes San Miguel, dann verlassen sie die spanische Enklave wieder. Der Bus Nummer 72 fährt direkt gegenüber, er trifft auf die Minute pünktlich ein.
War auf dem Weg von der 1. Liga bis in die Champions League dabei: Materialwart Hansjörg «Tschöge» Bodmer.
Ruhe bitte! Bescheiden, aber selbstbewusst: Das ist der FC Thun, und das ist sein starker Mann. Aber was genau will Sportchef Andres Gerber eigentlich erreichen beim «ewigen Underdog»? Antwortensuche im Berner Oberland.
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FC Thun
Bernard Challandes, auch im Training impulsiv.
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or Jahren gab es eine Werbekampagne der Migros-Restaurants. «Wo Alex Frei auf Christian Gross trifft», hiess es da ungefähr. Dazu ein Foto zweier völlig Unbekannter mit berühmten Namensvettern. In Thun trifft man sie tatsächlich im wenig Glamour ausstrahlenden Selbstbedienungsrestaurant des orangen Riesen, die «richtigen» Marco Schneuwlys und Nelson Ferreiras. Denn nach dem Morgentraining verköstigt sich die Mannschaft des FC Thun meist gemeinsam im Shoppingcenter neben dem neuen Stadion. Für Aufsehen sorgt dies indes überhaupt nicht. Ohne aufzuschauen, stellen sich die übrigen Gäste in die Schlange zwischen den U17-Europameister von 2001 und den Champions-League-erfahrenen portugiesischen Flügel und freuen sich auf ihr Essen. Autogrammwünsche? Fotos? Fehlanzeige. «Höchstens ab und zu von Kindern», sagt Reto Blösch, Medienchef des FC Thun.
Draussen auf dem kahlen Platz zwischen dem Einkaufszentrum und der Arena sitzt auch Hansjörg «Tschöge» Bodmer, der Materialwart. Seit 17 Jahren ist er dem Verein treu, er hat den Aufstieg der Berner Oberländer vom mittelmässigen 1.-Ligisten zum Champions-League-Teilnehmer hautnah miterlebt. «Der Aufschwung kam mit Andy Egli», sagt er, der in dieser Zeit noch als Masseur amtete und jeweils in der Mittagspause kurz die Überhosen abstreifte, um sich um die Spieler zu kümmern. Egli habe den Nachwuchs gefördert, die Professionalisierung vorangetrieben, eine Vision gehabt. Doch selbst er hätte sich wohl nicht träumen können, wie weit der Verein kommen würde. Damals, erzählt Tschöge später im Materialraum in den Katakomben der Arena, während er jedem Spieler sein Dress zusammenstellt, habe er jeweils für die Trainingslager freinehmen und teilweise sogar noch selber dafür bezahlen müssen. «Die
Champions League war der Lohn für all diese Entsagungen», schwärmt er von der Saison 2005/06. Von den Auftritten in Amsterdam und London. Obwohl er selber nach der Rückkehr am frühen Morgen nach dem Spiel gleich wieder zur Arbeit musste. Heute arbeitet er vollzeitlich für den Verein und wird dabei sogar noch von einer Assistentin unterstützt. Die Champions-League-Auftritte waren für den kleinen FC Thun indes nicht nur ein Segen. 18,5 Millionen Franken brutto generierte der Verein aus der Königsklasse, zudem wurden viele Teamstützen verkauft. Nur zweieinhalb Jahre später folgte der Fall in die Challenge League, und es drückten Schulden von einer Million Franken. Die grosse Frage lautete: Wo sind die Millionen? Sicher, es wurden Spieler zu unvernünftigen Preisen geholt, grosszügige Prämien ausgeschüttet, und an die ChampionsLeague-Spielorte flog eine ganze Armada
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von Funktionären und «Gönnern» auf Kosten des Klubs. Aber auch der Verwaltungsrat liess sich fürstlich entlöhnen. Jeder in Thun kennt die Gerüchte von den neu gebauten schmucken Häuschen am See und den neuen Bentleys vor einigen Garagen. Von den damaligen Helden ist nur Nelson Ferreira noch als Spieler in Thun aktiv. Auf dem Kunstrasen der Arena läuft er auf Anweisung von Bernard Challandes wieder und wieder die Linie entlang und schlägt Flanken in den Strafraum. Häufig unterbricht der impulsive Neuenburger die Übung, korrigiert äusserst lautstark und mit ausholenden Gesten. So kennt man ihn. Der leise Pfiff, den er zum Zeichen der Wiederaufnahme des Spiels mit der Pfeife erzeugt, mag dann aber so gar nicht zu ihm passen. «Er wird dem Schweizer Fussball fehlen, wenn er dereinst mal eine andere Aufgabe annehmen sollte», meint Medienchef Blösch. Challandes sei nicht nur auf dem Platz ein Antreiber; er schätze die Möglichkeit, hier eine Vision verfolgen zu können, ohne dass ihm viele Leute dreinredeten. Genau darum sei der FC Thun auch für junge Trainer wie Murat Yakin eine ideale Wirkungsstätte. Etwas zu viel Ruhe Das Training ist intensiv, der Spass kommt aber nicht zu kurz. Wer beim
Schusstraining versagt, muss den Teamkameraden zum Abschluss seinen Allerwertesten als Zielscheibe präsentieren. Niemand kriegt aber einen Treffer ab. «Spass zu haben, ist eminent wichtig», sagt Nelson Ferreira. «Man sieht, dass wir eine Truppe beisammenhaben, die Freude haben kann. Schliesslich ist Fussball nicht nur unser Beruf, sondern auch unser Hobby.» Die Scherze der Profis bleiben weitgehend unbeachtet. Trainingskiebitze sucht man auf der Tribüne vergeblich, auch Medienvertreter besuchen nur selten die Arena. So kann man zwar in Ruhe arbeiten, etwas mehr Interesse wünscht man sich beim FC Thun indessen vonseiten der Bevölkerung. 5500 Zuschauer im Schnitt sind der schlechteste Wert aller Super-League-Vereine. Kürzlich kamen selbst beim Kantonsderby gegen YB nur knapp 7000. Das ist enttäuschend, zumal der FC Thun hart darum kämpfen musste, überhaupt mehr als 6000 Leute einlassen zu dürfen. Anwohner hatten sich über den Lärm beklagt. Anwohner, die zwischen Hauptstrasse und Autobahn wohnen und dennoch nicht damit leben wollten, dass bei ausverkauftem Haus der Grenzwert von 50 Dezibel – das entspricht etwa dem Brummen eines Kühlschranks, Regen oder einer normalen Unterhaltung – um 2 Dezibel überschritten wird. «Peinlich», findet
Rückkehrer Nelson Ferreira in den Katakomben der Arena.
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das Reto Blösch. Der Medienchef weiss auch, dass man den Thunern mehr bieten muss als nur Super-League-Fussball. «Im Stadion gibt es etwa kein Restaurant. Wer also gerne den Matchbesuch mit etwas Socialising verbinden will und auch mal etwas anderes essen will als Wurst, der kommt bei uns nicht auf seine Kosten. Daran müssen wir arbeiten.» Auf der Geschäftsstelle des FC Thun herrscht reger Betrieb. Die Schreibtische stehen eng beieinander, die Einzelbüros sind nur mit einer Glaswand abgetrennt. Während sich Bernard Challandes von allen freundlich verabschiedet, verschwindet sein Sohn Jules gerade mit einem Stapel Dokumenten unter dem Arm in einem Nebenzimmer. Er macht hier ein Praktikum. Beim FC Thun geht es gar im wörtlichen Sinne familiär zu und her. Hier ist auch das Büro von Sportchef Andres Gerber, spartanisch eingerichtet – ein Pult, ein Laptop, zwei Stühle, ein Sideboard. Für viel mehr ist auch kein Platz. «Ändu» sehen viele als die wichtigste Figur im Verein. Sechs Jahre lang spielte er selber für die Berner Oberländer, danach war er Assistenztrainer, und heute ist er Sportchef. «Ich repräsentiere den FC Thun ziemlich gut», sagt der heute 39-Jährige. Zu Beginn seiner Aktivkarriere sei er furchtbar schüchtern gewesen, mit der Zeit habe er an Selbstvertrauen gewonnen, ohne aber je die ausgeprägte Bescheidenheit abzulegen. Für ein Auslandabenteuer hielt er sich für «zu wenig gut», trotz seinen vier Länderspielen. Bescheiden, aber doch selbstbewusst, das war schon Latours Credo. «Seine Seele schwirrt hier immer noch herum», erklärt Gerber und lässt seinen Blick ehrfürchtig durch den Raum schweifen. Bescheiden, aber doch selbstbewusst – das sei typisch Thun. Und zudem auch Gerbers Ideal. Nach diesen Grundsätzen kümmert er sich um die Aufgabe, trotz bescheidenen finanziellen Mitteln jedes Jahr eine schlagkräftige und selbstbewusste Truppe zusammenzustellen, welche die Ziele erfüllen kann. Doch welche Ziele eigentlich?
FC Thun Sportchef Andres Gerber fahndet nach Talenten.
ZWÖLF: Was ist möglich beim ewigen Underdog, Andres Gerber? Andres Gerber: Die ganze Bandbreite haben wir schon gezeigt, von Champions League bis Challenge League liegt alles drin. Wo wir heute stehen, das ist das Ideale für den FC Thun. Es klingt zwar seltsam, aber mehr wollen wir auch gar nicht unbedingt. Klar wollen wir immer gewinnen und uns nach vorne orientieren, aber wenn wir weiter nach oben kommen, hat das sofort viele negative Folgen. Sind wir zu gut, wollen alle unsere Spieler, der Rest will mehr Geld, und Sponsoren sowie Fans haben in der Folgesaison übersteigerte Erwartungen. Wenn Anatole Ngamukol für uns noch ein paar Tore schiesst, weckt das sofort Begehrlichkeiten anderer Vereine. Als Sportchef eines anderen Vereins hätte ich mich schon längst angerufen. Ich weiss also auch um die Vorteile, wenn es mal nicht optimal läuft, denn dann bleibt es ruhig. Im Vergleich mit anderen Vereinen braucht es hier auch mehr, bis Unruhe ausbricht. Hier in Thun wird mehr toleriert. Es bricht nicht gleich eine Krise aus, wenn es mal nicht so läuft. Wir sorgen auch dafür, dass sich alle stets bewusst sind, was hier möglich ist. Deshalb werden wir nicht müde, zu betonen, dass wir das kleinste Budget der Super League haben.
Damit wollen wir, dass die Erwartungen realistisch bleiben. Klar wollen wir alle stetig zulegen. Für uns ist es aber nahezu unmöglich, über fünf Jahre zu planen. Uns plagt stets die Angst vor dem Abstieg. Denn wer gibt uns die Garantie, dass es die anderen mit mehr Geld immer schlechter machen als wir? Wenn bei der Konkurrenz gleich gut gearbeitet wird, dann stehen sie alle in der Tabelle vor uns. Vor den Extremen fürchtet man sich im Berner Oberland. Ganz oben zu sein, bringt Chaos, tief fallen will niemand. Das Mittelmass ist das Ziel. Eine Bescheidenheit, die Gefahren birgt. «Ich habe Bedenken, ob dieses Konzept mittelfristig funktioniert», urteilt Andy Egli, der Thun 1995 übernommen hatte und in die NLB führte. «Vordringlich sind eine breitere Abstützung und der Zuspruch der Bevölkerung – gerade mit der Konkurrenz von YB. 100 000 Leute leben im Grossraum Thun, da müssen doch einfach mehr Leute an die Spiele kommen.» YB ist aber nun mal mehr als der Rivale im Kanton, auch im Oberland haben die Stadtberner viele Anhänger. «Uns fehlt sozusagen eine ganze Generation Fans», so sieht es Medienchef Blösch. «Ab 1970 spielte der FC Thun fast 30 Jahre im Niemandsland, in Thun wurde man als Fussballbegeisterter damals halt YBAnhänger. Die meisten unserer Fans sind
deshalb schon älter oder ziemlich jung.» Auch wenn die Fanszene in jüngerer Zeit gewachsen und auch etwas «wilder» geworden ist, achtet die Führung darauf, dass sich die Anhängerschaft zu benehmen weiss. Ex-Präsident Markus Stähli suchte deshalb das Gespräch mit den Fans und wies darauf hin, dass etwa diese «Scheiss YB»-Gesänge nicht erwünscht seien. «Das finden wir wirklich total daneben!», bestätigt Andres Gerber. «Man soll sich freuen ob der eigenen Leistung, nicht die Gegner beschimpfen.» Dass mit so geringen finanziellen Möglichkeiten derart gute Resultate erzielt werden, sei zwar erstaunlich und verdiene grosses Lob, anerkennt Andy Egli, doch er befürchtet, dass Thun im Falle einer Baisse oder gar eines Abstiegs nicht mehr reagieren könne. Der FC St. Gallen habe nach der Relegation mit dem gleichen Budget den Wiederaufstieg anstreben können; dass beim FC Thun Ähnliches möglich wäre, hält er für wenig wahrscheinlich. Eher würde wohl jenes FCT-Lied wieder aktuell werden, das Rita zusammen mit dem Peter Trachsel Sextett vor über 25 Jahren aufgenommen hat: «Einisch isch es abverheit, mir sy fürchterlech wyt abegheit», singt sie da zu beschwingten Dixieland-Klängen. Prophet Egli Benjamin Lüthi, das hoch talentierte Eigengewächs, und Renato Steffen lassen das Training mit Stretching und Tratschen ausklingen und machen sich dann auf den Weg vom Kunstrasen in die geräumige Garderobe, wo Materialwart Tschöge sich um die verschwitzten Tenues kümmern wird. Von einer solchen Infrastruktur hat Andy Egli Mitte der 90er-Jahre nur träumen können. Im Winter stand ihm lediglich ein Sandplatz zur Verfügung, den der Abwart mit dem Traktor zuvor jeweils etwas aufgeraut hatte. Nur schon um überhaupt ein Morgentraining durchzuführen, musste Egli einigen Aufwand betreiben. Bei den Unternehmen in der Umgebung musste er darum betteln, dass die talentiertesten
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Junioren – etwa Mario Raimondi, Milaim Rama oder Marc Schneider – für die Trainings freigestellt wurden. Er reiste im Berner Oberland herum, überzeugte die kleinen Vereine vom neuen Nachwuchskonzept, brachte sie dazu, die Eifersüchteleien beiseitezulegen – immerhin spielte Thun noch mit den Quartierklubs Dürrenast und Lerchenfeld in einer Liga – und am gleichen Strick zu ziehen. Und vor allem suchte er Geldgeber. Zum Aufstieg in die NLB wurde der «B-Klub» lanciert, eine Sponsorenvereinigung, die es ermöglichte, das Budget von 300 000 Franken erst zu verdoppeln und dann auf eine Million Franken zu erhöhen. Bei einem Treffen mit den Gönnern prophezeite der ambitionierte Andy Egli 1997: «Es ist nicht auszuschliessen, dass der FC Thun in zehn Jahren in der Champions League spielt.» Er erntete Gelächter. Andres Gerber nippt an seinem erkalteten Kaffee und hält kurz inne. «Ich bin gewissermassen in einer Zwickmühle», fährt er fort. «Einerseits will auch ich Euphorie entfachen, andererseits muss ich die Erwartungen stets etwas bremsen. Genau aus diesem Grund ist Latour gegangen. Er war der Ansicht, Thun brenne früher oder später aus. Diese Gefahr besteht nach wie vor latent.» Laufend werden die besten Spieler weggelotst, solche Rückschläge drücken
auf die Stimmung und können gar den Glauben rauben, dass hier am Thunersee etwas Grösseres entstehen könnte. «Auch anderen Vereinen werden Spieler weggekauft, aber die haben mehr Möglichkeiten, Abgänge zu kompensieren. Wir müssen für jeden Leistungsträger schon einen Ersatz im Hinterkopf haben.» Seit dem Wiederaufstieg meistern Gerber und der FC Thun diese Aufgabe so gut, dass in Saisonvorschauen kaum mehr jemand den Berner Oberländern Abstiegssorgen prophezeit. Kein Zweifel, es ist pittoresk hier im Berner Oberland. Hebt man den Blick über das Dach der Arena, geniesst man die Sicht auf die Berge. Zum See sind es keine 200 Meter. Doch damit lockt man keine Talente. Schon gar nicht welche von grösseren Vereinen. Die aktuellen Thuner Spieler kamen von Yverdon, Wil, Biel, Concordia Basel oder Solothurn. Sie alle kamen für Beträge, die andere Vereine aus der Portokasse bezahlen könnten. Dies funktioniert indes nur bei solchen Spielern, für die sich keiner der Konkurrenten interessiert. Der FC Thun bildet damit den Gegenentwurf zu Vereinen wie Aarau, die als «Resteverwerter» Profis anlocken, die es anderswo nicht ganz geschafft haben. Und er verfolgt dieses Konzept mit grossem Erfolg. Mit einem Kader aus Fussballern, die anderswo nicht einmal wahrgenommen
Der Sportchef empfängt Medienchef Reto Blösch.
wurden, lässt man Jahr für Jahr deutlich zahlungskräftigere Klubs hinter sich. Andres Gerber, warum holen nicht andere Vereine diese Spieler, wenn sie doch so gut und so billig sind? Unser Vorteil ist, dass wir mehr riskieren können als andere. Nicht in finanzieller Hinsicht natürlich, aber wenn der FC Zürich Spieler wie Schirinzi, Steffen oder Hediger holen würde und es klappt nicht, dann muss sich der Sportchef einige Fragen gefallen lassen: «Warum holt der denn so einen?» Bei uns ist der Druck wesentlich kleiner. Wenn bei uns ein Transfer in die Hose geht, dann können wir darauf hinweisen, dass mit unserem Budget halt nicht mehr drinliegt. Teurere Transfers ziehen nun mal viel mehr Rechtfertigung nach sich. Nun müssen sich die anderen dafür rechtfertigen, weil sie mit einem Vielfachen eures Budgets in der Tabelle hinter euch stehen. Es ist aber fraglich, ob unsere Spieler auch in anderen Vereinen solche Leistungen zeigen würden. Bei uns geniessen sie vollstes Vertrauen, die Konkurrenz ist kleiner, der Druck ebenfalls. Hier sind sie wohlbehütet, und wer sich wohlfühlt, der kann auch mehr leisten. Das will ich fördern. Ich will, dass es jedem gut geht. Und ich habe jeden meiner Spieler gern. Ich glaube, ich kann mich in jeden reinfühlen, weil ich das ja auch alles durchgemacht habe. Ich war jahrelang selber Profi, war Nationalspieler, Captain, Langzeitverletzter, kenne Champions League und Challenge League. Mit diesem «Gspüri» kann man einiges beeinflussen. Besteht für diese Spieler, die das Profitum in so einer Wohlfühloase kennenlernen, nicht die Gefahr, dass sie woanders dann völlig überfordert sind? Das ist tatsächlich so, dafür gibts ja einige Beispiele. Die meisten sind gescheitert. Es fällt schon auf, dass die meisten unserer Ehemaligen andernorts grosse Mühe haben. Deshalb sage
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FC Thun
ich auch unseren Jungen oft: «Ihr müsst gehen! Auch wenn ich es natürlich nicht will: Ihr müsst sehen, wie es bei anderen Vereinen läuft.» Erst dann schätzen sie, was sie hier haben. Bei einigen macht es dann auch Sinn, wenn sie zurückkehren. Allerdings muss man auch sagen, dass es nicht unsere Aufgabe sein kann, diese Jungen auf die grosse, böse Welt vorzubereiten, so egoistisch sind wir dann doch. Es muss für uns gut funktionieren.
Dann hätten wir ein riesiges Problem. Wen sollen wir holen, der zu uns passt? Einen, der nicht alles durcheinanderbringt und die Erwartungen nicht in die Höhe schraubt? Jedes Jahr fünf Millionen kriegen, das würde uns helfen. Aber einmalig? Man hat ja gesehen, was nach dem Champions-League-Abenteuer passiert ist. Wir wollen langsam wachsen, jedem Spieler immer etwas mehr geben können.
Diese Ungewissheit, ob ein Thuner Talent auch ausserhalb der heilen Welt seine Leistung bringen kann, wirkt sich natürlich negativ auf dessen Marktwert aus. Nie wird der FC Thun einen Spieler für mehrere Millionen verkaufen, nie wird bei ihm einer wie Gelson Fernandes, Ricardo Rodriguez oder Xherdan Shaqiri die Kassen klingeln lassen. Nur schon weil solche Ausnahmekönner schon in der Juniorenzeit bei grösseren Vereinen unterkommen würden. Eine ähnliche Karriere wie diesen ist ohnehin noch keinem Ex-Thuner gelungen – sieht man einmal von den Leihspielern ab. Materialwart Tschöge wendet sich mit der Frage nach dem Ehemaligen mit der besten Karriere an seinen Vorgänger. Die beiden sind ratlos. Rama vielleicht mit seinen sieben Länderspielen. Oder «Lustrigoal», der aber schon als erfahrener Skorer in Thuner Dienste trat. Oder vielleicht doch Nelson Ferreira. Der ist nach vier Jahren in Luzern kürzlich wieder zu seinem Stammverein zurückgekehrt. «Bim FC Thun, das wüsse mir scho ewig lang / da symer glych, syt do mir blybe binenand», trällert Sängerin Rita im oben erwähnten Liedchen. Die Gleichheit war also schon länger ein Thema bei den Berner Oberländern. Gleichheit, Ausgeglichenheit, Ruhe. Die Angst, dass das Gleichgewicht gestört werden könnte, ist fast greifbar.
Könntest du mit dieser Philosophie bei einem anderen Klub funktionieren? Schwer zu sagen. Beim FC Thun passt es. Ob ich für einen anderen Klub der Richtige wäre, kann ich nicht sagen. Dort kommt viel mehr Negatives auf einen zu. Wenn sich ein Verein für mich interessiert, dann wird er aber genau wissen, wie ich ticke und arbeite. Er weiss also, was er erwarten kann. Man muss mich mit meiner Philosophie arbeiten lassen. Wenn mir Druck aufgesetzt wird und die Devise nur «Erfolg um jeden Preis» heisst, dann bin ich der Falsche. So wie man etwa Murat Yakin auch nicht holen muss, wenn man ihm noch sieben Leute zur Seite stellen will, die ihm dreinreden. So nimmt man ihm eine grosse Stärke.
Andres Gerber, angenommen, ein reicher Mäzen drückt dir fünf Millionen Franken für den FC Thun in die Hand. Was würdest du damit anstellen?
Im Migros-Restaurant räumt Marc Schneider sein Tablett ab und schiebt seinen Einkaufswagen zum Parkplatz. Für ihn ist es mehr als ein gewöhnlicher Nachhauseweg. Vor einer Stunde hat er das letzte Training als Fussballprofi beendet, nach zahlreichen Verletzungen wird er heute Nachmittag seinen Rücktritt erklären. Auf die kommende Saison wird er als Nachwuchstrainer und Scout arbeiten. Zusammen mit Andres Gerber wird er also fortan nach übersehenen Talenten fahnden und diese an die erste Mannschaft heranführen müssen. Damit der Kreislauf weitergehen kann, damit Thun weiterhin in der sicheren und ruhigen Zone zwischen Champions League und Relegation schweben kann. Bescheiden, aber selbstbewusst.
