m e g a fo n Nr. 294
Zeitung aus der Reithalle Bern www. megaf on.ch
April 2006
Preis Sfr. 5.--
mit P R O g r a m m
IM APRIL ENTREE
3 CARTE BLANCHE FÜR LILO SCHWARZ-PULVER Editorial 4 AM SEE
SCHWERPUNKT
5 TSCHETSCHENIEN – HINSCHAUEN, WENN AUCH MIT OHNMACHTSGEFÜHLEN Einleitung 6 DER «NORMALISIERTE» KRIEG Ein Überblick über den Konflikt
12 «DIE HOFFNUNG STIRBT ZULETZT» Gespräch mit Walid Ismailow, Präsident von Deimochk
14 «MÜNCHENBUCHSEE KAM WIE EIN WUNDER» ODER «KOPFKARAMBOLAGE» Gespräch mit Maga, einem tschetschenischen Asylsuchenden 17 EINE GENEHME ZIVILGESELLSCHAFT IN DREI SCHRITTEN Die russische Version
19 INLÄNDISCHE SCHUTZALTERNATIVE? ASYLSUCHE IN DER SCHWEIZ Die Praxis der Asylbehörden betreffend Asylsuchende aus Tschetschenien 20 BRIEFE DER HOFFNUNG Soldatenmütter von St. Petersburg
INNENLAND
22 QUEERE KRITIK ALS BESTANDTEIL DES NEOLIBERALEN GESCHLECHTERREGIMES? TEIL II Von der Privatisierung des Geschlechts 25 STADT BERN WILL DENK:MAL DEN GARAUS MACHEN Denk:mal Bleibt!
26 RÜCKWÄRTS GEPUTSCHT Die linke Wochenzeitung Vorwärts entlässt ihre Redaktion AUS GUTEM HAUSE
28 I WOULD PREFER NOT TO Odyssee in der Burg BLICK NACH RECHTS 29 «SCHWARZE SONNE» UND UNSICHTBARE NAZIGESPENSTER Hintergrund eines Vorfalls KULTUR ET ALL
34 DREI MAL SEX MIT DEM EX Comix von Jean-Philippe Peyraud: Schönheitsflecken 35 MARCEL BLATTI (POLA) HÖRT LAURIE ANDERSON Scheiben
SCHWARZES SCHAF ALS ROTER FADEN Buchrezension: «Widerstand braucht viele Sprachen» PROGRAMM
IMPRESSUM Redaktion AG megafon | Postfach 7611, CH-3001 Bern megafon@reitschule.ch | Fon 031 306 69 66 Layout megafon Plakat uvm Umschlag #tt Bilder ©Elisabeth Petersen Druck Kollektiv Druckwelle, Reitschule In dieser Nummer Ursula Häni (ush), Tom Hänsel (#tt), Agnes Hofmann (ans), Christa Kläsi (cdk), Zacharias Krumm (zak), Heiko Morf (hako), Lisa Strahm (las), Urslé von Mathilde (uvm), Markus Züger (maz). Redaktionsschluss 15. März 2006 näxter 12. April 2006 | Erscheint monatlich Auflage ca. 1300 Ex.; Jahresabo (mind. Fr. 54.–) bei obenstehender Adresse. Die in den Beiträgen wiedergegebene Meinung muss sich nicht mit der Meinung der Redaktion decken. Die Schwerpunkt-Beiträge dokumentieren die Entwicklung von Kunst- und Jugend- und Politszenen. Weder mit bildlichen noch textlichen Inhalten sollen die LeserInnen dazu aufgerufen werden, Straftaten zu begehen. Für unsignierte Beiträge ist in der Regel die jeweilige AG verantwortlich.
INHALT
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megafon Nr. 294, April 2006
KINO DACHSTOCK TOJO FRAUENRAUM I FLUSS – SOLIBARS SOUSLEPONT 46 STORY OF HELL
CARTE BLANCHE FÜR LILO SCHWARZ-PULVER
EDITORIAL
IRGENDWAS ich habs vergessen, vergessen wie es ist, wenn es nicht mehr ist, wie es ist, brechen, rechnen und vergessen. und nun ist es anders und doch war es schon so gewesen. dieses haus bewegt sich und wiederholt sich und weidet sich im losen zusammenhang. zu sein und sich zu sein und was zu sein, was sein könnte. ein freiraum. raum hat es hier. raum, den du und ich und ich und du und all jene, die wollen, verbindliche kommunikation und verständnis für die betroffenen aushandeln, dies geht, im raum. um zu atem zu holen. nehme ich das fleisch aus dem tiefkühlfach. da kannst du bleiben und bleiben und sich wiederholen im vergessen. ich habs vergessen, aber kennen wir sie nicht schon, diese angebote der konflikte, die da sind, aus dem nicht denken kommend. das wiederholen hat folgen auf die wahrnehmung und beziehung untereinander. trotzdessen oder gar wegen dessen ist liegen geblieben die sorgfalt und verzerrt treten bilder zu tage.
trink. das fleisch ist aufgetaut. der erinnerte raum im vergangenen wiedervereint das gebrochene hinkt in der hoffnung. die lichtstreifen sind eine linie. atmen holen, staub rein ziehen und fein werden. tut nicht weh. das fleisch wieder im kühlschrank verstaut. da, wo du und du wir machten, da möchte ich fleisch im gemüse, die wiedererkennung beschränkt sich nicht auf den inhalt, noch auf den raum. der gedanke an sich ist schön. es soll bleiben, dieser raum zum sein und machen zum kommen zum kotzen zum konsumieren …einfach die macht im raum behalten und nicht alles aushalten. a tanzt b tanzt c putzt sich die brille a schaut ins licht b singt c tanzt
> UVM <
EDITORIAL megafon Nr. 294, April 2006
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AM SEE Der kurzen Gestade des Sees entlang, das Glitzern der sich leicht kräuselnden Wellen im Auge, schweift der Blick hinab, dorthin wo das Wasser das Ufer bricht. Diese vielen Wasservögel vereint um gemeinsam die riesigen Nahrungsberge der vielen Trostspendenden und -suchenden bewältigen zu können. Doch die friedlichen, geflügelten BewohnerInnen der Seegestaden in diesen Tagen von der städtischen Bewohnerschaft ein wenig mit Argwohn bedacht. Und ja, meine aufgeklappten Ohrdeckel werden von passierenden Mündern mit Ausdrücken wie «Grippeli» und «schon gefährlich» gestreift. Es tönt unaufgeregt, sehr sachlich. Geradezu verinnerlicht das Vorgehen der zuständigen Behörden, die ja eben auch ganz unaufgeregt und sachlich auf dieses Grippeli reagiert haben. Es handelt sich nicht um diese schlimmen Grippen, wie die Spanische, die uns heimgesucht. Was die spanische Grippe war, das weiss ja jedes Kind. Wobei was denn die Kinder heute wissen so genau ich auch wieder nicht weiss. Und das ist ja weiss Gott auch nicht einfach. Oft lese ich über all die Kinder, die gar nicht mehr lesen können, geschweige denn schreiben.
ENTREE
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Dieses Nichtkönnen sich dann wie ein Grippeli auf all jene ausbreitet, die eigentlich das schon könnten, wären sie nicht infiziert worden von diesem Sprachgrippeli, das viele Schulen heimsucht. Doch höre ich auch wie fasziniert die Kleinen schon ein, zwei, gar drei Fremdsprachen erlernen, und das in einem Alter wo ich noch Urs und Foxi auf einzelnen losen Blättern geschaut. Doch das war damals, als noch 68 Augen an den Lippen der Lehrperson hingen. Und zugegeben auch ich würde nicht mehr in soviele Augen blicken wollen wäre ich denn Lehrer. So schwanke ich, wanke zwischen Bewunderung und Verachtung für die Kleinen und weiss dann doch nicht, ob die spanische Grippe ihnen ein Begriff. Ältere Menschen mit eigenen Kindern – ob geeinzelt oder vereint – wissen da schon viel mehr. Erinnern sich zumindest, was sie den Kindern gesagt oder auf den Weg gegeben haben. Und um auf den Weg geht es ja auch bei dem Vogelgrippeli. Verschreckt schaute ich in den Mund eines Herrn, aus dessen das Wort «Scheisse» gedrungen. Entfäkalisiert ging es darum, diesen friedlichen, jetzt aber nur noch sachlich zu begegnenden Wasservögeln nicht mehr zu nahe zu kommen oder auf jeden Fall deren Notdurft zu meiden. Denn wo Vögel auch Vogelscheisse und diese sich
erstmal in der Sohle eines Winterschuhs so richtig eingenistet die kurzen (weil öffentlich zugänglichen) Gestade des Sees dann schnell verlässt und weder Tramstiege noch Gaspedale ihre Botschaft stoppen. Unsichtbar pflanzen sie sich in das vermeintliche Herz der Schuhtragenden, deren eigenen vier Wände. Kleine braune Krumen auf dem Flur nicht leuchten mit H5N1, nein, sie bleiben kleine braune Krumen. Unbedarft. Unbedarft dürfen ältere Menschen über braune Krumen gehen, doch jene mit Nachwuchs beschickte diese Krumen kaum geheuer. Denn: wo gekrabbelt, wird auch gefressen. Dreck zu fressen ja eigentlich eine gesunde Sache, Immunsystem anregend und so, so gesund das selbst die Pharmaindustrie ihre Dreckspillen auf den Markt schmeisst. Also der Dreck in den Pillen, diese mitnichten den Schmeissfliegen ähnlich, nein ganz banal rund in der Form und in verschiedenen Farben erhältlich. Nur keine Einfalt. Aber eben was für Krumen denn nun diese dort auf dem Teppich? Und jetzt schon von der Hand in den Mund gewandert. Und was nützt es dann zu wissen, ob die Kinder wissen wie das war mit dieser Spanischen??? > HAKO <
EINLEITUNG
TSCHETSCHENIEN – HINSCHAUEN, WENN AUCH MIT OHNMACHTSGEFÜHLEN Stimmt es doch, dass in der megafonRedaktion lauter tieftraurige Menschen sitzen, die sich schwierigen Themen widmen – wie wir kürzlich gefragt wurden? Beim aktuellen Schwerpunkt könnte man es einmal mehr annehmen: … «Die Welt ist schlecht» und wir berichten darüber… Aber das ist es gar nicht, dass wir traurige Menschen sind. Dass wir uns ein weiteres, so schweres Thema ausgesucht haben, liegt viel eher an unserem Wissensdurst.
UM WAS GEHT ES? Es geht um den Krieg in Tschetschenien. Was ist eigentlich los, was passiert dort? Wie ist es dazu gekommen? Wie können Menschen in diesem vom Krieg zerstörten Land leben, seit Jahren täglich bedroht von Entführung, Verschleppung, Vergewaltigung, Mord. Wie bewältigen sie die traumatischen Erlebnisse und Erinnerungen? Was für Überlebensstrategien setzen sie Krieg und Zerstörung entgegen? Wie geht es Flüchtlingen in der Schweiz? Und, warum hört man hierzulande eigentlich so wenig über den Krieg in Tschetschenien? Solche Fragen stellten wir uns in den letzten Wochen, und mit uns das Kino der Reitschule, das auch im Monat April einen Filmzyklus zu Tschetschenien eingeplant hat. Vom 13. bis zum 29. April gibts vier Filme im Reitschule-Kino sowie am 15. April ein Treffen mit der Leiterin der russischen NGO «Warm House», die mit Flüchtlingen in und aus Tschetschenien arbeitet. Das Programm und mehr Informationen zu den Filmen findet ihr ab Seite 35. Kunst und Kultur als Überlebensstrategie…
SOLIDARITÄT MIT DER ZIVILBEVÖLKERUNG Wir hoffen, mit unserem Schwerpunkt einen kleinen Beitrag leisten zu können, damit der Konflikt in Tschetschenien nicht in Vergessenheit gerät.
Und dass mehr Leute sich die Mühe nehmen, genauer hinzusehen: «Über den Konflikt in Tschetschenien sind in letzter Zeit nur wenige fundierte Bücher in deutscher Sprache erschienen; und wenn doch, dann wird er fast ausschliesslich als Nebenschauplatz internationaler Auseinandersetzungen betrachtet. Die [deutsche] Bundesregierung, das bürgerliche Spektrum, aber auch die antideutsche Linke unterstützen das russische Vorgehen, weil sie den Tschetschenienkrieg als Teil des durch den 11. September legitimierten ‹Krieges gegen den Terror› begreifen und damit der Propagandamaschinerie der russischen Regierung auf den Leim gehen. Kaum jemand macht sich im deutschsprachigen Raum mehr die Mühe, die nationalen und lokalen politischen Entwicklungen in Russland unter der Regierung Putin und in Tschetschenien seit der Regierung Dudajew unter die Lupe zu nehmen.»1
1 Buchtipp zum Weiterlesen: TschetschenienKomitee: Tschetschenien. Die Hintergründe des blutigen Konflikts. Diederichs (Heinrich Hugendubel Verlag), Kreuzlingen/ München, 2004, 176 Seiten.
Es ist nicht so, dass das megafon jetzt klärt, was gut oder falsch, was die «richtige» linke Position ist. Helfen möchten wir aber, dass «die Solidarität [...] der Zivilbevölkerung und jenen zivilgesellschaftlichen Organisationen gilt, die sich sowohl gegen die islamistischen und nationalistischen Warlords zur Wehr setzen, als auch gegen den Krieg des immer autoritärer werdenden Regimes von Putin.» Wir haben für diesen Schwerpunkt sehr grosse Unterstützung erhalten von Klaus Amman aus Zürich und Shoma Chatterjee aus Bern, die beide seit langem zu Tschetschenien arbeiten und uns mit ihren Kontakten und ihren Texten für diesen Schwerpunkt sehr geholfen haben. Herzlichen Dank euch beiden – und natürlich auch allen anderen AutorInnen. > ANS < SCHWERPUNKT megafon Nr. 294, April 2006
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EIN ÜBERBLICK ÜBER DEN KONFLIKT
DER «NORMALISIERTE» KRIEG DER KONFLIKT IN TSCHETSCHENIEN FORDERT TÄGLICH MENSCHENLEBEN, OBWOHL ER SEIT JAHREN «BEENDET» IST.
