Megafon Nr. 286

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m egafon Nr. 286

Zeitung aus der Reithalle Bern www.megafon.ch

August 2005

Preis Sfr. 5.--

mit P R O g r a m m


IM AUGUST ENTREE

INTERNATIONALISTISCHES

3 STORY OF HELL

27 «GESCHICHTE VOR DEM VERGESSEN BEWAHREN» Ehemalige politische Gefangene in Uruguay

4 DAS INSTITUT: DRITTER TEIL-DER GANGES

30 G8 - CLUB DER HEUCHLER UND LÜGNER º und wer profitiert vom Schuldenerlass?

3 FAIRES SOMMERLOCH Editorial

SCHWERPUNKT «ATOM» 5 DIE KRAFT DES ATOMS Schwerpunkt Einleitung 6 DAS STRAHLENDE PRESSENTLI Atomkraft 10 NEUE ETAPPE IM KAMPF GEGEN SCHROTT REAKTOREN Risse im Mantel √ Gütesiegel für alte AKW? 13 AM ANFANG WAR DIE BOMBE Wie die Schweiz zur Atomenergie kam 16 DER LETZTE VOLKSSPORT Die Anti-AKW Bewegung 18 KAISERAUGST WIE ES WAHRSCHEINLICH WAR… Versuch, das eigene Gedächtnis zu überlisten 20 DER BRAUCH MACHT NICHT MIT - NAGRA INFORMIERT UNSERE KÖPFE Entsorgung von Atommüll 22 BENKEN BEDENKEN Atommüll: ein Lager ohne Ende 25 ATOM IST DOCH GRENZÜBERSCHREITEND Temelin in Tschechien

31 WTO-GENERALRAT IN GENF Neuer Druck zur Liberalisierung INNENLAND

33 «BANDENKRIGE UNTER RECHTEN UND LINKEN» Thun, was bisher geschah 34 KEINE FRAGE DES GESCHMACKS Vogellisi-Festival 2005 35 ALLES SCHON ERREICHT? Frauenbewegung 38 BUCHREZENSION Invasion aus dem Sommerloch BLICK NACH RECHTS

39 KEIN GRUND ZUM FEIERN! 15 Jahre Schweizer Hammerskins 40 KEIN GRUND ZUM FEIERN! 15 Jahre Schweizer Hammerskins KULTUR ET ALL

41 AUTOS RAUS AUS DIESEM QUARTIER: LOTH RINGER BÜROSTUHLDISASTER 42 COMIX Jens Bringmann & Valentin Kopetzki: Hotze, Pussy Galore

IMPRESSUM Redaktion AG megafon | Postfach 7611, CH-3001 Bern megafon@reitschule.ch | Fon 031 306 69 66 Layout megafon Plakat uvm Umschlag uvm Bilder zvg von layup Druck Kollektiv Druckwelle, Reitschule In dieser Nummer Tom Hänsel (#tt), Agnes Hofmann (ans), Christa Kläsi (cdk), Jann Krättli (jak), Heiko Morf (hako), Lisa Strahm (las), Markus Züger (mäz). Urslé von Mathilde(uvm) Frank Brodbeck (bck) Redaktionsschluss 13.Juli 2005 näxter 10. August 2005 | Erscheint monatlich Auflage ca. 1300 Ex.; Jahresabo (mind. Fr. 54.√) bei obenstehender Adresse. Die in den Beiträgen wiedergegebene Meinung muss sich nicht mit der Meinung der Redaktion decken. Die Schwerpunkt-Beiträge dokumentieren die Entwicklung von Kunst- und Jugend- und Politszenen. Weder mit bildlichen noch textlichen Inhalten sollen die LeserInnen dazu aufgerufen werden, Straftaten zu begehen. Für unsignierte Beiträge ist in der Regel die jeweilige AG verantwortlich.

INHALT

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43 MICHEL POFFET HÖRT MILES DAVIS 44 PROGRAMM 46 KREUZUNGEN


STORY OF HELL - C.A. SOMMERLICHSTE FOLGE Präsentiert vom Institut für mehr Löcher im Schweizerkäse

EDITORIAL

FAIRES SOMMERLOCH Im Sommerloch fühlt sich der Editor eigentlich am wohlsten. Dann nämlich, wenn es in der Presselandschaft √ vorliegendes Magazin sei bewusst ausgeklammert √ nichts zu sagen und noch viel weniger zu lesen gibt, bieten sich dem Editoren drei Möglichkeiten an: Er schreibt über Nichts (hier immerhin schon drei Sätze erfolgreich praktiziert). Er schreibt nicht. Oder aber er schreibt über das, was ihm am Herzen liegt, auch wenn daraus am Ende ein Werbespot wird. Geworben werden soll für die Marktwirtschaft: Für den Markt, der gute Produkte zu fairen Preisen anbietet, und die Wirtschaft, die faire Produkte zu guten Preisen handelt. Mitte Dezember findet in Hongkong die Ministerkonferenz der WTO statt, bereits Mitte September wird am UNOGipfel in New York darüber debattiert werden, wie weit die Millenium-Entwicklungsziele verfehlt werden. Die Bilanzen werden natürlich schön geredet, aber am Ende trotzdem nicht rosig sein. Entwicklungs- und Schwellenländer gehören zu den Verlierern

der wirtschaftlichen Globalisierung (Peter Niggli zeigt dies in seinem neuen, lesenswerten Buch «Nach der Globalisierung» handfest auf). Was kann man dagegen tun? Bewusst und umsichtig wirtschaften und zwar jeder für sich und für alle. Wie das geht? Das könnt ihr am 31. August an der zweiten Fair-Trade-Fair auf dem Bundes- und Bärenplatz herausfinden. Zu kaufen und zu versuchen gibt es alles, was zur Zeit im Fair-Trade-Handel erhältlich ist, ob Blumen oder Textilien, Mangos, Zucker, Reis und Teppiche. Denn Wohlstand verpflichtet: Er nährt sich aus dem Welthandel. Gerade deshalb müssen die Benachteiligten des Welthandels auch am Wohlstand teilhaben. Dass die Schweiz im fair Handeln gleich Weltspitze ist, ist schön. Das ist mitnichten chauvinistisch gemeint, sondern als Ansporn, zu noch mehr von dieser Marktwirtschaft, zu verstehen. > MÄZ <

Infos: www.fairtradefair.ch

EDITORIAL megafon Nr. 286, August 2005

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DAS INSTITUT : DRITTER TEIL √ DER GANGES Um die Monotonie der Bücherwüsten zu brechen, werden in den Bibliotheken idealerweise verschiedene Einordnungsmuster und Nummerierungsklassifizierungen verwendet. Idealerweise deshalb, da die Komplexität der Buchstaben, vor- oder nachgestellt, sowie die Numerik, einfach fortlaufend oder in Zehnereinheiten springend, einige Sitzungen beansprucht, in denen das für und wider protokollarisch festgehalten werden kann. Zum andern erst durch diese Sitzungen das Bewusstsein über die Tiefe der Aufgabe und somit auch die Höhe der Verantwortung bewusst wird. Dies mündet trotz altem Verhandlungsgegenstand in moderner win-win Situation. Jede Sitzung benötigt Personal, jedes Protokoll benötigt Raum, Raumpflege und auch weiterhin Personal. Geradezu autark ruht das Institut in sich. Ein Selbstläufer sozusagen. Das Laufen wiederum meist in den Gängen und diese, der Öffentlichkeit verborgenen Gänge des Instituts, knistern nicht nur unter der Last der unzähligen, offen geführten Stromleitungen, sondern auch unter gelebter Toleranz. Denn an Orten, wo kein Futterneid um Budgets herrscht, gedeihen auch die unterschiedlichsten Pflanzen. So ist mir der Physiker mit seinem running gag von Raumfahrtsanzügen und ihrer Milbenresistenz eigentlich ganz symphatisch. Denn ist für ihn mein Abbild, mit weissen Handschuhen à la Haneke und Staubmaske gegen die bösen unsichtbaren Staubpartikel und ihr Tierwerk ankämpfend, sicher grotesk. Doch das Institut ist (fast) für alle da und zieht viele in ihren Bann. Ein Merkmal der InstitutsmitarbeiterInnen ist sicher der hygienisch katalogisierte Machbarkeitswahn. Die Vorstellung von ihrem Büro aus, mittels Computer, jede Schrift unter Kontrolle zu halten und jederzeit abrufen zu können, wo sich besagtes, signiertes, digitalisiertes und mikrochipgespeichertes Schriftstück befindet, erzeugt einen Rausch und dieser Rausch

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wiederum so mächtig, dass er sich der Menschen bemächtigt. Von diesem Rauschzustand wieder in die banale und auch ungewisse, unstabile Ebene zwischenmenschlicher Kommunikation zu treten ist nicht einfach. Das betretene Schweigen unter den InstitutsmitarbeiterInnen wird versucht mittels Listen und Planung auf eine abstrakte professionelle Ebene zu führen. Nur Führungsqualitäten dann doch wieder anders aussehen oder sich anders anhören als hyperventilierendes Quirlen von Signaturen, Magazinnummern, Zeitfenstern und Abgleichungen. Die Vorstellung, dass andere Menschen selber denken oder in extremis sogar mitdenken, ist in der Verwaltungswelt der toten Buchstaben ein klein wenig getötet worden. Doch gerade jetzt, in dieser schwierigen Zeit des permanenten Kontrollverlustes, sind auch alle stark gefordert und sie Unvorhergesehenes hie und da auch ziemlich überfordert. Diese Unsicherheit mit Planungseffizienz zuzudecken führt fast zwangsläufig zu Denkübergriffen. Sicherheit, Sicherheit, Sicherheit. Eine der schönen Miteinanderblüten des Kontrollwahns im Institut ist das Abgleichen. Das Abgleichen kann in einer höher angesiedelten funktionalen Ebene auch als reinigendes Element betrachtet werden. Nachdem Buch ∫per 22786 qª fein mit Pinsel entstaubt und weitergereicht wurde, kommt ∫per 22786 qª in die Triage. Die Triage splittet die Bücher nicht mehr nach Thema, Jahrhundert oder sonstigen Merkmalen, sondern allein nach der Grösse. Die Magazine werden, nicht zu Unrecht, neu nach der optimalen Platzausnützung belegt. Das macht Sinn, denn je mehr Platz verbleibt, desto mehr Bücher haben Platz, umso mehr Signaturen wollen aufgenommen werden und im reinigenden Bad zum Abgleichen überführt werden. Eben, das Abgleichen. Ist ein Wagen nach der Triage mit Büchern gefüllt, knie ich zu Boden und

verkünde laut die Signaturen. Mein Kollege M blättert auf den vielen Kontrolllisten nach vorn und hinten um dann zeitgleich mit einem Triagebuchstaben ein zufriedenes ∫jaª von sich zu geben. Ist dies abgeschlossen wird der Wagen in Plastiknoppenschutzfolie eingewickelt und festgezurrt um ja kein kostbares Schriftstück in der Zugluft der unzähligen Gänge zu erkälten. Die Gänge, der Ganges des Instituts. Dann fahre ich geladenen und geschützten Wagen an seinen neuen Bestimmungsort. Kollege M mit den entsprechenden Schlüsseln ausgestattet ebnet mir den Weg. Im Sektor B angekommen entwrappe ich die kostbare Fracht und reihe sie, gemäss ihrer Bestimmung, in der Compactusanlage ein. Ist dieser Vorgang beendet, wird erneut abgeglichen. Sollte das LeserIn irritieren ist das ganz ok, denn die einzigen, die Zugriff auf die seltenen Exemplare zwischen Magazin H und Sektor B hatten, waren Kollege R und ich. Doch das Thema Sicherheit eine komplexe Sache, und das mit der Mitsprache oder Autoritätshörigkeit in Betrieben, zumal in so geweihten wie dem Institut, ebenfalls. Nun meine Zunge ziemlich ausgetrocknet von diesen doppelten Abgleichen, denn ich nehme diese immer in diversen verschiedenen Dialekten wahr wie zum Beispiel: raahr zwoi fünf siiibe oder räär drüü zwai dreyevieercig. Schon in zarter Jugend prägte sich mir der Satz ein: ∫Etikette tötet.ª Einige erinnern sich, und gerade in diesen, doch an Selbstzerfleischung erinnernden Abgleichungsakten, kommt ihm eine nicht unwichtige Bedeutung zu. > HAKO <


SCHWERPUNKT ATOMENERGIE

DIE KRAFT DES ATOMS

WIEDER MAL GEISTERN DIE VERSORGUNGSENGPÄSSE DURCH DIE PRESSE, DIE LÖSUNG WIRD MIT NEUEN ATOMKRAFTWERKEN GERADE MITGELIEFERT. VIELLEICHT AUCH NUR EIN ABLENKUNGSMANÖVER, AUF JEDEN FALL EIN SCHWERPUNKTTHEMA.

«Ein alter Traum der Menschheit ist in Erfüllung gegangen», verkündete der ETH-Professor und Kernphysiker Paul Scherrer Ende 1945, «es scheint, als ob ein neues Zeitalter anbrechen wolle…» Weltweit wurden fantastische Erwartungen in die Kernphysik gesetzt. Höhepunkt war die Rede des amerikanischen Präsidenten Dwight D. Eisenhowers 1953 an der UNO-Vollversammlung, als er das Programm «Atoms for Peace» initiierte. Auch in der Schweiz war die Atomkraft erste Priorität. Doch die Absichten der Schweiz waren nicht anthroposophischer Natur. Über das kleine Marignano in den eigenen Felswänden erzählt der Beitrag «Am Anfang war die Bombe.» In den 1960er-Jahren wurden viele Atomkraftwerke erstellt, die Probleme und Risiken der Atomenergie wurden jedoch weiterhin in Expertenzirkeln verhandelt. Gesellschaft und Politik billigten dieser Technologie einen institutionellen Sonderstatus zu. Anfangs der 1970er-Jahre fand die Umweltpoltik zum Durchbruch. Eines ihrer Angriffsziele waren die Atomkraftwerke. Fast jedes Land wurde durch die einsetzende Anti-Atom-Bewegung und ihren Widerstand auf der Strasse dazu gezwungen, die Atomenergie zu überdenken respektive einzustellen. Milliardenprojekte wurden gestoppt, fertiggestellte Anlagen nie in Betrieb genommen. Die Stärke des Widerstands führte für

einmal zum Ziel. Kaiseraugst und viele weitere AKW blieben uns erspart. Ausführlicher im Text: «Der letzte Volkssport» und «Kaiseraugst wie es wahrscheinlich war…». Die Unfälle in Harrisburg 1979 und vor allem Tschernobyl 1986 zeigten, dass nicht nur der Missbrauch von Atommaterial, sondern selbst die friedliche Nutzung dieser Energie irreversible Zerstörungen nach sich zieht. Aber ein russisches AKW ja auch nicht zu vergleichen mit swissquality. Der Zustand der schweizerischen Kernanlagen (tönt ja auch schon viel netter als Atomkraftwerke) ist gut, das Sicherheitsniveau hoch und die Strahlenbelastung tief, so das Urteil der HSK (Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen). Im Jahr 2004 wurden acht «Vorkommnisse» gemäss internationaler Störfall-Bewertungsskala verzeichnet. Die hohe Zahl deformierter Kleinlebewesen in der näheren Umgebung der Atommeiler will die Atomwirtschaft nicht im Zusammenhang mit dem natürlichen Fall-Out sehen. Ansichtssache?

KEIN ENDE IN SICHT Vom Atomzeitalter spricht schon lange niemand mehr. Doch von den strahlenden Atomabfällen wird auch noch die Rede sein wenn kein «megafon» mehr erscheint. Bis zur letzten ErdenbewohnerIn wird darüber gesprochen werden und auf die als ge-

fährlich markierten Orte auf Landkarten aufmerksam gemacht. Und der Atommüll wird auch weiterstrahlen, wenn die Erde längst auf eine andere Weltenbahn eingeschwenkt oder neue Spezien diese Kugel beleben. Die Nagra erzählt da natürlich anderes, sie sind ja auch verpflichtet diesen Atomrest sicher zu lagern. Sicher ist nur, dass die, die jetzt das Wort führen, diese sicheren Lager selbst nie zu Gesicht bekommen werden. «Entsorgung von Atommüll» befasst sich mit den Strategien der Nagra, und auch ihr jetziges Endlagerprojekt Benken wird unter gleichnamigem Titel angeschnitten. Bevor es aber zur Entsorgung kommt, müssen die Atomkraftwerke abgestellt und rückgebaut werden. Ein erster Schritt: das AKW Mühleberg stillzulegen. Das ist sicherer als die vorhandenen Risse im Kernmantel zu kleben, siehe «Kampf den Schrottreaktoren». Die Welt der Stromproduktion ist in den letzten Jahrzehnten vielfältiger, ja farbiger geworden. Auf der ganzen Welt? Nicht ganz. Eine unerschrockene Horde von «sturen Gringen» widersetzt sich vehement dem Vormarsch der erneuerbaren Energien. Stolz verschleudern sie die Energie um sie teurer wieder zu verkaufen. Ein Leben auf Pump im wahrsten Sinne des Wortes (Beitrag «Pressentli»). Die erneuerbaren Energien sind wirtschaftlich schon lange keine Glaubensfrage mehr, gesellschaftlich hierzulande jedoch schon. > HAKO <

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ATOMKRAFT

DAS STRAHLENDE PRESSENTLI SEIT HERBST 2004 SICKERN IMMER ÖFTERS MELDUNGEN ZU EINEM KOMMENDEN STROMENGPASS IN

DIE ZEITUNGSSPALTEN. ALS ABSENDER ZEICHNEN

DIE STROMBARONE DER SCHWEIZ, DENEN NICHT ZU PEINLICH DIE STROMVERSORGUNGSSICHERHEIT ALS ERSTE PRIORITÄT IHRES WIRTSCHAFTENS ANZU-

PREISEN. WAS WAHR IST AN DEN ZUKUNFTSPROGNOSEN UND WAS NUR SPALTEN FÜLLT, BEIDES

WAHRHAFTIG AUF DEN NÄCHSTEN SEITEN PAPIER.

Ausgang der Stromsorgen ist die mögliche Stilllegung der drei ältesten Kernkraftwerke Beznau 1 und 2 sowie Mühleberg um das Jahr 2020. Dann laufen auch die Stromlieferverträge mit Frankreich aus. Um diesem anstehenden Engpass vorzubeugen, möchten die Stromkonzerne Axpo, Atel, EGL und BKW u. a. ein neues grosses Kernkraftwerk mit ca. 1600 Megawatt Leistung bauen. Das sagen sie zumindest. Ein gutes Jahrzehnt war nur schon der Gedanke, ein neues AKW zu erwähnen, tabu. Doch seit der denkwürdigen und noch lange nachstrahlenden Abstimmung im Mai 2003, in der sowohl der Ausstieg wie das Moratorium vom Volk verworfen wurde, ist bei entsprechender Interpretation des Ergebnisses das Wiederaufleben der Atomlobby nicht verwunderlich. Hinzu kommt, dass eine der Hauptaussagen des neuen Kernenergiegesetzes die unbefristete Betriebsverlängerung für alle bestehenden Kernkraftwerke ist. Ihre Kraftwerke zu ersetzen scheint legitim, doch die Frage ist, wie und mit welcher Energie? Und da hapert`s dann ein wenig in den Köpfen der Stromkonzerne, doch ist bekannt: Wenn Geld, dann Abzug im Bereich Moral, Idealismus und Miteinander. Doch von vorne. Die Prophezeiung «…dann gehen die Lichter aus…» ertönt immer wieder. Vor allem aus Wirtschaftskreisen sind solche Schreckmümpfeli immer wieder zu vernehmen. Und so erstaunt es nicht,

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dass die Aves (Aktion für vernünftige Energiepolitik Schweiz) in Bundesbern vehement die sofortige Planung eines neuen Atomkraftwerkes fordert. Auch im Parlament haben sich schon über 80 bürgerliche Abgeordnete gefunden, die nicht nur wegen dem «Sünneli» strahlen, sondern, für ein wenig Anerkennung in ihren Kreisen oder ihrer Arbeit wegen, dem ewigen Strahlen das Wort reden. Diese Zwängereien erinnern an «Zwängelen», doch Kinderstube ja auch nicht mehr was früher. Doch die «Lichter aus» - Theorie sehr wohl von früher. Ende der 1980er -Jahre behauptete der Verband Schweizerischer Elektrizitätswerke: «Selbst mit Kaiseraugst fehlen im Jahr 2004 Stromkapazitäten von 1000 Megawatt.» Nun weder Kaiseraugst noch Lichter aus. Zumindest in meiner Stadt ist das bis anhin nicht geschehen, und Gleiches darf auch für das Jahr 2020 angenommen werden. Dieses Jahr gab es Probleme in Leibstadt, das AKW wurde für Monate abgestellt. Ist Leibstadt Versorgungssicherheit, wenn auf einen Schlag 17 Prozent der Energie fehlen. Gemäss den Lichtern fehlten sie nicht oder wurden anderweitig beschafft. Vor wenigen Wochen wurde Beznau abgestellt, Gösgen war in der Revision und Leibstadt noch immer krank. Ist was passiert? Versorgungslücken, Sommermücken, Pressetücken?

BRAUCHT ES ERSATZ? Die Ansichten sind je nach finanzieller oder ideeller Ausrichtung grundverschieden. Es ist durchaus möglich, den steigenden Strombedarf und die alten AKW mit Investitionen in höhere Stromeffizienz und erneuerbare Energien zu ersetzen. Die Sache ist jedoch kompliziert, denn die Stromkonzerne wollen vor allem Geld, und das haben sie in den letzten Jahrzehnten eben gerade nicht für erneuerbare Energien ausgegeben. (Ausgenommen die Bernischen Kraftwerke, die auf dem Mont Crosin acht meiner kleinen weissen Lieblinge

(Windmühlen) aufgestellt hat, die da ab und zu sich drehen. (Obschon, der substanzielle Beitrag etwa mit jener einer Betriebskinderkrippe auf die Erfolgsrechnung eines Unternehmens vergleichbar.) Die Stromlobby hat auch nie den Vorschlag gebracht, diese erneuerbaren Energien, wie in der EU der 15, mit staatlichen Investitionssicherheiten auszustatten. In allen umliegenden Ländern wird Ökostrom gefördert, doch Herr Karrer von der Axpo will davon nichts wissen: «Ich will einen marktwirtschaftlichen Ansatz. Subventionen sind volkswirtschaftlich nicht sinnvoll.» Um die Atomkraftwerke und deren Bau zu sichern, wurden vom Bund Investitionsgarantien gesprochen, doch das war ja früher. Und heute der Markt, da soll ja niemand dreinpfuschen. Jetzt wo die Gewinne fett, das Monopol gesichert und abgesteckt, da wollen die Herren des Stromhandels nichts von neuer Konkurrenz wissen. Die Umweltverbände beteiligen sich unisono nicht an der sogenannten Atomdebatte, denn sie glauben, dass die Stromkonzerne den Bau eines Kernkraftwerkes lediglich als Druckmittel in die Diskussion einbringen. Die eigentliche Absicht der Elektrizitätswirtschaft sei ohnehin, ein Gaskraftwerk zu errichten. Denn die SchweizerInnen sind kaum für ein neues AKW zu gewinnen, es drohen Referendum, Standortsuche, Bewilligungen und das ungelöste Abfallproblem. Sie wollen vielmehr aufzeigen, wie die Energiezukunft ohne Atomkraft und fossile Brennstoffe aussehen könnte. Das Bundesamt für Energie meint momentan, dass Gaskraftwerke die beste Lösung seien. Diese sind einfach, billig und jederzeit an- und abzuschalten. Gaskraftwerke erleben, ausgelöst durch die Pipelinebauten in der ehemaligen Sowjetunion, in ganz Europa einen Boom. Das Problem der Gaskraftwerke ist jedoch der CO-2-Ausstoss und somit die Verfehlung der angestrebten Luftreinhalteziele des Bundes. Misstrauische BeobachterInnen


sehen in der Atomdebatte auch einen Angriff auf die geplante CO-2-Abgabe. Neben der Option Kernenergie wurde die Option Gaskraftwerk mit folgendem Zusatz ausgestattet: «Die CO-2-Abgabe dürfe die Wirtschaftlichkeit solcher Anlagen nicht von Beginn an verunmöglichen.» Kann man auch folgend lesen: «Wir bauen kein neues Atomkraftwerk und ihr (der Staat) verzichtet auf die Einführung der CO-2-Abgabe.» Ob gläubig oder ungläubig, der Ablasshandel ist wieder en vogue.