Die Thuner ChampionsLeague-Helden: Ihre weiteren Karrieren Eldin Jakupovic (28): Lokomotive Moskau, AS Volos (Gre), Aris Thessaloniki, Hull City (Eng) Ljubo Milicevic (Aus, 31): YB, Melbourne Victory, Newcastle Jets (Nzl), South Melbourne, Hajduk Split (Kro) Armand Deumi (Kam, 33): Gaziantepspor (Tür), Karabükspor (Tür), vereinslos Tiago Bernardi (Bra, 32): Kickers Luzern, 1. FC Slovácko (Tsch), Rheindorf Altach (Ö), Coritiba (Bra), Ituano (Bra), Spartak Trnava (Slk), GD Estoril (Por), Rio Branco (Staatsmeisterschaft A2 São Paulo) Selver Hodzic (Bos, 33): Bnei Yahuda (Isr), Xamax, FC Lugano, FC Wohlen Silvan Aegerter (32): FC Zürich, FC Lugano Adriano Pimenta (Bra, 29): Bragantino (Br), Waitakere Utd (Nzl), Blooming (Bol), Sport Recife (Bra), Grêmio Barueri (Bra), Fortaleza (Bra), Atlético Goianiense (Bra) Nelson Ferreira (Por, 30): FC Luzern, FC Thun Andres Gerber (39): Sportchef FC Thun Alen Orman (Ö, 34): Dynamo Dresden, Rheindorf Altach (Ö), 1. Simmeringer SC (Ö), ASK Mannersdorf (Ö, Gebietsliga Süd) Mauro Lustrinelli (36): Sparta Prag, FC Luzern, AC Bellinzona, YB, FC Thun, Co-Trainer FC Thun Leandro Vieira (Bra, 34): Atlético Portuguesa (Bra), FK Teplice (Tsch), FK Teplice II Gelson (Bra, 30): Chiasso, Schaffhausen, Locarno, APEP Pitsilia (Zyp), Achnas (Zyp), Aris Limassol (Zyp), vereinslos José Gonçalves (27): FBK Kaunas (Lit), Hearts of Midlothian (Sco), 1. FC Nürnberg, FC St. Gallen, FC Sion
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«Lasst diese zurückgebliebenen Fans doch nicht noch durch die halbe Schweiz fahren. Bringt die Länderspiele vor ihre Haustüre nach Luzern.» «Basel ist eine Fussballstadt. Wann immer die Nati zu Gast war im Joggeli, kamen die Leute in Scharen. Auch zur Zeit, als die Nati als GC-Selection auflief, ergänzt durch ein paar Romands. Den Spielern wurde stets der Respekt entgegengebracht, den sie verdienten. Als Basel die Hoppers als Ligakrösus ablöste und somit den Neid der Geschlagenen auf sich zog, wendete sich das Blatt. Ohne die mimosenhaften Abgänge von Frei und Streller gutheissen zu wollen, muss man sich nicht wundern, das es sich ‹der Basler› nicht mehr antut, sich neben die Pfeifenden zu setzen.» «Basel-Fans kommen mehrheitlich aus urbanen Gebieten, Nati-Fans mehrheitlich vom Lande. Unsere Landbevölkerung ist bekanntlich zu einem grossen Teil leider weder sonderlich helle noch besonders tolerant.» «In Basel gibt es sowieso keine Nati-Fans. Die paar Tausend, die im Joggeli anwesend waren, sind von Hintertuggigen oder Lingwurm City angereist. Lieber SFV, veranstalte die Länderspiele doch zukünftig in Luzern oder St. Gallen, da passen sie besser hin.» Alles Kommentare zu «Tages-Anzeiger Online»-Artikeln
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Nati-Pfeifen Text: Thilo Mangold / Illustration: Roger Zürcher
In Basler Fussballfan-Ohren klingt die Anfeuerungssilbe «Hopp» peinlich. Wie in «Hopp Schwiiz» zum Beispiel. Das erinnert irgendwie an Schülerstafette in Dulliken. An Skirennen in Adelboden. An Sporttag der Sek Dulliken. Und eben an Nati. All dies interessiert in Basel niemanden.
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er durchschnittliche Nati-Fan wohnt im Mittelland. Die Landschaft in seinem natürlichen Lebensraum ist zersiedelt. Es fehlt ihm die Nähe zu einer Profimannschaft mit Identifikationspotenzial. Er findet, wer unter Hitzfeld spielen will, müsse die Nationalhymne singen. Selber grölt er bei Baschi mit. Und: Er pfeift die FCB-Spieler aus. Auch der Typus «FCB-Fan» ist rasch skizziert, folgt man der medialen Überzeichnung. Er ist militant im Auftreten und kostet den Staat Millionen. Er kotzt in Extrazüge und verwüstet Innenstädte. Er suhlt sich arrogant im rot-blauen Erfolg der letzten Jahre. Er singt während der Nationalhymne das Baslerlied. Denn: Ihn interessiert die Nati einen feuchten Dreck. Sind die beiden Fankulturen wirklich nicht kompatibel? Steht der Basler Fussballfan vor dem Grundsatz-Entscheid «Basel oder Nationalmannschaft»? Natiund FCB-Fans leben Fussballkultur in unterschiedlichen Schattierungen. Jedem das Seine und einigen – wenigen? – auch beides. Das ist nun aber keine Basler Eigenheit. Zürcher oder Luzerner Fans verachten die clowneske Parallelkultur der Nati-Fans ebenso – vielleicht aber mit etwas mehr Gleichgültigkeit als die Basler. User Cris10 schreibt im FCSGForum «Es wäre zu begrüssen, wenn man heute endgültig sehen würde, dass die Natipublikumidioten nicht das FCSGPublikum sind.»
Bei den engagierten Basler Fans scheint in den letzten Jahren aus Gleichgültigkeit Abneigung, bei den gemässigten Stadionbesuchern aus Interesse Gleichgültigkeit geworden zu sein. Das Verhältnis der Basler zur Nati ist gestört. Festgemacht wird dies oft an der Personalposse um Alex Frei und Marco Streller. «Das ist schon peinlich», sagte Ottmar Hitzfeld im September 2010 via «20 Minuten» nach den Pfiffen gegen seine Spieler. Ein halbes Jahr darauf traten die Basler Stürmer nach einer Pfeifserie bei Heimländerspielen aus der Auswahl zurück. Seither bescheren sie dem FCB eine fantastische Tor- und Siegesserie in der Schweiz und in Europa. Das ist frech. Für den Nati-Fan. Es ist illoyal gegenüber dem Vaterland. Der «TagesAnzeiger» titelt beim Rücktritt «Frei und Streller lassen Hitzfeld im Stich». So etwas nehmen die Stammtische des Landes gerne auf. Ebenso die Stammtische des Internets, die Foren und Kommentarspalten. Von «Landesverrat» und «Geldgier» wird geschrieben. Herbeigeführt hat diese Stimmung auch der «Blick»: «Alex Frei muss jetzt weg», fordert das Boulevardblatt im März 2011. Damals schreibt der Nationaltrainer noch nicht nebenamtlich für Ringier. Dagegen halten wenige. Stellenweise gipfelt die Polemik gar in herrlichem Widerspruch: «Es geht nicht um Fussball, sondern es geht gegen den FC Basel!», postet ein Heinz Lehmann auf «Tages-
Basel vs. nati
Anzeiger Online». Oder geht es gar gegen die Stadt Basel? Gegen St. Jakob als dezentralen Spielort, ennet der topografisch logischen Landesgrenze, der Jurakette? Das wäre statistisch gesehen Blödsinn. In keiner Stadt hat die Nati so oft gespielt wie in Basel. Sie hat hier zum Beispiel 1908 Deutschland in dessen erstem Länderspiel überhaupt mit 5:3 besiegt. Und 2012 gleich nochmals mit dem gleichen Skore. Aus dem Joggeli wurde der landesweit grösste moderne All-Seater und damit ab 2001 quasi das Nationalstadion. Für FCBSaisonkarteninhaber ist es eine grauenhafte Vorstellung, dass sich «irgendein Bauer» bei Nati-Gastspielen auf ihre Plätze setzen könnte. Zu Beginn «verteidigen» noch viele ihre Sitze und schauen sich die Partien von Köbis Jungs an, nach der Streller/ Frei-Affäre überlassen die meisten das Feld aber den aus der Restschweiz Anreisenden. Es wächst die Aversion gegen Rot-Weiss. Hinzu kommt, dass die Formkurven von FCB und Nati in der zweiten Hälf-
te der 00er-Jahre leicht entgegengesetzt verlaufen. Nach dem Tiefpunkt vom 13. Mai 2006 schafft der FCB den politischen und sportlichen Turnaround, während die Nati nach dem Stimmungspeak an der WM 2006 etwas zu schwächeln beginnt. Die Kräfteverhältnisse verschieben sich zugunsten des Klubs. Die erfolgreichen Basler Spieler haben die Nati nicht mehr nötig, so die landläufige Meinung. Ähnlich verhalten sich auch viele Basler Stadiongänger: Der FCB bietet genug Erfolg, Event und Erlebnis. Wer braucht da noch die popelige Nati? Versöhnung durch Erfolg Gleiches sollten sich in den Augen des Basler Publikums auch die Spieler fragen. Mit dem Aufschwung des FCB wuchs auch dessen Fraktion in der Nati. Erst Zubi und die Yakins, dann Huggel, Streller, Derdiyok, Alex Frei. Später Stocker, Shaqiri, Xhaka, Fabian Frei. Dass sich einige der Genannten im Verein wohler fühlen, dort
mehr bewegen, stützt diese Meinung. Die Spieler berufen sich dabei auf ihren lokalen Rückhalt, das Basler Publikum solidarisiert sich mit «seinen» Spielern und wendet sich gegen die Nati. Das war längst nicht immer so: In den aus FCBSicht erfolglosen 90er-Jahren hing bei Nati-Spielen regelmässig eine Schweizer Fahne mit dem Schriftzug «Basel». Auch der Baslerstab wurde im Stadion gehisst. Basel war stolz auf die Nati-Aufgebote für Marco Walker, für Dario Zuffi oder – legendär! – für Massimo Ceccaroni. Noch habe die Beziehung Basel/Nati aber noch eine Chance, meint zumindest das FCB-Fanzine «Schreyhals». Im Artikel «Von Kuhglocken, Bauernlümmeln und Secondos» beschreibt Lubomir Faktor den Wandel vom Supporter zum kritischdistanzierten Beobachter. Der Autor sieht die Chance zur Versöhnung in einem möglichen Erfolg der Nati: «Was würdest du tun bei einem Wunder in Rio 2014? Wahrscheinlich auch zuschauen.»
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trainer Text: Silvan Lerch Illustration: Samuel Jordi
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Heavy Rotation
Zehn Arbeitsplätze für zig Bewerber: In der Super League herrscht Verdrängungskampf pur unter den Trainern. Trotzdem finden oft dieselben Kandidaten wieder eine Stelle. Ursachenforschung zwischen Trainerkarussell und Arbeitsamt.
Bewerbungen habe er erhalten, brüstete sich Servette-Präsident Hugh Quennec im September, als es galt, den Nachfolger des entlassenen João Alves zu bestimmen. Ein halbes Jahr zuvor waren ähnliche Töne aus Zürich zu vernehmen. FCZ-Präsident Ancillo Canepa hob stolz hervor, nach der Freistellung Urs Fischers seien innert Kürze 60 Anfragen eingegangen. In beiden Fällen, hiess es, habe sich so mancher international renommierte Name unter den Kandidaten befunden – beispielsweise Sven Göran Eriksson, der sich tatsächlich für den verwaisten Posten im Letzigrund interessiert haben soll. Der neutrale Beobachter staunt: Können zwei Super-League-Vereine solch eine Strahlkraft ausüben – erst recht bei der eher mediokren Gegenwart? Und gelten sie in der Branche wirklich als finanziell so potent, dass Herren mit internationalem Glanz glauben, hier auf ihre Kosten zu kommen? Zwar liessen sich schon solch hochkarätige Kaliber von Schweizer Klubs engagieren. Doch ein Hennes Weisweiler oder ein Leo Beenhakker sind Ausnahmen geblieben. Ohne die Anzahl der Dossiers auf den Tischen Quennecs und Canepas in Zweifel zu ziehen, sei daher doch erlaubt, zumin-
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dest die Seriosität gewisser Bewerbungen zu hinterfragen. Oft verhält es sich nämlich so, dass hinter den Anfragen schlicht irgendwelche selbst ernannte Mittelsmänner stehen. Sie streuen Namen von arbeitslosen Trainern bei den Vereinen, um auszuloten, ob diese Interesse hätten. Ist dem so, informieren sie den Coach, um von ihm ein Beratungsmandat zu bekommen. Kann der Mittelsmann den Trainer schliesslich «platzieren», erhält er eine Provision. Dass er gehandelt wird, weiss der Trainer also gar nicht unbedingt. Schon gar nicht klar ist, ob er überhaupt mit diesem Klub in Verbindung gebracht werden will. Wie auch immer es sich bei FCZ und SFC verhalten haben mag, beide Vereine wählten keinen ach so illustren Namen internationalen Zuschnitts – trotz der scheinbaren Fülle.
Vielmehr gaben sie einheimischen Kräften den Vorzug. In Genf kam Sébastien Fournier zum Handkuss, in Zürich Rolf Fringer (der ist zwar Österreicher, wurde aber bekanntlich in der Schweiz geboren).
Das ewige Trainerkarussell Peter Knäbel, als technischer Direktor des Schweizerischen Fussballverbands (SFV) für die hiesige Trainerausbildung verantwortlich, begrüsst die Haltung der Vereine, Schweizern das Vertrauen zu schenken. Sie bedeutet zum einen Bestätigung für die Arbeit des SFV. Vor allem aber kennen hiesige Trainer «unsere Trainerphilosophie und die Spieler». Dank dieses Wissens benötigen sie keine Eingewöhnungsphase, in der sie sich zuerst ein Bild von der Liga machen müssen. Gleichzeitig betont der Deutsche, dass die Nationalität kein Freibrief sein dürfe. Auf die Qualität komme es an. Ausländische Trainer brächten oft wertvolle Inputs mit und neue Perspektiven ein. Der Mix müsse einfach stimmen zwischen ihnen und Schweizer Verantwortlichen, sagt Knäbel, der selbst 1995 in die Schweiz gekommen war und bis zu seiner Anstellung beim Verband als Spie-
ler, Trainer und Nachwuchschef agierte. Bei Redaktionsschluss besetzen Ausländer knapp die Hälfte der zehn Trainerposten in der Super League. Mit dem Polen Ryszard Komornicki (Luzern), dem Franzosen Laurent Roussey (Lausanne), dem Luxemburger Jeff Saibene (St. Gallen) und dem Deutschen Heiko Vogel (Basel) bilden sie allerdings ein Quartett, das nicht erst seit diesem Jahr hierzulande arbeitet. Der zuletzt erfolgreichste «Import» war sicherlich Vogels Vorgänger, Thorsten Fink. Aber auch Victor Muñoz leistete 2011 bemerkenswerte Arbeit. Unter schwierigsten Umständen führte der Spanier Xamax aus den Niederungen der Tabelle an die Spitzenplätze heran, bis das System Tschagajew implodierte. Fink und Muñoz stellten Neuankömmlinge in der Super League dar. Ihre Wahl erforderte Mut. Besonders bei Fink war gut ersichtlich, dass es seine Zeit braucht, bis ein Trainer das Manko abgestreift hat, mit der Liga wenig vertraut zu sein. Das verlangt Geduld, die nicht alle Vereinsverantwortlichen aufbringen. Insofern überrascht es nicht, wenn statt frischer Kräfte hauptsächlich altbekannte Kandidaten eine Anstellung finden. Der Sicherheitsgedanke erhält die Rotation des hiesigen Trainerkarussells aufrecht. Es mutiert zu einer Art Perpetuum mobile. Springt ein Entlassener auf, springt ein Neuverpflichteter ab. Bald darauf
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tauschen sie wieder ihre Rollen. Jede Liga kennt solche Dauerbrenner. Erfolgsfaktor Beziehungsnetz Für Peter Knäbel hängt das Phänomen des Trainer-Recyclings aber nicht nur mit mangelndem Mut zusammen. Seines Erachtens spielen zwei Faktoren eine gewichtigere Rolle: der Erfahrungsschatz und das Prinzip Hoffnung. Wer zur Heavy Rotation des Trainerkarussells gehört, ist keine Eintagsfliege, sondern hat schon mehrere Mannschaften betreut. Das hilft, denn Erfahrung ist gefragt. Ohne der jungen Gilde die Qualität absprechen zu wollen, glaubt Knäbel, dass ein Trainer tendenziell erst in einem gewissen Alter – vielleicht Anfang, Mitte 50 – sein Potenzial vollumfänglich entfalten kann. Dann habe er genügend Erfahrung gesammelt und menschliche Reife erreicht, um mit der nötigen Gelassenheit aufzutreten. Der zweite Punkt, der Trainer in der Dauerschlaufe zu begünstigen vermag, folgt aus dem ersten. Als Routiniers verfügen sie über einen Leistungsausweis, der sie in den Augen vieler Sportchefs und Präsidenten legitimiert, immer wieder verpflichtet zu werden. Daran geknüpft ist die Hoffnung, frühere Erfolge des Coachs fänden eine Neuauflage. Dass ein Trainer mit vielen
Stationen in seinem Werdegang meist auch Misserfolge und somit Entlassungen zu gewärtigen hatte, wird ausgeblendet oder zumindest weniger stark gewichtet. Von entscheidender Bedeutung ist auch das Beziehungsnetz. Wer die Klubverantwortlichen näher kennt oder enge Bande zu deren wichtigsten «Einflüsterern» unterhält, startet aus einer privilegierten Position. Persönliche Verflechtungen können Verpflichtungen erleichtern. Dies haben die letzten Monate gleich mehrmals gezeigt. So machte FCZ-Sportchef Fredy Bickel beim Engagement Rolf Fringers keinen Hehl daraus, seit der gemeinsamen Zeit bei GC Ende der 90er-Jahre den Wunsch gehegt zu haben, wieder einmal mit ihm zusammenzuarbeiten. Weiter ist es kein Geheimnis, dass Walter Stierli und Heinz Hermann schon länger freundschaftlich miteinander verbunden sind. Es erscheint deshalb nur logisch, wenn der abtretende Präsident einen Vertrauten als Sportchef und Verwaltungsrat portiert – wie dies beim FC Luzern im vergangenen Frühling geschah. Hermann wiederum kennt den von ihm installierten neuen Trainer bestens. Mit Ryszard Komornicki hatte er beim FC Aarau noch zusammengespielt. Warum also nicht an den arbeitslosen Ex-Teamkollegen denken bei der Suche nach einem Nachfolger Murat Yakins? Zumal der Pole bei sei-
trainer
nen letzten Engagements einigen Erfolg verzeichnete. So kam es, dass Komornicki wieder beim FCL anheuern durfte – elf Jahre nach seiner frühen Entlassung (was ihn, wie Hermann, nicht davor bewahrt, nun erneut am Pranger zu stehen). Der eingangs erwähnte Sébastien Fournier ist das jüngste Beispiel persönlicher Verquickungen, die zu einer Anstellung in der Super League beigetragen haben. Der Vereinspräsident, der ihm als Erster die Chance gab, Cheftrainer zu werden, zählte ihn schon als jungen Spieler zu seinen Angestellten: Sions Christian Constantin. Und auch beim Wechsel nach Genf halfen persönliche Kontakte, immerhin hatte Fournier schon einmal Servettes U21 betreut. Dieser Fall zeigt, dass die richtigen Beziehungen nicht nur arrivierten Kräften helfen können, sondern auch Neulingen, die sich während ihrer Aktivzeit ein Netzwerk aufgebaut haben. Dazu zählt David Sesa. Der NeoTrainer des FC Wohlen kennt dessen Präsidenten, Andreas Wyder, nicht erst seit gestern, was ihm den Einstieg in die Challenge League erleichterte, wo er … Ryszard Komornicki ersetzt hat. Fehlendes Trainer-Scouting Wer dem komplexen Interessengemenge aus Vereinspräsidenten, Trainern und Beratern mit Argwohn gegenübersteht, spricht nicht von Beziehungsnetz, son-
dern von Seilschaften. Weit ist es da zum Begriff «Strippenzieher» nicht mehr. Als solcher wird in der Branche oft Erich Vogel bezeichnet, zumindest von seinen Kritikern. Unzweifelhaft gehörte der frühere Manager von FCZ, GC und Basel während Jahrzehnten zu den Meinungsmachern im Schweizer Fussball. Und noch heute nimmt er wohl Einfluss, allen voran bei den Grasshoppers. Vogel steht ihrem Präsidenten, André Dosé, nahe. Legende ist, wie ihn 2005 der damalige Sportchef des 1.FC Köln, Michael Meier, anrief, um eine Einschätzung zu Urs Schönenberger zu erhalten (siehe ZWÖLF-Nummer 12). Der hatte den FC Thun in die Champions League geführt, was das Interesse des Bundesligisten weckte. Doch statt lobende Worte für Schönenberger zu finden, riet Vogel von ihm ab. Das Format, Köln zu übernehmen, hätten nur zwei Schweizer Trainer: Christian Gross und Hanspeter Latour. Prompt ging Schönenberger leer aus – und Latour wurde verpflichtet. Befürworter Meiers mögen dessen Anfrage bei einem Szenekenner hervorheben. Skeptiker dagegen wird mehr irritieren, dass eine Fremdbeurteilung zum schnellen Meinungsumschwung führte. Unabhängig davon, wohin das Meinungspendel ausschlägt, verdeut-
licht die Episode, welche Bedeutung dem Scouting von Trainern zukommen sollte. Nachhaltige Personalpolitik darf sich nicht auf die Spielerbeobachtung beschränken. Im Gegenteil: Sie müsste zu einer Shortlist führen mit geeigneten Nachfolgekandidaten für den Tag X, wenn der aktuelle Coach nicht mehr im Amt ist. Immerhin prägt der Trainer mit seiner Handschrift das Aushängeschild des Vereins, die erste Mannschaft. Bloss scheint eine solche Shortlist kaum je erstellt zu werden. Oder dann finden auf ihr vornehmlich wenig überraschende Namen Berücksichtigung. Hier hinkt der Fussball anderen Wirtschaftsbereichen hinterher. Während Banken und Pharmakonzerne bei der Rekrutierung von Führungskräften genau wissen, wo sich die vielversprechendsten Talente befinden (und dies weltweit), erkundigte sich bei Peter Knäbel bis anhin kaum je ein Sportchef, welche Absolventen den Schweizer Lehrgang zur Uefa-Pro-Lizenz am besten abgeschlossen haben. Mathias Walther bestätigt dieses fehlende Interesse im Schweizer Fussball. «Leider messen viele Klubverantwortliche der langfristigen Planung zu wenig Gewicht bei. Dem fällt das TrainerScouting zum Opfer», sagt der ehemalige Sportchef bei GC und Trainer des FC Winterthur. Dass so mancher vermeintliche Fussball-Experte fachlich nicht
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auf der Höhe ist, musste er in diesem Frühling am eigenen Leib erfahren. Ihm wurde vorgeworfen, als Ausbildungschef von GC zu intrigieren und am Stuhl von Trainer Ciriaco Sforza zu sägen. Pikant dabei: Walther besitzt das höchste Trainerdiplom gar nicht, um eine Super-League-Mannschaft übernehmen zu dürfen. Auf der Strasse steht er mittlerweile dennoch. Wie Sforza. Zehn Stationen in zehn Jahren Die mangelnde Auseinandersetzung mit der nachrückenden Trainergeneration führt dazu, dass dorthin, wo diese primär tätig ist, zu selten geschaut wird: in den Amateur- und Nachwuchsbereich. Selbst bekannte Namen geraten da in Vergessenheit. Der Ex-Internationale Marc Hodel versucht seit Jahren, sich über unterklassige Teams für höhere Aufgaben zu empfehlen. Zurzeit trainiert er den Erstliga-Aufsteiger Kreuzlingen und unterrichtet FussballTalente an einer Zürcher Sportschule. Vorübergehend hatte sich Hodel auch auf Zypern versucht und dort mit dem früheren Bundesliga-Profi Thomas von Heesen zusammengearbeitet. «Nur», beklagt sich der frühere Verteidiger, «wer weiss das schon?» Ein Verein aus der Challenge League habe sich jedenfalls noch nicht bei ihm gemeldet. Vielleicht, gibt er zu, verfolge er den Weg nach oben nicht mit der von der Branche geforderten letzten Konsequenz.