Westliche Medien berichten normalerweise nur über Tschetschenien, wenn tschetschenische Widerstandsgrundkämpfer einen grausamen Terrorakt begehen, so zum Beispiel, als sie vor eineinhalb Jahren im Nordossetischen Beslan Schulkinder oder vor drei Jahren in Moskau MusicalbesucherInnen als Geiseln nahmen. Auch in solchen Situationen wird das tägliche Leben in der Kaukasusrepublik jedoch kaum thematisiert. Warum auch? – nach offizieller russischer Lesart «normalisiert» sich die Lage in Tschetschenien ja seit Jahren. Tatsächlich haben sich die Zustände in Tschetschenien stabilisiert. Allerdings ist vieles zur Norm geworden, was aus menschenrechtlicher und demokratischer Sicht alles andere als normal ist. Ein Überblick:
GESCHICHTE VON GEWALT UND «NORMALISIERUNG» VON OBEN Offiziell ist der Zweite Tschetschenienkrieg, der 1999 ausbrach, seit dem Jahr 2 000 mehrmals für beendet erklärt worden. Die Tatsache, dass in diesem Konflikt nach wie vor täglich Soldaten und Zivilpersonen ums Leben kommen, sprechen allerdings eher dafür, dass nach wie vor Krieg herrscht. Ein Blick zurück zeigt zudem, dass Auseinandersetzungen gewaltsame ebenso wie darauf folgende, von oben verordnete «Normalisierungen» in der Geschichte der russisch-tschetschenischen Beziehungen System haben: Im späten 18. Jahrhundert unterwarfen die russischen ZarInnen nach und nach die zahlreichen im Kaukasus lebenden kleinen Völker. Die Tschetschenen widersetzten sich auch nach der Einverleibung ihrer Territorien der
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Moskauer Zentralmacht, wo immer möglich. Obwohl theoretisch zum Zarenreich gehörend, blieben sie faktisch unabhängig. Die Tradition der Rebellion verschaffte den Tschetschenen schon im 19. Jahrhundert die Reputation von «Gesetzlosen» und «Banditen» – ein Bild, das in der russischen Kultur weit verbreitet ist und das in den vergangenen Jahren wieder Hochkonjunktur hat – scheint es doch viel legitimer, «Gesetzlose zu bekämpfen» oder gar zu «vernichten», als ein «nach Autonomie strebendes Volk brutal zu unterdrücken». Auf der andern Seite sehen die TschetschenInnen heute wie damals die Russen als brutale Kolonialherren. Die Russische Revolution und allgemein gesellschaftliche Veränderungen führten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer wachsenden Kluft zwischen modernisierten, der russischen Kultur angepassten StädterInnen und traditionell lebenden TschetschenInnen in den Bergen. Letztere hielten den Widerstand bis in den Zweiten Weltkrieg hinein aufrecht. Stalin bezichtigte in der Folge das gesamte tschetschenische Volk der Kollaboration mit dem nationalsozialistischen Deutschland und liess im Februar 1944 unterschiedslos alle TschetschenInnen deportieren. 400 000 Frauen und Männer jeden Alters wurden in Viehwaggons nach Zentralasien geschafft. Ein Viertel von ihnen starb in den darauf folgenden Jahren. Erst Chruschtschow erlaubte den TschetschenInnen 1957, wieder in ihre ursprünglichen Gebiete zurückzukehren. Mit der Rückkehr der Vertriebenen war für die Sowjetführung die Lage des tschetschenischen Volkes wieder «normalisiert», bei vielen Überlebenden dieses kollektiven Traumas und ihren Nachfahren blieben die Erinnerungen an die Deportation jedoch schmerzlich präsent.
EIN NICHT GANZ «NORMALES» SUBJEKT DER RUSSISCHEN FÖDERATION Diese unverheilten Wunden erklären auch, weshalb der tschetschenische Volkskongress im November 1990 die Republik Tschetschenien-Inguschetien für staatlich souverän erklärte, wie dies zu diesem Zeitpunkt viele Republiken, der im Zusammenbruch befindlichen Sowjetunion, taten. Im Sommer 1991 gewannen jedoch radikalere Kräfte unter der Führung des ehemaligen sowjetischen Luftwaffengenerals Dschochar Dudajev an Einfluss. Dieser bezichtigte die Kommunistische Partei und den sowjetischen Geheimdienst, die tschetschenische Nation ihrer Religion, Sprache, Kultur und ihrer natürlichen Ressourcen beraubt zu haben. Als Dudajev im Oktober 1991 zum ersten Präsidenten Tschetscheniens gewählt wurde und am 2. November 1991 die Unabhängigkeitserklärung Tschetscheniens folgte, erachtete die Zentralregierung in Moskau beide Handlungen für ungültig und illegal und belegte Tschetschenien mit einer Wirtschaftsblockade. Dudajev regierte Tschetschenien autokratisch, und Moskau unterstützte seine Gegner. Die Feindseligkeiten zwischen beiden Lagern nahmen kontinuierlich zu und arteten im Herbst 1994 in offene Kämpfe aus. Die Russische Föderation griff Ende November 1994 mit Luftschlägen und am 11. Dezember mit Bodentruppen ins Geschehen ein. Trotz ihrer erdrückenden Übermacht gelang es den Russischen Streitkräften erst im Februar 1995, die tschetschenische Hauptstadt Grosny zu erobern. Darauf verlagerten sich die Kämpfe ins unwegsame tschetschenische Bergland. Schon damals zeichnete sich ab, dass der Krieg für die Russische Föderation nicht zum erwarteten Spaziergang werden sollte. Und ebenfalls schon damals wurde der Krieg enorm grausam geführt: ZivilistInnen, Spitäler, Schulen wurden willkürlich bombardiert, die
CHRONOLOGIE GEWALTSAMER VORFÄLLE «Ich denke, wir können von der Beendigung der Anti-Terror-Operation sprechen»… Während seiner jährlichen Pressekonferenz am 31. Januar 2006 im Kreml behauptete der russische Präsident Wladimir Putin, nicht nur der sechsjährige Krieg in Tschetschenien sei vorbei, auch die «Anti-Terror-Operation» – Kreml-Sprache für den Tschetschenienkonflikt – sei beendet. Entgegen dieser Behauptungen hat sich die Situation in der Region nicht gross verändert.
2. Februar 2006
4. Februar 2006
Die Leiche des 38-jährigen Isa Kaimov wird heute in der Mayakovskyi-Siedlung von Grosny mit einer Schusswunde am Kopf gefunden. Verwandte von Roman Elmuraev suchen weiterhin den 27-Jährigen, der im Gudermes-Distrikt verschwunden ist. Tschetschenische Milizen nehmen während eines Scharmützels in der Molkerei Nr. 15 in Grosny einen «Verdächtigen» fest. Bei einem weiteren gewaltsamen Zusammenstoss von Milizen und unbekannten Personen im StaropromysTschetschenien ist ein schwarzes Loch für lovskyi-Distrikt in Grosny wird eine Person Informationen. Wenn der Krieg hier vorbei getötet und mehrere verwundet. Unweit des sein soll, dann nur, weil nicht mehr darüber Zentralmarktes in Grosny wird ein junger berichtet wird. Sogar offizielle Statistiken be- Mann, zwischen 20- und 22-jährig, von nicht ziffern die Zahl der Opfer unter der Russinamentlich bekannten lokalen «Strafverfolschen Armee und den tschetschenischen Mi- gungsbehörden» gefangen genommen. Sein lizen auf fünf bis sieben pro Tag. Ausserdem Aufenthaltsort ist unbekant. finden unter dem beschönigenden Titel der «Anti-Terror-Operationen» jeden Tag schwer 3. Februar 2006 wiegende Menschenrechtsverletzungen statt. Ein Angehöriger einer lokalen Miliz wird in Entführungen mit darauffolgendem «VerSernovodskaya, Sunzha, von Unbekannten schwinden» plagen die Bevölkerung weitergetötet. In einem Wohndistrikt in Grosny sind hin, und Folter wird weiterhin systematisch heute nicht explodierte Artillerie-Sprengsätangewendet. Opfer werden gegen Lösegeld ze gefunden worden. Der 27-jährige Aslan freigelassen, tot aufgefunden oder bleiben Yakhaev wird bei einem Zusammenstoss mit verschwunden. Versuch einer Auflistung von einem bewaffneten russischen Fahrzeug im Ereignissen seit der Rede des Präsidenten… Oktyabrikyi-Distrikt, Grosny, ernsthaft verletzt. Der Fahrer des russischen Panzers 31. Januar 2006 wird als betrunken gemeldet. GrossangelegDie russischen Streitkräfte entführen den te «Aufräum-Operationen» werden in Kotar22-jährigen Iskander Saidov aus seinem Zu- Yurt, Achkoi-Martan durchgeführt. Der 27hause im Dorf Shali in Chiri-Yurt aus unbejährige Said Yusupov und der 25-jährige Tazkannten Gründen. Sein Aufenthaltsort bleibt biev werden verhaftet. Ihre Aufenthaltsorte unklar. Eine Gruppe von unbekannten bewaff- bleiben unbekannt. neten Personen entführt einen Mann namens Akhmed an einer Bushaltestelle in AchkoiMartan. Sein Verbleib bleibt unbekannt.
Leistung humanitärer Hilfe verhindert, Gefangene misshandelt, Zivilpersonen entführt, gefoltert und häufig hingerichtet. Bereits Ende 1995 spaltete sich das tschetschenische Lager: Auf der einen Seite machte sich Dschochar Dudajev für eine harte Linie stark, ermutigt durch die militärischen Erfolge der tschetschenischen Truppen. Auf der andern Seite bemühte sich Generalstabschef Aslan Maschadow für eine Lösung auf dem Verhandlungsweg. Der Krieg wurde immer grausamer: Die russischen Militäraktionen nahmen mehr und mehr den Charakter eigentlicher Vernichtungsaktionen an. Plünderungen, Brandschatzungen, Vertreibungen und Massaker an ZivilistInnen, Inhaftierungen in Lagern wur-
den zu alltäglichen Vorkommnissen. Die Städte Grozny, Gudermes und Shali galten im März 1996 als zerstört. Erst der Tod Dudajevs Ende April 1996 ebnete den Weg für Verhandlungen. Nach mehreren Rückschlägen vereinbarten Aslan Maschadow und der russische Sicherheitsberater Aleksandr Lebed schliesslich Ende August eine Waffenruhe und darauf die Beendigung des Krieges. Tschetschenien war zerstört, die Infrastruktur ruiniert und rund 80 000 Zivilpersonen sowie mehrere Tausend Soldaten beider Seiten tot. Mindestens 350 000 Menschen waren vertrieben worden. Dem neuen Frieden, dieser oberflächlichen «Normalisierung», fehlte die Nachhaltigkeit. Zwar wählten die
Die russischen Streitkräfte führen in den Dörfern Kenkhi und Khimoi in Sharoi grossangelegte «Aufräum-Operationen» durch. Vier Bewohner werden später von bewaffneten Unbekannten entführt, ihr Verbleib bleibt ungeklärt. Ein Bewohner des Dorfes ZamaiYurt wird von nicht namentlich bekannten lokalen «Strafverfolgungsbehörden» verhaftet. Sein Verbleib bleibt unbekannt. 5. Februar 2006
Ein Einwohner von Kurchaloi wird bei einer «Aufräum-Operation» verhaftet. Sein Verbleib ist unbekannt. Ein Mitglied einer tschetschenischen Miliz wird während einer Auseinenandersetzung im Oktyabriskyi-Distrikt, Grosny, ernsthaft verwundet. Im Dorf Avturi, Shali, werden von der Russischen Armee grossangelegte «Aufräum-Operationen» durchgeführt. Alle Ein- und Ausgänge werden blockiert und Militärhelikopter kreisen über dem Dorf; es werden keine Verhaftungen verzeichnet. 6. Februar 2006
Heute werden zwei Einwohner des Dorfes Chechen-Aul in Grosny als vermisst gemeldet. Der Wagen von Khasan Dalaev wird daraufhin verlassen in einem Aussenbezirk von Achkoi-Martan gefunden. Von den vermissten Personen keine Spur. Zusätzliche mobile «Check-points» werden von lokalen «Strafverfolgungsbehörden» in ganz Grosny aufgestellt und eine weitere «Aufräum-Operation» wird von den russischen Streitkräften im Oktyabriskyi-Distrikt durchgeführt. >
TschetschenInnen Ende Januar 1997 mit Aslan Maschadow einen Gemässigten zu ihrem neuen Präsidenten. Doch nicht nur führte Maschadow das aus dem Koran abgeleitete Strafrecht (Scharia) in Tschetschenien ein – was Moskau provozieren musste –, sondern bereits Ende 1997 griffen angeblich tschetschenische Extremisten ein russisches Militärlager in Dagestan an. In der Folge kam es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen beiden Seiten. Aus russischer Sicht das Fass zum Überlaufen >
SCHWERPUNKT megafon Nr. 294, April 2006
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fortsetzung von Seite 7 7. Februar 2006
Vier junge Männer aus verschiedenen Teilen Grosnys werden entführt: Zwei werden von ihrem Zuhause in Leninskyi verschleppt; ein 25- bis 27-jähriger Mann wird von nicht namentlich bekannten lokalen «Strafverfolgungsbehörden» während einer «AufräumOperation» verhaftet; ein 20-jähriger Mann wird von unbekannten Bewaffneten im Stadtzentrum entführt. Ihr Verbleib ist unbekannt. 8. Februar 2006
Der Tschetschene Israil Khaikharoev wird in Sunzha, Inguschetien von lokalen Strafverfolgungsbehörden verhaftet. Der «Verdächtige» wurde von den tschetschenischen Behörden gesucht und wird beschuldigt, Verbindungen zu den Rebellen zu haben. 9. Februar 2006
Drei Personen werden heute verschleppt. Der 33-jährige Bilal Azimov wird von Unbekannten in seinem Zuhause in Samashki, Achkoi-Martan entführt. Zwei junge Dorfbewohner aus Novy Benoi, Gudermes, werden in der Nacht von unbekannten bewaffneten Personen entführt. Ihr Aufenthaltsort ist unbekannt. Zwei Doktoren werden von lokalen «Strafverfolgungsbehörden» im Spital Nr. 9 in Grosny zusammengeschlagen.
ums. Es kommt zu zwei Toten und mehreren Schwerverletzten. Ebenfalls mehrere verwundete Bundessoldaten gibt es bei einem Angriff auf deren Konvoi in Avturi, Shali. 12. Februar 2006
Drei «Verdächtige» werden während «Aufräum-Operationen» in verschiedenen Teilen Tschetscheniens verhaftet. Der 28-jährige Shamkan Baidarov im Leninskyi-Distrikt, Grosny, und zwei Männer der Siedlungen Assinovskaya, Sunzha und Engel-Yurt, Gurdermes. Ihr Verbleib ist unbekannt. 13. Februar 2006
Heute werden vier verschiedene «AufräumOperationen» durchgeführt und dabei drei Personen verhaftet. Aus den Dörfern Tsentoroi, Kurchaloi und Staropromyslovskyi (Grosny) werden Verhaftungen bekannt. Zwei Bewohner aus Cheronrech’e in Zavodskoi, Grosny und eine 53-jährige Frau in Argun werden verhaftet. Ihre Aufenthaltsorte bleiben unbekannt. Dzhabrail Abdurzakov wird in seinem Zuhause von einer Gruppe von unbekannten Personen erschossen. In Nazran wird ein Militärfahrzeug des Innenministeriums von Inguschetien gesprengt. 14. Februar 2006
Die zwei jugendlichen Brüder, Adam und Umar Dautaev, verschwinden vom zentralen Heute wird bei einer «Aufräum-Operation» in Markt in Grosny und sind seither nicht mehr aufgetaucht. Der 48-jährige Vakhid Abuev Achkoi-Martan ein junger Mann verhaftet. Sein Verbleib ist unbekannt. In Nazran, Ingu- wird im Dorf Avturi in Shali von unbekannten, bewaffneten Personen entführt. Sein Verschetien wird die Journalistin Malika Gordibleib ist unbekannt. Im gleichen Distrikt wird kove von einer maskierten Person ernsthaft ein «Verdächtiger» während einem Gefecht verletzt. mit lokalen «Strafverfolgungsbehörden» getötet. Gleichzeitig werden die beiden 11. Februar 2006 Schwestern Zulfiya und Radimkhan Akiev am Eine Gruppe von unbekannten Personen inszenieren in der Siedlung Troitskaya in Sunz- lokalen Flughafen von der Ingush-Miliz brutal ha, Inguschetien einen bewaffneten Überfall zusammengeschlagen. auf Truppen des Russischen Innenministeri10. Februar 2006
brachte eine Serie von Bombenanschlägen in Moskau und andern russischen Städten, die rund 300 Todesopfer forderten. Moskau bezeichnete sofort «tschetschenische Terroristen» als Urheber – Beweise dafür gibt es bis heute keine – und bereitete sich auf einen neuen Krieg vor.