WIR HABEN GENUG STROM2 Um der öffentlichen Meinungsgewalt der Atomindustrie etwas entgegenzusetzen, braucht es neben etwas Kleingeld auch Vorstellungen und Konzepte, wie die stillzulegenden Atomkraftwerke ersetzt werden können. Der Weg beginnt ganz einfach bei Energieeffizienz. Eigentlich würde zuerst das Sparen kommen, doch das ist im heutigen Businesstempo selbst von der Spassgesellschaft nicht zu bekommen. Die Zeiten, wo Adolf Ogi noch Eier kochte, und Plakate zum Energiesparen animierten, sind vorbei. Der Vorort der Stromwirtschaft dem Ogi selbst die Eier gekocht und fertig war die Kampagne des Bundes. Das war ja rückblickend schon fast sozialistisch. Die Leute zum Sparen animieren, mit Staatsgeldern. Darum heute Energieeffizienz. Der Weg führt weiter über die erneuerbaren Energien. Dazu braucht es auch ein wenig Anschub. Das Stromversorgungsgesetz muss garantieren, dass private Produzenten grünen Strom zu

Gestehungskosten ins Netz einspeisen können. Das ist eine Frage der Rechtsgleichheit. Ob die Sicherheiten für die dezentralen, erneuerbaren Energien gesprochen werden, entscheidet sich diesen Herbst im Stromversorgungsgesetz. Die Einspeisung sicherzustellen ist in der Verantwortung der Etrans AG Laufenburg, diese Gesellschaft gehört den erwähnten Atel, Axpo, EGL, BKW und CKW. Ein weiteres Problemfeld, das im neuen Stromversorgungsgesetz zu reden geben wird. Die Netzleitungen müssen allen und jederzeit offen stehen ohne mögliche Restriktionen seitens der Betreiber. Ein weitere Schritt ist der Übergang zur Wärme-Kraft-Kopplung. Kleiner Exkurs aus Kidz4kidz: Bei herkömmlichen Kraftwerken geht bei der Erzeugung von Strom die Hitze verloren (Abwärme). Bei der Wärmekraftkopplung jedoch wird auch die Abwärme genutzt. Strom und Wärme gleichzeitig erzeugen ist der Sinn der Wärmekraftkopplung. Der Motor treibt den Generator an, welcher Strom produziert. Dieser Strom kann für den Eigenbedarf oder für den Verkauf an das Elektrizitätswerk benutzt werden. Der Motor erzeugt durch Verbrennung von Biogas, Diesel oder Gas ebenfalls Hitze. Diese gewonnene Hitze kann man weiter benutzen, z.B. für die Dusche, Heizung, usw. Durch die Nutzung der Wärme geht bei dieser Methode weniger Energie verloren. Vorteile sind: Kleinerer Primärenergieaufwand bei gleichem Produkt und massiv kleinere Verluste. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, den Strom ins Netz einzuspeisen. Im Jahr 2001 hat die Schweiz

10,5 Mrd. kWh als Exportüberschuss ausgewiesen, das allein ist schon mehr als Mühleberg und Beznau 1 und 2 im Jahr produzieren! Auch im viel zitierten Winterhalbjahr wird durchschnittlich Strom exportiert. Für alle jungen LeserInnen. Das Winterhalbjahr wurde vielen Generationen als Atombegründung erzählt, denn ohne Atomstrom wir noch viel abhängiger vom Ausland wären. Nicht erzählt haben sie, dass vom Reaktor über das Uran bis zum Personal, sprich jedes unserer AKW auslandabhängig ist. Weitere 6,5 Mrd. kWh sind mit konsequentem Einsatz moderner Geräte mit Energieetikette möglich. All die Haushaltgeräte, Beleuchtungen und Bürogeräte wechselt Frau und Herr Schweizer eh alle fünf bis zehn Jahre aus. Effizienzerhöhungen in kleineren und mittleren Betrieben ergeben weitere 5 Mrd. kWh Einsparungen. Die Reduktion der Netzverluste bringt nochmals 2 Mrd. kWh und ein abgeflauter Stromhandel braucht weniger Pumpspeicherstrom, minus 1 Milliarden kWh. Von der prognostizierten Stromlücke von 32 Mrd. kWh sind dann nur noch ca. 7 Mrd. kWh übrig. Für die noch fehlenden 7 Mrd. kWh sind noch folgende Einsparungspotenziale vorhanden. Modernisierte Kleinwasserkraftwerke 4 Mrd. kWh. Die Ersetzung von 250 000 Elektroheizungen mittels Wärmepumpen und Holzheizungen. Die Elektroheizungen alleine fressen 20 Prozent des Winterstromverbrauchs. Fragt nicht wer, und wieso, diese Elektroheizungen in den 1980erJahren auf den Markt gebracht und den Leuten angedreht hat. 4 Mrd. kWh. (kann Dann noch Windenergie man auch importieren 3 Mrd), Photovoltaik 1 Mrd., Biomasse 1 Mrd. und Geothermie, geschätzte 3 Mrd. Da geht kein Lichtlein aus! Bedingung ist natürlich, die Energiewende als Ziel zu > SCHWERPUNKT megafon Nr. 286, August 2005

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haben und gesellschaftspolitisch dies gungssicherheit heraus, das ehrt sie, macht die Worte jedoch nicht glaubhafdurchzusetzen. ter. Eine Versorgungssicherheit ist mit DER STROMMARKT – EIN GOL- vielen kleinen Kraftwerken sicher einDENES KALB NICHTS DAGEGEN facher zu gewährleisten, sofern eine solche Versorgungssicherheit in der Die Stromkonzerne erzielen bei ei- heutigen Zeit überhaupt anzustreben nem Umsatz von 8,5 Mrd. Franken ist. Wichtig ist den grossen Stromproeinen Gewinn von geschätzten 2 Mrd. duzenten der Handel. Schon 2003 wurDas ist so schlecht nicht, kann sich No- de viermal mehr Strom gehandelt als in der Schweiz verbraucht wurde. Die Atel vartis ein Beispiel daran nehmen. Wie kommen die exorbitanten besitzt Stromhandelsgesellschaften in Gewinne zusammen? Die einfachste Griechenland, Österreich, Polen. Sie Erklärung ist, dass sie ihr Produkt besitzt Gaskraftwerke in Ungarn und überteuert verkaufen. Das tun sie auch Tschechien. Das Gleiche gilt für die EGL weiterhin, obschon der Strompreis in mit Tochterfirmen und Kraftwerken in der Schweiz seit mehr als fünf Jahren ganz Europa. Die Einkaufstouren komstetig sinkt, scheinen die Gewinne men nicht vom Himmel, die Konsuhaben jahrzehntelang immer noch ausreichend. Die Preis- mentInnen senkungen werden mit der Vorberei- bezahlt. Die Haftpflichtversicherung tung auf die kommende Marktöffnung für Atomkraftwerke ist weltweit eine erklärt, nur in den stromliberalisierten einzige Lach- oder eben Todesnummer. Ländern Europas steigt der Strompreis Wäre sie real, könnte nie ein Atommeikonstant. Ein Widerspruch, der die Wu- ler schon gar gebaut werden. Und auch cherpreise erhärtet. Ein anderer Grund bei der Lagerung spielt die Atominduist die billige Wasserkraft, die leider strie auf Zeit und halten so die Kosten nicht so billig für uns KonsumentInnen eher bei null als Lagerung. Die Axpo will in den nächsten zehn war. Mit ihr wurde und wird mittels Strompreismix der teure Atomstrom Jahren zwei Mrd. in die Wasserkraft investieren und nur zwanzig Mio. jährlich quersubventioniert. Das Desinteresse an den erneuer- in die erneuerbaren Energien. Ihr Ziel baren Energien ist im Zusammenhang ist, weitere Pumpspeicherseen zu baumit kleinen, dezentralen Produktions- en oder Bestehende zu vergrössern. stätten zu sehen. Es interessiert euro- Mit den Pumpspeicherwerken kann lupäische Big Players der Strombörsen krative Spitzenenergie auf dem europänatürlich nicht, ob ein Bauer eine kleine ischen Markt für gutes Geld verkauft Biomasseanlage besitzt. Und es inter- werden. essiert sie natürlich noch weniger, diese zu einem fairen Preis ins Netz zu DAS PUMPSPEICHERWERK3 speisen. Und diese KleinproduzentIn«Ein Pumpspeicherwerk ist ein nen wird es zu tausenden geben, sodenn die Förderung erneuerbarer Energieverbraucher, kein EnergieerEnergien erfolgt. Dieses Szenario zeuger.» Dieses Zitat war auf der Hobringt auch ihre Monopolstellung in mepage der Kraftwerke Oberhasli AG zu lesen, mittlerweile nicht mehr. Quasi Gefahr. Die Stromlobby streicht immer schlechte Eigenwerbung. Wie funktioniert ein Pumpspeicherwieder ihr Engagement für die Versorwerk? Wasser von tiefer gelegenen Gewässern oder Stauseen wird in höher gelegene Speicherseen gepumpt. Die SCHWERPUNKT Pumpen brauchen Strom. Schiesst das megafon Nr. 286, August 2005 8 hochgepumpte Wasser in Druckstollen

wieder ins Tal, verwandeln Generatoren die Wasserkraft wieder zu Strom. Das Perverse daran ist, dass das Hochpumpen mehr Strom braucht als nachher gewonnen wird, und zwar 25 Prozent! Es werden also 25 Prozent Strom vernichtet. Sinn der Anlage ist Geld. Es wird zu tiefen Preisen Strom gekauft und bei hohem Preis verkauft, der Strom aus den Pumpspeicherseen kann innert Minuten börsengerecht eingespiesen werden. Und jetzt der Link zur Atomenergie. Ein Atomkraftwerk kann nur dann im Dauerbetrieb gefahren werden (und alles andere als Dauerbetrieb ist unrentabel), wenn der hergestellte Strom mit Sicherheit Abnehmer findet. So genannter Bandstrom. Ist die Nachfrage des täglichen Bedarfs nach Bandstrom kleiner als das Angebot, werden schwupps die Pumpen angeworfen. Fantastisch, wäre da nicht dieser Atommüll. Perfekt, würden die Gewinne verteilt. Wunderbar, wären die Bergtäler nicht unter Wasser gesetzt. Dieser Spitzenstrom aus Pumpspeicherwerken also alles andere als ökologisch. Die Pumpspeicherseen sind die Waschanlagen für Atomkraftwerke und europäische Kohlekraftwerke. Jede kWh dieser Art ist gemäss dem PaulScherrer-Institut mit 172 Gramm CO-2 belastet. Das Wasser, dieser vermeintlich saubere Strom, also schon oft ziemlich dreckig wenn ins Netz gespiesen. Alleine die Pumperei vom Grimselsee in den Oberaarsee hat im Jahr 2003 rund 180 Millionen kWh Strom vernichtet, das entspricht dem Jahresverbrauch von 40 000 Haushalten.

EIN BLICK ÜBER DIE GRENZE Schwenken wir den Blick nach Deutschland. Im Mai 2005 ist in Obrigheim das älteste und bereits zweite Atomkraftwerk vom Netz gegangen. Die rot-grüne Bundesregierung hatte sich nämlich mit den Energieerzeugern auf einen Ausstieg aus der Atomenergie geeinigt und mit den Unternehmen


Restlaufzeiten für die bestehenden Atomkraftwerke vereinbart. Das geht. Das ist machbar. Auch wenn Angela Merkel im Falle eines Wahlsiegs der CDU bei den geplanten Neuwahlen zum Bundestag es den Energiebetreibern selbst überlassen will, wann sie ihre Kernkraftwerke abschalten, ist diese Absicht noch lange nicht durchgesetzt. Merkel stellt auch klar, dass der Neubau von Atommeilern nicht in Frage kommt. Interessant aber: Werden die Laufzeiten verlängert, verlangt die CDU eine massive Senkung des Atomstrompreises. Schliesslich wurden die AKW auf 30 Jahre Laufzeit ausgerichtet und wurden über den Strompreis amortisiert. Ähnliche Überlegungen wurden in der Schweiz noch nicht formuliert. Der Ausstieg aus dem Atomausstieg würde Investitionen in andere Energieformen in Höhe von 19 Milliarden Euro und Arbeitsplätze gefährden. Zur Zeit sind in Deutschland 120 000 Menschen im Bereich der erneuerbaren Energien beschäftigt. Der Anteil an der Stromproduktion ist auf über zehn Prozent angestiegen. Der Markt wächst und wächst, natürlich nicht von alleine, es muss auch ein Umfeld geschaffen werden. Und richtig, ein Umfeld meint: Es werden gesellschaftspolitische Entscheidungen getroffen. Es wird darüber diskutiert, wie es in einigen Jahrzehnten aussehen soll. Der Bundestag hat die Konsequenzen gezogen und erklärt, eine Weiterführung der Kernkraft sei nicht zu verantworten. Das tönt ein wenig anders als Herr Karrers «Atomenergie ist beherrschbar» Oder Nagra-Direktor Fritschi; «Die abschliessende Tiefenlagerung des Atommülls ist nach 30 Jahren Forschung und Entwicklung umfassend vorbereitet.» Schauen wir noch kurz, wie die Wettbewerbsverzerrung sich auf den Markt in Deutschland auswirkt. Momentan erhält die Photovoltaik 45,7 Cent Zuschuss pro kWh. Die Stromerzeugung aus Erdwärme wird mit bis zu 15 Cent und Biomasse mit 11,5 Cent pro kWh gefördert. Die Windkraft erhält

unterschiedliche Ansätze zwischen 6 bis 9 Cents. Der deutsche Durchschnittshaushalt wird durch diese Subventionen mit monatlich einem Euro fünfzig belastet. Das ist in etwa gerade ein Yoghurtbecher - natürlich von guten, glükklichen Tieren. Einspeisevergütungen kosten also nicht die Welt. Natürlich kann die Energieerzeugung von Deutschland und der Schweiz nicht einfach so verglichen werden, ist doch der Anteil erneuerbarer Energien in der Schweiz auf unter 0,1 Prozent gesunken.

Quellen: viel zu viele. 2 Die Zahlen stammen von Thomas Nordmann, publiziert in Energielandschaft Schweiz,

VON KINDERN OHNE CO-2

Text Alfred Neukom, NZZ.

Ich möchte mich im Namen von allen, ich glaube, ich darf es so formulieren, von grünem Herzen den fünf schweizerischen AKW danken, sie haben unablässig Strom produziert, stolze 600 Mrd. kWh. Und dies nicht für sich, nein. Zum Nutzen der schweizerischen Bevölkerung und der Wirtschaft, aber auch unter Schonung der Umwelt. Sie haben uns 600 Millionen Tonnen CO-2 gespart, und dies, ihr wohl schon 1969 wichtigstes Ziel, soll auch heute in der Würdigung von Atomkraft nicht fehlen. Atomkraft ist CO-2-neutral. Sagt es euren Kindern. Sagt ihnen aber auch: Die Schweiz baut kein Uran ab, sie verbrennt es nur CO-2-frei. Das Uran kommt aus Afrika und wurde dort selbstredend CO-2-frei abgebaut, in Amerika, England oder Frankreich wird es aufbereitet und auf vielen CO-2-freien Transportwegen an die CO-2-frei gebauten Atomkraftwerke der Schweiz geliefert.

3 Mehr zu Pumpspeicherseen s. Armin Braunwalder, Schweizerische Energiestiftung, SES. Erneuerbare Energien sind unerschöpflich natürliche Energiequellen, die sich - anders als fossile Energien(Kohle, Erdöl, Gas) oder Atomenergie (Uran als Energiequelle) - ständig aus der Sonnenenergie regenerieren: entweder durch direkte Nutzung der Sonnenstrahlen (Solarthermie, Photovoltaik) oder indirekt aus Windenergie/ Wasserenergie oder durch Energien aus nachwachsenden Rohstoffen wie Holz,Biomasse, Bio-

> HAKO <

gas.(agenda 21)

SCHWERPUNKT megafon Nr. 286, August 2005

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RISSE IM MANTEL – GÜTESIEGEL FÜR ALTE AKW?

NEUE ETAPPE IM KAMPF GEGEN SCHROTTREAKTOREN ANFANG JAHR HAT DIE BKW BEIM BUNDESRAT

DEN ANTRAG GESTELLT, DASS MÜHLEBERG UNBE-

FRISTET BEWILLIGT WERDE. DAMIT STARTET SIE EINE NEUE RUNDE IN DER AUSEINANDERSETZUNG UM DAS AKW. UND DIES SIEBEN JAHRE VOR DEM

AUSLAUFEN DER DERZEITIGEN BEWILLIGUNG. DIE BKW SCHEINT SICH IM UMGANG MIT UNS ATOM-

GEGNERINNEN ZUM JETZIGEN ZEITPUNKT SICHER ZU SEIN.

Ein eisiger Wind bläst uns AtomgegnerInnen ins Gesicht: In den USA und in Europa propagiert die Lobby ernsthaft neue AKW. In China sind deren 20 geplant. In Finnland hat der Aushub für den EPR (European Pressurized Reactor) begonnen, einen Reaktortyp, welcher seit Jahren auf dem Reissbrett ruht.

ATOMBOSSE IM RAUSCH

nach neuen Schweizer AKW hat etwas Irreales. Schon von der Standortwahl über alle Bewilligungen bis zur Fertigstellung eines Reaktors vergehen weit über zehn Jahre. Die Kosten gehen in die Milliarden; das AKW Leibstadt zum Beispiel kam auf über 5 Milliarden Franken zu stehen. Politisch werden AKW in der Schweiz auf lange Sicht nicht durchsetzbar sein (Achtung: in anderen Ländern vielleicht schon). Deshalb interpretieren wir das Getöse um neue AKW vor allem als Vorspiel für die Durchsetzung von langen Betriebszeiten der bestehenden Werke. Die Offensive soll den Boden dafür ebnen und die Akzeptanz mit der Drohung von Stromknappheit erhöhen. Worum geht es? Bis in die 1970er-Jahre sprachen AKW-TechnikerInnen von Laufzeiten von dreissig Jahren. Für so lange sollten die Werkstoffe – vor allem des Reaktordruckbehälters – gegen die radioaktive Strahlung mit Sicherheit resistent sein. Heute wollen sie den Betrieb um weitere dreissig auf sechzig Jahre verlängern, angeblich weil die Materialien besser als erwartet seien. Angesichts der überall in AKW neu entstehenden Risse und Unfälle ist dies blanker Zynismus.

Weitere böse Erfahrungen: Bei den letzten beiden Atomabstimmungen haben wir die katastrophalsten Niederlagen seit je eingefahren. Es handelte sich um die kantonale Initiative «Strom ohne Atom» (Mühleberg 2012 abschalten) und die schweizerischen Initiativen «Ausstieg/Moratorium Plus». Es erstaunt deshalb nicht, dass auch hiesige Atomstrategen in die Offensive gehen. Neue AKW seien nötig. Ab 2020 werde EINE ZEITBOMBE der Strom knapp. Licht aus, mit der Die Betriebsverlängerungen tragen Kerze ins Bett: Das haben wir schon vor über 30 Jahren gehört. AKW wurden enorme Risiken in sich. Weltweit verdamals gebaut, und ihr (überflüssiger) rotten die AKW zusehends: Strom mit Elektroheizungen in Wärme • Das Material nimmt immer mehr Schaden – Risse in verschiedenen verpufft. Komponenten und Metallen legen davon Zeugnis ab. In Mühleberg gibt DIE EIGENTLICHE STRATEGIE es schon seit 1990 im Innersten des Reaktors, im so genannten KernHeute sieht das Bild anders aus: mantel, erhebliche Risse. Genau Weltweit bleibt seit zehn Jahren die Andies ist im Übrigen weltweit in etzahl der AKW konstant (um die 440). lichen baugleichen AKW der Fall! 1988 standen in der EU 172 Reaktoren, Die Risse wachsen seit Anfang un2004 sind es noch 155. Die Forderungen aufhaltsam weiter, obwohl die Erbauer (General Electric) mit chemischen Versuchen probieren, die SCHWERPUNKT Risslängen konstant zu halten. megafon Nr. 286, August 2005 10 • Immer neue Erkenntnisse über Un-

fallverläufe zeigen, dass die alten Reaktoren nicht die Sicherungen bieten, welche die Technokraten versprochen haben. Der vielfach bemühte «Stand von Wissenschaft und Technik» ist schon längst ausser Sichtweite. • Das Betriebspersonal wird angesichts von AKW, die nach und nach pannenanfälliger werden, absehbar überfordert. Mauscheleien und Fälschungen sind die Folge. In Leibstadt beispielsweise, wo gehäuft Unfälle passiert sind, wurden 2001 gefälschte Prüfprotokolle entdeckt. Entlassungen und disziplinarische Massnahmen waren die Folge. Zudem ist mancherorts der Personalbestand knapp, weil es schwierig ist, neue AtomtechnikerInnen heranzuziehen und sie bei Laune zu halten.

RASTLOSES STROM-KAPITAL Schauen wir uns die AKW-Betreiber an: Seit den 1990er-Jahren steht europaweit die Strommarkt-Liberalisierung auf der Agenda. Die Elektrizitätswerke können ihren Strom überall absetzen. «Marktregulierung» heisst das. Jahrzehntelang besassen die EW ihre abgesteckten Absatzgebiete mit gesicherten Tarifen, waren also Monopolisten. Seit der Liberalisierung kämpfen sie aggressiv um Territorien sowie um die Gründung und Übernahme von Unternehmen. Die verzettelte schweizerische Stromwirtschaft mit 900 kleinen Unternehmen soll platt gewalzt werden. Der Stromdeal wird entfesselt: Die Strombarone haben sich zu Strombossen gewandelt… Die BKW hat «Tochter»-Gesellschaften in Italien, Deutschland und Österreich und sitzt tief im Atomland Frankreich drin. 2002 betrug der Absatz im Stromhandel das Zweieinhalbfache vom Absatz im eigentlichen Versorgungsgebiet. Allgemein reorganisiert sich das Stromkapital in rasendem Tempo. Grosse Aktienpakete werden verschoben. Heute besteht die Schweiz


aus zwei Polen: Axpo (CKW: Zentralschweiz, NOK: Nordostschweiz, EGL: Laufenburg) und dem Konglomerat BKW: Bern, EOS: Westschweiz, Atel: Aare-Tessin. Daneben ist Graubünden ein (unbekannteres) Zentrum. Die BKW nistet sich bald – an Stelle der UBS – bei der Motor Columbus ein, einer reinen Finanzholding und Mehrheitsaktionärin der Atel. Die BKW ist nicht mehr das kantonale Unternehmen von einst; trotz der Aktienmehrheit hat der Kanton nichts mehr zu bestellen. 20 Prozent der Aktien gehören dem deutschen Mammut-Konzern E.ON, welcher weltweit «tätig» ist – auch in Chemie und Metall, speziell Uranabbau. Und das ist es, was bestimmt.

EINE WEITERE GEFAHR Diese instabile Situation verstärkt das AKW-Risiko. Gedacht wird nur noch in ökonomischen Kategorien. Selbst die schweizerischen Atombehörden schreiben über die Zusam-

menhänge zwischen Liberalisierung (Preisdumping) und vernachlässigtem AKW-Unterhalt. In den 1970er-Jahren, der Zeit des AKW-Booms, war die Stromwirtschaft relativ stabil. Die Ölkrise gestattete einen enormen Sprung in den Wärmemarkt – mit den Elektroheizungen. Mit den AKW konnte ein neuer Profitzyklus eröffnet werden. Technologisch kann heute kein solcher mehr angeschoben werden. Der oft zitierte «Strom-Mix» schmeckt fade. Die Verteufelung der Alternativenergien hat ihren tiefen Sinn. Auf der Tagesordnung steht der Kampf um die Märkte auf der Basis der bestehenden Anlagen, deshalb die Betriebsverlängerungen. Aber das kann ins Auge gehen, ökonomisch und risikomässig. Das AKW Leibstadt ist wegen eines Generatorschadens ein halbes Jahr lang lahm gelegt. Nach vier Tagen Stillstand musste die Axpo schon 79 Millionen Franken hinblättern (inklusive erste Rückstellungen für die Ausfallkosten). Der Gewinn sackte um 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr ab.

Zusätzliche Handelsschwierigkeiten mit Italien bewirkten bei der Untergesellschaft EGL einen Gewinnverlust von 52 Prozent. Leibstadt wird seit Jahren am Limit betrieben. Entweder gab es Brennelementschäden, Brände, oder die oben genannten Betrügereien.

MÜHLEBERG – EIN PROVISORIUM Als letztes AKW der Schweiz hat Mühleberg nur eine provisorische Bewilligung, und zwar bis 2012. Beznau hat Ende letztes Jahr die definitive Bewilligung erhalten. Der Grund für diese – im Gesetz nicht vorgesehenen – Provisorien ist folgender: Mühleberg und Beznau II wurden in einer Zeit gebaut, da die Wirksamkeit einiger wesentlicher Notsysteme noch zweifelhaft war. Trotzdem wurden beide Reaktoren > SCHWERPUNKT megafon Nr. 286, August 2005

Buchempfehlungen von fokusantiatom: # Kupper Patrick, Atomenergie und gespaltene Gesellschaft, Die Geschichte des gescheiterten Projektes Kernkraftwerk Kaiseraugst, Chronos Verlag 2003 # Wildi Tobias, Der Traum vom eigenen Reaktor , Die schweizerische Atomtechnologieentwicklung 1945√1969 , Chronos Verlag 2003

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ans Netz genommen, jahrelang wurde der Betrieb um ein weiteres halbes Jahr verlängert! Gegen diesen Skandal begehrten kaum Leute auf, nicht einmal, als es 1971 im Turbinenraum von Mühleberg brannte und das AKW ein halbes Jahr lang geflickt werden musste. 1992 und 1997 wurde der Betrieb vom Bundesrat befristet bis 2002 beziehungsweise 2012 verlängert. Diese beiden letzten Befristungen haben rein politischen Charakter gehabt: Die Bevölkerung war während zehn Jahren heftiger Anti-Atom-Bewegung nach der Tschernobyl-Katastrophe von 1986 zu kritisch. Immerhin hatten wir 1992 ein kantonales Referendum zum Weiterbetrieb von Mühleberg gewonnen und 1990 das zehnjährige Moratorium per Abstimmung durchgesetzt.

DIE «LETZTE RUNDE» Jetzt will es die BKW wissen. Sie hat dieses Jahr beim Bundesrat den Antrag auf eine definitive Bewilligung gestellt. Hierzu gehen wir noch einmal zurück in die Geschichte: Warum die BKW 1997, schon fünf Jahre vor Auslaufen der damaligen Bewilligungsfrist, einen Antrag stellte, ist schleierhaft. Auch heute, sieben Jahre vor Auslaufen der jetzigen Bewilligungsfrist, ist die definitive Bewilligung nur juristische Kosmetik. Mit dem Antrag begibt sich die BKW unausweichlich in einen gesellschaftlichen Konflikt (ein juristisches Verfahren mit Teilnahme

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der gesamten Bevölkerung). Im Gegensatz zum Aargau hat der Kanton Bern eine Anti-Atom-Tradition, besonders hier in der Stadt. Trotz all unserer Niederlagen muss die BKW mit unseren Mobilisierungen rechnen. Den ersten Konflikt hat das Stromunternehmen schon verloren. Die BKW muss von Staats wegen gegen ihren Willen das Verfahren nach neuem Gesetz abwickeln lassen. Mit dem «Kernenergiegesetz» werden Beschwerden gegen den Bewilligungsentscheid des Bundes (Energie-Departement UVEK) ermöglicht. Früher entschied der Bundesrat in erster und letzter Instanz. Im Bundesamt für Energie hat man uns mitgeteilt, dass ein Entscheid des UVEK nicht vor Ende 2007 zu erwarten sei (das Bewilligungsverfahren läuft also 2006-2007). Unumwunden wurde auch gesagt, dass sie mit einer Beschwerde ans Bundesgericht rechnen… Offensichtlich schätzt man unsere Stärke nach wie vor hoch ein.

POLITISCHER KAMPF GEGEN DAS ATOMRISIKO Mühleberg ist gemessen an den Richtlinien der Atombehörden zu wenig gegen Erdbeben gesichert. Das haben wir im Jahr 2000 nachgewiesen. Unsere Klage liegt seither in den Schubladen des Energiedepartements. Es drohe keine «unmittelbare Gefahr», zudem würden umfangreiche Studien getätigt. Wir kennen die zersetzenden Begriffe der Juristerei ab-

seits der Atomgefahren: «Restrisiko», «Stand von Wissenschaft und Technik», «Zumutbarkeit» von Nachrüstungen für den Betreiber, «nach menschlichem Ermessen auszuschliessen»… Doch Mühleberg hat Risse im Kernmantel, es gibt weniger Notsysteme als in neueren AKW, sämtliche Notkühlsysteme führen an einer bestimmten Stelle über eine einzige Wasserleitung. Bricht diese bei einem Unfall ein, kann der Reaktor nicht mehr gekühlt werden. Die Katastrophe ist programmiert. Trotzdem ist der Weiterbetrieb bewilligt. Aus diesem Grund haben wir vor fünf Jahren im Kampf gegen die Behörden die Kampagne lanciert: «Wie gefährlich müssen AKW sein, damit sie endlich stillgelegt werden?» Jetzt ist im neuen Atomgesetz die Definierung von Abschaltkriterien verlangt, und die Atombehörden müssen sich mit der bisher verdrängten Endlichkeit von AKW auseinander setzen. Immerhin ein kleiner Schritt. Das neue Mühleberg-Verfahren setzt den Fokus wieder auf den Berner Schrottreaktor. Erste Kontakte zwischen Organisationen laufen an. Doch das politische Projekt soll nicht auf der Ebene der Organisationen, der Werbekampagnen und des «Fundraisings» verenden. Nicht «abholen» und «erreichen» wollen wir die Leute, wir wollen mit ihnen aktiv sein. Wir sind gespannt, wie weit unsere Bündnisse gehen können. > FOKUSANTIATOM.CH <

Fokus AntiAtom setzt mit anderen Mitteln einen Teil der Arbeit Aktion Mühleberg stilllegen AMüs fort. Postadresse: c/o AMüs, PF 6307, 3001 Bern. www.fokusantiatom.ch


WIE DIE SCHWEIZ ZUR ATOMENERGIE KAM

AM ANFANG WAR DIE BOMBE BEVOR IN DER SCHWEIZ DIE ERSTEN AKW ANS

NETZ GINGEN, TÜFTELTEN HIESIGE FORSCHER AN DER ATOMBOMBE MADE IN SWITZERLAND. DIES

UNTER DEM DECKMÄNTELCHEN DER FRIEDLICHEN

NUTZUNG DER ATOMENERGIE. DASS BEIM BASTELN MAL EIN REAKTOR FAST DURCHSCHMOLZ UND EINE BEINAHE-KATASTROPHE IM WAADTLÄNDISCHEN

LUCENS VERURSACHTE, BREMSTE DIE ATOMFANATIKER IN KEINER WEISE. DANK DER BILLIGEN USREAKTOREN WURDE DIE EIGENE REAKTORLINIE DOCH NOCH EINGESTELLT.