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Karriere musste er in der 2. Bundesliga neu lancieren – beim nicht eben für Nachhaltigkeit berühmten Hodel ist keiner, der sich selber ins Gespräch bringt. Das Beziehungsnetz lässt er zu wenig spielen. Denn so fasziniert er vom Fussball ist, so sehr widerstreben ihm einige zentrale Aspekte: die Schnelllebigkeit vor allem. Oder die Konzeptlosigkeit. Hodel gehörte einst zu den beiden Verbliebenen im Rennen um einen Trainerjob. Da erfuhr er, wer sein Konkurrent war: einer, der sich von ihm unterschied «wie Tag und Nacht». Hodel schüttelt über eine solch konfuse Strategie nur den Kopf. Trost erhält er vom Verband. Peter Knäbel mahnt zu Geduld. Für einen jungen Trainer sei es besser, einen Schritt nach dem anderen zu machen. Statt schnell nach oben zu gelangen und sich dort der Gefahr auszusetzen, verheizt zu werden, sei ein kontinuierlicher Aufbau nachhaltiger. Eine Entlassung könne schwer wiegen. Knäbel erinnert an den Deutschen Holger Stanislawski. Der habe zwar St. Pauli in die Bundesliga geführt. Dieser Erfolg bedeute aber wohl weniger als das spätere Scheitern in Hoffenheim. Die Erklärung: Mit dem Underdog von der Reeperbahn hatte Stanislawski fast nur gewinnen können. Dagegen waren die Erwartungen beim Verein von Mäzen Dietmar Hopp viel höher. Entsprechend tief fiel der Jungtrainer, als die Punkte ausblieben. Die
1. FC Köln. Wenn wir schon beim GeissbockVerein sind: Einer seiner ehemaligen Trainerkandidaten hegt ebenfalls die Hoffnung, die ins Stocken geratene Laufbahn nochmals ankurbeln zu können, und dies nach gleich zwei Entlassungen innerhalb einer Saison. Was nach traumatischer Erfahrung klingt, erschüttert Urs Schönenberger nicht. Zu viel habe er schon als Trainer erlebt. In zehn Jahren brachte er es auf nicht weniger als zehn Stationen. Die Bandbreite reicht von der Königsklasse mit Thun über ein viermonatiges Gastspiel im österreichischen Altach bis zum Abstieg in die 1. Liga mit YF/Juventus. Zuletzt kam es zum frühzeitigen Aus bei den Challenge-League-Vereinen Wohlen und Kriens. Im Frieden getrennt hat sich Schönenberger selten. Er ist eben vieles: arbeitsam, zupackend, ehrlich, ehrgeizig. Nur eines wohl kaum: diplomatisch. Das verschaffte ihm, dem als harten Hund Verschrienen, nicht nur Freunde. Die Angst, vom Trainerkarussell gefallen zu sein, hat Schönenberger deswegen aber noch lange nicht. Er glaubt fest daran, wieder eine Anstellung zu finden. Diese Zuversicht wird genährt durch einen ironischen Zug des Fussballs: Sooft Schönenberger Opfer der schnellen Trainerrochade wurde, so oft
trainer
hat er auch schon von diesem Mechanismus profitiert. Eine Hintertür hält er sich allerdings offen: Bereits jetzt hilft der 53-Jährige in der Auto-Spenglerei eines Bekannten aus. Täglich, ohne zu murren. «Ich habe Hände zum Arbeiten, da bin ich mir nicht zu schade, einzuspringen, wo Not am Mann ist», sagt Schönenberger. Immerhin hat er eine Familie zu ernähren. Furcht vor Rache Je länger die letzte Anstellung zurückliegt, desto näher rückt das Szenario, sich beruflich verändern zu müssen. Trotzdem scheuen viele Trainer den Gang aufs Arbeitsamt, nicht zuletzt aus falschem Stolz. Dabei ist ihre Tätigkeit heute als Beruf anerkannt. Die Personalberater haben ein Bewusstsein entwickelt für die fussballspezifischen Gegebenheiten. So sind Trainer davon befreit, monatlich eine bestimmte Anzahl Pflichtbewerbungen innerhalb ihrer Branche zu verschicken, wie es für «normale» Arbeitslose obligatorisch ist. Sie erhalten dennoch Ausgleichszahlungen. Die Berater wissen, dass es unglaubwürdig wäre, wenn sich jeder arbeitslose Trainer bei allen möglichen Klubs mit offener Stelle melden würde. Wer beim Letzten der Challenge League entlassen wird, ist nicht verpflichtet, beim Meister der Super League anzuklopfen, nur weil dort per Zufall ein Cheftrainer gesucht wird. Damit wäre
niemandem gedient – besonders den Stellensuchenden nicht. Um ihre Reputation nicht unnötig zu schmälern, sollen sie sich nur dort bewerben, wo eine reelle Aussicht auf Anstellung herrscht. Dagegen werden arbeitslose Trainer angehalten, ihre Stellensuche auf die ganze Sportbranche auszuweiten und dort auch Tätigkeiten anzunehmen als Lehrer oder Verkäufer in einem Fachgeschäft. Schliesslich wird die Möglichkeit ausgelotet, inwiefern ein Wiedereinstieg in den gelernten Beruf realistisch ist. Oft fällt diese Option weg – wie bei Marco Schällibaum, der seit seiner Entlassung in Lugano vor über einem Jahr ohne Job ist. Er hat weder Lust noch Chance, 30 Jahre nach seiner Ausbildung wieder als Sanitärzeichner zu arbeiten. Stattdessen schwebt ihm vor, sich selbstständig zu machen in einer Funktion mit Berührungspunkten zum Fussball. Mehr will Schällibaum nicht verraten. Noch habe er mit dem Trainerberuf nicht abgeschlossen. Zweifel machen sich beim 50-Jährigen dennoch breit. Wie Schönenberger hat er es immer gesagt, wenn ihm etwas nicht passte. Das räche sich nun, befürchtet Schällibaum. Für Aussenstehende mag diese Interpretation einen gar starken Verschwörungstheorie-Charakter tragen. Wer an die Beziehungsnetze und Seilschaften im Fussball
denkt, kann die Überlegung aber zumindest nachvollziehen. Schon Trainer ganz anderen Kalibers wurden geschnitten, weil sie sich nicht verbiegen liessen. Zdenek Zeman beispielsweise erhielt trotz Erfolgen jahrelang kein Angebot eines italienischen Spitzenvereins. Er galt als Nestbeschmutzer, weil er das System wegen Dopingpraktiken angeprangert hatte. Darwin im Fussball Der Fussball gehorcht eben über weite Strecken dem darwinistischen Prinzip: Der Stärkere frisst den Schwächeren. Tröstlich ist, wenn sich diese Hierarchie natürlich ausgebildet hat, sie also nicht auf Machtstrukturen beruht, sondern auf Qualitätsunterschieden. Dann stellt der Stärkere gleichzeitig den Besseren dar. Im Trainerwesen ist dieser Fall für Peter Knäbel gegeben. Den Markt empfindet er als «gerecht». Bei aller Irrationalität des Fussballs würden die Fakten nicht lügen. Kompetenz werde belohnt. Wer zu wenig darüber verfüge, bleibe «über kurz oder lang auf der Strecke». Bis dahin halten Faktoren wie das Beziehungsnetz oder mangelnder Mut der Vereinsverantwortlichen die Karriere in Gang. Und so kann es sein, dass ein durchschnittlicher Trainer auch nach der x-ten Entlassung wieder eine Mannschaft übernehmen darf. Selbst wenn (angeblich) 60 oder 80 hochkarätige Mitbewerber im Spiel waren.
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Text: Silvan Kämpfen
Viel Farbe im Spiel
Türkis, Orange, Rosa. Der grüne Rasen wird übersät von Fussbekleidung in den grellsten Tönen. Noch vor 15 Jahren war das ganz anders, obwohl die Hersteller schon viel früher erste Versuche mit farbigen Schuhen gewagt hatten. Wird es bald allen zu bunt? ZWÖLF sieht schwarz.
G
ünter Netzer war Anfang der Siebziger ein Unikum. Diese Eleganz, diese Vista. Seine Statur und seine Mähne liessen alle wissen: Der Mann mit der Zehn überstrahlt sie alle. Und dann erst diese Schuhe. Netzer Royal, ganz in Azurblau gehalten und mit goldgelbem Formstrip geziert, das erste Profi-Modell von Puma in Farbe. Doch diese Momentaufnahme, sie hat einen Schönheitsfehler. Netzer liess die Schuhe, die Puma 1973 eigens für ihn produziert hatte, meist links liegen und lief weiterhin in Schwarz auf. Seine Begründung: Er wollte nicht aus der Masse hervorstechen. Ein Irrwitz. Ausgerechnet Netzer. Er, der sich in einem Pokal-Finale einst selbst eingewechselt hatte und das entscheidende Tor schoss. Er, der vor der eigenen Bar stets seinen Porsche parkierte, damit die Gäste kamen. Ja, die Ikone des deutschen Fussballs schlechthin wollte sich mit seinem Schuhwerk nicht abheben von den anderen Akteuren auf dem Platz. Die Geschichte um Netzer sagt uns vor allem eines: Schuhe in Farbe müssen in dieser Zeit unglaublich verpönt gewesen sein. Vielleicht lag es daran, dass die meis-
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ten nicht schwarzen Produktionen Anfang der Siebziger für Frauen bestimmt waren. Adidas nannte den weissen Damen-Fussballschuh Anja. Puma brachte den Pelerina – welch Verballhornung des Weltstar-Namens –, den man mit dem Slogan «ein Kompliment an die Damen» versehrte. So gesehen ist es irgendwie verständlich, dass die Spieler der Düsseldorfer Fortuna nicht gerade in Begeisterung verfielen, als sie 1973 allesamt mit roten Puma-Schuhen ausgestattet wurden. Adidas im Farbtopf Der ganz grosse Pionier hiess aber Alan Ball. Dem Everton-Stürmer wurde 1970 von Hummel 2000 Pfund geboten, wenn er künftig ihr neues Spezialmodell trage. Ball spielte an der Charity Shield gegen Chelsea dann auch in Weiss – aber in einem Adidas-Schuh. Über die weissen Hummel sollte er später stänkern: «Um ehrlich zu sein, waren sie Scheisse, wie aus Karton. Ich sagte also einem Junior, er solle meine Adidas-Schuhe weiss anmalen. Das war super, bis es eines Tages regnete und das Schwarz durchschimmerte. Die Hummel-Vertreter wa-
ren darüber nicht gerade erfreut, und ich musste meinem Zweitausender Adieu sagen.» Doch Ball blieb ein einzelner Farbtupfer. Die allgemeinen Vorlieben änderten sich bis Ende der 90er-Jahre nicht. Ein echter Fussballer trug Schwarz. Arne Stiel, lange Jahre Verteidiger bei den Grasshoppers, Servette und Aarau, war 16-jährig, als er zum ersten Mal mit einem roten Puma Swiss im Training auftauchte. «Es war mir so etwas von peinlich. Wie der grösste Outlaw kam ich mir vor», erinnert sich der Bruder des früheren Nati-Goalies. Als B-Junior habe er damals nicht genug Geld gehabt für ein Paar Aemme, die damals das «Schönste, das Nonplusultra» gewesen seien, und kaufte sich stattdessen den roten Ladenhüter. Stiel kann aber von Glück reden, dass sich die Episode bloss beim FC Baden zutrug. Verschmitzt fügt der mittlerweile 46-Jährige an: «In Zürich wäre es wahrscheinlich noch viel peinlicher gewesen.» Heute müsste wohl auch einer wie Günter Netzer Farbe bekennen. Bei seinen Gladbachern liefen in der Europa League gegen Fenerbahçe auf: 4 x rot-weiss, viermal Weiss mit schwarzen Streifen, einmal Gelb-Schwarz, einmal Silber-Rot, einmal Silber-Orange. Das Abbild übertrifft sogar die Ergebnisse einer Umfrage unter englischen Jugendspielern: Laut dieser spielen 74 Prozent in nicht schwarzen Schuhen. Weiss ist darunter die beliebteste Variante mit 24 Prozent; 17 Prozent der «Farbigen» tragen rote Latschen, je 12 Prozent favorisieren Blau und Grün. Zum Vergleich: Im Jahr 1996 setzten 100 Prozent auf Schwarz. Heute gilt ein Profi, der einen Copa Mundial oder einen schwarzen Puma King trägt, als Sonderling, als einer, der wohl auch nicht einmal weiss,
Farbe am Fuss welchen Button er auf der Playstation zum Flanken antippen muss. «Der von Puyol» zum Sonderpreis Wer den Fussballcorner Oechslin in Zürich betritt, eines der renommiertesten Fachgeschäfte der Schweiz, fragt nicht nach einem Mercurial Vapor VIII FG oder Predator LZ DB TRX FG (ja, so heissen diese Schuhe wirklich). Er will ganz einfach den Schuh von Messi, Neymar, Ribéry, Ronaldo. Wiedererkennungswert heisst das Stichwort, in Einzelsportarten wie etwa der Leichtathletik schon lange gang und gäbe. Heinz Meier vom Fussballcorner Oechslin bestätigt: «Die Schuhe in den grellen Farben, die von den Topstars getragen werden, sind ganz klar am meisten gefragt.» Und selbstverständlich am teuersten. So kostet etwa das NikeModell, mit dem Puyol seine Gegenspieler umgrätscht, satte 423 Franken – im Aktionspreis. Natürlich bietet das Traditionsgeschäft weiter schwarze Schuhe an wie etwa das hauseigene Modell – laut Meier noch immer ein Selbstläufer. «Denn wenn du bei den Senioren mit einem Schuh in Pink auftauchst, dann lachen die dich aus.» Doch in den Regalen sind die schwarzen Modelle immer weiter hinten zu finden. Und ein Ende des Grell-Wahns sieht Meier auch in herbstzeitlosen Zeiten nicht auf uns zukommen: «Im nächsten Jahr wird es genauso farbig bleiben. Vor allem von Nike wird diese Linie voll durchgezogen.» Für das Farbenchaos auf den Fussballplätzen schieben sich die grossen Sportartikelhersteller die Schuld nicht gegenseitig in die Schuhe. Eher sehen sie sich alle selber verantwortlich dafür. Nike drang erst Anfang Neunziger in den Fussball-Markt ein, hatte aber von Anfang an die Jugend im Visier und trieb es mit seinem «Mercurial» bald ziemlich bunt. Armin Dasslers Puma versuchte schon immer mit auffälligen Aktionen den von Cousin Horst geleiteten Erzfeind Adidas in den Schatten zu stellen. An der WM 1998 schickte man den Kameruner Rigobert Song mit je einem roten und einem gelben Schuh aufs Feld. Für Heinz Meier vom Fussballcorner ist aber klar, was den jetzigen Farbenreigen endgültig auslöste: der silberne Predator
Sie waren die ersten Farbtupfer: Die weissen Schuhe von Evertons Alan Ball.
von David Beckham. «Das war der erste farbige Schuh, der so richtig einschlug, von dem wir gleich mal ein paar Hundert verkauften.» Zwar trugen schon vorher einige Stars eine Predator-Variante, so etwa das magische Stuttgarter Dreieck um Balakov, Elber und Bobic. Doch erst die Beckham-Version, so die einhellige Wahrnehmung, eroberte die Fussballplätze. Aktuell lautet die Frage nicht mehr, ob die Spieler in Farbe über den Rasen laufen, sondern in welcher Farbe. Und hier geht es erstaunlicherweise nicht im-
mer über die Vorlieben der Kicker. Adidas-Sprecher Oliver Brüggen liess sich unlängst so zitieren: «Die Farben, die unsere Werbeträger an den Füssen haben, werden in der Tat von uns diktiert.» Die Stars haben also wenig zu melden beim Aussehen ihrer Ausrüstung. Andere Spieler, die keinen eigenen Schuh haben, aber zumindest die Modelle des offiziellen Klub-Ausrüsters tragen sollten, wissen sich selber zu helfen. Sie ziehen sich den Lieblingsschuh der Konkurrenz an, überkleben dann aber das Logo.
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Farbe am Fuss
Puma-Katalog von 1973 mit dem neuen «Netzer Royal»
Wie steht es eigentlich um die Qualität dieser farbigen Treter aus Kunststoff? Marco Bernet ist Leiter der FCZ-LetziKids. Zusammen mit einem Vertreter aus der Sportartikelbranche führt er jährlich Info-Anlässe für die Eltern der Junioren durch. Die Botschaft lässt sich schnell zusammenfassen. Ein schwarzer Kinderfussballschuh aus Leder ist nicht nur dreimal billiger als die Junioren-Variante des Messi-Modells. Er ist auch von besserer Qualität. «Es geht darum, dass die Kinder auch später noch gesunde Füsse behalten, den Wert des Materials erkennen und so auch auf die Qualität schauen.» Bernet zählt dabei auf die Eltern: «Sie haben es letztlich erzieherisch in den Händen zu sagen, dass dieser oder jener Schuh nicht infrage kommt.» Firmen wie Adidas scheuen sich offensichtlich nicht, an solchen Anlässen über die Wahrheit um die qualitativ minderwertigen Plastikschuhe zu referieren. Vielleicht kennen sie auch die Wirkung, die solche Elternabende im Verhältnis zu ihren Marketingkampagnen erzeugen. Im grossen Markt ist sie gleich Null und sogar bei den Letzi-Kids verschwindend
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Stuttgarts «Magisches Dreieck» in ihren Predator-Tretern.
klein. So tragen in einem Team der U10 etwa nur 3 von 25 einen Lederschuh. Die anderen Kinder – und mit ihnen deren Eltern – eifern trotz intensiver Beratung weiter Messi und Ronaldo nach und nicht irgendwelchen Hygienekriterien. Ferguson und die Farbe Lila In europäischen Grossklubs, vor allem auf der Insel, zieht man da auch einmal andere Saiten auf wider den Sittenzerfall auf Fussballplätzen. So verbot Alex Ferguson 2010 sämtlichen Nachwuchsspielern von Manchester United das Tragen von nicht schwarzen Schuhen. Erst in der ersten und der zweiten Mannschaft ist es ihnen wieder erlaubt, in Lila oder Magenta aufzulaufen. Vorher sollen die Spieler auf dem Boden bleiben und einzig durch Leistung glänzen. Auch bei Middlesbrough, Everton und Sunderland gilt auf dem Campus eine solche Black-Boot-Policy. Das ist das gute Recht von Trainern, die für den Erfolg das Kollektiv über alles stellen müssen. Und es ist grundsätzlich auch zu begrüssen, wenn einer wie Uli Hoeness fordert, man müsse wieder zurück zum Wesentlichen kommen: nämlich
zum Fussballschuh, nicht zur Fussballschuhmode. Trotz allem aber ist Fussball letztlich ein Sport der Individualisten und Ausnahmekönner, wo der vielbeschworene Mannschaftsgeist kaum stärker ausgeprägt ist als etwa bei den Skifahrern. Selbst bei den Amateuren schiesst mancher Stürmer lieber zwei Tore und spielt unentschieden, als dass er mit einem Sieg, aber ohne Skorerpunkte im Gepäck nach Hause fährt. In den Augen der Fans sind es stets einige wenige Aushängeschilder, die einen Klub auf und neben dem Platz geprägt haben und dementsprechend in überirdische Sphären gehoben werden. So spielt der Spieler in erster Linie für sich selbst, und es ist naheliegend, dass er dafür auch seinen eigenen Look und sein spezielles Paar Schuhe braucht. Folgt man allerdings dieser Logik, müsste nun bald wieder einer der Stars in Schwarz auflaufen. Denn wer fällt da schon noch auf, wenn sie alle so verkrampft individuell wirken wollen in ihren türkisen und pinken Tretern? So gleichen sie sich am Ende ja doch wieder. Doch der Fussball denkt eben nicht immer logisch – seine Akteure schon gar nicht.
fankultur
BEZIEHUNGSKRISE «Der Fussballer und der Fan haben keinen Treffpunkt mehr. Der Sportler hat keine Berührungspunkte mehr mit dem gewöhnlichen Menschen.» – Ivan Ergic
POLITIK
HISTORIE
«Man muss mal aufhören mit diesem Wir-müssendifferenzieren.» – Daniel Jositsch, SP-Nationalrat
«Wir warfen damals Eier aufeinander, nicht Fackeln.» Mamo Medalogo, der erste Ultra der Schweiz
MEDIEN «Der ‹Tages-Anzeiger› rapportierte den Platzsturm 1974 mit genau einem Halbsatz, die NZZ verschwieg ihn ganz.»
SKURRIL «1973: Abstimmung unter den Zuschauern, ob das Spiel GC - Chênois vom folgenden Wochenende am Samstag oder am Sonntag ausgetragen werden sollte.»
AUSLAND «Das offensichtliche Ziel war, dass optisch und akustisch wenig attraktiven Kurven in Italien langsam der Nachwuchs ausgeht und das Phänomen stirbt.»
FANS/VEREIN «Während Spieler, Trainer und vor allem Vereinsoffizielle mehr denn je als temporäre Statthalter des Vereins betrachtet werden, sehen sich die Fans zusehends als eigentliche Seele des Fussballklubs.»
PYROS «Über 1500 Grad heiss werden diese Seenotfackeln. Das ist sehr heiss, allerdings misst man auch bei einer Kerzenflamme bis zu 1400 Grad.»
JUSTIZ «Die Fans singen noch immer die Unterhaltungsmusik aus dem Keller ihrer Eltern.»
«Es musste eine Gesetzesgrundlage geschaffen werden, die Fans auf eine ‹einfachere› Weise vom Fussball ausschliessen kann.»
GEWALT
BIER
LIEDGUT
«Randale von A–Z in einem neuen Stil, also keine nachkopierte Scheisse.» – Fanzine «Gewalttäter», 1984
SOZIOLOGIE «Die letzte Gruppe, die streng ritualisiertes Verhalten an den Tag legt, sich in farblich festgelegte Trachten hüllt, Wappen und Hymnen pflegt und einen eigenen Code benutzt, sind die Fussballfans.»
NACHWUCHS «Der Capo der Wisi-Kurve des FC Wiesendangen ist 13, die Hälfte der Kurve trägt Spange, und für Choreos brauchen sie meist die Hilfe von Mutter.»
Irgendwie verdammt vielseitig, dieses Thema. Darum ist unser Sonderheft «Fankultur» auch 120 Seiten stark. Das sind umgerechnet fast zwei ZWÖLF. Für alle, die mehr über die Faszination Fankurve wissen wollen. Erhältlich direkt bei uns auf www.zwoelf.ch/fankultur für ebenso faszinierende 9.50 Franken.
«Wie gross die Bedeutung von Bier für Matchbesucher ist, zeigen Feldstudien. Brüggli-Feldstudien, um zu präzisieren. Die Annahme, dass weniger Zuschauer weniger Bier trinken, erwies sich in der Praxis als unterklassig.»
künzli in den usa
Fritz in America
In der letzten Ausgabe fragten wir: Der weitgereiste Miroslav Blazevic trainierte hierzulande zahlreiche Vereine. Dabei arbeitete er auch mit dem Spieler zusammen, der die meisten Schweizer Torjägerkronen sammelte. Doch ausgerechnet der wechselte für mehrere Monate ins Ausland. In welche Liga? Die Antwort: Fritz Künzli in die NASL (National American Soccer League).
Text: Silvan Lerch Bilder: RDB
Rekord-Torschützenkönig, Schwerverletzter, Lebemann: Fritz Künzli war vieles – auch der erste Schweizer in der nordamerikanischen Profiliga. Erinnerungen an ein Abenteuer.
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r traf aus allen Winkeln, mit links und rechts. Seine Tore waren nicht nur zahlreich, sondern oft auch ein Ereignis. Gerne gingen ihnen unwiderstehliche Sprints voran. Oder dann zeichneten sie sich durch pragmatische Schlichtheit aus. In solchen Momenten hatte sich Fritz Künzli wieder einmal rechtzeitig an allen Verteidigern vorbeigeschlichen und vor dem gegnerischen Tor postiert, wo er nur noch einzunicken brauchte. Der Glarner galt als geborener Knipser. In der Nationalmannschaft gelang ihm in durchschnittlich jedem dritten Spiel ein Treffer. Und auf der nationalen Bühne gab es für Künzli erst recht kein Halten. Während seiner Karriere zwischen 1964 und 1978 holte er sich nicht weniger als viermal die Schweizer Torjägerkrone: ein Rekord, der bis heute anhält. Dreimal durfte er den Thron des treffsichersten Spielers im FCZ- und einmal im Lausanne-Dress besteigen.
