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Mai / Juni 2013
brügglifeld serey die | tessiner leiden | Weisweiler hattrick | Fc tuggen | Manchester-Fans
Mehr Spielkunst, weniger Fouls. Spielt fair.
steigt auf ZWÖLF
G
rob geschätzt eine Fanstastilliarde Fussballvereine gibt es weltweit. Doch nur ein verschwindend kleiner Prozentsatz dieser spielt tatsächlich um Titel und Trophäen. Lässt man mal Brasilien mit seinen Dutzenden Copas, Torneios und Campeonatos weg, geht es für den Grossteil der Klubs allerhöchstens um Auf- und Abstiege. Der FC Aarau ist so ein Fall. Das Aufatmen nach der Relegation der Unabsteigbaren ist kaum verklungen, da klopfen die penetranten Aarauer schon wieder an die Tore der Super League. Und noch immer steht da keines dieser durchgestylten Stadien mit Logen, High-Tech-Toiletten und Arena-Cards, sondern noch immer dieses Brügglifeld mit Stahlrohr-Provisorien und Unkraut auf den Stehrängen. ZWÖLF war zu Besuch und verliebte sich vom ersten Anstossen mit dem Pernod einmal mehr in die letzte Bastion des unmodernen Fussballs. Auf die nächste Saison wird der FCA die Challenge League wohl verlassen. Dort bestellen derzeit gleich vier Tessiner Klubs ihre eigenen kleinen Gärtchen und verweigern sich konsequent einer Zusammenarbeit – von den Zuschauern ignoriert, von dubiosen italienischen Investoren infiltriert und von den eigenen Junioren verlassen. Ein Augenschein in der Sonnenstube der Schweiz, über deren Fussballwelt ein dunkler Schatten liegt. Noch eine Liga tiefer ist der FC Tuggen eine Kuriosität. Seit Jahren sind die Schwyzer Stammgast in den Aufstiegsspielen, nur um im entscheidenden Moment geradezu youngboysesk zu scheitern. Mit dem grossen Unterschied, dass man am Zürichsee ganz zufrieden ist mit der Rolle der «Unaufsteigbaren». Einen Abstieg hingegen hat Charyl Chappuis hinter sich, so möchte man meinen. Er sieht das indes ganz und gar nicht so. Der ehemalige U17-Weltmeister landete bei GC auf dem Abstellgleis und heuerte bei einem thailändischen Spitzenklub an. Seither wird er bei Restaurantbesuchen stets von einer Meute begeisterter Fans belagert. Ganz bleiben wir dann aber doch nicht in der Auf-/Abstiegsrunde hängen. So trafen wir zum Beispiel Serey Die und sprachen mit ihm über Gott und die … okay, hauptsächlich über Gott. Als solcher wurde auch «Don Hennes» Weisweiler seinerzeit vielerorts bezeichnet. Wir erinnern uns an die letzte Saison vor seinem Tod, in der er mit GC das Double holte. Gleich mehrfach mussten wir uns in der Produktionsphase dieser Ausgabe fragen, wie die Menschen zu Weisweilers Zeit überhaupt leben und arbeiten konnten, so ganz ohne Internet. In der Redaktion fiel dieses nämlich aus, was uns – nach einer kurzen, zweistündigen Panikattacke – wieder mal vor Augen führte, dass das Internet bestimmt nicht die schlechteste Erfindung aller Zeiten war. Sicher gar bedeutsamer als sagen wir die Pfeffermühle mit eingebautem Licht. Wir lösten das Problem aber gewohnt souverän mit der Anschaffung einer Hundertschaft USB-Sticks und der Inkaufnahme von Handygebühren in der Höhe des Transfer-Defizits von Manchester City. Nur unsere HattrickAufstellung konnten wir leider Gottes nicht machen. Auf Aufstiegskurs Eure ZWÖLF
Cover: Hannes Heinzer
Einlaufen
Rubriken
Planet Constantin: Der Walliser Sonnenkönig im O-Ton
42
Schweizerreise: FC Tuggen – Für immer 1. Liga
6
Wie gesagt, äh…: Fussballer reden
48
Unser Mann in London: Peter Balzli über den
7
Das Billett: Fast-Sensation in Buochs 52
Auslandschweizer: U17-Weltmeister Charyl
6
7
Die Tabelle: Freis Lieblingsopfer
8
Die Liste: Hohe Erwartung, tiefe Ernüchterung
10 Auswärtsfahrt: Ein Hauch von YB bei den Kiwis
Aufstand der Manchester-United-Fans Chappuis im Ferienparadies 60
an den Fussballehrer Hennes Weisweiler
12 Turnier-Irrsinn: Lusotonischer Irrgarten 13
Der Cartoon: Der Nächste, bitte
14
Barbesuch: Balkan in Basel
NLA-Legende: Über den Tod hinaus. Eine Hommage
65
Das schwarze Brett:
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Intimitäten von der Europacup-Halbfinal-Auslosung
67
Smalltalk und Impressum
Traditionen und Zukunftsvisionen
16 Die Verkörperung der Gegensätze Serey Die spricht über Gott, Ausraster und ein schwieriges Leben 26 Der gezeichnete Alex Frei Eine illustr(iert)e Karriere 30 Wie die Gallier Auf dem Brügglifeld kämpft man gegen die Zeit 38 Als passabel noch sensationell war Hattrick.org: Ein Online-Managerspiel als Lebensinhalt 40 Ein Präsident auf Abwegen Vor 100 Jahren stürmte Funktionär Henry Tschudy das Feld 54 Grande tristezza Tessiner Vereine zwischen Tradition, Krise und Neuorientierung
Planet Constantin «Ich werde ihm sagen, dass das nicht geht.» Und dann wird er die Fahne im Keller abhängen und stattdessen im Estrich platzieren? CC in der Sonntagszeitung über seinen Rechtsaussen Oskar Freysinger.
«Es war sehr spannend und gab viel zu diskutieren.» CC über einen Fernseh-Abend unter guten Feinden. Neben CC auf dem Sofa sass doch tatsächlich Sepp I. Blatter und sie schauten den Knüller... Papstwahl.
«Mein Spanisch ist nicht so toll und sein Französisch auch nicht.» Und leider wird die Nachwelt deshalb niemals erfahren, ob es ein frühmorgens-berufsgutgelaunter-Radio-Energy-Scherz-Telefonator war oder eben doch tatsächlich Diego Armando Maradona, der Constantin anrief, um sich als Sion-Trainer zu bewerben.
«Hat er überhaupt den nötigen Trainerschein? Der ist doch nur dank eines Verdienstdiploms des Verbandes argentinischer Nationaltrainer geworden. Dieses würde die Liga bei uns kaum akzeptieren.» Bei jeder anderen Trainer-Marionette wär das für CC ja ein lachhaftes Problemchen. Bei Maradona aber möchte CC aber schon, dass die Veloprüfung nicht abgelaufen ist, er das Seepferdchen.... und eben diese tranerdingsbums hat.
«Nächste Saison ist Gennaro immer noch mein Trainer. Dann wird er José Mourinho einladen, drei Tage nach Sion zu kommen, um ihm bei der Planung zu helfen.» Aber nur, wenn Messi auch Zeit für ein Probetraining hat und Guardiola auch kann. CC über Sion-Praktikanten.
«Rossini wird nicht in die Geschichte des Klubs eingehen.» Aber nur, wenn Messi auch Zeit für ein Probetraining hat und Guardiola auch kann. CC über Sion-Praktikanten.
«Haben Sie Rossini verpflichtet, weil Mozart nicht verfügbar war?» Frage des online-Portals "Bloody Mary" an Constantin.
«Wenn sie Karten spielen oder Fondue essen wollen, sollen sie das doch tun.» Grosszügig mit den Spielern, dieser CC. Natürlich können sie dies alles tun wenn sie schon einen neuen Vertrag mit einem anderen Verein haben…
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wie gesagt, äh . . . FCL-Mäzen Alpstaeg und die Frisuren - da wollte es der Blick genau wissen. Frage: Hat denn die Frisur etwas damit zu tun, ob einer ein guter Trainer oder Sportchef ist? Antwort Alpstaeg: «Nein. Aber bei Hermann hatte ich das Gefühl, dass er zu lasch ist. Wir brauchen einen, der den Spielern die Eier schleift.» Warum nicht selber schleifen, Herr Alpstaeg, beziehungsweise: Was verstehen Sie denn von Fussball? Antwort: «Nichts!» Er wisse nur, dass Hermann eben kein Eierschleifer gewesen sei. Dabei wärs doch so einfach, das Glück zu finden. «Wir haben die ganze Woche weniger trainiert und mehr diskutiert.» GC-Trainer Uli Forte über das Rezept, wie GC wieder zum Erfolg fand. Und als das Quatschen nichts mehr half, stimmte Forte an einer Pressekonferenz einfach den Blanco-Schlager «Ein bisschen Spass muss sein» an. Ein Gaudiclub, dieser GC.
Spass fehlt derzeit hingegen vollkommen in Bellinzona. Und Geld. Doch der Experte in Sachen Bellinzona-FinanzenInvestoren-Stadion-Fragen beruhigt: «Ich habe keine Angst um den Verein.» Hakan Yakin muss es ja wissen. Einer der wenigen Schweizer Clubs, bei dem Haki noch nie spielte, ist der FC Thun. Dabei arbeitet man gerade dort nach einer völlig neuen Philosophie. «Seit Fischer hier ist, liegt der Fokus wieder ganz klar auf der Mannschaft», sagt Thuns Präsident Markus Lüthi. Und vorher? Beim Wurststand? Oder bei der Marderzucht?
A propos Marder: der scheint nach der Thun-Episode ja verschwunden. Gleich, wie die Hoffnung darauf, dass Hitzfeld das Zypern-Spiel noch jemals nüchtern betrachten wird. «Emeghara hatte gute Szenen, zum Beispiel der tolle Pass auf Stocker.» Was Otti vergass zu erwähnen: Emeghara hatte sich auch die Schuhe selber gebunden! Kurz vor dem grossen und mit Spannung erwarteten Gastspiel von Tottenham beim FC Basel brannten den Journalisten natürlich einige Fragen unter den Fingernägeln. Die weitaus wichtigste davon prangte auf Blick.ch in gewohnt grosser Dimension: «Der Countdown: Federer hat vier Saisonkarten – kommt er heute?»
Gegangen ist hingegen Alex Frei und wurde bei seinem Abschied von der ganzen Schweiz gefeiert. Von der ganzen Schweiz? Nein, denn Newsnet-/Leser Urs Degen kommentierte völlig zu Recht: «Ausser im Fussball hat Alex Frei noch keine beruflichen Fähigkeiten gezeigt, die eine Feier rechtfertigen würden!». Natürlich verfolgt die ZWÖLF-Redaktion nach wie vor das Schicksal von Vereinen, über die wir einst berichteten. So auch jenes von Dukla Prag (siehe ZWÖLF #21), deren Partie gegen Jihlava, die wir über Facebook verfolgten. Dukla gab einen 4:0-Vorsprung her, was einen gewissen Jan zum Kommentar verleitete: «Bezte do prdele vandráci». Unser Tschechisch ist leider noch immer nicht besser geworden, aber dank des Übersetzungsdiensts von Bing wussten wir mit einem Klick, was dieser Satz bedeutet. Nämlich: «Penner ficken gehen».
Ähnliches dachte wohl auch die irische Legende Robbie Keane, die in der US-amerikanischen MLS trotz Titelgewinn und 16 Saisontoren doch nicht ganz die Bekanntheit aus Premier-League-Zeiten erreicht Ein Foto mit einem ehemaligen L.A.-Galaxy-Mitspieler und einem ComedyStar versah die Bildagentur jedenfalls mit dem Satz: «David Beckham and Russell Brand pose for a photo with an unidentified fan». Becks spielte heuer tatsächlich wieder in der Champions League. Die Übertragungsrechte dafür hat RTL2 zwar nicht, dank einem perfiden Trick lockte der Sender aber an jenem Dienstagabend im März dennoch einige Fussballinteressierte an. Gleichzeitig wie der gloriose Auftritt von Lionel Messi mit dem FC Barcelona im Achtelfinale gegen die AC Milan stand bei RTL2 leicht irreführend «Das Messie-Team» auf dem Programm.
Manchmal wird man den Verdacht nicht los, dass Fussballer – und nicht nur diese – die Wikipedia-Einträge über ihre Person selber schreiben. So weiss die englische WikiSeite des ehemaligen Wunderkinds Yagó Bellon, der mit den Karrierestationen Aston Villa, FC St. Gallen, FC Wil, FC Gossau, FC Kreuzlingen einen klassischen Abstieg hinter sich hat: «In October 2011, he signed for FC Kreuzlingen on a free transfer. He is now a top player for the club and his form has attracted interest throughout Europe.» Es ist ja hinlänglich bekannt, dass sich bei Heimspielen des FC Kreuzlingen Scouts nahezu aller Top-Vereine auf der Tribüne drängeln.
das billeTt
Text: Pascal Claude
SC Buochs – FC Basel 2:7 n. V. Sportplatz Seefeld 15. November 1997 A Nachmittag to remember: Wäre das Cupspiel in die Sommerfahrplanzeit gefallen, die Anhänger des FC Basel hätten Buochs vermutlich per Dampfer vom See her eingenommen. So aber rollten die Blau-Roten als Blechlawine ans Ufer des Vierwaldstättersees. Und brachten mit, was sie auszeichnete: rüde Umgangsformen. Die geballte Fäkalsprache in Richtung der anständigen Gastgeber löste bei dessen Anhang entsetztes Kopfschütteln aus. So viel Primitivität! Dabei entsprach das Niveau der Gesangseinlagen durchaus der Leistung der Basler Mannschaft. Mit viel Glück retteten sich Knup, Kreuzer und Kollegen in die Verlängerung, wo der kleine SCB dann einbrach. Dem grossen FCB fehlte in jener Saison auch in der Meisterschaft nur wenig zum Fiasko: 1 Punkt weniger, und Basel wäre an Stelle von Solothurn wieder in der Nati-B verschwunden.
Die Tabelle Rang
1.
Klub
Lausanne
ZWÖLF präsentiert den Tabellenstand der Super League. SpielE
Torquote
7
1,14
2.
FC Basel
1
1,00
3.
GCZ
13
0,92
4.
FC Zürich
13
0,84
5.
FC Thun
12
0,75
6.
Servette FC
7
0,71
7.
FC Luzern
15
0,60
8.
Young Boys
16
0,50
9.
FC Sion
11
0,45
10.
FC St. Gallen
9
0,33
Diesmal: die liebsten Opfer von Alex Frei. Er traf mit beeindruckender Konstanz, aber längst nicht gegen alle SuperLeague-Vereine gleich oft. Die Tabelle zeigt, wessen Defensive am meisten Mühe mit dem abtretenden Torgarant hatten.
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Die Liste
Frühlingsgefühle Raphael Wicky
Raimondo Ponte
Zehn Jahre nach seinem Auszug kehrte der verlorene Sohn zurück. Das löste im Wallis viel Zuversicht aus. Dank Raphael Wickys Transfer vom HSV zum FC Sion im Sommer 2007 hatten die Fans endlich wieder eine Identifikationsfigur aus ihrem Kanton in den eigenen Reihen – und dies erst noch in Form eines 75-fachen National spielers mit grosser Auslanderfahrung. Wicky sollte Sion in die Zukunft führen. Er erhielt einen Dreijahresvertrag, die Captainbinde und ein stattliches Salär. Der 30-Jährige war vieles: Hoffnungsträger, Mädchenschwarm und Libero, nur eines nicht: Leistungsträger. Zu stark musste Wicky mittlerweile seiner physisch fordernden Spielweise Tribut zollen. Es war der Preis einer langen Karriere, die ihn schon mit 18 Jahren in die Nationalmannschaft geführt hatte. Als eine Knöcheloperation kaum Linderung brachte, zog der Oberwalliser einen Schlussstrich und weiter in die Major League Soccer zu den Chivas aus Los Angeles, wo er den Anschluss aber auch nicht mehr fand. Sein Gastspiel in Sion hatte gerade einmal fünf Monate gedauert.
Ähnlich ambitioniert zeigte sich Raimondo Ponte, als er 2003 den Managerposten beim FC Luzern niederlegte. Es verschlug ihn nach Italien in die vierte Liga. Der Präsident von Carrarese Calcio wollte ihn unbedingt als Trainer verpflichten. Also packte Ponte kurzerhand seine Sachen, brauste in die Toskana und brachte gleich noch eigenes Spielermaterial mit: seine beiden Söhne Paolo und Angelo. Was nach spontanem Abenteuer klingt, ist in Tat und Wahrheit durchdachte Familienplanung. Carrareses damaliger Präsident hiess nämlich ebenfalls Ponte: Raimondos Bruder Antonio. Der träumte von der Serie B und Raimondo von einer Karriere, wie sie einer seiner Vor-
David Dodds 1986 hatte Xamax noch Geld. Patron Gilbert Facchinetti lud die Journalisten zur Saisoneröffnung aufs Schiff. Während Stunden tuckerte die Belegschaft über den Neuenburgersee, kredenzte Wein und tat
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sich gütlich an geräuchertem Salm, Roastbeef und Terrine. Als besonderer Leckerbissen wurde David Dodds aufgetischt. 450 000 Franken hatte der Schotte gekostet. Sein Auftrag: Tore schiessen – wie in der Vorsaison mit Dundee United im Europacup gegen … Xamax. Bloss: Von Trainer Gilbert Gress bekam der 28-Jährige zwar die Wohnung, aber nur wenig Zuspruch. Kein Wunder, entpuppte sich Dodds doch als Rumpelfüssler. «Ein Rätsel für mich!», stöhnte Assistenzcoach Ruedi Nägeli, der ihn mehrmals beobachtet hatte. Nach nur einem Einsatz lösten Klub und Spieler in gegenseitigem Einvernehmen den Dreijahresvertrag wieder auf. Dodds zog es zurück nach Schottland. Dort zählte er schnell wieder zu den furchteinflössendsten Spielern. «The Sun» berief ihn in die Startelf der hässlichsten Fussballer weltweit. Fortan verbreitete Dodds Angst und Schrecken im Aberdeen-Dress – unter Trainer Alex Ferguson. Keiner stellt im internationalen Fussball eben so hohe Ansprüche wie G.G.
gänger in Carrara eingeschlagen hatte: Marcello Lippi. Das Familienunternehmen startete denn auch furios. Noch vor Saisonbeginn stieg es dank eines disqualifizierten Klubs in die dritte Liga auf. Dort allerdings setzte es vornehmlich Niederlagen ab. Raimondo trat zurück,
um zu verhindern, dass ihn Bruder Antonio entlassen muss.
Mario Sergio «Mit ihm habt ihr uns einen der besten Spieler geraubt, den Brasilien in den letzten 20 Jahren hatte. Mario ist eine Bombe und technisch perfekt, perfekter als Zico, Cerezo, Junior oder ich.» Das sass! Nach Falcãos Zitat im «Blick» im Jahr 1986 wusste die Konkurrenz: Bellinzona hatte mit Mario Sergio einen veritablen Transfercoup gelandet. Daneben verblasste selbst Paulo Cesar, der Stürmerstar der Tessiner und ehemalige Teamkollege Sergios bei São Paulo. Nur: Was suchte eine Leib gewordene Fussballsensation in der Provinz der NLA? Der mythenumwobene Brasilianer war doch erst 31! Seine Ankunft gab Aufschluss. Zwar präsentierte sich Mario Sergio mit «rassiger Frau und fröhlichem Schnauz», doch auch mit stark gelichtetem Haar. Ein Anruf beim brasilianischen Verband genügte, um festzustellen, dass Bellinzona von Sergios Manager hereingelegt worden war. Der Neuzugang hatte schon 36 Lenze auf dem Buckel. Aus der Ferne versuchte Kumpel Falcão zu beschwichtigen: Die falsche Altersangabe sei ein «unbedeutender Fehler. Denn wartet nur, bis ihr Mario in Aktion seht. Ihr werdet staunen.» Das tat das Publikum dann auch. Der frühere Nationalspieler war so weit von einer Topverfassung entfernt wie Falcão von der Schweiz. Am Saisonende
Rubrik
Wecken Neuzugänge Lust auf mehr, nimmt das oft kein gutes Ende. liess Bellinzona verlauten: «Wir möchten alle Spieler behalten – ausser Mario Sergio.»
Harald Nickel 1981 sollte ein Bundesliga-Star den verjüngten FCB zurück an die nationale Spitze schiessen. Harald Nickel hiess der Hoffnungsträger. Seine Empfehlung: fast 50 Treffer für Bielefeld, Braunschweig und Dortmund, Schütze des Tors des Jahres 1979 und dreifacher Nationalspieler. Um dieses Kaliber in
reagieren würden, zumal er nicht geduzt, sondern die «gepflegtere Höflichkeitsform» gewählt habe. Der klamme FCB wollte Nickel verkaufen und kündigte ihm den Vertrag, aber der Deutsche machte deutlich, weder ein «Immobilienstück» noch ein «Aktienpaket» zu sein, das man einfach so abstossen könne. Mangels Arbeitsbewilligung musste er gleichwohl die Schweiz verlassen, was Ehefrau Gaby gefreut haben dürfte. Sie prangerte die Einwohner der «Kleinstadt Basel» öffentlich als «gar nicht zugänglich» an. Das hinderte ihren Mann nicht daran, zurückzukehren. Vor Gericht erstritt er sich eine Abfindungssumme von 100 000 Franken. Auch sein Bruder Bernd liess sich nicht von der Schweiz abschrecken: 1983/84 stürmte er für YB.
Harald Kohr die Schweiz zu locken, musste der FCB 700 000 D-Mark bezahlen. Der Deutsche dankte es mit einem Vierjahresvertrag und dem Versprechen, in Basel seine Karriere beenden zu wollen. Doch Verletzungen warfen ihn immer wieder zurück. Tore von ihm gab es kaum, dafür in der Rückrunde einen Platzverweis, der den Anfang vom Ende einläutete. Der 29-Jährige hatte den Schiedsrichter nach einer rektalen Körperöffnung benannt und sich erstaunt gezeigt, dass die Schweizer Männer in Schwarz so «übersensibel»
Wie Nickel eilte auch Harald Kohr der Ruf des Torjägers voraus. Bayern München war am Lauterer interessiert, der VfB Stuttgart holte ihn. Dass der Deutsche dennoch kurz darauf, im Winter 1989, bei GC
landete, war seinem havarierten Knie geschuldet. Die Stuttgarter taxierten die Verletzung als zu gravierend und traten vom Vertrag zurück. Die Grasshoppers untersuchten den 27-Jährigen, erachteten ihn als gesund, überwiesen 800 000 Franken Ablösesumme und lachten sich ins Fäustchen. So einfach, schien es, waren sie noch kaum je zu einem Bundesliga-Profi dieses Formats gekommen. Sie engagierten Kohr für zweieinhalb Jahre. Umso überraschter zeigte sich Manager Erich Vogel, als im Sommer die Fremdenpolizei auf dem Hardturm vorstellig wurde. Da GC mit Gren, Strudal und De Vicente das Kontingent an Jahresaufenthaltern ausgeschöpft hatte, wurde Kohr des Landes verwiesen. Ihm war, wie der Verein allerdings wusste, nur eine Bewilligung für ein halbes Jahr erteilt worden. Der Deutsche sprach von einer «skanda lösen Situation», und Vogel erhielt wegen Beschäftigung eines «Schwarzarbeiters» vom Gericht 5000 Franken Busse aufgebrummt. Wenigstens hielt sich der sportliche Verlust in Grenzen. Kohr war ein «Fehltransfer», wie Vogel einräumte.