«In der Schweiz begann das Zeitalter der Kernenergie offiziell im Jahr 1957. Am 30. April setzten Wissenschaftler im Forschungsreaktor «Saphir» erstmals eine sich selbst erhaltende Kettenreaktion in Gang. Die Idee, einen eigenen Schweizer Kernreaktor zu entwickeln, führte zum Bau des Versuchsatomkraftwerks von Lucens. Dort wurde ab 1962 ein Druckröhrenreaktor erstellt, der 1968 den Betrieb aufnahm. Anfang 1969 ereignete sich in diesem Werk, das in eine Kaverne gebaut worden war, ein Störfall. Obwohl er keine Auswirkungen auf Mensch und Umwelt hatte, bedeutete er das Aus für die Anlage und die Ambitionen, eine eigenständige schweizerische Reaktorlinie zu schaffen.» Dieser kurze Abriss findet sich unter www.atomenergie.ch, dem Internetportal der Schweizer Kernkraftwerke. Doch ist dies nur die halbe Wahrheit, denn die Geschichte beginnt deutlich früher – und anders.

NACH DEM KRIEG IST VOR DEM KRIEG Schon seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges liebäugeln die Schweizer Militärs mit der Atombombe. Nur sechs Tage nachdem die USA mit der Plutoniumbombe «Fat Man» Nagasaki verwüstet hat, schreibt Hans Frick – Oberstkorpskommandant und Chef Ausbildung der Schweizer Armee – an den freisinnigen EMD1-Bundesrat Karl Kobelt. «Wird die schweizerische Wissen-

schaft und Technik in der Lage sein, das Problem der praktischen Verwendung der Atomzertrümmerung zu Kriegszwecken in absehbarer Zeit zu lösen?», will Frick wissen. Der Oberstkorpskommandant gilt, wie sein Bruder Wilhelm Frick, der 1933 die Eidgenössische Front mitbegründet hat, als «ein Verfechter des autoritären Führerstaates». Wenige Tage nach Fricks Anfrage erkundigt sich auch Otto Zipfel, der Bundesdelegierte für Arbeitsbeschaffung, nach der Bombe. Aufgrund dieser Anfragen organisiert Bundesrat Kobelt einige Treffen, an die nur ausgewählte, militärnahe Leute geladen werden. Diesen Treffen folgt am 5. November 1945 die Gründungsversammlung der «Studienkommission für Atomenergie». Präsident wird Paul Scherrer, der als Atomkoryphäe des Landes gilt. Die Militärs, treibende Kraft in der Kommission, können auf Scherrer bauen: Ihn treibt dieselbe missionarische Besessenheit um, von

der zu jener Zeit die meisten Atomforscher beseelt sind. Scherrer pflegte schon während des Zweiten Weltkrieges enge Beziehungen mit den USA und agierte als ihr Vertrauensmann. Er durfte zum Beispiel 1942 ihren ersten Reaktor besuchen. Scherrer arbeitete für verschiedene US-Geheimdienste. Er hielt die USA über die Tätigkeiten von Werner Heisenberg auf dem Laufenden, mit dem er befreundet war. Dem deutschen Nuklearphysiker traute man zu, für die Nazis die Bombe bauen zu können. Das Parlament bewilligt 1946 der «Studienkommission für Atomenergie» einen Rahmenkredit von 18 Millionen Franken (zum Vergleich: die ETH verfügt zu diesem Zeitpunkt über ein jährliches Budget von 4 Millionen Franken. Was die Studienkommission tatsächlich plant, erfährt das Parlament allerdings nicht. Die Botschaft spricht lediglich von der «ausserordentlichen Bedeutung, die der Atomenergie für > SCHWERPUNKT megafon Nr. 286, August 2005

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unsere Landesverteidigung und unsere Wirtschaft» zukomme. Parlamentarier, die zu Recht befürchten, die SKA könnte an der Bombe basteln, beschwichtigt Bundesrat Kobelt: «Wir haben weder die Absicht, noch wären wir in der Lage, Atombomben herzustellen.» Eine Lüge. Denn in den geheimen Richtlinien der Studienkommission steht unter Ziffer 3: «Die SKA soll überdies die Schaffung einer schweizerischen Bombe oder anderer geeigneter Kriegsmittel, die auf dem Prinzip der Atomenergie beruhen, anstreben. Es ist zu versuchen, ein Kriegsmittel zu entwickeln, das aus einheimischen Rohstoffquellen erzeugt werden kann. (…)»

AUTARK BIS INS ATOM An Geld mangelt es der SKA also nicht – hingegen lässt sich auf dem freien Markt kaum mehr Uran kaufen. Zudem versuchen die USA zu verhindern, dass andere Länder eine Atomindustrie aufbauen – und damit in den Besitz von Nuklearwaffen gelangen könnten. Auf legale Weise lässt sich deshalb bis Anfang der 1950er-Jahre kaum Uran beschaffen. Man beginnt deshalb in der Schweiz nach Uran zu suchen – da jedoch das Geld für den aufwändigen Abbau fehlt, lässt man das Projekt schliesslich fallen. Ende der 1940er-Jahre gelingt es immerhin, hundert Kilogramm reines Uranoxid aus Westdeutschland zu beschaffen. Das reicht zwar nicht, um einen Reaktor zu betreiben, doch nutzt man es für Versuche. Man möchte aus Uranoxid Uranmetall gewinnen. Reaktoren kann man mit beidem betreiben, Uranmetall hat aber – aus Sicht der Militärs – einen grossen Vorteil: im Reaktor produziert es reines, metallisches Plutonium –

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das direkt für die Bombe verwendet werden kann. Dieses Uranmetall gilt als Natururan. Im Gegensatz zum sogenannt angereicherten Uran, mit dem die heutigen Schweizer AKW – sogenannte Leichtwasserreaktoren – beschickt sind. Jahrelang verfügt man jedoch nur in den Vereinigten Staaten über die nötige Technologie, um Uran anzureichern, womit alle Staaten, die mit angereichertem Uran arbeiten, vollständig von den USA abhängen. In der Schweiz will man jedoch autark sein – deshalb entscheidet man sich für ein Modell, das mit Natururan läuft. In den 1950er-Jahren entspannt sich die Lage auf dem Uranmarkt, nachdem weitere Uranvorkommen entdeckt wurden. Dank Scherrers guten Beziehungen gelingt es 1953, eine grössere Menge spaltbaren Materials zu besorgen. Grossbritannien erklärt sich bereit, der Schweiz via Belgien zehn Tonnen Uran aus Belgisch-Kongo zu schicken – ohne Auflagen bezüglich ziviler oder militärischer Nutzung. Nun nimmt sich Walter Boveri von der BBC – ein guter Freund von Paul Scherrer – der Sache an. Unter seiner Federführung entsteht die «Reaktor AG», der zahlreiche andere Industriefirmen (z.B. Sulzer, Escher-Wyss) beitreten. Die «Reaktor AG» setzt sich zum Ziel, einen eigenen Reaktortyp zu bauen. Der Bund spielt dabei nur eine Nebenrolle – doch bleiben das Uran und die danach anfallenden Nebenprodukte (z.B. das Plutonium) in seinem Besitz. Dafür subventioniert der Bund mit 11,8 Millionen Franken den Bau und den Betrieb der geplanten Anlage. Dass heute im Kanton Aargau die meisten Atomanlagen stehen, ist Walter Boveri zu verdanken. In Würenlingen kauft er Land, wo die ersten Testreaktoren gebaut werden sollen. Den Bauern und Bäuerinnen sagt Boveri nichts über sein Vorhaben, allerdings zahlt die «Reaktor AG» zusätzlich 1 Franken pro Quadratmeter, womit «wir uns auch die Ruhe im Dorf Würen-

lingen erkaufen», wie es in einem Verwaltungsratsprotokoll heisst. Der Bau eines Reaktors verschlingt Unsummen an Geld: bis 1959 schiesst der Bund 59 Millionen Franken nach, die Privatwirtschaft nur 2 Millionen. Der Bund übernimmt schliesslich die «Reaktor AG», und benennt sie in «Eidgenössisches Institut für Reaktorforschung» (EIR) um – das heutige Paul ScherrerInstitut. In Würenlingen geht am 15. August 1960 der erste selbstenwickelte Forschungsreaktor in Betrieb – der Diorit. Der Diorit ist ein eigentlicher Testreaktor, deshalb ist es möglich, die Brennelemente des Versuchsreaktors von Lucens darin probeweise zu bestrahlen. Die Tests verlaufen aber nicht harmlos: oft muss der Reaktor dekontaminiert werden und steht während Monaten still. Das Personal bekommt mehrmals höhere Strahlendosen ab. Das EIR muss wegen der häufigen Störfälle Millionen in Reparaturarbeiten investieren. Die Bevölkerung der umliegenden Dörfer wird jedoch nie informiert, obwohl immer wieder beachtliche Mengen Radioaktivität in die Umwelt gelangen. Trotz allen Pannen produziert der Diorit schon in den ersten zwei, drei Betriebsjahren genügend Plutonium zur Herstellung einer einfachen, «schmutzigen» Atombombe. Ende der 1960er-Jahre nimmt das EIR in Würenlingen einen weiteren Testreaktor in Betrieb: den Proteus, den es während Jahren als Brutreaktor betreibt. Dieser Reaktor «erbrütet» mehr und reineres spaltbares Material, als er zur Energieerzeugung braucht. Die Atommächte, insbesondere die USA, die UdSSR und Frankreich, setzen auf die Brütertechnologie, weil kein anderer Reaktor so schnell so viel waffenfähiges Plutonium hergibt.

«PANNE IN LUCENS» Man schreibt den 21. Januar 1969. Die Operateure des AKW Lucens fahren den Reaktor an. Die Anlage ist in einer


Felskaverne untergebracht.Zum Glück, werden die Operateure später sagen. Langsam erhöhen sie die Leistung des Reaktors. Als er die Hälfte seiner Maximalleistung erreicht hat, gehen plötzlich alle Alarmsysteme los. Die Operateure messen hohe Radioaktivität, überall ist Wasser wo keines sein sollte, erst kommt es zu einem Druckanstieg, dann zu einem Druckabfall. Sie begreifen nicht, was los ist. Drinnen brennt das Magnesium, das zum Kühlsystem gehörte. Ein Teil des Urans hat Feuer gefangen. Ein Brennelement schmilzt durch. Doch das wissen die Operateure nicht. Sie stellen lediglich fest, dass die Steuerstäbe herunterfallen: der Reaktor hat sich glücklicherweise selbst abgestellt. Sonst wäre es im Reaktorkern zu einer unkontrollierbaren Kettenreaktion, einer vollständigen Kernschmelze und einer verheerenden Katastrophe gekommen. Obwohl sich die Sicherheitsschleusen korrekt geschlossen haben, wird eine beachtliche Menge Radioaktivität freigesetzt. Der Reaktor – der nur wenige Stunden in Betrieb war – verwandelt sich in eine strahlende Ruine. Während Monaten darf man die Felskaverne nicht betreten; nur via ferngesteuerte Kameras und Geräte kann man sich der Reaktorruine nähern. Es folgen langjährige Aufräumarbeiten: Die Versuchsanlage wird entseucht und demontiert. Erst 1994 erkennt der Bund der Felskaverne den Status als Atomanlage ab. Damals nimmt man diesen Unfall nicht besonders ernst. Man weiss nicht viel über die Technologie und hat keine Vorstellung, was in einem AKW alles schief gehen kann. Aus Fehlern lernen heisst die Devise: Die hochkomplexen Sicherheitssysteme, die heute in den AKW eingebaut sind, installiert man erst aufgrund derartiger Unfälle. Mit ernüchterndem Bilanz: Seit dem Bau des ersten Atomreaktors kommt es weltweit pro Jahr durchschnittlich zu mehr als zwei schweren Havarien in der Grössenordnung von Lucens.

Technisch ist man der Bombe in den 1970er-Jahren schon ziemlich nahe. Doch wie bringt man dem Volk bei, dass ein so kleines Land wie die Schweiz die Bombe braucht? Bis Mitte der 1950er-Jahre spielt sich die gesamte Bombenforschung im Verborgenen, unter dem Deckmantel der zivilen Forschung ab. Doch dann gelangt die Zürcher Offiziersgesellschaft 1957 an die Öffentlichkeit und tritt für die nukleare Bewaffnung ein. Sofort bietet Walter Boveri dem Bundesrat an, die «Reaktor AG» für militärische Zwecke zu nutzen. Die Gesellschaft zur Förderung der Schweizer Wirtschaft, die Lobbyorganisation der Exportwirtschaft, verlangt ebenfalls die Atombewaffnung. Im Juli 1958 spricht sich der Bundesrat offen für die Atombewaffnung aus: «In Übereinstimmung mit unserer jahrhundertealten Tradition der Wehrhaftigkeit ist der Bundesrat deshalb der Ansicht, dass der Armee zur Bewahrung unserer Unabhängigkeit und zum Schutze der Neutralität die wirksamsten Waffen gegeben werden müssen: Dazu gehören die Atomwaffen.» Im Dezember gibt der Bundesrat dem EMD den Auftrag, die Beschaffung, den Kauf und die Herstellung von Atomwaffen abzuklären.

TEURE TRÄUME Insgesamt hat der Bund bis heute fast vier Milliarden Franken in die Atomforschung gesteckt – soviel wie in keinen anderen Forschungszweig. Die Privatwirtschaft steuerte lediglich 100 Millionen dazu bei. Heute stammen zwar vierzig Prozent unseres Stroms aus AKW – doch mit dem Engagement des Bundes hat dies nur indirekt zu tun. Die USA unterlaufen nämlich schon früh die Bemühungen der Schweiz, einen eigenen Reaktortyp zu bauen. Sie bieten bereits Mitte der 1950er-Jahre ein Leichtwasser AKW – den Versuchsreaktor Saphir – zu einem Spottpreis feil. Paul Scherrer und Walter Boveri

können nicht wiederstehen und kaufen ihn, er geht noch drei Jahre vor dem Diorit in Würenlingen in Betrieb. Das Ziel der USA ist klar: Wenn sie schon nicht verhindern können, dass andere Länder eine Atomwirtschaft aufbauen, sollen diese zumindest vom US-Uran und –Technologie abhängen. Deshalb bieten sie später ausgewachsene Leichtwasserreaktoren zu Dumpingpreisen an, weil diese eben nur mit angereichertem Uran laufen. Zumindest in der Schweiz verfängt die Strategie: Die Schweizer Elektrizitätswirtschaft beisst an – obwohl sie lange nichts von Atomenergie wissen wollte und sich an den Forschungsprojekten nur unbedeutend beteiligt. Im Februar 1964 gibt die NOK bekannt, dass sie einen Reaktor von der US-Firma Westinghouse kauft, der 1969 in Beznau in Betrieb geht. 1972 wird Beznau II aufgeschaltet, und im selben Jahr geht Mühleberg ans Netz. Ebenfalls in den 1960er-Jahren geplant, geht das KKW Leibstadt 1984 in Betrieb. Alle Reaktoren sind US-Modelle, die nur mit US-Brennstäben laufen. Es ist offenkundig, das es bei den immensen Mitteln, die der Bund in die Atomforschung steckte, weder um die Energieversorgung noch um Exportinteressen ging, sondern primär um die militärische Option: man wollte stets in der Lage sein, die Bombe zu bauen. Noch bis 1988 wird im geheimen den Träumen einer eigenen Atombombe nachgehangen – trotz Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag, der ab 1977 in Kraft tritt. Die Bestrebungen zur atomaren Bewaffnung hatten einen grossen Nebeneffekt: ideologisch wurde der Weg frei für die «friedliche» Atomnutzung.

1Eidgenössisches Mili-

tärdepartement, heute VBS Quellen: -Die strahlende Schweiz: Handbuch zur Atomwirtschaft. Susan Boos. √ Zürich: Rotpunktverlag, 1999 -www.fokusantiatom.ch

Comictipp: ∫Der Zwischenfallª Melk Thalmann, Agomix Comix ∫Zwischenfallª beginnt wie ein Krimi, mutiert aber bald zum nuklearen Agentenroman vor dem historisch verbürgten Hintergrund der eidgenössischen Bemühungen um die Atombombe und endet mit dem Reaktorunglück von Lucens im Januar 1969. Auf knapp 90 Seiten entfaltet Melk Thalmann nicht nur einen spannenden Thriller, sondern entwirft auch ein eindrückliches Bild von der Schweiz in den sechziger Jahren, in der solche abstrusen Grossmachtsträume möglich waren.

> BCK <

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DIE ANTI-AKW BEWEGUNG

DER LETZTE VOLKSSPORT IN DEN 1970ER-JAHREN BESETZTEN LEUTE ZEHN

WOCHEN LANG EINEN BAUPLATZ, BAUTEN DORT EIN

HÜTTENDORF, FÄLLTEN STROMMASTEN UND SAMMELTEN UNTERSCHRIFTEN FÜR ZIG INITIATIVEN UND PETITIONEN. MIT ERFOLG, DENN SONST HÄTTEN

WIR NOCH EINIGE AKW MEHR IN DER LANDSCHAFT STEHEN. EIN VERSUCH, EIN STÜCK PROTESTGESCHICHTE IN DER SCHWEIZ EINZUFANGEN

thermische Kraftwerke zum Atomstrom unterstützt der «Schweizerische Bund für Naturschutz» den Bundesrat, und plädiert wie dieser, «direkt den Schritt zur Gewinnung von Atomenergie zu tun». Warum auch nicht? Der Atomstrom war DIE letzte technisch-fortschrittliche Errungenschaft, versprach die letzten freien Gewässer vor Staumauern zu retten, und weniger Luftverschmutzung zu verursachen als thermische Werke. Die Bevölkerung übertrug 1957 mit grosser Mehrheit die Gesetzgebung auf dem Gebiet der Atomenergie dem Bund. Dies bedeutete mitunter, dass beim Verteilen der Betriebsbewilligungen die betroffenen Gemeinden kein Mitspracherecht hatten. Mit dem Baubeginn der gefährlichen Kolosse wurden dann doch Mitbestimmungsbedürfnisse der SchweizerInnen laut. Die Schlagworte, die von öffentlicher Seite für die Reaktoren werben, sind Zukunftseuphorie, der Gewässerschutz, und, egal zu welchem Zeitpunkt, jeweils ein Energieengpass in fünf Jahren.

Ich stosse bei den Nachforschungen schnell an Grenzen. Die Ereignisse umspannen einen Zeitraum von über 35 Jahren, die Bewegung wurde getragen von zig verschiedenen Grüppchen aus ebensovielen Motivationsgründen heraus, die mit unterschiedlichen Mitteln kämpften – vom parlamentarischen Vorstoss bis zur direkten Aktion. Weder eine chronologische Abfolge der Protestaktionen und Motionen, noch eine Aufschlüsselung der Geheimcode NK, AGEA, NWA, GAK, GAGAK, SAG würde dem Thema gerecht. Vielmehr interessiert, die Motivationen und Umstände, die zu diesem – meiner Meinung nach – letzten politisch motiviertem Volksprotest in der Schweiz führten, zu beleuchBAGGERN & ZWEIFELNAGEN ten. Und vielleicht gelingt es, den einen Dann begann das Planungs- und oder anderen Happen Geschichtskunde Baufieber, der Spatenstich zu Beznau I einzuflechten. erfolgte 1965, zwei Jahre später wurde mit dem Bau in Mühleberg begonnen. DIE ANFÄNGE Die Atomlobby geriet in einen FreudenDie Schweiz stieg in den 1950er- taumel, und plante zu Beginn der Jahren mit grossen atomwirtschaft- 1970er-Jahre die Erstellung 14 weitelichen Ambitionen ein, die öffentliche rer AKW. Doch das Blatt begann sich Auseinandersetzung ging nicht in er- langsam zu wenden, der Zinsatz für die ster Linie um die Betreibung eines AKW-Anleihen stieg stetig, FinanzkreiAtomprogramms oder nicht, sondern se schüttelten die Köpfe über die Höhe um die «friedliche Nutzung der Kern- der Baukosten, und erste Expertenbeenergie». Bis Ende der 1960er-Jahre richte aus bürgerlich-wissenschaftlistiess diese zivile Nutzung auf allseiti- chem Haus begannen an der Sicherheit gen Konsens. Im Zuge einer Umorien- der unter Kontrolle gehaltenen Knalltierung der schweizerischen Energie- körper zu zweifeln. Zu diesem Zeitpunkt wurde auch eipolitik von Wasserkraftwerken über ne – nota bene einstimmige – Resolution der baselstädtischen Regierung eingereicht, die sich besorgt zeigte SCHWERPUNKT über die Flusskühlung der beiden aaremegafon Nr. 286, August 2005 16 ständig gebauten Kraftwerke Beznau

und Mühleberg, und den Bund aufforderte, keine weiteren Bewilligungen für flussgekühlte AKWs auszustellen (oder sonstwie gefährliche). Die unbekannten ökologischen Auswirkungen einer Flusserwärmung bedrückte sie, während nur Monate zuvor der Unfall im Versuchsreaktor von Lucens nur bescheidenes Echo auslöste (ein vergleichbarer Unfall in Harrisburg zehn Jahre danach sorgte für weltweite Empörung). Einzug der Kühltürme: Diese brachten nun die OpponentInnen aus Landschaftsschutzkreisen und der Tourismusbranche auf den Plan. Und sie haben halt etwas Ungeheures, die riesigen Betonkegel, wie sehr sie die Modernität auch verkörpern mögen. Zumindest von emotioneller Bedeutung rund um den Widerstand in Kaiseraugst war die geplante Erstellung ebensolcher Kühltürme, die zuvor der Bevölkerung noch als unnötig gepredigt worden waren. Die Kritik an der neuen Wunderwaffe blieb jedoch eine punktuelle, keine grundsätzliche.

FRISCHER WIND Um die Bewegung zu verstehen, ist es wichtig, das Aufkommen eines neuen, ökologischen Bewusstseins zu berücksichtigen. Nach den Jahrzehnten beispiellosen Wirtschaftswachstums werden erstmals Zukunftsängste laut angesichts des wachsenden Energieverbrauchs, zunehmender Überbauungen und steigender Schadstoffbelastung. In Meinungsumfragen der 1970er-Jahre wird der Umweltschutz als dringlichstes Problem gesehen. Eine vielzitierte Publikation in diesem Zusammenhang ist der Bericht «Grenzen des Wachstums»1 der in apokalyptischen Zukunftsszenarien für eine Rückkehr zum sorgsamen Umgang mit den natürlichen Ressourcen plädiert. Dahinter verbirgt sich ein Diskurs, der nach dem Sinn des wirtschaftlichen Wachstums fragt und den herkömmlichen Fortschrittsglauben kritisiert.


Die Ereignisse beginnen sich zu überstürzen: Aus allen Winkeln kommen besorgte Väter, Studentinnen, Ökobewegte, Pösteler, Bäuerinnen, Autonome, Nachbarn, bürgerliche Physiker, Linkspolitikerinnen, Bürgis, Alternativos und finden die AKW doof. Sie organisieren Bürgerinitiativen, Sitzblockaden, Petitionen und jede erdenkliche Art von zivilem Ge- oder Ungehorsam.

«UNSER 68» Alle Quellen zur Schweiz gipfeln dann in den Ereignissen rund ums geplante AKW Kaiseraugst, dem wohl erbaulichsten Moment in der Anti-AKW Bewegung. Vom 1. April bis zum 14. Juni 1975 gelang es mit einer Bauplatzbesetzung den Baubeginn zu verhindern. Der starke Rückhalt bei der lokalen Bevölkerung, den die BesetzerInnen geniessen, macht sie zu einer ernstzunehmenden Bewegung. Am Tag der Räumung wurde die Atomschutzinitiative gestartet, die der Bevölkerung mehr Rechte bei der Planung von Atomkraftwerken sichern sollte. Und zu einem späteren Zeitpunkt auch angenommen wurde. Die Aktionen in Kaiseraugst, die von Bäumchen pflanzen über Massenhungerstreiks und grenzüberschreitenden Pfingstmärschen zu Sprengstoffanschlägen reichen, waren erfolgreich. Nach 13 Jahren politischen Seilziehens gab der Bundesrat das Projekt auf. Ähnlich in Graben im Kanton Bern, wo es nicht mal zum Aushub kommen konnte. Die AKW Mühleberg, Beznau II, Leibstadt und Gösgen konnten, teils gegen massiven und langjährigen Widerstand, durchgesetzt werden. Wenig geändert, aber ein Zeichen gesetzt, haben auch die beiden Initiativen, die den Ausstieg aus der Atomenergie verlangten, 1984 mit 45 Prozent, 1990 mit 47 Prozent Ja-Stimmenanteil. Von allen Initiativen der AtomgegnerInnen war das Moratorium 1990 die erfolgreichste. Die neusten Ent-

wicklungen entnehme man dem Artikel auf Seite 10.

WAS BLEIBT 1veröffentlicht vom Club of Rome 1972, NGO zum globalen Gedankenaustausch zu internationalen gesellschaftspolitischen Fragen

Die Protestformen haben sich geändert, medienwirksame Auftritte sind hilfreicher als direkte Aktionen, die durch Repressionen auf den Geldbeutel eh fast undurchführbar geworden sind. Mit den Initiativen hat sich gezeigt, dass die AKW-GegnerInnen gegen die Hälfte der Bevölkerung von ihren Anliegen überzeugen konnten. Die Bewegung konnte sich breit vernetzen und griff vor den politischen Parteien dieses brisante Thema auf. Die Pläne des Bundes von 1973, noch zehn weitere AKW aufzustellen, wurden durchkreuzt – es kamen derer nur noch zwei zu stehen. Nicht zuletzt haben die AtomgegnerInnen der Volkswirtschaft milliardenschwere Fehlinvestitionen erspart. >LAS <

Quellen: - Patrick Kupper, Abschied von Wachstum und Fortschritt, Liz Zürich 1997 - Dossier zur Anti AKWBewegung, Infoladen Bern

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VERSUCH, DAS EIGENE GEDÄCHTNIS ZU ÜBERLISTEN

KAISERAUGST WIE ES WAHRSCHEINLICH WAR… AM 1. APRIL 1975 FAND DIE SEIT DEM GENERALSTREIK 1918 WIRKUNGSVOLLSTE UND MÄCHTIGSTE VOLKSBEWEGUNG IN DER SCHWEIZ IHREN SICHTBAREN AUSDRUCK: DER BAUPLATZ DES AKW KAISERAUGST WURDE BESETZT, DIE BAUMASCHINEN STANDEN STILL. EINE GANZE REGION STELLTE

SICH HINTER EINE MILITANTE VERHINDERUNGSAKTION – DAS AKW KAISERAUGST STEHT BIS HEUTE NICHT.