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Bei seinem Abstecher ins Ausland blieb ihm allerdings ein königlicher Empfang verwehrt. Kein Empfang, kein Training, kein Masseur Im Sommer 1978 wechselte Künzli in die nordamerikanische Profiliga NASL – als erster Schweizer. Die Destination lautete San Diego. Bloss, am Flughafen in Kalifornien wars mit der Treffsicherheit vorbei. Künzli wartete geduldig, ein Vertreter des lokalen Fussballklubs erschien trotzdem nicht. So musste sich der 32-Jährige zu seinem neuen Arbeitgeber durchfragen. Endlich auf dem Vereinsgelände angekommen, erhielt er als Erstes Autoschlüssel in die Hand gedrückt, kombiniert mit der Aufforderung, sich ein Hotel zu suchen. Zum Training müsse er erst am nächsten Morgen erscheinen. Auf dem Weg dorthin ging die Sucherei von vorne los. Zwei
Stunden lang kurvte Künzli durch die fremde Stadt, bis er den Trainingsplatz fand. Dann war er bei den San Diego Sockers angelangt – nur nicht so richtig angekommen. Seine erste Partie musste der Schweizer Neuzugang vornehmlich von der Bank aus verfolgen. Erst in der 70. Minute wechselte ihn der Trainer ein, was Künzli nicht beirrte. Kaum auf dem Platz, hatte er schon getroffen. Ein Einstand nach Mass – und mit Sieg. Geduld war indes weiterhin gefragt. Profi Künzli freute sich in der Kabine auf eine erfrischende Massage, immerhin hatte er einen langen Flug in den Knochen. Ärztliche Betreuung dieser Art kannten die Sockers jedoch nicht. Dabei wäre sie vonnöten gewesen. Der Rhythmus in der NASL sah bis zu drei Spiele pro Woche vor. Regenerative Massnahmen hätten den Fussballern geholfen, ihren Körper zu schonen, zumal zwischen den Partien
mehrstündige, ungemütliche Bus- und Flugreisen standen. Freilich, nur Stress herrschte keineswegs. Schnell hatte Künzli erkannt, dass in der Liga «taktisch noch nichts da» sei, wie er sich kurz nach seiner Ankunft gegenüber dem Schweizer Fernsehen äusserte. Es fehle an System und Athletik, der Kampf dominiere. Zudem wurde auf Trainingseinheiten verzichtet, um den Spielern genügend Ruhephasen zu verschaffen. «Wir konnten höchstens mal noch ein paar Freistösse üben», verriet Künzli dem «Blick». Missfallen hat ihm diese Prioritätensetzung aber nicht. Künzli, der dank Porsche und Frauengeschichten in der Schweiz als Lebemann galt, genoss den American Way of Soccer-Life. Nichts tat er lieber, als in Matches zu spielen. Vom Verstossenen zum König Künzli wusste, was er am Fussball hatte. Schon zwei Jahre zuvor waren bei ihm
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erste Verschleisserscheinungen aufgetreten. «Wenn ich morgens aus dem Bett kletterte, konnte ich kaum stehen. Die Achillessehnen waren völlig überreizt», erinnerte er sich in Beat Jungs Buch «Die Nati». So glorreich die Karriere des Glarners verlaufen war, so früh schien sie ein Ende zu nehmen. Künzlis Entdecker, der damalige FCZ-Präsident Edi Nägeli, schob den 30-Jährigen 1976 zum FC Winterthur ab. Auf der Schützenwiese blühte der Verstossene indes wieder auf. Bald darauf holte ihn Miroslav Blazevic zum ambitionierten Lausanne, wo Künzli einmal mehr so viele Treffer in einer Saison erzielte wie kein anderer. Der ideale Moment war gekommen, um zu gänzlich neuen Ufern aufzubrechen. Künzli startete sein US-Abenteuer – während der WM in Argentinien. Da die USA 1978 nicht zum erlauchten Kreis der Endrunden-Teilnehmer zählte, sah es die NASL nicht für erforderlich
an, die nationale Meisterschaft zu unterbrechen. Das zahlte sich für Künzli aus. 10 000 Franken verdiente er pro Monat, mehr als in der Schweiz. Dazu kam der Verein für Auto und Hotel auf. «Ich lebte fürstlich. Tagsüber war Swimmingpool und abends Ausgang angesagt. Das ging problemlos mit dem Sport zusammen. Denn die Liga hatte nur NLB-Niveau», gab Künzli im «Blick» zu. Er gehörte zu den Privilegierten, ganz im Gegensatz zu den einheimischen Spielern. Um die Liga attraktiver zu machen, verpflichteten die Klubs vor allem Ausländer und entlöhnten sie grosszügig. Da blieb für die wenigen US-Boys, die Aufnahme in die Kaderlisten gefunden hatten, kaum etwas übrig. Laut Künzli konnten die sich «nur Hamburger leisten. Erst beim Essen vor dem Spiel, das der Klub bezahlte, hauten sie voll rein.» Noch schlechter als den Einheimischen erging es bei den San Diego Sockers bloss Eusebio. Der portugiesische Altstar soll dem Klub seine Dienste gratis
künzli in den usa
angeboten haben. Der jedoch beschied ihm: «Wir brauchen dich nicht.» Eusebio sei mit 35 Jahren zu alt, sein rechtes Knie zu kaputt. Vaseline vor dem Spiel Doch auch Künzli bekam mit 35 Jahren sein Fett weg. «Du bist zu dick», befand der Trainer. Keine Aussage, die zu einem längeren Verbleib im Klub einlud. Nach nur gerade zwei Einsätzen und noch vor Ablauf des zweimonatigen Probevertrags zog der Schweizer weiter, nach Houston. Das dort ansässige Team namens Hurricane hatte erst kurz vor Saisonbeginn eine Lizenz erhalten. Entsprechend froh
waren die Verantwortlichen um jeden halbwegs brauchbaren Spieler. Für den neu gegründeten Verein bestritt Künzli die verbleibenden acht Partien der Meisterschaft. Wie ein Hurrikan trat die Truppe dabei aber nicht auf. Sie dümpelte in ihrer Gruppe am Tabellenende herum, was den tiefsten Publikumszuspruch der Liga zur Folge hatte: im Durchschnitt 5800 Zuschauer. Zu den wenigen, die hohes Ansehen genossen, zählte Künzli – trotz bloss zweier Tore. «Er ist einer der besten Spieler der Liga», beschied sein neuer Trainer. Dieser wollte ihn denn auch längerfristig an den Klub binden. Ganz
heimisch wurde der Glarner in den USA aber nicht. Er störte sich nicht zuletzt an den Nachmittagsspielen um 14 Uhr. Bei glühender Hitze mussten die Teams auf Gummiplätzen gegeneinander antreten. Damit die Füsse nicht verbrannten, rieb sie Künzli jeweils mit Vaseline ein. Jedes Schuhpaar habe man genau für eine Partie tragen können, «dann war es kaputt». Kurz darauf kehrte der 42-fache Internationale in die Schweiz zurück, wo er bis zum Winter 1978 wieder für Lausanne stürmte. Dann beendete er eine Karriere, die nicht nur reich an Erfolgen und Toren war, sondern mindestens so sehr an Anekdoten.
Das grosse adidas-Quiz ZWÖLF präsentiert in jeder Ausgabe das etwas anspruchsvollere Quiz. Zusammen mit adidas stellen wir euch jeweils eine Frage, für die einschlägige Internetsuchportale mit einer einfachen Abfrage keine brauchbaren Resultate liefern. Wer hier reüssiert, darf sich mit Recht zum erlauchten Kreis der Fussballkenner zählen. Stellt ihr euch der Herausforderung?
FRAGE: Wer war der letzte Ausländer, der sowohl für die Basler Stadtklubs FCB und Concordia wie auch für die Zürcher Rivalen GC und FCZ gespielt hat? Mitmachen geht so: Email mit der richtigen Lösung an wettbewerb@zwoelf.ch. Einsendeschluss ist der 25. November 2012.
Zu gewinnen gibts natürlich auch etwas. Wer die richtige Antwort auf diese Frage weiss, darf sich mit etwas Glück bald stolzer Besitzer des «Adidas UEFA Champions League 2012 Finale Official Match Ball» nennen.
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ÂŤDas ist bei Weitem das Beste, was ich in meiner Laufbahn erlebt habeÂť Interview: Mario Gehrer Bilder: Claudio Baeggli
Die Luxemburger Jeff Saibene (44) und Mario Mutsch (28) erleben beim Aufsteiger FC St. Gallen einen sportlichen Höhenflug. Im ZWÖLF-Interview sprechen sie über grosse Auftritte im Wembley, richtungsweisende Telefonate und verpasste Chancen, die noch heute schmerzen. Und auch der FCSG kommt nicht zu kurz.
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saibene / Mutsch Jeff Saibene, hat sich die luxemburgische Presse heute schon bei Ihnen gemeldet? Saibene: Ich hatte heute Morgen um 9 Uhr schon einen Termin mit RTLRadio, ein 10-minütiges Interview. Das passiert in letzter Zeit regelmässig. Ihr beide seid der fussballerische Exportschlager aus Luxemburg. Spürt ihr das auch? Saibene: Im Moment ist das Interesse sehr gross. Viele Leute in Luxemburg schauen sich über das Internet sogar die Spiele des FC St. Gallen an. Das hätte ich nie gedacht. Wir sind im Moment tatsächlich das grosse Thema. Mutsch: Ich habe jetzt schon Telefonate von luxemburgischen Fussball-Legenden erhalten. So zum Beispiel von Nico Braun (spielte in den Siebzigerjahren für Schalke und Metz, Anm.). Er hat mir gratuliert und auch Jeff – zur Arbeit, die wir hier machen. Daran merkt man, dass die Anerkennung da ist. Das freut mich sehr. Kann Fussball überhaupt populär sein in einem Land, das seit je ein FussballLeichtgewicht ist? Saibene: Fussball und Radsport sind enorm populär. Sobald es nur ein wenig läuft, ist das Interesse für den Fussball da, zuletzt nach dem knappen 1:2 gegen Portugal in der WM-Qualifikation und dem 1:1 gegen Nordirland. Aber der Luxemburger ist sehr kritisch und verwöhnt und überschätzt sich manchmal. Oftmals sind die Erwartungen des Publikums nicht realistisch.
«Mein erster Profivertrag war finanziell ein Rückschritt.» Mario Mutsch Mario Mutsch, du hast in diesen beiden Partien gespielt. Ist man in Luxemburg denn tatsächlich froh, wenn man als Fussballzwerg einfach nur knapp verliert? Mutsch: Nein, nicht mehr. Mit unserem neuen Nationaltrainer Luc Holtz spielen
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wir nun auch etwas offensiver. Wir haben gegen Portugal ein Tor geschossen und unsere Leistung in Nordirland bestätigt. Jeff Saibene, Sie haben 1995 als Nationalspieler eine luxemburgische Sternstunde hautnah miterlebt. Saibene: Wir haben 10 Punkte geholt in der EM-Qualifikation – unter anderem dank einem Sieg gegen Tschechien, den späteren EM-Finalisten! Die hätten wegen der Niederlage gegen uns beinahe die EM verpasst. Für uns war das ein RiesenHighlight. Damals hatten wir fünf, sechs Spieler in der Nationalmannschaft, die im Ausland tätig waren. Neben dir, Mario, gibt es noch genau einen weiteren luxemburgischen Fussballprofi im Ausland. Sind deine Landsleute zu bequem? Mutsch: Nein, aber der Sprung in den Profifussball ist schwierig. Ich hoffe, dass das einige der jungen Spieler in unserer Nationalmannschaft schaffen. Es wäre toll, wenn sie in den Nachbarländern nur schon in der dritthöchsten oder in der zweithöchsten Liga spielen könnten. Zudem ist es nie zu spät für den Einstieg ins Profigeschäft: Aurélien Joachim ist das beste Beispiel. Nach tollen Auftritten mit Düdelingen in der ChampionsLeague-Qualifikation hat er im Sommer bei Willem II Tilburg in Holland seinen ersten Profivertrag unterschrieben. Mit 26 Jahren! Den Exploit von Düdelingen gegen Red Bull Salzburg ausgenommen, wird die luxemburgische Liga im Ausland überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Dennoch soll die Entlöhnung sehr gut sein. Mutsch: Die Spieler in Luxemburg arbeiten nebenher. Das habe ich bis zu meinem ersten Profivertrag beim FC Aarau auch getan. Arbeit und Fussball zusammen, das ist zwar hart, aber mit beidem zusammen kommst du auf ein schönes Gehalt. So war mein erster Profivertrag ein Rückschritt in finanzieller Hinsicht. Aber mir ging es nicht ums Geld, sondern um den Sprung ins Profigeschäft.
Saibene: Es ist absoluter Blödsinn, dass die Fussballer in Luxemburg auf den Profistatus verzichten, nur um mit Arbeit und Fussball doppelt zu verdienen. Wenn ein Spieler in Luxemburg das Potenzial zum Profi hat, dann wird er Profi. Die Leute mögen sagen, dass die Fussballer diesen Schritt nicht machen wollen, weil sie so auf 6000, 7000 Euro im Monat verzichten. Ich bin aber überzeugt: Wenn ein Spieler der Nationalmannschaft ein Profi-Angebot bekäme, würde er annehmen. Aber das Problem ist, dass niemand gefragt wird. Fertig. Sie sind dieses Risiko auch eingegangen, als sie mit 15 Jahren des Fussballs wegen nach Belgien gingen. Sie haben dafür sogar auf eine Ausbildung verzichtet. Würden Sie das heute noch einmal so machen? Saibene: Schwierig. Ich habe Glück gehabt. Ich bin sehr früh ins Ausland gegangen, bekam mit 17 Jahren meinen ersten Profivertrag bei Standard Lüttich und habe daraufhin meine Ausbildung abgebrochen. Bislang bereue ich es nicht. Sie waren aber auch neben Ihrem Profidasein unternehmerisch tätig – als Inhaber eines Sportgeschäfts in Luxemburg. Saibene: (lacht). Das ist aber lange her. Ich hatte die Vertretung einer italienischen Marke und verkaufte nur Fussballartikel. Das war quasi mein zweites Standbein. Ich war Besitzer des Geschäfts, ein anderer hat es geführt. Die Rechnung ging aber immer nur so knapp auf. Ich war froh, als ich das Geschäft dann eines Tages loswurde. Du, Mario, hast auf einen Beruf gesetzt. Mutsch: Ich hatte mit 15 Jahren keine Lust mehr auf die Schule und begann eine Lehre als Automechaniker. Mit 18 Jahren konnte ich die Lehre erfolgreich abschliessen. Danach habe ich noch drei Jahre im Lehrbetrieb gearbeitet. Erledigst du den Ölwechsel immer noch selbst? Mutsch: Eigentlich nicht, dazu fehlen mir die nötigen Werkzeuge und das nötige Material. Aber ich lasse auch nicht gerne
andere Mechaniker an meinen Fahrzeugen arbeiten. Denn für mich muss bei Auto und Motorrad wirklich alles seine Ordnung haben. Da kann es schon vorkommen, dass ich in der Garage dann noch korrigiere. Wenn ich die Zeit habe und bei meinem Lehrbetrieb in Belgien vorbeikomme, dann schraube ich hin und wieder wirklich selbst. Du bist in Belgien aufgewachsen. Weshalb bist du überhaupt Luxemburger? Mutsch: Es ging um die berufliche Perspektive. Ich habe wie gesagt in Belgien als Automechaniker gearbeitet und mir auf dem Arbeitsmarkt in Luxemburg bessere Chancen ausgerechnet. Mein Vater ist Luxemburger, so habe ich mit 20 Jahren den luxemburgischen Pass beantragt. Ein Bekannter unserer Familie hat dann vorgeschlagen, dass wir doch den luxemburgischen Fussballverband anrufen könnten, um von mir, dem in Belgien wohnhaften Luxemburg-Belgier, zu berichten. Du hast dich dem Verband tatsächlich selbst angeboten? Mutsch: Der Bekannte hat schliesslich den damaligen Nationaltrainer Guy Hellers angerufen und ihm diese Geschichte erzählt. Danach ging ich zum Probetraining und war bald Teil der Nationalmannschaft.
Sie, Jeff Saibene, waren einige Jahre vor Mario Mutsch in der Nationalmannschaft aktiv, zu Zeiten, als der Fussball noch nicht so stark professionalisiert war. Verkamen diese Reisen mit der Nationalmannschaft jeweils zu einer Art «gemeinsamem Ausflug einer lustigen Truppe»? Saibene: In den Neunzigerjahren gab es die ersten Zusammenzüge. Die Amateure wurden damals vom Job freigestellt und konnten mit den wenigen Profis trainieren. Es waren die Zeiten, in denen man begann, professioneller zu denken. Dennoch geben auch Sie als einen Ihrer grössten Länderspiel-Erfolge eine knappe Niederlage an: ein 2:3 gegen Deutschland. Saibene: Das war ein super Event. Das war 1990, Deutschland kam als frischgebackener Weltmeister zum ersten Länderspiel nach der WM zu uns nach Luxemburg. Es war die Ära von Völler, Klinsmann und Matthäus. Das war ein Riesen-Highlight damals – und wir hätten ihnen beinahe ein Unentschieden abgetrotzt. Ich erinnere mich noch an den anschliessenden Titel in der «Bild»Zeitung: «Und ihr wollt Weltmeister sein? Ihr Waldmeister!»
Mario Mutsch, vor deinem Gastspiel mit Luxemburg in der Schweiz vor drei Jahren biss Gökhan Inler genüsslich in eine Handvoll Luxemburgerli. War das damals ein Thema vor dem Spiel? Mutsch: Ich habe das erst im Nachhinein gesehen. Ich lese nur sehr selten Zeitungen vor den Spielen. Diese Partie gegen die Schweiz war mein ganz spezielles Spiel, auch weil ich damals in Aarau unter Vertrag stand. Ich weiss noch, dass ich damals einfach nicht mit einer «Klatsche» nach Hause gehen wollte – und kam schlussendlich als Sieger heim. Als Luxemburger ist man aber wohl per se der Underdog. Haben Sie sich im Laufe Ihrer Karriere jeweils besonders beweisen müssen, weil Sie als Ausländer in einem Team halt keine Brasilianer waren, sondern eben «nur» Luxemburger? Saibene: Zu Beginn meiner Karriere traf das sicherlich teilweise zu. Ich dachte mir oft, dass ich es als «kleiner Luxemburger» schwerer habe. Als Trainer ist das nun aber kein Problem mehr, vielleicht auch, weil ich seit über 20 Jahren hier in der Schweiz lebe und mich viele auch als Schweizer sehen. Mutsch: Ich hatte dieses Gefühl nie. Vielleicht transportieren auch nur die Medien
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dieses Klischee. Schliesslich hat auch Inler im Auftrag einer Boulevardzeitung in die Luxemburgerli gebissen. Ihr seid nun bei einem Verein, der nicht die ganz grossen Ambitionen hat. Überhaupt wart ihr in euren Karrieren mehrheitlich bei Klubs, die für solides Fussballschaffen standen. Ist es schwierig, einzuschätzen, zu wie viel es dann tatsächlich reicht während einer Karriere? Saibene: Wir sind ja noch nicht so alt – Mario als Spieler und ich als Trainer –, dass der grosse Coup nicht doch noch gelingen könnte. Im Moment sind wir beim FC St. Gallen top, und wer weiss, was da noch alles passieren kann. Man muss immer Ambitionen haben, um weiterzukommen, ich habe das auch als Trainer. Jetzt will ich in St. Gallen Erfolg haben, und das könnte mir als Trainer sicherlich die Chance bieten, noch einmal einen «Gump» zu machen. Wohin? Saibene: Wir schauen immer auf die Bundesliga. Ich will jetzt nicht übermütig werden, aber wenn es in der Schweiz gut läuft, wenn man Erfolg hat und Titel holt, dann wird man auch im Ausland schnell zum Thema. Die Bundesliga ist schon ein Traum, aber ich bin auch hier in St. Gallen ganz zufrieden.
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Gibt es einen Lieblingsverein in der Bundesliga? Saibene: Den HSV. Vor allem die grossen Mannschaften aus den Siebziger- und Achtzigerjahren haben mich fasziniert. Damals, als der HSV den UEFA-Cup gewann und Spieler wie Hrubesch, Kaltz oder Keegan in seinen Reihen hatte. Du, Mario, hast ja zumindest schon an der Bundesliga geschnuppert… Mutsch: Ich stand ein Jahr bei der zweiten Mannschaft von Alemannia Aachen unter Vertrag, als die Erste in der Bundesliga spielte. In Aachen hätten sie gerne verlängert, aber ich wollte unbedingt Profi werden, und das konnte ich in der zweiten Mannschaft nicht. So kam ich dann – auch dank Jeff – in Aarau unter und unterschrieb dort meinen ersten Profivertrag. Und jetzt spiele ich in St. Gallen, in einer Mannschaft, die Erfolg hat – und das öffnet jedem Spieler neue Möglichkeiten. Eines Tages… … wird die Bundesliga zum Thema? Mutsch: Das ist ein Traum, aber momentan spiele ich in St. Gallen. Wenn wir hier Erfolg haben, profitieren alle davon. Wer weiss, vielleicht können wir nächstes Jahr europäisch spielen.
International konntet ihr vorwiegend dank eurer Staatsangehörigkeit spielen. Wie fest bereichern diese Länderspiele eure Karrieren? Saibene: Wir haben Erlebnisse, die nicht jeder Fussballer machen darf. Ich habe im Wembley gespielt, das Trikot mit David Beckham getauscht. Das sind Dinge, die ich als Italiener kaum hätte erleben können. Mutsch: Ich konnte beispielsweise mit Franck Ribéry das Trikot tauschen oder jüngst mit Portugals João Pereira. Aber das bedeutet mir weit weniger als das eigentliche Spiel. Das Leibchen von Ribéry habe ich dann an einen Freund weitergegeben, der mir auch schon viel geholfen hat. Jeff Saibene, wieso haben Sie in der Nationalmannschaft in 64 Spielen eigentlich nie ein Tor geschossen? Saibene: Wir sind damals selten vors Tor gekommen. (Saibene und Mutsch lachen.) Das Toreschiessen war aber nie eine Stärke von mir. Ich hatte einige Chancen auf ein Länderspieltor, manche sehe ich noch heute deutlich vor mir. Ganz schlimm. Mutsch: Ich habe bereits ein Tor erzielt, gegen Belgien. Ausgerechnet gegen das Land, in dem ich aufgewachsen bin. Ich hatte zu Beginn meiner Karriere einmal sogar ein Aufgebot für Belgiens U16, war
saibene / Mutsch damals aber verletzt und habe danach nie mehr etwas gehört. Saibene: Das mit Mutschs Tor war eine abgekartete Sache. Der belgische und der luxemburgische Fussballverband haben das seinerzeit untereinander abgesprochen. Jeff Saibene, Sie sind tatsächlich eifersüchtig. Saibene: (lacht) Schon ein wenig. Wie war das denn mit diesem Tor? Mutsch: Es war schon ein gutes Gefühl. So viele Torchancen habe ich nämlich auch nicht (lacht). Es waren damals auch ein paar gute Freunde aus Belgien im Stadion, die haben dann vor dem Spiel Scherze gemacht, dass sie als Flitzer über den Rasen laufen würden, wenn ich ein Tor erziele. Saibene: Darauf wartest du aber noch heute. Jeff Saibene, Sie haben vorhin erwähnt, dass wohl viele sie als Schweizer sehen. Was bedeutet Ihnen die Schweiz? Sehr viel. Ich habe mir unterdessen sogar die nötigen Papiere besorgt, um Schweizer zu werden, und ich werde diese nun ausfüllen. Meine beiden Söhne haben den Schweizer Pass, meine Frau ist Schweizerin, ich bin schon fast 20 Jahre mit ihr verheiratet, und ich fühle mich als Schweizer. Dann büffeln Sie nun für den Einbürgerungstest? Saibene: (lacht) Den gibt es nicht mehr, oder? Da habe ich mich erkundigt. Ich wüsste schon einiges über die Schweiz, aber ob es für diesen Test reichen würde… Die Schweiz ist einfach unglaublich schön, die Mentalität sagt mir zu, man fühlt sich überall willkommen, und auch deshalb möchte ich hier in der Schweiz bleiben. Mutsch: Für mich wird es ein bisschen schwieriger, den Schweizer Pass zu beantragen (lacht). Aber ich schätze die Lebensqualität in der Schweiz. Ich habe jetzt zwei Jahre in der Deutschschweiz gelebt und ein Jahr im Wallis. Dort sind die Leute eher etwas für sich. Dafür ist es
hier in St. Gallen im Vergleich zum Wallis oder zum Tessin viel kälter. Umso heissblütiger sind die St. Galler Fans. Mutsch: Vom Publikum und der Atmosphäre her ist ein Auftritt im Tourbillon auch etwas sehr Schönes. Ich erinnere mich gerne an das Spiel mit dem FC Sion in der Europa-League-Qualifikation gegen Celtic Glasgow. Das Publikum hier in St. Gallen ist aber noch eine Klasse besser. In den letzten Heimspielen konnten wir vor 15 000 bis 18 000 Zuschauern spielen. Mit dieser grünen Wand hinter dem Tor, da sieht man, dass St. Gallen eine gute Adresse ist. Saibene: Das ist bei Weitem das Beste, was ich in meiner Laufbahn erlebt habe. Das sind natürlich Welten im Vergleich zu Aarau. Hier ist schon mit dem Stadion und dem Umfeld eine grosse Begeisterung da; es ist wirklich speziell, hier zu arbeiten. Eine Top-Adresse. Sie gelten als bescheiden, brav, als Mann mit guten Manieren, obwohl Sie nicht müde werden, dieses Bild zumindest in Ansätzen zu widerlegen. Können Sie wirklich so richtig böse sein? Saibene: Ich habe mich ein einziges Mal zum Affen gemacht: Als Trainer der luxemburgischen U19-Nationalmannschaft bin ich in der Pause so richtig ausgerastet. Wir hatten eine Ärztin dabei, die danach am Abend mit mir zusammensitzen wollte. Sie hat mir dann gesagt, dass sie von meinem Auftritt geschockt gewesen sei, und hat mich gefragt, ob ich das wirklich nötig hätte, um mir Akzeptanz zu verschaffen. Das hat mich geprägt, denn natürlich musste ich ihr recht geben. Seither passieren solche Sachen nur noch selten – und schon gar nicht in diesem Ausmass. Aber es kommt immer noch vor? Saibene: Es ist wichtig, dass die Spieler merken, dass der Trainer Fehler anspricht, dass er sagt, wo es langgeht, und konsequent ist bei seinen Entscheidungen. Aber ich muss keine Spieler
Jeff Saibene
Geboren am 13. September 1968 begann seine Fussballkarriere in Luxemburg, bevor er als 19-Jähriger zum ersten Mal in die Schweiz kam. Drei Mal spielte er in seiner Aktivzeit für den FC Aarau, bei dem er mit dem Meistertitel 1993 seinen grössten Erfolg feierte. Weitere Stationen hierzulande waren die Old Boys, der FC Monthey und der FC Locarno. Parallel dazu kam Saibene zu 64 Spielen mit der Nationalmannschaft. Auch als Trainer war Saibene mehrheitlich in der Schweiz tätig: In Thun amtete er als Assistenztrainer und bewahrte die Berner Oberländer 2007 als Interimscoach vor dem Abstieg. In Aarau wurde er im Oktober 2009 entlassen, worauf er nach Luxemburg zurückkehrte, um dort als Nachwuchskoordinator und U21-Nationaltrainer zu arbeiten. Im März 2011 übernahm er den FC St. Gallen. Saibene ist seit knapp 20 Jahren verheiratet und wohnt mit seinen beiden Söhnen und seiner Frau im Kanton Aargau.
beschimpfen. Ich habe das Gefühl, dass ich auch so gut respektiert werde. Mutsch: Ich habe Jeff ja nur von seiner Zeit als Assistenztrainer in Aarau gekannt und aus Kreisen der Nationalmannschaft. Der Trainer hat das Recht, Sachen deutlich anzusprechen. Ich habe in meiner Karriere ja schon einige Trainer erlebt… …alleine in Sion! Mutsch: Da waren es nur zwei, Laurent Roussey und für den letzten Monat noch Vladimir Petkovic. Jedenfalls: Jeder Trainer ist verschieden und handelt je nach Situation unterschiedlich. Hier in St. Gallen sind im Moment Erfolg und Gelassenheit da, in einer schwierigen Lage würde anders auf gewisse Dinge reagiert werden. Zudem: Auch wir Spieler reagieren emotional, wir leisten uns auch Gesten und Dinge, die man nicht machen sollte.