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15. Februar 2006
Einer der prominentesten und wenigen verbliebenen Chirurgen in Tschetschenien, der Chefkardiologe Salavdi Murtazov, wird heute während eines «Unfalls» mit einem russischen Militärfahrzeug getötet. Der Fahrer des Panzers wird als betrunken gemeldet. Die Familie Bakhaev im Dorf Prigorodnoe (Grosny) wird von unbekannten «Strafverfolgungsbehörden» schikaniert. Sie führen eine aggressive, illegale Hausdurchsuchung durch und fragen nach dem Verbleib ihrer zwei jungen Söhne. In Starye Atagi (Grosny) findet von unbekannten bewaffneten Personen ein Angriff auf eine Frau statt. 16. Februar 2006
Der 29-jährige «Verdächtige» Supyan Mataev wird in Samashki, Achkoi-Martan, von nicht namentlich bekannten lokalen «Strafverfolgungsbehörden» von seinem Zuhause entführt. Gemäss Information seines Vaters wird Supyan auf der Polizeiwache des Distrikts festgehalten. Dort wird er mit der Absicht gefoltert, ihn zu Geständnissen von Verbrechen, die er nicht begangen hat, zu zwingen. In einem Zwischenlager für Flüchtlinge in Grosny führt die Russische Armee eine «Aufräum-Operation» durch. Es wurden keine Festnahmen verzeichnet. 17. Februar 2006
Heute werden im Achkoi-Martan-Distrikt vier Personen verschleppt: Ein 31-jähriger Bewohner des Yandi-Kotar-Dorfes wird während einer «Aufräum-Operation» verhaftet, und drei junge Männer werden in Samashki in der Nacht von unbekannten bewaffneten Personen entführt. Sie bleiben verschwunden. > SHOMA CHATTERJEE <
Während der erste TschetschenienKrieg 1994 ein Mittel zur Wiederwahl Boris Jelzins als Präsident war, ebnete der zweite Krieg dem bis dahin unbekannten Wladimir Putin den Weg an die Macht. Der ehemalige KGB-Agent und Günstling Jelzins markierte mit dem erneuten Militäreinsatz in Tschetschenien den harten Mann – ein Image, das er – der Erfolglosigkeit des Feldzuges zum Trotz – in grossen Teilen der russischen Gesellschaft hat aufrechterhalten können.
Ende September 1999 begann die russische Luftwaffe, Grosny und andere Städte Tschetscheniens zu bombardieren, im Oktober marschierten russische Bodentruppen ein, worauf die Kämpfe zwischen russischen Truppen und tschetschenischen Widerstandskämpfern in voller Stärke ausbrachen. Nach verlustreichen Kämpfen und einem dreimonatigen, pausenlosen Bombardement nahmen die russischen Verbände Anfang Februar 2000 die erneut zerstörte tschetschenische
Hauptstadt Grosny ein. Erneut ergriffen schätzungsweise mehr als eine halbe Million Menschen die Flucht – ein Grossteil von ihnen ist nach wie vor nicht nach Hause zurückgekehrt. Die tschetschenischen Rebellen zogen sich in die Berge zurück, von wo aus sie die Kampfhandlungen mit GuerillaMethoden bis heute fortsetzen: Sie überfallen regelmässig russische Posten und Konvois und ermorden Vertreter der pro-russischen tschetschenischen Verwaltung. Bereits kurz nach seiner Wahl zum Präsidenten im März 2000 kündigte Wladimir Putin den Rückzug eines Teils der russischen Truppen an. Seit Juni 2000 wurde der Krieg von russischer Seite wiederholt für beendet erklärt. Nach offizieller Lesart gelten die unzähligen kriegerischen Handlungen der letzten sechs Jahre als «antiterroristische Operationen» – einer Terminologie folgend, die im Rahmen des «Krieges gegen den Terror» der US-amerikanischen Regierung seit dem 11. September 2001 weltweit grosse Verbreitung gefunden hat.
TSCHETSCHENISIERTER KONFLIKT & RADIKALISIERTE NORMALITÄT Der Konflikt in Tschetschenien ist für Moskau in zweifacher Hinsicht eine «interne Angelegenheit»: Gegenüber dem Ausland hat die Russische Regierung immer wieder betont, dass
Tschetschenien Teil der Russischen Föderation sei und der Konflikt deshalb die internationale Gemeinschaft nichts angehe. Gegen innen ging Moskau noch einen Schritt weiter und machte den Konflikt immer stärker zu einer innertschetschenischen Angelegenheit. Im Rahmen der so genannten «Tschetschenisierung» setzten die Russen sukzessive tschetschenische Statthalter ein, angefangen mit der Einrichtung der tschetschenischen Verwaltung im Juni 2000, der Einsetzung von Mufti Achmed Kadyrow als Verwalter und später Präsidenten bis hin zur Übertragung militärischer Aufgaben an pro-russische tschetschenische Verbände. Moskau hat dabei die Richtungskämpfe auf tschetschenischer Seite, die seit der Unabhängigkeitserklärung schwelen, geschickt genutzt. Nur die willfährigen, offenkundig pro-russischen TschetschenInnen kamen für Verhandlungen in Frage. Sämtliche Verhandlungsangebote der demokratisch gewählten, aber seit 1999 im Untergrund agierenden Regierung von Aslan Maschadow wurden ignoriert und deren Mitglieder als Terroristen abgestempelt. Nach der Ermordung Maschadows im März des vergangenen Jahres scheint das Feld ausschliesslich gewaltbereiten Gruppierungen um Schamil Bassajew überlassen zu sein, der offen für ein gewaltsames Vorgehen einsteht und regelmässig die Verantwortung für
Terroranschläge in der ganzen Region übernimmt. In dieser Situation bleibt vielen TschetschenInnen keine andere Wahl, als sich auf eine der beiden Seiten zu schlagen, denn wer nicht offen prorussisch ist, gilt als Terrorist. Radikalisiert haben sich auch die religiösen Positionen: Während der von den TschetschenInnen gelebte Islam lange Zeit als sehr liberal galt, haben in den 1990er Jahren islamistische Strömungen an Einfluss gewonnen, was unter anderem – wie bereits erwähnt – zur Einführung der Scharia geführt hat. Die Parlamentswahlen vom 27. November 2005 waren bereits die dritten Wahlen in Tschetschenien in nur zwei Jahren. Im März 2004 wurden die WählerInnen zur Bestätigung des russischen Präsidenten Wladimir Putin an die Urnen gerufen. Sieben Monate später mussten sie einen Nachfolger für den ermordeten tschetschenischen Präsidenten Achmed Kadyrow bestimmen. Die Einseitigkeit der gesamtrussischen Präsidentschaftswahlen ist hinlänglich bekannt. Ähnlich präsentierte sich die Situation bei der Wahl Alu Alchanovs als Nachfolger Kadyrows. Alchanov war der Favorit der Russi>
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schen Regierung und wurde von Moskau faktisch «bestimmt». Bei den Parlamentswahlen vom vergangenen Herbst schliesslich erzielte die Partei des Kremls «Vereintes Russland» mit 61 Prozent der Stimmen einen komfortablen Sieg. Weit abgeschlagen folgten die Kommunisten der KPRF und die liberale Partei Union der Rechtskräfte (UDR) mit 12 sowie 11 Prozent der Wählerstimmen. Indirekt bestätigt wurde auch Ramsan Kadyrow, der Sohn des ermordeten Achmed Kadyrow und eigentliche starke Mann in Tschetschenien. Da er auf den Listen aller Parteien Vertraute platziert hatte, wird die neue Volksvertretung nicht viel mehr sein als ein leicht zu steuerndes Taschenparlament. Mit der Parlamentswahl vollendete Moskau seinen «Normalisierungsplan» auf politischer Ebene. Allerdings waren all die erwähnten Wahlgänge von gravierenden Mängeln gezeichnet. Ausländische BeobachterInnen und Medien waren – wenn überhaupt – nur unter weit reichenden Einschränkungen zugelassen. Ohnehin ist Tschetschenien nach wie vor für ausländische und die wenigen verbliebenen kritischen russischen Medien grundsätzlich Sperrgebiet (vgl. auch Artikel auf S. 17). Ausländischen Nichtregierungsorganisationen wird die Arbeit wo immer möglich erschwert, oft gar verunmöglicht.
GEWALT IST ALLTÄGLICH Das Leben in Tschetschenien ist nach wie vor von Angst geprägt. Insbesondere wer sich nach Einbruch der Dunkelheit auf die Strasse wagt, riskiert sein Leben. Russische und tschetschenische Sicherheitskräfte – im Rahmen so genannter antiterroristischer Operationen – und tschetschenische Widerstandskämpfer – auf der
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Suche nach Kollaborateuren – führen regelmässig «Säuberungen» durch. Dabei fahren mehrere Militärfahrzeuge meist mit verdeckten Nummernschildern in einem Dorf vor, maskierte Männer stürmen die umliegenden Häuser, nehmen die Männer fest und verschleppen sie an einen unbekannten Ort. Wer Glück hat, wird irgendwo freigesetzt, häufig stossen die Angehörigen irgendwann nur noch auf den toten Körper ihres Vaters, Bruders oder Sohnes. Wiederholt wird von so genannten Filtrationslagern berichtet, die die tschetschenischen und russischen Sicherheitskräfte an verschiedenen Orten in Tschetschenien errichtet haben. Die Inhaftierten werden dort stundenlang gefoltert und nach Namen und Aufenthaltsorten von Rebellen gefragt. Insbesondere Intellektuelle und Verantwortungsträger werden von beiden Seiten unter Druck gesetzt. Die Widerstandskämpfer töten sie wegen Kollaboration, und die russischen und tschetschenischen Sicherheitskräfte, weil sie sich für die einheimische Bevölkerung einsetzten. Verhältnismässig neu ist, dass auch Frauen Opfer von Säuberungen werden. Waren es früher nur Männer, die der Zusammenarbeit mit den Widerstandskämpfern verdächtigt wurden, so werden nun auch Frauen gejagt. Dies geht einerseits auf das Auftauchen von Selbstmordattentäterinnen zurück, andererseits werden in letzter Zeit auch Menschenrechtlerinnen beziehungsweise ihre MitarbeiterInnen und Verwandten verfolgt. Frauen werden in Haft systematisch vergewaltigt, was zusätzlich gravierend ist, weil die Vergewaltigung in der tschetschenischen Kultur stigmatisiert wird. Die Schande einer Vergewaltigung ist so gross, dass es viele Frauen vorziehen, Selbstmord zu begehen. Zu weiteren Foltermethoden gehören Tritte, Schläge von Hand, Schläge mit Gewehren oder Stöcken, Elektroschocks, Brennen mit Zigaretten oder andern Gegenständen, Verlet-
zungen mit Messer oder Bajonett, Aufenthalte in Löchern oder vergasten Zellen. Ausserdem wird berichtet, dass Gefangene angespuckt, anuriniert und ausgepeitscht würden, dass ihnen Drogen zwangsweise verabreicht würden und ihre Exekution vorgetäuscht würde. Wer nicht im Rahmen einer Säuberung stirbt, wird oft zur Geisel. In den vergangen Jahren hat sich in Tschetschenien ein regelrechter Geiselhandel etabliert, von dem die verschiedenen Kriegsparteien profitieren. Auch die Widerstandskämpfer begehen ernsthafte Menschenrechtsverletzungen: Sie töten ZivilistInnen, die sie nicht unterstützen, benützen sie als menschliche Schutzschilder, zwingen sie, Stellungen zu bauen oder hindern sie an der Flucht aus Tschetschenien.
DER ALLTAG IN RUINEN Die Angst, morgen schon «abgeholt» zu werden oder einem Anschlag zum Opfer zu fallen, prägt den Alltag der TschetschenInnen und paralysiert viele, andere kämpfen um das nackte Überleben. Viele verfügen nicht über fliessendes Wasser. Wer einen Anschluss hat, leidet unter der unregelmässigen Versorgung. Auch elektrischer Strom ist nach wie vor keine Selbstverständlichkeit. Die tschetschenische Wirtschaft liegt in Trümmern, obwohl Tschetschenien über qualitativ hoch stehendes Erdöl verfügt. Die meisten zerstörten Städte und Dörfer sind noch nicht wieder aufgebaut. Landwirtschaft und Viehzucht sind wegen der unzähligen Minen vielerorts unmöglich. Die Arbeitslosigkeit hat mit geschätzten 80 Prozent ein horrendes Ausmass erreicht. Viele Menschen sind auf Sozialhilfegelder angewiesen. Diese werden zwar wieder regelmässig ausgezahlt, sie sind jedoch seit längerem nicht mehr der Teuerung angepasst worden und deshalb viel zu tief. Überleben können folglich viele Menschen nur dank Tauschhandel und
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illegaler Ölproduktion – und all dies, obwohl die Regierung in Moskau beträchtliche Summen für den Wiederaufbau zur Verfügung stellt. Ein grosser Teil dieses Geldes verlässt allerdings Moskau gar nie oder «versickert» in Tschetschenien. Auch im Bildungswesen ist die Situation trotz einiger Verbesserungen nach wie vor desolat: Es mangelt an Lehrbüchern, an Lehrkräften und auch an Schulen. Zudem ist hier, wie in allen Bereichen des öffentlichen Lebens in Tschetschenien, die Korruption allgegenwärtig. Studienplätze an der Universität sind nur gegen Bestechungsgelder zu haben. Je nach Fakultät kostet ein Platz zwischen 600 US-Dollar (Physik) und 8000 US-Dollar (Medizin). Einmal zur Universität zugelassen, müssen viele Studierende ihre ProfessorInnen bestechen, um genügende Noten zu erhalten. Vor diesem Hintergrund überrascht es kaum, dass hauptsächlich Kinder begüterter Menschen an den höheren Bildungsinstituten anzutreffen sind. Die tschetschenische GesundheitsInfrastruktur kann zurzeit schätzungsweise nur 40 bis 50 Prozent der Nachfrage decken. So hatte beispielsweise eine Geburtenklinik in Grosny zu Beginn des vergangenen Jahres wochenlang keine Medikamente erhalten. Weil es an Medikamenten und Geräten mangelt, müssen sich viele Menschen ausserhalb der Republik heilen lassen. Ein illustratives Beispiel für die Verhältnisse im tschetschenischen Gesundheitswesen sind die Möglichkeiten im Umgang mit den verschiedenen Formen von Hepatitis. Die genaue Zahl der Hepatitis B- und C-Kranken in Tschetschenien ist nicht bekannt. Sie müssen zur Behandlung jedoch auf jeden Fall die Republik verlassen. Einzig zur Behandlung von Hepatitis A sind in Tschetschenien die nötigen Medikamente und Apparaturen vorhanden. Und schliesslich wird in der ganzen Russischen Föderation den HepatitisKranken eine Invalidenrente bezahlt; in
Tschetschenien jedoch hat noch kein Kranker je eine solche Geldleistung gesehen. Diese katastrophalen sanitären und medizinischen Bedingungen und der Überlebensstress sind offensichtlich Ausdruck eines «aktiven» Konflikts, weit weg von einer angeblichen «Normalisierung». Vor diesem Hintergrund sind hunderttausende TschetschenInnen in den letzten Jahren aus ihrer Heimat geflohen, rund 70 000 haben in einem europäischen Land einen Antrag auf Asyl gestellt – nur ein kleiner Teil von ihnen hat dieses Ziel bisher erreicht. Wie viele Menschen zurzeit in Tschetschenien auf die nächste Gelegenheit warten, um in den Westen zu fliehen, kann nicht genau eruiert werden. Dass es immer mehr sind, ist jedoch offensichtlich. Allein diese Entwicklung widerlegt die von der russischen Regierung gebetsmühlenhaft vorgetragenen Beteuerungen einer «Normalisierung» der Situation in Tschetschenien. Gemäss einer Zusammenstellung der US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation «Chechnya Advocacy Network» anerkennt die Schweiz nur 10 Prozent der GesuchsstellerInnen aus Tschetschenien als Flüchtlinge und fordert aussergewöhnlich detaillierte Auskunft über die Verfolgung, während beispielsweise die Migrationsbehörden in Österreich in 96 Prozent, Belgien in 60 Prozent und Dänemark in 35-50 Prozent der Fälle den Flüchtlingsstatus erteilen. Zusätzlich beunruhigend ist die Tatsache, dass der Konflikt je länger desto stärker über die Grenzen Tschetscheniens schwappt. Auch in Inguschetien und Dagestan herrscht ein Klima von Gewalt und Angst und auch aus diesen Republiken sehen sich immer mehr Leute zur Flucht veranlasst.