Vielleicht war ich am 1. April 1975 – ein Dienstag – nach Schulschluss wohl tatsächlich auf dem frisch besetzten Gelände im aargauischen Kaiseraugst. Vielleicht war ich aber auch erst am darauf folgenden Wochenende da. Auf jeden Fall erinnere ich mich an ein Pressefoto. Da steht klein im Hintergrund ein hochaufgeschossener junger Mann im langen 1.-Weltkrieg-Militärmantel (meines Grossvaters), schütterer Bart und Haare bis über die Schultern, auf einem Trax. Ich weiss: Es schneite, ich hatte einen Bart und einen Militärmantel und ich stand auf dem Trax. Über das Foto, das es noch heute alle fünf Jahre aus einem Archiv in eine Zeitung schafft, freue ich mich noch heute. Sehr wahrscheinlich war ich tatsächlich dabei, als für einmal in der Schweiz Geschichte von unten gemacht wurde. Einmal sassen wir auch um ein Feuer. Ein mir völlig unbekannter Mann – ich kannte ja kein Schwein – spielte auf der Klampe und sang selbstgedichtete Lieder. Das muss der penetrante «Aernschd Born» gewesen sein: «Und wänn – dänn – alles nit me nizt – und dänn wänn d'Polizey diä Falschä schitzt – dänn raffä mir uns zämme geg diä Riisäunternämme – jä dänn – jä dänn, dänn miemer halt no jetzä – go bsetzä.» Ich kann noch heute jede Party mit diesem Refrain nerven. «Aernschd Born» wurde zum Hausdichter und -Sänger der Besetzung – unausstehlich für

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BesetzerInnen – charmant für die vielen Tausend BesucherInnen des Geländes. Ziemlich bald nach dem – sehr wahrscheinlichen – 1. April wird das Wetter in meiner Erinnerung warm. Ich lernte – angeleitet von einem Genossen der «Ligue marxiste révolutionaire» – Dachbalken zusammennageln. Es entstand – so glaube ich – ein zentraler, ziemlich wasserdichter Versammlungsraum – es gab Zelte, Küchen, Aborte. Von dem Genossen lernte ich noch etwas: Extrem laut Parolen zu rufen. Es ist eine einfache Technik: Der Atem muss im Bauch gesammelt werden – nicht in der Lunge. Und dann alles auf einmal raus damit. Megafon überflüssig.

WIE WIR «DAS VOLK» BEKEHRTEN Die Bewegung gegen das AKW Kaiseraugst wuchs in den Tagen und Wochen nach dem 1. April explosionsartig. Wir (Gymi-)Schülerinnen haben mitgeholfen. Wir machten uns schlau – noch heute weiss ich, dass es ganz unterschiedliche AKW-Typen gibt (Leichtwasser, Siedewasser, mit Flusskühlung, Westinghouse, Siemens…). Wir eigneten uns rasend schnell und freiwillig viel Physik an und wir begriffen, dass die Atomkraft-Befürworter drei schwache Punkte haben: Es gibt 1. kein menschenmögliches vernünftiges Konzept zur Endlagerung von hochradioaktivem nuklearem Abfall, es gibt 2. keine vernünftigen Konzepte gegen unwahrscheinliche, aber mögliche Grossunfälle (Flugzeugabstürze, umnachtetes Bedienungspersonal, Krieg etc.) und 3. ist Strom aus AKW viel teurer als Stromsparen. Während die Lakaien (Journalisten, Politikerinnen) des Grosskapitals (Motor Columbus – heute UBS, BBC – heute ABB) dem Volk einhämmerten, der Widerstand gegen Atomkraftwerke sei Ausfluss irrationaler Ängste und AKW hätten dann aber auch gar nichts mit

Atombomben zu tun und könnten deshalb auch nicht explodieren, gingen wir Gymnasiasten wohlinformiert und dokumentiert von Haus zu Haus. Wir verteilten Charts der Besitzverhältnisse in der Schweizer Elektroindustrie, erklärten den Unterschied zwischen Flusswasserkühlung und Kühltürmen und bestätigten cool: «Nein, das Ding wird nicht explodieren. Braucht es auch nicht: 1 Gramm Plutonium im Trinkwasser reicht, um soundsoviele Menschen an Krebs erkranken zu lassen. Und ein AKW produziert soundsoviele Kilo pro Jahr. Und keiner kann Dir sagen, wohin damit.» Die Massen-Agitation hat in Baselland und Baselstadt gewirkt – nicht so im Kanton Aargau. Der Aargau – ehemaliger Untertanenkanton, der nie eine eigene Revolution zustande brachte, blieb unterwürfig (und hat deshalb heute zwei AKW und ein Zwischenlager). Die Unterstützung für die Besetzung wuchs. Bauern und sogar der Chef der landwirtschaftlichen Schule Ebenrain in Sissach kamen auf Traktoren mit Anhängern voller Lebensmittel auf den Platz. Die Bäuerinnen mit ihren Traktoren stellten auch einen nicht zu unterschätzenden militärischen Faktor dar. Ein Polizeikordon aus – sagen wir – 200 Polizisten mit Helm, Tränengas, Pistolen und Schlagstöcken kann leicht fünfzig schlaftrunkene Besetzerinnen vertreiben. Aber wenn da noch 20 grosse, fette Traktoren mit wütenden Bauern drauf anrollen? Die Drohung mit einem regelrechten Bürgerkrieg war wohl immer eines der stärksten Argumente der Besetzung in Kaiseraugst.

GAGAK, SUK, BESETZER UND WIE ICH IN EINE SEKTE GERIET Ursprünglich wurde die Besetzung des Baugeländes in Kaiseraugst von der «Gewaltlosen Aktion Kaiseraugst» (GAK) organisiert. Doch 1975 ist nicht so weit weg von 1968: Die Universitätsstadt Basel wimmelt von hyperaktiven


linksradikalen Gruppierungen aller Schattierungen, die sich gegenseitig des «Reformismus», respektive des «Spontaneismus» bezichtigten. Da gab es die «LMR» (Ligue marxiste révolutionaire – Trotzkisten), die «RGB» (Revolutionäre Gruppe Basel – ProtoMaoisten), die POB (Progressive Organisation Basel – später POCH – später die Grünen, SP, VCS & Co.), die ersten «Autonomen» (wilde Kerle und tolle Frauen mit Töff – heute Zentralamerikasekretariat und so) und natürlich SP und PDA. An die Präsenz der GAK auf dem Platz kann ich mich nicht erinnern – wir haben diese «bürgerlichen» Umweltschützer immer verachtet. Stattdessen gab es die GAGAK (Gewaltlose Aktion gegen das AKW Kaiseraugst) in der sich die auf dem Platz tragenden Kräfte versammelten und befeindeten. Wir Schüler gründeten die «SUKs» – die Schülerunterstützungskomitees. Ich erinnere mich an einen warmen Tag am Gymi Liestal. Unterricht. Die Schulzimmertüre geht auf. Ein Kollege – der älteste und mutigste am ganzen Gymi – ruft: «Alarm». Zwei oder drei von uns stehen auf («Kann ich diis Töffli ha?») hasten raus, springen auf Töffli und Velo und rasen Richtung Kaiseraugst. Das war in jeder Klasse so. Alleine vom Gymi Liestal waren nach 30 Minuten vielleicht vierzig Schülerinnen auf dem Platz. Der Alarm war ein Fehlalarm: Grossangelegte Verkehrskontrolle der Kapo Aargau rings um den Platz. Doch der ameisenartige Aufmarsch der Besetzer hat mitgeholfen: Weitere Drohungen und Angriffe der Polizei auf den Platz unterblieben. Das Treiben der linksradikalen Gruppen auf dem besetzten Gelände nervte uns «Ameisen», die einfach da waren und helfen wollten. Die Organisierten manipulierten die Vollversammlungen, Abstimmungen wurden in Vor-Vor-Sitzungen ausgekäst. Ich glaube, ich gehörte zu den Mitgründern der «Unorganisierten Besetzer». Damit war ich jemand. Und wurde

prompt angesprochen: «Deine Haltung hat uns imponiert. Komm doch mal an die Vorbereitungssitzung für die nächste VV», luden mich sowohl die trotzkistischen grossen Tiere wie auch die netten, zurückhaltenden, zuhörenden Leute von den Proto-Maoisten ein. Ich ging zu den Maoisten und verbrachte die nächsten fünf Jahre meines privaten und politischen Lebens in einer Sekte. Ich war nun endgültig jemand. Organisiert.

DER ANTI-TRÄNENGASWASCHLAPPEN Das Sektendasein als Proto-Maoist war nicht nur schlecht. Wir vertraten zum Teil Positionen, zu denen ich noch heute gerne stehe – das Schlimme kam erst später. Nach elf Wochen war die Besetzung innerlich erledigt. Zu wenige Leute hatten zuviel getragen – die Schalmeienklänge der ersten Anti-AKW-Initiative spalteten die Bewegung. Immerhin sprach ich als Stotterer zum ersten Mal vor vielen hundert Menschen – gegen die Aufgabe der Besetzung. Die Besetzung wurde aufgelöst. Das Grosskapital träumte noch ein bisschen vom AKW Kaiseraugst – die Sprengung des Propaganda-Pavillons auf dem vorgesehenen Gelände 1979 durch unbekannte AktivistInnen kam zur rechten Zeit. Das AKW Kaiseraugst war erledigt – zu teuer, zu viel Widerstand. Dazwischen lagen die gigantischen Feldschlachten um das AKW Gösgen (im Aargau). 1977 pilgerten wir (die

Sekte und ich) nach Gösgen. Alles war anders als in Kaiseraugst. Kein Hüttendorf, keine Bäuerinnen. Eine Feldstrasse, auf der wir (20, 25, 30 Tausend Menschen?) campierten. Die Bullen trieben uns mit einem ungeheueren Giftgaseinsatz (CS – als Kriegswaffe verboten) über die Geleise der Schnellzüge. Ich weiss noch, wie ich mich per Zufall in der ersten Reihe fand. Gas überall – die Ketten haben sich aufgelöst. Ich stolpere vorwärts, öffne halb kotzend kurz die Augen, sehe eine Reihe von Robos vor mir und rase in ein Feld. Die Medien meldeten am nächsten Tag zwanzig verletzte Polizisten. Die Ursache der «Verletzungen» meldeten sie nicht: Mücken. Für die nächste Gösgen-Demo nähte mir meine Mutter heimlich (ich stamme aus gutbürgerlichem Hause) einen Tränengasschutz aus einem Waschlappen. Moralisch hat er geholfen. > CHRISTOPH HUGENSCHMIDT, 1975 17-JÄHRIG <

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ENTSORGUNG VON ATOMMÜLL

DER BAUCH MACHT NICHT MIT – NAGRA INFORMIERT UNSERE KÖPFE 100'000 JAHRE SIND 3333 GENERATIONEN: MINDESTENS SO LANGE DAUERT ES, BIS HOCHRADIO-

AKTIVER ATOMMÜLL NICHT MEHR SOOO GEFÄHRLICH IST – JE NACH STUDIE NATÜRLICH. ENDLAGERUNG VON ATOMMÜLL IN ZEITEN, IN DENEN DIE POLITISCHE MIT DER GEOLOGISCHEN LANDSCHAFT ÜBEREINSTIMMT.

«Wir informieren. Nagra. Wer sonst?» Plötzlich tauchten diese Plakate in mehreren Schweizer Städten auf: Die Nagra1 ist auf Infotour. Meine Freundin bringt mir die Broschüren. Vier Stück, schön gestaltet, alles volksnah erklärt, «Wow, ich verstehe superkomplexe Erläuterungen und Erklärungen über Endlagerung von Atommüll, bin also doch nicht blöd», plus ein kleines Büchlein – dort alles flott zusammengefasst. Was ich aus diesen Broschüren gelernt habe, auch flott zusammengefasst: Wir schaffen das, geforscht ist nun genug, packen wir die Endlagerung an: Atomstrom ist umweltfreundlich, das Terrain gefunden, fehlt nur noch ein bisschen Informationsarbeit, damit das Stimmvieh das nächste Mal an der Urne nicht wieder mit dem Bauch abstimme: «Ein Atommüll-Endlager, weshalb gerade hier und nicht anderswo?».

ZWISCHENLAGER 50 JAHRE Der überwiegende Teil der Abfälle entsteht durch die Uranwirtschaft: Der grösste Teil (rund 80 Prozent) der radioaktiven Abfälle stammt aus dem Uranabbau, weitere Teile aus Kernkraftwerken, aus Kernforschungszentren, aus der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente und (in Kernwaffenstaaten) aus militärischen Aktivitäten im Zusammenhang mit der Herstellung von Atomwaffen. Ein mengenmässig geringer Anteil stammt aus Anwendungen radioaktiver Substanzen in der

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Medizin, Industrie und Forschung.2 Damit der radioaktive Müll überhaupt endgelagert werden kann, muss er abgekühlt werden. Hochaktive Abfälle werden, eingeschmolzen und eingeschweisst, nach einer ersten Abkühlungsperiode von fünf bis zehn Jahren in den AKWs selbst, in Transport- und Lagerbehälter umgeladen. Diese so genannten «Castor»-Behälter kommen anschliessend ins Zwischenlager (Zwilag AG) in Würenlingen, wo sie «einige Jahrzehnte» weiter abkühlen, bis dass diese dann – wie auch die schwachund mittelaktiven – ins Endlager gebracht werden können. Ins Endlager? Es gibt weltweit bis heute kein entsprechendes Lager! Zum Glück also für die BetreiberInnen, dass die Abfälle sowieso mindestens ein halbes Jahrhundert zwischengelagert werden müssen. Die Nagra – und ähnliche Institutionen in anderen Ländern – gehen heute davon aus, dass zirka im Jahre 2040 die Endlager bereitstehen müssen. Man müsse mit der Planung aber jetzt anfangen, und die Problematik nicht künftigen Generationen überlassen: «Aufgrund der umfangreichen Abklärungen und langwierigen politischen Entscheidungsprozesse ist es aber wichtig, dass Vorentscheidungen […] nicht unnötig verzögert werden.»3

ENTSORGUNGSNACHWEIS, WER GLAUBTS?

Haufen geworfen worden. Die politischen Konsequenzen werden trotzdem (immer noch) nicht gezogen. Vom Stilllegen der AKWs spricht weiterhin niemand. Im Gegenteil: Ende Juni 2005 führte das Bundesamt für Energie zusammen mit dem Forum VERA (Lobbyisten der AKW-Betreiber) eine Tagung zum Thema «Akzeptanz durch Partizipation» durch. Grund für diese Tagung: Zwar wurde mit dem 2003 in Kraft getretenen Kernenergie-Gesetz den Standortkantonen das Mitspracherecht entzogen – doch es schimmern, wie auch in den Nagra-Broschüren, noch ein paar Bedenken durch. Proteste und Widerstand könnten die Pläne behindern, wie früher schon im waadtländischen Ollon und später am Wellenberg. So ist der Tagungseinladung zu entnehmen: «Durch direktdemokratische und verfahrensrechtliche Instrumente ist die Mitwirkung der Stimmberechtigten in der Schweiz zwar festgelegt, doch sie ist in vielen Fällen nicht ausreichend und unausgewogen.» Auch die NagraBroschüren umschreiben den befürchteten Widerstand diplomatisch: «Der Bund hat eine Studie in Auftrag gegeben, welche die sozio-ökonomischen Auswirkungen eines geologischen Tiefenlagers auf die Region abklären soll. Dabei sind wirtschaftliche Folgen, wie die Schaffung von Arbeitsplätzen, Investitionen, Steueraufkommen, aber auch allfällige gesellschaftspolitische Konflikte aufzuzeigen.» Trotz neuem Gesetz soll das Stimmvolk also überzeugt werden. Doch: Die Atomwirtschaft selber kann eigentlich gar kein Interesse an einer raschen Lösung haben, vielleicht findet sich ja in den nächsten Jahren eine noch bessere Lösung – und so lange können die Entsorgungskosten tief gehalten werden!

Schön geforscht und schön kommuniziert, liebe Nagra: Eigentlich hatte diese bei ihrer Gründung 1972 versprochen, 1985 alle AKWs stillzulegen, sollte bis dahin der so genannte Entsorgungsnachweis nicht erbracht worden sein. Zwanzig Jahre sind seitdem vergangen: Jetzt aber sei der Nachweis, dass die dauernde und sichere Beseitigung dieser Abfälle in der Schweiz möglich ist, erbracht, versprechen NaGEOLOGIE UND POLITIK gra und das Bundesamt für Energie. Doch der politische Fahrplan, der MeiWo soll es jetzt gebaut werden, dielensteine für dieses und nächstes Jahr ses seriös erforschte und sichere Endvorsieht, ist schon wieder über den lager? Zuerst denkt man wohl an die


WAS SOLL INS ENDLAGER ? Wieviel Atommüll?

Wie gefährlich ist Atommüll?

Der deutsche ∫Bund Regionalverband Südlicher Oberrheinª hat einige Fragen an die NAGRA gestellt. Es ging um die zentralen Fragen, die in den Hochglanzprospekten der NAGRA nicht behandelt werden, zum Beispiel nach der chemischen Zusammensetzung der Abfälle, der geplanten Dauer der Endlagerung und der Menge der Abfälle. Die einzige konkrete Antwort war, dass 130 Kubikmeter hochradioaktive Abfälle und 4800 Kubikmeter Brennelemente ins Endlager kommen sollen. Über die Zusammensetzung, die Gefährlichkeit und die Halbwertszeiten der Abfälle wollte die NAGRA noch nichts sagen. Eine ehrliche, umfassende Antwort passt nicht ins psychologisch geschickte Durchsetzungskonzept der Atomindustrie. Da in der Schweiz der Widerstand gegen Atommüll zunimmt, besteht die große Gefahr, dass jetzt auch der leicht- und mittelaktive Müll ins Grenzgebiet nach Benken kommt, weil hier mit einem geringeren Widerstand gerechnet wird und die deutsche Bevölkerung am Verfahren nicht ernsthaft beteiligt wird.

In einem AKW entsteht in einem Jahr pro Megawatt Leistung ungefähr die kurz- und langlebige Radioaktivität einer Hiroshimabombe. Das heisst, allein im AKW Leibstadt entsteht jährlich die Radioaktivität von ca. 1100 Hiroshimabomben. Ein Teil dieser Radioaktivität zerfällt nach relativ kurzer Zeit. Manche radioaktiven Abfälle haben eine kurze Halbwertszeit von wenigen Jahren, zum Beispiel Krypton-85: 10,76 Jahre. Andere radioaktive Gifte haben extrem lange Halbwertszeiten, z.B. Jod-129: 17 000 000 Jahre. Ins Endlager kommt ein ∫Cocktailª aus vielen gefährlichen Abfallstoffen. Ein atomares Endlager muss also Sicherheit über mindestens eine Million Jahre geben, über Zeiträume, die unser Vorstellungsvermögen sprengen.

Alpen, aber diese sind geologisch sehr jung und wachsen jährlich immer noch um einige Millimeter. Ein solch junges Gebirge hat Risse, Klüfte und Spalten und kommt als atomares Endlager für langlebige hochradioaktive Spaltprodukte nicht in Frage. Nach einem Jahrzehnt Widerstand gegen das Endlager für schwach- und mittelaktive Abfälle wurde 2002 die Planung für den Standort Wellenberg im Kanton Nidwalden eingestellt. Im Wellenberg gibts Kreidemergel – 1993 als ideal für ein Endlager beurteilt. Heute gilt Opalinuston als ideales Lagergestein, entstanden aus feinem Schlamm, der sich vor rund 180 Millionen Jahren vielerorts in Mitteleuropa abgelagert hatte. Im Norden des Kantons Zürich liegen diese Tonschichten seit ihrer Entstehung weitgehend ruhig – anders etwa im Jura, wo sie gestellt oder gefaltet wurden. Also wurde das Zürcher Weinland ausgesucht.4 Im Untergrund von Benken gibt es in 400 bis 600 Metern Tiefe eine nur ca. 105 bis 125 Meter dicke (dünne!?) Schicht Opalinuston, die den Atommüll aufnehmen soll. «Bei der Nagra bestimmt der Stein

> BUND REGIONALVERBAND SÜDLICHER OBERRHEIN <

das Bewusstsein», umschreiben die süddeutschen Endlager-GegnerInnen den geologischen Schwenker! Und ja, auch nicht uninteressant, wenn vielleicht auch einfach Zufall: Der «Atlas der politischen Landschaften» der Schweiz zeigt rechte und konservative Positionen für das Zürcher Weinland und für Benken… und übrigens genauso für Würenlingen (Zwischenlager), Beznau und Gösgen-Däniken (je ein AKW). Wenn der Atommüll nicht gar so giftig wär – dann könnten sie ihn ja einfach haben, unsere Rechtskonservativen…

1 Nationale Genossen-

schaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, gegründet 1972 von den Betreibern der Schweizer Kernkraftwerke. 2 wikipedia.ch 3 Nagra 4 Nagra

Quellen: Atlas der politischen Landschaften, Bund

> ANS <

Regionalverband Südlicher Oberrhein, Bundesamt für Energie, Nagra-Broschüren 2005, Greenpeace, Wikipedia, Zeitungsberichte.

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ATOMMÜLL: EIN LAGER OHNE ENDE

BENKEN BEDENKEN SEIT EINIGEN JAHREN IST DAS ZÜRCHER WEIN-

LAND VON DER NAGRA AUSERKOREN, DAS ENDLAGER FÜR HOCHRADIOAKTIVEN ABFALL ZU ERHALTEN.

GENAUER DIE GEMEINDE BENKEN. WOBEI BENKEN AUCH SCHAFFHAUSEN, ZÜRICH, BODENSEE UND

SÜDDEUTSCHLAND MEINT, DENN DIE STRAHLUNG AN DER GEMEINDEGRENZE NICHT ENDET.

Das Zürcher Weinland thront auf einer Gesteinsschicht, dem Opalinuston. Dieser Ton hat es der Nagra angetan. Auf die Frage: «Wieso Benken?», gibt es nur eine Antwort: Wieso nicht Benken? Und hier beginnen die Probleme der Nagra. Es gibt kein Evaluationsverfahren, keine Faktoren, die herleiten, weshalb gerade Benken als Standort geeignet wäre, um den Hunderttausende von Jahren strahlenden Atommüll zu beherbergen. War es einst Kreidemergel am Wellenberg ist es heute Opalinuston bei Benken im Zürcher Weinland. Könnte es denn nicht auch im Jura sein? Es könnte wohl auch.

SO NICHT! So nicht!, sagten sich verschiedene Gruppierungen, die inzwischen im überregionalen Verein «Klar!» – Kein Leben mit atomaren Risiken – zusammengekommen sind, und begannen die Vorgänge kritisch zu hinterfragen. Und die Lagerung hochradioaktiver Abfälle ist wohl die wichtigste und am längsten zu tragende Entscheidung für uns, wie für alle nachkommenden Generationen. Bei gesellschaftlich hochbrisanten Themen ist es zwingend oder zumindest langfristig gesehen von Vorteil, die BewohnerInnen in die Entscheidungsfindung mit einzubeziehen. Da reicht ein farbig bebildertes, vier Seiten umfassendes Informations-Bro-

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schürchen nicht aus. Der Zürcher Kantonsrat lehnte eine Einzelinitiative, die die demokratische Mitbestimmung der Bevölkerung bei der Errichtung von Atomlagern sicherstellen wollte, wie dies im Jahre 1991 im Kanton Nidwalden geschehen war, im März 2001 ab. Mit so durchdachten Äusserungen wie: «Betroffenheitspolitik ist hier nicht am Platz» oder Standard: «Die Mitsprache der Bevölkerung ist durch das übliche Vernehmlassungsverfahren gewährleistet.» So lancierten «Klar!» und einige Umweltverbände die Volksinitiative «Atomfragen vors Volk». Diese wurde am 11. März 2002 mit 15 000 Unterschriften eingereicht. Doch es kam anders. Diese Volksinitiative wurde im Januar 2005 zurückgezogen. Nicht dass sie überflüssig geworden wäre, doch die Herren und Damen zu Bern haben im neuen Kernenergiegesetz festgeschrieben, dass es kein Mitbestimmungsrecht der Kantone in Bezug auf einen zukünftigen Standort eines Endlagers mehr geben wird. Die Initiative ist somit gegenstandslos geworden. National- und Ständerat haben die Stellungnahme des Bundesrates, den Standort eines atomaren Endlagers nicht über die Köpfe der betroffenen Bevölkerung hinweg zu bestimmen, negiert. Ab 1. Februar 2005 ist die Kernenergie Bundessache. Ob dieser Beschluss, der auch von allen Zürcher SVP- und FDP-PolitikerInnen zu Bern unterstützt wurde, sich schlussendlich nicht gegen die Atomlobby selbst wendet, bleibt offen, bleibt zu hoffen. Ollon (VD) in den 1980er-Jahren und Wellenberg (1995 und 2002) waren zuviel der Mitbestimmung. Fakt ist: Heute können alle nicht betroffenen Kantone den betroffenen Kanton überstimmen und damit einer Region ein Atommülllager aufzwingen. Der Entscheid über die Lagerung von hochradioaktiven Abfällen ist nicht allein Sache von Experten, es braucht hier auch die Mitsprache der Bevölkerung.

In Schweden und Finnland, die im Bereich Atommüllentsorgung Vorbildfunktion einnehmen, wird diese Mitbestimmung praktiziert. «Kann es sein, dass wir über jeden Schulhausneubau abstimmen können, nicht aber über ein Atommülllager?»1

DER EIGNUNGSBERICHT UND DIE FORDERUNGEN Die Nagra nennt zwar wohl einige Grundanforderungen, die ein Wirtgestein für ein Endlager erfüllen muss, wie geologische Langzeitstabilität, Explorierbarkeit, Flexibilität etc., doch finden sich keine quantitativen Kriterien. Somit ist der Ermessensspielraum für die Standorteignung gross. Nagra-beliebig. Und das ist gar arg beliebig. Die Überprüfung der Nagra-Ergebnisse durch die Experten der HSK (Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen) und die Kommissionen des Bundes ist momentan im Gange. Nach den technischen Prüfungen ist beabsichtigt, die Projektunterlagen und die Gutachten öffentlich aufzulegen. Einen allfälligen Entscheid über die Eignung von Benken durch den Bundesrat wird erst auf das Jahr 2006 erwartet. Diese Überprüfung findet jedoch nur am Schreibtisch statt und entspricht nicht den Buchstaben der Wissenschaft. Wissenschaftlich wäre, die Resultate von einer anderen Wissenschaftergruppe im Feld, sprich in Benken, nachzuvollziehen. So fordern «Greenpeace» und die Schweizerische Energie-Stiftung «SES» Bundesrat Moritz Leuenberger dazu auf, ein Second Team nach Benken zu senden, denn erst eine unabhängige Überprüfung würde Vertrauen und Transparenz schaffen. Die zweite Forderung ist, einen alternativen Standort zu präsentieren. Die Nagra schlägt nur einen einzigen Standort, Benken, vor. Das ist weltweit einmalig. Diese Einmaligkeit ist nun auch dem Bund zuviel geworden, er pocht nun auf eine Variantenprüfung.