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sAibene / Mutsch
Mario Mutsch Geboren am 3. September 1984
ist einer von aktuell zwei Fussballprofis aus Luxemburg. Mutsch wuchs in St. Veith in Belgien auf und beantragte mit 20 Jahren den luxemburgischen Pass. 2006 wechselte er aus Belgien zu Aachen II nach Deutschland. Sein erstes Profi-Engagement kam dank der Empfehlung Jeff Saibenes 2007 beim FC Aarau zustande. Via Metz wechselte Mutsch 2011 zum FC Sion, obschon Saibene ihn schon damals gerne nach St. Gallen geholt hätte. Im Wallis war Mutsch einer jener sechs Transfers, die der Verein aufgrund eines FIFA-Urteils nicht hätte tätigen dürfen. Der Luxemburger fand sich bald auf der Ersatzbank wieder und erhielt von Christian Constantin die vorzeitige Freigabe. So wurde im Sommer Mutschs Wechsel zum FC St. Gallen möglich. Mario Mutsch hat für die luxemburgische Nationalmannschaft bislang 56 Partien bestritten und dabei ein Tor erzielt.
So wie im Spiel gegen GC, als du deinem Gegenspieler Toko den Ball absichtlich ins Gesicht geworfen hast und mit einer Gelben Karte davonkamst? Hat dir Jeff Saibene danach den Kopf gewaschen? Saibene: Ich habe das am Tag darauf angesprochen. Mutsch: Es hat ihm nicht gefallen. Wir hatten Augenkontakt in dem Moment … Saibene: Nicht nur Augenkontakt. Mutsch: Das gehört dazu. Ich war auch nach dem Spiel noch aufgebracht, weil wir zum ersten Mal verloren hatten. Allerspätestens nach der Dusche habe ich mir dann die Frage gestellt, ob das wirklich nötig war. Hier in St. Gallen können wir mit Mentaltrainern arbeiten. Sie zeigen dir auf, wie du solche Szenen vermeiden oder nach einer solchen Situation wieder zurück ins Spiel finden kannst. Bringt dir das Mentaltraining etwas? Mutsch: Ja. Ich hatte es in Aachen schon einmal erlebt, als ich für kurze Zeit mit der Bundesliga-Mannschaft trainieren konnte. Mir tut das gut, gerade auf dem Platz
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bin ich impulsiv. Dabei sollte man sich während des Spiels nicht ablenken lassen. Mentale Stärke haben Sie auch gebraucht, Jeff Saibene, als Sie im Mai bei der Aufstiegsfeier im eigenen Stadion ausgepfiffen wurden. Saibene: Es war eine intensive Phase. Ich war froh, dass ich danach in die Sommerferien gehen konnte. Die Zeit hat mich irrsinnig geprägt. Wenn man jetzt sieht, dass sich die Situation in wenigen Monaten komplett gedreht hat, ist es für mich noch wichtiger, dass man im Fussballgeschäft den Alltag nicht überbewertet, im Guten wie auch im Schlechten. Hatten Sie nach diesen Pfiffen wenigstens kurze Zeit das Gefühl, am liebsten alles hinwerfen zu wollen? Saibene: Nein, das war nie ein Thema. Ich dachte mir, dass ich in der Super League nur gewinnen kann – und so kam es. Wir hatten im Juli keinen Kredit, weder die Mannschaft noch der Sportchef und auch ich nicht. Also die perfekte Ausgangslage, um etwas zu bewirken. Sie haben sich nach dem 2:0-Auswärtserfolg gegen den FC Zürich schon beinahe wie Jürgen Klopp vor der Fankurve feiern lassen… Saibene: (lacht). Das war ein sehr schöner Moment. Da merkte ich: «So schnell geht das.» Die Fans hatten beim Verlassen des Feldes meinen Namen gerufen, so ging ich noch einmal zurück. Ich dachte mir, jetzt können sie einiges wieder gutmachen. (lacht) Ich denke, dass auch bei einigen Fans durchdrückt, dass nicht alles so korrekt abgelaufen ist im Frühling. Heute sagen sie wohl, dass der Saibene vielleicht doch nicht so schlecht ist, wie sie gedacht haben. Die Szene im Letzigrund war eine kleine Entschädigung, aber das ist jetzt alles nicht mehr so wichtig. Dabei wären Sie um ein Haar nicht Trainer geworden, sondern Abwart. Saibene: Meine letzte Station als Spieler war Swift Hesperange in Luxemburg. Dort bekam ich das Angebot, weiter Fussball zu spielen und parallel als Ab-
wart des neuen Sportkomplexes zu arbeiten. Es wäre zumindest teilweise eine Abkehr vom Fussballgeschäft gewesen. Aber wenn es keine Angebote gibt, dann bist du eben gezwungen, dich neu zu orientieren. Der Sportkomplex war toll, mit Fussballplatz und Sporthallen, und ich wäre zumindest im Sportbereich geblieben. Das wäre nicht uninteressant gewesen. Doch kurz darauf kam die Anfrage, ob ich nicht als Nachwuchstrainer zum luxemburgischen Verband wechseln wolle. Da sagte ich zu. Nach Ihren Gastspielen in Thun und Aarau sind Sie auch wieder zum Verband zurückgekehrt, als Nachwuchskoordinator und Coach der U21Nationalmannschaft. Doch 2011 dann erneut der Wechsel in die Schweiz, zu St. Gallen. Hat Ihnen in Luxemburg die Perspektive gefehlt? Saibene: Ich sass in Luxemburg im Büro und habe mir gedacht: Es geht bis hierhin und nicht weiter. Das Land ist so klein, und es gibt so wenig Potenzial. Als das Angebot aus St. Gallen kam, war mir klar, dass ich es noch einmal riskieren wollte. Das Risiko hat sich ausgezahlt. Was will man den Fans jetzt noch bieten? Mutsch: Klar, wir hatten einen überragenden Start, deshalb muss das obere Tabellendrittel unser Ziel sein. Der Weg nach oben ist offen, und dahin müssen wir uns orientieren. Der FC St. Gallen steht sehr gut da, mit Beginn der Olma stehen in der Ostschweiz feierliche Zeiten an. Die Stimmung dürfte ausgelassen sein… Saibene: Oh ja, bestimmt. Wir werden mit der ganzen Mannschaft die Olma besuchen, das wird ein grosser Spass! Mario, warst du noch nie an der Olma? Da lernst du was kennen! Mutsch: Nein, aber ich werde es ohnehin verpassen. Ich bin mit der Nationalmannschaft unterwegs, wir spielen innerhalb von vier Tagen zwei Mal gegen Israel. Einen Gegner, an den ich keine guten Erinnerungen habe. Da gingen wir einmal mit 0:7 unter.
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Der Mantel wärmt nicht jeden Text: Martin Bieri Bild: Imago
Die Mantelnutzung der Stadien galt lange als Wundermittel gegen die Krankheiten des Schweizer Fussballs. Mittlerweile jedoch hat der «Geistesblitz» seinen Zauber verloren.
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itte des 19. Jahrhunderts schrieb Nikolai Gogol eine Novelle, die er «Der Mantel» nannte. Es geht darin nicht um Schweizer Fussball. Aber es könnte. Nehmen wir also an, der Schweizer Fussball sei «ein kleines Männlein, ein bisschen pockennarbig und ein bisschen rothaarig und allem Anschein nach sogar ein bisschen kurzsichtig, mit einer kleinen Glatze auf der Stirn, Runzeln auf beiden Wangen und einer Gesichtsfarbe, die man als hämorrhoidal bezeichnet». Passt. Passt jedenfalls auf den Schweizer Fussball vor der Jahrtausendwende, als diese Geschichte beginnt. Nehmen wir weiter an, man sässe in einem der Stadien, wie es sie damals noch gab und von denen die letzten gerade verschwinden, ausser der Denkmalschutz rette sie. Nehmen wir an: November, der Feind, rückt vor. «Dieser Feind ist niemand anders als unser nördlicher Frost, unbeschadet dessen, dass er – wie es heisst – sehr gesund sein soll.» Der beginnt nun, «so kräftige und beissende Nasenstüber an alle Nasen ohne Unterschied auszuteilen, dass die armen Beamten tatsächlich nicht mehr wissen, wohin sie diese tun sollen». Nehmen wir
also auch an, es ginge um das Wankdorf, wegen der Beamten. «Zu dieser Zeit, da selbst den Inhabern höchster Stellungen die Stirn vor Frost brennt und die Tränen in die Augen treten», ja zu dieser Zeit hat man verstehen können, wenn einer einmal seufzend von einem neuen Stadion träumte. Die einzige Rettung bestand damals darin, in die Stadionkneipe zu laufen und dort, wieder mit Gogol, «in einem dünnen Mäntelchen hübsch mit den Beinen zu strampeln und sich die Füsse zu vertreten», bis auf diese Weise alle unterwegs eingefrorenen Leidenschaften wieder aufgetaut waren. Ja, so war das im St. Petersburg vor 150 und in den Schweizer Stadien vor 15 Jahren. Eine mutige Idee Weil das nicht mehr auszuhalten war und weil sich Ende der 80er-Jahre Bundesräte und der damalige FIFA-Präsident Havelange Gedanken machen, die Weltmeisterschaft 1998 in der Schweiz durchzuführen, entstehen Pläne für neue Stadien im Land. Die WM kommt nicht, zehn Jahre später aber die Europameisterschaft, die dann Euro heissen wird. Wie das Geld,
die europäische Gemeinschaftswährung, von der man damals zu reden begann und von der schon damals die Zukunft Europas abhing, weil François Mitterrand der deutschen Wiedervereinigung nur zum Preis eines deutschen Bekenntnisses zur Währungsunion zustimmte. Das war Weltpolitik. Zur selben Zeit hatten die Regenten eines Berner Bauunternehmens eine Idee, die wenigstens die Zukunft des Schweizer Fussballs retten sollte. Einer der Auslöser dafür war eine verlorene Abstimmung. Am 16. März 1986 scheiterte im Kanton Bern die Vorlage «Neubau des Zentrums für Lehrlingsturnen und Sport Bern, Wankdorf» an der Urne. Geplant gewesen wäre der Bau einer grossen Sport- und Schwimmhalle in der Nordtribüne des Wankdorfstadions und damit eine Modernisierung des Stadions selbst, das zu diesem Zeitpunkt schon über 30 Jahre alt war. Das Projekt stolperte über den Widerstand im Quartier – und weil es zu teuer war. Ein halbes Jahr später, am 19. Oktober 1986, wurde in Luzern ein Stadionneubau von den Stimmenden ebenfalls abgelehnt. So kamen die Berner Bauunternehmer ins Grübeln. «Im Vordergrund stand die Idee, ein Stadion ohne Steuermittel zu bauen», sagte Bruno Marazzi der NZZ Jahre später. Marazzi war Inhaber des gleichnamigen Generalunternehmens, das sein Grossvater, 1904 aus Norditalien nach Langnau eingewandert, gegründet hatte. Das war eine mutige Idee, und sie hatte einen Haken. Einen grossen. Fussballstadien liessen sich – und das gilt noch heute – nicht rentabel betreiben. Studien bele-
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gen das. Der Fussball ist kein Gewinngeschäft, nicht in der Schweiz. Wie also sollte jemand davon überzeugt werden, sein Geld in ein Stadion zu investieren? Von den Vereinen war auch keine Hilfe zu erwarten. Die hatten genug damit zu tun, selbst über die Runden zu kommen. Eine Investition in dreistelliger Millionenhöhe lag jenseits aller Möglichkeiten der Klubs – und hätten sie Geld übrig gehabt, sie hätten es ohnehin lieber in eine Sturmhoffnung investiert. In grossen Zeiträumen denken im Fussball wenige. Das galt auch für die bisherigen Inhaber der Immobilien. In Basel war das eine Genossenschaft, in Bern ein Verein. Sie hatten nicht viel dafür getan, ihre Stadien in Schuss zu halten. Darum fror man ja auch so in ihnen. Auch ein Feuerwehrdepot «Es braucht einen Mantel», dachten sich also die Berner Bauunternehmer. Wessen Idee das wirklich war, ging im Dunkel der Geschichte vergessen. In Basel hält man Stephan Musfeld von der Stadiongenossenschaft für ihren Vater; die Schweizerische Vereinigung für Standortmanagement verlieh 2010 Bruno Marazzi einen Preis für den Geistesblitz; vom damaligen Marazzi-Kader hört man, wenn überhaupt, habe der Chef den Gedanken sicher nicht allein gehabt. Gogol: «Es erwies sich, dass der Mantel vollkommen passte und zur rechten Zeit eingetroffen war», sodass sein Träger, bei uns der Schweizer Fussball, «in der feiertäglichsten Stimmung aller Gefühle» geriet und zu ganz neuem Ansehen gelangte. «Mantelnutzung, heute sagt sich das so leicht», erinnert sich Werner Müller, damals CEO von Marazzi, gegenwärtig Präsident des Vereins BSC YB, «aber damals verbrachten wir Stunden damit, den Leuten die Idee zu erklären.» Nach dem Erklären folgte das Realisieren, und das war mit noch mehr Hindernissen verbunden. In Bern waren das Zonenplanänderung, Bodenbesitzfragen, Bewilligungsverfahren. Das alles ging in Basel schneller, weshalb 2001 der St.-Jakob-Park als erstes Stadion mit sogenannter Mantelnutzung eröffnet wurde.
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Seither gliedert sich die Struktur eines Stadions in die Kern- und die Mantelnutzung. Der Kern der Sache sind der Sport und – bei darauf ausgelegten multifunktionalen Bauten – andere Schauereignisse mit grossem Zuschaueraufkommen. Der Mantel besteht aus kommerzieller Nutzung, die nichts oder nur indirekt mit dem Sport zu tun hat: Einkaufszentren, Büros, Arztpraxen, Labors, Discos, Hotels, Schulen, Restaurants, Solarkraftwerke, Wohnungen, Altersheime, Garagen, Parkplätze, Turnhallen, Fitnesszentren, ein Feuerwehrdepot; all das gibt es in Schweizer Stadien. Und wir haben uns daran gewöhnt. Der einzig mögliche Weg Die Idee ist so einfach wie raffiniert. Man baut eine Geschäftsimmobilie, die an dieser Stelle gar nicht stehen könnte – oder wenn, sehr teuer wäre. Um dies zu ändern, baut man zu dieser Immobilie noch ein Stadion, das dem realen Wert des Bodens entspricht. Der Boden wiederum wird vom Eigentümer – in Bern war das die Burgergemeinde, in Basel der Kanton – nicht zum Realwert verrechnet, sondern sehr günstig verzinst oder – wie zum Beispiel in St. Gallen – sogar umsonst abgegeben. Eigentlich müsste ein Einkaufszentrum ja eine geringere Rendite abwerfen, wenn noch ein unrentables Stadion dranhängt. Weil aber der Bodenpreis viel weniger ins Gewicht fällt als bei andern Bauvorhaben, lohnt sich die Sache eben doch, und die Renditeerwartung liegt im branchenüblichen Bereich. Die öffentliche Hand spielt in solchen Deals oft eine wichtige Rolle. Auch in Neuenburg hat die Stadt den Investoren Coop, Swisscanto, eine Anlageholding der Schweizer Kantonalbanken, und der Bundespensionskasse Publica den Boden, auf dem die Maladière steht, überlassen und dafür ein neues Stadion erhalten – auf dem Dach des Einkaufszentrums natürlich. Public Private Partnerships nennen sich diese Kooperationen, und sie gelten vielerorts, aktuell zum Beispiel in Biel und Aarau, als einzig möglicher Weg, um Projekte dieser Art und Grösse zu realisieren. konsumpalast
Fussball
Die neuen Stadien in Biel und Aarau werden nicht mehr von Marazzi gebaut. Das Unternehmen ist unterdessen in die Losinger Construction AG integriert worden. Die führende Stellung im Schweizer Stadionbau hat das Totalunternehmen HRS Real Estate AG übernommen. Der HRS-CEO Martin Kull ist ein grosser Verfechter der Mantelnutzung. «Durch die Beteiligung Privater lassen sich Prozesse beschleunigen», sagt Kull. Zwar sind in manchen Fällen obligatorische Referenden nötig, um Gebiete umzuzonen, doch sonst «unterliegen solche Projekte nicht den Anforderungen des öffentlichen Subventions- und Vergabewesens, was die Sache vereinfacht», erklärt Kull. HRS hat mittlerweile eine so dominante Stellung auf dem Stadionmarkt erlangt, dass sich das Unternehmen in die Vereinspolitik einmischen kann. Weil es die Regularien der Swiss Football League – ebenfalls ein wichtiger Treiber in der Entwicklung neuer Sportstätten – dem FC Biel verbieten, weiterhin auf der baufälligen Gurzelen anzutreten, weicht der gegenwärtig in die Maladière aus, wo sonst kein professioneller Fussball mehr gespielt würde. Das Neuenburger Stadion ist ebenso ein HRS-Produkt, wie es die Bieler Stadien – geplant ist eine Kombination aus Fussball- und Eishockeyarena – sein werden. «Ein paar andere Leute» hätten dieselbe Idee gehabt, sagt Kull, «aber wir haben die Sache sicher vorangetrieben». Selbst Stadien mit Mantelnutzung sind auf einen funktionierenden Kern angewiesen. Also auf Fussball. Auch Marazzi hatte in der Planungsphase des neuen Wankdorfstadions dafür gesorgt, dass YB, oft am Rande des Ruins, überlebte. 10 bis 15 Millionen Franken soll das Bauunternehmen über die Jahre in den Klub gesteckt haben, eine Zahl, die CEO Werner Müller nicht dementiert. Planung ist alles Wie delikat die Rolle der verantwortlichen Generalunternehmen sein kann, hat das Beispiel St. Gallen gezeigt. Die Finanzierung der sogenannten AFGArena wurde zum Debakel, als während des Baus massive Kostenüberschreitungen
mantelnutzung
Bewohnbares Stadion: Ein Vorschlag für das Stadion Zürich von 1999.
markt in der Schweiz ist stark verzerrt. Von freien Marktbedingungen kann keine Rede sein.» Schmidig verweist auf die vielen boden- und infrastrukturpolitischen Leistungen der Öffentlichkeit rund um den Bau eines neuen Stadions und betont, wie wichtig ein solches für eine Gemeinschaft sein kann.
bekannt wurden, für die die öffentliche Hand hätte geradestehen sollen. Im Zentrum des Problems stand ein bizarrer Interessenkonflikt: Rainer Sigrist war gleichzeitig Verwaltungsrat der HRS und der Betriebs-AG, die für das fertige Stadion verantwortlich sein sollte. Stadionstrukturen sind komplizierte Gebilde. «Entscheidend bei solchen Projekten ist, dass man jeden Franken durchkalkuliert hat, bevor man beginnt», sagt Werner Müller. «‹Gott gebe, dass es klebe› ist keine Strategie.» Wichtig sei zum Beispiel, die Mantelnutzung breit abzustützen. «Es gibt bessere Partner als ein Möbelhaus», meint Müller im Hinblick auf die Situation in St. Gallen, wo eine IKEA-Filiale zum Stadionkomplex gehört. Dieses braucht zu viel Platz, bringt zu wenig Rendite, bildet ein Klumpenrisiko. Stadionprojekte stehen unter Zeit- und Erfolgsdruck – auch, weil sie so vielen Leuten so wichtig sind. «Man darf nichts, gar nichts nur aus Verliebtheit ins Projekt tun», sagt Müller. Das ist schwierig, wenn eigene Interessen im Spiel sind. Denn was Gogol über den Schweizer Fussball sagte, gilt auch für jeden, der von ihm lebt: «Er fühlte in jedem Augenblick jeder Minute, dass er einen neuen Mantel um die Schultern hatte, und lächelte sogar etlichemal vor innerer Befriedigung. In der Tat, der Mantel hatte zwei Vorteile: den einen, dass er warm war, und den anderen, dass er schön war.» Alles gut also? Nicht unbedingt. St. Gallen war ein Desaster, in Thun kam es zum grossen
Streit zwischen den Investoren, der Betreibergesellschaft und dem Verein, der Stadionentwurf in Aarau musste wegen des politischen Widerstands mehrfach überarbeitet werden, in Biel wartet man sehnsüchtig auf den aus wirtschaftlichen Gründen immer wieder verschobenen Baubeginn: alles Projekte der HRS. Kein Mantel in Zürich «Der Stadionbau mit Mantelnutzung erscheint vielen als Zaubermaschine», sagte die Winterthurer Baudirektorin Pearl Pedergnana kürzlich dem «Bieler Tagblatt». Stadien würden so schnell «zu gross», erklärt die Sozialdemokratin und schlägt einen anderen Weg ein. Das Stadion Schützenwiese, das der Stadt gehört, wird in Etappen renoviert und ausgebaut, alles in bescheidenem Rahmen, ohne Mantel und doch elegant. Die Stadt will die Investitionen im Rahmen ihres regulären Budgets bewältigen. Auch das Stadion Letzigrund in Zürich hat keinen Mantel und gehört der Stadt. Es hat, weil es zwei Klubs beherbergt, eine gute Auslastung, der aufwendigen Architektur und des fehlenden Mantels wegen aber hohe Investitionskosten. Martin Kull sagt, es sei schwierig, wenn sich die öffentliche Hand am Stadionbau beteilige. «Das ist eine Frage der ausgleichenden Gerechtigkeit. Welche Interessengruppe soll unterstützt werden, welche nicht?» Urs Schmidig, Direktor des Zürcher Sportamts, das für den Letzigrund verantwortlich ist, sieht es andersherum: «Der Stadionkonsumpalast
Fussball
Das böse Ende? So wichtig, dass Sporthistoriker und Soziologinnen von der «Topophilie», der Liebe zum Ort, sprechen. Ausdruck dieser Topophilie war lange ein durch Wochentage und Jahreszeiten strukturierter Rhythmus von «leer» und «voll», der Stadien zu Versammlungs- und Sehnsuchtsorten machte. Mantelnutzungen stören diese Ästhetik. Sie machen Stadien zu ständigen Aufenthalts- und Durchgangsorten. Der besondere emotionale Wert wird abgeschöpft, aber nicht mehr in derselben Weise reproduziert. Dafür verantwortlich sind nach wie vor das Ereignis, das gemeinsame Erleben, die Geschichten, die der Fussball schreibt. Anlässlich des 10-Jahr-Jubiläums wurde der bemantelte St.-Jakob-Park als Vorzeigestadion und Erfolgsmodell gefeiert. Stephan Musfelds ebenso erstaunliche wie naheliegende Antwort auf die Frage, warum es so gekommen sei, lautete nicht: «des schönen Mantels wegen», sondern: «weil wir den FC Basel haben». Ein guter Mantel gibt seinem Träger neues Format und stellt ihn aufrecht hin. Aufrecht gehen muss er aber selbst. Nicht dass die Geschichte, wie bei Gogol, am Ende böse ausgeht. Dort wird der Mantel gestohlen. Sein hämorrhoidaler Träger, der natürlich überhaupt nichts mit Fussball zu tun hat, stirbt am Schreck und an einer Erkältung. Danach treibt er sich nachts auf den Strassen St. Petersburgs herum und reisst allen, die ihm begegnen, den Mantel von den Schultern. Noch hat man in keinem Schweizer Stadion etwas von einem Geist gehört.
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Vertragspflicht
Die Geschwätzigkeit von Prostituierten hat schon so manchem Spieler der Premier League den Ruf ruiniert. Deshalb schützen sich vorsichtige Fussballer beim «Auswärtsspiel» jetzt mit einem Vertrag, der die Diskretion der Damen garantiert.