Willibald Hahn 1958 hatte die Schweiz erstmals eine WM verpasst. Das sollte sich nicht wiederholen. Deshalb verpflichtete der Verband «nach sorgfältiger Suche und Sichtung», wie er selbst kommunizierte, Willibald Hahn als neuen Nationaltrainer. Er hoffte, mit einem weiteren Wie-
ner an die früheren Erfolge unter Hahns Landsmann Karl Rappan anzuknüpfen. Warum auch nicht? Immerhin hatte Hahn ein Jahr zuvor Bayern München zum DFB-Pokalsieg geführt. Blöd nur, kehrte der Österreicher als Erstes vom einst bewährten RappanRiegel ab, um das sogenannte W-M-System einzuführen. Das erschien selbst der sonst eher zurückhaltenden NZZ als «übereilig». Mit dem «fast schnöde» vollzogenen Konzeptwechsel setzte es prompt eine 1:5-Heimklatsche gegen Jugoslawien ab. Die Zeitung sah Schweizer, «die einander vielfach im Wege standen». Und der «Sport» beobachtete, «was hinten gespielt wurde, war die reine Panik». Hahn begann, zwischen den Systemen hin und her zu wechseln. Es nützte nichts. Nach einem 0:8-Debakel in Ungarn reichte er seinen Rücktritt ein, was laut NZZ «niemand bedauern» würde. Das Leistungsniveau habe einen «derartigen Tiefstand» erreicht, dass man «von der Fortsetzung der bisherigen Praxis nichts erhoffen durfte». Hahns Bilanz: sechs Partien, fünf Niederlagen.
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Die Auswärtsfahrt
Auckland City FC Waitakere United
2 3
New Zealand Football Championship, 2.2.2013 Kiwitea Street, 1876 Zuschauer
Text & Bild: Mark Ammann
City vs. United – The Kiwi Edition
Trotz der jüngsten Erfolge der All Whites (ungeschlagen an der WM 2010) steht der Fussball in Neuseeland im Schatten von Rugby und den allgegenwärtigen All Blacks. Im Bus Richtung Aucklands Stadtteil Sandringham können uns jedenfalls weder der Fahrer noch die Fahrgäste helfen, das Stadion an der gleichnamigen Kiwitea Street zu lokalisieren. Gemeinsam mit fussballaffinen Japanern gelangen wir schliesslich doch noch zum kleinen, schmucken Ground, der mehr Sportplatz als Stadion ist. Immerhin eine kleine Tribüne und ein nettes Klubhaus sorgen für den erhofften Charme, ein vergilbter YB-Aufkleber an einer Strassenlaterne entlockt uns ein Schmunzeln. Die heutige Affiche lässt die grössten Rivalen im neuseeländischen Fussball aufeinandertreffen. Seit der Gründung der Premiership im Jahre 2004 haben Auckland City und Waitakere United sämtliche Meisterschaften unter sich ausgemacht; seit dem Übertritt Australiens zum asiatischen Fussballverband stellten sie aufgrund mässiger Konkurrenz im ozeanischen Raum zudem bis auf eine Ausnahme immer den Teilnehmer an der Klub-WM. Waitakere war bis 2010 eine unabhängige Stadt mit 200 000 Einwohnern (und damit Neuseelands fünftgrösste Stadt), wurde dann aber Aucklands «Big Little City» eingegliedert. Somit kann man wirklich von einem Stadtderby sprechen. Heute hören wir gar den Begriff «Kiwi-Clásico», was uns aufgrund des Dargebotenen ein bisschen gar hoch gegriffen scheint. Das Stadion ist mit 1876 Zuschauern nicht einmal zur Hälfte gefüllt, der
Aufmarsch liegt aber immerhin noch weit über dem Ligadurchschnitt (400). Wir sehen ein rasantes, wenn auch nicht hochstehendes Spiel, welches von viel Kampf geprägt ist. «Musikalisch» untermalt wird das Geschehen auf dem Rasen von den eher älteren, dafür umso lautstärkeren 15 Auckland-Fans, die mit bescheidenen Gesangsfähigkeiten bekannte Popsongs mit allerlei Nonsens-Texten – etwa über den Goldfisch eines Spielers – versehen. Genützt hats indes wenig: Ihr Herzensverein verspielt eine zweimalige Führung und kassiert in der 75. Minute gar noch das 2:3. Damit ist Waitakere in der Tabelle praktisch nicht mehr einzuholen, was aufgrund des komischen Modus noch kein Untergang ist: Nach Abschluss der 14 Meisterschaftsrunden (bei 8 Teilnehmern gibt es nur je ein Hin- und Rückspiel) folgen die Playoffs, welche für die 4 Erstplatzierten als Halbfinal mit Hinund Rückspiel beginnen. Danach folgt erst das Grand Final, welches den Championship-Gewinner kürt. Weil die beste neuseeländische Mannschaft, Wellington Phoenix, in der australischen A-League mitspielt, war es keine Überraschung, dass die beiden Stadtrivalen sechs Wochen später auch im diesjährigen Grand Final aufeinandertrafen. Auch in diesem hochdramatischen Spiel verspielte Auckland zwei Mal eine Führung – diesmal sogar in der letzten Minute – und musste nach dem 3:4 zum vierten Mal in Folge zuschauen, wie Waitakere mit dem Pokal feiern durfte. Der YB-Aufkleber vor dem Auckland-Stadion macht also irgendwie schon Sinn.
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turniersinn Heute: Südamerika
In Südamerika liebt man Turniere und Cups. Alleine die zehn Mitglieder des Kontinentalverbands spielten in der Vergangenheit über 50 Turniere aus, von der Copa Roberto Chery bis zur Copa 50imo Aniversario de Clarín. Selbst einfache Freundschaftsspiele wurden kurzerhand zur Copa, viele wurden nur ein einziges Mal ausgetragen. Kaum jemand hat die Übersicht, wer nun schon wie viele Trophäen geholt hat. Beinahe unmöglich ist dies in Brasilien. Will man sich mit dem dortigen Ligaund Pokalsystem auseinandersetzen, sollte man sich Zeit nehmen. Viel Zeit. Denn bei näherem Betrachten ist es vor allem eins: verwirrend. Im fussballverrückten Land setzt man anscheinend nicht auf Übersicht und Logik. Um der Langeweile europäischer Ligen – die lustigen Belgier seien hier als Ausnahme genannt – entgegenzuwirken, schafft man Abwechslung im alltäglichen Fussballgeschäft. Ein brasilianischer Topverein wie Santos oder Fluminense spielt nämlich nicht nur in der höchsten Spielklasse – er spielt zwei Meisterschaften gleichzeitig, eine regionale und eine nationale. Sollte er das Land in der Copa Libertadores vertreten, wird er zur Belohnung von den Strapazen des nationalen Pokals befreit. Dafür dürfen kleine Vereine aus unteren Ligen, die sich auf regionaler Ebene bewiesen haben, wählen, ob sie lieber im Pokal gegen renommierte Gegner antreten
oder doch lieber in der Série D in die nationale Meisterschaft eintreten wollen. Das mag auf den ersten Blick konfus erscheinen, ist aber noch gar nichts im Vergleich mit früher. Heute gibt es immerhin eine nationale Meisterschaft mit vier Stärkeklassen, die seit 2003 in dieser Form existiert. Zwar gab es schon in den 1960er-Jahren nationale Championnats – teilweise gar mehrere parallel –, jedoch wurden diese mehrmals umstrukturiert, und längst nicht alle grossen Klubs waren stets dabei. Grund für die vielen Rückzüge war nicht selten der Modus, der teilweise derart irrwitzig war, dass etwa Palmeiras 1979 trotz nur fünf ausgetragenen Partien Dritter wurde – unter 96 Teilnehmern! 1987 gab der Verband bekannt, dass er aus finanziellen Gründen keine Meisterschaft austragen könne, woraufhin sich die 13 populärsten Klubs selber darum kümmerten. 2000 war dies nochmals notwendig: Ein Jahr zuvor wurde ein System mit Auf- und Absteigern eingeführt, wofür die durchschnittliche Punktzahl aus den zwei vorangegangenen Saisons ausschlaggebend war. Weil aber São Paulo mit einem nicht spielberechtigten Akteur aufgelaufen war und daraus Forfaitniederlagen resultierten, wäre SE Gama statt Botafogo abgestiegen. Gama verklagte den Verband, eine Lösung konnte nicht gefunden werden, so organsierte eben wiederum der «Clube dos 13» die nächste Meisterschaft. Ein Grund für die Probleme mit der nationalen Meisterschaft ist, dass die Staatsmeisterschaften von Rio de Janeiro, Salvador de Bahia oder São Paulo teilweise noch bis heute ein grösseres Ansehen geniessen als der nationale Wettbewerb. Von einem (mehr oder weniger) zentral organisierten Ligasystem kann deswegen erst seit Kurzem gesprochen werden. Während dem externen BeBrasilien, Paradies für Pokalhersteller: Das Museum des FC Santos. trachter diese offene Struktur
bisweilen chaotisch vorkommen mag, bietet sie ihren Mitgliedern durchaus auch Vorteile: Irgendeinen Titel kann man immer gewinnen. Wenn es auf nationaler Ebene einmal nicht so gut läuft, bleibt immer noch der regionale Meistertitel. So konnte der FC Santos seit 1960 16 Mal die Campeonato Paulista und 8 Mal eine nationale Meisterschaft gewinnen – teilweise parallel zueinander. Als Beigemüse gabs noch Titel im Pokal und an interstaatlichen Turnieren. Und natürlich die Copa Libertadores, die Recopa Sudamericana und die Klub-WM. Wieso also sollte ein Topspieler wie Neymar nach Spanien oder England wechseln, um immer wieder gegen die gleichen Gegner anzutreten? In Brasilien kann er sich in unterschiedlichen Wettbewerben mit regionalen, nationalen und internationalen Grössen messen. Und weil die enorme Anzahl an Spielen pro Saison in zwei Meisterschaften und zusätzlichen Pokalwettbewerben selbst einen Neymar zu stark beanspruchen würde, muss er auf nationaler Ebene eben nur die Hälfte aller Begegnungen absolvieren. Dies verlangt den Vereinen eine breite Kadergestaltung ab, was wiederum den unerschöpflichen brasilianischen Spielermarkt am Laufen hält. 2012 kamen für Santos in 75 Pflichtspielen unglaubliche 49 Spieler zum Einsatz. Am meisten profitieren aber die kleineren Vereine von diesem System. Und die Hersteller von Pokalen und Trophäenschränken. In den unzähligen Wettbewerben auf Lokal- und/oder Regionalebene sind wahnsinnig viele Titel zu vergeben. Der fussballbegeisterten Bevölkerung kommt das alles zugute – sofern sie in diesem Turnier-Wirrwarr den besseren Überblick hat als die überforderte ZWÖLF-Redaktion. Dank diesem diffusen Spielplan kann man fast täglich irgendein Spiel verfolgen. Dies erklärt aber vielleicht auch die durchschnittlich eher geringe Auslastung der Stadien.
Das Fundstück Liebe Freunde des raren Sportstücks Unlängst schwärmte ein neidischer Berufskollege aus Belgien über die Vielzahl der Jubiläumsschriften von Schweizer Klubs. So was habe die belgische Fussball-Landschaft nicht zu bieten. Na wenigstens das haben wir ihnen voraus. Denn vergleicht man die mediale Abdeckung des Ligabetriebs unserer beider Länder, müssen wir uns fast schämen für unsere Sportpresse! Ich träume weiterhin von einer Sport-Tageszeitung. Am liebsten dreisprachig. Was den Neid des Belgiers hervorrief, sind die Jubiläumsschriften, die die meisten Schweizer Vereine zum 25., 50., 75. und natürlich zum 100. Geburtstag herausgeben. Da rafft sich jeder Klub auf und beruft eine Jubiläumskommission ein und ordert bei einem Lokalhistoriker, einem pensionierten Lehrer oder – wie im Tessin oder der Romandie meist der Fall – bei einem lokalen Sportjournalisten eine Klubgeschichte. Anhand dreier 100-Jahr-Chroniken aus drei Landesteilen möchte ich diese tollen Werke lobpreisen. Egal, wie gross ein Klub ist oder wie viele Zuschauer er jeweils anzieht: Wo Fuss-
ball gespielt wird, gibt es immer genug zu erzählen. Während die Romands meistens mit poetischen Titeln aufwarten wie etwa der FC Bulle 2010 mit «Des Agges à la lune» (Von Agges [Stadtteil von Bulle] zum Mond, 103 Seiten), spielen bei den Tessinern die Klubfarben eine gewichtige Rolle, wie bei «Bianche casacche» des FC Locarno (2012, 220 Seiten). Im deutschen Sprachraum ist der nüchterne Titel Trumpf. Beim FC Gossau hiess es 2006 schlicht: «100 Jahre FC Gossau – Vom kleinen Mauerblümchen zum Grossunternehmen – vom Viertligaverein zum NLB-Leader» (153 Seiten). Diese drei Werke unterscheiden sich aber auch in Sachen Gestaltung, wenngleich Typografie und Grafik jeweils modernen Ansprüchen genügen. Jede Klubchronik widmet einen beachtlichen Teil den berühmtesten Spielern, die der Verein herausgebracht hat. Beim FC Bulle ist das logischerweise Stéphane Henchoz (der es fertigbrachte, als Trainer mit Bulle im Jubiläumsjahr von der 1. Liga in die 2. Liga interregional abzusteigen); Locarno kann gleich mit einigen Grössen aufwarten, wovon der berühmteste Oliver Neuville ist.
Der Cartoon
Beim FC Gossau gibts nur einen Ex-Star, nämlich Fredy Scheiwiler, der es als FCZler zum Nationalspieler brachte. Es gäbe zahlreiche Aspekte in Jubiläums chroniken, auf die ich gerne eingehen würde, doch ich belasse es bei dieser Aussage: Es sind die spannendsten Fussball-Bücher und auch die, die ich am liebsten verkaufe! Auf dass noch sehr viele erscheinen werden im Lande der «rossocrociati»! P.S.: Die Goldmedaille der Klubhistorien hat sich übrigens der FC Gelterkinden bzw. der Autor Ernst Droll geholt mit einem 328 Seiten starken Opus über einen Verein, der nie höher als 2. Liga regional gekickt hat. Chapeau! Wer den Natispieler kennt, den dieser Verein hervorgebracht hat, soll sich im Sportantiquariat melden. Der Erste mit der richtigen Lösung gewinnt … eine Alex-Frei-Biografie! Da niemand diese kauft, muss ich sie verschenken. Leider!
Von: Konrad Beck, Christian Wipfli www.konradbeck.ch
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Text: Guido Herklotz / Bilder: Stefan Bohrer ******************************************** VEREINSLOKAL NK POSAVINA KROATIEN – SERBIEN, 23.3.2013 ********************************************
Fussball schaut man im Stadion. Für viele Zugewanderte ist dies bei ihren Lieblingsklubs aber oft nicht möglich. So wird der Barbesuch zum wöchentlichen Highlight. ZWÖLF besucht fortan an Spieltagen Lokale, in denen Fans ausländischer Mannschaften die Partien verfolgen.
Freitagabend im Basler Industriegebiet «Dreispitz»: zwischen SpeditionsFirmen, Lagerhallen und dem Sportmuseum hat sich der NK Posavina, ein regionaler 3.-Liga-Verein mit kroatischen Wurzeln, sein Clublokal eingerichtet. Posavina heisst das Flachland beiderseits der Save, das bis nach Serbien reicht. Eine Region, die unter dem Bürgerkrieg besonders schwer zu leiden hatte. Hierher pilgern die Vereinsmitglieder mit ihren Frauen und Kindern, um das WM-Qualifikationsspiel gegen Serbien zu verfolgen. Kroatien gegen Serbien, eine emotional geladene Affiche. Das Duell zwischen diesen beiden Ländern wurde im Vorfeld aufgrund der Kriegszeit und der Hooligan-Thematik aufgeheizt und medial aufgebauscht. Seinen Beitrag dazu leistete auch der serbische Trainer Sinisa Mihajlovic, bekennender Nationalist, der erst kürzlich den bosnienstämmigen Moslem Adem Liajic aus der Mannschaft warf, weil er die serbische Nationalhymne nicht singen konnte. Die Gäste sitzen an den Tischen, die meisten mit einem kroatischen Bier aus einem Sixpack vor sich, den Blick gebannt auf den grossen Flatscreen. Nur für eine Zigarette wechseln einige für vier Minuten den Sektor, stehen im verqualmten Glascorner mit dem Filter im Mund, ohne die Augen vom Geschehen auf dem Bildschirm abzuwenden. Die 23. Spielminute bricht an, als Mario Mandzukic seine Kroaten mit 1:0 in Führung schiesst. Im Klublokal brechen alle Dämme. Die Anhänger springen auf, umarmen sich. Entlädt sich hier die aufgestaute Feindschaft? Nein. Die Barbesucher sehen diese Partie etwas lockerer: «Ich will einfach ein schönes Fussballspiel sehen. Alles andere ist für mich nicht wichtig», meint der Barkeeper. «Wir haben hier eine gewisse Distanz. Uns geht’s um den Fussball, für die Menschen in der Heimat ist das vielleicht ein wenig anders», erklärt ein Posavina-Spieler. Wenig später trifft Olic zum 2:0. Der ausgelassene Jubel hält bis zur Halbzeitpause an. Die Laune im einfach eingerichteten und mit Pokalen geschmückten Lokal ist bestens. Die zweite Halbzeit verläuft gleich wie die erste: Kroatien dominiert, Serbien ist chancenlos. «Dass es so einfach läuft, hätte ich nicht geglaubt», meint ein Zuschauer. Die Partie endet mit einem hochverdienten 2:0-Sieg für Kroatien. Die Bar leert sich, einige Biere werden nachbestellt, die Raucher-Grüppchen zieht es nach draussen. Es wird weiter gefachsimpelt. Ob die Kroaten beim Rückspiel am 6. September wieder jubeln können? Die Posavina-Familie wird’s gespannt in ihrem Lokal verfolgen.
«Weil Gott mich liebt» Der Ivorer Geoffroy Serey Die sorgt seit bald fünf Jahren für Action im Schweizer Fussball. Im FC Sion lieferte er Geschichten und Skandale. Doch der FC Basel wusste, dass er auch ein guter Fussballer ist. Ein Gespräch über Gott. Und Nebensächliches. Text: Samuel Burgener / Bilder: Stefan Bohrer, Litho: www.fine-tuned.ch
interview Serey Die
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er Geoffroy Serey Die in Martigny und Basel trifft, merkt, dass er lange stillsitzen kann. Dass er zuhören, nachdenken und bedacht antworten kann. So kennt man Serey Die kaum. Sein Bild in der Öffentlichkeit ist ein anderes: Auf dem Platz spielt er immer mit vollem Einsatz, gestikuliert unentwegt und schreit und flucht dazu. Abseits mimt er stets den Clown, ist laut und oft im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Ein Internetportal hat beim Mittelfeldspieler einmal die Diagnose erstellt: hyperaktiv. Serey Die, 28, Ivorer aus der einstigen Hauptstadt Abidjan, misst lediglich 179 Zentimeter, ist aber eine imposante Erscheinung. Er hat einen muskulösen Körper und ein markantes Gesicht; die Frisur ist stets extravagant, ebenso die Garderobe. Wenn er lacht, sieht man die grossen, weissen Zähne, und wenn er ernst ist, spähen kleine, fast schwarze Augen. Vom Sommer 2008 bis zum Winter 2012 spielte Serey Die im FC Sion. Kaum ein Spieler hat den Walliser Klub je über eine solche Zeitdauer derart intensiv beschäftigt. Serey Die – das war
«Ich fühle mich als Walliser. Zumindest fast.» der Liebling der Fans, der Spassvogel, der zweifache Cupsieger. Der Puncher, der in jedem Spiel lief und grätschte, als sei es sein letztes. Aber auch der Spieler,
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der Rote Karten sammelte wie andere Kunst oder Kaffeerahmdeckeli, einer, der vom Patron Christian Constantin zum Wettbetrüger diffamiert wurde und Geld auf Sperrkonten überwiesen bekam, weil er nicht damit umgehen konnte. Und der einem Balljungen eine Ohrfeige verpasste. Seit Beginn der Rückrunde ist Serey Die Arbeitnehmer im FC Basel. Er hat sich schnell integriert und prägt das Spiel des Teams. Der Wechsel passierte spät. Eigentlich hatte Serey Die den FC Sion früher verlassen wollen. Aber irgendetwas war stets dazwischengekommen. Gott, Pech, der Sitten-Präsident Christian Constantin. Oder Serey Die selbst.
Warum wählten Sie schliesslich den FC Basel? Weil ich wechseln wollte und der Klub genug bezahlte (lacht). Im Ernst: Der FC Basel ist in der Schweiz unerreicht – und sogar in Europa anerkannt. Ich fühlte mich geehrt, als der Klub Interesse zeigte. In Basel kann ich Meister werden und europäisch spielen.
ZWÖLF: Monsieur Serey Die, im Dezember verliessen Sie den FC Sion und wechselten zum FC Basel. Es wurde auch Zeit, nicht wahr? Serey Die: Weshalb? Ich habe sehr gerne im Wallis gespielt.
Und mehr Ruhe neben dem Platz. Ja, es gibt weniger Durcheinander.
In den letzten Jahren wollten Sie den FC Sion mehrmals verlassen. Und der Präsident Christian Constantin war bereit, Sie zu verkaufen. Trotzdem sind Sie lange im Klub geblieben. Ja, viereinhalb Jahre. Das ist speziell. Weshalb sind Sie so lange nicht gegangen? Vielleicht war ich zu wenig gut, vielleicht fehlte mir der Mut. Manchmal haben sich nicht die Teams für mich interessiert, zu denen ich gerne gegangen wäre. Und manchmal, wenn ich bereit gewesen wäre für einen Wechsel, wollte der Klub nicht die von Constantin geforderte Summe bezahlen.
Was ist in Basel anders als beim FC Sion? Der FC Sion ist ein toller Klub, und ich fühle mich als Walliser. Zumindest fast. Aber in Basel ist alles ein Level höher. Mehr Professionalität, mehr Zuschauer, mehr Topspieler.