SICHERHEIT UND ZUKUNFT Auf die Kritik an der Nagra, lediglich eine seismische Eichbohrung in Benken durchgeführt zu haben, erklärte Nagra-Direktor Fritschi, dies genüge, denn die Nagra müsse nur nachweisen, ob ein Endlager in Benken grundsätzlich möglich sei. Aber auch die Beschaffenheit des Benkener Untergrunds lässt zweifeln. So führen die ober- und unterhalb des Opalinustons liegenden Schichten Wasser. Die geplante Anlage muss ja mittels immensen Aufzugsschächten ausgehoben und danach versorgt werden. Diese Durchdringungen ziehen somit neue Wasserwege nach sich. Die geologische Ruhe überhaupt scheint nicht gerade gewährleistet. In der Vorzeit kamen mehrfach die Gletscher und erodierten zum Teil mehrere hundert Meter tiefe Rinnen in die anstehenden Felsformationen, auch im Zürcher Weinland. Geologisch befinden wir uns noch immer im Eiszeitalter, die Gletscher haben sich vor etwa 13 000 Jahren aus dieser Region zurückgezogen und Erosion scheint im Anblick einer eine Million Jahre langen Lagerung

nicht abwegig. Würde das Problem der Atommüllentsorgung europaweit angegangen, käme wohl niemand auf die Idee ein Endlager in der tektonisch unruhigen Schweiz zu bauen. Auch verständlich ist, dass Skandinavien als tektonisch ruhige Zone von einer europäischen Lösung nicht angetan ist. Diese Variante ist denn auch auszuschliessen, ist doch der Atommüllimport in Finnland und Schweden untersagt. Doch das Lager hat ja nicht nur strahlende Folgen. So hat der Bundesrat eine Studie zu den sozio-okönomischen Auswirkungen auf die Region in Auftrag gegeben. Das erfreut die Betroffenen keineswegs, fürchten sie doch eine schleichende Festschreibung des Standortes Benken. Bürgermeister Alfons Brohammer von Jestetten, einer direkt angrenzenden Gemeinde in Deutschland, hat anlässlich einer Kundgebung in Benken gesagt, es seien bei ihnen bereits Niederlassungen wegen der Endlagerpläne der Nagra nicht zustande gekommen. Dieses Stigma des roten Tolggen scheint schon jetzt zu greifen. Wer will denn schon freiwillig in die Nähe eines Atommülllagers ziehen?

ENDLAGER FÜR? Die Nagra ist auf der Suche nach ei- 1Käthi Furrer in der nem Endlager. Der dringende Entsor- Kantonsratssitzung vom gungsnachweis ist so dringend nicht, 17.Januar 2005 obschon der Bundesrat am 15.Februar 1978 die Kraftwerkbetreiber darauf hinwies, «… dass die Werke stillzulegen seien, wenn das Abfallproblem bis Mitte der achtziger Jahre nicht gelöst sei», unter Vorbehalt zureichender Gründe kann die Frist erstreckt werden. Wie bekannt, gab und gibt es genügend «zureichende» Gründe diese Frist zu strecken. Im Bundesamt für Energie wird die nüchterne Prognose vom Jahre 2040 bereits wieder als optimistisch bezeichnet. Wie gross die Quantität des anfallenden Atommülls ist, ist weiterhin ungewiss, denn die Laufzeiten für die Kernkraftwerke werden laufend verlängert. Nur das AKW Mühleberg besitzt noch eine Laufzeitbeschränkung auf das Jahr 2012. Auch bleibt un>

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gewiss, ob nicht gleich alle Abfälle, also schwach- und hochradioaktive, eingelagert werden, wenn es denn mal ein Lager gibt. In der Schweiz sind die Verursacher radioaktiver Abfälle gemäss Gesetzgebung für deren sichere Entsorgung verantwortlich. Das sind vor allem die Betreiber der Kernkraftwerke, aber auch der Bund mit seinen Abfällen aus Medizin, Industrie und Forschung. Erinnert sei hier auch an das Versuchsatomkraftwerk Lucens, das erst 1969 nach einem Unfall beerdigt wurde, respektive bis heute im Zwischenlager Würenlingen weiterstrahlt. Gerade mit dem im Jahre 2001 in Betrieb genommenen Zwischenlager ist der Druck auf die Nagra geschwunden, müssen doch die Brennstäbe in den Behältern sowieso erst ein paar Jahrzehnte dort abkühlen. So ist es der Atomindustrie nicht wirklich eilig, die finanzielle Bürde eines Endlagers anzugehen. Umgekehrt ist es den Umweltverbänden auch nicht eilig ein End-

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lager zu besitzen, wäre dies doch Vorschub für die technische Machbarkeit und Legitimierung der Kernkraft. Und wenn man ja ein Lager hat, wäre es ja auch dumm dieses nicht zu füllen. Die Endlagerfrage ist mit der Zukunft der Atomenergie eng verknüpft. Bis der Ausstieg aus der Atomenergie nicht beschlossen ist, wird das Druckmittel Endlager von den GegnerInnen der Kernkraft wohl kaum aus der Hand gegeben. Zweifel bleiben auch bei der Nutzung eines grossen Lagers. Die Schweiz selbst hat ja viel zuwenig Atommüll für so ein Lager und ein wenig Geld liesse sich da schon machen mit einem Endlager, das anderen Ländern offenstünde. In der Umkehrung eines europäischen Endlagers in der Schweiz setzt gerade der Regierungsrat von Schaffhausen ein, der darauf hinweist, dass der Bund sich das Recht vorbehalten hat, die Entsorgung auf Kosten der Er-

zeuger selber durchzuführen und das hat nicht zwingend in der Schweiz zu geschehen. Es ist allen Menschen viel Wert, sogar sehr viel Wert, den Atommüll möglichst fern von sich zu wissen. Pläne eines internationalen Endlagers, in denen die Schweiz eine Führungsrolle einnehme, gibt es nach Aussagen Herr Wielands im BFE nicht. Solche Projekte seien, wenn sie denn existierten, privater Natur.

DIE POLITIK DES YOGHURTBECHERS Das Problem ist, niemand will diesen Müll. Und alle diese BefürworterInnen sollen ihren Anteil, ein, zwei Yoghurtbecher, mit nach Hause nehmen und ihr Sexchäschtli neben dem Bett mit den Yoghurtbecherli auffüllen und es dann ganz fescht und so luschtig ha, bis gebiert dä neui strahlemaa. > HAKO <


TEMELIN IN TSCHECHIEN

ATOM IST DOCH GRENZÜBERSCHREITEND TEMELIN HEISST EIN KLEINES STÄDTCHEN IM

SÜDEN DER TSCHECHISCHEN REPUBLIK, 25 KM VON CESKE BUDEJOVICE UND 60 KM NORDWESTLICH DER ÖSTERREICHISCHEN GRENZE NAHE DER VIEL

BESUNGENEN MOLDAU GELEGEN. KAUM JEMAND

HÄTTE VON DIESEM SÜDBÖHMISCHEN ORT NOTIZ

GENOMMEN, WENN NICHT ENDE DER 1990-ER JAHRE EIN AUFSCHREI DURCH DIE ÖSTERREICHISCHE PRESSE UND PARTEIENLANDSCHAFT GEGANGEN WÄRE.

«Dort hinter der Grenze bauen die TschechInnen ein Kernkraftwerk!» Dass im Osten neue AKW entstehen sollen, ist seit 1986 und Tschernobyl ein heikles Thema. Doch die Ursprünge des Atomkraftwerks in Temelin liegen noch einige Jahre weiter zurück.

GEPLANT – DOCH OHNE REGEN Die ganze Anlage wurde bereits anfangs der 1980er-Jahre in Planung gegeben, im Auftrag der damals alleinherrschenden Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei. Es sollten dort vier Druckwasserreaktoren entstehen, von welchen jeder eine Leistung von 1000 Megawatt (Viermal mehr als ein konventionelles Flusskraftwerk!) bringen sollte. Die Pläne stammten aus renommierten sowjetischen Reaktorschmieden und entsprachen der Anlage in Tschernobyl. So wurde 1987 mit dem Bau begonnen, die Ereignisse im Westen der Sowjetunion ignorierend. In den ehemaligen Ostblockstaaten wurde das Reaktorunglück von Tschernobyl so gut als möglich totgeschwiegen, und auch heute noch halten russische Kernkraftwerksingenieure an der These fest, nur der auf den Unfall folgende Regen habe die Radioaktivität so weit verbreitet. 1989 mit den Umwälzungen in der Sowjetunion und den daraus resultierenden Veränderungen in den Warschauer– Pakt-Staaten kam es in Temelin zu einem Baustopp. Die sowjetischen Konstrukteure sprangen ab, die Neuorganisation der Tschechoslowakei forderte ein Umdenken in der Energie- und Um-

weltpolitik und finanzpolitische Sorgen schaft» im Entstehen begriffen war. Fetaten ihren Rest. derführend war die Bewegung «Duha», welche viele Aktionen koordinierte. DAS NEUE TEAM: DER WESTEN Auch viele lokale südböhmische Organisationen suchten eine Möglichkeit Erst 1993 beschloss die neue demo- sich gegen das ungeliebte Atomkraftkratisch gewählte tschechische Regie- werk zu wehren. Bis heute hat sich beirung den Weiterbau. Um den weltpoliti- spielsweise noch kein Landkreis in der schen Umständen Genüge zu tun, wur- tschechischen Republik bereit erklärt, de das Projekt neu ausgeschrieben und ein Atommüllendlager bereitzustellen, die US-amerikanische Firma Westing- und das Umweltministerium sieht von house erhielt den Auftrag. Nach den weiteren AKW ab. «Das Umweltminivon Anti-AKW-Protesten geprägten sterium plant (...) nicht mit einem wei1980er-Jahren, dem Unfall von Tscher- teren Ausbau der Atomenergie, sonnobyl und den Ausstiegsplänen einiger dern, dass die vorhandenen AKW bis zu Länder – Belgien, Norwegen und spä- ihrer Abschreibung genutzt werden.» ter auch Deutschland – witterten die so die Sprecherin des tschechischen westlichen Kernkraftwerkbauer wie Umweltministeriums Karolina Sulova. Siemens und Westinghouse nach dem Die Kritik richtet sich nicht nur gegen Zusammenbruch des Sozialismus öst- die Atomenergie an und für sich, sonliche Morgenluft. In den ehemaligen dern sieht keinen wirtschaftlichen Sinn Ostblock-Staaten lag ein grosses Po- im Bau eines AKWs in Südböhmen. tenzial brach. Wobei günstigerweise die Tschechien produziere genug Energie sowjetischen Konstrukteure pleite wa- für den Eigenbedarf – seit dem Niederren und die Bevölkerung im ganzen gang der energieintensiven, sozialistiÜbergangstaumel noch keine Zeit fand, schen Schwerindustrie noch mehr – sich um Umweltfragen zu kümmern. und müsse den überflüssigen Strom Es wurden 330 Mio. Dollar für den Fer- auf dem Markt zu Dumpingpreisen vertigbau veranschlagt, wovon der grösste kaufen. (Im Jahr 2004 war Tschechien Teil von der US-ExportImportBank ge- der sechstgrösste Stromexporteur deckt wurde. Die Fertigstellung der bei- weltweit!) Auch gefährde das Ersetzen den verbliebenen Reaktoren (für die der nordtschechischen Kohlekraftwerzwei anderen war die Baugenehmigung ke durch Atomenergie 15 000 Arbeitsschon abgelaufen) sollte 1997 sein. plätze – bei einer Arbeitslosenquote Doch verschiedene Pannen, der Wider- von fast 10 Prozent, und sei wie den stand im In- und Ausland liessen eine Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Die beiden Reaktoren in Temelin Inbetriebnahme erst 2002 zu. Die gesamten Kosten werden auf etwa 100 seien sehr stark (ein «normales» AKW Milliarden Kronen (5 Mia. CHF) ge- produziert nur 400 MW) und nur unzureichend gesichert. Auch wird die Zuschätzt. sammenarbeit zwischen Ost- und Westtechnologie nicht für sehr sicher PROTESTE gehalten, was sich in den vielen Pannen Die Proteste gegen Temelin began- vor und auch nach der Inbetriebnahme nen anfangs der 1990er-Jahre als in der Anlage gezeigt habe. der Tschechoslowakei nach 40 Jahren Sozialismus wieder eine «Zivilgesell>

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«JA ZUM LEBEN – NEIN ZU TEMELIN» Doch wohl am meisten zugesetzt hat den Atomplänen der tschechischen Regierung der Protest aus einer ganz anderen Richtung. Als Ende der 1990er Jahre der Angstschrei vor einem neuen Tschernobyl nahe der Heimat durch die österreichische Presse gellte, war die FPÖ gleich zur Stelle. Sie beteiligte sich an Grenzblockaden, organisierte Ende 2001 eine Unterschriftensammlung gegen einen EUBeitritt von Tschechien im Falle der Inbetriebnahme des AKW Temelin und brachte innert Kürze über 900 000 Unterschriften(!) zusammen. (Bei einer österreichischen Gesamtbevölkerung von 8 Millionen.) «Ja zum Leben – Nein zu Temelin» war die Losung und plötzlich befanden sich gutmeinende Anti-AKW-AktivistInnen mit dem chauvinistischen FPÖ Mob an den gleichen Demonstrationen. Die nationalistische Interpretation der Proteste übernahm leider die Führung, endlich konnte die FPÖ sich wieder profilieren, die tschechische Regierung schmähen, welche sich 1999 nach der Wahl der schwarzblauen Koalition (ÖVP und FPÖ) als einziger EU-Beitrittskandidat den EUSanktionen gegen Österreich angeschlossen hatte. Aber auch konnte die Haider-Partei der EU eins auswischen, welche den AKW-Bau in Temelin unterstützte und gleichzeitig gegen die geplante EU-Osterweiterung protestieren. Das alles sekundiert von der grösseren Koalitionspartei der ÖVP. Es gab grössere Verstimmungen zwischen den beiden Nachbarn. Der tschechische Premierminister Zeman gab zum Besten, Haider sei doch nur ein Postfaschist – und sprach damit wohl vielen TschechInnen aus der Seele, trug gleichzeitig aber auch Wasser

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auf die Mühlen der TemelingegnerInnen. Tschechische Medien gaben sich moderat und rieten dem aufbrausenden Premier zur sorgfältigeren Wortwahl. Und doch konnte man in der «Mlada Fronta Dnes», der auflagenstärksten tschechischen Tageszeitung lesen: «Uns gab es schon vor Österreich, uns wird es auch nach Österreich geben… aber werden wir nach den unendlichen österreichischen Protesten auch Mitglied der EU werden… ?» Der nationalistische Schlagabtausch liess in Tschechien jedenfalls die Befürchtungen vor dem Kernkraftwerk schwinden, so dass sich in Umfragen jeweils eine grosse Mehrheit für die Inbetriebnahme aussprach. Währenddessen rief die ÖVP nach Einhaltung der europäischen Kernenergiestandards, musste aber bald zurückkrebsen, als bekannt wurde, dass es solche gar nicht gibt. Die internationale Atomenergiebehörde IAEA mit Sitz in Wien (!), bezeichnete das AKW Temelin gar als sicherstes Kraftwerk in Osteuropa.

AKTIEN SIND NICHT IMMER GUT Später zeigte sich die niederösterreichische Regierung als Falschspielerin, als bekannt geworden war, dass die von ihr kontrollierten Niederösterreichischen Elektrizitätswerke NEV Aktien Schweizer AKW besassen. Das machte sich nach den wochenlangen Protesten ebendieser Regierung gegen Atomkraft nicht besonders gut – besonders da Österreich ja atomfrei ist. Erst als sich auf Druck der EU, welche den AKW-Bau protegierte, der österreichische Premier Schüssel und die tschechischen Amtsträger in geheimen Absprachen über weitere

Sicherheitsmassnahmen einigen konnten, wurden die Protestierenden in Österreich nach Hause geschickt. Vor allem die beiden grossen Atomstromproduzenten Grossbritannien und Frankreich hatten im EU-Rat auf Staatssouveränität in Energiefragen gepocht. Ob nun die internationale Atomlobby einen Sieg wegen eines aufgebauschten Nachbarnkonflikts davongetragen hat, bleibt einer späteren Analyse überlassen. Die tschechische Energiegesellschaft CEZ ihrerseits bereitet die Bevölkerung schon auf einen weiteren AKW-Bau so in 15, 20 Jahren vor. > RADIO REPETE <


EHEMALIGE POLITISCHE GEFANGENE IN URUGUAY

«GESCHICHTE VOR DEM VERGESSEN BEWAHREN» EIN INTERVIEW MIT EHEMALIGEN POLITISCHEN

GEFANGENEN ÜBER IHRE ORGANISATION IM HEUTIGEN URUGUAY, ZWEI MONATE NACH DEM AMTSANTRITT DER ERSTEN MITTE-LINKS-REGIERUNG IN DER GESCHICHTE DES LANDES.

Fünfzehn Jahre nachdem der soziale Druck die letzten politischen Gefangenen in Uruguay befreit hatte, organisierte eine Gruppe ehemaliger Inhaftierter ein Treffen. Daraus entstand CRYSOL, die Vereinigung der ehemaligen politischen Gefangenen Uruguays, welche Mitte 2000 gegründet wurde. Das ursprüngliche Anliegen, einen Raum für Begegnungen und Arbeitsvermittlung zu schaffen, wurde inzwischen um Menschenrechtsarbeit, die Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte und die Unterstützung von ehemaligen Gefangenen mit gesundheitlichen Problemen erweitert. Im Zentrum Montevideos dient ein Haus als Treffpunkt, Sitzungsraum und Koordinationspunkt. Zwei Tage vor den Gemeindewahlen Anfang Mai – die einen unerwartet deutlichen Sieg auch in ländlichen Gebieten bewirkten – finden Jorge, Estela, María Eugenia und Baldemar Zeit für ein Gespräch. Könnt ihr euch bitte kurz vorstellen und sagen, was CRYSOL für euch bedeutet.

Estela (E): Als ehemalige politische Gefangene ist CRYSOL für mich aus mehreren Gründen wichtig. Einerseits haben wir als ehemalige politische Häftlinge einen Raum, um uns Jahre danach zu treffen. Ausserdem ermöglicht es uns, die kritische Situation von verschiedenen Compañeros/as kennenzulernen – es gibt wirklich sehr traurige Fälle – und uns zu überlegen, wie wir mit ihnen solidarisch sein können. Eine Antwort ist der Vorschlag einer Rentenreform, um vor allem für diese Compañeros/as eine Lösung zu finden. Obwohl wir verschiedenen linken Spektren entstammen, sehen wir die aktuelle Situation grösstenteils ähnlich.

Baldemar (B): Ich kam durch die Amnestie aus dem Knast, der den Namen «Libertad» (Freiheit) trägt. Eigentlich war es ja gar keine Amnestie, sie haben einfach jedes Jahr dreifach gezählt. Einige Fälle sind formaljuristisch auch heute noch nicht abgeschlossen. Für mich ist meine Präsenz in diesem Treffpunkt einerseits ein Ausdruck von gesellschaftlichem Engagement, aber vor allem komme ich hierher, um die Compañeros/as zu treffen. María Eugenia (ME): Die Zeit im Gefängnis von Punta de Rieles zwischen 1979 und 1984 war eine sehr einschneidende Zeit für mich. Meine Arbeit in CRYSOL hat mit dieser Erfahrung im Knast zu tun. Das Zusammenleben mit anderen Frauen hat mir die Bedeutung des Wortes Solidarität in seiner Essenz vor Augen geführt und deshalb war es für mich auch so wichtig, danach wieder mit den compañeras von damals – und den compañeros, die wir ja nicht kannten – zusammenzukommen und uns auszutauschen. Für mich als ehemalige Gefangene, Frau und Mutter ist das Andenken sehr wichtig. «Nie Wieder» darf nicht nur ein Schlagwort sein. Was geschehen ist, darf nicht in Vergessenheit geraten und deshalb bin ich Teil von CRYSOL. Die Lage von uns ehemaligen Gefangenen beschäftigt mich, da sie von grossen Teilen der Bevölkerung und teilweise auch von uns selbst ignoriert wird. Jorge (J): Meine Mitgliedschaft in der MLN-Tupamaro hat mir zwölf Jahre Gefängnis eingebracht. Heute lebe ich in Buenos Aires in Argentinien, aber wenn ich im Land bin, schaue ich immer mal hier vorbei.

Meiner Ansicht nach hat sich CRYSOL verändert. Heute ist die Organisation mehr auf die Gegenwart ausgerichtet und beschäftigt sich mit der Zukunft und nicht nur mit melancholischen Erinnerungen an die Vergangenheit. Das Gefängnis hat sich, gewollt oder ungewollt, zu einem Mythos in unserem Leben entwickelt. Unser Leben davor und danach steht in unmittelbarem Bezug zu dieser Zeit, der wir nicht nachtrauern, die aber Teil unserer Realität ist. Mich interessiert vor allem die Zukunftsperspektive von CRYSOL und der Bezug zum aktuellen Geschehen: Dem Wahlsieg der Frente Amplio1. Wir sehen diesen Wahlsieg nicht mit romantischen, sondern mit kritischen Augen und versuchen von der real existierenden Situation auszugehen. Wünsche und Tatsachen in Einklang zu bringen, ist nicht immer einfach, einzusehen was möglich ist und was nicht, die Grenzen erkennen. In der Frente Amplio sind linksradikale bis zentristische Positionen (der Ausdruck gemässigte Rechte stösst in der Runde auf Widerspruch) vereint und die ideologische Diskussion ist in vollem Gange. Die Kräfteverhältnisse werden den Weg dieser Regierung bestimmen. Was ist in euch an diesem historischen 31. Oktober vorgegangen, als klar war, dass die Linke die Wahlen gewonnen hatte; welche Bedeutung hatte dieser Moment für euch?

J: Für mich war es ein sehr bewegender Moment. Auch während meiner Zeit als Tupamaro fühlte ich mich den KommunistInnen immer sehr verbunden und schätzte alle AktivistInnen, egal woher sie kommen. In diesem Mo>

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Im Uhrzeigersinn: María Eugenia √ fünf Jahr im Frauengefängnis von Punta de Rieles (1979-84). Jorge √ zwölf Jahre in Haft wegen seiner Zugehörigkeit zu den Tupamaros, lebt seit 20 Jahren in Buenos Aires. Estela √ während einer Zeit ihrer Gefangenschaft hat sie mit María Eugenia die Zelle geteilt. Baldemar √ Seine Gefangenschaft verbrachte er im Gefängnis ∫La Libertad √ die Freiheitª, bis er durch die Amnestie freikam.

ment habe ich an all diejenigen gedacht, die auf dem Weg geblieben sind. All diese Freude, die Menschenmenge und die Fahnen habe ich mit der Frage nach der Zukunft und der realen Möglichkeiten gesehen, obwohl es mir gelang die Losung «heute wird gefeiert und morgen sehen wir dann, wie regiert werden kann» umzusetzen und das Fest in vollen Zügen zu geniessen. 30 Jahre, eine ganze Generation, hatten wir darauf gewartet. Aber unsere Wurzeln gehen auf die AnarchistInnen Ende des 19. Jahrhunderts zurück und heute sehen wir nun das Resultat als Ergebnis einer Kette von historischen Ereignissen. Mich hat die Figur des/der anonymen AktivistIn immer sehr beschäftigt. Wir haben Symbolfiguren wie Ché Guevara, Fidel Castro, Sandino und viele andere mehr. Aber mich beschäftigen all die AktivistInnen, die ihr ganzes Leben gegeben haben und auf keinem Foto verewigt sind, all diejenigen, die in den Bergen und Städten gefallen sind. Sie alle waren an diesem Tag an-

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wesend und für mich war die Erinnerung an sie eine Art Pflicht. B: Dieser Wahlsieg am 31. Oktober war das Ergebnis eines langwierigen Akkumulationsprozesses, der seinen Anfang Mitte der 1950er Jahre mit dem Ende der goldenen Zeiten Uruguays nimmt. Damals beginnen die ersten Proteste und parallel dazu das Säbelrasseln als Vorbote der Militärdiktatur, die Militärkurse in der Kanalzone von Panamá, etc. 1971 wird die Frente Amplio gegründet. Bereits 7 Jahre zuvor hatten sich alle ideologischen Strömungen der ArbeiterInnenbewegung im einheitlichen Gewerkschaftsdachverband CNT zusammengeschlossen. Trotz interner Differenzen gelang es die Einheit aufzubauen. Während der Militärdiktatur wird die CNT verboten und das multisektoriale ArbeiterInnenplenum (PIT) entsteht. Nach der Diktatur schliessen sich beide Organisationen in der PIT-CNT zusammen und politisch stärkt sich das Linksbündnis EP – FA2 als Sammelbecken der fortschrittlichen Kräfte des Landes. Wie gedenkt ihr eure moralische Autorität als ehemalige politi-

sche Gefangene für den Aufbau des neuen Uruguay in die Waagschale zu werfen und was erwartet ihr konkret von der neuen Regierung?

E: Ich denke, wir sind dazu aufgerufen, einen Beitrag an die kollektive Erinnerung zu leisten und unsere Erfahrungen für dieses «Nie Wieder» an die neuen Generationen weiterzugeben. Aber die Geschichte besteht nicht nur aus Auseinandersetzungen und Kämpfen, sondern auch aus diesem Aufbau der Gemeinsamkeit, der Einheit, die eine Grundlage für das Erreichen weiterer Ziele darstellte. Niemals hätten wir eine fortschrittliche Regierung ohne die Einheit innerhalb der Linken in Form der Parteienallianz und des Gewerkschaftsdachverbandes. Diese Geschichte der Einheit weiterzugeben, ist wichtig für die Zukunft. Damit werden der Bevölkerung Elemente vermittelt, um die Regierung in die gewünschte Richtung zu lenken. B: Unser Beitrag als ehemalige Gefangene? Ausser der eigenen Erfahrung kommt mir da wenig in den Sinn. Die Tatsache gesessen zu haben bedeutet an sich nichts, aber wir können im


DREI KONKRETE FORDERUNGEN AN DIE NEUE REGIERUNG Mit der Möglichkeit einer progressiven Regierung vor Augen hat die Vereinigung der ehemaligen politischen Gefangenen in Uruguay √ CRYSOL einen Forderungskatalog aufgestellt. Dieser beruft sich auf die international anerkannte Pflicht der Staaten, die Opfer von staatlichem Terror mit der Wahrheit, dem Andenken und materieller Wiedergutmachung an die direkten Opfer zu entschädigen. Auf dieser Basis wurden die folgenden drei Forderungen erarbeitet: • ein Programm zur Erleichterung der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt für ehemalige Gefangene und deren direkte Familienangehörige, die seit langem arbeitslos sind;

Quartier, in den sozialen Bewegungen, etc. unseren Beitrag leisten, denn die Mehrheit der ehemaligen Gefangenen ist politisch gebildet. Die Generation zwischen 25 und 45 Jahren erlebte die Diktatur mit einem Eimer über dem Kopf, in ihrer Mehrheit sind sie apolitisch und kaum motiviert. Zum Glück sind die heutigen Jugendlichen offener und da besteht eine Gelegenheit, unsere Erfahrungen zu vermitteln. Ich habe eine Tocher in jugendlichem Alter und manchmal denke ich, wir leben in verschiedenen Welten. Ab und zu höre ich mit ihr zusammen Rock um danach wenigsten ein bisschen zusammen zu plaudern. E: Die vorhergehenden Regierungen schwiegen sich über die Ereignisse während der Diktatur aus. Ich habe ebenfalls eine Tochter im jugendlichen Alter und der Geschichtsunterricht hört ab einem bestimmten Moment auf. ME: Die offizielle Geschichtsschreibung geht bis zur militärischen Niederlage der MLN-Tupamaros 1972, aber das ist falsch. Die Gefangenschaft hat sichbare und unsichtbare Schäden hinterlassen, die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt, das persönliche und familiäre Leben einschneidend betroffen – habt ihr spezifische Anliegen an die neue Regierung, vor allem auch hinsichtlich der Compañeros/as in schwierigen Situationen, von denen Estela sprach?