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m Frühling kam die Autobiografie von Sunderland-Stürmer Louis Saha (ex Manchester United, Everton) auf den Markt. Um den Verkauf seines Buches wirksam zu lancieren, erklärte der Franzose dem Publikum, warum so viele Spieler lieber mit Callgirls ins Bett ge-
hen. Professionelle Damen seien vertrauenswürdiger als Spontanbeziehungen. «Man kann kaum einer Frau vertrauen, die sich einen Fussballer angeln will. Für einen jungen Profi kann das zur Achillesferse seiner Karriere werden, wenn eine Frau die Erfahrungen einer gemein-
samen Nacht an die Presse verkauft. Deshalb werden die Spieler zunehmend paranoid und greifen auf Escort-Girls zurück», führte Saha aus. Der Mann mag ein hervorragender Fussballer sein; doch er weiss offenbar nicht, wovon er schreibt. Denn Geschichten über Prostituierte und Profi-Fussballer sind in den letzten Monaten ständiges Thema in der britischen Boulevardpresse. Für eine (in der Regel) fünfstellige Summe ist immer wieder eine junge Frau bereit, eine süffige Geschichte zu erzählen. Immer Ärger mit Jenny Das letzte prominente Opfer einer Callgirl-Indiskretion ist Mario Balotelli (Manchester City). Dieser betrog seine Freundin Raffaela Fico mit der englischen Luxusprostituierten Jenny
unser mann in london
Text: Peter Balzli Bild: iStockphoto
Thompson (23). Und diese erzählte der Boulevardpresse davon. Dadurch in die Enge getrieben, liess Balotelli schliesslich durch seinen Agenten Mino Raiola ausrichten: «Mario möchte lieber zugeben, was geschehen ist. Er hat alle Angebote abgelehnt, die Angelegenheit verschwiegen zu behandeln, und trägt die Konsequenzen.» Und Raiola fügte an: «In letzter Zeit ist mir aufgefallen, dass Frauen Mario dafür nutzen wollen, Geld durch das Verkaufen von Storys zu scheffeln, die mit Situationen verbunden sind, die sie absichtlich initiiert haben.» Ballotellis Freundin Raffaela ist übrigens schwanger. Ob das eine richtig glückliche Familie wird, scheint noch unsicher, denn Mario Balotelli verlangte erst mal einen Vaterschaftstest. Nur zwei Jahre zuvor hatte besagte Jenny Thompson bereits Wayne Rooney (Manchester United) als Kunden verbucht, und auch damals hatte sie die Geschichte an die Boulevardpresse weitergereicht. Auch Rooneys Abenteuer mit Frau Thompson passierte, als seine Gattin Coleen schwanger war. Die Ehefrau verliess ihren Mann, und dieser spielte in der Folge eine miserable Weltmeisterschaft. Zum Schaden kam auch noch der Spott, als das Callgirl der Presse erzählte: «Er war nicht sehr gut im Bett. Ich glaube, er schlief ein. Ich erwachte mit Kopfweh und ging so schnell wie möglich weg.» Mit dabei beim «Spiel im Offside», wie es die britische Presse nennt, war auch eine zweite Dame namens Helen Wood (24). Sie berichtete der interessierten Presse von Partys, an denen sie ihre Dienstleistungen gleich fünf Premier-League-Spielern zukommen liess. Erstaunlich fürs englische
Publikum war auch, dass Frau Wood aus der englischen Mittelklasse stammt und auch schon mal in bester Gesellschaft im Ballkleid am Pferderennen in Ascot auftritt. Dass sie die Sache mit Wayne Rooney ausplauderte, hatte für den Stürmer auch Folgen auf dem Spielfeld: Er musste sich monatelang hämische Fangesänge zum Thema anhören. Immerhin: Heute ist er mit seiner Frau wieder versöhnt. Der nette Peter Durch ein Callgirl in die Schlagzeilen kam im August 2010 auch Peter Crouch (damals noch bei Tottenham, heute bei Stoke City). Der 2,01-Meter-Schlaks vergnügte sich in Madrid für 1000 Euro mit einer 19-jährigen Algerierin namens Monica Mint. Diese erzählte der Presse sehr detailliert davon: «Peter war nett, nicht so wie spanische Fussballer, die total arrogant sind», sagte Monica. Crouch sehe nicht besonders gut aus, «aber er ist eine nette Person, darum überliess ich ihm die Kontrolle». Für Freunde eines gepflegten Happy Ends sei noch erwähnt: Crouchs Verlobte, das bildschöne Fotomodell Abbey Clancy, brachte sieben Monate später ein Baby zur Welt und heiratete ihren Peter weitere drei Monate später. Trotzdem: Durch solche Geschichten aufgeschreckt, beginnen sich jetzt vorsichtige Fussballer beim «Auswärtsspiel» offenbar mit juristischen Waffen vor Indiskretionen zu schützen. Catherine Chapman (22) und Rachel Allan (33) beklagten sich kürzlich in einer englischen Boulevardzeitung: «Viele Fussballer sind paranoid vor Angst, wir könnten unsere Bettgeschichten veröffentlichen. In den letzten Monaten musste ich immer wie-
der Schweigeverträge unterschreiben.» In diesen sogenannten Confidenciality Agreements verpflichten sich die Damen, den Namen des Kunden niemals zu nennen. Bei Zuwiderhandlung würden hohe Konventionalstrafen fällig. Alles so formell! Der ganze Papierkram habe im April nach dem Balotelli-Skandal begonnen, berichten die beiden Callgirls genervt. Rachel Allan erzählt, wie sie kurz darauf von einem Fussballer gebucht wurde. «Als ich in der gemieteten Luxuswohnung ankam, wurde ich vom persönlichen Assistenten des Spielers an einen Tisch gebeten. Dort wurde mir klargemacht, dass ich erst den Schweigevertrag unterzeichnen müsse. Und das erst noch vor einem Zeugen. Alles war so formell. Es war völlig offensichtlich, dass der persönliche Assistent des Spielers diese Prozedur nicht zum ersten Mal durchführte.» Auch wenn die beiden Damen besagter Boulevardzeitung keine Namen nennen, so geben sie doch sehr detailliert ihre Erlebnisse mit Profifussballern preis. Ein Fussballer-Kunde wolle sich stets als Frau verkleiden und dann mit ihr – man höre und staune – einkaufen gehen. Ein anderer prominenter Verteidiger verlange von ihr, dass sie jeweils ein Schiedsrichter-Dress anziehe und ihm während der Dienstleistung Gelbe und Rote Karten zeige. Einmal mehr bietet die englische Boulevardpresse hier Einblicke ins Leben von Profi-Fussballern, die die Fans so bisher nicht hatten. Und falls die Geschichten der beiden Damen nicht wahr sein sollten, so wären sie immerhin hervorragend erfunden.
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Was wäre, wenn... Im Fussball entscheiden nicht selten einzelne Aktionen über den weiteren Verlauf einer Karriere. ZWÖLF wagt sich in die Welt der Konjunktive und denkt die Fussballwelt weiter. Es darf wild spekuliert werden.
Die Folgen Henchoz’ Stolperns Der Fauxpas des Verteidigers hat die Zukunft von Köbi Kuhn, Lucien Favre, Alex Frei und Charles Amoah in andere Bahnen gelenkt. Text: David Mugglin
Die Ausgangslage Trotz mässigem Start hat die Schweiz vier Spiele vor Schluss der WM-Qualifikation für Japan und Südkorea berechtigte Hoffnungen, zumindest den Barrage-Platz zu ergattern. Heimsiege gegen Slowenien und Jugoslawien sowie ein Dreier in Luxemburg sind Pflicht für das Team von Enzo Trossero. Das Heimspiel gegen Slowenien am 6. Juni – erstmals im neuen St.-Jakob-
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Park in Basel – wird dominant gestaltet. Stéphane Henchoz ist nach einer überragenden Saison mit Liverpool (Gewinn des UEFA-Cups) erstmals Captain einer forsch auftretenden Nati. Alex Frei, Blaise Nkufo und Sébastien Fournier lassen gute Chancen aus, und dann verstolpert ausgerechnet der von 55 Saisonspielen ermüdete Henchoz in der 84. Minute unbedrängt einen Rückpass zu Torwart
Marco Pascolo. Cimirotic antizipiert richtig und schliesst erfolgreich zum 0:1 ab. Die Nati reagiert, aber Davide Sesa und Johann Lonfat vergeben den Ausgleich. Damit fällt die Schweiz hinter Slowenien zurück, die vorzügliche Ausgangslage ist dahin. Zwei Tage danach tritt ein enervierter Enzo Trossero als Nationaltrainer zurück.
was wäre wenn ...
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as wäre passiert, wenn die «Todsünde» («Aargauer Zeitung») ungeschehen geblieben wäre? Das zum Beispiel: Enzo Trossero bleibt im Amt – trotz anhaltenden Querelen mit dem entmachteten Captain Ciriaco Sforza und Funktionär Ernst Lämmli. Denn selbst wenn der Nati nicht gar noch der Siegtreffer gegen Slowenien gelungen wäre, steht sie mit einem Remis noch immer gut da. Der nächste Gegner, das bereits etwas zurückgebundene Jugoslawien, muss in Basel auf Sieg spielen. Dies kommt den defensiv soliden Schweizern entgegen. Ein erfolgreicher Konter reicht zum Erreichen des Play-offs. Dort treffen die Schweizer auf Rumänien, eine Mannschaft im Umbruch. Der einstige Star Gheorghe Hagi steht nur mehr an der Linie, das Team verkörpert mit Ausnahme des Sturmduos Mutu/Ilie auch nur europäischen Durchschnitt. Eine machbare Aufgabe. Die Nati übersteht die Barrage-Spiele und bestreitet nun eine mit etlichen Überraschungen aufwartende Weltmeisterschaft in Asien. Kann sie auch dazu beitragen? Statt den Slowenen beschert die Gruppenauslosung den Schweizern die Gegner Spanien, Südafrika und Paraguay. Das lässt zumindest Hoffnung auf das Erreichen des Achtelfinals. Schon vier Punkte reichen dafür, dort kommt es zum Treffen mit dem grossen Bruder Deutschland. An dieser Stelle beenden wir die Träumereien und wenden unseren Blick anderen Akteuren zu. Denn Henchoz' Stolperer beeinflusste längst nicht nur die Kampagne der Schweizer Nati. Sondern auch die Karriere von Köbi Kuhn. Der Zürcher arbeitet seit drei Jahren mit der U21-Nationalmannschaft und ist mit ihr auf bestem Weg, sich
für die EM-Endrunde zu qualifizieren – zum ersten Mal in der Geschichte. Als Cimirotic die Schweizer WM-Träume beendet, hat Kuhn von Sven Hotz ein Angebot seines Herzensvereins vorliegen. Spielt also Henchoz nicht diesen Rückpass und sorgt damit für den Rücktritt Trosseros, heisst der FCZ-Trainer ab Sommer 2001 nicht Georges Bregy, sondern Köbi Kuhn. Und es ist wahrlich kein Zauberfussball, den die Zürcher zu dieser Zeit spielen. Die Stammspieler heissen Yvan Quentin, David Pallas, Wilco Hellinga, Patrick Baumann oder Feliciano Magro. Mit diesem Kader kann auch Köbi Kuhn keine grossen Stricke zerreissen. Mehr als die Rolle des Nebendarstellers in der Finalrunde kommt dem FCZ nie zu. Aber weil man mit einem Klubidol mehr Geduld aufbringt, ist bei Kuhns Entlassung jener Mann nicht mehr zu haben, der den kriselnden Klub zu alter Grösse führen sollte: Lucien Favre. So wie «Köbi national» weit davon entfernt ist, jene immense Popularitätswelle zu erleben, die ihm den Titel «Schweizer des Jahres 2007» einbrachte, wird Favre anderswo kaum die Zeit gelassen, zum hochgeachteten Trainerfuchs zu reifen. Doch nicht nur Trainerkarrieren hat der Aussetzer des Liverpool-Verteidigers stark beeinflusst. Fährt die Schweiz nämlich an die WM, erleben Bernard Challandes und die Schweizer Zuschauer kein titanisches U21-EM-Turnier. Frei, Cabanas und Magnin stehen nämlich im WM-Kader. Wie auch Sforza. Der Wohlener kann so seine Nationalmannschaftskarriere ehrenvoll mit einem gros sen Turnier beenden – notabene unter dem Captain Henchoz. Er, dem von Kuhn das Vertrauen entzogen wurde
und der nie einen Zugang zu ihm fand, hätte also am allermeisten von einem gelungenen Rückpass zu Pascolo an jenem Abend des 6. Juni 2001 profitiert. Das Umgekehrte ist bei jüngeren Spielern der Fall: Selbst wenn Trossero nach der WM-Endrunde abgetreten wäre, wäre ein Umbruch, wie ihn Kuhn eingeleitet hatte, undenkbar gewesen. Die Routiniers – darunter neben Sforza auch Chapuisat oder Türkyilmaz – gehören auch weiterhin zum Stamm. Es besteht kein Anlass, der neuen Generation aus der U21 so früh das volle Vertrauen zu schenken – man ist ja schliesslich an der WM 2002. Kuhns späterer Liebling Daniel Gygax etwa kommt nicht annähernd auf seine 35 Länderspiele, und Alex Frei ist längst nicht gesetzt im Sturm bei dieser Konkurrenz. Angesichts der damaligen Torflaute des Jungstars werden auch andere Optionen weiterverfolgt. Marcel Koller, als St. Galler Meistertrainer einer der aussichtsreichsten Kandidaten für die Nachfolge von Trossero, bemüht sich intensiv um die Einbürgerung von TopTorjäger Charles Amoah. Ob der ehrgeizige Frei mit dem Ersatzbank-Dasein in der Nati klargekommen wäre, zumal er auch bei Rennes anfangs meist nur auf der Bank sass? Hätte er gleichwohl eine ähnlich erfolgreiche Karriere erlebt? Insofern hatte der fatale Flop des sonst zuverlässigen Verteidigers Henchoz auch etwas Gutes. Denn ohne ihn wären die nachfolgenden Jahre für die Schweizer Nati kaum besser verlaufen. Konsens herrscht allemal, dass sich Trossero selbst oder sein Nachfolger schwergetan hätten, die Bilanz Kuhns zu toppen. Einzig die Qualifikation zur Europameisterschaft 2008, die wäre ihm bereits damals gewiss gewesen.
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Schweizerreise
Vakanz statt Extravaganz Vor einem Jahrzehnt wollte man das «Bayern München der 2. Liga» sein. Heute verlieren sich meist gerade noch 50 Seelen an die Heimspiele von Kickers Luzern. Text: David Mugglin Bilder: Melanie Setz
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asskalt ist es an jenem Oktobertag im Jahre 2005. Vor der Eingangsbereich bildet sich eine Schlange. Der Durchgang mit einer Breite von gerade mal 70 Zentimeter lässt keine hohe Durchlauffrequenz zu. Die Infrastruktur ist ordentlich, obwohl einiges provisorisch und improvisiert ist. Neu sind hier nur die zwei Gebäude, die den Sportplatz umrahmen. Die Swiss-Life-Arena, ein multifunktionales Gebäude, das auch das städtische Eisfeld beherbergt, liegt gleich gegenüber – «Wetten, dass..?» war hier einst zu Gast –, und hinter dem
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Trainingsplatz steht das schicke Jugendkulturhaus Treibhaus. Weiter nördlich entstanden etliche familienfreundliche Neubauten. Das im Süden Luzerns gelegene Quartier Tribschen erlebt eine Art Blütezeit. Trotz des schlechten Wetters sind 1100 Zuschauer «Auf Tribschen» zugegen, als der rot-schwarze FC Kickers Luzern den von Andy Egli trainierten FC Biel empfängt. Die 40 Jahre alte Tribüne ist bis auf den letzten Platz besetzt. Von hier aus erblickt man hinter dem einen Tor die stark frequentierte Trib-
schenstrasse, gegenüber steht der EmmiHauptsitz, dahinter liegt traumhaft am See gelegen die Kantonsschule. «Cause we're red, we're black, this is our favourite heart attack, here come the boys, we are the noise», dröhnt es aus den Boxen. Es ist die frisch eingesungene Kickers-Hymne vom Lokalhelden und einstigen Junior Tobi Gmür. Die kurz zuvor abgetretene Miss Schweiz Bianca Sissing, Lebenspartnerin von Spielertrainer Genesio Colatrella, zeigt sich auf den Stehplätzen gleich beim Spielerausgang. In der Pause gibt es Unterhaltung mit
Interviews und Live-Gitarrenmusik. Es ist cool, «Auf Tribschen» zu sein – die Mischung aus Cervelat-Prominenz und Alternativkultur machts aus. Die Ersatzbank ist viel zu klein, als dass es für den riesigen Staff Platz hätte. Zwei, drei zusätzliche Stühle sind notwendig, Der Präsident und der Sportchef verfolgen die Partie wie stets von den Stehplätzen aus. Von dort müssen sie miterleben, wie die Kickers die Partie durch einen Doppelschlag in den Schlussminuten unnötig mit 0:2. Doch das ist eigentlich Nebensache. Es ist was los im und
rund um den Verein, denn über den FC Kickers wird gesprochen. Die «Neue Luzerner Zeitung» schreibt Woche für Woche über die Vorgänge beim euphorisierten Aufsteiger. In der Vorbereitung zur ersten 1.-Liga-Saison seit über 40 Jahren weisen die Rot-Schwarzen den zweitklassigen FC Luzern mit 3:1 in die Schranken. Nicht wenige träumen von einer Wachablösung in der Stadt. Nach einem Dreivierteljahrhundert ist man dem grossen Bruder wieder ziemlich nahe gekommen. So nahe wird man ihm nie mehr kommen. Der FC Kickers
befindet sich auf dem Zenit. Das ist im Oktober 2005. 2012: Zurück in der Anonymität Sieben Jahre später ist «Auf Tribschen» einiges anders. Die Mannschaft befindet sich am Tabellenende der 2. Liga interregional. Bei einem Nachtragsspiel gegen den FC Hergiswil zählt man auf der kürzlich renovierten Tribüne gut gezählte 50 Personen. Den Grossteil stellen eigene A-Junioren, die ihrem Handy ebenso viel Beachtung schenken wie dem Spielgeschehen. Von den gegnerischen Spielern
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Ohne ihn liefe noch weniger: Emanuel Willi, die Seele des Vereins.
ist ein Dutzend Eltern aus Nidwalden angereist. Prominenz sichtet man einzig in der Person des ehemaligen FC-LuzernPräsidenten Romano Simioni, der das Spiel vom Holz-Neuanbau aus verfolgt. Live-Musik gibt es nicht mehr, und neben Cheftrainer Emanuel Willi sitzen nur zwei Betreuer auf der Bank. Auch neben der Sportanlage ist mittlerweile mehr Platz: Der Emmi-Hauptsitz wurde abgerissen. Am Tag nach dem Spiel wird einzig das Zeitungstelegramm an dieses unterhaltsame Spiel erinnern. Das ist normal. Über den FC Kickers spricht kaum jemand. Der 41-jährige Emanuel Willi ist seit mehr als dreissig Jahren beim FC Kickers. Er hat viele regionale und nationale Stars kommen und gehen sehen. Er ist seinem Herzverein immer treu geblieben und hat ausser dem Amt des Präsidenten alle wichtigen Funktionen beim FC Kickers inne gehabt. Willi hat sämtliche
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Junioren- und Aktivteams trainiert, seit 15 Jahren ist er Juniorenobmann. Er lebt und leidet für den Verein, ob als Turnierorganisator oder als lautstarken Cheftrainer des Fanionteams an der Seitenlinie. Willi gehört zu den Kickers wie der Name an eine Haustür. Die 90er: Eine Achterbahnfahrt 1989 hat Willi sein Debüt in der ersten Mannschaft gegeben, keine zwei Jahre später steht der Verein vor der sportlichen Bedeutungslosigkeit. Dem FC Kickers – bislang ein Liftverein zwischen 2. und 3. Liga – droht der Fall in die 4. Liga. Es gilt in einem Stechen gegen den Nidwaldner Verein aus Kerns den Ligaerhalt zu schaffen. Fast eine Stunde ist gespielt, als beim Stande von 1:1 die saisonentscheidende Szene folgt. Der Libero des FC Kerns, kein Geringerer als der filigrane Techniker und Ex-FCB-Profi Markus «Mac» Tanner,
wird vom Schiedsrichter an den Spielfeldrand beordert, um Schienbeinschoner anzuziehen. Die Gelegenheit nutzen die Rot-Schwarzen und schiessen währenddessen das 2:1. Die Katastrophe wird abgewendet. Die Ambitionen erwachen. Wieder zwei Jahre später holt man den ehemaligen Nationalspieler Kurt «Kudi» Müller, unter ihm weht ein anderer Wind. Als Sportchef und Sponsor amtet Max Vogel, der für GC und den FCSG in der NLA gespielt hat, vielleicht das grösste Talent, das die Kickers hervorgebracht haben. Das Team hievt sich in atemberaubenden Aufstiegsspielen – auch dank einer lückenhaften Aufstiegsreglementierung – in die 2. Liga. Man träumt von mehr. «Natürlich hatte ich Visionen», meint Raffaele Natale heute. Ab 1994 schwingt er für acht Jahre das präsidiale Zepter. Die 1. Liga ist sein erklärtes Ziel. Dafür schart Natale einen zahlungskräftigen Donatorenverein und grosszügige Gönner um sich. So lockt der umtriebige Präsident diverse NLA-erfahrene Cracks wie Brian Bertelsen, Peter Gmür und Pedro Marin auf den Sportplatz Tribschen. Besonders die Offensive strahlt Glanz aus: Petar Aleksandrov, der zweifache Torschützenkönig der NLA, läuft ebenso in RotSchwarz auf wie Jörn Andersen, der in der Bundesliga einst die Torjägerkanone holte. Nicht alle heissen diese Entwicklung gut. Emanuel Willi, der diese Sternchen als Mitspieler hat, denkt heute skeptischer: «Spieler, die das Leben lang als rechter Verteidiger eingesetzt wurden, werden auch drei Ligen tiefer nicht zu Ballvirtuosen und Spielmachern.» Als hätte man nicht bereits genügend Extravaganz gepachtet, will Natale die Trikots mit goldenen Rückennummern beflocken und für Auswärtsfahrten in die Agglomeration Cars organisieren. Den Spielern ist das aber zu viel Glamour. Die Bodenständigkeit behalten die Kickers-Akteure bei, Probleme haben sie dafür mit der Konstanz. Brillanten Partien lässt die Mannschaft trotz der klingenden Namen oft blutleere Spiele folgen. Immerhin pilgert zu den Sonntagvormittagheimspielen jeweils eine beträchtliche Anzahl Leute, die meisten von
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lockte. Die Bedingungen des Fussballverbandes wurden erfüllt, der spektakulärste Transfer der Vereinsgeschichte sollte dafür sorgen, dass nichts mehr schiefgehen kann: Tiago Bernardi, nur wenige Monate zuvor noch Torschütze in der Champions League für den FC Thun, konnte nach Tribschen gelockt werden. Doch in den letzten Spielen der Rückrunde versagen die Nerven. Damit beginnt der rasante Abstieg.
ihnen wollen indes die Kickers verlieren sehen. Denn durch die offensive Transferpolitik hat sich der Verein die Reputation eines Millionarios-Clubs erarbeitet. Diese verkommt zur idealen Motivationsspritze für die gegnerischen Vereine. Kickers wird so in kürzester Zeit zur «équipe à battre», ohne aber effektiv an der Tabellenspitze aufzutauchen. Der Aufstieg erfolgt dann doch. Allerdings nicht in die 1. Liga, sondern in die neu geschaffene 2. Liga interregional. «Mein Ziel hatte ich damit erreicht», zieht Natale heute befriedigt Bilanz. Er, der später beim FCL Sportchef wird, hatte für einmal ein glückliches Händchen bei der Trainerwahl bewiesen. Dem Polen Ryszard Komornicki wird – wie immer vollmundig – das «Bayern München der 2. Liga» versprochen. Dass der Vergleich mit der Säbenerstrasse in München nicht im Ansatz der Realität standhalten kann, wird Komornicki bei der ersten Trainingseinheit nach Ostern 2000 klar, als seine Flachpassübung im hohen Gras zur Farce verkommt. Nichtsdestotrotz versteht es Komornicki bestens, für eine gesunde Distanz zum Team zu sorgen. Und er hatte hohe Ansprüche: «Ich liess drei- bis viermal pro Woche trainieren. Hier zeigte sich schon, wer mitziehen würde.» Die «Neue Luzerner Zeitung» honoriert die Arbeit des Polen nach der Finalissima in Ibach mit dem Titel: «Klugheit + Kampf = Komornicki + Kickers».