War Ihre Entscheidung für den FC Basel auch eine Entscheidung für die Schweiz? Es war eine Entscheidung für den Fussball. Aber klar, die Schweiz gefällt mir. Ich fühle mich sicher, hätte keinen Grund, zu klagen. Erinnern Sie sich, wie Sie damals ins Land gekommen sind? Sicher. Constantin bemühte sich im Frühjahr 2008 sehr um mich, ihm war kein Aufwand zu gross. Nachdem wir ein paar Mal Kontakt gehabt hatten, reiste er zum Rückspiel des Finals der arabischen Champions League nach Algerien, wo ich für Sétif spielte. Wir gewannen den Final gegen Wydad Casablanca, und Constantin wollte unbedingt, dass ich zum FC Sion wechsle. Es machte ihm nichts aus, stundenlang zu warten.
Weit nach Mitternacht sassen wir in einem Hotelzimmer. Draussen feierten die Menschen den Titel. Dann unterschrieb ich den Vertrag. Ich war sicher, dass es eine gute Entscheidung war. Weshalb? Sie kannten den FC Sion kaum. Das Engagement Constantins überzeugte mich. Wenn jemand so ehrgeizig ist, hat er es verdient, dass ich unterschreibe. Zudem wusste ich etwas über die Schweiz und kannte Servette-Genf – aber fragen Sie mich nicht, woher. Vom FC Sion war mir bekannt, dass Ahmed Ouattara dort erfolgreich war. Ouattara ist in der Côte d’Ivoire ein grosses Vorbild, ja ein Held.
Wissen Sie, dass Ouattara den FC Sion zum bisher letzten Meistertitel köpfelte? Klar. 1997, ein Heimspiel gegen Lausanne. Flanke von links, und Ouattara trifft mit dem Kopf. Ich habe das Video im Internet gesehen. Als Sie im Sommer 2008 im Wallis angekommen waren, freuten sich Fans und Journalisten. Der «Walliser Bote» schrieb, der FC Sion habe «zweifellos eine Perle engagiert». Ich fühlte mich schnell wohl im Wallis. Die Menschen waren aufgeschlossen und das Wetter immer gut. Und im Team hatte es einige gute Spieler.
Dann folgte das Startspiel zur Meisterschaft in Aarau. Wir verloren 1:3. Es war fürchterlich. Der «Walliser Bote» bezeichnete Sie als «Hauptsünder». Ich schlug einen Fehlpass nach dem anderen, irrte umher, beging unnötige Fouls. Ich war übermotiviert, der Platz schlecht, und Aarau spielte gut. Mein Gott, ich sehe Szenen des Spiels vor mir, als wäre es gestern gewesen. Es war der Beginn einer Vorrunde, die schwierig war für Sie. Ja, ich litt sehr. Ich spielte nie so, wie ich gekonnt hätte.
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Das taten Ihre Mitspieler auch nicht. Sie aber holten bis zum Ende der Rückrunde vier Rote Karten, alle wegen Fouls oder Tätlichkeiten. Ja. Das war so (überlegt lange). Ich wollte zeigen, wie gut ich bin. Und wie ich kämpfen kann. Zudem war ich aus Afrika eine härtere Gangart gewohnt. Didier Tholot, der später Ihr Trainer wurde, sagte einmal, Sie seien derart übereifrig gewesen, weil Sie sich krampfhaft hätten beweisen wollen. Ich weiss nicht, ob das stimmt. Vielleicht war ich es einfach gewohnt, vollen Einsatz zu geben, weil ich stets mehr leisten musste als andere. Weshalb mussten Sie mehr leisten als andere? Früher, als kleiner Junge auf den Strassen von Abidjan, war ich schmächtig.
«Es wäre nicht gerecht, wenn mich Gott nicht regelmässig prüfte.» Manchmal durfte ich beim Match nicht mitspielen, manchmal nur als Torhüter. Wenn ich aber spielte, wusste ich, dass ich besser sein musste als die anderen,
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um aufzufallen. Später, im nationalen Ausbildungszentrum, war ich immer noch der Kleinste. Wieder musste ich härter arbeiten als meine Copains, um eines Tages Fussballer zu werden. Wollten Sie immer Profi werden? Ja. Ich wollte nie etwas anderes machen. Und irgendwann gab es keine andere Möglichkeit mehr, als den Sprung zu schaffen. Warum? Unsere Familie war arm, der Vater hatte kaum Arbeit. Er wollte, dass ich studiere und später einen anständigen Beruf erlerne, um die Familie zu unterstützen. Doch das war mir egal. Ich wollte Fussball spielen und tat es. Wenn ich irgendwo eine Gruppe fand, bei der ich mitmachen durfte, musste die Schule ohne mich auskommen. Ihr Vater war nicht einverstanden damit. Wir führten Krieg, ich kann es nicht anders sagen. Es war keine einfache Zeit. Wissen Sie, das Schlimmste war, dass ich meinen Vater verstand. Ich hätte als Familienoberhaupt gleich reagiert. Aber da war etwas in mir, das ich nicht kontrollieren konnte: die Liebe zum Fussball. Also musste ich Konflikte in Kauf nehmen. Und irgendwann, mit 16, 17, wusste ich: Jetzt hast du keine Ausbildung, jetzt musst du als Fussballer Karri-
ere machen. Und als ich dann Profi war, wusste ich, dass ich noch mehr leisten musste, um nach Europa zu gehen. Weil man mir wieder zu wenig zutraute. Wo war das? In Sétif. Als ich im Frühjahr 2007 die Equipe aus La Goulette (Red: Tunesien)
interview Serey Die
verliess, bot mich ein Bekannter in Sétif an. Doch die Chefs sagten, sie brauchten keinen kleinen Spieler, sondern einen gross gewachsenen. Dann sagte der Trainer, ich dürfe in einem Testspiel mitmachen. Ich rannte um meine Zukunft – und spielte ziemlich gut. Sie gaben mir einen Vertrag. Ich war bald
Stammspieler, und am Ende der Saison gewannen wir die Champions League. Dann ging ich nach Europa. Mit Gottes Hilfe. Also wollten Sie doch permanent allen beweisen, dass Sie gut sind. (überlegt) Auf eine Art schon, ja.
Ist Ihr Vater heute stolz auf Sie? Das hoffe ich sehr. Wie haben Sie es nach dem ersten halben Jahr im FC Sion geschafft, sich anzupassen? Meine Mitspieler waren gute Jungs und unterstützten mich. Aber am meisten
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half mir Gott. Er war immer für mich da. Dank ihm bin ich der geworden, der ich heute bin. Sie sprechen sehr oft von Gott. Gott ist alles für mich. Ohne ihn bin ich nichts. Zuerst kommt Gott, dann die Familie, dann der Fussball. Gott leitet mich. Ich bin wie ich bin. Ich habe Fehler, mache Dummheiten, aber Gott liebt mich. Das ist wunderbar. Im März 2010 spielte der FC Sion bei den Grasshoppers. Sie wurden nach
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38 Minuten und zwei Gelben Karten des Feldes verwiesen. Am nächsten Tag lancierte Constantin eine im Schweizer Fussball nie gesehene Kampagne. Er sagte, er habe Hinweise aus London erhalten, dass Sie betrügen würden und die Rote Karte absichtlich geholt hätten. Von den Beschuldigungen habe ich aus den Medien erfahren. Das war schrecklich. Meine Familie hat mich angerufen und gefragt, ob das stimme. Ich versicherte ihr, dass ich nie betrogen habe. Meine Mutter weinte, weil sie wusste, dass ich niemanden täusche. Mir war ein paar Tage lang übel.
Ich wusste nicht, ob ich wütend oder traurig sein sollte. Aber wissen Sie, so ist mein Leben. Wie ist Ihr Leben? Es ist immer schwierig. Warum? Weil Gott mich liebt. Weil Gott Sie liebt, ist Ihr Leben schwierig? Ja. Gott hat mir ein wundervolles Leben geschenkt. Ich fahre ein schönes Auto,
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lebe in einer schönen Wohnung, habe viel Geld, meine Familie ist gesund. Es wäre nicht gerecht, wenn mich Gott nicht regelmässig prüfen würde. Ich hätte ja keine Gewissheit, dass er existiert. Die Betrugsvorwürfe Constantins waren also eine Prüfung? Erstens waren sie eine Überreaktion Constantins. Aber er wird schon gewusst haben, wieso er das tat. Gleichzeitig waren die Verdächtigungen tatsächlich eine Prüfung für mich. Gott wollte meine Belastbarkeit testen. Und ich habe die schwierige Situation durchgestanden. Sie müssen sehr wütend auf Constantin gewesen sein. Nein (überlegt lange). Nein, das war ich wirklich nicht. Ich wusste, dass ich kein Unrecht begangen hatte. Und dass Gott von mir verlangte, dass ich aufstehe und kämpfe. Bei allem Respekt vor Ihrer Beziehung zu Gott. Constantin hat Sie wie einen Kriminellen behandelt, Details zu Ihrem Lohn ausgeplaudert, Sie den Medien schutzlos ausgeliefert. Und Sie kommen mit Gott. Constantin und ich, das ist eine kleine Welt, nicht der Rede wert. Entscheidend bei jedem Konflikt, bei jedem Malheur, ist doch: Was nehme ich mit? Und gehe ich gestärkt aus der Sache? Denken Sie heute, dass Sie gestärkt aus dieser Sache gegangen sind?
Ja. Das Seltsame war doch, dass nicht mein Ansehen litt, sondern dasjenige Constantins. Nach dieser Geschichte begannen die Fans, ein Lied für mich zu singen. Und dabei war ich am Anfang der Geschichte ein Nichts gewesen und Constantin der grosse, reiche Mann. Über Constantin aber urteilten die Fans danach zornig. Sie sehen, Gott hat die Sache auf seine Weise geregelt. Denken Sie, dass Gott alles bestimmt? Ja. Gott richtet über uns. Sie nehmen sich aus der Verantwortung, wenn Sie sagen, dass jemand anderes über Sie urteilt. Ich verstehe, dass dieser Eindruck aufkommen kann. Im Mai 2012 spielten Sie mit dem FC Sion in Lausanne. Im Anschluss an das Spiel ohrfeigten Sie einen Balljungen. War das die Schuld von Gott? Nein, Sie verstehen nicht. Gott hat mir eine schwierige Aufgabe gestellt. Und ich bin gescheitert. In diesem Sinn bestimmt Gott über mich. Wie haben Sie die Situation mit der Ohrfeige erlebt? Das war der schlimmste Moment meiner Karriere. Wir hatten eine Scheiss-Saison. Unsere Mitspieler wurden gesperrt, und wir wurden aus der Europa League ausgeschlossen, obwohl wir uns für die Gruppenphase qualifiziert hatten. Dann stahl uns der Verband 36 Punkte. Der Match
in Lausanne war die letzte Chance, der Barrage zu entkommen. Und wir verloren. Nach dem Spiel ging ich zum Jungen und gab ihm einen Klapps (pustet durch). Hat Sie der Balljunge provoziert. Er hat etwas gesagt, das nicht angebracht war. Was? Darüber spreche ich nicht mehr. Sie waren in diesem Spiel der einzige Sittener, der rannte und kämpfte. Alle anderen schienen desillusioniert. Meinen Sie das ernst? Das war offensichtlich. Danke. Das berührt mich. Weshalb? Weil das damals viele Leute nicht verstanden haben. Sie haben nicht verstanden, wie die Situation zustande kam.
«Constantin und ich, das ist eine kleine Welt.» Erzählen Sie. Ich liebte diesen Klub, weil er mir seine Liebe schenkte. Wenn dich jemand liebt, liebe ihn zurück. Das hat mich meine
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Familie gelehrt. Die Situation in Lausanne war enorm schwierig für mich. Ich war traurig, wütend, enttäuscht – weil ich sah, wie schlecht es um meinen Klub stand. Es war, als ob mir jemand etwas wegnehmen würde, an dem ich sehr hänge. Ich hielt das nicht aus, war nervlich am Ende. Darum verlor ich nach dem Match die Kontrolle.
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Wie erlebten Sie die Zeit danach? Es war eine schwarze Zeit. In der ersten Nacht schlief ich nicht. Ich fragte mich immer: Warum hast du dich mit jemandem angelegt, der sich nicht wehren konnte? Mit einem Kind? Das ist so feige. Ich habe daraufhin meine Tochter drei Tage nicht in den Arm genommen, kaum mit ihr gesprochen. Ich schämte
mich. Auch für meine Familie in der Côte d’Ivoire war es schwierig, weil sich das Video im Internet rasend verbreitete. Diverse Medien schrieben nach dieser Geschichte, Sie seien «durchgeknallt» oder «verrückt». Das war nicht schön. Ich habe zum Glück nicht alles gelesen. Die Medien hatten
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Geoffroy Serey Die Geboren am 7. November 1984 Mit 22 Jahren verliess er die Elfenbeinküste Richtung Tunesien, wo er später mit ES Sétif die afrikanische Champions League gewann. Auf die Saison 2008/09 hin unterschrieb er beim FC Sion und entwickelte sich dort nach anfänglichen Schwierigkeiten zum Stammspieler. Seine starken Leistungen, mit denen er dem Klub zu zwei Cupsiegen verhalf, weckten das Interesse anderer Vereine. In der letzten Winterpause wechselte er zum FC Basel, bei dem er zu einer wichtigen Teamstütze geworden ist. (cwy)
Folge hatte, dass Sie in der Barrage gegen Aarau spielen durften. Hatten Sie Verständnis dafür, dass sich viele Kommentatoren und Fans darüber beschwerten? Teilweise. Denn eigentlich war ich gesperrt und hätte nicht spielen dürfen. Aber es war der Verein, der rekurrierte, nicht ich. Hätte ich, als ich zwischenzeitlich qualifiziert war, sagen sollen, dass ich lieber nicht spiele? Es war doch meine Verpflichtung gegenüber dem Arbeitgeber, zu arbeiten. Also zu spielen. Wer das nicht versteht, will es nicht verstehen.
das Recht, mich zu kritisieren. Aber sie hätten mit gewissen Begriffen und ihrer Bedeutung aufpassen sollen. Verrückt? Das heisst doch, dass ich spinne, oder? Aber ich bin doch nicht verrückt. Nach der Ohrfeige wurden Sie vom Verband für acht Spiele gesperrt. Doch der FC Sion legte Rekurs ein, was zur
Viele Experten attestieren Ihnen das Potenzial, in einer europäischen Spitzenliga zu spielen. Sind Sie nur wegen Ihrer Skandale noch in der Schweiz? Nein, das denke ich nicht. Wer mich kennt, wer sich die Zeit nimmt, mit mir zu sprechen und nicht dumm ist, der sieht: Ich habe oft falsch reagiert, zu oft. Aber ich bin kein falscher Mensch. Und am Schluss geht es sowieso um die Qualität. Joey Barton, John Terry, diese Spieler hatten auch ihre unschönen Geschichten, und trotzdem möchten die meisten Teams sie verpflichten. Weil sie gut sind. Aber es ist doch so, dass wegen Ihrer Geschichten manchmal fast vergessen geht, dass Sie ein «hervorragender Fussballer» sind, wie Basel-Trainer Murat Yakin sagt.
Ich weiss nicht, wie gut ich als Fussballer bin. Das sollen andere beurteilen. Aber es stimmt, dass ich manchmal – wie soll ich sagen – auf Dinge reduziert werde, die ich einmal falsch gemacht habe. Ich habe mit dem FC Sion zweimal den Cup gewonnen und eine Barrage überstanden. Als Führungsspieler. Das scheinen viele Leute zu vergessen. Aber die Situation bessert sich langsam. Seit ich in Basel spiele, beurteilen die Menschen meine sportlichen Leistungen. Weil Sie gut spielen und brav wie ein Muttersöhnchen sind. Wahrscheinlich (lacht). Sie haben jetzt lange nicht mehr gelacht in diesem Gespräch. Es war auch kein lustiges Gespräch. Also, ein heiterer Schluss: Haben Sie eigentlich Ihre ehemaligen Teamkollegen je zum Essen eingeladen, nachdem Sie vor einem Jahr die Penalty-Wette gegen Constantin verloren hatten? Nein, aber ich hätte das gerne getan. Die Vereinbarung war, dass ich meine Teamkollegen zu mir nach Hause einlade – nach Abidjan. Das hat Constantin natürlich verschwiegen. Doch die Copains sind nie gekommen. Vielleicht holen wir das nach.
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Rubrik
Freizeichen Eine umstrittene Figur trat ab. Vier Illustratoren setzen jenen Moment aus Alex Freis Karriere um, der aus ihrer Sicht den Stürmer am treffendsten charakterisiert.
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«Freis aktive Zeit in Luzern wirkt für mich rückblickend wie eine Art Schulabschlussjahr. Nicht nur, weil er auf Fotos von damals ein bisschen wie ein grinsender Schuljunge wirkt, sondern auch weil sein Fussball-Lehrer Andy Egli versucht hat, ihm einige Lebensweisheiten mitzugeben. So liess er zum untenstehenden Thema seinen Jungspund einen Aufsatz schreiben.» – Silvan Glanzmann
Alex Rubrik Frei
«Alex Frei war ein grossartiger Stürmer, der leider in seiner Karriere allzu oft um Anerkennung kämpfte. Mit der Verletzung und seinen Tränen im Eröffnungsspiel der Heim-EM 2008 gegen Tschechien starb die Hoffnung einer ganzen Nation. Und Alex Frei kam um seine Chance, sich ins Rampenlicht zu spielen.» – Roger Zürcher
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«Die Szene: GC gegen Basel im spärlich besuchten Letzi. Freistoss für Basel. Alex Frei läuft an und versenkt den Freistoss aus 26 Metern in die rechte, obere Ecke. Ein Traumtor, da sind sich alle einig. Beim Jubel jedoch revidiert man seine Meinung und wendet sich mit einem «Typisch Frei» wieder seinem Bier zu. Breitbrüstig stellt er sich vor die Kamera des Schweizer Fernsehens und brüllt, dass dieses Tor «emol e Gol» sei. Von sich selbst bis zum Äussersten überzeugt und arrogant wie eh und je, gibt er mit einigen Schlägen auf die Fernsehkamera der ganzen Schweizer Fussballgilde zu verstehen, dass wahre Tore ihm vorbehalten seien.» – Pascal Wallimann
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Alex Frei Alex Frei, das ist für uns Borussen jener Moment im Revierderby 2008. 0:3 zurück gegen die Schlümpfe. Und dann kam Alex. Er schoss das 2:3 und durfte in der letzten Minute zum Elfmeter anlaufen. Vor der Gelben Wand, die kollektiv «Bittebittbitte» murmelte, im wichtigsten Spiel des Jahres. Andere wären an der Herausforderung zerbrochen, nicht so Frei. Der Mann mit den Nerven aus Stahl. Die Kurve verwandelte sich nach dem Tor in ein gelb-schwarzes Chaos der Euphorie. Alex Frei war für uns die personifizierte Speerspitze gegen die Schalker Rivalen, weil er regelmässig gegen sie traf. Auch deshalb erlebte er diese Unterstützung, als Kloppo eine Zeitlang nicht auf ihn setzte. – Robert Ottl
Das grosse adidas-Quiz ZWÖLF präsentiert in jeder Ausgabe das etwas anspruchsvollere Quiz. Zusammen mit adidas stellen wir euch jeweils eine Frage, für die einschlägige Internetsuchportale mit einer einfachen Abfrage keine brauchbaren Resultate liefern. Wer hier reüssiert, darf sich mit Recht zum erlauchten Kreis der Fussballkenner zählen. Stellt ihr euch der Herausforderung?
FRAGE: Wer war der letzte Verteidiger, der in der Super League einen Hattrick erzielt hat? Mitmachen geht so: Email mit der richtigen Lösung an wettbewerb@zwoelf.ch. Einsendeschluss ist der 25. Mai 2013.
Wer die richtige Antwort auf diese Frage weiss, gewinnt dieses Mal mit etwas Glück einen «Adidas Wembley OMB», den offiziellen Matchball des Champions-League-Endspiels 2013 in London.
Der Gewinner des letztmaligen Wettbewerbs ist Walter LeutholdHeuberger, Tagelswangen.
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Das Brügglifeld ist ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Und dient damit erst recht als Heimat, Zufluchtsort und Zukunftshoffnung für Generationen von Fans. Ein Matchbesuch zwischen Scheune, Urinalstand und Cordons bleus. Text: Mämä Sykora / Bilder: Hannes Heinzer
The Final Trutzburg 31
Brügglifeld
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r könne sich fast nicht mehr daran erinnern, wann man zuletzt zur Halbzeit geführt habe, sagt Pide auf dem Weg zum Stadionausgang, wo wir von einem Security-Mann die Kontermarke in Empfang nehmen. Dieses Papierzettelchen, nicht selten ein fotokopiertes Matchticket aus einer weit zurückliegenden Saison, berechtigt nach der Pause zum Wiedereintritt. Was den Herren von der «Pernod-Kurve» entgegenkommt, nutzen sie doch die 15-minütige Unterbrechung, um im Restaurant Sportplatz einen weiteren Pernod, ein Bier oder einen Kafi Match – «wie der Kafi Lutz, aber mit mehr Güx» – zu ordern. Geleert werden die Tranksame in der angebauten Scheune. Dafür dürfen die Stammgäste vorbei am Kässeli des Einlegervereins direkt durch die Küche gehen, wo die Belegschaft schon Cordons bleus und Rahmschnitzel vorbereitet. «Früher stand da sogar ein Tisch mit sechs Plätzen, die für unsere Ältesten reserviert waren», erklärt Gogo. «Immer wenn wieder einer gestorben war, konnte man auf einen Sitzplatz spekulieren.» Das sei nun wirklich unnötig gewesen, sagt ein Neuankömmling und nimmt hastig einen Schluck Bier. Wovon er denn bitteschön spreche, wird er gefragt. Na, der Elfmeter, der Ausgleich noch vor der Pause: einfach unnötig. Oh, kontert die Pernod-Kurve. Aha, sagt Pide. Entsetzen klingt anders. «Zwischen der 40. und der 55. Minute haben wir schon so manches Tor verpasst», gibt Pide zu. Teilweise sogar ganze Spiele: Als zu Super-League-Zeiten einige Heimspiele zu Hochrisikopartien erklärt worden waren, was den Pausenbesuch in der Scheune verunmöglichte, verzichtete die PernodKurve auf den Stadionbesuch und liess
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sich stattdessen von den herüberwehenden Gesängen berieseln. Gallier mit Urinalstand «Torfeld Süd» heisst das Schreckgespenst der Pernod-Kurve. 36 Millionen Franken soll das neue Stadionprojekt kosten. 10 000 Sitzplätze, Parkplätze, Einkaufszentrum, Multiplexkino: Schaut man sich die gerenderten Zukunftsvisionen an, weiss man nicht, ob das nun das Stadion in Biel, Thun, Neuenburg oder Aarau ist. Die Anforderungen der Swiss Football League an die Stadien der Super League umfassen 16 Seiten, hinzu kommen unzählige weitere Auflagen vonseiten der UEFA und der Sicherheitskommission. Da bleibt nicht viel Raum für Individualität. Das Brügglifeld entspricht wahrscheinlich keiner einzigen dieser Anforderungen. Pläne für eine neue Heimat gibt es beim FCA schon lange. Patron Ernst Lämmli träumte bereits Anfang der 90erJahre von einem Neubau in der Kiesgrube Schafisheim – vergeblich. Das Projekt «MittellandArena» scheiterte 2005 an der Urne, und auch gegen das Torfeld Süd gibt es Einsprachen. Nun klopft der FC Aarau als ungebetener Gast schon wieder an die Türe der Super League mit ihren straff durchorganisierten Vereinen und ihren hochmodernen Fussballarenen. «Ein bisschen wie die unbeugsamen Gallier», seien sie halt, meint Pide: noch immer ohne neues Stadion, obwohl das Brügglifeld seit fünf Jahren nicht mehr in der obersten Liga toleriert wird. Was also, wenn der Aufstieg Tatsache wird? «Entscheidend für die Vergabe der Lizenz ist nicht die Baubewilligung, sondern der Nachweis, dass ein Baugesuch eingereicht wurde», sagte SFL-Kommunikationschef
Philippe Guggisberg gegenüber Kurzpass. ch. «Wir können nicht einen Klub bestrafen, der ein Baugesuch eingereicht hat und dann gegen Einsprachen kämpfen muss.» Die FCA-Vertreter ärgern sich über die Verzögerungen, die Pernod-Kurve freut's. Musiker Gogo nahm schon vor Jahren den «Brügglifeld-Abgesang» auf, «und jetzt sind wir immer noch hier!». In seinem rauen Lachen schwingt eine gehörige Portion Trotz und Schadenfreude mit. Das Brügglifeld ist 90 Jahre nach seiner Errichtung mehr Provisorium denn je. Stahlrohr-Konstruktionen für die TVKameras, ein improvisierter VIP-Bereich in einem schmucklosen Baumarkt-Zelt, Stacheldraht über den Eingangstoren. Und wer die Toiletten im Stadion tatsächlich als «sanitäre Anlagen» bezeichnet, betreibt Euphemismus in Reinkultur. Das offene Viererpissoir mit dem formvollendeten Fachbegriff «Urinalstand» steht mit einem Bretterverschlag am Fuss des Hanges hinter den Stehplätzen der Gegengeraden. Es schützt zwar vor den Blicken der Nachbarn in den angrenzenden Einfamilienhäuschen. Für peinliche Momente sorgt es trotzdem: Bei Regen rutscht man beim Hinabsteigen aus – und das Hochsteigen danach ist praktisch unmöglich. Von der Pernod-Kurve hat darum jeder seinen Lieblingsort, um Platz für Nachschub von der «Sammelstelle» zu schaffen. Dort, auf dem Kasten des Elektrizitätswerks neben dem Getränkestand, hortet die Pernod-Kurve bei grösseren Spielen jeweils eine beachtliche Anzahl Biere, um sich das Anstehen zu ersparen. Scharfe Kurven unter dem Totomat Heute gegen Wil ist das nicht nötig. Hinter dem Tresen sind mehr Leute als
▲ ▲ Wenn «The Final Countdown» erklingt, gehen in der Pernod-Kurve die Hände hoch. ▲ Verhindert, dass die Pernod-Kurve zur reinen Männerangelegenheit wird: Eva. Ein letzter Zug in der Scheune, bevor es ins Stadion geht: Pide.