B: Als wir aus dem Gefängnis kamen, hatten viele keine Arbeit. Vor allem

• eine Rentengesetzreform, die in Kürze dem Parlament vorgelegt werden wird, um die Opfer von Staatsterrorismus zu berücksichtigen und die perverse aktuelle Situation zu ändern, in welcher den Folterern die jahrelange Quälerei für eine Rente angerechnet wird, ihren Opfern dagegen mehrheitlich nicht; • ein Entschädigungsgesetz für die Opfer auf der Basis der Anerkennung der staatlichen Verantwortung für die begangenen Verbrechen.

während der Diktatur war das gar nicht einfach. Wir, die zum «Glück» erst nach der Demokratisierung freikamen, hatten es etwas weniger schwer. Aber vor allem für die Compañeros/as im fortgeschrittenen Alter war es nicht leicht. E: Ich denke, wir haben ein Recht auf Wiedergutmachung, um die Wunden der Vergangenheit zu schliessen und die Demokratisierung zu vertiefen. Wir haben ein Gesetz, das die Straflosigkeit für alle Verbrechen dieser Zeit festschreibt. Wir fordern eine Debatte über das, was vorgefallen ist, die auch eine Diskussion und Kritik der Methoden und Aktionslinien der Linken nicht ausschliesst. Wir wollen wenigstens eine gesellschaftliche Verurteilung erreichen, um den kommenden Generationen nicht den Eindruck zu vermitteln, dass hier ganz einfach nichts geschehen ist. Aus diesen Gründen fordern wir die Reform des Rentengesetzes, Erleichterungen für die Eingliederung in den Arbeitsmarkt und Andenken mit Gerechtigkeit. E: Über das Gesetz zur Festschreibung der Straflosigkeit wurde unter der Drohung eines neuen Militärputsches abgestimmt. Aber der Artikel 4 lässt immerhin die Möglichkeit offen, die Täter zu verurteilen, bietet eine Möglichkeit für die es zu kämpfen lohnt. ME: Als ehemalige Gefangene müssen wir uns bewusst sein, dass die Leute keine Ahnung haben, was geschehen ist, hier kommen ständig SchülerInnen auf der Suche nach Information an. Ich will, dass dies Teil der offiziellen Geschichte wird, denn das wird helfen zu verhindern, dass es wieder passieren

kann. Das Gesetz der Straffreiheit ist nicht mehr als das: ein Gesetz – es kann abgeändert oder anulliert werden. Die Frage ist, wie das Kräfteverhältnis ist und ob der politische Wille dafür vorhanden ist. B: Das Geschehene nicht vergessen zu machen ist Priorität Nummer 1. Vor diesem Interview haben wir im Gespräch mit einigen Männer festgestellt, dass wir nicht in der Lage waren, etwas ähnliches wie die Compañeras, die in Punta de Rieles3 inhaftiert waren, hinzukriegen. Wir Männer haben bislang ausser zerstreuten Erinnerungen in verschiedenen Publikationen keine kollektive Arbeit zum Thema Geschichtsschreibung geleistet. Deshalb ist für mich allererste Priorität diese Geschichte vor dem Vergessen zu bewahren, den Jungen zu vermitteln, was hier in den 1960er und 1970er Jahren geschehen ist. Zu erzählen, was das hier vor der Diktatur war, die Kämpfe der ArbeiterInnen, StudentInnen und sozialen Bewegungen, der hohe Politisierungsgrad und die ständigen Demonstrationen auf den Strassen, aber auch die Repression bis hin zu politischen Morden an Liber Arce, Susana Pintos, Hugo de los Santos, Julio Espósito und anderen Compañeros/as. Wir müssen den Artikel 4 des Straffreiheitsgesetzes in seiner vollen Tragweite ausnutzen, damit die Wahrheit bekannt wird und den Jungen diese Kämpfe – die in Uruguay wirklich stattgefunden haben – vermitteln.

1 Am 31. Oktober 2004

beendet die absolute Mehrheit im ersten Wahlgang für das progressive Parteienbündnis Encuentro Progresista-Frente AmplioNueva Mayoría (EP-FANM) 200 Jahre Vorherrschaft der Traditionsparteien. 2 Heute EP-FA-NM als

Zungenbrecher für Encuentro ProgresistaFrente Amplio-Nueva Mayoría, die seit dem 1. März die Regierung stellt. 3 Diese haben ihre Geschichte im Knast gemeinsam reflektiert, aufgeschrieben und publiziert.

> BEAT SCHMID <

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… UND WER PROFITIERT VOM SCHULDENERLASS?

G8 – CLUB DER HEUCHLER UND LÜGNER VOM 6. BIS 8. JULI TRAFEN SICH DIE FÜHRER DER ACHT GRÖSSTEN INDUSTRIENATIONEN AUF

EINEM SCHOTTISCHEN GOLFPLATZ ZUM ALLJÄHR-

LICHEN G8-GIPFEL. TROTZ DER BOMBEN IN LONDON SEI ES EINES DER ERFOLGREICHSTEN G8TREFFEN GEWESEN, LAUTETE DAS EINHELLIGE

FAZIT DER BERICHTERSTATTUNG IN DEN BÜRGERLICHEN MEDIEN. DOCH WORIN LIEGT DIESER ANGEBLICH HISTORISCHE ERFOLG?

Dass Gastgeber Tony Blair es geschafft hat, Bob Geldof und Bono und mit ihnen zahlreiche Popsternchen in seinen Plan einzubinden, öffentlichkeitswirksam einen minimen Teil der Schulden der ärmsten Länder zu streichen? Ein realer Schuldenerlass wäre durchaus ein sinnvoller Schritt auf dem Weg zu mehr globaler Gerechtigkeit. Doch das Resultat von Gleneagles könnte nicht weiter davon entfernt sein. Mit dem beschlossenen Schuldenerlass sollen nur die Schulden der 18 ärmsten Länder bei drei Finanzinstitutionen gestrichen werden (der Weltbanktochter International Development Agency IDA, dem Internationalen Währungsfonds IWF und der Afrikanischen Entwicklungsbank). Jedoch wird die erlassene Summe – insgesamt ist von rund 45 Milliarden Euro die Rede – von künftigen Entwicklungshilfegeldern wieder abgezogen. Gegenüber der Öffentlichkeit wurde dieses Spiel dreist als «historischer Durchbruch» gefeiert. Gewinner sind jedoch einzig die drei multilateralen Finanzinstitutionen, deren Ausstände von den G8-Staaten übernommen werden. Dazu kommt, dass noch nicht genau definierte Bedingungen an den Schuldenerlass geknüpft werden. Die betroffenen Länder müssen unter anderem eine gute Regierungsführung («Good Governance») vorweisen können. Dass es bei diesem Schlagwort nicht einfach um die Bekämpfung der Korruption geht, son-

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dern vor allem um die Öffnung der Märkte für die Multis, hat der neue Weltbank-Präsident und frühere stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz in einem Zeitungsinterview bestätigt: «Wir reden nicht losgelöst über Hilfe, das hat Tony Blair ganz deutlich gemacht. Es gibt einen Deal für einen Deal. Es geht um Hilfe für eine Gegenleistung. Regierungsfähigkeit bedeutet gemeinsame Verantwortung. Es ist nicht nur Aufgabe afrikanischer Regierungschefs, die Korruption zu bekämpfen. Es geht auch um bessere Verhaltensweisen im Falle multinationaler Firmen.» (Die Welt, 4.7.2005). Die Verdoppelung der Entwicklungshilfe der G8-Staaten auf jährlich 50 Milliarden Dollar, die Blair in Gleneagles voller Stolz bis ins Jahr 2010 in Aussicht gestellt hat, wird somit auch ohne Wirkung bleiben. Mit der erzwungenen Öffnung der Märkte für die Multis wird die Ausbeutung und Abhängigkeit der ärmsten Länder erhöht und nicht Armut bekämpft. Der «historische Durchbruch» ist also nichts anderes als die Zementierung der seit über 500 Jahren bestehenden Weltordnung. Es geht nicht darum, die Armut zur Geschichte zu machen, sondern die öffentliche Meinung in den reichen Ländern zu befrieden. Wir dürfen beruhigt sein, wenn Bono seinen Freund Bill Gates – den reichsten Mann der Welt – auf die Live8-Bühne holt. Dieser kann dann medienwirksam davon träumen, dass eines Tages alle Menschen ein gesundes Leben führen können, egal wo sie leben. Ein kleiner Widerspruch, auch angesichts der Tatsache, dass bei einem weiteren Hauptthema des G8-Gipfels – der Klimaerwärmung – nicht mal ein Scheinresultat vermeldet werden konnte. Man habe sich angenähert, hiess es. Damit ist wohl gemeint, dass US-Präsident Bush zum ersten Mal in Erwägung zog, dass es einen Zusammenhang geben könnte zwischen der Klimaerwärmung und menschlichem Verhalten. Im gleichen Atemzug hat er keine Zweifel

aufkommen lassen, dass die USA unter seiner Führung niemals das KyotoProtokoll unterzeichnen werden, mit dem sich die Regierungen verpflichten, Luftschadstoffe abzubauen.

IM SCHATTEN DES TERRORS Einig in Gleneagles waren sich die Staatschefs dafür beim Kampf gegen den Terrorismus. Die blutigen Bombenanschläge gegen PendlerInnen in London kamen ihnen dabei gerade gelegen, boten sie ihnen doch die Gelegenheit, in Einmütigkeit aufzutreten und zu versichern, dass sie alles daran setzen wollen, zusammen und mit allen Mitteln gegen den Terrorismus vorzugehen. Damit wurde der «Kampf gegen Terrorismus» einmal mehr zum Hauptthema eines Gipfeltreffens. Für die Blairs und Bushs und Konsorten eine weitere Gelegenheit, auf die Notwendigkeit von mehr Überwachung, Kontrolle und polizeiliche/militärische Aufrüstung zu verweisen. Die Zeiten, in denen sich die Präsidenten der G8-Staaten öffentlich über den Irakkrieg stritten, sind längst vergessen, obwohl nicht einmal die USA abstreiten können, dass aufgrund ihres Vorgehens im Irak der Nährboden geschaffen wurde für Terroranschläge wie jener in London. Wie friedlich die Absichten der G8Staaten wirklich sind, zeigt auch ein kürzlich veröffentlichter Bericht von Amnesty International, der zum Schluss kommt, dass rund 80 Prozent der international gehandelten Waffen aus den G8-Staaten stammen. Auch gelegen kam den Staatschefs in Gleneagles, dass mit den Bomben in London der Widerstand gegen den G8Gipfel aus den Medien verschwand. War zuvor noch über die Proteste im Vorfeld des Treffens berichtet worden, schien es seit der Gipfeleröffnung keine Kritik an der Politik der G8 zu geben. Der Widerstand war jedoch massenhaft, vielfältig und lebendig. Mindestens 250’000 Leute waren nach Schottland gereist, um gegen den G8-Gipfel zu de-


NEUER DRUCK ZUR LIBERALISIERUNG

WTO-GENERALRAT IN GENF ENDE JULI TRAF SICH DER WTO-GENERALRAT. BIS

REDAKTIONSSCHLUSS KURZ VOR DEM TREFFEN VER-

SUCHTE DIE EU DEN DRUCK AUF DIE ENTWICKzierten Ministerkonferenz. monstrieren. Sie protestierten gegen LUNGSLÄNDER ZU ERHÖHEN, DAMIT SIE SICH ZUR Dass die Verhandlungsformen laudie rassistische Asyl- und MigrationsLIBERALISIERUNG IHRES DIENSTLEISTUNGSSEKter Ausschlussmechanismen beinhalpolitik der G8, blockierten Schottlands ten, erstaunt nicht: Die Verhandlungen Atom-U-Boot-Stützpunkt, besetzten in TORS BEREIT ERKLÄREN. der WTO gehen nicht so voran, wie es einem «Carnival of Full Enjoyment» die an weiteren Liberalisierungen inter(Karneval der Vollerfreuung – statt Vollessierten Länder gerne hätten. In den beschäftigung) die Stadt Edinburgh, Ende Juli trat der WTO-Generalrat in vergangenen Jahren scheiterten gleich Tausende blockierten die Strasse nach Genf zusammen. Zur Frage, was das zwei Ministerkonferenzen: einmal in Gleneagles und rissen am Eröffnungszweithöchste Gremium der Welthan- Seattle im November 1999 und ein tag des G8-Gipfels den um den Tadelsorganisation beschliessen will, be- zweites Mal in Cancún, wo das geplangungsort errichteten Zaun nieder. stand kurz vor dem Treffen Uneinigkeit. te Investitionsabkommen verhindert Genauso wie die Medien nicht über Einige Länderdelegationen wollten le- wurde. Dies darf, wenn es nach den die Proteste berichteten, verschwiegen diglich eine Auslegeordnung machen, WTO-Vorantreibern geht, in Hong Kong sie die Repression. Damit die G8-Gipwährend andere bereits Teile einer Mi- nicht passieren. Da kommt es ihnen felteilnehmer von den Protesten unbenistererklärung vorzubereiten gedach- gelegen, Beschlüsse in den so genannhelligt blieben, wurde die grösste Zahl ten. Dass WTO-VorantreiberInnen ger- ten Green Room Meetings vorzubevon PolizistInnen aufgeboten, die das ne Letzteres sehen würden, ist unbe- stimmen, das heisst unter Ausschluss Vereinigte Königreich je gesehen hat. stritten. Am liebsten hätten sie alles der Mehrheit der WTO-Mitglieder. Beim Protestierende, JournalistInnen und soweit vorbereitet, dass an der Mini- Generalratstreffen vor einem Jahr waPassantInnen wurden stundenlang einsterkonferenz im Dezember in Hong ren dabei die fünf in der Agrarfrage dogekesselt, in Edinburgh durchkämmten Kong die Verhandlungen zum Dienst- minierenden WTO-Mitglieder, die EU, Polizeivideotrupps während der Proleistungsabkommen (GATS) zu einem USA, Australien, Brasilien und Indien, teste die Stadt, hielten Leute ohne erAbschluss kommen und es nur noch im Zentrum. Da hatten selbst einige Inkennbaren Grund fest und durchsuchum die Verabschiedung der entspre- dustrieländer Schwierigkeiten, ihre ten sie. Über 700 Protestierende wurInteressen einzubringen, die anders als chenden Dokumente geht. den verhaftet und viele von ihnen in GeLänder des Südens nicht den Nachteil fängnissen festgehalten. haben, dass sie am WTO-Sitz nur mit Auch in zahlreichen anderen LänVORENTSCHEIDEN kleinen Delegationen vertreten sind. dern und Städten fanden Proteste geDiese Verhandlungsweise führte Zwar hat der WTO-Generalrat keine gen die G8 statt, etwa in Buenos Aires, Entscheidungsmacht, denn diese liegt auch dazu, dass die in Cancún gegrünMoskau, Wien, Perth, Sydney, Amsterbei der Ministerkonferenz. Der aus Ver- deten Allianzen zwischen Ländern des dam, Nijmegen, Groningen, Barcelona, treterInnen der 148 Mitgliedsländer zu- Südens ihre gebündelte Widerstandsdiversen Städten in den USA, in Engsammengesetzte Rat hat jedoch in jün- kraft nicht nutzen konnten. Hinzu land, Deutschland und der Schweiz. gerer Zeit mehr und mehr Kompeten- kommt, dass die südlichen Länder nur Und der Widerstand wird weiter gezen übernommen. Nach dem Scheitern in der Agrarfrage eine gemeinsame hen, so lange die G8-Staaten ihre neolider Ministerkonferenz in Cancún im Haltung finden konnten. Bei der Frage berale und neokolonialistische Politik September 2003 kam ihm die Rolle zu, der Industriegüter sind sie sich schon weitertreiben. Dieser Club von HeuchEntscheidungen für den weiteren Ver- weniger einig, und beim Thema der lern und Lügnern wird weiterhin die lauf der Verhandlungen zu treffen. Und Dienstleistungen können aufgrund der entlegensten Ecken aufsuchen müsals er Ende Juli des vergangenen Jah- grossen Differenzen kaum Allianzen sen, um seine illegitimen Treffen abhalres zusammentrat, nahmen entgegen gebildet werden. So sind etwa Brasilien ten zu können, bis sie endgültig geder Pläne rund vierzig Handelsminister oder Venezuela sehr zurückhaltend, stürzt werden. – vor allem aus den Industrieländern wenn es um die Öffnung des Dienstleiund grossen Schwellenländern – an stungssektors für private Investoren > ANTI-WTO-KOORDINATION < dem Treffen teil, und das Generalrats- (primär aus den Ländern des Nordens) Treffen wurde praktisch zu einer redu- geht, solche hingegen, die bereits einen > INTERNATIONALISTISCHE megafon Nr. 286, August 2005

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grossen Teil privatisiert haben, wie etwa Chile, gehören zu den VorantreiberInnen.

FREIWILLIGKEIT ERZWINGEN Das Generalrats-Treffen vor einem Jahr forderte von den WTO-Mitgliedsländern, dass sie bis Mai dieses Jahres erklären, welche Bereiche sie zu öffnen bereit sind. Nun beklagen die an weitgehenden Liberalisierungen interessierten Länder (insbesondere die Industrieländer) sowohl die «ungenügende Anzahl» als auch die «mangelnde Qualität» der eingegangenen Liberalisierungsofferten. Sie beschwören laut Marianne Hochuli von der Erklärung von Bern eine eigentliche Krise in den Verhandlungen herauf, um die Länder des Südens zu weiteren Zugeständnissen zu drängen. So schlägt die EU kurz vor dem Treffen des Generalrats als «Lösung» vor, dass sich alle Länder zur Öffnung von einer festgelegten Zahl Sektoren verpflichten. Das im Dienstleistungsabkommen (GATS) noch enthaltene Prinzip der Freiwilligkeit fällt damit diskussionslos weg. Die darauf erfolgte Antwort aus Brasilien war entsprechend verärgert: Die Lösung sei nicht, die Entwicklungsländer zu mehr Konzessionen zu zwingen, schrieb die Delegation. Das Problem sei vielmehr das fehlende Entgegenkommen der Industrieländer. Diese wollten sich mit dem EU-Vorschlag nun eine Runde herausnehmen, in der sie nichts geben müssten, weil sie das bereits Liberalisierte noch einmal anböten. In der Tat ist der Vorschlag ein weiterer Hohn auf den Namen der so genannten Entwicklungsrunde. Diese sollte, so die Rhetorik, den Ländern des Südens zugute kommen. Dabei wurde mit Entwicklung das bezeich-

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net, was zu einer vollständigen Öffnung der Märkte im Dienstleistungsund Industriesektor führen soll und das Potential hat, die einheimische Produktion und den Dienstleistungssektor zu zerstören. So bereits in Ländern gesehen, wo auf Geheiss der Weltbank oder des Internationalen Währungsfonds die Märkte geöffnet und Dienstleistungen – Wasser, Transporte, Tourismus, Bildung, Gesundheit, Finanzen und weiteres – privatisiert werden mussten. Die Industrieländer versprechen im Gegenzug einmal mehr, ihre Agrarmärkte für Produkte aus dem Süden zu öffnen, ihre Exportsubventionen zu reduzieren und Zölle abzubauen – ein Versprechen, das sie bereits zum x-ten Mal in die Waagschale werfen, um ein Entgegenkommen aus den Ländern des Südens herauszupressen, von deren Marktöffnung sie sich Gewinn erhoffen. > YVONNE ZIMMERMANN <

GEGEN DIE KONZERNHERRSCHAFT IN DER WTO Die Geneva People»s Alliance rief für den 27. bis 30. Juli zu einer internationalen Mobilisierung in Genf auf. Ein ∫Generalrat der Menschen dieser Weltª sollte die hinter verschlossenen Türen stattfindenden Verhandlungen des WTO-Generalrats überwachen und gleichzeitig einen offenen Raum für Debatten zur aktuellen und zukünftigen Handelspolitik schaffen. Ebenfalls fand ein kulturelles Festival statt, und zum Übernachten wurde ein Zeltplatz zur Verfügung gestellt. Die Mobilisierung wurde von attac, zahlreichen NGOs sowie Via Campesina, einem Zusammenschluss von Bauernbewegungen weltweit, unterstützt. Artikel aus dem Vorwärts Nr. 27/2005. Danke! www.vorwaerts.ch Aktuelle Infos: www.attac.ch

BÖÖTLEN GEGEN G8 Mit einer Woche Verspätung fand die Gummibootdemonstration gegen den G8Gipfel von Thun nach Bern doch noch statt. Nachdem die Demo aus wetterbedingten Gründen am 10. Juli abgesagt werden musste und nur ein Dutzend Untentwegte den unsommerlichen Temperaturen trotzten, besammelten sich am 16. Juni gegen 300 Leute in Thun-Schwäbis und bereiteten ihre Boote zum Einwassern vor. Mit zahlreichen schwimmenden Transparenten, Totenkopffahnen und wasserdichten Flugblättern machten sich die DemonstrantInnen in rund 50 mehr oder weniger flusstüchtigen Booten auf den Weg nach Bern. Obwohl die Boote nicht immer einen geschlossenen Demozug bildeten, staunten die PassantInnen am Ufer über die ungewohnte Demonstration auf der Aare. Inwiefern die Durchsagen der beiden mitgeführten Megafone verständlich waren entzieht sich der Kenntnis des Berichterstattenden. Im Berner Marzili angekommen, erklommen die DemonstrantInnen die Treppen zum Bundeshaus und luden zum gemütlichen G8-Bräteln neben dem Wasserspiel. Die Musik aus den mitgebrachten Lautsprechern entzückte die zahlreichen TouristInnen, PassantInnen und DemonstrantInnen gleichermassen. Nachdem kurz vor 23 Uhr der Strom aus den mitgebrachten Autobatterien ausging, verschob sich die Party zum Bärenplatz, wo eine neue Stromquelle erschlossen werden konnte. Wild tanzend vergnügten sich die verbliebenen DemonstrantInnen mit PassantInnen, die sich über die ∫Reclaim the Streetsª Aktion freuten, bis um 2 Uhr früh ein Dutzend Polizeigrenadiere dem Treiben ein jähes und brutales Ende setzten. Ohne das Gespräch zu suchen und ohne Vorwarnung setzten die Polizisten gegen die Tanzenden Tränengasspray und Gummischrot ein und verletzten dabei mehrere Leute.


THUN, WAS BISHER GESCHAH

«BANDENKRIEGE UNTER RECHTEN UND LINKEN» DIE PROVINZ IST WIEDER EINMAL INS RAMPENLICHT GERÜCKT – ES GIBT ALSO DOCH KEIN RUHIGES HINTERLAND.

Das Basislager für Freiräume und gegen die autoritären Treffen der G8 zog die Aufmerksamkeit der Medien auf sich, sollte es im heiligen und umkämpften Schadaupark stattfinden. Die bürgerliche Presse fand aber bald einmal neues Fressen – das Camp war ja mittlerweile geduldet und damit langweilig – als in der Nacht vom Freitag auf Samstag heimkehrende AktivistInnen ein paar altbekannten Neonazis begegneten. Nun hätte dies allein ja für einen Bericht noch nicht gereicht. Als dann aber einer eine Knarre zog und «mehrere unkontrollierte Schüsse in eine Personengruppe» abgab, von der er sich «bedroht und verfolgt gefühlt habe», da schien das doch was Neues zu sein und die altbekannten «Bandenkriege unter Rechten und Linken» hatten ein filmreifes Ausmass angenommen, was nun niemanden mehr vom Berichterstatten abhalten konnte. Ist uns ja auch recht so. Der 26-Jährige sitzt in U-Haft und ist soweit geständig: Im Moment wird gegen ihn wegen versuchter vorsätzlicher Tötung ermittelt, was aber schnell in Notwehr umschlagen könnte. Gleich am Sonntag dann fand eine erste Kundgebung gegen Nazis mit Knarren und überhaupt statt. Obwohl alle wussten, dass die Stadt und ihr Sicherheitsbeauftragter Heinz Leuenberger (Sozialdemokrat, Pfarrer) praktisch ohne Polizeischutz dastanden (die 50 Blauen, welche noch lange den Scha-

daupark bewacht hatten, waren zum Grillsonntag entlassen worden), nützte diesen Umstand niemand aus. Als am darauffolgenden Donnerstag die zweite Kundgebung stattfinden sollte, kam dann sogleich die Antwort auf solche Rücksichtnahme: Heinz Leuenbergers Angst fand in Bern, Solothurn und Basel Gehör und drückte sich in einem Aufgebot aus, welches sich gewaschen hatte – der Bahnhof Thun war grossräumig umstellt, die Wannen und Wasserwerfer fanden kaum Platz in der Kleinstadt. Schnell waren die paar (zu grossem Teil minderjährigen) Linken samt Handschellen in einige von ihnen verpackt und die Kundgebung beendet, bevor sie angefangen hatte. Heinz meinte, er würde in seiner Stadt keine Vermummten dulden und basta – mehr war ihm an Stellungnahme nicht zu entlocken. Und die Presse? Sie hielt sich zurück, was die Zeichenmenge betrifft, haute in wenigen Worten aber mächtig drauf: Die Polizei habe Thun vor «dem Pack aus der Reithalle» gerettet und ein autonomes Jugendzentrum komme nun ja wohl nicht mehr in Frage. «Sozial»demokratische Regierung und «frei»sinnige Espace-Mittellandredaktion sind sich (auch) in Thun einig: Lieber ein neues Stadion als wegen rechtsextremer Gewalt in den Schlagzeilen zu stehen. Soweit was bisher geschah – was nun kommt… > ZOG <

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VOGELLISI-FESTIVAL 2005

KEINE FRAGE DES GESCHMACKS EIN SOMMER-FESTIVAL WIRBT MIT EINEM SEXI-

STISCHEN PLAKAT, EINE FRAUENGRUPPE INTERVENIERT UND NÄCHSTES JAHR WIRD ALLES BESSER?