Tschetschenien ist eine der zu Russland gehörigen Kaukasusrepubliken, grenzt an Dagestan und Inguschetien und im Süden an Georgien. Auf einer halb so grossen Fläche wie der Schweiz leben heute etwa 500 000 Menschen. Die Sprache ist tschetschenisch und zu den Kaukasussprachen gehörig. Die Mehrheit der Leute sind gemässigte Moslems. Tschetschenien wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts Teil des russischen Zarenreiches. Fast fünfzig Jahre dauerten die kaukasischen Kolonialkriege, in welchen die einheimischen Bergvölker immer wieder die russische Armee zurückzuschlagen vermochten. Doch ab 1862 gehörte der Kaukasus zum Russischen Reich – die Hauptstadt Nord-Ossetiens Wladikawkas (russisch für «Beherrscher des Kaukasus») erinnert noch heute an die Schmach. Auch in der Sowjetunion wurden die TschetschenInnen drangsaliert; Stalin erkannte in dem aufmüpfigen Bergvolk einen Feind der Sowjetunion und liess das halbe Volk nach Sibirien deportieren. Erst im Zug der Entstalinisierung in den 1950er Jahren konnten die TschetschenInnen in ihre Heimat zurückkehren. Kurz nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 erklärte sich die autonome Republik für unabhängig. Auf Jelzins Befehl versuchte die russische Armee die Republik mit militärischen Mitteln wieder an Russland zu binden, was 1994 zum ersten Tschetschenienkrieg führte. Nach zermürbenden Kämpfen und hohen Verlusten (80 000 Tote und 500 000 Flüchtlinge) endete dieser Konflikt 1996 mit einem Friedensvertrag und einer eigentlichen Unabhängigkeit Tschetscheniens. 1999 begann der zweite Krieg.
Klaus Ammann ist Historiker und Journalist mit Schwerpunkt Osteuropa. Er ist Gründungsmitglied von «Pro Mira» (siehe S. 20).
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GESPRÄCH MIT WALID ISMAILOW, PRÄSIDENT VON DEIMOCHK
«DIE HOFFNUNG STIRBT ZULETZT» DER ARZT WALID ISMAILOW FLÜCHTETE VOR SECHS JAHREN MIT SEINER FAMILIE VON MOSKAU IN DIE SCHWEIZ. ER IST MITBEGRÜNDER DES VEREINS SCHWEIZERISCHE-TSCHETSCHENISCHE FREUNDSCHAFT DEIMOCHK.
Weitere Angaben zu Deimochk finden sich unter www.stfd.ch. Laut Angaben von Walid Ismailov zählt der Verein zurzeit rund 500 Mitglieder, davon sind rund 150 aktiv. In der Schweiz leben zurzeit ca. 1000 TschetschenInnen.
Walid Ismailow wurde 1972 in Tschetschenien geboren. 1989 bestand er die Aufnahmeprüfungen an der medizinischen Fakultät der Universität Astrachan nahe der Wolgamündung ins Kaspische Meer. Nach Abschluss des Studiums arbeitete er während und nach dem ersten Tschetschenienkrieg (1994 bis 1996) im Spital seiner Heimatstadt. 1998 wurde er von seinem Spital nach Moskau gesandt, um dort zum Kieferund Gesichtschirurgen ausgebildet zu werden. Vor sechs Jahren, nach den Bombenanschlägen in Moskau, die als Anlass zum zweiten Krieg in Tschetschenien dienten, wurde ihm und seiner schwangeren Frau das Leben in Moskau zu gefährlich. Sie flohen in die Schweiz und stellten hier Antrag auf Asyl. Im Mai 2005 – nach langen Jahren der Ungewissheit – erhielten er und seine Familie eine Aufenthaltsbewilligung C. Heute leben Walid Ismailow und seine Frau Luisa mit ihren vier Kindern im Kanton Basel-Landschaft. Vor drei Jahren gründete Walid Ismailow zusammen mit andern TschetschenInnen den Verein schweizerisch-tschetschenischer Freundschaft Deimochk (tschetschenisch für Vaterland) Klaus Ammann hat mit Walid Ismailow gesprochen:
Wie erlebten Sie denn die Ankunft in der Schweiz?
Das war vor sechs Jahren. Am 26. Februar kamen wir in Basel an und am 29. wurde unsere älteste Tochter geboren. Eine Woche später wurden wir nach Liestal gebracht und am 12. März ins Durchgangsheim nach Laufen. Damals durften Asylsuchende erst nach sechs Monaten Arbeit suchen. Am erstmöglichen Tag gingen wir – meine Frau und ich – ins lokale Spital, und meine Frau erkundigte sich auf Französisch, ob sie für mich Arbeit hätten. Ich hatte Glück: Dank der damaligen Personalknappheit im medizinischen Bereich erhielt ich innert Monatsfrist eine Stelle als Hilfspfleger – heute wäre das undenkbar. Wie empfinden sie das Leben in der Schweiz?
Es ist kompliziert und ein Riesenglück zugleich. Wer hier geboren ist, kann sich nicht vorstellen, welche Vorzüge das hiesige Leben für Menschen aus andern Regionen der Welt bringt. Wer hier als normaler Mensch leben kann, hat ein Riesenglück. Aber ich finde das Leben hier auch kompliziert. Vieles läuft recht bürokratisch. Man muss viel arbeiten, unbedingt die Sprache lernen und wenn irgendwie möglich einen Beruf erlernen. Nur wer all dies tut, kann hier wirklich leben. Menschen von aussen Walid Ismailow, warum haben Sie müssen sich selbst aktiv integrieren in in der Schweiz einen Antrag auf der Schweizer Gesellschaft. Die Asyl gestellt und nicht in einem Schweiz hat mich nicht eingeladen, anderen europäischen Land? Das war ein Zufall. Wir wollten nicht nein, ich musste mich selbst bemühen unbedingt hierher kommen, sondern und mir mein Leben hier erkämpfen.
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einfach weg aus Russland. Gerade so gut wie in der Schweiz hätten wir in Deutschland, Belgien oder in Frankreich landen können. Das ist einfach so passiert.
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Wo liegt denn der grösste Unterschied zwischen der Schweiz und Tschetschenien, einmal abgesehen von Sicherheitslage und Religion?
Der grösste Unterschied liegt wahrscheinlich im Zwischenmenschlichen: In Tschetschenien ist die Gesellschaft in Clans organisiert. Hier in der Schweiz aber haben Fortschritt und Wohlstand viele Beziehungsstrukturen kaputt gemacht. Materielle Werte haben zu starkes Gewicht erhalten. In Tschetschenien hingegen verdienen die Menschen wenig, die Bande innerhalb der Familien und Clans jedoch sind sehr stark. Menschen helfen einander gegenseitig, ohne sich gut zu kennen. Das vermisse ich. Allerdings möchte ich an dieser Stelle festhalten, dass es auch in der Schweiz viele Leute gibt, die mir geholfen haben – und ich kenne ja viele Leute hier, da ich täglich mit Menschen arbeite – aber die Mentalität der Menschen hier ist anders. Waren diese fehlenden zwischenmenschlichen Bindungen der Hauptgrund für Sie, den Verein Deimochk zu gründen?
Das ist höchstens einer der Gründe, aber nicht der Hauptgrund. Den Verein haben wir vor drei Jahren gegründet, damit wir, die schon länger hier leben, den Neuankommenden helfen können in Sachen Integration. Die meisten wissen nicht, wie man sich hier benehmen muss, wo man welche Information erhält. Am Anfang geht es beispielsweise auch ganz einfach darum, dass wir unseren Landsleuten erklären, wie man hier ein Ticket fürs Tram kaufen kann. Oft springen wir als Übersetzer ein oder organisieren welche. Wie vermittelt Ihr denn dieses Wissen? Bietet Ihr Kurse an?
Nein, Kurse veranstalten wir nicht. Unser Verein ist jedoch in vielen Kantonen präsent. In jeder Region gibt es verantwortliche Personen. Wenn diese Leute von TschetschenInnen erfahren, die Probleme haben, melden sie uns dies. Wenn zum Beispiel in einem Asylbewerberheim unhaltbare Zustände herrschen, wenn beispielsweise eine Familie mit lauter alleinstehenden Männern
einquartiert wird und die Kinder wegen des Lärms nicht schlafen können, dann versuchen wir etwas zu unternehmen. Dann kontaktieren wir die Behörden, bitten sie um eine Stellungnahme und orientieren die Betroffenen über ihre Rechte. Das gleiche geschieht beispielsweise, wenn ein Tschetschene oder eine Tschetschenin im Gefängnis landet – es gibt auch unter den Tschetschenen schwarze Schafe – dann kümmern wir uns um die Betroffenen. Sie und Ihre Familie, Sie haben ja – wie Sie selbst sagen – Glück gehabt. Sie haben rasch einen Job gefunden, Sie haben eine eigene Wohnung und nach langem Warten nun eine Aufenthaltsbewilligung erhalten. Andern geht es nicht so gut. Welches sind denn die Probleme, mit denen TschetschenInnen in der Schweiz konfrontiert sind?
Es gibt viele Probleme, weil das Asylwesen zu bürokratisch ist: jeder wird gleich behandelt, ob er jetzt ein offensichtlicher Wirtschaftsflüchtling ist oder wie wir vor einem Krieg geflohen ist. Der Bund überweist für jeden Asylsuchenden die gleiche Summe, nämlich 40 Franken pro Tag, die Gemeinden aber verwenden dieses Geld unterschiedlich. Bei den Unterkünften beispielsweise gibt es sehr grosse Unterschiede. Ich kenne das aus eigener Erfahrung. Ausserdem muss ein Asylbewerber diese Kosten rückerstatten, sobald er dazu im Stande ist. Aus diesem Grund musst du als Asylsuchender, wenn du arbeitest, 10 Prozent des Lohnes abliefern. Am Schluss, das heisst, wenn du wie ich eine Bewilligung erhältst, wird abgerechnet. Falls du insgesamt zu viel bezahlt hast, kriegst du entsprechend das Geld, das nicht verwendet wurde, zurück. Ich habe über die Jahre insgesamt 28 000 Franken abgeliefert. Zuerst stellten sie mir eine Rechnung aus über 25 200 Franken für die sechs Monate, während denen ich ohne Arbeit
war. Das ist das, was der Bund für mich und meine Familie den Gemeinden überwiesen hat. Da sagte ich mir: «Das kann nicht sein!» und habe bei allen Gemeinden und bei der Krankenkasse angefragt, wie viel sie tatsächlich für mich ausgegeben haben. Nachdem sich auch eine Rechtsberatungsstelle eingeschaltet hatte, berechneten man mir schliesslich noch 21 000 Franken. Seither weiss ich: Vom Bund wird grundsätzlich genug Geld an die Gemeinden überwiesen, aber die Gemeinden setzen unterschiedlich viel Geld für die Asylbewerber ein. Und da müssen wir uns mit unserem Verein auch einsetzen. Walid Ismailov, Sie verfolgen, was in Tschetschenien zurzeit läuft, Sie stehen in Kontakt mit Verwandten und Bekannten vor Ort. Was berichten diese Ihnen?
Die sagen alle dasselbe: Tschetschenien ist ein besetztes Land. Die Regierung gehorcht den Befehlen aus Moskau. Alles läuft nach dem Plan Moskaus. Trotz einer gewissen Normalisierung sterben täglich Menschen. Ist das Leben der Menschen in den letzten Jahren einfacher geworden?
Ja sicher. Es herrscht nicht mehr der offene Krieg, in dem ständig Flugzeuge am Himmel auftauchen und Bomben abwerfen. Aber trotzdem: Jede Nacht werden Leute entführt. Menschen verschwinden spurlos. Man darf nichts gegen die Regierung sagen. Jeder hat Angst vor jedem und niemand vertraut den Behörden.
Der grösste Teil des Geldes, das von Moskau für den Wiederaufbau gesprochen wird, versickert. Oft verlässt es die Hauptstadt nicht einmal. Für die Menschen in Tschetschenien wird zwar da und dort etwas unternommen, aber das reicht bei Weitem nicht. Und das Schlimmste: Es gibt keine Freiheit – nicht nur in Tschetschenien, sondern in ganz Russland sind die Menschen nicht frei. Worauf hoffen Sie denn für Tschetschenien?
Ach, die Hoffnung stirbt zuletzt, aber ich weiss wirklich nicht. Meine Hoffnungen auf den Westen haben sich auf Null reduziert, nachdem was ich hier alles gesehen habe. Es geht ja nur um Erdöl, Erdgas, Vogelgrippe – all das ist hier viel wichtiger als Tschetschenien. > KLAUS AMMANN <
Glasklar die Mondesnacht Glasklar die Sternennacht Glasklar die Stille wacht Glatter als Glas Finsterste Finsternis finstrer als Schweigen ist Sammle den Augenblick in eine Hand voll Glück Glasklar die Zeit verrinnt Finster das Leben hin Apti Bisultanov
Sieht man denn etwas vom viel zitierten Wiederaufbau?
Nein. In Grosny wurde bislang eigentlich nur der zentrale Platz erneuert. Dieser hiess früher Leninplatz, heute nennen sie ihn den Kadyrow-Platz. (Nach dem ermordeten pro-russischen Präsidenten Tschetscheniens). Alles ist also wieder beim Alten – sogar punkto Heldenverehrung.