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Brügglifeld davor, und vor allem steht da ein richtiger Grill. Mit richtigem Feuer. Der FCA-Spiess lockt, die «Scharfe Kurve» trieft, die Bratwürste haben eine gesunde Schwärze und versprechen, so richtig zu knacken beim Reinbeissen. So herrlich anders als ihre ungeliebten und gummigen Kollegen vom Elektrogrill im Letzigrund etwa, deren Haut erst dann nachgibt, wenn die Zahnreihen schon fast wieder aufeinandertreffen. Während sich die Fettspritzer der «Scharfen Kurve» an die Jacke des Vordermannes heften, wird am Totomat die Ziffer 1 gegen eine 2 ausgetauscht. «Was isch s Vieri?», fragt Dani. «Wintilocarno», ist die vielstimmige Antwort. Im Matchprogramm stünde die Übersicht, welche Begegnung welcher Nummer auf der Anzeigetafel entspricht. «Unsere Videowand», nennt sie Dani. Er erinnert sich lachend daran, als man noch das Telefon im TotomatTurm habe klingeln hören, worauf sich alle Blicke vom Spiel ab- und den auszuwechselnden Tafeln zugewandt hätten. Heute, in der Zeit der Livescore-Apps, ist der Brügglifelder Totomat ein Relikt aus längst vergangener Zeit. Wie so vieles hier. Nur hie und da merkt man, dass tatsächlich die Saison 2012/13 läuft. Etwa wenn ein milchbärtiger Security einen Vater bei der Eingangskontrolle darauf aufmerksam macht, dass die EisteeBüchse im Rucksack seines Sohnes ein «illegaler Gegenstand» sei, worauf beide die Welt nicht mehr verstehen. Bis der Platzspeaker das Spitzenspiel gegen Wil ankündigt, hatten die beiden nicht mal gewusst, wer heute der Gegner ihres FCA sein wird. Die meisten kümmert dies auch nicht. Ob Locarno, Wohlen oder Bellinzona, auf die Grösse des Aufmarschs hat der Gegner keinen Einfluss. Es kommen immer um die 3000 Zuschauer, auch heute. Selbst als der FCA vorletzte Saison gegen den Abstieg aus der Challenge League kämpfte, waren es so viele. Modefans gibt es hier nicht. Und das Ziel heisst nicht Erfolg. Als die Kunde vom Rückstand des direkten Aufstiegskonkurrenten Winterthur die Runde macht, quittiert man das
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mit Gleichgültigkeit. «Der unbedingte Siegeswille geht uns ein wenig ab», umschreibt es Pide. Ob der FCA nun dieses Jahr aufsteigen wird? «Ich weiss es nicht, und es ist mir, ehrlich gesagt, auch nicht so wichtig. Ich würde mir die Spiele meines FCA auch in der 1. Liga anschauen.» Selbst im neuen Stadion? «Das eher nicht», wirft Ruedi ein. Das wäre schliesslich ein Auswärtsspiel, und die besuchen er und seine Freunde nicht. «Ausser in Winterthur», denn dort sei es ein bisschen wie hier. Weltmeister auf der Stehrampe Die allermeisten Zuschauer seien hingegen für das neue Stadion. Allerdings nicht, weil sie von Luxus und Glamour und Erfolgen träumen, sondern weil sie befürchten, ohne neues Stadion bald einmal gar keinen Fussball mehr sehen zu können in Aarau. Tschändu brüllt ein langgezogenes «Hopp Aarau!» in Richtung Spielfeld, wo sich gerade Neuzuzug Sven Lüscher auf dem Boden windet. «Den habe ich hierhergeholt», sagt Ruedi, der einst selber für den FCA kickte. Er habe ihn in der Hinrunde beim Spiel in Winterthur stets von der Stehrampe aus gefragt, ob er denn aus Muhen oder aus Seon sei, schliesslich sei Lüscher doch ein Name von dort. Wohl deshalb sei er nun hierher gekommen, meint Ruedi schmunzelnd. «Uuuuuwe Mall!», brüllt Tschändu diesmal, nachdem der FCA-Goalie einen Flankenball sicher gepflückt hat. Uwe? «Wir rufen immer Uwe, wenn er was Gutes gemacht hat. Joel nur, wenn er patzt.» Uwe Mall wurde 1983 mit dem TV Zofingen Schweizer Meister im Handball und ist Joels Vater. Sinn machen die Rufe herzlich wenig. Die Erklärungsversuche gehen im Jubel über den Führungstreffer durch Alain Schultz unter. Am Wurststand sind mittlerweile die Brötchen ausgegangen, die dekorativ auf den FCA-Spiess gesteckt werden. Bei der Rückkehr in die Pernod-Kurve ist das Gespräch ein gutes Stück weiter gehüpft. Eben noch ging es darum, wie Aarau den Verkauf des überragenden Silvan Widmer zu Udinese verkraften werde,
jetzt um Gesundheitszustände, Familie und Geschäfte. Dass beim FCA soeben der dritte Spieler verletzt ausgeschieden ist, nimmt nur Markus zur Kenntnis. Markus ist Hedge-Fonds-Manager, Tschöndu ist beim Steueramt, Ruedi arbeitet bei einem Hilfswerk, Urs ist Regierungsrat – «der bezahlt immer nur vor den Wahlen Runden», grinst Gogo – und Peter, der gerade seine Enkelin im Kinderwagen vorbeischiebt, sei übrigens Veteranen-Weltmeister im Eisschnelllauf. Die Stehrampe im Brügglifeld ist Dorfplatz und Marktplatz gleichzeitig. Hier werden Neuigkeiten ausgetauscht, Geschäftsfreuden und Sorgen diskutiert, Ab und zu werden auch Geschäfte angebahnt. Pide mit seiner Ein-Mann-Druckerei holt sich hier Aufträge für Visitenkarten und Flyer von Tobi mit seinem Malergeschäft, Dani der Landschaftsgärtner verhandelt mit Böche dem Architekten, Vito der Metzgermeister trifft Tom den Orthopäden. Weit über den Business, dem gesellschaftlichen Status und dem Fussball steht im Brügglifeld jedoch die soziale Komponente. Mädchen in Aarau-Schals spazieren kichernd die Absperrbande entlang und werfen den Jungs vielsagende Blicke zu, die diese allerdings kaum wahrnehmen. Pensionäre erinnern sich gegenseitig an Petar Aleksandrov und ihre Jugend. Und die Pernod-Kurve freut sich schon 10 Minuten vor dem Abpfiff darauf, gemeinsam «Sweet Caroline» zu singen. Zeitreise zum Old Ground Nur ein paar Meter weiter, auf der Höhe der Mittellinie, stehen die leidenschaftlicheren Fans des FC Aarau. Sie singen, basteln Choreos, schlagen die Pauke. Die Fanclubs heissen «Adler» oder «Affenkasten Tequila Front» und sie leiden und hoffen genau wie ihre Pendants in der Muttenzer- oder der Südkurve. Nur ist ihre Grösse überschaubarer. Und sie stehen nicht in einem hermetisch abgeriegelten Sektor, sondern neben Aargauer Familien und vereinzelten Fans des Gegners. In Sachen Sicherheit müsse das Stadion im Aufstiegsfall aufgerüstet werden, lässt die Liga verlauten. Unsi-
▲ Ruedi mit dem namensgebenden Getränk der Pernod-Kurve. Das Restaurant Sportplatz: Hier finden Vor- und Nachspiel eines Brügglifeld-Besuchs statt. Statt im High-Tech-Fanshop im Stadionbauch werden in Aarau Fanartikel aus einem Anhänger verkauft.
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Die «Schüür»: Die versteckte Heimat der Pernod-Kurve. Adler und Affenkasten: Die FCA-Kurve. Die Aarauer Version von Diskretion: Die Urinalstände hinter der Gegengeraden.
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Brügglifeld
cher fühlt man sich hier aber keineswegs, trotz fehlenden Gittern und Polizisten. Zwar gab es in der Vergangenheit selbst hier in Aarau vereinzelt Probleme mit Fussballfans, doch die Vorfälle wollen nicht so recht zu den apokalyptischen Beschreibungen passen. «Fussball-Hooligans: Ausschreitungen in Aarau», titelte der «Blick» nach einem Spiel gegen GC im März 2010. «Die Kantonspolizei zeigte zwei Personen wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte an», heisst es im Artikel weiter. «Eine weitere Anzeige erfolgte wegen Missachtung des Stadionverbots. Auch das Urinieren auf öffentlichen Strassen und das unberechtigte Anbringen von Klebern führten zu je einer Anzeige.» In der Challenge League ist das Aufeinandertreffen von Fangruppen ohnehin kein Thema. Der Gegner bringt kaum mehr als eine Handvoll Supporter mit, die auf den Stufen hinter dem Tor zusammenrücken, sich dennoch fast verlieren und mit dünner Stimme ihre wenigen Gesänge rezyklieren. «Nur die St. Galler geben immer Probleme», grummelt Pide. Woher diese Feindschaft kommt, kann auch er sich nicht erklären. Vielleicht, weil diese so weit am Rand der Schweiz seien und deshalb Aufmerksamkeit suchten? Viel lieber aber schwärmt er vom Austausch mit Fans anderer Mannschaften. Von denjenigen des FCZ etwa, mit denen man wunderbare Stunden in der Scheune des Restaurants Sportplatz verbracht habe, wofür man vor dem Auswärtsspiel zum Dank in den Schlachthof beim Letzigrund eingeladen worden sei. Tatsächlich wünschen sich nicht wenige Fans der Super-League-Vereine die Rückkehr der Aarauer. «Endlich wieder Brügglifeld!», «eine der letzten Bastio-
nen der guten alten Fussballkultur», «das letzte geile Old Ground der Schweiz» liest man in den Foren von Basel bis Luzern, wo man nach so wenigen Jahren schon genug hat von den Einheitsstadien der Schweiz. Ein Matchbesuch beim FCA ist nicht nur eine Auswärtsfahrt, sondern eine Zeitreise. Wenn hier ein Tor fällt, dröhnt der Europe-Heuler «The Final Countdown» aus den Boxen. Was bestens passt, nicht nur wegen des Abgesangs aufs Brügglifeld: 1985 wurde der Song nur ein paar Kilometer weiter östlich aufgenommen – in den legendären Powerplay-Studios in Zürich. Seither hat sich in Aarau nicht viel verändert. Die Herren der Pernod-Kurve wurden älter, ja, dafür wuchsen andere zu regelmässigen Stadionbesuchern heran und zu Grüppchen zusammen. Und die Kinder von damals kommen ebenso weiterhin hierher, gerne auch als Verheiratete. 3000 werden es immer sein. Zumindest so lange das Brügglifeld lebt. Ausser es steht wieder mal ein Cup-Viertelfinal wie dieses Jahr gegen GC an. Aber wenn es der Pernod-Kurve dann zu eng und zu ungemütlich wird, gibt es immer noch Markus. «Dann bekomme ich die Erlaubnis, ein Bier in die Luft zu werfen. Das gibt schnell wieder Platz.»
passt. Die Pernod-Kurve singt zwar von «Caroline», meint aber «Brügglifeld». Es ist die Injektion Lebensfreude, die nun zwei Wochen anhalten muss. Der Tag endet da, wo er vor Stunden beim Pernod begonnen hat. Im Sääli des Restaurants Sportplatz sind alle Plätze belegt und die Cordons bleus dick wie Cremeschnitten. Durch die vom Frittieröl geschwängerte Luft dringen vom benachbarten Stammtisch der Fussballspezialisten Fangesänge zu Borussia Dortmund hinüber – die zweite grosse Liebe dieser werten Gesellschaft. «Hämmer gwunne?», fragt die Servierdame. Haben wir. Morgen werden hier die Spieler des FCA zum Essen vorbeikommen. «Wegen der günstigen Mittagsmenüs», sagt Sandro Burki, der FCA-Captain. 238 Seiten brauchte Matthew Bazell für sein «Buch gegen den modernen Fussball». Ein Besuch auf dem Brügglifeld hätte vollends gereicht. Mitsamt Pernod.
Günstige Menüs für die Spieler Endlich pfeift Schiedsrichter Gut ab. Die Pernod-Kurve bringt sich in Stellung und wartet voller Vorfreude auf ihren Song. Erst werden die unvermeidlichen Stadionkracher von Status Quo und Co. abgespult. Erst wenn das Stadion schon fast leer ist, kommt es endlich, ihr Lied. «Sweeeeeeet Caroline, oh oh ooh!», liegen sich die alten Herren in den Armen. «Good times never seemed so good». Das
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Erbärmlich in Form Hattrick.org war einst das Facebook der 2000er-Jahre. Ein Abgesprungener erzählt aus seiner Zeit als Getriebener.
K
ürzlich bekam ich eine nette E-Mail, die mein Programm etwas übermotiviert in hellem Braun als Spam kennzeichnete. Dabei war es ein elektronischer Hilfeschrei. Da vermisse mich jemand, stand da. Mein Team. Mein Team. Ich kann nicht sagen, dass das auf Gegenseitigkeit beruht. Ich habe in den letzten Jahren wahrlich nicht oft an mein Team gedacht. Vielleicht etwa so oft wie an meinen missratenen Versuch in der Sek, beim Orientierungslauf zu betrügen, indem wir die bei den Posten zu knipsenden Muster mit einer Stecknadel nachzeichneten. Oder an Gunvor. Kurz: nie. Das war damals, als es mein Team noch gab, doch ziemlich anders. Das war die Zeit, in der das Online-Spiel «Hattrick» wie eine Epidemie über die Schweiz hereinbrach. Damals, vor fast 10 Jahren. Vom Primarschüler bis zum Pensionär wurde praktisch jeder zum Manager eines virtuellen Fussballvereins, den er mit einem superoriginellen Namen versah. «Lahme Enten Wülfrath» oder «Boobs United» etwa. Als Neueinsteiger hatte man in der ersten Woche noch nicht den leisesten Schimmer, wie dieses lieblos aufgemachte Online-Spiel funktioniert. Nach der zweiten Woche kannte man sämtliche eigenen Spieler mit ihren Fähigkeiten in Verteidigung, Spielaufbau oder Flügelspiel auswendig. Und das war leider nur der Anfang. Erst litt die Kreditkarte, weil natürlich auch so ein buntes Logo hermusste und man die Liga-Konkurrenz – vor allem diesen selbstgefälligen Idioten aus dem
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Thurgau mit den vielen Rechtschreibefehlern – in Presseerklärungen dissen musste. Das konnte man allerdings nur als «Supporter», eine Art VIP-Mitglied, machen. Dann gings dem Schlaf an den Kragen, weil man da auf dem Transfermarkt diesen vielversprechenden polnischen Stürmer entdeckt hatte, dessen Torschuss bereits «passabel» war. Und «passabel», das war nun wirklich sensationell. Dass die Deadline für den Transfer wochentags mitten in der Nacht war, nahm man locker in Kauf. Am nächsten Tag dann übermüdet während der Arbeitszeit die unzähligen Foren nach Tipps abgrasen? Ehrensache. Gut, dass einige PC-Spiele ein enormes Suchtpotenzial haben, ist nichts Neues. Schon als kleine Pimpfs konnten wir stundenlang ein vollkommen sinnentleertes Commodore-64-Spiel zocken, ohne auch nur das Konzept zu verstehen. Und es soll Leute geben, die sich in gestandenem Alter eine SehnenscheidenEntzündung beim Abballern von Moorhühnern geholt haben. Aber Hattrick? Ich meine: Was kann spannend daran sein, am Mittwoch ein total unbedeutendes Freundschaftsspiel auszutragen, am Samstag einen völlig talentfreien Jugendspieler zu ziehen (und umgehend zu feuern) und am Abend mit Hilfe diverser rätselhafter Zusatzsoftwares die Aufstellung für das Liga-Duell gegen diesen Idioten aus dem Thurgau zu machen? Und das waren sie schon, die einsamen Highlights der Hattrick-Woche. Dazwischen passierte nichts. Gar nichts. Nada. Null. Erbärmlich.
Text: Remo Vogel / Illu: zvg
«Erbärmlich», so heisst auch der zweitschlechteste Wert bei den Spielereigenschaften. Erbärmlich, armselig, schwach, durchschnittlich, passabel. Undsoweiter. Alles darüber war nicht mehr als ein Traum. Plötzlich waren diese Wörter omnipräsent. Man hörte sie aus gedämpften Konversationen im Tram oder trunkenen Bargesprächen am Nebentisch heraus, als wäre jemand auf einen Stuhl gestiegen und hätte mit einem Megafon fehlerfrei «De Paapscht hät z'Schpiez s'Schpäckpschteck z'schpaat pschtellt» gebrüllt. «Passabel» war ein Triggerwort und eine Gespräch sodann unausweichlich. Beginnen Chats mit Fremden mit dem Kürzel «A/S/L?» (Age/Sex/Language), hiess es nach dem Triggerwort «Managername/Verein/Liga?». Ja, Hattrick war eine Art Kontaktbörse für Männer mit gefährlichem Online-Suchtverhalten. In der Welt der Nerds Freilich blieb es nicht beim Angeben mit seinem überragenden Mittelfeldmann oder beim ehrfürchtigen Raunen, weil das Gegenüber tatsächlich in der 3. Liga spielte, sondern man traf sich wieder. Online, versteht sich. Föderationen wurden gegründet, deren abgeschottete Foren verwandelten sich in Chats, und ehe man sich versah, fand man sich an einem Sonntag im Sommer mit einem Haufen Unbekannter, die ihre ausgedruckten Kaderlisten mitgebracht hatten, beim Grillplausch. Die Grenze zur Welt der Nerds war längst überschritten. Und ich hatte es nicht mal bemerkt.
HATTRICK
Ich hatte sogar irgendwann einen Mitbewohner, den ich über Hattrick kennengelernt hatte. Ja, ich bastelte mir auf der Playstation mein Hattrick-Team inklusive Logo und Trikots. Okay, ich reiste durch die halbe Schweiz an irgendwelche Treffen und sang irgendwann mit dem schwedischen Hattrick-Gründer Johan frühmorgens auf Deutsch «Mein Hut, der hat drei Ecken». Aber ich war harmlos! Wirklich! Andere verstummten, wenn der amtierende Nationaltrainer vorbeiging und tuschelten ehrfürchtig hinter seinem Rücken, um dann im öffentlichen Forum eine Schlammschlacht gegen ihn loszutreten, weil er die Schweizer Nati mit einem unkonventionellen 4-6-0 hatte auflaufen lassen («fehlender Nationalstolz!», «Nestbeschmutzer!»). Einige reduzierten ihr Pensum im Job, um nebenbei ein paar Logos für andere Manager zu gestalten, die mit ihrem schreiend hässlichen Word-Art-Wappen nicht mehr zufrieden waren und endlich ein professionelles, schreiend hässliches Logo haben wollten. In den Schulen war nicht länger jener Junge mit den teuersten Sneakers das Alpha-Tier, sondern jener, der einen U20-Nationalspieler im Kader hatte. Und dann gab es da noch diejenigen, die in Hattrick die Chance auf sozialen Aufstieg sahen. Jene, die im richtigen Leben als Nerds verspottet und geächtet waren, online aber die Rolle von Forumsmoderatoren oder Game-Mastern übernahmen. Diese durchforschten etwa tatsächlich in mühseliger Fronarbeit die unzähligen Ligaforen, bis sie mit riesiger Genugtuung endlich einen fanden,
der seinen Vorredner als «armer Siech» oder «Glünggi» bezeichnet hatte. Stolz konnten sie dann den Sünder mit einer Forumssperre belegen. Einmal im Leben wichtiger sein als andere, einmal im Leben das Sagen haben – das war was! Ernsthafter Wahlkampf Einige Wahnsinnige vergassen komplett, dass Hattrick nicht mehr als ein paar Algorithmen war. Überall in der Schweiz verbrachten Gruppen aus verlorenen Männern ihre Samstagabende in vom InPublikum gemiedenen Bars und verfolgten ihre Spiele auf einer Grossleinwand. Das mag jetzt weniger absurd klingen, als es war. Denn bei Hattrick gibt es keine animierten Spielszenen wie bei anderen Fussballmanager-Games, sondern lediglich einen Spielbericht mit Textbausteinen wie « In der 40. Spielminute raste Pavel Moga durch die Innenverteidigung und erhöhte die Führung auf 2 – 0». In Echtzeit. 90 Minuten lang. Mit Pause. So spannend wie beim Fischen zuzuschauen. Wohl deshalb hielt die Begeisterung für das Spiel an sich nicht sehr lange. Nach ein paar Aufstiegen ohne grossen Aufwand hätte man die Brücke zu einem normalen Sozialleben kappen müssen, um weiter nach vorne zu kommen. Einige taten dies und fungierten vollamtlich als Manager von ein paar Bits und Bytes – und nebenbei betrieben sie ernsthaften Wahlkampf für den kandidierenden U20-Nationaltrainer. Bei denjenigen, die diesen Schritt nicht wagten, schlich sich Nachlässigkeit
ein. Man versäumte es, Jugendspieler zu ziehen, arrangierte keine Freundschaftsspiele mehr und vergass gar, die Aufstellung für die Ligapartie zu machen. Nur: Die Online-Zeit blieb unverändert hoch. Die Föderations-Foren von Hattrick waren das Facebook der ersten Dekade des neuen Jahrtausends. Hier wurden lustige Youtube-Filme und gute Musikclips gepostet. Hier holte man sich Buch- und Hoteltipps. Hier schrieb man kompletten Unsinn. Hattrick wurde zum Social Network im Fussball-Look. Die schwedischen Entwickler versuchten zu retten, was noch zu retten war. Die Game-Engine wurde verändert, eine Jugendakademie eingeführt, und es gab endlich ein editierbares Bild (!) vom eigenen Stadion. Wahnsinn. Die meisten waren jedoch schon viel zu weit vom Spiel entfernt. Hattrick.org, das auf dem Zenit fast eine Million Mitspieler hatte, steuerte unaufhaltsam auf jenes Ende zu, das allen Social Networks von MySpace bis StudiVZ vorbehalten ist: das Dahinvegetieren auf Sparflamme. Noch 25 000 Unbeirrbare spielen hierzulande mit, und wenn ich im Tram erwähne, ich sei heute «erbärmlich in Form», dreht sich keine Sau mehr um. Ich befürchte fast, mein Team wird noch eine ganze Weile ohne mich auskommen werden müssen.
historischer angriff
Präsidialer Platzsturm
Henry Tschudy in einem Holzschnitt von Albert Saner.