Meistens zur Neujahrs-Party, gängig in der R’n’B-Szene und hartnäckig übers Jahr und über die Wände verteilt sind sie zu sehen: Die lechzenden, powackelnden und titten-schwingenden Frauen, die mehr nackt als anders für irgendein Produkt, irgendeine Party, irgendeinen DJ (!) werben. Meist gilt für Veranstaltungen «Ladies free» und frau ist versucht zu denken: Ja, klar, Ladies for free. Neu, aber genauso dem «sex sells» verpflichtet, wartete dieses Jahr auch eines der Sommer-Festivals mit einem Frauenarsch auf, um die Jugend und die Junggebliebenen ins Berner Oberland zu locken: Das Vogellisi Festival Adelboden, Festival am Ende der Welt (und drum muss es ein Frauenhintern sein…) zeigte Haut und damit, wie unkompliziert der Sexismus auch im Voralpenraum gepflegt wird. Die Band-Namen erstaunten in Bezug auf ein solches Plakat: Patent Ochsner, Stiller Has, Gigi Moto, PVP und andere traten am 8. und 9. Juli in Adelboden auf – Bands, die sich nicht unbedingt als einschlägige Sexisten auszeichnen. Offenbar war den VeranstalterInnen des Vogellisi da ein Faux-pas passiert, oder sie hatten sich schändlich wenig überlegt. Offenbar hatten die Bands beim Plakat nix mitzureden, kannten es nicht, oder waren in der Sommersonne träge geworden. Eine Reaktion tut jedenfalls Not. Mit einem Brief an VeranstalterInnen und Bands machte «dafne – das feministische netz» die Beteiligten auf die sexistische Werbung aufmerksam. Die Reaktionen folgten prompt. Die meisten Bands reagierten positiv auf die Intervention und leiteten den Vorwurf an die Verantwortlichen weiter. Das PR-

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Team war sichtlich erstaunt: «Ihren Vorwurf, dass unser Plakat sexistisch sein sollte, können wir leider nicht nachempfinden, da die Reaktionen auf unser Werbematerial durchaus positiv ausfallen: Fast alle Frauen zwischen 16-40, welche sich geäussert haben, finden das Plakat attraktiv. Das Wort «sexistisch» hören wir von Ihnen also zum ersten Mal.» Sie glaubten, das Plakat sei Geschmackssache und Sexismus eine moralische Haltung (womit dafne zu einem Häufchen verschüpfter Frauen gestempelt wurden, die auch einen Besuch im Freibad als unmoralisch empfinden sollten). Die Wahl des Sujets sei überlegt und doch Zufall: «Zum Sujet ist zu sagen, dass wir unseren Leitspruch «Das Festival am Ende der Welt» jedes Jahr mit einem passenden Bild verknüpfen. In diesem Jahr symbolisiert das Hinterteil der Frau das Ende. Diese Verknüpfung wurde/wird von fast allen sofort erkannt und verstanden. Somit besteht ganz klar eine Verbindung zum Festival. Ob es der Allerwerteste einer Frau, eines Mannes oder einer Kuh ist, spielt absolut keine Rolle; dass wir uns für die Frau entschieden haben, ist reiner Zufall. Jedoch haben wir absichtlich eine schlanke und makellose Frau gewählt, denn für uns war dies ganz klar das schönste Bild. Oder hätten Sie lieber einen dicken, behaarten Hintern eines Mannes auf dem Plakat gesehen?» Danach folgten einige Zeilen über die unproblematische Position von Frauen in der heutigen Gesellschaft und die Garantie, dass das Model nicht zu dieser Pose gezwungen worden war. dafne sei mit ihrer Kritik also an der falschen Adresse und solle ihre «Hetzkampagne» bei den Bands einstellen. Das ist die Stimme des Backlash, wie sie schöner kaum sein könnte. Reto Grossen, der für das Engagement der Bands zuständig war, konnte die Meinung des PR-Teams nicht teilen und verfasste eine persönliche Stellungnahme. Die Diskussion ist damit hoffentlich eröffnet!

Bleibt die Frage, ob Werbung gut ist, wenn sie gefällt und was Gefallen mit Sexismus zu tun hat. Ob wir nächstes Jahr einen behaarten Männerarsch als das Ende der Welt erwarten dürfen. Und bleibt auch die Frage, ob damit der Sexismus der Welt am Ende sein soll? > DAFNE <

SEXISMUS: Bezeichnet die Diskriminierung von Personen aufgrund ihres Geschlechts, die Behauptung von Minderwertigkeit aufgrund biologischer Merkmale. Werbung ist sexistisch, wenn 1) Kein Zusammenhang zwischen der Frau (oder dem Mann) und dem Produkt, wofür geworben wird, besteht (Bsp. Autowerbung mit Frau), 2) Frauen als Wesen dargestellt werden, die sich ausschliesslich über ihre Verbindung mit Männern und als sexuelle Körper definieren (Bsp. Sloggy-Werbung: ∫Nächste Woche wird das Gras geschnitten!ª: Versprechen einer sexuellen Enthüllung), 3) Eine Symbolik verwendet wird, die Frauen auf eine ihnen als Geschlecht unterstellte Minderwertigkeiten reduziert (Bsp. Palmolive-Werbung mit Frau, die sich wäscht: Frauen sind schmutzig und müssen um ihre Reinlichkeit dauernd besorgt sein). Auch gibt die Frage, ob die Werbung in geschlechtervertauschten Rollen ebenfalls funktionieren würde, Aufschluss über abwertende Festlegungen von Frauen (und Männern).


FRAUENBEWEGUNG

ALLES SCHON ERREICHT? WO STEHT DIE FRAUENBEWEGUNG HEUTE, WAS

SIND HEUTE IHRE FORDERUNGEN? WAS SIND DIE

SCHWÄCHEN UND STÄRKEN DER HEUTIGEN FEMINISTISCHEN BEWEGUNG, WO WIR EINERSEITS GENDERTHEORETISCHE FRAGEN DISKUTIEREN, ABER IMMER NOCH ZWANZIG PROZENT LOHNDIFFERENZ ZWISCHEN MÄNNERN UND FRAUEN HABEN?

das war alles schon vorbei, das war alles schon erreicht. Zugleich waren die 1980er-Jahre eine Zeit, in der unheimlich viel passiert ist, etwa die Jugendbewegung, als deren Teil ich mich verstanden habe. Wir haben uns zwar in Frauengruppen organisiert, aber wir haben uns für übergreifende Themen interessiert, Themen wie Wohnen, also Häuserkampf usw. Das war eine Zeit, in der wahnsinnig viele Frauengruppen entstanden sind, kleine Gruppen zu verschiedensten Themen. Es war überhaupt eine Zeit, in der sich viele Junge politisch verstanden haben, in der es im Vergleich zu heute mehr um politische Inhalte gegangen ist.

Diese Fragen diskutierten auf Initiative des Vorwärts am 3. Juni in Bern Frauen aus verschiedenen Generationen, die als bewegte Frauen zu feministischen Themen aktiv waren und sind. Auf dem Podium debattierten Iris Bogdanov, Ruth Gafner, Yasmin Roth und Margrit Gygax mit dem Publikum, die feministische Geschichtsstudentin Lina Gafner moderierte das Gespräch. Wir dokumentieren einen Ausschnitt aus der Ruth, wo siehst Du die Stärken Diskussion. dieser Zeit und dieser Bewegung? Ruth Gafner: Es war eine sehr solidariYasmin, was war dein persönlicher sche Zeit. Ich bin 1986 nach Erlenbach Zugang zur Frauenbewegung? gegangen, das ist ein kleines Dorf im Yasmin Roth: Das war kein bewusster Simmental und sehr konservativ. Ich Schritt. Dass ich mich mit Frauen orga- war darauf angewiesen, dass ich mich nisiert habe, hat sehr viel mit den Er- ein- bis zweimal in der Woche in der fahrungen zu tun, die ich gemacht ha- Stadt mit Frauen treffen konnte, die in be. Anfang der 1980er Jahre war ich etwa die gleichen Gedanken hatten und zwanzig. Ich bin nach Bern gekommen den gleichen Kampf führen. Dort ging und hab da in einer WG gewohnt. Das ich immer auftanken, das war absolut war für mich eine total neue Welt. Da- wichtig, dass dieses Netz funktioniert durch bin ich in eine linke Szene hinein- hat. Aber ich stand immer etwas ausgekommen, und als ganz erste politi- serhalb, denn wenn ich in die Stadt sche Gruppe bin ich ins Nicaragua-Ko- kam, war das, was man letzte Woche mitee eingestiegen. Mir hat es total an- diskutiert hatte, schon wieder überholt. gefangen zu stinken, dass es ein paar Ich war immer etwas hinterher und ich Männer gab, die haben gewusst, um hab später versucht, dass ich mich dort was es geht, die konnten reden und wir, mit Frauen treffen kann, wo ich lebe, die Frauen, haben so ein bisschen die und dort etwas machen kann. Handarbeiten gemacht. Das hat mich genervt. Durch solche Erfahrungen ha- Margrit, «solidarische Zeit», be ich angefangen, mich mit Frauen zu kannst du das für deine Zeit auch organisieren, aus der Erfahrung her- sagen? aus, dass ich in dieser gemischten Margrit Gygax: In den späten 1950er Gruppe meinen Platz nicht finde. Und Jahren und frühen 1960er Jahren wadann andere Erfahrungen zu machen ren die Verhältnisse noch ganz anders. mit Frauen, zu merken, das ist gleich- Damals ging es darum, langsam anzuwertiger, wir haben ähnliche Interessen, wir haben viel mehr Gemeinsamkeiten… Der Kampf für das Frauenstimmrecht oder das Recht auf Abtreibung,

fangen zu merken: eigentlich sind die Männer furchtbar überprivilegiert gegenüber uns Frauen. Das begann bei ganz einfachen Sachen, dass wir zum Beispiel ins Seminar nicht in Hosen kommen durften und eine Schürze anhaben mussten, und dass die jungen Männer zwar auf der Strasse rauchen durften, aber bloss keine Frau, – bis dahin, dass die Männer Frauenärzte geworden sind, aber Frauenärztinnen gab es nirgends, und dass lauter Männer das Land regiert haben, welches einen Frauenanteil von über fünfzig Prozent hat. Es war klar, wenn wir etwas erreichen wollen, geht das nur über das Stimmrecht. Wir probierten, überall ein wenig in diese Richtung zu sensibilisieren. Also haben wir Eingaben gemacht für eine Verfassungsänderung. Aber das ist natürlich von Frauen gekommen, und gar nicht beantwortet worden. Da mussten wir also sehen, dass wir Männer finden, die ihre Unterschrift unter unsere Forderungen setzen. Irgendwann war es dann soweit. Wir haben daran gearbeitet, von unten und von oben her. Aber das war recht schwierig, weil es wenig Frauen gab, die das überhaupt wollten. Es war eine Zeit, in der viele Frauen sehr zufrieden waren, die sind gern zuhause gewesen und haben ihre Kinder gehabt und ihrem Mann die Hemden gebügelt, und er hat sie bei jeder Einladung genommen und gesagt: «Wenn ich meine Frau nicht hätte, hätte ich die ganze Karriere nicht machen können». Aber das war alles und damit waren sie zufrieden. Und das war unsere Schwierigkeit. Iris, wo siehst du Anknüpfungspunkte für heute?

Iris Bogdanov: Ich sehe noch sehr viele Anknüpfungspunkte! Das Frauenstimm>

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Iris Bogdanov: 1974 geboren, macht gerade eine Ausbildung zur Sozialpädagogin und klinischer Heilpädagogin an der Uni Fribourg und ist bei ∫dafne-das feministische Netzª in Bern engagiert. Yasmin Roth: Die psychiatrische Fachfrau mit Jahrgang 1959 ist seit Anfang der 1980er in der ausserparlamentarischen Linken politisch engagiert und seit vielen Jahre bei der Berner ∫Frauengruppe gegen Rassismus und Sexismusª (heute: ∫f.a.m.ª) aktiv. Ruth Gafner: Die fünfzigjährige Wirtin der Landbeiz ∫Hirschenª in Erlenbach im Simmental war in den 1980er Jahren ausserhalb der Städte und der dort ansässigen Szenen feministisch aktiv. Margrit Gygax: Die ehemalige schulische Heilpädagogin (Jahrgang 1940) ist heute freischaffende Keramikerin. Sie lebt in Rubigen (Bern) und engagierte sich in den 1950er bis 1970er Jahren für das Frauenstimmrecht, Lohngleichheit, das Recht auf Abtreibung und eine Mutterschaftsversicherung, in den 1990er-Jahre setzte sie sich stark für die Qouteninitiative ein.

recht haben wir erreicht, aber es gibt zum Beispiel gerade bei den Löhnen immer noch Ungleichheiten. In diesem Zusammenhang steht auch die Aufteilung zwischen Hausarbeit und Erwerbsarbeit, die immer noch rollenspezifisch ist und häufig als selbstverständlich gilt. Das ist immer noch ein Thema, dass es immer noch so ist, dass Frauen die Hausarbeit machen und es wenig Unterstützung gibt für Frauen. Du bist in eine Bewegung hineingekommen, die es schon gab, oder?

Iris Bogdanov: Ja, aber ich hatte gar nicht den Eindruck einer Bewegung. Ich hatte mehr das Gefühl, das es einzelne Frauen gibt, die aktiv sind. (zu den anderen Frauen) Das Gefühl

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von einer Bewegung hattet ihr in eurer Zeit stärker? Yasmin Roth: Ja, und ich hatte auch das Gefühl, wir knüpfen an einem Ort an. (Zu Margrit Gygax) Ich würde sagen, ihr habt viel erreicht. Viele Forderungen, die wir damals hatten, sind heute anerkannte Stellen: Mädchentreff, Beratungsstelle für missbrauchte Frauen und Mädchen, Gleichstellungsbüro, – vielleicht ist das teilweise wieder in Frage gestellt, aber viele Forderungen von damals sind heute in Institutionen umgesetzt. Das ist einerseits ein Erfolg, aber andererseits hat das die Verhältnisse nicht geändert. Von daher reicht es auch nicht aus, aber es sind Sachen daraus entstanden, die mit dieser Bewegung damals zu tun haben, das waren unsere Forderungen. Gibt es Errungenschaften, auf denen wir jetzt auch ein wenig ausruhen können?

Ruth Gafner: Mir kam es immer so vor, dass ich einen Einzelkampf geführt habe auf dem Land. Ich bin in dem Erlenbach umgeben gewesen von sehr konservativen Leuten. Die Frauen haben zum Teil Angst gehabt, weil sie gehört haben, ich sei eine «Feministin». Aber da waren manche kleine Sachen: Zum Beispiel gab es immer nur «Lehrer» und «Schüler» und ich habe einfach beharrlich die Lehrer korrigiert und von «Lehrer und Lehrerinnen» oder «Schüler und Schülerinnen» gesprochen. Am Anfang gab das grosse Diskussionen, und ich hatte das Gefühl, das wird nie anders sein, – bis auf einmal ein Flyer ins Haus kam, auf dem es hiess, «die Lehrer und Lehrerinnen und die Schüler und Schülerinnen». Das sind so kleine Schritte gewesen, wo ich das Gefühl hatte, «es geht ja!». Das waren natürlich kleine Schritte, aber auf die Länge gesehen haben wir viel erreicht.


Wie seid ihr vorgegangen, was hattet ihr für Strategien?

Margrit Gygax: Wir mussten zunächst Männer suchen, die unsere Forderungen unterschreiben, weil diese Forderungen sonst in einer Schublade gelandet sind. Wir haben auch probiert, nachdem die erste Abstimmung zum Frauenstimmrecht – nur von den Männern natürlich – 1959 grandios abgeschmettert worden ist, quasi von unten her zu verändern. Die Frage war, wo können wir uns einklinken? In einem kleinen Dorf im Seeland, wo ich damals Primarlehrerin war, suchte man eine Frau, die den Frauenturnverein leitet. Da hab ich gesagt, sehr gut, das mach ich. Die ersten Male nach dem Turnen haben sich die Frauen schnell wieder angezogen und sind wieder heim, aber ich hab gesagt, das ist eigentlich nicht so gut, wenn die Männer Chor haben oder so, gehen sie danach noch in den «Sternen». Nächstes Mal gehen wir nach dem Turnen auch noch in den «Sternen». Da waren wir schon vier oder fünf und nachher sind immer mehr gekommen. Und dort hab ich dann probiert, den Frauen zu erzählen, wie ich das sehe und sie ein bisschen aufzuhetzen. Man musste alles ein wenig subversiv machen. Yasmin Roth: Ganz wichtig war, dass wir gesagt haben, das Private ist politisch. Das ist der Leitsatz gewesen, von dem wir ausgegangen sind. Wir haben darum geschaut, wie wohnen wir, wie leben wir, was haben wir für Beziehungen, was passiert mit den Männern in diesen Beziehungen? Wir haben das nicht als individuelle Geschichte angesehen, sondern als Teil einer Struktur. Wir haben zusammen gewohnt und uns als Frauen organisiert, wir haben in unserem Umfeld agiert, uns auch viel gestritten, viel theoretisch diskutiert, aber auch Aktionen gemacht, Öffentlichkeitsarbeit, Veranstaltungen – wir hatten zu allem etwas zu sagen. Wir haben sehr vielfältig und mit viel Phantasie gearbeitet, etwa Theater im

öffentlichen Raum gemacht. Raum nehmen, war auch ein grosses Thema, Raum einnehmen als Frauen. Da war die Reitschule wichtig, der Frauenraum dort, die Frauenbrass... Räume, wo wir uns treffen und vernetzen und diskutieren können. Von dort gingen auch viele Diskussionen aus: Was heisst das denn weltweit? Wir haben uns stark abgegrenzt von den Parlamentarierinnen oder auch den bürgerlichen Frauen, wir hatten das Gefühl, dass sie im Gegensatz zu uns die Machtfrage, also die Klassenfrage nicht stellen. Wir haben uns dort auch wahnsinnig gestritten, in der Linken, mit den Männern, aber auch unter den Frauen, was man jetzt zuerst abschaffen muss, das Patriarchat oder den Kapitalismus. Dass das Private politisch ist, das ist das Wichtigste aus dieser Zeit: zu schauen, was passiert rund um mich herum und von dort aus weiterdenken, Zusammenhänge herstellen zum Internationalen. Ruth Gafner: Wenn ich nach Bern gekommen bin und die Frauen haben wunderbare Flugis ausgearbeitet, hat das sehr kämpferisch geklungen und revolutionär. Aber es gab zum Teil Wörter da drin, wo ich dachte, was mach ich jetzt, wenn ich das wirklich in dieses Erlenbach bringen will, muss ich es übersetzen oder erklären. Ich fand, das muss anders laufen, das kann ja nicht sein, dass das nicht für die Frauen ist, die ich kenne, und für ihre Kämpfe in diesem ländlichen Rahmen. Es war immer sehr schwierig, ausserhalb der Städte mit diesen Flugis zu politisieren. Da haben wir in Erlenbach beschlossen – mittlerweile waren es ein paar Frauen –, dass wir eine Frauenbeiz machen. Das heisst, an einem Abend haben wir die Beiz regelmässig nur für Frauen aufgetan. Dadurch hab ich gemerkt, das ist ein ganz anderer Alltag, die Frauen auf dem Land haben ganz andere Probleme. Und ich hab gemerkt, dass ich mit

den Frauen von dort etwas machen will, und dass die eigentlich die Basis sein sollten für das, was ich mir vorstellen kann, was man verändern kann. Und was sind die zentralen Forderungen für euch heute?

Margrit Gygax: Die Umsetzung von dem, was eigentlich rechtlich möglich wäre! Viel mehr, als wir rechtlich haben, können wir gar nicht mehr fordern. Wir haben so genannte Gleichberechtigung, - das heisst für mich, dass eigentlich in jedem Gremium Frauen und Männer ausgeglichen sein sollten, dass Teilzeitjobs für Frauen und Männer gleich attraktiv sind, dass man also auch in der Chefetage Jobsharing machen kann. Es wäre auch die Forderung nach Gleichberechtigung und gleichen Verpflichtungen, also Hausarbeit wird geteilt, und nicht: beide haben gleich viel Erwerbsanteile, nachher kommen sie heim und haben vielleicht noch das Glück, dass er furchtbar gern kocht, aber die Wäsche und das Bügeln und all das bleibt einfach an ihr hängen. Meine Forderung wäre, dass das, was rechtlich möglich wäre, durchgesetzt wird. Yasmin Roth: Die Forderungen sind immer noch die gleichen. Das ist wirklich erschreckend, es geht immer noch darum, dass die Gleichberechtigung in die Realität umgesetzt werden muss. Frauen haben nach wie vor nicht den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit, Frauen haben nach wie vor nicht die gleichen beruflichen Chancen und die gleichen Chancen auf Ausbildung. Es sind Basisforderungen nach Gleichstellung und Gleichberechtigung. > SUSANNE BACHMANN <

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ANDREAS MAIER: KIRILLOW

VON GERÜCHTEN UND CASTOR-TRANSPORTEN ANDREAS MAIER HAT MIT «KIRILLOW», EINEM ROMAN DER UNTER LINKEN STUDENTINNEN UND

DEMONSTRANTINNEN GEGEN DIE CASTOR-TRANSPOR-

gehobener, Anja erklärt das Nichtstun TE SPIELT, EIN LESENSWERTES BUCH ÜBER POLI- zum einzig politisch Sinnvollen, Julian TISCHE HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN UND DIE MACHT den Selbstmord. Nichts desto trotz reisen sie im letzten und spannendsten VON ALLTAGSDISKURSEN GESCHRIEBEN. MAIERS ENTLARVENDES UND UNTERHALTENDES VERSTÄNDNIS Teil des Buches ins Wendland zum Widerstand gegen den Castor-TransDER ROLLE VON SPRACHE ÜBERWIEGT DABEI DIE port. LANGEWEILE EINIGER PHILOSOPHISIERENDER PAS-

SAGEN.

NICHTS ALS DISKURS

Julian Nagel und Frank Kober sind zwei Frankfurter Studenten. Zusammen mit Eva und Anja und ein paar anderen bewegen sie sich am Rande der linksradikalen Szene. Was Andreas Maier aus ihren Leben schildert, sind Besäufnisse mit russischen Zufallsbekannten, die Unterstützung einer alten Frau in Alltagsbelangen und Amüsantes wie das Sprengen der Geburtstagsparty von Anjas und Julians Vater, einem Landtagsabgeordneten – und das mit angemessen schlechter Laune angesichts all des Abgeordneten- und Ministergeredes. Politisch sind sie über weite Strecken des Buches vor allem in Diskussionen oder Julians Monologen über die Unerträglichkeit der Verhältnisse und über die Chancen politischer Veränderung. Über die russischen Bekannten stossen sie auf ein «Traktat über den Weltzustand» eines Herrn Kirillow, welches das Glücksstreben jedes und jeder einzelnen in der Gesamtheit für den tristen Zustand der Welt verantwortlich macht. In der Folge werden ihre politischen Einschätzungen pessimistischer und philosophisch ab-

INVASION AUS DEM SOMMERLOCH

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flusst und in unerwartete Richtungen lenkt – zu

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Das Buch hat einige Schwächen: es hat Längen, gerade die politisch-philosophischen Gespräche fangen in ihrer zunehmenden Aufgeladenheit und gleichzeitiger Plumpheit an zu langweilen. Ausserdem fehlt den einzelnen Abschnitten des Buches teilweise der Zusammenhang. Die Frauen sind nicht viel mehr als Statistinnen. Den Figuren insgesamt fehlt das Fleisch auf den Knochen, sie bleiben – abgesehen von einigen absurden Zügen – blass und leblos, erscheinen einzig als Träger von Diskursen. Was sie formulieren, ist das, was sie ausmacht. Die Männer zumindest, die Frauen bringen es noch nicht mal dazu. In diesem konventionellen Philosophieren ist «Kirillow» ganz schön konservativ. Trotzdem habe ich das Buch gern gelesen. Diskurs mag das einzige sein, was Andreas Maier von den Menschen kennt und was ihn interessiert. Diesen versteht er dafür um so besser: Die Gewalt von Gerüchten zum Beispiel und die selbstversichernde Macht von Treppenhaus-Diskussionen schildert er eindrücklich und unterhaltsam im einleitenden Prolog, wo wir anhand der Gespräche von NachbarInnen erste Bekanntschaft mit Frank Kober machen. Sehr gelungen auch, wie das «Traktat über den Weltzustand» – obwohl von den allerwenigsten gelesen – die Diskussionen der Freunde beein-

Erkenntnissen, die sie mit dem «Traktat» verbinden, die mit diesem inhaltlich wahrscheinlich nicht allzu viel zu tun haben. Passend dazu auch, dass das Traktat irgendwann wieder verschwindet, und dass auf der dazu angegebenen Homepage www.kirillow.de zwar Informationen zu Schauplätzen des Romans, zum Widerstand gegen die Castor-Transporte und zum Namen Kirillow – eine Figur aus Dostojewskis «Dämonen» – zu finden sind, aber nicht das Traktat. Das Verständnis von Macht und Rolle von Alltagsgesprächen, ist das eine, was das Buch lesenswert macht. Dazu überzeugt Andreas Maier mit einem Auge für Eitelkeiten und Ideologisches in menschlichen Äusserungen und Inszenierungen – auch die der radikalen Linken. Und nicht zuletzt ist es ein Buch, das, zumindest in Ansätzen, Fragen nach aktuellen politischen Strategien und gesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten zu stellen versucht. Und dem, trotz allem Pessimismus, den es auch vermittelt, Widerstand eine Selbstverständlichkeit ist. > JAK <

Andreas Maier: Kirillow. Suhrkamp Verlag 2005 www.kirillow.de


15 JAHRE SCHWEIZER HAMMERSKINS

KEIN GRUND ZUM FEIERN! DIE SCHWEIZER SEKTION DER HAMMERSKINS GIBTS NUN SCHON FÜNFZEHN JAHRE. BEKANNT WURDE DIE ORGANISATION DURCH DEN ÜBERFALL IN HOCHDORF 1995. SEITHER WURDE ES RUHIGER UM DIE SHS, DOCH SIND SIE NOCH IMMER AKTIV.