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GESPRÄCH MIT MAGA, EINEM TSCHETSCHENISCHEN ASYLSUCHENDEN
«MÜNCHENBUCHSEE KAM WIE EIN WUNDER» ODER «KOPFKARAMBOLAGE» FLÜCHTLINGE HABEN ES OFT DOPPELT SCHWER. NACH DER BELASTENDEN VERFOLGUNGS- UND FLUCHTSITUATION HABEN SIE AUCH IN DER SCHWEIZ KEINE GUTE PERSPEKTIVE – ODER VIELLEICHT ERST NACH EINIGEN UMWEGEN.
Maga ist ein junger, sportlicher, grossgewachsener Mann, ein Tschetschene. Wir sitzen im Wohnzimmer der Wohnung seiner Familie, die Mutter bringt Tee. Sie wünscht, dass das megafon die Geschichte ihres Sohnes abdruckt. Ihrem zähen Willen, ihrer Kraft ist es zu verdanken, dass sie und ihr kriegsverletzter Sohn nun hier in der Schweiz sind. Als Maga zu erzählen beginnt, taucht er tief in seine Erinnerungen ein. Immer wieder zeigt er auf den im Hintergrund flimmernden Flachbildschirm, wie wenn dort, hinter diesem Bildschirm, seine Freunde, seine Feinde versammelt wären.
INTRO 1996 war ein schwarzes Jahr für Magas Familie. Anfang August verlor der Vater in den Wirrungen des so genannten Sturmtages in Grozny sein Leben, noch im selben Monat erreichte die Nachricht von der schweren Kriegsverletzung Magas die leidgeprüfte Familie. Die Mutter, nun verwitwet, sah in Tschetschenien keine Zukunft mehr für sich und ihren verletzten Sohn und bereitete die Flucht nach Westeuropa vor. Und tatsächlich gelangten die beiden im Sommer 1997 nach einer langen und beschwerlichen Reise in die Schweiz. Magas Asylgesuch ist nach über acht Jahren immer noch nicht entschieden. Nicht mal eine humanitäre Aufenthaltsbewilligung hat er erhalten, während die Mutter nachdem sie wieder geheiratet hat über eine B-Aufenthaltbewilligung verfügt.
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DIE MUTTER Die Mutter möchte, dass Magas Geschichte erzählt wird, und nicht wie ursprünglich vorgesehen die ihrige. Sie meint, die Erfahrungen von Maga könnten stellvertretend für viele andere junge Menschen stehen, welche traumatisiert in die Schweiz gekommen sind in der Hoffnung, hier ein neues, besseres Leben zu beginnen. Ihr Sohn hat es zu Beginn des Aufenthalts in der Schweiz sehr schwer gehabt, er war psychisch angeschlagen, später hat er Drogenprobleme gehabt. Noch immer macht sie sich Sorgen um ihren Sohn, denn Maga hat meistens keine Arbeit, ist Sozialgeldempfänger. Dies belastet sein ohnehin labiles seelisches Gleichgewicht noch zusätzlich. Wenn Maga hier hätte arbeiten können, studieren, einen Beruf erlernen, dann «hätte er sein Leben nicht verloren». Sie wünscht, dass alle jungen Leute die Chance erhalten, ein gutes sinnvolles Leben zu führen. Das ist ihre Überzeugung. Und dafür hat sie sich immer eingesetzt, nicht nur für ihre eigenen Kinder, sondern auch für andere junge Menschen.
VOM STUDENT ZUM REBELL Als sich Maga zur Jahreswende 1994/95 spontan einer tschetschenischen Widerstandsgruppe anschloss, war er neunzehnjährig. Bis dahin hatte er an der Sportfakultät von Grozny studiert, er stand kurz vor der Meisterschaft im Freistil-Ringen. In dieser Silvesternacht eroberten russische Soldaten die Stadt, als Maga gerade bei seiner Grossmutter ausserhalb von Grozny zu Besuch weilte. Er war verzweifelt und wusste nicht, ob seine Eltern noch am Leben waren. Auf der Suche nach ihnen stiess er am Stadtrand von Grozny auf diese Rebellengruppe, mit der er schliesslich ein halbes Jahr zusammen blieb.
VERLETZUNG UND FLUCHT Danach kämpfte er noch in anderen Widerstandseinheiten, bis er Ende August 1996 durch eine Granate eine schwere Kopfverletzung erlitt. Zusammen mit anderen Verletzten wurde er durch Ärzte des Roten Kreuz gerettet. «Glück habe ich gehabt. Die haben mich mitgenommen! Ich habe grosse Achtung vor diesen Leuten.» Maga lag im Koma, als er nach Dagestan in ein IKRK-Spital überführt wurde, dort entfernten sie zahlreiche Metallstücke aus seinem Kopf. «Es waren Schweizer Ärzte.» Die haben Magas Schädel wieder gut hingekriegt, von der Kopfdeformation ist kaum mehr etwas zu sehen. Von Dagestan aus wurde er nach Aserbaidschan gebracht. «Ich konnte nicht reden, ich hatte Scheissegefühl, Kopfkarambolage.» Erst nach ein paar Monaten habe er wieder einigermassen denken können. In Aserbaidschan lebten viele verletzte Rebellen. Und dorthin kam ihn seine Mutter holen. Sie habe ihm zuerst nicht gesagt, dass sein Vater tot sei, sie wollte ihn nicht belasten. Seine Mutter sei «immer in Bewegung» gewesen. Sie war die einzige, die sich nicht vom schweren Schicksal unterkriegen liess und beharrlich an eine Zukunftsperspektive geglaubt hat. Als sie ihm von ihrem Plan erzählte, nach Westeuropa zu fliehen, weigerte er sich zunächst, da er nach seiner Genesung weiter kämpfen wollte. Aber was würde seine Mutter ohne männliche Begleitung machen? Seine Aufgabe als Mann und Familienmitglied sei es gewesen, sie zu beschützen, sagt Maga. Deshalb habe er schliesslich in die Flucht eingewilligt. Seit der Kopfverletzung leidet er unter Epilepsie und hat Probleme mit dem Gedächtnis. Er erinnert sich beispielsweise nicht daran, wie er verletzt wurde. Nur im Schlaf zeige sich ihm die Wahrheit, da wiederholen sich tausendmal Situationen, die er in Krieg erlebt hat. «Noch kann ich mich nicht er-
innern, ich denke aber, dass meine Träume die Wahrheit sind.» Er leidet auch unter Schlaflosigkeit und Angstgefühlen. In ruhigen Zeiten wird er heute weniger von diesen Albträumen geplagt, welche vor allem in Stresssituationen auftreten.
DIE EINREISE Als seine Mutter und er im Juni 1997 in Basel durch die Zollkontrolle an den bewaffneten Zöllnern vorbei gingen, habe er seine Hände nicht ruhig halten können. Das erste Mal seit etwas über zwei Jahren trug Maga keine Waffe auf sich. Er fühlte sich nackt, ausgeliefert, unfähig, sich zu verteidigen. (Maga verschränkt seine Arme schützend vor seinem Körper.) Das machte ihm zu schaffen, auch später noch, im Erstaufnahmezentrum, im Durchgangszentrum. «Ich hatte immer wieder Angst, getötet zu werden. Angst, dass mir etwas passieren könnte.» Mit den Kosovoalbanern, welche in diesen Jahren in den Durchgangszentren in der Mehrzahl waren, kam es oft zum Streit.
NEU IN DER SCHWEIZ Später, als die Familie das erste Mal in einer eigenen Wohnung in einem Seeländer Dorf wohnte, sah es aus, als ob das Leben besser werden würde. Maga besuchte in Biel den TAST-Kurs für Asylbewerber, lernte Deutsch. Ein Gemeindebeamter begann dann, die Familie mit ausländerfeindlichen Sprüchen zu verunsichern;
er besuchte die Mutter, wenn Maga in der Schule war, und schüchterte sie ein. Als Maga davon erfuhr, rastete er aus und ging schnurstracks zum Haus dieses Mannes, um ihn zur Rede zu stellen. Sie konnten dann nicht länger in diesem Dorf bleiben. Mit Hilfe einer befreundeten Schweizer Familie fanden sie eine Wohnung in einer Hochhaussiedlung in einer bernischen Vorortsgemeinde. «Münchenbuchsee kam wie ein Wunder.» Die Mutter lernte jeden Tag Deutsch. Maga jedoch verliess in den ersten drei Monaten sein Zimmer kaum, schaute nur aus dem Fenster. Er spürte nur einen Wunsch: Wieder zu Hause zu sein. Die Mutter machte sich grosse Sorgen, fürchtete, dass er sich umbringen würde, weil es ihm psychisch so schlecht gegangen sei in dieser Zeit. Sie hätten sich oft über die Sinnlosigkeit ihres hiesigen Daseins gestritten: Abhängig vom Sozialdienst, ohne Arbeitsgenehmigung, dazu der Krieg in der Heimat, das ungewisse Schicksal der übrigen Familienmitglieder. Streckenweise waren die widersprüchlichen Gefühle kaum auszuhalten. Und doch lernte die Mutter weiter Deutsch, hielt am Glauben fest, dass das Leben einmal besser werden würde, wenn man nur die Sprache beherrscht und eine Arbeitsbewilligung hat. Maga stellte sich vor, dass man ihn hier in der Schweiz – aufgrund seiner militärischen Ausbildung – bei der Polizei oder dem Geheimdienst brauchen könnte. Er muss über seine damalige Naivität lachen.
MUSLIM, DER FREUND Als Muslim, seinem besten Freund, mit Hilfe von Freunden die Flucht in die Schweiz gelang, freute sich Maga sehr. Die beiden schmiedeten Zukunftspläne, wollten einen Beruf erlernen, arbeiten, eine Familie gründen. Doch es kam anders. Muslim sei sehr misstrauisch gewesen. Beispielsweise dachte er, die Leute bei der Asylbefragung seien bewaffnet. Maga versicherte ihm, dass er nichts zu befürchten habe. Er kannte alle diese Ängste, er hat sie ja selber durchlebt. Als der Krieg in Tschetschenien wieder anfing und Muslim den Kontakt zu seiner Familie ganz verloren hatte, zog er sich immer mehr zurück. Ohne Familie habe das Leben für einen Tschetschenen keinen Sinn. Maga machte sich grosse Sorgen, versuchte mit ihm zu sprechen. Aber Muslim wollte sein Leid nicht zeigen, sei je länger, je unnahbarer geworden.
DER SUIZID Ein Jahr nach der Einreise brachte sich Muslim im Durchgangszentrum um. Er hat sich in der Dusche aufgehängt. Für Maga war dies ein Schock, er konnte es kaum fassen. Obwohl im Islam Suizid nicht erlaubt ist, gelang es ihm, für seinen Freund ein musul>
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manisches Begräbnis zu organisieren. «Gott hat mir geholfen, ich konnte die Imame überzeugen, dass mein Freund im Kopf schwer krank gewesen ist.» Muslim ruht heute auf dem islamischen Friedhof im Kanton Basel-Landschaft.
DER ABSTURZ Maga wurde immer verzweifelter. «Was ich mir immer wieder gewünscht habe, ist zu sterben. Das würde mich beruhigen, das ist die grosse Freiheit. Aber meine Mutter und meine Schwester würde das sehr schmerzen.» Ihn quälten Schuldgefühle, dass er nicht genug gemacht habe für seinen Freund, und ob er ihn nicht doch hätte retten können. Er begann zu trinken, nahm Drogen, wurde kriminell. «Ich habe nie Drogen verkauft, nur konsumiert», betont er. Mehrmals versuchte er sich umzubringen. Nach einem weiteren Suizidversuch kam er für sechs Monate in eine psychiatrische Klinik. Dort hörte er mit den Drogen auf. Er begann, über sich, über seine Familie, über seinen Freund nachzudenken. Heute bereut er seinen Drogenkonsum, er schämt sich dafür. Und doch meint er zu wissen: Nur durch Schlechtes kommt das Gute. Er wäre nicht an diesem Punkt, wo er heute steht, wenn er nicht so tief gesunken
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wäre. «Du musst nicht aufgeben, musst das Leben weiterführen, darfst es nicht aufgeben.» Geholfen habe ihm dabei sein Glaube an Gott und dass er grossartige Menschen kenne, deren Namen er nicht beschmutzen will.
DAS LEBEN GEHT WEITER «Wenn ich die Möglichkeit hätte, Geld zu verdienen, anderen Menschen damit zu helfen, wenn ich die Gewissheit hätte, Gutes zu tun, dann würde es mir besser gehen.» Für Maga ist es schwierig auszuhalten, dass er kein eigenes Geld verdient, sondern vom Sozialdienst abhängig ist. Im Krieg, da sei er selbständig gewesen, habe etwas für seine Familie, sein Land tun können. Maga hat keine Ausbildung; das einzige, was er gelernt hat, ist Soldat zu sein. Wie wäre es für ihn, in einer Security-Firma zu arbeiten, da er ja verschiedene Kampfsportarten beherrscht? «Keine gute Idee», meint Maga, seine Traumata können in Konfliktsituationen reaktiviert werden und er riskiert, die Kontrolle über sich und seine Gefühle zu verlieren. Maga sucht dauernd Arbeit, er ist bereit, jeden Job zu machen. «Meine Würde, meinen Stolz, meinen Glauben habe ich nicht verloren. Ich würde sonst auf meine Situation spucken. Mit Hilfe von Gott habe ich das geschafft.» Als Asylsuchender mit hat er jedoch kaum eine Chance, eine feste Arbeitsstelle zu finden. Und solange sein Asylgesuch nicht entschieden ist, hat er sowieso keine Chance, seinen Traum von einer
Ausbildung zum Automechaniker zu verwirklichen. Maga träumt davon, einmal ein Kind zu haben. Es würde einmal Gutes für andere Menschen tun, es würde seinen Namen tragen, und stolz, gläubig und in Würde leben. Es würde alle seine Träume realisieren. Das ist Magas Traum. Er hat letztes Jahr geheiratet. Seine Frau, ebenfalls tschetschenische Asylbewerberin, hatte einen schweren Herzfehler und konnte zum Glück hier in der Schweiz operiert werden. Heute ist sie gesund. Er hat eine Frau geheiratet, die weiss, was Leiden heisst. So wie er. > CHRISTINE SIEBER <
PS: Am letzten Interviewtag empfängt mich Maga freudig. Er erwartet um 12 Uhr einen Anruf wegen eines zweimonatigen Arbeitseinsatzes im Tunnelbau. Nur noch zwei Bewerber seien im Rennen, er ist sich sicher, den Job zu bekommen. «Schau nur, wie stark ich bin», und zeigt seine kräftigen Hände. Seine Mutter schaut mich besorgt an: «So war es schon viele Male. Er ist voller Hoffnung, dann folgt die grosse Enttäuschung.» PPS: Sämtliche Angaben, welche Rückschlüsse auf die Personen zulassen, sind verändert.