Vor genau 100 Jahren artete das Länderspiel Schweiz – Belgien plötzlich aus. Verursacher des Tumults war aber nicht etwa ein Fan oder Spieler, sondern ein renommierter Schweizer Funktionär.
Text: Mike Gosteli / Bilder: Sportmuseum Basel
A
m 4. Mai 1913 freuen sich die Schweizer Fussballfans auf ein Fussballfest in Basel. Zum vierten Mal spielt die Nati auf dem Landhof. Zu Gast sind die starken Belgier, welche im Vorjahr in Antwerpen die Schweizer mit einer 9:2-Packung nach Hause geschickt hatten. Statt eines Festes kommt es allerdings fast zu einem handfesten Skandal. Schon der Vormittag verheisst nichts Gutes. «Grau und regenschwer zogen die Wolken über die alte Rheinstadt, als die Gäste aus allen Gauen der Schweiz und des benachbarten Deutschland ihren Einzug hielten. Offizielle und Spieler waren bereits vollzählig im Hotel Gotthard versammelt und in froher Stimmung verlief die gemeinsame Rheinfahrt.» Das Wetter wird allerdings immer schlechter.
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Bei strömendem Regen finden lediglich 4000 Zuschauer den Weg ins Stadion. «Kein lustig flatterndes Fähnlein begrüsst die Ankommenden. Die Feststimmung bleibt fern, die aufgespannten Schirme verhindern die Aussicht.» Die Schweizer starten gut ins Spiel und erspielen sich zahlreiche Chancen. Mitte der ersten Halbzeit jedoch «schreitet Belgien zum Angriff; von Mann zu Mann geht das Leder mit unheimlicher Präzision, die Backs zögern mit Eingreifen», und in der 23. Minute «schlägt der Centerforward unhaltbar das erste Goal. Reicher Beifall begleitet die schöne Leistung.» Zur Pause führen die Belgier mit 1:0. Dann bessern sich das Wetter und das Schweizer Spiel. Ernst Peterli, damals Profi bei Inter Mailand, schliesst einen
zügigen Konter der Schweizer brillant ab. «Das schönste Goal des Tages! Doch siehe da – der Schiedsrichter gibt Offside, oder Foul oder Hands, ohne vorher gepfiffen zu haben. Ein berechtigter Unwille bemächtigt sich der Zuschauer, und es erfordert die ganze Kraft unserer Behörden und der Polizei, um einen Tumult zu verhindern.» Dem Match droht der Abbruch. Vor allem Henry Tschudy, bis 1912 Zentralpräsident des Schweizerischen Fussballverbandes (SFV), verliert die Contenance. Der 31-Jährige stürzt sich wutentbrannt auf Schiedsrichter Walter Sanss, den Geschäftsführer des Deutschen Fussball-Bundes (DFB). Besonnenere Fans können Tschudy stoppen und so einen handgreiflichen Übergriff auf seinen deutschen Kollegen
historischer angriff
verhindern. Schliesslich kann das Spiel fortgesetzt werden. Die Schweiz drängt auf den Ausgleich. Aber es kommt noch schlimmer. Nach 75 Minuten erzielen die Belgier nach einem Missverständnis zwischen Innenverteidiger Haberstock und Goalie Dreifuss das 2:0. Unbeirrt rennen die Schweizer weiter an. Und – endlich – kurz vor Schluss gelingt es ihnen, «dem am Boden liegenden Goalkeeper den Ball von den Füssen weg ins Netz zu drücken. Ein unbeschreiblicher Jubel durchhallt die Luft.» Dabei bleibt es. Auch in ihrem zweiten Länderspiel gegen Belgien zieht die Schweiz trotz einer sehr guten Leistung den Kürzeren. Begleitschutz für den Schiedsrichter Der Schuldige ist rasch gefunden: «Der
parteiische Schiedsrichter hat uns zwei regelrecht erzielte Goals in unverzeihlicher Weise und ohne seinen Entscheid begründen zu können, einfach annulliert.» So «strömte das Publikum unbefriedigt und verärgert den Ausgangstoren zu. Der Schiedsrichter aber suchte unter steter Bewachung seinen Heimweg.» Der Verfasser dieses Matchberichts war offensichtlich ähnlich echauffiert über die Leistung des Unparteiischen wie Tschudy. Denn auf das zweite aberkannte Tor liefert er keinerlei Hinweise. Der Bericht zum Spiel des «Football» vom 7. Mai 1913, aus dem sämtliche Zitate stammen, hat ein sportpolitisches Nachspiel. Professor R. Hefner, der als Vertreter des DFB nach dem Spiel am offiziellen Bankett im Hotel Schweizerhof
teilnimmt, sendet dem Fachorgan eine Protestnote. Den Vorwurf der Parteilichkeit bezeichnet er darin als «eine Ungeheuerlichkeit». Vielmehr sei es «Aufgabe der Presse», über «strittige Fälle sachlich, ohne verletzende Kritik zu berichten». Und was passiert mit dem «erlebnis orientierten» Fan und Funktionär Henri Tschudy? Stadionverbote gibt es damals noch nicht. So setzt der Verband auf integrative Massnahmen. 1922/23 präsidiert Fussball-Rowdie-Routinier Tschudy das Schiedsgericht, das über Handgreiflichkeiten zwischen YB- und FCB-Spielern nach Matchende zu entscheiden hat. Die Zeiten haben sich geändert.
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Unaufsteigbar glücklich
«Die Spitze der Breite»: So preist der Schweizer Verband die 1. Liga an. Der Slogan passt zu jenem Verein, der die höchste Amateurliga im letzten Vierteljahrhundert so sehr prägte wie kein anderer. Obwohl in Tuggen eigentlich gar kein Spitzenfussball gespielt werden dürfte. Nicht mal in der Breite. Text: Andreas Züger / Bilder: Christian Breitler
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Schweizerreise: FC Tuggen
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ur 3000 Seelen bevölkern das Dorf Tuggen. Es war ein Bauerndorf. Und ist es, trotz des Baubooms am oberen Ende des Zürichsees, noch immer. Meisterschaftspartien im Sommer werden akustisch von Kuhglocken begleitet. Nicht Fans sorgen für urchige Stimmung, sondern die Kühe neben dem Fussballplatz. Der Juniorenabteilung gehören etwas mehr als 100 Kinder an. Ein Höchstwert in der Klubgeschichte. Zwei Rasenplätze, ein Sandplatz und ein Klubhaus, wie es in der Schweiz Hunderte gibt. Dieser Satz reicht aus, um das Vereinsgelände zu beschreiben. Man wähnt sich bei einem Besuch an der Linthstrasse nicht an einem Schauplatz der dritthöchsten Liga der Schweiz – wäre da nicht die kleine Tribüne, auf der 300 Zuschauer Platz finden. Und die Wände im Stübli des Klubhauses, die mit Wimpeln des FC Sion, des FC Zürich oder von Borussia Dortmund geschmückt sind. Alles Vereine, die in jüngster Vergangenheit an der Linthstrasse zu Gast waren. Auch die Strukturen im Klub lassen nicht erahnen, dass hier Leistungssport betrieben wird. Seit Mitte der 1980erJahre spielt Tuggen in der 1. Liga. Bereits zehn Jahre zuvor übernahmen Präsident Erich Güntensperger und Patron Felix Huber das Zepter. Ein Vorstand existiert zwar, Sitzungen gibt es aber kaum. Wichtige Entscheide rund um die erste Mannschaft werden vorwiegend von diesem Duo gefällt. «Es kann schon sein, dass sich einige Leute im Verein nicht sehr wichtig genommen fühlen. Aber ein Problem ist das nicht», glaubt Güntensperger. Wann der letzte Wechsel im Vorstand vonstattenging, wissen beide nicht. Mehr als eine Geldpumpe Obwohl hier wenig für erfolgreichen Fussball spricht, hält sich der Verein seit über einem Vierteljahrhundert an der Spitze des Schweizer Amateurfussballs. Man muss jedoch keine Heldengeschichte wie bei Asterix und den
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Galliern suchen, um den Erfolg des FC Tuggen zu erklären. Der kleine Dorfverein spielt auf der Schweizer Fussballlandkarte nicht deshalb eine Rolle, weil er sich mit geringen Mitteln erfolgreich gegen die Grossen wehrt. Tuggen kämpft mit gleichen Waffen wie seine Gegner. Dafür sorgt der mit Abstand grösste Arbeitgeber im Dorf, die Leuchtenfirma Tulux, der Hauptsponsor des Vereins. Das Unternehmen garantiert finanzielle Mittel, damit man hier überhaupt hochwertigen Fussball zu sehen bekommt. In der Chefetage der Firma sitzt besagter Felix Huber, wenig überraschend Finanzchef im Verein. Sein Schwager, besagter Erich Güntensperger, betont, dass «die Tulux nicht einfach nur Geld in den Verein pumpt». Sie mache sogar noch viel mehr. So ist die Firma für die Rasenspielfelder verantwortlich, deren Unterhalt ohne sie gar nicht möglich wäre. Schon oft lockte man Spieler mit einem Jobangebot in der Leuchtenfirma zum FCT. Noch heute arbeiten zwei aktive und mehrere ehemalige Fussballer des Vereins für die Tulux, vielfach Ausländer. «Ohne Jobangebot», so Huber, «wären viele Koryphäen unserer Vereinsgeschichte gar nie zu uns gekommen.» Schon oft verpflichtete der FCT gestandene Spieler, die den Durchbruch als Profi nicht geschafft hatten. Gleichzeitig ermöglichte man den Kickern den Einstieg ins Berufsleben. Ein Erfolgsrezept, für Verein wie Spieler. So ist die Tulux weit mehr als ein Hauptsponsor. Sie ist Hauptschlagader, die Lebensversicherung des Vereins. «Wir können offen reden: Ohne das Unternehmen Tulux spielt Tuggen in der vierten Liga», sagt Felix Huber. Einen Nutzen für die Firma sieht Huber durch das Sponsoring nicht: «Wir konnten noch nie einen Spieler verkaufen. Was uns antreibt, ist die Freude am Fussball und die Verbundenheit zum Dorf Tuggen.» Der FC ist für die Hubers eine Herzensangelegenheit, und dies bereits in der zweiten Generation.
Felix Hubers Vater Albin und der verstorbene Onkel Louis infizierten ihn mit der Begeisterung für den Fussball und den Dorfverein. Noch heute besucht Albin Huber beinahe jedes Heimspiel und sagt, wenn ihm etwas nicht passt. Immer wieder schlagkräftig Der FC Tuggen hat seit seiner Gründung 1966 also wenige Entscheidungsträger erlebt. Diese Kontinuität ist laut Huber der Hauptgrund für den Erfolg: «An den Generalversammlungen der 1. Liga sehen wir ständig neue Gesichter. Viele übernehmen einen Verein, haben grosse Träume, und nach fünf Jahren sind sie weg. Wir aber sind geblieben.» Und mit ihnen der Erfolg. In der Tat hat man es am oberen Zürichsee verstanden, immer wieder eine schlagkräftige Mannschaft zusammenzustellen. «Und bei der Trainerwahl haben wir glücklicherweise noch nie danebengegriffen», ergänzt Präsident Güntensperger. Dies erstaunt. Denn ein Sportchef mit weitreichendem Netzwerk hat es in Tuggen noch nie gegeben. Für die Transfers zeichnete meist Güntensperger verantwortlich. Mittlerweile regelt sie Trainer Adrian Allenspach. Dieser lief einst für Sion, Aarau und St. Gallen in der NLA auf, heute sei er der engagierteste Coach, der je in Tuggen tätig gewesen sei, sagt Huber. Allenspach liess den ganzen Klub zusammenrücken – Junioren, Senioren, Trainer, Fanionteam. «Früher», so Huber, «kannte ich die Juniorentrainer nicht.» Die erste Mannschaft ist nicht nur Kopf, sondern auch Kern des Vereins. Wegen des Erfolgs – und trotz des Misserfolgs in entscheidenden Momenten. «Wir haben es nie verboten» Zehnmal klopfte Tuggen an die Pforte der zweithöchsten Spielklasse. Neunmal scheiterte es in den Aufstiegsspielen. Teils knapp, teils kläglich. An Tuggen klebte das Image der «Unaufsteigbaren». Schlaflose Nächte gab es deswegen nicht. Höchstens Schulterzucken. Obwohl fast
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Schweizerreise: FC Tuggen
immer gescheitert, freute man sich stets wieder aufs Neue auf die Relegation, selbst wenn je länger, je mehr das Scheitern programmiert schien. Hinter vorgehaltener Hand wurde dem FCT gar vorgeworfen, absichtlich nicht aufzusteigen. «Wir haben es nie verboten», entgegnet Huber. Doch war im Verein nie jemand ernsthaft bestrebt, in der NLB oder der späteren Challenge League Fuss zu fassen. Das wussten auch die Spieler – und genau dies liess den Verein ein ums andere Mal stolpern. Tuggen konnte, die Gegner wollten aufsteigen. Mit dieser Mentalität war man in den entscheidenden Phasen zum Verlieren verdammt. «Uns fehlten immer ein paar Prozentpunkte an Willenskraft.» Güntensperger sagt dies ohne Bedauern. Nur einmal reichte der Wille aus. Die Saison 1994/95 blieb bisher die einzige in der NLB. Ascona war die letzte Hürde auf dem Weg dahin. 2:0 gewann Tuggen das Entscheidungsspiel. Der kleine Dorfklub Tuggen war also in der Nationalliga angekommen. Die Akteure fanden sich gar in Panini-Alben wieder. Die Bilder hatten bei Sammlern aber kaum Tauschwert. Ein Nestor Subiat gegen die ganze Mannschaft Tuggens – dazumal ein fairer Handel. Der FCT konnte sich auch auf dem Rasen nicht teuer verkaufen. Profis gab es keine. Der Klub versuchte nicht einmal, mehr als ein Jahr in der NLB zu verbleiben. Anderswo hätte man versucht, neue Geldquellen zu erschliessen, Kader und Staff aufzustocken und nach oben zu klettern. Die Tuggner wussten aber, dass die Früchte in der NLB für den Dorfklub zu hoch hängen. Die Verantwortlichen der Tulux wollten nicht mehr Geld einschiessen. Um einer erfolglosen Saison aus dem Weg zu gehen, verliessen gestandene Stammspieler und der Trainer den Verein. «In der NLB spielten wir mit dem schwächsten Kader, das wir je hatten», blickt Güntensperger schmunzelnd zurück. Er, Mitte der 1980er-Jahre als Spielertrainer in die 1. Liga aufgestiegen, kehrte für das Aben-
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teuer NLB an die Seitenlinie zurück, «um Unruhe zu verhindern. Ein externer Trainer hätte mit dieser Mannschaft nicht gearbeitet», merkt der Präsident kopfschüttelnd an. Den ersten Punkt für Tuggen gab es in der 10. Runde, bis dahin hatte man schon 26 Tore kassiert und gerade mal zwei geschossen. In der NLB-Abstiegsrunde fehlten schliesslich 22 Punkte zum rettenden Strich. Damit teilt sich der FC Tuggen mit dem FC Rüti den letzten Platz in der ewigen Rangliste der Nationalliga B. Auch wenn der Abstieg quasi vom ersten Spieltag an beschlossene Sache war, bleibt die Saison in guter Erinnerung. «Keiner, der dabei war, will diese Erfahrung missen», sagt der damalige Trainer Güntensperger. Nie mehr rote Laterne Die Saison war durchaus wichtig für den Verein. Sie prägte ihn aber nicht. Der FC Tuggen durfte nach dem Austauschjahr als Schlusslicht der Nationalliga B wieder dorthin zurück, wo er sich am wohlsten fühlt und wo er hingehört: an die Spitze der 1. Liga. Eine rote Laterne passt nicht zum Verein. Trotz alledem erstaunt es, dass der Besuch in der NLB ein derart unwichtiges Kapitel in der Vereinsgeschichte darstellt. Nüchtern erinnert man sich an die NLB zurück, stolz aber wird von der 1. Liga erzählt. «Kein Verein konnte sich so lange an der Spitze halten», stellt Felix Huber klar, während er mit dem Zeigefinger bestimmt auf den Tisch klopft. Warum ist dem so? «Wir sind einfach besser als die anderen.» Diese Antwort unterstreicht: Der Erfolg gehört mittlerweile zum Selbstverständnis des Klubs. Vielleicht wären das ständige Siegen, die regelmässigen Spitzenpositionen und das Scheitern in den Aufstiegsspielen irgendwann langweilig geworden. Die Einführung der 1. Liga Promotion kam für Tuggen deshalb nicht ungelegen. Die Leiter in die nächsthöhere Liga konnte so ohne Relegationsspiele bestiegen werden. Tuggen beendete die letzte Saison
auf dem ersten Platz, holte am meisten Punkte aller 1.-Liga-Vereine, stieg auf und durfte sich zudem mit dem Titel des Schweizer Amateur-Meisters schmücken. Es war der grösste Erfolg der Vereinsgeschichte. Die grösste Niederlage in der Klub historie hingegen wurde dem FC Tuggen nicht von einem anderen Verein, sondern von der Dorfbevölkerung zugefügt. Im November 2011 verhinderte das Stimmvolk den Bau eines Kunstrasens, klar und deutlich sogar. Obwohl überrascht ob des Resultats, waren sich Güntensperger und Huber nicht erst ab dann bewusst, dass ihr Verein nicht nur von Freunden umgeben ist. «Wo Erfolg ist, sind auch Neider», lautet Hubers einfache Erklärung. Rund 300 Zuschauer pilgern für eine Heimpartie an die Linthstrasse. Das Dorf steht nicht kopf, wenn der FC ein Heimspiel austrägt. Anders 2007, als Ivo Rüegg Bobweltmeister wurde. Rüegg ist einer von ihnen. Die Fussballer hingegen sind Legionäre, obwohl der FCT bestrebt ist, viele Schweizer im Kader zu haben. Daniel Senn, Captain und Integrationsfigur der ersten Mannschaft, wohnt als einziger Spieler des Teams im Kanton Schwyz. Sonst reisen die Akteure aus der weiteren Umgebung an. «Wir würden ja gerne Spieler aus der Region holen», stellt Huber in seiner direkten Art klar, «aber wenn wir deswegen in der zweiten Liga spielen, klopft uns niemand auf die Schultern.» Der FC Tuggen nicht an der Spitze, sondern mittendrin im Breitensport – mittlerweile unvorstellbar. Auch für das Duo Güntensperger/Huber. «Seit 35 Jahren sind wir schon hier und wir sind noch nicht fertig», prophezeit Felix Huber.
radiofussball
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unser mann in london
Red Devils in Gold-Grün Manchester United ist der wertvollste Klub der Welt. Trotzdem hat Duncan Drasdo, Geschäftsführer der grössten Fan-Organisation, nur ein Ziel: Er will den Verein zurückbringen in die Hände der Fans.
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igentlich wollte Duncan Drasdo nur ein ganz gewöhnlicher Fan von Manchester United sein. Jetzt ist er Geschäftsleiter des Manchester United Supporter’s Trust (MUST), der grössten Fan-Vereinigung des Klubs, und kämpft sieben Tage pro Woche gegen die Besitzer seines Lieblingsvereins. Und das kam so: 2005 kaufte ein amerikanischer Geschäftsmann namens Malcolm Glazer Manchester United. Weil er nicht genügend Geld hatte, machte er einen sogenannten Leveraged Takeover (fremdfinanzierte Übernahme). Er kaufte den Klub – gegen den Willen der Fans – mit geborgtem Geld und lud die Schuld auf den Verein. So hatte der vormals schuldenfreie Klub auf einmal 700 Millionen Pfund Schulden (zum damaligen Kurs 1,75 Milliarden Franken). Die Folge: Manchester United musste auf einmal jedes Jahr rund 60 Millionen Pfund (damals 150 Millionen Franken) Schuldzinsen bezahlen. Dann enthüllten Journalisten, dass der vermeintliche Milliardär Malcolm Glazer in Tat und Wahrheit nahezu bankrott war und sich finanziell nur über Wasser hielt, weil er sich an den Finanzen von Manchester United bediente.
ZWÖLF: Duncan Drasdo, laut dem amerikanischen Wirtschaftsmagazin «Forbes» ist Manchester United der wertvollste Sportverein der Welt. Ist das so? Duncan Drasdo: Für mich als Fan ist er sicher der wertvollste (lacht). Aber finanziell gesehen ist das umstritten. Real Madrid und Barcelona machen mehr Umsatz. Bayern München hat auch höhere Einnahmen und ist erst noch schuldenfrei. Aber Manchester United hat die meisten Fans weltweit. Deshalb kam Forbes wohl zu diesem Schluss.