Die «Hammerskins» (HS) sind eine internationale Neonaziskinhead-Organisation, welche 1986 in den USA gegründet wurde und sich als «Bruderschaft der weissen Rasse» versteht. Es handelt sich um ein Netzwerk mit einem elitären Selbstverständnis und teilweise paramilitärischer Ausrichtung. Das Zeichen der HS sind zwei gekreuzte Hämmer, welche als Symbol der weissen Arbeiter verstanden werden. Entlehnt wurde es dem Film «The Wall» von Pink Floyd, wobei die beiden Zimmermannshämmer von den HS ins positive umgedeutet wurden. Das Motto «Hammerskins forever Hammerskins» und das als interner Gruss verwendete Kürzel «H.F.F.H.» (Hammerskins Forever – Forever Hammerskins) verweisen auf die organisatorische Anlehnung der Hammerskins an die «Hells Angels» (HA). Die HA verwenden im Vergleich dazu den Slogan «Angels forever – forever Angels» (A.F.F.A). Dies ist jedoch nicht die einzige Parallele auf organisatorischer Ebene. So wie die HA sind auch die HS in so genannten «Chaptern» organisiert. Weiter müssen die Mitglieder der HS, so wie es in Rockerkreisen oft üblich ist, eine einjährige Aufnahmephase durchlaufen, bevor sie als vollwertiges Mitglied akzeptiert werden. Zu diesem Zweck wurde in der Schweiz die «Hammerskin Aufbauorganisation» (SHS AO) ins Leben gerufen. Die Aufbauorganisation dient dazu, neue Mitglieder in die «Bruderschaft» einzuführen, was aus einem Infoblatt der SHS/AO von 1994 hervorgeht: «Das wichtigste voraus: Jeder von euch reisst sich, wenn notwendig, den Arsch auf und bringt uns ein Passfoto von sich mit! Dies gilt für sämtliche AO-Mitglieder. Nach diesem Treffen werdet ihr dafür stolze Besitzer der langersehnten AO-Aufnäher sein».1 Die Bewerber er-

halten also die Erlaubnis, das «Colour» weile aufgeflogene und nun aufgelöste zu tragen, welches ihnen den Status ei- Neonazitreffpunkt am Stadtrand von Burgdorf macht deutlich, dass Lüscher nes «Prospects» verleiht. beispielsweise über Kontakte zu «Indiziert» verfügt. In Burgdorf ebenfalls anDAS JUBILÄUM zutreffen war Adrian Segessenmann, Vor mittlerweile fünfzehn Jahren auf dessen Namen die Internetseite der wurde in der Schweiz das erste europä- SHS registriert ist. ische Chapter der Hammerskins gegründet. Auf der Webseite der «HamSCHWEIZER HAMMERSKINS merskin Nation» wird dies mit folgenWas sind die Ziele der Hammerden Worten beschrieben: «One of the more memorable points in HSN history skins, welche Ideologie wird von ihnen was the inception of Hammerskins in verfolgt und wer waren die Schweizer Europe (…). Though the exact date of Hammerskins der ersten Stunden? Namen von führenden Hammersthis new intercontinental route for Hammerskins is a bit foggy (…) it is be- kins der 1990er Jahre sind viele believed to be around early 1991. The first kannt, genannt werden sollen jedoch two chapters were in Switzerland and nur drei: Herausgeber des «Hammer», sowie Northern Ireland».2 In einem Newsletter von Blood & Honour Romandie ist des monatlich erschienenen «Infozu lesen: «The S.H.S. [Schweizer Ham- Blattes» war Carlo (Gary) Albisser. Pamerskins], the oldest European HS trick Iten war verantwortlich für das Erchapter, is really becoming one of the scheinen des Zines «Totenkopf», das most promising organisations in the zwischen 1991 und 1993 herausgegegerman part of Switzerland».3 Das Eid- ben wurde. Sowie der Rädelsführer des genössische Justiz- und Polizeidepar- «Hochdorfüberfalles» und Steinewertement wiederum schreibt, dass die fer an der «Antiblocherdemo» in ZüSHS 1990 in Luzern gegründet worden rich, Pascal Lobsiger. sei.4 Die Ziele der SHS beschreiben zwei 15 Jahre Schweizer Hammerskins Mitglieder folgendermassen. «Die SHS und 15 Jahre Hammerskins in Europa wurde geschaffen zur Erhaltung von wurde jedenfalls letzten Monat gefeiert. Tradition und Kultur in der Schweiz. Die Und zwar mit einem Konzert im Kanton Demokratie, wie sie in der Schweiz beBern. Der internationale Charakter der trieben wird, entspricht nicht mehr unHS wurde einerseits durch die gelade- seren Vorstellungen», so ein SHS-Mitnen Bands (Blitzkrieg [D], Hatemachine glied vor Gericht. So ähnlich tönt es, [USA], English Rose [GB], Civico 88 [I] wenn mensch sich die Homepage5 der und Vèrszerzödès [H]) – wobei die Band SHS anschaut. Dort ist zu lesen: «Unaus Ungarn nicht auftrat und die Schwei- ser Wirken gilt dem national-patriotizer Band «Indiziert» die Lücke füllte – schen Denken, sowie der Erhaltung und andererseits durch das internatio- schweizerischer Kulturautonomie». Was nale Publikum unterstrichen. darunter zu verstehen ist, drückt ein Das Festzelt, in welchem die Kon- anderer Hammerskin mit den Worten zerte stattfanden, wurde von Michael aus: «Das Ziel ist die Freiheit von uns Lüscher gemietet, der auch öfters in Burgdorf anzutreffen war. Der mittler>

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Schweizern, und die Schweiz vom Schmutz zu befreien. Keine Drogensüchtigen und keine Dealer. Und die Überfremdung stoppen».

HOCHDORF 1995 Das wohl bekannteste Ereignis in der 15-jährigen Geschichte der SHS war der Überfall auf das «Festival für Völkerfreundschaft» in Hochdorf im Kanton Luzern. Am Abend des 4. Novembers 1995 stürmten zirka 50 meist mit Stöcken bewaffnete Neonazis die Veranstaltung im «Brauiturm». Die darauf folgende Hausdurchsuchungsund Verhaftungswelle deckte grosse Teile der SHS auf und schwächte diese merklich. Was war an diesem Tag geschehen? Am frühen Abend des 4. Novembers trafen sich die am Überfall beteiligten Personen in Werd (AG). Laut unterschiedlichen Aussagen der am Überfall beteiligten Personen sei eigentlich eine Störaktion an einer linken Demonstration in Zürich geplant gewesen. Diese Idee wurde jedoch verworfen. «Weil es schneite», so Carlo (Gary) Albisser vor Gericht. So setzte sich ein Autokonvoi Richtung Luzern in Bewegung, um dort an den «Antifa-Abend zu gehen, um Punks zu verschlagen» resümierte der zu diesem Zeitpunkt 18 Jahre alte Daniel von Allmen. In Hochdorf angekommen, stürmten die Neonazis regelrecht das Fest, so dass sich von Allmen zu der Aussage genötigt sah, dass er selber gar nicht zum zuschlagen gekommen sei, da er etwas weiter hinten war. Ob es sich dabei nur um eine Schutzbehauptung vor Gereicht handelt, sei dahingestellt. Das es sich beim Überfall auf das Festival keineswegs um eine unorganisierte und spontan entstandene Aktion handelte, verdeutlicht eine weitere Ge-

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richtsaussage: «Ich war eine der zehn Personen, welche für die Aussensicherung verantwortlich waren, das heisst, dass keine fremde Personen mit oder ohne Waffen ins Gebäude eindringen konnten. Wir mussten einige Leute wegweisen. Wir schrien diese an oder gaben ihnen einen Tritt in den Arsch». Neben der Planung und Durchführung von gewalttätigen Auseinandersetzungen, wie beispielsweise auch des Angriffes auf die «Anti-BlocherDemo» in Zürich am 23. September 1997, verschaffte sich die SHS in der Vergangenheit auch einen Namen durch die so genannten «SHS-Sommerpartys». Die fünfte Sommerparty fand am 19. August 1995 in Schönenwerd bei Solothurn statt, wozu gleich ein öffentliches Gelände an der Aare vom internen Sicherheitsdienst abgesperrt wurde, um ungewollte Gäste vom Gelände fernhalten zu können und interne Auseinandersetzungen zu verhindern. Der Partyeinladung ist zu entnehmen, dass «wer an diesem Abend persönliche Auseinandersetzungen bereinigen möchte» zu Hause bleiben soll, denn «Streithähne werden vom Platz gewiesen». Ebenfalls für Schlagzeilen sorgte das Lokal «Nibelungen» in Malters (LU), welches sowohl der SHS als auch der Gruppe «Morgenstern» als Veranstaltungsort diente. Der als Privater Clubraum deklarierte Raum sollte die ungestörte Durchführung von Festen und Konzerten ermöglichen.

KONZERTE Nach dem «Hochdorfüberfall» wurde es ruhiger um die SHS. Die Hammerskins mussten sogar das für den 25. November 1995 angekündigte AOTreffen absagen. Begründet wurde dies folgendermassen: «Einige Kame-

raden befinden sich in Haft. Ausserdem ist nicht auszuschliessen, dass bei den Hausdurchsuchungen der letzten zwei Wochen eine Einladung der Polizei in die Hände viel». Die Hammerskins aus der Schweiz traten jedoch weiterhin durch die Organisation von Konzerten öffentlich in Erscheinung. Ein alljährlicher Grossanlass ist das so genannte «Hammerfest», welches 2002 und 2005 in der Schweiz stattgefunden hat. Das «Hammerfest» von 2002, welches am 10. August in Affoltern über die Bühne ging, ist das wohl bisher grösste Neonazikonzert der Schweiz, welches bis zu 1300 BesucherInnen angezogen haben soll. > ANTIFA BERN <

1 AO-Info vom 18. No-

vember 1994. 2 www.hammerskins. net/about_us.html. 3 The political und cultural newsletter of B&HRomandie, Nr. 7, April 2001. 4 Skinheads in Schweiz von 2000. 5 www.hammerskins.ch


AUTOS RAUS AUS DIESEM QUARTIER: LOTHRINGER BÜROSTUHLDISASTER Lotharinger1 Bürostuhldisaster2 am Samstag und Sonntag, 13. und 14. August 2005, am oberen Nordring in Bern.

(º) Die Rennposition auf dem Stuhl ist frei wählbar. Dabei beträgt der maximal zulässige Stuhllehnenneigungswinkel 32°.

Hauptlauf:

(º) Allfällige Sicherheitsgurten dürfen nicht demontierbar sein, namentlich nicht als Nahkampfgeräte (∫Schwunggurtenª, ∫Schlenggerª) in Verwendung kommen.

START: 1.15 Uhr, Wylereggladen ZIEL: Q-Laden (Besammlung 0:45 Uhr) Fakultativer Finallauf:

START: Carpe Diem ZIEL: Römer

Ernsthaftiglich obligat sind Schutzhelme, empfohlen zudem Rückenpanzer (Snowboarder/Skater fragen) sowie Gelenkschoner. Für Rennroutenrandbepolsterung ist gesorgt. Bürostuhl bzw. vergleichbares Gefährt hat jeder Teilnehmer selbst mitzubringen.

Die Rennleitung steht unter der Adresse nord-of-the-ring@gmx.ch für Fragen gerne (º) Desgeleichen sind ∫Stringersª, Ausfahr- zur Verfügung. stacheln, Radblocker und ähnliche Nahkampfvorrichtungen untersagt.

Auszüge aus dem Rennreglement:

Kameradschaft, Fairness und Lauterkeit sind oberste Tugenden des Stuhlpiloten. (º) Antriebsvorrichtungen am Renngefährt sind nicht erlaubt. (º) Der maximal zulässige Bürostuhlrollenradius beträgt 11,5 cm (ohne Spritzschutz). (º) Zugelassen sind einzig Hartgummirollen mit einer Materialdichte von max. 1,2 g/cm3 und einer Lärmemission von min. 82 db bei 8,2 km/h Testgeschw. (Für zuverl. Lärmtests empfohlen: Mitsubishi Erb, Ihr beliebter Fachmann mitten im Quartier!)

(º) Hinwiederum als fair dürfen gelten sportliche Kampfmethoden ohne technische Hilfsmittel, namentlich cracken, blocken, zwacken und hicken. (º) Als allgemein anerkannter Zuruf unter Bürollern gilt: ∫Gut Stuhl!ª In neuester Zeit hat sich zudem ein Grussritual durchgesetzt, bei welchem auf den freundschaftlichen Handschlag eine Geste folgt, die √ etwa auf Steissbeinhöhe hinten √ das Betätigen des Sitzflächensenk- und hebehebels imitiert, was √ immer öfter beobachtet √ alsobald vom Gegenüber mit der Ahmung des bürostuhltypischen Zisch-/Puffgeräusches quittiert wird.

(1) Lotharingen (lat. lotharii regnum; frz. lorraine), auch Lothringen genannt, östlichstes Gebiet des Karolingerreiches, ab 855 Lothar, dem ältesten der drei Söhne Karl, Lothar und Ludowig, zugesprochen. (2) Disaster (dt. Desaster), eigentl. Unstern; < lat. dis- = zer-, unsowie lat. astrum = Stern

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JENS BRINGMANN & VALENTIN KOPETZKI: HOTZE, PUSSY GALORE

GREAT NIGHT OUT ÄT PUSSY GALORE WEN SECHS CHAOTEN AUS DER PARTY-SZENE

ZUSAMMEN EINE PRÄCHTIGE, WENN AUCH LEICHT BAUFÄLLIGE RESIDENZ AM FLUSS KAUFEN, DIE

ZUFÄLLIGERWEISE AUCH NOCH ÜBER EINE HALLE

VERFÜGT, WELCHE SICH MITTELS VIEL PU-SCHAUM UND NOCH MEHR BASTELARBEIT ZUM KLUBLOKAL UMFUNKTIONIEREN LÄSST, DANN IST SICHER: LANGWEILIG WIRD’S AUF KEINEN FALL.

Irgendwie kommt einem das bekannt vor. So um die zwanzig Jahre herum, mal irgendwas zwei Semester lang studiert und ein Teilzeit-Job im Plattenladen: Das ist Hotze. Oder wie wärs damit: Tochter aus gutem Hause, hübsch, sexy und ziemlich abgefahren - Lily. Und Udo, der Buchhaltertyp mit eigenem Plattenladen, der trotz etlichen wilden Nächten und harten Morgendannachs immer irgendwie der Brave bleibt. Krause hingegen ist gar nicht brav und sieht mit seinem riesigen Afro, Schnauz und Sonnenbrille auch gar nicht so aus. Kralle, so genannt, weil seine Hand nach exzessiven Wirkstoffgebauch nicht mehr zu gebrauchen ist, zieht das Misstrauen der Polizei auf 500 Meter auf sich. Und da ist noch Bea, kahlgeschoren, esoterisch und stolze Besitzerin eines Piercing-Intimrasur-

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Secondhand-Kleiderladens. Gemeinsam haben die sechs eine grössere Vorliebe zum Feiern. Und jetzt eben: Ein Haus. Pussy Galore nennt sich der Club, den die sechs in mehr oder weniger gemeinsamer Arbeit und vielen, vielen Komplikationen schliesslich eröffnen. Doch das Leben als Hobby-DJ, Klubbesitzer und Chaoten-WG-Bewohner ist voller Mühsal und Hangovers, wie Hotze, Lily, Udo, Krause, Kralle und Bea bald mal feststellen. Dennoch halten die sechs zusammen wie Dreadlocks mit Haarspray. Und am Schluss wird alles gut. Hotze lieber nicht ins Haus lassenJens Bringmann & Valentin Kopetzki wissen, worüber sie zeichnen: Die beiden 35-Jährigen sind Mitbegründer des legendären – und heute nicht mehr existenten – Kasseler Technoklubs Stammheim/Aufschwung Ost und legen selber auch auf. Kein Wunder also, dass zu den Hotze-Alben stets auch der passsende Soundtrack erhältlich ist. Seit ihrem 18. Lebensjahr arbeiten die beiden bereits zusammen. Angefangen haben die beiden mit Party-

flyers, bis das Groove-Magazin sie vor zehn Jahren um Illustrationen für eine Kolumne bat. 1997 hatte Hotze seinen ersten Auftritt im Groove. Nach und nach folgten neue Figuren, bis schliesslich das ganze Rudel beisammen war. Paralell dazu haben sich die Geschichten erweitert; waren es anfangs zwanzig Pannels, so sind es heute sechzig. Aus der Publikation im Magazin ergibt sich auch der Aufbau der Stories: Zwar ist auch Pussy Galore eine fortlaufende Geschichte mit Anfang und Ende, dennoch aber endet jede Doppelseite mit einer Pointe. Ungewöhnlich am Duo Bringmann/Kopetzki ist, dass beide gleichzeitig Zeichner und Texter sind. Vom Ideensammeln und Skizzieren auf Papier bis zum Kolorieren am Computer, beide machen alles. Auch die Hauptfigur Hotze hat von jedem etwas mitgekriegt, wie Valentin Kopetzki auf der Hotze-Webseite erklärt: «Hotze ist zu 25 Prozent Jens, zu 25 Prozent ich und zu 50 Prozent jemand, den wir beide nicht reinlassen würden!» >CDK<


MICHEL POFFET HÖRT MILES DAVIS Als man mich bat, über meine Lieblingsplatten zu schreiben, habe ich spontan zugesagt, ohne zu überlegen, was eigentlich meine Lieblingsplatten sind. Es gibt ja verschiedene Lieblingsplatten: Die ersten Platten, die man bewusst hört, oder jene, die man hört wenn man frisch verliebt, oder, wie in meinem Fall, Musiker ist. Welche MusikerInnen oder Bands haben mich am meisten beeinflusst? Mitte der 1960er Jahre war ich 10 Jahre alt. Da waren es natürlich die Beatles und die Rolling Stones, später die CCR oder die Allman Brothers und viele mehr. Dann kam Jimi Hendrix. ∫Electric Ladylandª ist eine meiner Lieblingsplatten. Der Song ∫1984ª ist ein sehr langes Stück, das ganz fein und zart anfängt und dann immer dichter wird, bis hin zu Avantgarde und Noisejazz. ∫Crosstown Trafficª ist ein anderes Stück, das eine wunderschöne Melodie hat mit sehr schönem Background-Gesang, der in die Beine fährt. Die Musik von Hendrix war schon damals eine Sensation und ist es heute noch √ musikalisch allen anderen Bands 30 Jahre voraus. Als ich mich später mehr für Jazz und Blues zu interessieren begann, stiess ich neben Louis Armstrong auf Miles Davis. ∫Miles Davis live in Europeª wurde auf dem Jazzfestival in Antibes (F) 1963 aufgenommen. Das Miles Davis Quintett war damals neben dem John Coltrane Quartett die angesagteste Band in den 1960er Jahren. Miles Davis, Trompete, Herbie Hancock, Piano, Ron Carter, Bass, George Colman, Tenorsaxofon und der erst 16-jährige Wunderschlagzeuger Anthony Williams spielten einen modernen, swingenden Jazz, der atemberaubend war. Das erste Stück auf der Platte ist einer der am meisten gespielten Standarts ∫Autumn Leavesª. Das Quintett spielt diesen Song so anders, luftig und modern, dass man aufpassen muss, wo die eins ist. Besonders das gestrichene Basssolo von Ron Carter ist genial. ∫Walkinª, ein schneller Blues, fängt auf der vier (Backbeat) an und hat ein Thema, das gar nicht an Blues erinnert, aber sehr raffiniert gespielt wird. Blues und Soul hat mein Bass-Spiel sehr geprägt. Eine meiner Lieblingsbluesplatte ist ∫Movin onª von der Butterfield Blues Band. Paul Butterfield ist ein weisser Sänger und Bluesharpspieler. Er hatte damals in den 1970er Jahre eine super Band zusammen, mit Buzzy Feiten an der Gitarre und Rod Hicks am Bass. ∫Movin onª ist eine sehr schöne Ballade, bei der die heisere Stimme von Paul Butterfield gut zur Geltung kommt. Sie wurde auch von ihm geschrieben. ∫Walkin by myselfª ist ein schneller Acht-Takt-Blues, wo das Gitarrensolo von Buzzy Feiten mich jedes mal wieder umhaut. ∫Love Desaseª ist ein mächtig groovender, sehr souliger Sechs-Achtel-Blues, über dem nach dem Thema sehr swingend und jazzig improvisiert wird. Komponiert wurde der Song vom Bassisten Rod Hicks. Wunderbar integriert sind die vier Bläser, die der Band einen Bigbandsound geben. Diese drei Platten würde ich auf die berühmte einsame Insel mitnehmen. Viel Spass beim hören und ∫Keep swingingª.

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PROGRAMM

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IM AUGUST:

In Kuba gibt es eine wachsende Rastafari-Szene. Anfänglich verfolgt aufgrund religiöser Aspekte √ ∫Religion ist Opium für das Volk!ª √, hat die Bewegung der afro-kubanischen Bevölkerung sich unaufhaltsam verbreitet, und an Akzeptanz gewonnen. Dabei fühlen sich kubanische Rastafaris oft näher der ursprünglichen Lehre als ihre Zeitgenossen anderswo, selbst in der Geburtstadt der Bewegung, Kingston, Jamaika, die ∫Babylon mehr und mehr akzeptieren, in Gangs, Gewalt und Drogengeschäfte verwickelt sind.ª Andererseits werden in der Musik, neben den karibischen Reggae-Klängen, Einflüsse aus der

PASO FIRME ( C U ) ROOTS & CULTURE SOUND SYSTEM (FEAT. K. ROOTS & CAPLTON)

DACHSTOCK FREITAG, 19. AUGUST 2005, 22.00 UHR

PASOFIRME

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30ter

STANTON WARRIORS: DOMINIC B UND MARK YARDLEY

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DRUM 'N BASS

THE LOCAL DARKSIDE MIT DEEJAY MF (UTM), TASK HORIZON (DSC4), DJ IMPACT (THE ENGINE),TS ZODIAC

DACHSTOCK DARKSIDE PRESENTS:

DACHSTOCK SAMSTAG, 27. AUGUST 2005, 22.00 UHR

wurden: Um noch Zeit zu finden, ihre eigenen Tunes zu schaffen, schlugen sie gar Angebote von von ihnen respektierten Leute wie Roni Size oder Stereo MCs aus. ∫We just think a tune is a tune if people start nodding when it»s played in a record shopª, meint Dominic. ∫It doesn»t matter whether it»s house or breakbeat or hip hop. It»s just street music.ª


SOCIAL DISTORTION

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Der Gewinn kommt dem 3. Thuner Antifaschistischen Abendspaziergang zu gute, welcher diesen Herbst stattfinden wird. Trotz massiver Kriminalisierung und Hetze von Seiten der Behörden, lassen wir es uns nicht nehmen, ein antifaschistisches Zeichen zu setzen. Dass ein solches Zeichen nötig ist, erlebt man in Thun tagtäglich. Übergriffe von Neonazis, rassistische Polizisten, Wegweisungspraktiken gegenüber Randständigen, Repression gegen AktivistInnen, usw. sind in Thun normal geworden. Wir lassen uns nicht einschüchtern und fordern alle Menschen auf, aktiv zu werden, sich den Machtstrukuren zu widersetzen und endlich aufzuwachen. Gemeinsam können wir etwas erreichen, gemeinsam kämpfen wir für eine bessere Welt, ohne Rassismus, Sexismus, Homophobie, Unterdrückung und Ausbeutung. Während der Solibar werden verschiedene politische Filme gezeigt.

SOLIBAR DER THUNER ANTIFA

I-FLUSS MITTWOCH, 17. AUGUST, AB 19.00 UHR

(SONNENSCHATZFUKTOR RELOADED)

DRANGSAAL MIT GEISHA UND KEV THE HEAD

LESBISCH SCHWULES BERN PRÄSENTIERT:

FRAUENRAUM SAMSTAG, 6. AUGUST 2005, 23.30 UHR

Die Mouthwatering Bookingabteilung hat wieder einmal die Ohren fest an den Boden gedrückt, zu hören, was im britischen Untergrund abgeht, und ist dabei auf die Stanton Warriors gestossen. Dominic B und Mark Yardley, der eine aus Bristol, der andere aus Devon stammend, haben ihren Hintergrund in eher ländlichen Gegenden des Westens von England bekommen, als sie mitte der 1990er-Jahre an Raves und freien Parties teilnahmen, oft auf dem Gelände von jemandes Eltern, die einen Bauernhof hatten, ein Soundsystem aufstellte, und 1»500 Leute einlud, worauf 15 000 erschienen. Hatte der eine einen Job in einem Plattenladen, und organisierte lokale Events, seine Verbindungen zur Szene Londons aufbauend, nahm der andere, nach einem abgebrochenen Studium für elektronische Musik an der Salford Universität, den Weg, als Produzent für das 51st Label von Tuff Jam zu arbeiten. Dort trafen Dominic B, der inzwischen im A&R-Bereich des Labels tätig war, und Mark Yardley zum erstenmal aufeinander, und beschlossen, zusammen ein Projekt auf die Beine zu stellen. Ihre Compilation ∫The Stanton Sessionª schlug 2001 auf den Dancefloors Britanniens ein, und führte dazu, dass sie mit Remix-Aufträgen überhäuft

MOUTHWATERING CLUBNIGHT, FEAT. DJS KEV THE HEAD & DUSTBOWL, VISUALS BY OPTICKLE INC., SPECIAL GUEST: STANTON WARRIORS (UK), DJ-SET

MOUTHWATERING CLUBNIGHT

DACHSTOCK SAMSTAG, 20. AUGUST 2005, 22.00 UHR

reichen Tradition Lateinamerikas aufgenommen, auch Jazz-Anklänge sind hörbar, Elemente aus Hip Hop, Funk, Ska und Dub Reggae. So auch in der Musik des 2001 von Bassisten Alexander Gonzalez gegründeten, achtköpfigen Projektes Paso Firme (∫Steady Stepª), welches eine Reihe junger MusikerInnen verschiedener Hautfarben, Religionen und sozialer Schichten vereint, mit Luis Alberto Figueras, der 1990 mit Cocoman die erste Reggaeband Havannas begründete, von einer charismatischen Legende der kubanischen Szene gefrontet. ∫My message is peace, love, one unity, one Godª, meint Figueras. Dahinter werden auch K. Roots & Caplton vom Roots & Culture Soundsystem stehen können, deren Jamaican Vibes in DJ-Sets vor und nach dem Konzert unter dem Motto stehen: ∫One Loveª!

(F)

JAPANISCHE(S) ORCHESTER/BIG BAND PERFORMANCE

SHIBUSA SHIRAZU (JAP)

∫JAPAN NOW FESTIVALª

SAMSTAG, 3. SEPTEMBER 2005, 22.00 UHR

SUPPORT DJ DIFERENZ (DUBQUEST) DUB/ELECTRO/HIPHOP/AFRO/JAZZ

LE PEUPLE DE L'HERBE, HIGH TONE, MEI TEI SHO

LYON CALLING TOUR:

FREITAG, 2. SEPTEMBER 2005, 22.00 UHR

DACHSTOCK VORSCHAU SEPTEMBER

Mike Ness und Social Distortion kommen endlich in die Schweiz für ein Konzert über die volle Länge. Darauf mussten wir bald zehn Jahre warten, in denen die Band die besten Alben ihrer Geschichte geschrieben hat. Supportet werden Social Distortion von den schwedischen Schwerstrockern Backyard Babies und den Punkrockern Cooper aus Holland. VVK: Rockaway Beach, Ticketcorner, Starticket, Fnac, www.leechredda.com/shop

SOCIAL DISTORTION ( U S A ) BACKYARD BABIES ( S W E ) COOPER ( N L )

LEECH*REDDA & REMISE WIL PRÄSENTIEREN DIE PUNK/ROCK'N'ROLL-SHOW DES JAHRES:

GROSSE HALLE SONNTAG. 28. AUGUST 2005, AB 19 UHR

Es ist schon fast Tradition, dass zu Saisonbeginn oder Saisonende die Drum'n'Bass Plattenleger und Produzenten aus der näheren und ferneren Umgebung die Dachstock Darkside bestreiten. Diesmal ist es zum Beginn der Saison, dass sich die Aufwärm- und Auschill-DJs für die jeweiligen, meist britischen Hauptacts alleine austoben können.


BILDERRĂ„TSEL: nicht besonders weit, aber SUPERHOCH --

Antwort:

Bergbahn auf den Mont-Soleil: Steilseite KREUZUNGEN

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