DIE RUSSISCHE VERSION
EINE GENEHME ZIVILGESELLSCHAFT IN DREI EINFACHEN SCHRITTEN NICHTSTAATLICHE MENSCHENRECHTS-ORGANISATIONEN SIND UNTER BESCHUSS, GLEICH OB SIE
INTERNATIONAL, RUSSISCH ODER TSCHETSCHE-
NISCH SIND. EINE PLATTFORM FÜR DIE ZIVILGESELLSCHAFT IN TSCHETSCHENIEN IST KÜRZLICH IN DER SCHWEIZ INS LEBEN GERUFEN WORDEN,
ungerechter und politisch motivierter ABER DIE ANDAUERNDEN SCHIKANIERUNGEN GEKOP- Prozess gemacht, weil er Interviews mit zwei tschetschenischen RebellenPELT MIT EINER NEUEN GESETZGEBUNG FÜR NGOS führern publiziert hatte. Die GesellMACHEN DAS ALLTÄGLICHE FUNKTIONIEREN EINER schaft ist zudem mit riesigen SteuerZIVILGESELLSCHAFT IN RUSSLAND ZU EINER forderungen konfrontiert, während sie GROSSEN HERAUSFORDERUNG. gleichzeitig von allen finanziellen Ressourcen abgeschnitten wurde. Eine andere Mitarbeiterin war deftiger EMail-Belästigung ausgesetzt sowie Nachdem der russische Präsident Vla- Verleumdungen seitens lokaler politidimir Putin seinen Einfluss auf die Me- scher Parteien, die sie als «tschetschedien und die regionale politische Elite nische Hure» bezeichneten, die «Terrogesichert, ein höriges Parlament ein- risten» hilft. Dies gilt natürlich nicht als gesetzt und die Unabhängigkeit der Ju- Anstachelung zu Hass. Auch die Arbeitsbedingungen vieler dikative untergraben hat, wendet er sich nun dem Störfaktor zu: Russlands anderer NGOs haben sich wesentlich verschlechtert mit der Tendenz, dass unziviler Gesellschaft. ihre Arbeit öffentlich denunziert wird. Die «Soldaten Mütter», die sich für die ERSTER SCHRITT: UNABHÄNoft adoleszenten, wenig ausgebildeten GIGE NGOS DISKRETITIEREN und unterernährten Rekruten der RusDie Bedrohung und Einschüchte- sischen Armee einsetzen, kommen oft rung von MenschenrechtsvertreterIn- unter Beschuss, im wörtlichen Sinne. nen in Russland hat System. Dabei Eine Kampagne, organsiert vom spielen beide Seiten, die Widerstands- Bundessicherheitsdienst FSB, will die kämpfer wie die Regierung ihre Rolle. grosse russische NGO «Moscow HelSeit der Rede an die Nation im Jahre sinki Groupe» diskreditieren, indem sie 2004 in der Präsident Putin NGOs be- die Britische Regierung der Spionage schimpft hat, haben Behörden falsche und illegalen Finanzierung solcher OrAnklagen gegen AktivistInnen erhoben ganisationen beschuldigt. NGOs wegen und gedroht ihre NGOs aufzulösen. Mit ihrer internationalen Verbindungen und diesem Vorgehen sollte der Bevölke- ihrer Geldquellen in Verruf zu bringen rung vorgeführt werden, dass es sich gehört mit zu den beliebtesten offizielbei den unabhängigen Gruppierungen len Methoden. Die Situation in Tschetschenien ist um Verbrecherbanden handelt oder um Agenten fremder Mächte, die eigentlich noch trostloser. Menschenrechtsaktivigegen das Vaterland arbeiten. Und dies stInnen erleiden ständige Belästigungen, um von ihrer Arbeit abgehalten zu geschieht offiziell. Der bis heute bekannteste Fall be- werden. Einige erleiden sogar Schlimtrifft die angesehene Gesellschaft für meres. Imran Ezhiev, der Gesellschaft Russisch-Tschetschenische Russisch-Tschetschenische Freund- für schaft (Society for Russian-Chechen Freundschaft wurde 17 mal verhaftet. Friendship SRCF), die im letzten Jahr Aslan Davletukaev wurde entführt und kontinuierlich unter Beschuss gekommen ist, und deren Direktor Stanislav Dmitrievsky wegen Anstachelung zu Hass zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Ihm wurde ein
sein verstümmelter Körper erst eine Woche später aufgefunden. Die bekannte Aktivistin Zura Bitieva wurde im berüchtigten «Filtrationslager Chernokozovo» festgehalten – drei Jahre nachdem sie ihre Klage im Europäischen Menschenrechtshof deponiert hatte, wurde ihr Haus von Regierungstruppen gestürmt und Zura, ihr Sohn, ihr Ehemann und Schwager ermordet. Mitglieder von «Echo of War» wurden in unterschiedlichen Zusammenhängen verhaftet und über ihre Aktivitäten verhört. Murad Muradov, Direktor von «Save the Generation», wird seit seiner Festnahme vor einem Jahren durch unbekannte Behörden vermisst. Und dies sind nur einige wenige Beispiele. Behörden und Polizei zeigen ein stetig wachsendes Interesse an den Aktivitäten der lokalen NGOs, insbesondere derjenigen, die die Menschenrechtssituation in Tschetschenien thematisieren. Gegen das «Chechen Committee for National Salvation» ist immer noch eine Anklage wegen Verbreitung «terroristischer» Inhalte hängig. Das Büro der Dachorganisation der NGOs (Offices of the Council of Non-governmental Organizations SNO) wurde Bundessicherheitsdienst FSB durchsucht und die «SNO» um die Herausgabe der Namen aller freiwillig Mitarbeitenden sowie weiterer Informationsquellen ersucht. Langsam aber sicher werden so die wenigen unabhängigen Stimmen zum Schweigen gebracht und verstummen sowohl in der eigenen Gesellschaft, wie auch nach aussen. Beamte lassen sich immer neue Vorwände einfallen, angeblich freundschaftliche Besuche bei unabhängigen NGOs und den Medienschaffenden abzustatten. >
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Alle Gedichte (in diesem Heft) wurden vom tschetschenischen Dichter Apti Bisultanov geschrieben und sind im deutsch-tschetschenischen Gedichtband «Schatten eines Blitzes» im Kitab-Verlag erschienen. Apti Bisultanov beschäftigte sich intensiv mit der tschetschenischen Folklore und verfolgte die Entwicklung der modernen europäischen Dichtung. In der Verbindung von beidem entwickelte er seinen eigenen poetischen Stil. Als 1979 der tschetschenische Literaturzirkel «Prometheus» verboten wurde, wurde auch er wegen seiner unangepassten literarischen Form als antisowjetisch verfemt. Apti Bisultanov wurde 1959 in Goitschu/ Tschetschenien geboren, einem Dorf mit 5600 Einwohnern, das im März 2 000 bei russischen Angriffen buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht wurde. Alle Handschriften und Briefe des Dichters, inklusiv sein Archiv verbrannten. Seit Herbst 2002 lebt er in Berlin.
Weitere Informationen über die «Tschetschenische Zivilgesellschaft» erhalten sie auf der Website: www.chechenforum.org
Mich weckte Wasserplätschern Als wären Himmel und Erde Plötzlich auseinandergerissen Und eine Sündflut trüge davon Das Land Ich lief hinaus Doch da
O wie sehnsüchtig Frühling Erwarte ich dich Apti Bisultanov
ZWEITER SCHRITT: EINE PRISE RESTRIKTIVE GESETZGEBUNG Ein guter Vorwand zur Einmischung in die Aktivitäten der unabhängigen NGOs bieten Besuche der Steuerbehörde, eines der bevorzugten Mittel der Regierung. Der Leiter der international bekannten russischen Menschenrechtsorganisation «Memorial» erklärt: «Letzten Frühling hatten wir vier Steueruntersuchungen. Jeden Abend mussten wir 600 Seiten kopieren, was auch bedeutete, dass wir kaum mehr etwas anderes tun konnten.» Im April wird ein neues Gesetz in Kraft treten, dass die Zivilgesellschaft weiter einschnüren wird. Auf den ersten Blick erscheint es harmlos, aber gerade die Schwammigkeit erlaubt grosszügige Interpretation und behördliches Einmischen in die Aktivitäten der NGOs. Die Regierung erhält mit dem neuen Gesetz das Recht zur Einsicht in alle Aktivitäten aller NGOs im Raum der Russischen Föderation, insbesondere derer, die Gelder vom Ausland erhalten – gleichzusetzen mit den unabhängigen.
DRITTER SCHRITT: ERSATZ MIT EINER MARIONETTEN (ZIVIL-)GESELLSCHAFT Das stete Aushöhlen unabhängiger NGOs durch einen Mix von neuen Gesetzen und Propaganda wird die russi-
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Tauten vom Dach Langsam die ersten Tropfen Als triebe jedes Gelenk meines Körpers Vereist von langem Kummer Knospen
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sche Zivilgesellschaft in die Knie zwingen. Und in geschwächtem Zustand werden sie sich durch die präsidiale Kammer in «gute» und «schlechte» NGOs spalten lassen. Wenig objektiv leider, sind die so genannten «Repräsentanten der Zivilgesellschaft» dieser Kammer, werden diese doch vom Präsidenten ernannt. Es wird aber wohl der letzte Schritt sein, sich über Proteste unabhängiger NGOs hinwegzusetzen und das Gütesiegel «Zivilgesellschaft» aufgedrückt zu bekommen. Dasselbe geschieht in Tschetschenien, wo es noch wichtiger ist, eine richtige Zivilgesellschaft aufzubauen, die das Genehme sagt. Obwohl sich nichts in Tschetschenien in schwarz oder weiss einleiten lässt, kann doch gesagt werden, dass das schiere Mass an «governmental non-governmental organisations» – liebevoll auch als «gongis» bezeichnet – die wahren NGOs und deren Arbeit ins Abseits befördert. In der wachsenden Isolierung, in der sich VertreterInnen von unabhängigen tschetschenischen Organisationen wiederfinden, abgeschnitten sowohl von ihrer eigenen Gesellschaft als auch vom internationalen Schauplatz, entstand die Idee, ein Forum der Zivilgesellschaft zu veranstalten. Die Schweizer Sektion der «Gesellschaft für bedrohte Völker», die seit Jahren zu Tschetschenien arbeitet, wurde um Unterstützung der MenschenrechtsAktivistInnen angegangen. Durch den Zusammenschluss mehrerer NGOs, wird ihre Handlungsfähigkeit sowohl nach innen, durch verbesserte Zusammenarbeit, wie auch nach aussen, durch grössere Präsenz und leichteren
Zugang zu internationaler Unterstützung, ausgebaut. Das Forum wurde letzten September in Bern gegründet, von 25 Delegierten, die ein weites Spektrum der tschetschenischen Zivilgesellschaft abbilden. Sie stehen ein für die Förderung der Menschenrechte, für Rechtsstaatlichkeit und Frieden, arbeiten gegen die Diskriminierung von TschetschenInnen und engagieren sich kreativ beim Aufbau lokaler Strukturen der Zivilgesellschaft. Leider werden viele der Mitglieder Opfer von Einschüchterungskampagnen; die oben genannten Beispiele betreffen alle Gründungsmitglieder des Forums. Die ohnehin schon dichte Informationsblockade, die Tschetschenien umgibt, wird verstärkt, weil den unabhängigen AktivistInnen Maulkörbe verpasst werden, in Tschetschenien, aber auch im Rest der Russischen Föderation. Es wird immer schwieriger, die Menschenrechte einer Gesellschaft zu verteidigen, die sich schon fürchtet, Gerechtigkeit für schwerste Gesetzesverletzungen zu verlangen. Die Beseitigung der letzten kritischen Stimmen und deren Ersatz durch öffentlich «beglaubigte» RepräsentantInnen markiert den Triumph über die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit in Tschetschenien. Und niemand kann die Stimme dagegen erheben. Niemand wird gehört. > SHOMA CHATTERJEE <
Shoma Chatterjee ist Projektkoordinatorin für Tschetschenien bei der Gesellschaft für bedrohte Völker in Bern.
DIE PRAXIS DER ASYLBEHÖRDEN BETREFFEND ASYLSUCHENDE AUS TSCHETSCHENIEN
INLÄNDISCHE SCHUTZALTERNATIVE? ASYLSUCHE IN DER SCHWEIZ ASYLSUCHENDEN AUS TSCHETSCHENIEN WIRD NUR IN WENIGEN FÄLLEN ASYL GEWÄHRT... DIE
SCHWEIZER BEHÖRDEN GEHEN DAVON AUS, DASS SIE SICH IN EINEM ANDEREN TEIL RUSSLANDS NIEDERLASSEN KÖNNEN.
Die meisten Flüchtlinge aus Tschetschenien nehmen grosse Risiken auf sich, um über verschiedene Drittländer in die sichere Schweiz zu gelangen. Nur selten verfügen sie über die notwendigen Identitätspapiere, um diese lange Reise auf legalem Wege zu machen. In der Schweiz angekommen, haben sie ein letztes Hindernis zu bewältigen: das schweizerische Asylverfahren. Dabei gilt es, in mindestens zwei Anhörungen überzeugend und detailliert darzutun, wieso man aus seinem Heimatland geflohen ist. Sämtliche Fluchtgründe sollten widerspruchsfrei vorgebracht und wenn möglich mit Beweismitteln untermauert werden. Asylsuchende aus Tschetschenien müssen zusätzlich einen Länder- und Sprachtest bestehen. Dieser Test soll bestätigen, dass eine Person tatsächlich aus Tschetschenien stammt. Nur wer ihn besteht hat eine Chance, als Flüchtling anerkannt oder zumindest vorläufig aufgenommen zu werden. Bei der Beurteilung der Fluchtgründe spielen für die zuständigen Behörden die anwendbaren gesetzlichen Normen sowie die Entscheidpraxis eine gewichtige Rolle. Ebenso sind die Beurteilung der Lage im Fluchtland, der individuellen Fluchtgeschichte, sowie die Möglichkeiten für die Schutzsuche andererorts für den Asylentscheid von grosser Wichtigkeit.