2012: Realismus ist eingekehrt Heute liefert der der FC Kickers keine Schlagzeilen mehr. Nach einem Paradigmenwechsel heisst die Devise heute: Kein Mäzen, keine Stars. In der ersten Mannschaft spielen keine Ex-Profis, sondern mehrheitlich eigene Junioren. Dass der kurzzeitige Höhenflug nun beendet ist, dem kann Emanuel Willi auch Positives abgewinnen: «Je erfolgreicher die erste Mannschaft spielt, desto schwieriger wird es, eigene Junioren in das Fanionteam einzubauen. Also verlassen viele den Verein. Ganze Jahrgänge sind so abgewandert und fehlen uns nun an allen Ecken und Enden.» Die Kickers mussten neue Wege gehen, es wurde gar eine Kooperation mit dem Erzrivalen SC Obergeissenstein eingegangen. Eine äusserst fruchtbare: Die A-Junioren sind amtierender Schweizer Meister. 2005: 1.-Liga-Abenteuer und Cupfight Eine erstaunliche Wiederauferstehung, wenn man bedenkt, wie nahe die Kickers vor dem Aus standen. Zu hoch hinaus wollten die Innerschweizer, und genau wie bei Ikarus folgte der unvermeidliche Absturz. 2005 gelang der lange angestrebte Aufstieg in die 1. Liga. In der gleichen Saison bot man den FC Zürich unter Lucien Favre in einem fantastischen Cupfight lange Zeit Paroli. Und bald darauf stand der FC Kickers mit einem Bein in den Aufstiegsspielen zur Challenge League, wo der FC Luzern
2007: Wild West am Pilatus Der amtierende Präsident Martin A. Würmli verlässt nach dem entscheidenden Spiel den Verein und mit ihm ein Grossteil der Sponsoren. Sein Nachfolger tut es ihm – nach unschönen Drohungen – nach nur zwei Monaten gleich. Dieser Eklat sorgt schweizweit für Aufsehen. «Wild West am Pilatus» titelt die «NZZ am Sonntag». Ausgerechnet im 100. Vereinsjahr steht der Klub führungslos da, muss sich neu organisieren und orientieren und hat zudem mit grossen finanziellen Problemen zu kämpfen. Diese wiederum veranlassen einige Teamstützen, den Verein vorzeitig zu verlassen. Es resultiert der Abstieg in die 2. Liga interregional. Die fetten Jahre sind definitiv vorbei. Nur dank gross zügigen Jubiläumsbeiträgen, langwierigen Verhandlungen und Gesprächen können die Schulden abgetragen werden. «Millionarios» ruft die Kickers niemand mehr. Ratio, Demut und Bescheidenheit haben Einzug gehalten auf Tribschen. Die finanziellen Sorgen begleiten den Verein bis heute. Es mangelt ihm an unternehmerischem Netzwerk. Seit Längerem fehlt ein Hauptsponsor, seit Kurzem auch ein Präsident. Es stehen beim 105-jährigen Verein noch einige Aufgaben an. Eine Arbeitskraft geht so lange vermutlich nicht von Bord: Der unermüdliche Emanuel Willi wird noch ewig sein Herzblut, seine Kraft und seine Zeit zur Verfügung stellen. Auch dank ihm wird der Fussball auf Tribschen weiterleben. Wie sagte Komornicki in diesen Tagen: «Solche Vereine wie Kickers mag ich. Sie haben eine Seele.»
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Text: Pascal Schwyn / Bild: Paul Gaythorpe/pk4 images
Vom Grünfeld aufs älteste Grün der Welt Der Neuenburger Jayson Leutwiler (23) wechselte diesen Sommer aus der 1. Liga zum englischen Traditionsverein Middlesbrough. Eine zufällige Entdeckung, wochenlanges Hinhalten und der Wille, mehr zu sein als nur ein Tourist.
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rst einige Monate ist es her, dass Jayson Leutwiler zum ersten Mal ins Flugzeug Richtung Middlesbrough gestiegen ist. Damals, Mitte Mai, spielte er in der 1. Liga mit Schaffhausen gegen Rapperswil-Jona. Sein Team siegte im Stadion Grünfeld vor 380 Zuschauern mit 2:0. Gestern sei die Ambiance schon etwas anders gewesen, berichtet der 23-jährige Ersatzgoalie des FC Middlesbrough, das in der zweithöchsten engli-
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schen Liga – der Football League Championship – spielt. In den ersten Partien spielte sein Team vor durchschnittlich 10 700 Fans. Gestern hiess das Stadion nicht Grünfeld, sondern Deepdale – das älteste ununterbrochen bestehende Fussballfeld der Welt (seit 1878). Gegner war Preston in der 3. Runde des Ligacups, der erste englische Meister der Geschichte. Im Vergleich zur Partie gegen Premier-League-Absteiger Blackburn (2:1)
rochierte Middlesbrough-Trainer Tony Mowbray gleich auf zehn Positionen, sodass auch Jayson Leutwiler zu seinem Debüt bei «Boro» kam. Die Bedingungen waren alles andere als einfach. Seit Tagen hat es im Nordosten Englands ohne Unterlass geregnet. «Es war sehr schwierig, meine Handschuhe waren extrem rutschig», blickt Leutwiler zurück. Doch Middlesbrough bezwang die eine Liga tiefer spielenden «Lillywhites» mit 3:1, der Goalie lieferte eine solide Leistung ab. Heute ist der Neuenburger ziemlich müde. Nicht, dass der Sieg in Preston noch bis in die Morgenstunden gefeiert worden wäre; der Teamcar sei einfach erst um zwei Uhr morgens wieder zurückgekehrt. «Es wird sicher mal eine Party geben, aber wir müssen wissen, wann», sagt der Sohn einer Kanadierin und eines Schweizers über die berüchtigten ausufernden Nächte der englischen Fussballer. Im Moment steht «Boro» – zum ersten Mal seit 2005 – in der 4. Runde des Cups, in
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der Meisterschaft befindet sich das Team im vorderen Mittelfeld der Tabelle. Das sei nicht der Ort, wo man hinwolle. Und deshalb gibt es auch keinen Grund zum Feiern. Der Scout am falschen Spiel «Eigentlich kann ich immer noch nicht glauben, dass ich hier bin», sagt Leutwiler, der im beschaulichen Neuenburger Dörfchen Cornaux aufgewachsen ist. Und das verwundert auch nicht. Schliesslich hat er vor einigen Monaten noch in der vierthöchsten Liga der Schweiz auf Dorfplätzen gekickt, heute spielt er in den Stadien der zweithöchsten englischen Spielklasse – oder läuft sich zumindest ein. Der erste Kontakt zu den Engländern entstand Ende November des vergangenen Jahres. Leutwiler spielte in der U21 des FC Basel, doch beim Klub am Rheinknie hatte er keine Zukunft. «Er ist in ein Loch gefallen», erinnert sich Patrick Rahmen, Leutwilers langjähriger Coach beim FCB-Nach-
wuchs und heutiger Assistenztrainer von Thorsten Fink beim HSV. In ein Tief geriet Leutwiler, nachdem er zuvor an Wohlen in die Challenge League ausgeliehen worden war und dort unglücklich agiert hatte. «Wir haben sehr viel miteinander geredet. Ich habe ihm geraten, weiter durchzuhalten und an sich zu glauben», blickt Jaysons Vater JeanMarc, der früher das Tor bei Cornaux in der 3. Liga hütete, zurück. Der Sohn übernahm den väterlichen Optimismus. Er wechselte wieder zurück zu Basels U21, und im letzten November gastierte sein Team in Dornach. Unter den 350 Zuschauern auf der Sportanlage Gigersloch war per Zufall ein Scout des FC Middlesbrough. Eigentlich war er in der Gegend, um die später stattfindende Super-League-Partie des FC Basel gegen YB zu beobachten, wo interessante Spieler wie Xhaka, Ben Khalifa, Costanzo oder Dragovic auflaufen sollten. Aber auch der Goalie des FCB-Nachwuchsteams gefiel ihm.
So stellte der Scout den ersten Kontakt zu Leutwilers Berater her: Gaetano Giallanza, der einstige Wandervogel, der als Aktiver selber auch drei EnglandAbenteuer – bei Bolton, Norwich und Darlington – vorzuweisen hat. Ein Goalie, wie ihn Engländer lieben Man habe einen interessanten Goalie gesehen, hiess es in Middlesbrough. Nur brauche der Klub im Moment keinen Keeper, erst im Sommer. «Ich habe gedacht, die kommen sowieso nicht auf mich zurück», erinnert sich Leutwiler. Warum sollte man ihn auch in einem Verein brauchen, der drei A-Nationalspieler sowie elf Nachwuchsinternationale unter Vertrag hat? Ihn, der gerade mal zwei Spiele mit der Schweizer U20 vorzuweisen hat? Ein konkretes Angebot bleibt aus, und der FC Basel leiht Leutwiler zum vierten Mal aus. Nach Concordia Basel, Yverdon und Wohlen läuft er ab Sommer 2011 für den FC Schaffhausen auf. Giallanza erhält indes den
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Jayson Leutwiler
Geboren am 31. März 1988 Alter: 23 Position: Torhüter Grösse: 1.93m Bisherige Vereine: Cornaux (1996–2002), Neuchâtel Xamax (2002–2005), FC Basel U18 und U21 (2007–2012). Ausgeliehen an: Concordia Basel (2007), Yverdon-Sport (2009–2010), Wohlen (2010), Schaffhausen (2012). Aktueller Verein: FC Middlesbrough (Football League Championship; zweithöchste Liga Englands) Nationalmannschaft: 2 Einsätze mit der U20 (total 135 Einsatzminuten).
Kontakt zu den Engländern aufrecht. Noch während der Saison reist Leutwiler nach dem angesprochenen 2:0-Sieg von Schaffhausen in Rapperswil-Jona ein erstes Mal nach Middlesbrough, für ein einziges Training. Und Goalietrainer Stephan Pears gefällt, was er sieht. «Die Engländer lieben den Typ Goalie, der Leutwiler iSt. Gross, aber trotzdem sehr beweglich», weiss Romain Crevoisier, der Leutwiler beim FCB als Goalietrainer sechs Jahre lang trainierte und zuvor von Neuenburg ans Rheinknie geholt hatte. Er solle im Sommer nochmals kommen, heisst es verhalten optimistisch aus England. Schwere Tage in der Vorbereitung In der Sommerpause hält sich Leutwiler mit Cedric Saladin (heute Black Stars Basel), dessen Zukunft damals ebenfalls unsicher ist, fit. Die Option Schaffhausen konnte sich Leutwiler nicht offenhalten. Dort war man nicht bereit, länger auf eine Zu- oder Absage des unentschlossenen Leutwiler zu warten, und hat ihm Letzteres erteilt. Erneut reist er in den Nordwesten Englands. «Wenn es gut läuft, bist du einen Monat hier. Wenn
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nicht, nur eine Woche», hört der junge Schweizer Goalie bei seiner Ankunft. An Konkurrenten für den Posten als Nummer 2 – Jason Steele war von Beginn weg gesetzt – fehlt es nicht. Plötzlich taucht auch noch Routinier Jamie Ashdown von Portsmouth auf. Doch zum Glück für Leutwiler erhält dieser ein Angebot von Leeds und ist schnell wieder weg. Es folgen Trainings und Testspiele, danach wird Leutwiler gar fürs Trainingslager in Portugal aufgeboten. Doch ein Feedback oder eine Entscheidung? Nein, Geduld ist gefragt. Erst heisst es, den Entschluss erfahre er nach dem Trainingslager, sollte er doch erst nach dem Freundschaftsspiel gegen Hartlepool fallen. Doch Leutwiler wartet vergeblich, man hält ihn hin. Es wird sogar kurzfristig ein zusätzlicher Goalie getestet. «Das waren sehr schwierige Tage», sagt der 23-Jährige. Er habe sich zu fragen begonnen, ob man nun doch nicht zufrieden gewesen sei mit ihm. Angst macht sich breit, ein zu grosses Risiko eingegangen zu sein. «Er ist ein sehr sensibler Spieler, der sich sehr schnell hinterfragt», weiss Patrick Rahmen. Das Engagement kommt dann aber tatsächlich zustande, Leutwiler unterschreibt einen Zweijahresvertrag. «Er zeigte einige starke Paraden in der Vorbereitung. Ich hoffe, dass er diese auch zeigen kann, wenn er zum Einsatz kommt», lobt Middlesbrough Manager Tony Mowbray. Er – als langjähriger Boro-Spieler und -Captain eine Klub-Ikone – soll die Ansprüche der Fans befriedigen und das stolze Gründungsmitglied der Premier League wieder in die höchste Liga führen. Denn Middlesbrough, Geburtsort der grossen Trainer-Rivalen Brian Clough und Don Revie, gehört ganz einfach in den Kreis der Grossen. Schöner Stolz, keine schöne Stadt «Ich bin unglaublich stolz auf ihn. Es ist eine Belohnung für die vielen Opfer, die er gebracht hat», freut sich Vater Leutwiler für seinen Sohn. Mittlerweile sind
bereits die ersten Runden in der Championship gespielt, und Leutwiler ist bei «Boro» integriert. «In der ersten Woche habe ich praktisch nichts verstanden, nun ist mein Englisch schon besser.» Mit seinen Teamkollegen hat Leutwiler, der in einer Zweizimmerwohnung zwischen dem Trainingsgelände und dem Stadion lebt, in der Freizeit nicht viel zu tun. Das Verhältnis ist distanziert. «In der Schweiz gibst du jedem die Hand, wenn du in die Garderobe kommst. Hier sagt einfach jeder kurz ‹Morning›», erzählt Leutwiler. Einzig mit dem dritten Torhüter, Connor Ripley, trifft sich der Neuenburger auch ausserhalb des Fussballs. Ripley hat früher in Montreux gewohnt, so können sich die beiden Goalies auf Französisch austauschen. Im Oktober besuchten ihn Eltern, Schwester und Freundin zum ersten Mal in der ehemaligen Industriestadt. «Wirklich schön ist Middlesbrough nicht», sagt Leutwiler über sein neues Zuhause. Jason vs. Jayson Aber die Stadt interessiert ihn eigentlich auch nicht, schliesslich sei er nicht als Tourist hier. «Mein Ziel ist, die Nummer eins zu werden, auch wenn das im Moment sehr schwierig ist», sagt Leutwiler. Jason Steele befindet sich derzeit in ausgezeichneter Form und gilt als eines der grössten Goalietalente des Landes. «Er muss Steele Druck machen, es soll ein Konkurrenzkampf entstehen», fordert Manager Mowbray. Zu seinem ersten Geburtstag hat Jayson Leutwiler von seinem Onkel einen Fussball geschenkt bekommen, wie Vater Jean-Marc erzählt. Nie mehr habe er sich davon getrennt, und schon als kleiner Bub habe er vom englischen Fussball geträumt. Ein Traum, den sich Leutwiler dank viel Engagement und Risiko erfüllt hat. Und natürlich spielte auch das Glück mit – denn wo wäre Leutwiler heute, wenn der englische Scout direkt in den St.-Jakob-Park gefahren wäre?
fifa Text: Jean-François Tanda
FIFA vs. Nigeria-Connection Oluwashima Ahmed hat auf einem Fresszettel fast die gesamte Fussball-Elite verklagt. Die US-Justiz wurde nun tatsächlich aktiv.
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eit Jahren machen sogenannte Nigeria-Spammer Schlagzeilen mit ihren E-Mails, die Reichtum versprechen. Sie schreiben von Millionenvermögen, die sie ausser Landes bringen wollen, und bitten die Empfänger ihrer E-Mails um Unterstützung. Je nachdem stammt das angebliche Vermögen von verstorbenen Politikern, Familienmitgliedern oder Geschäftsleuten. Am Ende, so das Ziel der Nigeria-Spammer, soll der Empfänger im reichen Europa einen Vorschuss leisten, um das angebliche Vermögen ins Ausland zu schaffen. Klar hat bisher keiner jemals sein Geld wiedergesehen, der einen solchen Vorschuss geleistet hat. Oluwashima Ahmed hat diese Masche verfeinert. Dabei zählt der Nigerianer aus Lagos offenbar auf die Unterstützung der US-Justiz, die hin und wieder reichlich absurde Urteile fällt. Mit Schreiben vom 3. April 2012 – handgeschriebene 26 Seiten – hat Oluwashima FIFA, UEFA, FC Barcelona, den englischen und den nigerianischen Fussballverband, die spanische Profiliga, den afrikanischen Fussballverband, Manchester United, Lionel Messi und «andere» eingeklagt. Er beschuldigt sie alle kollektiv des Wettbetrugs, der Verschwörung zum Wettbetrug, der Korruption und der Geldwäsche, der Verletzung der Kinderrechtskonvention und der Verschwörung zwischen Sponsoren, Austragungsländern und Werbefirmen. Die Auswirkungen dieser Gesetzesbrüche seien «zerstörend für die Moral der Jugend», schreibt er. Ebenso würden viele Fussballfans Suizid begehen. Und noch etwas genauer Ziel des Nigerianers scheint es zu sein, die weltweite Prominenz aus Sport und Politik in den Fall reinzuziehen. Darauf
jedenfalls lässt die Liste von Personen schliessen, die Oluwashima als Mitkläger nennt oder als Beklagte bezeichnet. An seiner Seite sollen etwa Barack Obama, Hillary Clinton, Cristiano Ronaldo, Nelson Mandela und die CIA kämpfen.
Auf die Gegenseite will er – immer gemäss Klageschrift – unter anderem «Silvio Balisconi», «Nichola Zakozi», «David Cameroun», «Angella Mounkrill», «Arsel Wenger», «I. Abrahmovic» zerren. Auch Cristiano Ronaldo und José Mourinho tauchen in dieser Liste wieder auf – wie bereits auf jener, auf der Oluwahsima die «Mitkläger» aufgelistet hat. Wer nun denkt, die US-Justiz hätte diesen Fall gar nicht erst ernst genommen, der irrt. Das Bezirksgericht des Northern District of Georgia, Atlanta Division, führt das Verfahren unter der Fallnummer 1:12-CV-1428-RLV. Der erste Entscheid in dieser Sache wurde bereits gefällt: Richterin Janet F. King befreite Oluwashima von der Pflicht, einen Vorschuss zu leisten. Dennoch forderte sie den Nigerianer auf, seine Vorwürfe und Klagegründe genauer zu umschreiben – was der Mann dann auch tat: Der WM-Final 1990 sei zugunsten von Deutschland geschoben gewesen, weil Argentinien als ein Drittweltland betrachtet werde. Warum aber dann der U-20-WM-Final für Argentinien, aber
gegen Nigeria geschoben gewesen sei, erklärt Oluwashima nicht. Ebenso wenig, warum der FC Barcelona in insgesamt fünf Champions-League-Spielen Profiteur von geschobenen Spielen gewesen sei. Er schreibt einfach generell: Die Katalanen waren Begünstigte geschobener Champions-League-Spiele. So habe zum Beispiel Arsenal im Finale von 2006 absichtlich einen Spieler (Jens Lehmann) durch eine Rote Karte verloren. Und 2011 sei Real Madrid gegen Barcelona im Halbfinale das Opfer von «match fixing» gewesen und sei damit um die Möglichkeit gebracht worden, im Finale gegen den FC Porto zu spielen – obwohl Porto in jenem Jahr lediglich im Europa-League-Endspiel stand. Whistleblowing für Sepp Wie es sich auch für die Spammer der Nigeria-Connection gehört, geht es Oluwahima um Geld – viel Geld. In seiner handgeschriebenen, insgesamt über 40-seitigen Klageschrift erinnert er daran, dass FIFAPräsident Sepp Blatter «riesige Entschädigungen» für Whistleblowers in Aussicht gestellt hat, die Wettbetrügereien beweisen könnten. Als Zeugen will er Samuel L. Jackson, Denzel Washington, Julia Roberts, Roger Federer und viele mehr aufbieten. Trotz des Who’s who der Weltprominenz: Bei der Fifa in Zürich weiss man laut einem Mediensprecher nichts von der Klage in den USA. Es ist auch unwahrscheinlich, dass sich die Rechtsabteilung vom Sonnenberg jemals ernsthaft mit dem kuriosen Fall in Atlanta befassen muss. Für das dortige Bezirksgericht ist Oluwashima kein unbekannter Kunde. Am 7. Juni 2012 hat das Gericht bereits eine Klage von ihm abgewiesen. Er hatte Grossbritannien, Irland, Nigeria, Spanien und «andere» wegen Menschenrechtsverletzungen eingeklagt. Die Urteilsbegründung dürfte Oluwashima keine Freude bereitet haben. Der zuständige Richter schrieb nämlich, Oluwashima eine Fristerstreckung zu gewähren, um seine Klage besser zu begründen, wäre «eine reine Verschwendung von Gerichtsressourcen».
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NLA-Legende
Text: Peter Hartmann / Illustration: Zoran Lucic
Schweizer wider Willen Rosario Martinelli spielte als Köbi Kuhns Partner 16 Jahre für den FC Zürich, weil das Land seiner Herkunft und seiner Träume wegen eines Zahnarztes die Grenzen schloss.
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en Vertrag mit der AC Milan, seinem Wunschklub, hatte er bereits in der Tasche, die Transfersumme für den FC Zürich hatte der präsidiale Zigarrenhändler Edi Nägeli auf eine Million Franken festgeschrieben. Eins Komma sechs Milliarden Lire. Auch Napoli, Bologna und Atalanta Bergamo hatten ihre Späher und Abwerber in den Letzigrund geschickt. Doch ein Fremder mit Schlitzaugen aus einem geisterhaften Land, das bis heute keine Ausländer über seine Grenzen lässt, spielte Schicksal. Ein Zahnarzt, der ihn nie behandelt hatte, fügte ihm den Schmerz seines Lebens zu.
Rosario Martinelli sah sich an jenem 19. Juli 1966 in Wetzikon auf dem Sofa vor dem Fernseher das WM-Vorrundenspiel Italien gegen Nordkorea an. «Ich war 25 Jahre alt und wohnte als sparsamer Bergamaske noch bei den Eltern», erinnert er sich. «Ein Auto besass ich nicht; ich fuhr täglich mit dem Zug zum Training nach Zürich.» Auf dem kleinen Schwarzweiss-Bildschirm flimmerte der Ayresome Park von Middlesbrough. Plötzlich, in der 42. Minute, schlenzte ein Nordkoreaner namens Pak Doo-ik, ein Zahnarzt aus Pjöngjang, den Ball aus 16 Meter ins Torgehäuse des grossen
Albertosi und schickte die ruhmreichen, überheblichen Italiener zurück auf ihren Stiefel. Für die Squadra azzurra und ihre Lichtgestalten Rivera, Mazzola, Facchetti ein Untergang wie eine Kriegsniederlage. Bei der Ankunft in der Heimat wurden die Italiener mit Tomaten und faulem Obst beworfen, Nationalcoach Edmondo Fabbri blieb ein Geächteter. Eine merkwürdige Karriere Wir sitzen auf der Terrasse der «Cantina Ticinese» in Breganzona oberhalb Luganos. Rosario Martinelli wird 71, er ist wie die grossen Mittelfeldspieler, wie Pelé und Maradona, im Oktober geboren. Und doch sieht er fast gleich aus wie damals, merkwürdig ungealtert, obwohl er vor elf Jahren schwere gesundheitliche Probleme hatte. Er entkräftet die Gerüchte: «Ich lebe seither nur mit einer Niere, aber es geht mir gut, sehr gut.» Martinelli kommt aus dem 3000-SeelenDorf Fiorano al Serio bei Bergamo, von wo aus seine Eltern – der Vater Mechaniker, die Mutter Fabrikarbeiterin – in die Schweiz aufbrachen, als er 15 war. Er
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ist in der Schweiz geblieben, obwohl er als Spieler nur einen Wunsch hatte: «Ich wollte zurück nach Italien. Jahr für Jahr hatte ich diese Hoffnung. Ich glaubte, dass ich eines Tages für die italienische Nationalmannschaft spielen würde. Deshalb habe ich es immer abgelehnt, mich in der Schweiz einbürgern zu lassen.» Er hätte 1966 an jener fatalen WM für die Schweiz antreten können. Der damalige Nationaltrainer, Dottore Foni, ausgerechnet ein Italiener, hatte ihn früher schon aufgeboten, in Unkenntnis darüber, dass Martinelli keinen Schweizer Pass besass. Er erlebte eine merkwürdige Karriere fern der Heimat als Ausgesperrter, sozusagen im Niemandsland der Bürokratie. Dies wurde aber auch zum Glücksfall, denn so wurde er zum besten Ausländer, der je für den FC Zürich spielte. Und dies 16 Jahre lang. Dass er den Vertrag mit der AC Milan nie unterzeichnen konnte, war die Schuld ebenjenes Zahnarztes. Als Konsequenz des Nordkorea-Debakels verfügte der italienische Verband die totale Importsperre für Profis aus dem Ausland zum Schutz des heimischen Nachwuchses. Unter das Embargo fielen auch sogenannte Oriundi, im Ausland geborene Spieler italienischer Abstammung, aber selbst lupenreine Italiener, die es in die Emigration verschlagen hatte. Wie eben Martinelli. Schlupflöcher gab es keine. Die Grenze ging erst 1980 wieder auf, aber da war er schon 37. Vom Präsidenten entdeckt Auch in der Schweiz war das Terrain bürokratisch vermint. Der Vater hatte den 15-jährigen Rosario bei den Behörden um zwei Jahre jünger gemacht, «sonst hätte ich nur drei Monate bleiben können». FCZ-Boss Nägeli, der sonntagmorgens mit Fliege und Hut im Mercedes übers Land fuhr, hat ihn damals auf
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den Zweitliga-Plätzen im Zürcher Oberland entdeckt. Martinelli wurde wieder zwei Jahre älter und debütierte mit 19 in der Nationalliga A. Als rechter Flügel, links aussen stürmte Köbi Kuhn. Trainer Louis Maurer, ursprünglich ein Torhüter, der in der Vorkriegszeit für Olympique Marseille gespielt hatte, erfand die beiden als Mittelfeld-Besetzung, das die Liga nachhaltig prägte. «Köbi war der Ballverteiler, er hatte eine grossartige Technik und spielte unglaublich frech», sagt Martinelli. «Ich war der ‹Motor›, wie man mich damals nannte. Ich dribbelte die Gegner aus, fand den letzten Pass oder suchte selber die Torchancen. Aber wir spielten für die Mannschaft, das war uns immer klar.» Es war der Beginn einer wunderbaren lebenslangen Freundschaft. Die beiden harmonierten so gut, dass sie bald als Zwillinge bezeichnet wurden. Dazu passt die Geschichte, dass sie auch fast dazu gemacht wurden: Noch in der 100-Jahr-Jubiläumsschrift des FCZ wurden sie, deren Geburtstag nur einen Tag auseinanderliegt, mit dem gleichen Jahrgang versehen, obwohl Martinelli zwei Jahre älter ist. Die Freundschaft hielt auch nach ihren Aktivkarrieren an: Während Kuhns Zeit als Nationaltrainer war Martinelli im Wahrnehmungsschatten der Medien sein engster Ratgeber. «Vier Augen sehen mehr», sagt er. Liebling der Damen Rosario, den alle nur «Rosa» nannten, besuchte mittags manchmal die «ZüriBar» oder das «Malatesta» im Zürcher Niederdorf, weil er nebenan in Zweidlers Kleiderladen arbeitete, bei einem späteren FCZ-Präsidenten. Dort schlürfte er seinen Espresso, während um ihn herum alle italienisch durcheinanderredeten. Er selber sagte nie sehr viel. Er sprach mit den Füssen und mit dem Ball. Die Ele-
ganz und die handwerkliche Genauigkeit seines Spiels erinnerten an das Metier der Massschneider, deren Dienste Martinelli gerne in Anspruch nahm: Kein Fussballer war besser angezogen, keiner hatte – jenseits von Glanz und Gloria – so viele ständige Verehrerinnen. Und keiner hatte diesen Zug zum Tor. Als Mittelfeldspieler besass er irgendwie das absolute Gespür für die Vertikale und schoss selber Goals am Laufmeter. Im Derby gegen GC waren es mal vier, mal drei. Insgesamt traf er 126 Mal in 343 Spielen – eine phänomenale Quote. Der Ruhm, den er in Italien gesucht hatte, fand ihn in Zürich. Sechs Meistertitel und fünf Cupsiege wurden es. Zweimal stand er mit dem FCZ im Halbfinal des Meistercups: 1964 der Auftritt gegen Real Madrid mit Puskas und Di Stefano im Letzigrund, 1972 gegen den FC Liverpool. Er erlebte noch die ungarisch-tschechoslowakischspanische Legende László Kubala, der nach seiner Zeit bei Barcelona in Zürich als Trainer anheuerte. 1966 war das, als jener Nordkoreaner gegen Martinellis Heimatland traf und damit dessen Karriere massgeblich beeinflusste. Kubala blieb nur für fünf Monate. Gelegentlich hatte er mit 39 noch den Spielertrainer auf dem Platz gegeben, und Martinelli schaute ihm die angeschnittenen Aussenristpässe ab. Kubalas Engagement, erinnert sich Rosa, endete abrupt nach einem belanglosen Freundschaftsspiel. In der Pause hatte Präsident Nägeli eigenmächtig den unbeschäftigten Goalie Iten ins Tor des Gegners beordert. Kubala hatte für diese Massnahme keinerlei Verständnis. Er kündigte auf der Stelle und übernahm kurz darauf Spaniens Nationalmannschaft, die er während elf Jahren führte. Vielleicht ist der geborene Trainer Martinelli deshalb nie Trainer geworden.