Interview: Peter Balzli Bild: Imago
mung in den Stadien als die Engländer? Ja. Die Premier League hat die Stimmung auf den Rängen ruiniert mit der Abschaffung der Stehplätze und den hohen Ticketpreisen. Das war ein Fehler. Auch wirtschaftlich gesehen, denn die Fernsehzuschauer schalten beim Fussball auch deshalb ein, weil ihnen die Stimmung in den Stadien gefällt. Es macht keinen Spass, ein Spiel am Fernsehen zu schauen, wenn ein Teil der Sitze leer bleibt. Deshalb ist es so wichtig, dass ein Verein seine Fans pflegt. Und Deutschland macht das derzeit viel besser als wir in England. Die deutschen Fans sind oft auch Miteigentümer ihres Vereins. Und deshalb können sie sich Gehör verschaffen. Deshalb gibt es in Deutschland vernünftige Ticketpreise, Stehplätze und ein Bier in der Halbzeitpause.
Warum hat Manchester United so viele Fans? Dafür gibt es viele Gründe. Die Geschichte mit dem Flugzeugabsturz der Mannschaft 1958 in München. Der attraktive Fussball, der hier gespielt wird, und die vielen Stars. Und nicht zuletzt: Die Premier League hat die grösste globale Aufmerksamkeit aller Fussball-Ligen. Früher hatten wir auch die beste Stimmung in den Stadien. Heute übertrumpft uns die Bundesliga in dieser Hinsicht indes.
Es ist verrückt: Manchester United ist der populärste Fussballklub der Welt und dazu einer der erfolgreichsten. Und trotzdem sind die meisten Fans extrem unzufrieden mit den Klubbesitzern. Ja. Denn es geht ja nicht darum, ob die Besitzer den Verein zum Erfolg führen. Manchester United war schon sehr erfolgreich, bevor die Glazer-Familie den Verein aufkaufte. Der Erfolg ist in erster Linie das Resultat der Arbeit von Trainer Alex Ferguson. Er gibt weniger Geld für Spieler aus als Barcelona und Real Madrid. Auch die Lohnsumme seiner Spieler ist tiefer.
Wie bitte? Ein Engländer sagt, die Deutschen hätten die bessere Stim-
Warum sind denn die Glazers so unbeliebt?
Als Malcolm Glazer den Verein übernahm, war dieser schuldenfrei und hatte Geld auf der Bank. Nach der Übernahme hatten wir auf einmal Schulden, enorme Schulden. Bisher hat die Glazer-Familie den Verein rund 600 Millionen Pfund gekostet für Schuldzinsen und Schuldenrückzahlungen. Das ist Geld, das der Verein für Spieler, für das Stadion oder für die Fanarbeit hätte ausgeben können. Finanzfachleute sagen, das sei eine sogenannte fremdfinanzierte Übernahme und ganz normal in der Geschäftswelt. Fussballklubs sind nun einmal keine gewöhnlichen Firmen. Also kann man auch nicht erwarten, dass die Fans über solche Deals glücklich sind. Jene Fans, die noch Anteile am Verein hatten, wurden ja am Schluss gezwungen, ihre Aktien zu verkaufen. Das und der Schuldenberg haben viel böses Blut unter den Fans erzeugt.
Aber der Verein ist doch wirtschaftlich erfolgreich. Bestreiten Sie das? Nein. Natürlich ist der Klub derzeit wirtschaftlich und sportlich erfolgreich. Aber das ändert nichts daran, dass die Besitzer dem Verein grossen Schaden zugefügt haben und das immer noch tun. Journalisten haben 2010 enthüllt, dass die Glazer-Familie nicht schwerreich ist, sondern mit ihrem Einkaufszentrum-Imperium finanziell am Abgrund stand, und dass sie den Klub gemolken hat wie eine Milchkuh. Ja. Die Glazers haben die Einkünfte des Klubs verwendet, um ihre Schulden zurückzuzahlen. Der Klub hat für dieses Geld nichts erhalten. Kein neues Stadion, keine neuen Spieler, nichts. Jedes Jahr haben sie rund 60 Millionen Pfund aus dem Verein abgesogen, und dieses Geld fehlt dem Klub. Ich bin überzeugt, dass die Glazers auch weiter Geld aus dem Verein rausnehmen werden, wenn
die Schulden eines Tages zurückbezahlt sein sollten. Falls die Glazer-Familie mit ihren Einkaufszentren bankrottgeht, könnte das auch Manchester United mit in den Abgrund reissen? Nein. Das glaube ich nicht. Bis vor Kurzem bestand diese Gefahr tatsächlich. Aber einerseits sind die Schulden auf dem Verein heute nicht mehr so hoch. Andererseits brachten die Glazers letztes Jahr wieder zehn Prozent der Klubaktien an die Börse. Wenn die Familie also Geld braucht, dann kann sie einfach ein paar Aktien verkaufen und sich so Geld beschaffen. Aber dann würden sie einen Teil der Macht über den Klub verlieren. Nein. Sie verkaufen ja Aktien an der Börse, die nur ein Zehntel des Stimmrechts einer normalen Aktie haben. So behalten sie die ganze Macht. Die Aktie
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an die Börse zu bringen, war so gesehen eine grosse Chance, die verpasst wurde. Wieso das? Hätten sie alle Aktien an die Börse gebracht, dann hätten wir den Fans gesagt: Geht hin und kauft euch die Aktien. Aber die Glazers haben nur zehn Prozent der Aktien an die Börse gebracht, und diese haben wie gesagt nur eine Stimmkraft von einem Zehntel der normalen Aktien. Das heisst, wenn wir alle erhältlichen Aktien kaufen würden, kämen wir auf eine Stimmkraft von einem einzigen Prozent. Das ist nichts. So kriegen die Fans keinen Einfluss. Die Firma ist auf den Cayman Islands registriert. Warum haben die Glazers das gemacht? Auf den Cayman Islands muss eine Firma praktisch nichts offenlegen. Alles bleibt intransparent. An der Londoner Börse wäre das illegal. Warum machen die
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Besitzer das? Weil sie wollen, dass alles geheim bleibt. Weil sie wissen, dass die Fans entrüstet wären, wenn sie die Wahrheit über die Klubfinanzen erfahren würden. Wir Fans würden gerne wissen, was in unserem Fussballklub passiert. Möchten Sie denn, dass die Fans über die Geschicke von Manchester United bestimmen? Das ist unrealistisch. Wir wollen bloss, dass Fans einen Teil der Aktien erwerben, sodass sie einen gewissen Einfluss aufs Management ausüben können. Und dass das Management die Gefühle der Fans berücksichtigt und deren Loyalität respektiert. Denn die Loyalität der Fans zum Verein ist das Wichtigste überhaupt im Fussball. Sie wird in England von Generation zu Generation weitergegeben. Sie schafft den Wert des Vereins. Aber wenn der Verein die Loyalität der Fans missbraucht, um Geld aus dem Ver-
ein zu melken, dann ist die ganze Kultur des Vereins in Gefahr. Jetzt dramatisieren Sie. Keineswegs. Wenn ein Verein beginnt, seine Fans wie Kunden im Supermarkt zu behandeln, dann werden diese sich irgendwann auch so benehmen, wie Kunden im Supermarkt. Allerdings: Kein Kunde geht in den Supermarkt und singt ein Lied für seinen Supermarkt. Aber wir Fans wollen Lieder singen für unseren Verein. Bloss: Wenn die Fans merken, dass sie nur missbraucht werden, um Profite zu generieren, die dann von einem amerikanischen Geschäftsmann abgeschöpft werden, dann fühlen sie sich idiotisch und missbraucht. So hat man auch keine Lust zu singen. Wollen Sie denn nicht, dass der Klub wirtschaftlich erfolgreich ist? Doch, natürlich. Wenn das Geld in den Verein zurückfliesst in Form von Spie-
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Anführer des goldgrünen Protests: Duncan Drasdo.
lerkäufen, Jugendförderung, ins Stadion oder um die Ticketpreise tief zu halten, dann ist das gut. Aber wenn die Besitzer so viel Geld wie möglich aus dem Verein herausnehmen, dann haben wir ein Problem. Und das ist derzeit bei United der Fall? Ja. Die Fans schauen sich etwa die Sponsoren an und haben keinerlei Bezug zu diesen Firmen. Man fühlt sich als Fan ausgebeutet und lächerlich. Wenn man hingegen sieht, dass das Sponsorengeld tatsächlich dem Verein hilft, dann wird der Sponsor von den Fans geschätzt und gemocht. Ist die Situation bei Manchester United denn wirklich schlimmer als anderswo? Das Problem mit der Glazer-Familie als Klubbesitzer ist: Es ist ein ausbeuterisches System. Die Klubführung sagt: Unsere Fans sind so loyal, da können wir die Ticketpreise noch einmal erhöhen. Aber irgendwann ist Schluss. Und wer einmal entscheidet, nicht mehr ins Stadion zu gehen, dessen Loyalität wird zerstört. Seine Beziehung zum Verein geht kaputt. Sehen Sie hier schon Anzeichen dafür? Sicher. Manchester United hatte früher lange Wartelisten für Saisonkarten. Die gibt es nicht mehr. Auch wenn es der Verein nicht zugibt: Sie können heute anrufen und eine Saisonkarte für die nächste Spielzeit kaufen.
Sind Sie pessimistisch, was die Zukunft Ihres Vereins angeht? Nein, aber solange die Glazers den Verein besitzen, ist das, wie wenn ein Parasit ständig Blut aus einem Tier heraussaugt. Leider zeigen die Daten: Je mehr ein Verein für Spieler ausgibt, desto mehr Erfolg hat er. Und Barcelona und Real Madrid geben mehr Geld für Spieler aus. Ohne Schuldzinsen von 60 Millionen Pfund pro Jahr hätte der Verein Cristiano Ronaldo wohl nicht nach Madrid ziehen lassen. Und wir könnten jetzt vielleicht Lionel Messi von Barcelona kaufen. Sehen Sie eine Lösung? Ja. Eines Tages werden die Glazers verkaufen. Und wenn wir dann das richtige Besitzermodell wählen – etwa eines, wie es die meisten Bundesliga-Klubs oder die spanischen Spitzenvereine haben –, dann bin ich sehr optimistisch. Glauben Sie, dass die Glazers den Klub eines Tages verkaufen werden? Alle Dynastien enden eines Tages. Geschäftsleute behalten eine Anlage nur so lange, wie sie gut rentiert. Wenn sie sehen, dass der Kurs sinkt, oder wenn sie eine andere Gelegenheit sehen, die besser rentiert, dann verkaufen sie. Und wann könnte das sein? Wenn Alex Ferguson zurücktritt. Sollte unter dem nächsten Trainer der Erfolg aus-
bleiben, dann kämen die Zuschauer nicht mehr ins Stadion. Die Sponsoren bezahlen weniger, der Wert der Aktie sinkt. Wäre ich der Besitzer, würde ich dafür sorgen, dass ich dann nicht mehr Mehrheitsaktionär wäre. Das alles dürfte in den nächsten zwei bis drei Jahren passieren. Sind Sie bereit zu handeln? Ja. Wir vom Manchester United Supporter’s Fund bringen die Fans in Stellung. Die Besitzer sagen, dass der Klub 659 Millionen Fans habe. Wenn die alle zwei oder drei Pfund investieren würden, dann wäre eine Übernahme einfach (lacht). Auch wenn wir nur zwei bis drei Millionen Fans finden, die bereit sind, einen kleinen Betrag zu investieren, sähe es nicht schlecht aus.
Love United Hate Glazer Die Fans stiegen schon 2004 auf die Barrikaden, um den Verkauf an Malcolm Glazer zu verhindern. Der Slogan der Widerstandsbewegung war «Love United Hate Glazer» oder kurz LUHG. Die Rebellen tragen bis heute Gelb-Grün statt der Klubfarben Rot und Weiss. Grund: Gelb-Grün waren die Klubfarben von Newton Heath, jenem Verein, aus dem Manchester United 1902 hervorging.
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AUSLAN Auslandschweizer
Text: Mämä Sykora / Bild: zvg
Heiland in Thailand Mit 17 wurde er Weltmeister, mit 20 bei GC aussortiert. Heute spielt Charyl Chappuis mit seinem thailändischen Verein in der Champions League und ist Nationalspieler.
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haryl Chappuis ist nicht einfach zu erreichen. Innerhalb von wenigen Tagen spielte er im Libanon, in Japan und China, dazwischen standen Spiele der nationalen Meisterschaft auf dem Programm. Beklagen will sich der 21-Jährige deswegen aber keineswegs: «Reisen ist doch geil! Auch deshalb habe ich das Angebot von Buriram United angenommen: um in anderen Ländern spielen zu können. Und um in der Champions League zu spielen.» Buriram ist eine Provinz im Nordosten des Landes mit 1,5 Millionen Einwohnern, und die United ist eine der erfolgreichsten Mannschaften Thailands. Als amtierender Cupsieger schaffte man gegen Brisbane Roar, das Team um Ex-Gladbach- und -Köln-Star Thomas Broich, sensationell den Einzug in die asiatische Königsklasse. Das 2:0 im Elfmeterschiessen besorgte Chappuis mit einem trockenen Schuss in die tiefe linke Ecke. Wenn Buriram United auf Reisen geht, bewegt sich ein ganzer Tross. «Wir haben neben Trainern und Assistenztrainer auch zwei Materialwarte, einige Dolmetscher, zwei Ärzte, zwei Teammanager, drei Masseure …», erzählt Charyl. «Die kümmern sich um alles. Als wir in Japan spielten, war es ziemlich kalt. Darauf waren viele von unserem Team nicht vorbereitet. Also wurden wir kurzerhand mit Handschuhen, Rollkragenpullis und Jacken ausgerüstet.» Geld ist nachweislich vorhanden in Buriram. Der Eigentümer der United heisst
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Newin Chidchob, ist ein einflussreicher Politiker und Unternehmer, der in der Vergangenheit in einige dubiose Geschäfte verwickelt war und deshalb 2007 für fünf Jahre aus der Politik verbannt wurde. Bis 2010 hiess sein Verein noch PEA und spielte 300 Kilometer weiter westlich in Ayutthaya, Chidchob holte ihn nach seinem Einstieg in seine Heimatstadt und benannte ihn um. Interessanterweise war seine Frau damals Präsidentin des bestehenden lokalen Fussballvereins in Buriram. Der spielt hingegen mittlerweile 900 Kilometer weiter südlich. Präsident mit Bodyguards Als Erstes gab es für Buriram United ein neues Stadion. «Hammer» sei das Thunder Castle Stadium, urteilt Charyl über den topmodernen 24 000-Plätzer. Als Nächstes will Chidchob seine Heimatregion noch mit einer Moto-GP-Strecke, einem Wasserpark und ein paar Hotels aufwerten. Zeit für den Fussball findet er aber immer noch. «Ein Fussballverrückter. Er ist immer dabei, meistens mit vier, fünf Bodyguards. Während der Partie sitzt er auch auf der Bank», sagt Charyl, der ein gutes Verhältnis zum Eigner pflegt. Fussball ist die klare Nummer eins in Thailand. Dennoch liegt der Schnitt der heimischen Liga lediglich bei 5000 Zuschauern. Immerhin bei den Spitzenvereinen Buriram und dem ewigen Rivalen Muangthong, wo der Ex-GCler
Roland Linz spielt, kommen 15 000. In der Champions League war das neue Stadion gar ausverkauft. «Wie viele kamen nochmals bei GC in der letzten Saison?», lacht Charyl. Wiewohl in sämtlichen Bars die Begegnungen der Premier League und der Primera División über die LCD-Bildschirme flackern, kann auch das lokale Championnat begeistern. Charly gehört zu den beliebtesten Spielern bei Buriram. Er hat einen eigenen, schon ziemlich grossen Fanklub, und in den Kommentaren auf seiner Facebook-Fanseite posten junge Frauen gerne Herzchen für ihn. Ist er ein Star? Charyl lächelt verlegen: «Dieses Wort sage ich gar nicht gern. Aber ja, die Halb-Thais in der Mannschaft sind hier besonders populär.» Seine Mutter stammt aus Thailand, die Sprache hat er leider in der Zwischenzeit verlernt. Also parliert er (noch) in Englisch oder Italienisch mit Mitspielern und Fans. Kontakt mit Letzteren gibt es viel: Nach jedem Heimspiel geht die Mannschaft auf dem Markt essen und wird davor von Autogrammjägern belagert und um Erinnerungsfotos gebeten. 45 Minuten dauert jedes Mal der Weg durch die Menge, bis das Team endlich zum Essen kommt. Das Hoffen auf Chelsea Diese Popularität kann auch zum Hindernis werden. Während die wenigen Ausländer in der Thai Premier League von einem Engagement in grösseren asiatischen Ligen wie Japan oder Südkorea träumen, geben sich viele thailändische Spieler bereits mit einem guten Vertrag und dem grossen Ansehen in der Heimat zufrieden. In Winnie Schäfers Nationalmannschaftsaufgebot findet sich kein einziger Spieler, der im Ausland aktiv ist. Charyl will der erste werden. Nach einigem Hin und Her wurde sein Antrag auf einen Nationalitätswechsel endlich gutgeheissen. In der WM-Qualifikation
auslandschweizer
Mit der weltmeisterlichen Nummer 4 im Einsatz für Buriram United: Charly Chappuis.
ist Thailand zwar längst ausgeschieden, erreichte mit dem 1:2 in Australien – der Siegtreffer fiel erst kurz vor Schluss – und dem 3:0 über Oman aber Achtungserfolge. Das nächste – schwierig zu erreichende – Ziel heisst Asien-Cup. Charyl hofft, schon vorher dabei sein zu können. Nämlich dann, wenn die grossen europäischen Klubs wie Chelsea, Manchester United oder Barcelona für ein Freundschaftsspiel in Bangkok haltmachen – vor 60 000 Zuschauern. Diese Kulisse kennt Charyl bereits. Genau gleich viele waren anwesend, als er in Abuja mit der Schweizer U17-Nationalmannschaft den Weltmeistertitel holte. Sieben Spiele, sieben Siege, sieben Mal stand Charyl über die volle Distanz auf dem Platz und verdiente sich dabei Bestnoten. Als Innenverteidiger agierte er mit einer für sein Alter fast schon unglaublichen Abgeklärtheit und Souveränität. Dieser Mann würde bald schon zu einer festen Grösse in der Super League werden, da war sich die Fachwelt einig. In der Tat schaffte er bei GC unter Ciriaco Sforza schon in der folgenden Saison den Sprung in den Profikader. Zum Einsatz kam er indes nur ein einziges Mal: im Cup beim 9:0 über Béroche-Gorgier. Der HSV zeigte Interesse, Juventus ebenfalls, doch Charly blieb, und ein Fussbruch warf ihn noch weiter zurück. Er wurde zu Locarno ausgeliehen, konnte in der jungen Mannschaft als Stammspieler überzeugen und schaffte den Klassenerhalt in der Challenge League. Doch GC fand nach wie vor keine Verwendung für ihn und parkierte ihn in der Folgesaison bei Lugano. Es wurde die Saison der Enttäuschungen. Nach einem guten Start offenbarte ihm Raimondo Ponte, er brauche einen erfahreneren Mann auf seiner Position. Und GC liess bei einem Spiel von Charyl einen anderen Spieler beobachten. Deshalb zögerte er beim
Angebot aus Thailand nicht lange, und GC legte ihm trotz weiterlaufendem Vertrag keine Steine in den Weg. «Ich hatte genug von den leeren Versprechungen», erklärt er. Allerdings nicht ohne selbstkritisch nachzulegen: «Ich habe vielleicht meine Chance nicht gut genug genutzt. Und ich hätte vielleicht auch schon früher gehen sollen.» War der U17-Weltmeistertitel eher eine Bürde als eine Chance? Charyl überlegt lange: «Die Erwartungen waren wohl zu hoch. Ein junger Spieler braucht immer Zeit, auch mit einem Weltmeistertitel. Allerdings habe ich auch dank diesem Titel dieses Angebot von Buriram United bekommen.» Und überhaupt, er sei ja erst 21. Thailand ist keine Sackgasse. Die besten Torschützen seines Vereins der letzten zwei Jahre wurden von Anderlecht bzw. Greuther Fürth wieder nach Europa geholt. Das ist auch Charyls Ziel. Sein Vertrag in Thailand läuft zwei Jahre, die kritischen Stimmen, die der thailändischen Liga die Qualität absprechen, kann er nicht unterstützen. «Technisch sind die meisten Spieler ziemlich gut, auch das Tempo ist keineswegs gering. In Sachen Taktik ist aber noch Luft nach oben.» Den Topteams der Thai Super League traut Charyl eine Mittelfeldrangierung in der hiesigen Super League zu. Die Professionalisierung sei nun mal erst im Anfangsstadium, deshalb werde sich der Fussball in Thailand in den nächsten
Jahren enorm weiterentwickeln. «In den nächsten 10 Jahren», prophezeit er, «wird Asien einen gewaltigen Sprung nach vorne machen.» Einen ersten Eindruck davon erhielt er bereits im ChampionsLeague-Spiel gegen den FC Seoul, «die beste Mannschaft, gegen die ich je gespielt habe». Die nächsten Monate dürften hart werden für Charyl. Es kommt die Zeit, in der es richtig heiss wird in Buriram. Die Nummer 4 trägt er nach wie vor, wie damals in der U17, doch jetzt spielt er im Mittelfeld, was einiges an zusätzlicher Laufarbeit erfordert. Ihm kommt entgegen, dass sein thailändischer Trainer ein gepflegtes Aufbauspiel dem kampfbetonten Kick ’n’ Rush der meisten Gegner bevorzugt. Auch dieses Jahr wird die Meisterschaft auf einen Zweikampf zwischen Buriram und Muangthong hinauslaufen. Und Charyl will hier seine ersten Titel mit einem Verein gewinnen. Auch wenn es nur in einer exotischen Meisterschaft ist. Doch angesichts der Organisation und der Professionalität bei Buriram, mit der laut Charlys Bruder Daniel «in der Schweiz nur der FC Basel einigermassen mithalten kann», fragt sich dieser manchmal, «ob nicht eher wir in einem exotischen Land leben».
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TERRA INCOGN ITA
Fussball am Abgrund Text: Tarcisio Bullo / Übersetzung: Zeno D’Aulerio / Illustrationen: André Bex
Bei Redaktionsschluss war nicht klar, ob die AC Bellinzona weiter existieren kann. Unabhängig davon steht der Fall der Granata symbolisch für eine desaströse Lage, in der sich der ganze Tessiner Fussball befindet.