Gemäss Artikel 3 des schweizerischen Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 gilt eine Person unter anderem dann als Flüchtling, wenn sie in ihrem Heimatland wegen ihrer Nationalität, ethnischen Zugehörigkeit oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt ist. In der Praxis dazu wird zudem vorausgesetzt, dass sich eine verfolgte Person nicht bereits im eigenen Land den Verfolgern wirkungsvoll entziehen kann. Das heisst: Es darf keine «inländische Schutzalternative» bestehen. Spätestens an diesem Punkt scheitert die Flüchtlingsanerkennung vieler Asylsuchenden aus Tschetschenien. Denn die schweizerischen Asylbehörden kommen in den meisten Verfahren zum Schluss, die Gesuchsteller könnten sich in einem anderen Gebiet der Russischen Föderation niederlassen und so im eigenen Land effektiven Schutz vor dem Bürgerkrieg finden. Die Verfolgung einer Person auf dem ganzen Gebiet der Russischen Föderation wird in der Regel als unwahrscheinlich erachtet. Bereits die theoretische Möglichkeit des inländischen Schutzes vor den Bürgerkriegswirren reicht aus, um die Anerkennung als Flüchtling zu verweigern. Nur wer von den russischen Behörden wegen der Unterstützung der tschetschenischen Widerstandskämpfer persönlich gesucht wird, könne sich nirgends auf dem Gebiet der Russischen Föderation der Verfolgung entziehen. Die Frage, ob es für eine tschetschenische Person zumutbar ist, sich irgendwo in den überfüllten Flüchtlingslagern im an Tschetschenien angrenzenden Föderationsgebiet oder in den Slums von Moskau niederzulassen,
spielt erst bei der Prüfung einer vorläufigen Aufnahme aus humanitären Gründen eine Rolle. Dabei berücksichtigen die Behörden, ob eine Person am Fluchtort ein soziales Umfeld vorfindet, ob notwendige medizinische Behandlungen möglich sind, und ob eine Person am Fluchtort überhaupt eine menschenwürdige Existenz führen kann. Sind diese Grundvoraussetzungen gegeben, wird der Vollzug der Wegweisung abgewiesener tschetschenischer Asylsuchender an einen innerstaatlichen Zufluchtsort als zumutbar erachtet (Urteil der schweizerischen Asylrekurskommission, EMARK 2005 Nr. 17, S. 157, zu finden unter ark-cra.ch). Zu diesem Schluss gelangen die Behörden, obwohl sie sich bewusst sind, dass Menschen kaukasischer Abstammung in weiten Teilen der Russischen Föderation mit Misstrauen und Ablehnung begegnet wird. Man ist jedoch der Ansicht, diese Menschen würden alleine aufgrund ihrer Ethnie keiner konkreten Gefährdung ausgesetzt. Für die betroffenen Asylsuchenden ist diese Praxis oftmals kaum nachvollziehbar. Sie fliehen aus Tschetschenien vor den russischen oder prorussischen Streitkräften und sollten dann gemäss Schweizer Behörden Schutz in der russischen Föderation finden? Diese juristischen Feinheiten sind angesichts der Realität, mit der die tschetschenischen Asylsuchenden konfrontiert sind, in der Tat nur schwierig erklärbar. > DOMINIQUE WETLI, BERNER RECHTSBERATUNGSSTELLE FÜR ASYLSUCHENDE <
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SOLDATENMÜTTER VON ST. PETERSBURG
BRIEFE DER HOFFNUNG AUS ANGST VOR FOLTER IN DER RUSSISCHEN
ARMEE UND VOR EINEM EVENTUELLEN EINSATZ IN
TSCHETSCHENIEN WENDEN SICH VIELE STELLUNGSPFLICHTIGE UND SOLDATEN MIT BRIEFEN AN DIE «SOLDATENMÜTTER VON ST. PETERSBURG»
Alles fängt mit einem Brief an. Die «Soldatenmütter von St. Petersburg» erhalten täglich zahlreiche Briefe von Rekruten aus russischen Militärkasernen. Jeder Brief ist der Hoffnungsträger eines Soldaten, der es nicht mehr aushält im Dienst. Ein erster Kontakt mit den Müttern ist gemacht und ein steiniger Weg führt schliesslich zur Befreiung vom Militärdienst. Der Rekrut erzählt in seinen Briefen nicht selten von Selbstmordversuchen. Es scheint der einzige Ausweg, um von diesen physischen und psychischen Qualen befreit zu werden.
Viviana Zambelli ist Slawistin. Sie hat während eines Studienjahres in St. Petersburg als Freiwillige für die «Soldatenmütter» gearbeitet und ist jetzt Vorstandsmitglied des Vereins «Pro Mira» zu deren Unterstützung in der Schweiz. Weitere Informationen zu den «Soldatenmüttern St. Petersburg» unter promira.ch.
Die regierungsunabhängige Menschenrechtsorganisation der «Soldatenmütter von St. Petersburg» setzt sich seit 15 Jahren für die Befreiung von Männern vom Militärdienst ein. Die Zustände in der russischen Armee sind nach wie vor katastrophal. Ein junger Mann, der einrückt, wird gezwungen, den «Alten», bzw. bereits im zweiten Jahr Dienst leistenden als Sklave zu dienen. Schläge, Folter, Erpressung und Vergewaltigung sind an der Tagesordnung. Der Militärdienst in Russland dauert immer noch zwei Jahre, obwohl seit Jelzin Reformen versprochen wurden. Ein Rekrut wird somit nach einem Jahr zum «Alten», d.h. er setzt die unmenschliche Behandlung seiner Kameraden fort. Auge um Auge – Zahn um Zahn. Dieses System, die so genannte «Grossväterchenherrschaft» in der Armee, führt zu einer enormen Gewaltbereitschaft unter Männern. Anstatt jungen Russen eine gute Ausbildung zu geben, werden sie in der Ar-
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mee zu Alkoholikern und Folterknechten. Die in der Armee «erlernten» Verhaltensmuster trägt der nach zwei Jahren vom Dienst entlassene junge Mann in seine Familie. So sterben in der russischen Armee auch in Friedenszeiten Tausende pro Jahr. Vom Staat werden diese Todesfälle als «Unfälle» bezeichnet. In Wirklichkeit werden viele Soldaten von ihren Peinigern in den Tod getrieben oder gar umgebracht. Die Systematisierung der Übergriffe in der Armee ist nichts neues, denn bereits die Rote Armee, der Stolz der Sowjetunion, kannte die «dedovshina». Allerdings haben die Gräuel stark zugenommen. Die russische Armee ist am Zerfallen. Sie hat ihren guten Ruf verloren. Die grosse Zahl an Kriminellen in der Armee schwächt ihr Ansehen in der Gesellschaft bedeutend. Gleichzeitig herrscht eine gewisse Orientierungslosigkeit nach dem Fall des Eisernen Vorhanges.
KATASTROPHALE BEDINGUNGEN IN DER ARMEE Neben der katastrophalen Lage der Menschenrechte sind auch die sanitären und humanitären Bedingungen in vielen Einheiten der russischen Armee äusserst bedenklich: Oft müssen die Soldaten Hunger und Kälte leiden, weil der Staat Schwierigkeiten hat, diese riesige Armee zu finanzieren. Es fehlt an elementarsten Dingen wie Kleider, Ausrüstung, Hygieneartikel, Essen, medizinische Versorgung, etc. In den Rekrutenbriefen sind oft verzweifelte Stimmen zu hören. Die einzige Hoffnung, den Militärdienst zu überleben, besteht darin, zu desertieren und sich bis zu den «Soldatenmüttern von St. Petersburg» durchzuschlagen. Dort werden die Entflohenen dann solange vor den Behörden versteckt, bis sie offiziell vom Militärdienst befreit wurden. Dazu wird minutiös jedes Detail ihrer Krankengeschichte aufgenommen, da 90 Prozent der jungen Russen theoretisch untauglich sind. Die Liste der
Krankheiten, die eine Freistellung vom Militärdienst zulässt, ist gesetzlich geregelt und erstaunlich lang. Da die meisten jungen Leute in Russland gesundheitliche Probleme haben, ist es möglich, die Untauglichkeit mit Hilfe von unabhängigen ärztlichen Gutachten zu beweisen. Die Hauptaufgabe der Organisation der «Soldatenmütter von St. Petersburg» besteht in der Hilfe zur Selbsthilfe. Sie unterrichtet junge Männer in ihren Grundrechten und erklärt, wie man anhand von gut vorbereiteten Gesuchen und Bestätigungen aus gesundheitlichen Gründen vom Dienst freigestellt werden kann. Als übergeordnetes Ziel sehen die «Soldatenmütter von St. Petersburg» in ihrer Arbeit einen Beitrag zum Aufbau einer demokratischeren Zivilgesellschaft in Russland. Sie informieren die Hilfesuchenden über ihre grundlegenden Rechte und helfen ihnen, ein gesundes Selbstvertrauen den Behörden gegenüber aufzubauen. Es ist ein langer, bürokratischer Weg, den aus der Armee entflohene und auch erst stellungspflichtige junge Männer auf sich nehmen müssen, um den grausamen Handlungen in der Armee zu entkommen. Stellungspflichtige aus wohlhabenderen Familien wenden sich in der Regel nicht an die «Soldatenmütter von St. Petersburg», kann man sich doch für ein paar tausend Dollar auch vom Militärdienst loskaufen. Ein Weg, der vielen aus finanziellen Gründen verwehrt bleibt und den die Soldatenmütter grundsätzlich ablehnen, da auf diese Art und Weise an den bestehenden Verhältnissen nichts geändert werden kann.
ANGST VOR DER VERLEGUNG IN DEN KAUKASUS Vielen Stellungspflichtigen und Soldaten macht neben den miserablen Bedingungen innerhalb der Armee auch die Möglichkeit Angst, in den Kaukasus verlegt zu werden. Zwar sind die russischen Truppen in Tschetschenien selbst in den vergangenen Jahren re-
duziert worden, doch greift die Gewalt immer stärker auch auf die Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan über. Erfährt ein Rekrut, dass seine Einheit nach Tschetschenien oder in die Nähe des Konfliktherdes verlegt werden soll, so hat er den Tod vor Augen. Der 18-jährige Ivan beispielsweise fleht in einem Brief aus der Kaserne Sertolowo seine Eltern an: «Papa, unternimm irgendetwas, ich will nicht sterben. Besorg 30 000 Rubel – damit kann ich mich freikaufen.» Die «Soldatenmütter von St. Petersburg» stehen, seit sie 1995 am Friedensmarsch nach Tschetschenien teilgenommen haben, mit Vertretern der tschetschenischen Diaspora in St. Petersburg in engem Kontakt. Diese Verbindung führte u.a. dazu, dass sie im Jahr 2003 einem tschetschenischen Vater geholfen haben: Der Sohn des Mannes war ohne Angabe von Gründen in St. Petersburg von der Polizei verhaftet worden. Um den Sohn freizubekommen, versprach der Mann der Justiz im Gegenzug einen in Tschetschenien entführten russischen Soldaten freizukaufen. Als daraufhin der Russe freikam, weigerte sich die Petersburger Justiz, ihr Versprechen einzuhalten. Dank der Unterstützung und auf Druck der «Soldatenmütter von St. Petersburg» wurde der Sohn dann doch noch von den Behörden freigelassen. Organisationen wie die «Soldatenmütter von St. Petersburg» sind immer stärker unter Druck. Unzählige Menschen in Russland sind jedoch wie oben beschrieben auf die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen angewiesen. Und Organisationen wie die «Soldatenmütter von St. Petersburg» gehören zu den wenigen Akteuren in der russischen Gesellschaft, die sich für einen nachhaltigen Frieden in Tschetschenien einsetzen. > VIVIANA ZAMBELLI <
Erinnerung Und der von einem stürzenden Berg übrig gebliebene Felsen Und die verwilderten Menschen auf Erden Und der von einem stürzenden Felsen übrigebliebene Schatten Und die Wildnis der Gräber im Himmel Und die Gesichter der Schachiden* Und das Himmel und Erde bespritzende Blut der Tschetschenen Und das am Ende der Welt ausgesetzte Kätzchen Und das Froschtränchen, von welchem das Meer überläuft** Und die am Himmel ausgesetzte Schildkröte Und das von einem Schmetterling zerschlagene Fenster Und dieser Abend Und Berlin Und ich Und die Erinnerungen,Ameisen, die über Seele und Leib mir eilen Und meine Gebete, die alle enden mit: Lieber Gott, lass mich in Tschetschenien sterben! Apti Bisultanov
*) Gefallene für eine heilige Sache **) tschetschenisches Sprichwort
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VON DER PRIVATISIERUNG DES GESCHLECHTS / TEIL II
QUEERE KRITIK ALS BESTANDTEIL DES NEOLIBERALEN GESCHLECHTERREGIMES? DIES IST DER ZWEITE TEIL DER GEKÜRZTEN VERSION EINES VORTRAGES, DEN TOVE SOILAND IM
RAHMEN DES QUEER-FEMINISTISCHEN WOCHENENDES VOM 3./4. DEZEMBER 2005 IM «DENK:MAL»
GEHALTEN HAT UND WELCHEN SIE IN ANDERER
FORM AM 13. APRIL 2005 AN DER PAULUS-AKADEMIE UNTER DEM TITEL «GESCHLECHTERREGIME DES POSTFORDISMUS» VORSTELLTE. DER ERSTE TEIL ERSCHIEN IN DER MÄRZ-NUMMER. UNTER MEGAFON.CH IST DER GANZE ARTIKEL ABGEDRUCKT.
PRIVATISIERUNG DES GEWINNS – UND DER KOSTEN Dazu muss man sich zunächst vor Augen halten, dass Neoliberalismus nicht einfach eine Wirtschaftsform ist. Es ist gleichzeitig eine Form der Regierung der Gesellschaft, die die Mittel ihres Regierungshandelns ökonomisch gestaltet. Ich habe bereits erwähnt, dass neoliberale Regierungspraktiken eine gewisse Abstinenz in Bezug auf die direkte Lenkung der Individuen erkennen lassen. Neoliberale Regierungstechnologien suchen das Verhalten ihrer Bürger vielmehr durch die Setzung von Rahmenbedingungen zu steuern, was entschieden ökonomischer ist, als jedes Individuum einzeln zu kontrollieren (Lemke 2003). So wie die Wirtschaft auf die selbstregulierenden Kräfte des Marktes setzt, stützt sich diese Form politischer Rationalität auf die regulierendenden Effekte des Umfeldes, in die sie ihre Individuen versetzt. Allenfalls leitet sie die Menschen dazu an, sich im Rahmen ihrer Vorgaben selber anzuleiten. Aber stets wird diese Regierungsform nach Möglichkeit versuchen, auf direktive Vorgaben ihrerseits zu verzichten (Foucault 2004, I, u.a. 87-120). Wir haben es damit mit einem schwer denkbaren, aber gerade auch für das Geschlechterverhältnis zentralen Nebeneinander von Abstinenz bezüglich
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direkter Intervention in das Verhalten Einzelner zu tun, das trotzdem, oder gerade deshalb, bis tief in die Privatsphäre vorzudringen vermag. Der schwer zu durchschauende Doppelcharakter dieser neoliberalen Rationalität kommt insbesondere in dem zum Ausdruck, was allgemein als Privatisierung bezeichnet wird. Aus feministischer Perspektive ist es zentral zu sehen, dass wir es mit zwei verschiedenen Weisen der Privatisierung zu tun haben: Wir haben es nicht nur mit einer Privatisierung öffentlicher Betriebe zu tun, also einer Verlagerung vormals öffentlicher Güter in den «privaten Sektor», was in erster Linie eine Privatisierung der Gewinne bedeutet. Wir haben es, wie die kanadische Politologin Janine Brodie betont, auch mit einer Verlagerung öffentlicher Belange in die «private Sphäre» zu tun, was in erster Linie eine Privatisierung der Kosten bedeutet (2004, 23). Beide Formen der Privatisierung sind zutiefst miteinander verwoben und wirken sich gerade in dieser Verschlungenheit auf das Geschlechterverhältnis aus. Die im Neoliberalismus gängige Vorstellung, dass eine aktive Bewirtschaftung des Arbeitsmarktes der beste Weg zur Wohlfahrt aller sei (Nohr 2003; Schunter-Kleemann 2002), ist von einer tiefen Paradoxie gekennzeichnet. Zum einen ist damit eine Ideologie verbunden, die den Markt als einzigen Ort der Subjektwerdung feiert: Nur wer sich in diesem erfolgreich bewährt, hat den Nachweis des Individuums erbracht. Zum andern setzt der dazu notwendig werdende Sozialabbau stillschweigend die Ausweitung der nicht-bezahlten Arbeit voraus, indem er die Grenzen dessen, was in die Zuständigkeit des Staates fällt, sukzessive zuungunsten einer nicht weiter spezifizierten «privaten Domäne» verschiebt. Vormals öffentliche Belange werden nun kurzerhand zu Fragen individueller Präferenzen und Entscheide umdefiniert. Was allgemein als Individualisierung bezeichnet wird, ist aber eigent-
lich eher eine erneute Indienstnahme privater Haushalte, die heute mit enormen, neuen und zusätzlichen Aufgaben belastet werden. Nun lässt sich gewiss argumentieren, dass es nicht selbstverständlich ist, dass Frauen diese Arbeiten übernehmen. Doch will es der neoliberale Zufall, dass ausgerechnet ihre Stellen in mindestens zweifacher Hinsicht unter Druck geraten. Dass Frauen im Bereich der unbezahlten Arbeit hier wieder vermehrt in die Lücken springen, hat deshalb zunächst mit einer Bewegung am Arbeitsmarkt selbst zu tun: Sowohl durch die Privatisierung von Staatsbetrieben wie durch die Redefinition des Staates als Unternehmen sind es in erster Linie Stellen in der Verwaltung, die zuerst gestrichen werden. In diesen sind heute mehrheitlich Frauen tätig. So werden durch die Verschlankung der öffentlichen Verwaltung ausgerechnet jene Stellen abgebaut, in denen bisher Gleichstellungsforderungen am meisten Fuss fassen konnten. Frauen, die hier ihre Arbeit verlieren, stehen nun aber, und das ist ein weiterer zentraler Punkt, vermehrt jenem Arbeitsmarkt zur Verfügung, der als marginalisierter bezeichnet wird. Bereits heute zeichnet sich ab, dass neoliberale Restrukturierungen mit ihrem Bestreben, staatliche und gewerkschaftliche Kontrollen abzubauen, zu einer Spaltung des Arbeitsmarktes führen: Neben einem Kernarbeitsmarkt, in welchem schon heute mehr Männer als Frauen tätig sind und der sich weiterhin durch Gesamtarbeitsverträge und Vollzeitstellen auszeichnet, entsteht ein immer wichtiger werdender prekarisierter Arbeitmarkt, in dem Teil- und Kleinstzeitstellen, oft in Stundenlohn bezahlt, die Regel sind. Die explizit von Staat und Wirtschaft geförderte Arbeitsmarktintegration von Frauen ist, so muss gesagt werden, oft eine prekarisierte Arbeitsmarktintegration. Da Frauen damit aber meist weniger verdienen als ihre männlichen Partner, steigt wiederum der morali-
sche Druck, im Haushalt mehr Arbeit zu übernehmen. Ihnen die Bürde aufzuladen, im Zuge ihres emanzipierten Genders den Geschlechterkampf beim Geschirrspülen auszufechten, wiederholt genau jene Privatisierung eines grundlegenden gesellschaftlichen Konfliktes, der eigentlich nur politisch gelöst werden könnte.