Das schwarze Brett 50 JAHRE BUNDESLIGA
Rubrik
WOLFS BUCH
Paul Wolfisberg, Schweizer Nationaltrainer von 1981 bis 1985, hat ein Buch über sich schreiben lassen. Die Autoren sind nicht nur wie Wolfisberg Die Geschichte geht Luzerner, sondern auch ebenso bärtig wie der bald so: Christian Gross 80-Jährige. Das Buch, das Journalist Markus Föhn absolviert 1980 sein und FCL-Fanarbeiter Christian Wandeler herauserstes Training als Spiegegeben haben, ist liebevoll gestaltet und reich ler des VfL Bochum. bebildert. Sie erzählen in angenehm nüchternem Die Fans sind irritiert Stil über die Innerschweizer Fussball-Legende und ob seiner Haarpracht lassen ihn regelmässig zu Wort kommen. beziehungsweise ob Es beginnt im dunklen dritten Jahrzehnt des letzten seines Alters. «25 und Jahrhunderts, als Paul Wolfisberg in der Luzerner schon ne Pläte», heisst Nachbarsgemeinde Horw aufwächst. Reformiert und fussballverrückt – es am Trainingsfeld. das war damals nicht gerne gesehen. Wolfisberg war beides. Erst als er seine Da ruft ein Fan: «Wat Begabung fürs Zeichnen entdeckt und sein Fussballtalent geschätzt wird, erträgt will der denn hier? Die der sicher über h erst morgen!» Es ist eine er das Leben leichter. » alten Herren trainieren doc um salb um bilä «Ju dem södchen aus Von diesem Zeitpunkt an fokussiert sich das Buch fast ausschliesslich auf tausend Episoden und Epi d 50 in m, denn die Bundesliga wir iläu Jub Ja, gs. elin Fussball. en Privates und Berufliches wird stets von fussballerischen Ereignissen von Ben Red sch zwi h auc – fältigster Form gefeiert umrahmt hat und kleingehalten. Von seiner Familie erfährt der Leser fast nichts. a diesem Jahr! Das wird in viel etw t, bie rge Ruh sball-Autor aus dem Sogar seine Frau Marcelle, welche er am Abend nach der Heimkehr vom Besuch Buchdeckeln. Redelings, Fus em Werk sein in s ver inco gaz Ma r Plakate ode des WM-Finals Deutschland - Ungarn 1954 kennenlernt, kommt kaum vor. Hunderte Schnipsel, Bilder, les noch nie berlich Saison für Saison. Vie säu fein – lt stel nge » Wolfisbergs um Arbeit als Architekt, seine Bauten, die so passend zu seinem Wesen zusamme salb um bilä «Ju gstens vergessen. Das , äusserst pragmatisch sind («zweckmässige Häuser, ohne Extravaganz, solide und ten so gesehen, vieles schon län kdo Ane mit be gru und üllte Fussball-F nicht zu teuer»), werden ebenfalls nur kurz erwähnt. Selbst seine bürgerlichen ist eine bis an den Rand gef daktion so Ladung an bei der ZWÖLF-Re en allt geb er ein Männerverbünde, Zitaten und welche er seit der Pension stark pflegt, sind nur ein paar . sen extrem amüsantem Wis rk wenige Seiten wert. We beliebtem unnützem, aber sem die in ts gib len Abschlusstabel Hingegen wird detailliert beschrieben, wie Wolfisberg zwei Aufstiege mit dem Für die Statistiker: Ausser den desliga – zum Wälzer «50 Jahre Bun ser bes ift gre Ihr h. h FC Luzern in den 1950er-Jahren und den grossen Triumph mit dem Cupsieg nichts für euc nac hat Der . Moderator Gerhard Delling 1960 als Spieler sowie zwei Aufstiege mit dem SC Buochs als Spielertrainer mitin , Wie ich sie erlebte» von TVngt ehä ang il ikte tist kschau einen Sta erlebt. Es folgt ein paar Jahre später wieder eine Promotion: Den SC Kriens führt am 450 Seiten persönlicher Rüc der r, wa ner Trai der kel Fun Friedhelm er 1976 in die NLB, woraufhin ihn der kriselnde und gleichklassige FC Luzern dem etwa auch steht, dass ntes, übers Vorher gehts auch um Amüsa al). (7-m tieg abs ten vom gs. Kleinfeld nur ein paar Hundert Meter nordöstlich auf die Allmend lockt. häufigs elin Red bei als Ton in einem ernsteren Hier gewinnen die Ereignisse an Dichte. Fünf Kapitel – fast das halbe Buch – Ganze gesehen aber schon den zu es wie a, etw rät gut und ver erzählen die Autoren hervorragend recherchiert seinen Aufstieg vom lokalen Doch auch Delling unterhält . Etwas mehr artner Günter Netzer kam el-P pp Do mit en eErfolgstrainer Neckerei zum beliebten Nati-Coach. Er wird zum Wolf und die Nati-Abwehr Les s tige rich ein n getan. Aber es ist ebe ist. zur Abbruch re Bild hätte diesem Buch gut GmbH – dem «Blick» sei Dank. Nicht nur seinen Übernamen verktü -Le Klo ale ide die » biläumsalbum dankt Wolfisberg dem Boulevardblatt. Der Journalist Mario Widmer ist – eigentbuch, während Redelings «Ju iben. ble gen hän t dor und r hie ern und lich unfassbar – stets an seiner Seite und somit ständig auf dem Laufenden. Als Zum mehrmaligen Durchblätt Die Dank dafür ist ihm eine positive Berichterstattung gewiss. Dieser Opportunismus lag Ver m. lbu msa iläu desliga – Das Jub zeigt sich auch in vielen anderen Anekdoten im Leben Wolfisbergs. Ben Redelings: 50 Jahre Bun ack. Aber die Nati sorgt auch mit eigenen Kräften für ein neues Image. Vor allem mit Werkstatt. 384 Seiten, Paperb Verlag Die desliga. Wie ich sie erlebte. Bun re Jah 50 : ling Del d dem Sieg gegen England im Sommer 1981 gewinnt das Team an Kredit und Gerhar . lag en mit Schutzumsch Wolfisberg selber eine Verlängerung seines zunächst nur auf kurze Zeit vereinWerkstatt. 480 Seiten, Lein barten Engagements. Viele ehrenvolle Resultate bei (Test)spielen lassen seine Beliebtheit und somit seine Macht ansteigen. Er versteht dies prima zu nutzen, um auf den amateurhaften Verband Druck auszuüben. Ein vermeintlich märtyrerischer Rücktritt im Herbst 1984 ist der Höhepunkt dieser Streitigkeiten. Ein sehr kurzweilig geschriebenes Fussballbuch endet stimmungsvoll in seiner neuen und alten Heimat, der Dieser Mann hat in der Tat viel zu erzählen. Seit 1975 ist er «mit dem Allmend. «Was gibt es Schöneres, als direkt neben dem FC Zürich verheiratet» und hat als Masseur und Materialchef wenige Höhen Stadion zu wohnen, in dem ich so viele schöne Mound viele Tiefen mit seinem Verein durchlebt. Das anekdotisch aufgebaute mente erleben konnte?» Wolfisberg besucht nach wie Buch wirft einen offenen Blick hinter die Kulissen des FCZ, wo – wie schon vor jedes FCL-Heimspiel und wird dies noch lange tun. vermutet – echt harte Geschichten lauern. Das Wort Fusion gehört nicht zu Noch lieber würde er selber mitkicken, er ist immer noch Hermann Burgermeisters aktivem Wortschatz, Derbys sind für ihn die Saisongleich fussballverrückt. Doch heute stört sich keiner Höhepunkte schlechthin und seine GC-Antipathie ist zwischen den Zeilen doch mehr daran. (David Mugglin) öfters spürbar. Schade ist, dass dieses feine Buch in der Promotion arg oft als «Kult-Buc h» oder «Kultteil» (über «Kult-Hermi») angepriesen wird. Das kann mitunter nerven, ebenso wie die ziemMarkus Föhn und Christian Wandeler: Der Wolf – lich augenfällige Unterstützung durch Perskindol. Die Lektüre lohnt sich nichtsdes totrotz, denn Fussball-Legende Paul Wolfisberg. Tschuttiheftliverlag. man erfährt im Kleinen einiges über die geheimen Laster von Fussballstars. Und darüber, 328 Seiten, Hardcover. Erhältlich im Buchhandel oder wie sich der Fussball in der Schweiz in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt hat. direkt über www.tschuttiheft.li Hermann Burgermeister / Michael Lütscher: Meister! Burgermeister! 136 Seiten, broschiert. Erhältlich zum Beispiel in der Buchhandlung im Volkshaus in Zürich (www.volkshausbu ch.ch)
Meister der Herzen
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Helmut Haller 21.7.1939 – 11.10.2012
Text: Claudio Spescha
Churer Erinnerungen an den blonden Blitz Helmut Haller, kürzlich verstorbener Vizeweltmeister von 1966, hatte 1992 ein KürzestTrainerengagement in der Schweiz. Nach zwei Spielen war seine Zeit in Chur schon vorbei. «Der Tipp kam von Armin Veh», erzählt Jean-Pierre Kümmin, der 1992 als Sportchef und Interimspräsident einen Nachfolger für den slowakischen Spielertrainer Ladislav Jurkemik suchte. Jurkemik hatte den FC Chur bis in die Aufstiegsrunde zur Nationalliga A geführt, bis heute der grösste Erfolg in der Vereinsgeschichte. Die Churer, die mit deutschen Trainern (unter anderem mit Otto Pfister) verschiedentlich gute Erfahrungen gemacht hatten, hätten eigentlich gerne den ExSt.-Gallen-Spieler und heutigen FrankfurtTrainer Veh engagiert. Doch dieser winkte ab, weil er bereits in Augsburg unter Vertrag stand. Immerhin verriet er, dass sein Freund Helmut Haller gerne als Trainer arbeiten würde. So ergab es sich, dass Kümmin und Assistenztrainer Georg Aliesch nach Deutschland fuhren, um mit Veh zu verhandeln – und Haller engagierten. Kümmin: «Es hat ihn gereizt, als Trainer zu arbeiten. Und er hatte klare Vorstellungen. Das hat uns überzeugt. » Haller kannte Chur bis dahin nur vom Vorbeifahren. Von 1962 bis 1973 hatte der technisch brillante Mittelfeldspieler äusserst erfolgreich in Italien gespielt, war mit Bologna und Juventus Meister und als erster Ausländer Spieler des Jahres geworden. Im Sommer 1992 machte er sich dann auch mit den Anlagen auf dem Sportplatz Ringstrasse vertraut, der von FCZ-Trainer Hannes Bongartz kurz zuvor als «Acker» verspottet worden war. Eine Vaterfigur, kein Fussballtrainer Der Churer Sportjournalist Hans-Jürg Toggwiler hat damals aus nächster Nähe miterlebt, wie die Anfangseuphorie über Hallers Verpflichtung sehr rasch der Ernüchterung wich. Haller, der kaum als Trainer gearbeitet hatte (nur im deutschen Amateurfussball bei Schwaben Augs-
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burg), war nicht gerade auf dem neuesten Stand. «Die Trainingsmethoden waren altmodisch, der Fussball, den er spielen liess, ebenso», meint Toggwiler. Dazu habe Haller die Autorität gefehlt, welche die Churer Fussballer von seinem Vorgänger Jurkemik gewohnt gewesen waren. «Helmut Haller war mehr Vaterfigur als Trainer.
Er liess den Spielern zu viele Freiheiten und war zu lieb. Das haben die Spieler ausgenutzt», erzählt Toggwiler. Er illustriert dies mit folgender Anekdote: Nach dem Training habe Haller die Spieler zwar jeweils aufgefordert, die Trainingsbälle und -leibchen einzusammeln. Diese hätten das aber ignoriert – und so habe Haller es eben selbst gemacht. Offenbar machte man Haller aber irgendwann darauf aufmerksam, dass sein Training zu locker sei. Wie ein ehemaliger Spieler erzählt, soll er im Abschlusstraining vor dem ersten Meisterschaftsspiel sehr hart trainiert und dabei die Spieler im Zwergengang um den ganzen Platz geschickt haben. Mit entsprechend schweren Beinen ging die Auftaktpartie dann gleich verloren.
Auch im folgenden Spiel gab es keine Punkte, danach brach Haller zusammen mit «Bomber» Gerd Müller auf eine Promotionstour für einen Sportartikelhersteller nach Japan auf, was mit den Churern vertraglich so vereinbart gewesen war. Aus den zwei Partien ohne den Deutschen resultierten ein Unentschieden und ein Sieg, worauf man den Vertrag mit Haller auflöste und die Verantwortung dem CoTrainer und einstigen FCZler Georg Aliesch übertrug. Gemäss Interimspräsident Kümmin habe Haller selber um die Freistellung gebeten. «Er hat uns gesagt, er habe den Aufwand total überschätzt. Er wäre gerne häufiger zu seiner Familie nach Augsburg gefahren. Das war aber auch mit dem damaligen Halbprofitum in der NLB nicht vereinbar.» Den Bündnern entstanden dadurch keine hohen Kosten. «Haller war für uns kein teurer Trainer», meint Kümmin, der den einstigen Weltstar als sehr angenehmen und sensiblen Menschen in Erinnerung hat. Nur drei Monate dauerte die Liaison, Haller wurde in der Stadt, in der im Sommer immer wieder Hitzerekorde gemessen werden, nie warm. Ein letztes Mal von sich reden machte Helmut Haller 1996, als er den Engländern den Ball des WM-Finals von 1966 zurückgab, der 30 Jahre als verschollen gegolten hatte. Haller hatte ihn nach der Finalniederlage im Wembley als Souvenir mitgenommen. «Ich habe gegen Ende der Verlängerung so lange gedribbelt, bis der Schiedsrichter abgepfiffen hat», zitierte der «Tages-Anzeiger» den ersten Torschützen in jenem legendären Endspiel. Anlässlich der EM 1996 hatten sich Reporter der englischen Revolverblätter «The Sun» und «Daily Mirror» auf die Suche nach dem Ball gemacht und ihn bei Helmut Haller in Augsburg gefunden. Haller soll ihn schliesslich für 200 000 Franken dem «Daily Mirror» verkauft haben, was die «Sun» mit der Schlagzeile «Dieser gierige Kraut» kommentierte. Helmut Haller ist am 11. Oktober 2012 im Alter von 73 Jahren in Augsburg gestorben.
Fussball-Smalltalk Der durchschnittliche Schweizer Nationalspieler (Aufgebot vom Oktober 2012) hat schon für 3.96 Vereine gespielt. Bei der Partie in der Coppa Italia zwischen Juventus Turin und Sampdoria Genua im Dezember 2001 blieben im Stadio Delle Alpi 66 992 Plätze frei. Das schlechte Wetter, die LiveÜbertragung und das generell geringe Interesse am italienischen Pokal hielt nur 237 Zuschauer nicht von der Anreise ab. Die Frauennationalmannschaft der DDR bestritt nur ein einziges Spiel. Am 9. Mai 1990 verlor sie in Potsdam gegen die CSFR vor 800 Zuschauern mit 0:3. Fünf Monate später wurde das Land aufgelöst. Der jüngste Spieler, der in der Champions League jemals zum Einsatz kam, war der Nigerianer Celestine Babayaro vom RSC Anderlecht im Jahre 1994. Er war damals 16 Jahre und 87 Tage alt. Er ist gleichzeitig auch der jüngste Spieler mit einem Platzverweis in der Königsklasse. In seinem ersten Spiel gegen Steaua Bukarest sah er nach 37 Minuten Rot. Das Pech bei seinen Debüts blieb an ihm haften: Bei seiner ersten Partie für Chelsea 1997 unter Ruud Gullit erzielte er in einem Vorbereitungsspiel gegen Stevenage zwar gleich einen Treffer, beim anschliessenden JubelSalto brach er sich aber ein Bein und fiel monatelang aus. 2008 folgte er Gullit zu Los Angeles Galaxy. Noch vor seinem ersten Spiel beschwerte er sich über die «schäbigen Unterkünfte» und die Tatsache, dass er Economyclass fliegen müsse. Bei seinem Debüt in einem Testspiel gegen den FC Seoul kassierte er erst eine Gelbe Karte, verschuldete dann einen Elfmeter und wurde zur Pause ausgewechselt. Kurz darauf wurde sein Vertrag aufgelöst. Im Februar 2011 musste Babayaro, der zeitweise 25 000 Pfund in der Woche verdient hatte, Privatkonkurs anmelden. Die einzigen Spielminuten, in denen Lionel Messi bislang noch nicht für Barcelona getroffen hat, sind die 1., die 2., die 14., die 15., die 46., die 61. und die 69. Der 4:0-Heimerfolg von Manchester United über Wigan am 15. September 2012 war Rio Ferdinands 400. Spiel für United, das 500. Premier-League-Heimspiel von Sir Alex Ferguson, die 600. Premier-League-Partie für Ryan Giggs sowie der 700. Einsatz von Paul Scholes für seinen Verein. Joseph Goebbels notierte in seinem Tagebuch nach einer 2:3-Niederlage Deutschlands gegen Schweden 1942: «100 000 Menschen sind deprimiert aus dem Stadion weggegangen. Den Leuten liegt der Gewinn dieses Fussballspiels mehr am Herzen als die Einnahme irgendeiner Stadt im Osten.»
Im bulgarischen Pokalfinale 1985 entwickelte sich eine Schlägerei, in deren Folge fünf Spieler lebenslang gesperrt wurden. Einer von ihnen war der seinerzeit 19-jährige Stoitchkov. Stoitchkovs Sperre wurde später aufgehoben, und er entwickelte sich zu einem der besten Fussballer der Welt. Deutschland verlor am 26. März 1939 gleich zwei Länderspiele: In Florenz unterlag man Italien mit 2:3, gleichzeitig verlor eine zweite Elf in Differdingen gegen Luxemburg mit 1:2. Zwischen der einen Eckfahne des Dens Park Stadiums (12 085 Plätze) des FC Dundee und derjenigen im Tannadice Park (14 223 Plätze) von Dundee United liegen 170 Meter Luftlinie. Den höchsten Zuschauerschnitt der vergangenen Saison in ganz Brasilien hatte der Santa Cruz FC aus der Série D, der vierhöchsten Liga. Der Verein aus Recife spielte im Estádio da Arruda vor bis zu 60 000 Zuschauern. Das letzte Mal, dass Spanien in einem Spiel weniger Ballbesitz hatte als der Gegner, war im EM-Finale 2008. Deutschland brachte es auf 52 Prozent, verlor dennoch 0:1. 1998 schaffte es Barnsley-Stürmer Ashley Ward, in einem Spiel gegen Sunderland innerhalb von 5 Minuten ein Tor zu erzielen, einen Elfmeter zu verschiessen und vom Platz zu fliegen. Deutsche Fussballer prägen Fremdsprachen: Die Vokuhila-Frisur heisst auf Italienisch «capelli alla tedesca», auf Niederländisch «duitse mat» und auf Ungarisch schlicht «Bundesliga». Nachdem Patrik Berger für Liverpool gegen Leeds im Februar 2000 ein Tor erzielt hatte, jubelte nicht nur der Torschütze, sondern auch der Schiedsrichter Mike Reed. Er hatte seine Faust in die Luft gereckt. Später gab er an, sich darüber gefreut zu haben, zu Recht auf Vorteil entschieden zu haben. Reed kam zwar mit einer Verwarnung davon, dennoch war es seine letzte Saison als Profi-Schiedsrichter. Das teuerste Fussballtrikot ist jenes, das Pelé in der ersten Halbzeit des WM-Finales 1970 getragen hat. Bei einer Versteigerung von Christie's wechselte es für umgerechnet 386 000 Franken in den Besitz eines unbekannten Sammlers.
«ZWÖLF – Fussball-Geschichten aus der Schweiz» wird von ZWÖLF – Verein für Fussball-Kultur mit Sitz in Bern herausgegeben. ZWÖLF erscheint sechs Mal pro Jahr. Verein und Magazin sind unabhängig. Meinungen von Autoren müssen sich nicht mit jenen der Redaktion decken. Kontakt: www.zwoelf.ch ZWÖLF auf facebook.com info@zwoelf.ch leserbriefe@zwoelf.ch Herausgegeben von: ZWÖLF – Verein für Fussballkultur Postfach 8951 3001 Bern PC 60-668720-9 Gian-Andri Casutt, Präsident Abonnemente: ZWÖLF – Das Fussball Magazin. Leserservice, Postfach, CH-6002 Luzern, Tel.: 041 329 23 10. Fax: 041 329 23 03. E-Mail: zwoelf@leserservice.ch Jahresabo (6 Ausgaben/39.– CHF) per Gratis-SMS an 919 mit ABO12 und Adresse (Beispiel: ABO12 Max Muster, Sportweg 12, 8000 Torhausen) Vertrieb: MDS – Media Data Services AG Chefredaktor: Mämä Sykora Stv. Chefredaktor: Sandro Danilo Spadini ZWÖLF, Postfach 8951, 3001 Bern Redaktion: Wolf Röcken, Silvan Lerch, Silvan Kämpfen, Claudio Spescha. Autoren dieser Ausgabe: Peter Balzli, Martin Bieri, Mario Gehrer, Peter Hartmann, Silvan Kämpfen, Silvan Lerch, Thilo Mangold, Corinna Morell, David Mugglin, Pascal Schwyn, Claudio Spescha, Jean-François Tanda, Beni Thurnheer. Bild: André Bex (Bildchef ), Claudio Baeggli (Cover), Stefan Bohrer, Paul Gaythorpe, Hannes Heinzer, Samuel Jordi, Zoran Lucic, Melanie Setz, Ian Stenhouse, Roger Zürcher. Anzeigen: Kilian Gasser Medienvermarktung GmbH Hellgasse 12, 6460 Altdorf, Tel. 041 871 24 46 kg@kiliangasser.ch Marco Durisch, durisch@zwoelf.ch, Tel. 079 221 11 12 Gestaltungskonzept, Art Direction: bex.fm, Badenerstrasse 415, 8003 Zürich André Bex, Visueller Gestalter (FH) www.bex.fm Druck: Neidhart + Schön AG, Dorfstrasse 29, 8037 Zürich Auflage: 10 000 Exemplare ISSN Nummer: 1662-2456
Das nächste Heft erscheint Im Dezember 2012.
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