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er 20. Mai 2008 ging für die AC Bellinzona in die Geschichte ein. Mit einem Sieg im Espenmoos sicherte man sich den Aufstieg in die Super League. Die Mannschaft wurde mitten in der Nacht von einer feiernden Menschenmenge auf der Piazza del Sole erwartet. Lediglich fünf Jahre sind seither vergangen, es kommt einem aber wie ein ganzes Jahrhundert vor. Vom damaligen Enthusiasmus, der auch vom Cup-
final genährt wurde, ist in Bellinzona nichts übrig geblieben. Seit Wochen diskutiert man in den Bars der Tessiner Hauptstadt über nichts anderes als ein mögliches Ende des Vereins und dessen 109-jähriger Geschichte. Der Mailänder Gabriele Giulini, der Bellinzona wieder zu altem Glanz verhelfen sollte und den «Sopracenerini» einen Sieg gegen ihre Luganeser Erz rivalen, die «Sottocenerini» versprach, ist nicht
mehr in der Lage, auch nur noch einen Franken zu investieren. Und mit den Hoffnungen auf eine bessere Zukunft verblassen auch diejenigen auf ein neues Stadion, für das eigentlich schon eine Baubewilligung vorhanden wäre. Der Tessiner Fussball hat einen weiteren Kampf verloren. Es ist nicht die erste Niederlage, aber es könnte die letzte für einen Kanton sein, der partout nicht verstehen will, dass in seiner Kleinräu-
te Monneri Ce
Bellinzona
Locarno
Lugano
Chiasso
migkeit die alte Dorfmentalität überwunden werden muss, um eine Basis für Erfolg zu legen. Stattdessen wird an alten Schemas festgehalten, obwohl diese nicht mehr funktionieren. Bellinzona, Lugano, Chiasso und Locarno, das sind vier ChallengeLeague-Klubs, die sich die finanziellen Ressourcen und das Publikum eines Kantons teilen müssen. Dieser hat weniger als 350 000 Einwohner und wird durch eine Barriere geteilt, die für Aussenstehende unsichtbar bleibt, aber für die Tessiner eine spürbare Realität darstellt: Der Monte Ceneri ist ein kleiner Hügel, gerade mal 554 Meter hoch, der die nördliche Hälfte des Kantons von der südlichen trennt. Eine Kleinigkeit? Ein lächerliches Hindernis? Nicht im Geringsten. Am Grat des Ceneri haben Geologen schon vor langer Zeit das Zusammentreffen der Eurasischen und der Afrikanischen Platte
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erkannt. Gneis auf der Nordseite, Kalk im Süden. Ob das in Verbindung mit dem Fussball etwas zu bedeuten hat, sei dahingestellt. Aber Parallelen zu den Charakterzügen der Leute drängen sich auf. Im Norden sind sie verschlossener und ernster, im Süden flexibler und offener. Heutzutage gelten diese Unterschiede als überholt, da sich die Gesellschaft – auch durch die Immigration – stark durchmischt hat. Trotzdem haben sie die beiden Kantonshälften über Jahrhunderte geprägt. Der Süden entwickelte sich im Vergleich zum Norden wirtschaftlich viel stärker und dynamischer. Heute ist das Tessin jedoch eine einzige urbane Region, die 2019 mit der Fertigstellung des Monte-CeneriBasis-Bahntunnels noch näher zusammenrückt. Die Reise von Bellinzona nach Lugano dauert dann nur noch 11 Minuten. Wie viele andere Tessiner überquert der Autor dieses Artikels täg-
lich seit 25 Jahren den Monte Ceneri, um in der Region Lugano zu arbeiten. Meine Kinder wissen kaum noch, was der Sopraceneri und der Sottoceneri sind, sie leben und denken als Ticinesi, mit der Vorstellung einer Region, die in Airolo anfängt und in Chiasso endet. 50 Millionen für den Leistungssport Trotzdem bleibt der Tessiner Fussball gespalten und mit seinen vier Zentren festgefahren. Die Reformen der Swiss Football League – die Verkleinerung der Ligen und die höheren Anforderungen an die Infrastruktur – konnten die Fusionsbestrebungen der Vereine nicht befördern. So werden im Kanton jährlich bis zu 50 Millionen Franken investiert, um neben den vier Fussballmannschaften in der Challenge League zwei NLA-Hockey-Klubs, fünf NLA-Basketball-Teams und einen NLA-HandballKlub erhalten zu können.
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Wie ist es so weit gekommen, dass inzwischen solch hohe Summen ausgegeben werden? Im Fussball ist das schnell erklärt: Es geht ausschliesslich über das Geld ausländischer Investoren. Der erste Ausländer, der als Funktionär im Tessiner Fussball Fuss fasste, war der Italiener Gianmarco Calleri. Er war in den Achtziger- und Neunzigerjahren Präsident der Serie-A-Vereine Lazio und Torino. 1998 kaufte Calleri Bellinzona und brachte den Klub beinahe in die NLA. Nachdem er beträchtliche Summen investiert hatte, verliess er 2001 die ACB. Er hinterliess einen Verein ohne Führung und eine zerstörte Nachwuchsabteilung, aus der zuvor einige Talente hervorgegangen waren. Auch Lugano versuchte sein Überleben durch ausländische Allianzen zu sichern. Bereits 1995 rief der damalige Präsident Hélios Jermini um Hilfe. Die Region Lugano könne sich ohne fremde
Unterstützung keine Mannschaft in der NLA leisten. 1999 gelang nach verschiedenen missglückten Versuchen mit Mailänder und Römer Unternehmern die «Zusammenarbeit» mit Pietro Belardelli. Doch schon bald stellte sich dieser als bankrotter Schwindler heraus, der es geschafft hatte, Jermini zu täuschen. Die versprochenen Millionen kamen nie an, wobei die Kosten mittlerweile explodiert waren. 2002 beging der Präsident des FC Lugano Suizid, indem er sich mit seinem Auto in den Luganersee stürzte. 2003 kam es zum Konkurs des Vereins. Jermini hatte 65 Millionen unterschlagen. Gemäss Staatsanwaltschaft landeten 40 davon in den Kassen des FC Lugano. In der Zwischenzeit pendelten Chiasso und Locarno zwischen NLB und 1. Liga, die AC Bellinzona geriet in die Hände anderer italienischer Unternehmer, und Lugano konnte dank der Fusion mit NLB-Klub Malcantone/Agno
eine Wiedergeburt feiern. 2006 wurde der FC Lugano von Enrico Preziosi gekauft, der aber über Jahre hinweg im Hintergrund blieb. Kaum jemand wusste zu dieser Zeit, wer überhaupt der Besitzer des Vereins war. Und so lebten sie alle mehr oder weniger glücklich und zufrieden, ohne sich die alles entscheidende Frage zu stellen: Wie lange kann dies noch so weitergehen? Reals Higuaín beim FC Locarno Gemeinsam war den Klubübernahmen von Lugano und Bellinzona nicht nur, dass sie durch italienische Unternehmer erfolgten, sondern dass dahinter die Absicht oder besser die Vorstellung steckte, an Transfergeschäften zu verdienen. Stimmen w urden laut, wonach solche Geschäfte missbraucht wurden, um Geld vor dem italienischen Fiskus zu verstecken. Dies konnte aber nie bewiesen werden. In den 2000er-Jahren
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hatte Bellinzona verschiedene Fussballer beschäftigt, die anschliessend eine grosse Karriere in Italien starten konnten. Beispielsweise den Ghanaer John Mensah oder den Italo-Brasilianer Amauri. Der aufsehenerregendste Fall war Matuzalém Francelino da Silva, ebenfalls Brasilianer, gekauft und verkauft von Bellinzona, der die Stadt mit den drei Schlössern aber nie zu Gesicht bekam. Ebenso wenig wie der Ghanaer Kwadwo Asamoah, heute in Diensten von Juventus Turin. Derweil bot Locarno, das sich um den lokalen Nachwuchs ausgezeichnet kümmerte, dubiose «Dienste» argentinischen Unternehmern an, um sein Budget aufzubessern. Kaum einer weiss, dass der Real-MadridStürmer Gonzalo Higuaín vor seinem Wechsel von River Plate nach Spanien zwischenzeitlich Locarno gehörte. Chiasso wiederum befand sich im Besitz italienischer Investoren. Diese
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wurden angeführt von Salvatore Marotta, Bruder des Geschäftsführers von Juventus Turin. Nun gehört der Verein wieder einer Gruppe Tessiner Unternehmer. In diesem suboptimalen Umfeld erscheint Bellinzona-Präsident Gabriele Giulini geradezu atypisch. Als Nachkomme einer bürgerlichen Mailänder Familie hatte Giulini von 2008 bis 2012 Millionen in den Verein investiert. Den Abstieg konnte er jedoch auch nicht verhindern, und das neue Stadion steht ebenfalls (noch) nicht. Trotz allem ist er ein ausserordentlicher Präsident geblieben, der die verschiedenen Kulturen seiner Fussballer respektiert, den lokalen Bezug seines Vereins zu schätzen weiss und nicht allein den Abschluss lukrativer Transfergeschäfte im Sinn hat. Die Realität lässt sich nicht verleugnen: Wenn es keine italianischen Investoren gegeben hätte, wäre der Tessiner Fussball schon längst tot. Oder aber
es ginge ihm gar besser als heute. Was paradox klingt, lässt sich einfach erklären. 1996 formulierte der damalige Lugano-Präsident Giangiorgio Spiess eine mögliche Lösung: die Vereinigung der Kräfte. Eine Idee, die im Nachwuchsbereich mit dem Team Ticino bereits Form gefunden hat. Alle Talente des Kantons spielen bis zur U21 in einer Mannschaft. Ein Konzept, das bis jetzt aber auf höchster Ebene unrealisierbar zu sein scheint. Vielleicht auch mangels dieser Perspektive zieht es die vielversprechendsten einheimischen Junioren oft frühzeitig zu italienischen Klubs, die immer auf der Suche sind nach den besten Akteuren in ihrem Einzugsgebiet. Der aktuelle Lugano-Präsident, Angelo Renzetti, hatte vor wenigen Wochen den Mut, sich öffentlich zur Idee zu äussern, einen Verein zu gründen, der alle wichtigen Fussball-Institutionen des Kantons unter dem Banner einer Mannschaft
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versammeln würde. Diese Äusserungen ernteten von den wenigen übrig gebliebenen Fans heftige Proteste, die nicht wirkungslos blieben. Als nur Wochen später im Stadthaus von Lugano eine Studie für ein Bauvorhaben vorgestellt wurde, das für 100 Millionen einen neuen Sportkomplex mit integriertem Fussballstadion vorsah, sprach Renzetti nur noch vom FC Lugano als zukünftige Speerspitze des Tessiner Fussballs. Deshalb bleibt der Football Club Ticino, der bei den Fans auf Abneigung stösst, nur eine Marke im Besitz von Locarno-Präsident Stefano Gilardi. Dieser sträubt sich wiederum davor, Konkretes zur Realisierung des Projekts zu unternehmen. Die Fans winken ab, und der Tessiner Fussball stirbt langsam am Desinteresse der Bevölkerung – auch wegen seiner maroden Stadien, die nur knapp die Vorgaben der Swiss Football League erfüllen. Vor allem die Ju-
gend bleibt ihm fern. Das letzte Derby Bellinzona - Lugano besuchten nur knapp 2000 Zuschauer. Zwar waren die Tessiner Vereine nie Publikumsmagnete, aber immerhin besuchten in den Achtzigern und Neunzigern regelmässig 5000 bis 6000 die innerkantonalen Duelle. Vielleicht werden die jungen Tessiner, die sich in wenigen Jahren innerhalb von 11 Minuten mit der Bahn von Bellinzona für einen Kaffee nach Lugano bewegen können, die Idee eines FC Ticino in der Super League zu schätzen wissen. Damit dieser Traum für alle Fussball-Liebhaber zur Realität wird, braucht es mutige und kreative Funktionäre. Weil in den Führungsetagen der Klubs seit Jahren hauptsächlich ausländische Investoren sitzen, die nur die eigenen finanziellen Interessen verfolgen, haben sich lokale
Funktionäre vom Fussballbetrieb gänzlich ferngehalten. So hält in meinem Kanton vielleicht der Traum an von den einst so leidenschaftlichen Derbys – egal ob in der Super League oder der Challenge League.
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NLA-Legende
Von Silvan Kämpfen und Romano Spadini / Illustration: André Bex
Titel, Tore, Theorie Er ist einer der grössten Trainerpersönlichkeiten, die den Schweizer Fussball beehrt haben. Nach nur einer Saison bei GC versetzte Hennes Weisweilers jäher Tod die Fussballwelt in Schockstarre.
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enn Sie meinen Mann gekannt hätten», sagt Gisela Weisweiler leicht verdutzt, «dann würden Sie diese Frage nicht stellen.» Dabei lag sie eigentlich auf der Hand: Wollte ihr Mann Hennes bei GC seine Karriere langsam ausklingen lassen? Schliesslich war der Fussballtrainer auch schon 63 und seit Kurzem Familienvater. So manche internationale Grösse zog es in den 80er-Jahren in die Schweiz, um hier den sportlichen Lebensabend einzuläuten. Für Hennes Weisweiler aber war ein Kürzertreten kein Thema. Auch für GC scheute er keinen Aufwand. Ihr Mann habe seine Entscheide immer nach dem Fussball getroffen, sagt seine Witwe, die noch heute in einem Zürcher Vorort lebt. Aber sie seien auch aus menschlichen Gründen von New York in die Schweiz gekommen, erklärt Gisela Weisweiler. «Hier ist man viel mehr Privatperson, und das hat uns sehr gefallen.» Doch auch hierzulande rauschte es im Blätterwald, als Weisweilers Ankunft feststand. Kein Wunder, denn
der Kölner war damals ein absolutes Grosskaliber unter den Trainern Europas. Er war der Begründer der legendären Fohlen-Elf aus Mönchengladbach, die er in seinen elf Jahren zu einer Spitzenmannschaft aufbaute und mit der er als Lohn drei Meistertitel, einen Pokaltitel und den Gewinn des UEFA-Cups feiern konnte. Nach einem Intermezzo bei Barcelona kehrte «Don Hennes» 1976 zurück in die Bundesliga und übernahm seinen Heimatverein, den 1. FC Köln. Mit den Geissböcken holte er 1978 das Double. Nach gescheiterten Vertragsverhandlungen mit dem Kölner Vorstand kehrte er 1980 der Bundesliga abermals den Rücken und übernahm den Glamourverein New York Cosmos, mit dem er den Meistertitel in der amerikanischen Operettenliga einfahren konnte – mit einem Team aus Spielern wie Franz Beckenbauer, Johan Neeskens, Carlos Alberto oder Giorgio Chinaglia. Letztgenannter wurde zu seinem grössten Gegner. Chinaglia vertrat die Ansicht, mit Weisweiler sei Cosmos kein Spektakel mehr, sondern
In der letzten Ausgabe fragten wir: Wie heisst der Mann, der als Vereinstrainer einst einen späteren Weltmeistertrainer im Kader hatte und auch einen Schweizer Klub zum Meistertitel führte? Für einmal gab es zwei korrekte Antworten: Jean Snella wurde 1961 und 1962 mit Servette Meister und hatte bei Saint-Etienne Aimé Jacquet im Kader, und der hier porträtierte Hennes Weis weiler, der bei Cosmos mit Beckenbauer arbeitete.
spiele konservativen und übervorsichtigen Fussball. Auch wegen Streitigkeiten mit den Altstars verkündete der Startrainer im Februar 1982 seinen Abschied. Der gute Draht zu GC Im Laufe der Saison 1981/82 herrschte immer mehr Klarheit darüber, dass GC mit Timo Konietzka nicht verlängern würde und sich deshalb auf Trainersuche begab. Zum Schweizer Rekordmeister hatte Weisweiler schon immer einen guten Draht. Während seiner BundesligaZeit luden die Grasshoppers regelmässig zu Freundschaftsspielen ein, im Gegenzug waren sie alljährlich bei einem Hallenturnier in Berlin zu Gast. Als dann in die Presse kam, dass Weisweiler mit Cosmos das entscheidende Meisterschaftsspiel in Toronto verloren hatte, jettete GC-Präsident Karl Oberholzer sogleich nach Übersee. Er offerierte dem Kölner einen Zweijahresvertrag bei GC, der ordentlich, aber natürlich weitaus weniger hoch dotiert war als jener in New York, wo Warner Bros. astronomische Summen einschoss. Angebote aus der Bundesliga lagen zwar auch vor, doch Weisweiler kannte GC gut und sah die Möglichkeit, hier etwas aufzubauen. «In den Gesprächen hat mir die Art von Herrn Oberholzer imponiert, der klare Angaben machen und klare Entscheidungen treffen konnte. Dies hat mir gefallen, weshalb ich auch zugesagt habe», sagte er später einmal gegenüber dem «Sport». Es sind plausible Erklärungen für die damals schwer fass-
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bare Vorstellung, dass einer der weltbesten Trainer zum NLA-Saisonauftakt der Winterthurer Schützenwiese seine Aufwartung machen sollte. Es war eine talentierte und erfolgreiche Truppe, die der Fussball-Professor an einem heissen Julitag zum ersten Training vorfand. GC hatte damals etliche Nationalspieler im Kader. Neben Jungstars wie Ladner oder Schällibaum bildeten Cracks wie Berbig, Wehrli, Egli, Hermann oder Sulser das Teamgerüst. Unter Konietzka hatten die Zürcher in der Saison zuvor den Meisterpokal auf den Hardturm geholt. Ein zusätzlicher Druck? «Mein Mann stand immer unter Druck, und der kam vor allem von ihm selbst», sagt Gisela Weisweiler. Er wusste: GC wollte das Double, und GC wollte durch OffensivPower mehr Zuschauer ins Stadion locken. Beides gelang. Wie heute Barça und Bayern Schon nach kurzer Zeit hatte der FussballLehrer den Grasshoppers den «WeisweilerStil» eingeimpft. Damals revolutionär, heute ein erfolgreiches Modell für Barcelona oder Bayern: schnelles Kurzspass-Spiel mit geringem Risiko und hohes Pressing; gleichzeitig soll von allen Spielern Torgefahr ausgehen und das Spiel über die Flügel forciert werden. Vor allem Letzteres war nicht ganz einfach zu bewerkstelligen, hatte GC doch gar keine Aussenspieler im Kader. Kurzerhand funktionierte Weisweiler Claudio Sulser vom Mittelstürmer zum rechten Flügel um, von links kam Kurt Jara. Dies klappte ausgezeichnet. GC startete imposant, gegen Winterthur, Xamax und Bellinzona gelangen Kantersiege mit einem Torverhältnis von 15:2. Einzig im Europacup der Meister bedeuteten die Spiele gegen den übermächtigen UdSSRMeister Dynamo Kiew schon in der ersten Runde Endstation. Doch Weisweilers Elf liess sich nicht beirren und blieb national auf Erfolgskurs, was mit dem 2:1 im Spitzenspiel gegen Servette untermauert wurde. Wie vorausgesagt waren die Grenats bis zum Saisonende GCs schärfster Widersacher. In einem spannenden Abnützungskampf blieben die Hoppers
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Sieger und feierten den verdienten Meistertitel. Klar, da gab es auch dunkle Momente, wie etwa die 1:5-Niederlage in St. Gallen, das ausgerechnet Ex-GC-Trainer Johannsen coachte. Da wurde die Vaterfigur Weisweiler so richtig grantig und sprach tagelang nicht mehr mit seinen Spielern. «Unter Niederlagen hat er fast körperlich gelitten, und seine miese Laune hat sich sogleich auch auf andere übertragen», erzählt seine Frau. Grund dazu gab es aber nicht oft. Durch den Hardturm – der Zuschauerschnitt stieg auf bescheidenem Niveau von 6600 auf 7100 – wehte in dieser Saison ein Hauch Gladbach. Insgesamt 86 Tore erzielte GC – und alle Kaderspieler steuerten das Ihrige bei. Selbst Torhüter Roger Berbig skorte einmal per Penalty. Die beiden Innenverteidiger Egli und InAlbon galten als Kopfballungeheuer und trafen zusammen über 20 Mal! Weisweiler liess die Standardsituationen bis zum Gehtnichtmehr trainieren, und vor allem auf der rechten Seite hatte man mit Roger Wehrli und Raimondo Ponte zwei exzellente Flankengeber. Das ganz grosse Ding Doch mit der Meisterschaft begnügten sich Weisweiler und die Mannschaft nicht. Schliesslich standen sie auch noch im Cupfinal ¬– abermals gegen Servette. Es brauchte nach dem 2:2 ein Wiederholungsspiel, das die Zürcher schliesslich klar mit 3:0 gewannen. Weisweiler wurde seinem Ruf als Ausnahmetrainer also auch bei GC gerecht und holte sogleich das Double. Für ihn war es das zweite seiner Karriere, für GC das erste seit 27 Jahren. Bei der Meisterfeier zeigte der Deutsche, der schon sechs Titel in drei Ländern gewonnen hatte, grosse Gefühle: «Das war die schönste Meisterfeier, die ich erleben durfte!» Gisela Weisweiler, heute 69-jährig, muss über diese Aussage schmunzeln. «Die aktuelle Feier ist natürlich immer die schönste. Aber das Double war für GC schon ein ganz grosses Ding, das merkte man.» Das Verdienst des Startrainers sollte sich aber nicht nur auf Resultate
beschränken. Eine besondere Eigenschaft, die sich durch Weisweilers Karriere wie ein roter Faden zieht, war die Förderung von jungen Spielern. Dank unzähligen Sondereinheiten machten Zanetti, Fimian, Marchand, Schällibaum oder Ladner einen grossen Qualitätssprung. Ladner bestätigt: «Von Weisweiler profitierte ich ungemein. Er sprach viel mit uns Jungen.» Zum anderen war der Kölner bekannt dafür, dass er die arrivierten Spieler nicht mit Samthandschuhen anfasste. Netzer, Cruyff, Overath, sie alle können dies bestätigen. So wurde denn auch Captain Roger Berbig ziemlich angeherrscht, als er nach einem Derbysieg in die Mikrofone diktierte, er habe noch nie gegen einen solch schwachen FCZ gespielt. Solches goutierte Weisweiler nicht. Der Erfolgstrainer wurde zudem auch zu GC geholt, um einen Graben zu kitten, der sich innerhalb der Mannschaft aufgetan hatte: Die «Akademiker» um Berbig, Sulser und Zanetti standen einer Reihe von «Arbeitern» gegenüber. «Wir waren eher von der ungehobelten Sorte und haben auch mal dreingeschlagen», erinnert sich Andy Egli. Dass die Studenten in die Vorlesungen gingen, während die anderen weiter trainieren mussten, kam beim aufstrebenden Egli und den anderen Chrampfern nicht gut an. «Aber Weisweiler hat das dann gut hinbekommen.» Am wichtigsten waren die Freunde Der Rheinländer war ohnehin beides: ein Studierter und ein Schaffer. In jungen Jahren kickte er auch selber, die Trainerbasis aber holte sich Weisweiler im Studium an der Sporthochschule Köln. Er veröffentlichte Bücher mit illustren Titeln wie «Der Fussball. Taktik, Training, Mannschaft» oder «Spiel und Gymnastik für den Fussballer». Die Theorie in die Praxis umzusetzen, von seinem Schreibtisch direkt auf den Platz, das hatte ihn zum ganz grossen Trainer gemacht. Vieles, was Weisweilers früheren Teams Glück gebracht hatte, führte er auch bei GC ein. So gehörte ein Trainingslager in Israel unter seiner Leitung zum festen Programm. Schon die Gladbacher betra-
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ten in den Siebzigern als erste deutsche Mannschaft das Heilige Land. Angesichts der teils unrühmlichen Klubgeschichte stellte die Reise für GC ein einschneidendes Ereignis dar. Die zwei Wochen in Tel Aviv haben die Beziehung zwischen dem Grasshopper-Club und der jüdischen Gemeinschaft nachhaltig verbessert, und spätestens in den Neunzigern, als Avraham Tikva im GC-Dress die Bälle verteilte, konnte die Vergangenheit ruhen. Auch dank Weisweiler, der im Zweiten Weltkrieg noch aufseiten Deutschlands gekämpft hatte. Von seinen Weggefährten wurde Weisweiler oft als kantig und stur, gleichzeitig aber auch als ehrlich und offen beschrieben. Seine Freundschaften waren ihm am wichtigsten. «Nicht immer hat er sich Freunde gemacht. Aber immer hatte er welche», schrieb einst der «kicker». Zu einem seiner Spieler bei GC hatte Weisweiler ein besonders gutes Verhältnis: Raimondo Ponte. Ausgerechnet jener Ponte, der in seiner früheren GC-Zeit unter Helmut Johannsen, bei Brian Cloughs Nottingham sowie in Bastia nicht gerade als pflegeleichter Spieler aufgefallen war. Von Günter Netzer, dem vielleicht grössten Weisweiler-Intimus, hatte Ponte schon viel Gutes gehört. Er sollte nicht enttäuscht werden: «Weisweiler war der Grösste!», heisst es nicht zu knapp in Pontes Buch «Auf dem Weg nach Mexiko» (wo er und die Nati bekannterweise nie ankamen). Ponte wurde zwar genauso wie alle anderen zusammengestaucht, wie er sich in der allerersten ZWÖLF-Ausgabe erinnert, doch er genoss einen gewissen Artenschutz. Er und sein Trainer waren als Einzige neu zu GC gestossen. Weis weiler sah in Ponte schon den späteren Trainer, einen Fussballverrückten, nahm ihn mit zu Spielbeobachtungen, fragte um seinen Rat. Ponte wiederum hatte Weis‑ weiler sein erfolgreiches Nati-Comeback zu verdanken. Die Beziehung erstreckte sich auch auf das Privatleben: Gisela Weisweiler wurde Gotte von Pontes Tochter. Auch zur Schweizer Presse pflegte Hennes Weisweiler ein sehr gutes Verhältnis – es gab auch kaum Niederlagen, geschweige
denn Skandale. Für den «Sport» hatte er schon in Deutschland wöchentlich Beiträge verfasst, und zu «Blick»-Redaktor Mario Widmer entwickelte sich eine Freundschaft. Der Traum vom Nationaltrainer Die Gemeinschaft Weisweiler/GC schien in eine goldene Zukunft zu blicken, da erschütterte der überraschende Herztod des 63-Jährigen am 5. Juli 1983 die Fussball-Welt. Nichts hatte auf das plötzliche Ableben des Trainers von Welt hingedeutet, auch die jährlichen Medizinchecks boten keinen Anlass zur Sorge. Trotzdem, denkt sich Gisela Weisweiler im Nachhinein: Die Meisterschaft, die beiden Pokalendspiele, das sei ihm unglaublich an die Nerven gegangen. Auch nach Saisonende war Weisweiler immer wieder unterwegs. Zwei Tage vor seinem Tod war er noch einen VeloShowsprint in Urdorf gefahren. Auch hier konnte er wie beim Tennis oder Kartenspiel seinen Ehrgeiz nicht zurückstecken. Zusammen mit Mario Widmer, der die nie erschienene Biografie «Hennes» zu schreiben begann, klapperte Weisweiler alle seine früheren Wirkungsstätten noch einmal ab. Die eine oder andere Trainerstation wäre sicherlich noch hinzugekommen. «Vor allem Nationaltrainer zu sein, in Deutschland oder der Schweiz, das hätte ihn noch gereizt», sagt Gisela Weisweiler. Ihr Sohn, der heute an den Unis Basel und Heidelberg die Spät antike erforscht, war bei Hennes’ Tod noch keine zwei Jahre alt. «Dass John diese Persönlichkeit nicht kennengelernt hat, stimmt mich am meisten traurig», sagt seine Mutter.
Denn wer die Wege eines Hennes Weisweiler kreuzte, den prägte dies nachhaltig. Auf die Situation bei GC angesprochen, antwortete Präsident Oberholzer damals sichtlich gezeichnet: «Wie es bei uns weitergehen soll? Wir haben Mühe, uns mit der Situation abzufinden. Hennes war nicht nur ein einmaliger Trainer, er war auch ein einmaliger Mensch.» Mario Widmer hob in einem Nachruf über Weisweiler hervor: «Hennes lachte gern, Hennes lebte gern. Hennes lachte herzlich, Hennes lebte herzlich.» Es ist kein Zufall, dass unzählige seiner früheren Spieler – auch aus der GC-Zeit – dem Fussball treu geblieben sind. Jupp Heynckes’ Offensivspektakel bei Bayern etwa, das ist auch Weisweilers Verdienst. Und sein Wunsch wäre es ohnehin gewesen. Der Fussball hat Weisweiler viel gegeben. Noch mehr hat Hennes ihm wieder hinterlassen.
Weisweiler im Training mit Ziehsohn Ponte.
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Sag mal: Fehlt dir was?
36 Ausgaben sind bislang erschienen, davon braucht man eigentlich alle. Wer eine verpasst hat, kann diese selbstverständlich nachbestellen. Damit ihr euch in 30 Jahren nicht grün und blau ärgern müsst, wenn ihr die Sammlerpreise für diese Hefte auf Ebay sieht. Und natürlich auch, weil sie fast ebenso viel Spass bei der Lektüre bieten wie eine brandaktuelle Nummer. www.zwoelf.ch/nachbestellungen
Das schwarze Brett Genfer Geschichte dem letzten Platz Aktuell steht Servette Genf auf pft mit dem FC käm und elle der Super League-Tab um den KlassenerLuzern und Lausanne-Sport Verein gar vor dem halt - letzte Saison stand der auf eine grosse r abe Konkurs. Dass Servette n, wollen die kan en lick ckb Geschichte zurü Sammelband minal Walaschek mit diesem Ger und teur Pas ky Jac Autoren Klubs» des hte chic n aus der farbigen Ges an «Fragmenten und Extrakte zwei um sich es delt han n Bei den Autore wieder ins Gedächtnis rufen. en für ihre Pseudonyme im Blog unabhängige Fans, deren Nam erstmals en, wo auch die meisten Texte steh www.enfantsduservette.ch arbeitung Auf e ken troc e kein ihrer Arbeit ist erschienen sind. Das Ergebnis en zu r eine Ansammlung an Beiträg der Klubhistorie, sondern vielmeh hte. Neben chic ges über 120-jährigen Vereins unterschiedlichen Facetten der lichkeiten, sön Per nde iller Berichten über sch Porträts von Klublegenden und en wie end Leg . olge serf Mis und lge richte, Erfo len trifft man auf einzelne Spielbe spie tzen Spi on werden vorgestellt. Den die Georges Aeby und Jacques Fatt h auc r abe et, idm n wird ein Kapitel gew gegen GC in den 1980er-Jahre . Die Autoren Majid Pishyar wird thematisiert nt side Prä er Krisensituation unt » vor der nerungen «die Seele des Vereins wollen durch die Pflege von Erin rten isie zial mer sie im Rahmen des kom «Entfremdung» bewahren, die Fussballs befürchten. tierten Überblick aber nicht nur einen fragmen Pasteur und Walaschek bieten ebenfalls n chte g von Servette. Sie bea über die historische Entwicklun esprochen Ang en. rein llve Schweizer Fussba die Geschehnisse in anderen chichtsbuGes en igen inse vere s eine duktion werden unter anderem die Pro über hinaus Dar YB. ung eines Museums bei ches beim FCZ oder die Einricht rts am nde rhu Jah 20. Weltgeschichte des werfen sie einen Blick auf die Kontext im a etw sen wei ver Sie . des Vereins Beispiel ausgewählter Spieler ionalspieNat en kurze Tätigkeit des französisch weiz der Dekolonialisierung auf die Sch die r übe floh Der gebürtige Algerier lers Rachid Mekhloufi in Genf. hen risc Alge der ft cha nns , um sich der Ma aus Frankreich nach Algerien Leserschaft ssen. So wollen die Autoren eine hlie usc anz FLN t fron Befreiungs h wenn Auc eht. usg erschaft der Grenats hina aus erreichen, die über die Anhäng er Les für es ist t, hein Französischen ersc das Buch ausschliesslich im . Abgetüre Lek e am alts erh unt und ressante der Deutschschweiz eine inte ls die genauen tistikteil, der u.a. auch erstma Sta m eine mit sie wird rundet rt. Zuschauerzahlen seit 1945 liefe Seiten, reich laschek: Un peu d’histoire. 320 Jacky Pasteur & Germinal Wa n erhältlich nke Fra 36 für rlag und ist ab Mai bebildert. Erscheint im Eigenve e.ch vett ser tsdu oder www.enfan über www.super-servette.ch
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Das Leben der Robocops
«Celerino figlio di puttana, celerino figlio di puttana!» Dieser Satz, ist nicht nur einer der meist gesungenen Chöre der italienischen Ultras, sondern auch das Titelstück von Stefano Sollimas Film «A. C. A. B. – All Cops Are Bastards». Als «celerino» bezeichnet man die «Robocops», die Spezialeinheiten der italienischen Polizei, die mit Helm, Schild und Schlagstock bewaffnet sind. Deren Aufgabe ist es, jedes Wochenende im Stadion und bei grossen gesellschaftlichen Veranstaltungen, wie zum Beispiel politischen Demonstrationen, für Recht und Ordnung zu sorgen. Ein «figlio di puttana» ist der Sohn einer Frau, die ihren Lebensunterhalt im «ältesten Gewerbe der Welt» verdient. Die Stossrichtung der Kombination beider Begriffe ist eindeutig. Der Film porträtiert das Innenleben einer Gruppe der Römer «celerini», die tagtäglich mit den sozialen Brennpunkten Italiens konfrontiert werden – oftmals kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Streikende Arbeiter, wütende Neofaschisten, Romas, Demonstrationen, aber vor allem die allwöchentlichen Ausschreitungen rund um das Stadio Olimpico. Wer daran interessiert ist, sich in die Lage eines celerino zu versetzen – beispielsweise bei einem Einsatz anlässlich eines Spiels der AS Roma gegen Napoli – sollte sich diesen Film ansehen. Sollimas dramatische Aufnahmen von Gewaltausbrüchen gewähren dem Zuschauer einen Einblick in die Problematik der Fangewalt aus der Sicht eines Polizisten, ohne dabei die Polizisten als Opfer darzustellen. Er zeigt auf eindrückliche Art und Weise, wie die celerini an ihrer Aufgabe persönlich zerbrechen. Aber der Film schreckt auch nicht davor zurück, aufzuzeigen, wie sie zu ihrem Ruf als brutale Schläger gekommen sind und ihn mit Stolz verteidigen. Als Mazinga, der Kopf der Einsatztruppe, während den Ausschreitungen bei AS Roma gegen Napoli durch eine Stichwunde von einem Ultra am Bein verletzt wird, verlieren seine Mitstreiter die Kontrolle. Um die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen, starten sie ihren eigenen Rachefeldzug. Dabei missachten sie jegliche Vorschriften und Gesetze und prügeln sich von einer Gewaltorgie zur nächsten. Die Gewalt zieht sich als roter Faden durch den Film, der zeigt, wie tief diese in der italienischen Gesellschaft verankert ist. Und zwar nicht nur im Fussball. «A.C.A.B» bietet eine filmische Aufarbeitung des Annus horribilis 2007 des italienischen Fussballs, das durch die Todesfälle eines Polizisten und eines Lazio-Fans Einzug in die Geschichte gefunden hat. Darüber hinaus gewährt der Regisseur einen Einblick in die zeitgenössische italienische Filmszene. Beispielsweise brilliert der berühmte Schauspieler Pierfrancesco Favino, in der Rolle des rücksichtslosen celerino «Cobra» und Filippo Nigro in der Rolle des «Negro». Sollima ist ein kruder Streifen geglückt, der nicht nur il calcio, sondern ganz Italien von einer Seite zeigt, die man als Tourist niemals zu sehen bekommen möchte. (Zeno D’Aulerio) A. C. A. B. – All Cops Are Bastards. Regie: Stefano Sollima. 106 Minuten. DVD mit deutschen Untertiteln im Handel erhältlich.
Stadionlektüre Sportlich und wirtschaftlich lief es beim FCZ in letzter Zeit alles andere als rund. Für die Fans bieten aber gerade diese Umstände die Gelegenheit mit der Herausgabe einer neuen Stadionzeitung die Matchbesucher daran zu erinnern, wieso der Verein immer noch einen wichtigen Platz in ihrem Leben einnimmt. Beim Rückrundenstart wurde eine Probeausgabe von «Daleó» – benannt nach einem beliebten Gesang der Südkurve – kostenlos an den Stadioneingängen verteilt. Damit wollten die Initiatoren erst einmal prüfen, ob bei den Zuschauern das Bedürfnis nach einer Publikation besteht, die mehr bietet als Mannschaftsaufstellungen und Spielerinterviews. Aufgrund des positiven Echos wird jetzt die Planung der Erstausgabe in Angriff genommen. Das Format wird als «Mini-Zeitung in Form eines Mega-Flugblattes» bezeichnet, es umfasst 8 Seiten. Am Inhalt und an der Gestaltung arbeitet ein vielseitiges Autorenkollektiv, das einen «Querschnitt des Durchschnittsbesucher, an den sich diese Zeitung richtet», darstellen soll. Auf diese Weise will man verhindern, dass sie wie ein Sprachrohr einer einzelnen Gruppe daherkommt. Zudem werden sich bei den
einzelnen Ausgaben nicht immer die gleichen Autoren zu Wort melden. So sollen die diversen Themen aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden. Neben aktuellen politischen Problemstellungen wie dem HooliganKonkordat wird die sportliche und wirtschaftliche Situation des Vereins diskutiert und Fragmente der Klubgeschichte wiederbelebt. Für den allseits beliebten Cartoon «Stan the Hooligan» bleibt dabei natürlich auch noch Platz. Allerdings wird nicht nur die Fanbasis angesprochen, wie Kurz-Interviews mit Mitgliedern aus den Gönnervereinigungen des FCZ in der Probeausgabe unterstreichen. In dem Sinne handelt es sich nicht um eine Selbstinszenierung oder einen Lobgesang auf die eigene Fanszene und den Verein, sondern um eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Klubs und alles was mit ihm zusammenhängt.
ZWÖLF WAR DABEI
high noon in nyon Freitag 12 Uhr, Eurosport, Gianni Infantino. Da weiss jeder Fan, worum es geht. Die brennende, ungeklärte Frage lautet eher: Was notieren sich diese KlubVertreter eigentlich ständig? Den Namen des Gegners, damit man ihn auch ja nicht vergisst? ZWÖLF war bei der Europacup-Halbfinalauslosung in Nyon mit dabei und hat den Vereinsfunktionären über die Schulter geschaut.
Der Trainer von Real Madrid nutzt die Gelegenheit, seinen neuen Bildschirmhintergrund zu installieren.
Der Vetreter des FC Barcelona verfolgt die Auslosung äusserst gebannt. Mit gutem Grund: Sein Verein passt die Spielweise ja immer dem jeweiligen Gegner an.
Kaum ist Kontrahent Basel zugelost, sichert sich die Chelsea-Delegation gleich mal ein angemessenes Quartier am Endspiel-Ort.
Beim FC Bayern wird die kaiserliche Tradition der Nächstenliebe mit viel Hingabe gepflegt. Schliesslich freut sich der liebe Gott auch fernab von Weihnachtsfeiern über jedes Kind.
Fussball-Smalltalk Seit Einführung der Super League 2003 wurde nur fünf Mal jene Mannschaft Meister, die auch am meisten Tore geschossen hatte. Im Nordosten Englands brachen die Verkäufe von Sugar Puffs 1996 um 20 Prozent ein, weil deren Maskottchen Honey Monster einen Werbespot mit dem damaligen Newcastle-Trainer Kevin Keegan drehte. Sunderland-Fans boykottierten daraufhin das Produkt, bis das Honey Monster zusätzlich einen Spot drehte, in dem es im Sunderland-Shirt zu sehen war. Der beste Erstligatorschütze der Welt 2011 war weder Ronaldo noch Messi – sondern Aleksandrs Cekulajevs. Der Stürmer erzielte in der ersten lettischen Liga in 35 Spielen 46 Tore für JK Trans Narva. Tottenhams Aus gegen den FC Basel in der Europa League war deren siebte Niederlage in einem Elfmeterschiessen in Serie. Seit 1994 und dem 5:4 über Peterborough United in der 3. Runde des FA Cup warten die Spurs auf einen Erfolg vom Punkt. Standen die Nummern 2, 3 und 4 des Kaders der mexikanischen Nationalmannschaft an der WM 2002 nebeneinander, so war auf ihren Rücken zu lesen: GABRIEL, GARCIA, MARQUEZ – also der Name eines der grössten Schriftsteller Südamerikas. Leider standen die Verteidiger Francisco Gabriel, Rafael García und Rafael Márquez bei keinem Spiel gemeinsam auf dem Platz. Der Niederländer Arie van der Graaf war von 1909 bis 1911 ein Leistungsträger beim Racing Club de Bruxelles. Sein Zwillingsbruder Peter war nicht minder begabt, jedoch für belgische Vereine nicht spielberechtigt. War jedoch Arie krank, verletzt oder zur Halbzeit müde, sprang öfters unbemerkt sein Bruder ein. Erst Jahre später gestanden die Brüder diesen kleinen Trick. Das Aufstiegsspiel in die 1. Amateurliga Württembergs zwischen dem VfR 07 Aalen und der TSG Backnang musste 1963 für einige Minuten unterbrochen werden, weil dem Vereinswirt bei tropischen Temperaturen das Bier ausging. Die Brauerei schickte umgehend einen Laster mit Nachschub, der jedoch bei der Anfahrt so nahe am Spielfeldrand fahren musste, dass es der Schiedsrichter für besser befand, eine kurze Pause einzulegen, bis die 6000 Zuschauer wieder mit Bier versorgt waren. Ab 1908 trafen in der Meisterschaft Bristol, Liverpool und Dublin aufeinander, bis Letztere 1912 abstiegen. Alle drei Teams stammten aus Montevideo und spielten in der uruguayischen Liga. Nach Dublins Relegation wurde übrigens River Plate Meister, ebenfalls ein Verein aus Uruguays Hauptstadt.
Die Saison 2010/11 war die erste seit 46 Jahren, in der sich der RSC Anderlecht nicht für den Europapokal qualifizieren konnte. Nur der FC Barcelona war ohne Unterbruch länger jeweils dabei seit der Einführung des Europapokals 1955. Am 14. Januar 1976 wurde Kettering Town aus der Southern League der erste britische Verein, der trotz Verbot mit einem Trikotsponsor auflief. Erst zierte der Reifenhersteller «Kettering Tyres» das Shirt, nach einer Intervention des Verbands wurde der Schriftzug auf «Kettering T» abgekürzt. Erst die Androhung einer Busse von 1000 Pfund brachte den Verein dazu, ganz darauf zu verzichten. Dafür ersuchte er zusammen mit Derby County und den Bolton Wanderers die FA, Trikotwerbung zu erlauben, was im Juni 1977 auch geschah. Ironie des Schicksals: In der Folgesaison konnte Kettering keinen Sponsor finden. 25 Jahre später, im vergangenen Oktober, fand Kettering nicht einmal mehr 11 Spieler für die Partie gegen Bashley, und im Heimstadion Nene Park wurde wegen ausstehender Zahlungen der Strom abgedreht. Dies bloss Tage nachdem nur gerade 34 Zuschauer das Heimspiel gegen Peterborough hatten sehen wollen.
«ZWÖLF – Fussball-Geschichten aus der Schweiz» wird von ZWÖLF – Verein für Fussball-Kultur mit Sitz in Bern herausgegeben. ZWÖLF erscheint sechs Mal pro Jahr. Verein und Magazin sind unabhängig. Meinungen von Autoren müssen sich nicht mit jenen der Redaktion decken. Kontakt: www.zwoelf.ch ZWÖLF auf facebook.com/zwoelfmagazin info@zwoelf.ch Herausgegeben von: ZWÖLF – Verein für Fussballkultur Postfach 8951 3001 Bern PC 60-668720-9 Gian-Andri Casutt, Präsident Abonnemente: ZWÖLF – Das Fussball Magazin. E-Mail: abo@zwoelf.ch Jahresabo (6 Ausgaben/39.– CHF) Chefredaktor: Mämä Sykora Stv. Chefredaktor: Sandro Danilo Spadini ZWÖLF, Postfach 8951, 3001 Bern Redaktion: Silvan Kämpfen, Silvan Lerch, Wolf Röcken.
Nach dem Erfolg an der Heim-WM 2002 wurde dem Team von Südkorea die Militärdienstzeit von 26 Monaten auf gerade mal einen Monat verkürzt.
Autoren dieser Ausgabe: Mark Ammann, Peter Balzli, Tarcisio Bullo, Samuel Burgener, Mike Gosteli, Guido Herklotz, Silvan Kämpfen, Romano Spadini, Mämä Sykora, Remo Vogel, Andreas Züger.
Der erste Spieler, der eine Gelbe Karte gezeigt bekommen hat, war der Sowjetrusse Givi Nodia im Eröffnungsspiel der WM 1970 gegen Gastgeber Mexiko.
Bild: André Bex (Bildchef), Stefan Bohrer, Christian Breitler, Silvan Glanzmann, Hannes Heinzer, Pascal Wallimann, Roger Zürcher.
In der Super League scheint die legendäre Nummer 10 dem Untergang geweiht. Einzig Oscar Scarione bei St. Gallen und Chris Malonga bei Lausanne zählen als Zehner zu den Stammkräften in ihren Vereinen. Im Schnitt spielten die Nummern 10 der Liga bislang lediglich 1012 von 2340 Meisterschaftsminuten. Kaj Leo Johannesen, Ministerpräsident der Färöer, holte als Torwart mit dem HB Tórshavn zwischen 1988 und 2004 vier Meistertitel und sieben Pokalsiege und sass beim legendären 1:0-Sieg über Österreich als Ersatzkeeper auf der Bank der Nationalmannschaft. Zudem erzielte er für den Handballklub Kyndil Tórshavn in 163 Spielen 625 Tore in der ersten Liga. Die Statistiker von IFFHS erstellen jedes Jahr eine Rangliste der stärksten Ligen der Welt. Diese führt Spanien vor Brasilien und Deutschland an, die Super League landete 2012 auf Platz 23, hinter Paraguay (9.), Ecuador (13.), Südkorea (15.) und Tschechien (21.). Dafür steht der FC Basel in der Klub-Weltrangliste der IFFHS auf Platz 13, vor Vereinen wie Borussia Dortmund (16.), Manchester United (19.) oder East Bengal Kingfisher FC Kolkata (549.)
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Das nächste Heft erscheint Im Juni 2013.
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