UNBENANNTER FAKTOR: GESCHLECHT Obwohl die doppelte Privatisierung also keinerlei expliziter Geschlechteragenda folgt, scheint sie doch am Geschlechterverhältnis grundlegende Verschiebungen vorzunehmen. Für Janine Brodie kennzeichnet das neoliberale Geschlechterregime denn auch eine tiefe Paradoxie, welche sie in der gleichzeitigen «Intensivierung und Erodierung von Geschlecht» verortet (Brodie 2004, 25). Zum einen würden Frauen und Männer gleichermassen als geschlechtslose und selbstständige Markteilnehmer re-formiert, die als autonome Individuen die Welt bevölkerten und nur als solche die Aufmerksamkeit staatlicher Fürsorge erhielten. Zum andern jedoch werde stillschweigend davon ausgegangen, dass Frauen die im Zuge des Sozialabbaus anfallenden Mehrarbeiten übernähmen. Gleichwohl würden jedoch auch sie als geschlechtslose «Marktteilnehmer» adressiert, die dem Markt unabhängig von ihren reproduktiven Aufgaben zur Verfügung stehen sollten. Die versteckte Geschlechteragenda des Neoliberalismus laufe damit, so Brodie, auf die gleichzeitige Auslöschung und Neu-Einsetzung von Frauen als dem hauptsächlichen Subjekt sozialstaatlicher Reformen hinaus. Wenn demnach paradoxerweise die «Erodierung von Geschlecht» nicht geschlechtsneutral vor sich geht, sondern stattdessen eine geschlechtliche Asymmetrie aufweist, so lässt sich diese auf politischer Ebene wie folgt formulieren: Es gibt eine kollektive Invol-
vierung von Frauen, die nicht mehr als solche thematisierbar ist. Neoliberale Regierungsprogramme, die die Grenzen dessen definieren, was überhaupt als politisch verhandelbar gilt, formulieren diese Involviertheit neu als individuell zu verantwortendes Problem. Und hier eben meine ich, dass sich eine unheilvolle Verschränkung ergibt: Während Gender und Queer in durchaus anderer Absicht die Existenz eines «Geschlechterkollektivs» in Frage stellt, zielt die neoliberale Logik ebenso auf dessen Desartikulation. Wenn sich Frauen heute gerade mit sich widerstrebenden und paradoxen Anforderungen konfrontiert finden, die eine flexible Handhabung ihres Genders verlangt, so zielt die vom Konzept Gender geleistete Kritik an normativen Rollenverhalten in eigentümlicher Weise ins Leere. Gleichzeitig beraubt sich das Konzept damit der Möglichkeit, eine anders strukturierte, nicht mehr am Rollenverhalten festzumachende kollektive Involviertheit theoretisch erfassen zu können.
MIT GENDER UND QUEER AN DER FALSCHEN FRONT Zu fragen ist deshalb, ob Gender mit seiner Kritik und Fixierung auf normative Geschlechterstereotypen nicht das Geschlechterregime des Fordismus vor Augen hat und genau so aus dem Blickfeld verliert, dass es möglicherweise bereits selbst zum Bestandteil des gegenwärtigen Geschlechterregimes geworden ist. Indem das Konzept von Gender das Geschlechterverhältnis als ein Problem von zu regulierenden Verhaltensweisen rahmt, tut es genau dasselbe, wie neoliberale Re-
gierungstechnologie auch: Es lässt die eigene, strukturell bedingte Position als Effekt des eigenen Rollenverhaltens erscheinen. Ein Gender-Training suggeriert, dass die Gestaltung des Geschlechterverhältnisses in meinen eigenen Händen liegt. Gender nicht das doing, sondern das Konzept – wird damit zu einer Selbsttechnologie, die eine im sozioökonomischen Feld entstandene Spannung vermitteln hilft: Indem es mich glauben macht, ich müsse mich gegen Festschreibungen wehren, lässt das Konzept von Gender mich genau jene Fähigkeiten erwerben, die ich brauche, um die divergierendsten, ja, sich vielleicht gegenseitig sogar ausschliessende Anforderungen unter einen Hut zu bringen. Gender – verstanden als Geschlechtsidentität – re-privatisiert jenes «Private», das der alte Feminismus einst zum Politischen erklären wollte. Es scheint, dass zur doppelten Privatisierung sich die «Privatisierung des Geschlechts» hinzugesellt. Gender verhält sich zu den Erfordernissen des Neoliberalismus möglicherweise gerade dadurch funktional, weil es verkennt, dass der «Feind» sich längst verändert hat: Es ist die permanente Befragung meines Gender-Verhaltens, nicht dessen kohärente Performierung, die meines Erachtens heute systemintegrierend wirkt: Mein flexibilisierter Gender ist zur Schlüsselqualifikation meiner Ware Arbeitskraft geworden. Wenn es für die 1950er Jahre stimmen mag, dass die Selbst>
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technologie das doing Gender war, mit dem ich mich selbst in patriarchale Verhältnisse einpasste, so würde ich sagen, ist es heute das undoing Gender, das dem nunmehr verschlankten Patriarchat am meisten dient. Doch dies ist nur die halbe Geschichte. Die andere ist die, dass diese Rahmung auch ein Angebot darstellt: Indem Gender strukturelle Zwänge in die Verfügungsmacht der Einzelnen überträgt und damit strukturelle Probleme als vermeintlich individuell lösbare erscheinen lässt, stellt es gleichzeitig auch ein Freiheitsversprechen dar. Gender als Selbsttechnologie greift, weil es mir dieses Angebot macht. Es ist dasselbe Angebot wie dasjenige, welches uns der Neoliberalismus macht und das die Malaysische Professorin Cécilia Ng als «Marktfeminismus» bezeichnet: Der Markt mit seiner Abstraktion von Bindungen und andern menschlichen Unwegsamkeiten ist ein Angebot zur Selbstverwirklichung – auch für Frauen. Und es ist verständlich, dass junge Frauen diesem gerne folgen. Es gibt keine Ideologie mehr, die der Absicht der jungen Frau entgegensteht, im Gegenteil, sie wird sogar gefördert. Die einzige Ideologie, die es heute noch gibt, ist die, dass das Geschlecht keine Rolle mehr spielt. Und diese Option hat etwas durchaus Verführerisches. Spätestens dort, wo aus der Gleichstellung ein ganzes, ausschliesslich an Frauen gerichtetes Bündel von Impulsen wird, welches sie dazu befähigen will, von ihrer Freiheit vernünftigen Gebrauch zu machen, muss eine Asymmetrie ins Blickfeld geraten, die der Konstruktionsbegriff von Gender nicht mehr wiedergibt. Offenbar ist auch diese Freiheit mit einem geschlechtlichen Code versehen. Denn auf geheimnisvolle Weise scheinen die Geschlechter bezüglich dieser
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Freiheit nicht gleich positioniert (Adkins, 2004). Es scheint, dass der Werbedesigner mit Rossschwanz seinen Gender in anderer Weise in Wert setzen kann, als dies einer alleinerziehenden Mutter möglich ist, die neben ihrer Fürsorglichkeit auch die Zähigkeit aufbringen muss, das Management ihrer raumpflegenden Ich-AG zu unterhalten (Adkins, 1999). Ich möchte deshalb abschliessend meine These in ein Paradox fassen: es ist die Abstrahierung von Geschlecht, die geschlechtersegregierende Wirkung hat; oder anders formuliert: die Freiheit, vom Geschlecht abstrahieren zu können, steht offenbar nicht beiden Geschlechtern gleichermassen offen.
EIN POSTMODERNES PATRIARCHAT? Wenn, wie Foucault vermutet, das wichtigste Kennzeichen unserer politischen Rationalität darin besteht, dass «die Integration des Individuums in eine Gemeinschaft oder in eine Totalität aus der stetigen Korrelation zwischen einer wachsenden Individualisierung und der Stärkung eben dieser Totalität resultiert» (1993, 186), wenn, mit andern Worten, gerade das Individuelle machtintegrierend wirkt, so ist die Kritik an normativen Zuschreibungen ein ebenso ohnmächtiges Instrument, wie die im Namen der Individualität erhobene Forderung nach unendlicher Pluralisierung, zum Beispiel geschlechtlicher Identitäten. Vielmehr ist umgekehrt gegenwärtig eine merkwürdige Verschränkung der Utopien von Queering Gender mit Sozialtechnologien wie beispielsweise dem Gender-Training festzustellen, wobei beide Ansätze mit ihrer primären Fokussierung auf das Verhalten eine Art Verhaltenstherapie des Geschlechterverhältnis-
ses anzustreben scheinen. Ob als Selbstmodulation, Selbstmanagement, Selbsttechnologie oder schlicht als selbstverwalteter Gender: Immer ist die für den Neoliberalismus typische Verquickung von Verführung, Grössenphantasie und – als deren Kehrseite – Anrufung einer Selbstverantwortung spürbar. (…) Hier ermöglicht Foucaults Machtanalytik und seine Weiterentwicklung über eine Vorstellung von Macht als Normierung und Disziplinierung hinaus einer feministischen Analyse, die spezifisch geschlechtersegregierenden Machteffekte nun nicht von Normen und also feststehenden Identitäten, sondern umgekehrt von deren «Unfestigkeit», Unfestgelegtheit und Verfügbarkeit denkbar zu machen. Bevor man deshalb das feministische Projekt vorschnell in Queer aufgehen lässt, möchte ich raten, nicht zu leichtfertig darauf zu vertrauen, dass Queer das Problem der nach wie vor bestehenden und, wie ich vermute, sich wieder verschärfenden Hierarchie zwischen Frauen und Männern beseitigen helfen kann. Es könnte nämlich sein, dass Queer mit seiner Utopie eines geschlechtsunabhängigen Subjekts lediglich eine neue Variante des alten angeblich geschlechtsneutralen, implizit aber doch männlichen Subjekts der abendländischen Metaphysiktradition wieder aufleben lässt: Queer – Ausdruck eines postmodernen Patriarchates, so möchte ich abschliessend fragen? > TOVE SOILAND <
LASST MAL MACHEN
STADT BERN WILL DENK:MAL DEN GARAUS MACHEN FÜR ALLE DIE ES IMMER NOCH NICHT GESCHNALLT HABEN: IN BERN GIBT ES EINE AUTONOME BIL-
DUNGSPLATTFORM. DENK:MAL HEISST SIE UND AN
DER BOLLIGENSTRASSE IST IHR STANDORT. NOCH. ABER EINS NACH DEM ANDEREN.
Angefangen hat das ganze mit einer ziemlich amateurhaften Besetzung der besagten Liegenschaften (scheiss Baracken) am ersten August. Die Räumung erfolgte dann auch prompt am zweiten August. Nach einigen Reparaturen und viel blabla konnte trotzdem ein Zwischennutzungsvertrag ausgehandelt werden. Am ersten Oktober war es endlich so weit, denk:mal öffnete seine Tore. Dann ging alles schlag auf schlag. Kurse, Workshops, Filme, Konzerte und Vorträge lockten Hunderte Menschen an die Bolligenstrasse. Während vor allem die kulturellen Anlässe auf Interesse stiessen, vermochten die Plenumsitzungen die BenützerInnen nicht sonderlich zu begeistern. Will heissen, die Betreibergruppe, die eigentlich gar keine sein will, ist nicht sonderlich gewachsen. Doch das kann noch werden. (Das ist als Aufforderung an interessierte LeserInnen gedacht…) Keine Aufforderung bedurften die lokalen Medien. Diese lechzten förmlich nach Infos und veröffentlichten auch zahlreiche Texte übers denk:mal. Obwohl die Titel der Artikel meist etwas komisch anmuteten: «Besetzer gründen Schule» (BZ) «Wir sind doch keine Freaks, oder?» (Bund) waren sie jedoch eher wohlwollend formuliert. Uns fehlte aber eine klare Kritik gegenüber dem sturen Verhalten der Stadt.
VON DEN MEDIEN GELIEBT. WAS SOLLS.
* Aus der Stadtverwaltung ausgelagertes Unternehmen, das jedoch der Stadt gehört.
Grund genug gäbe es nämlich. Denn die Stadt hat unsere Baracken bereits weitervermietet. Und zwar ohne mit der Betreibergruppe in Verhandlungen zu treten. Die zuständige Gemeinderätin Edith Olibet bekundete gegenüber den Medien zwar jeweils Sympathie fürs denk:mal, rät aber trotzdem, «es doch
in einer anderen Gemeinde zu versuchen». Dazu «sei es doch auch Aufgabe eines autonomen Projekts, selber für Gebäude zu schauen». Diese an Zynismus grenzende Haltung hat Programm. Öffentlich Sympathie bekunden, aber ein weiterbestehen verunmöglichen. Auch von Seiten der Stadtbauten* kam keine Unterstützung. Nach dem Abschluss des Mietvertrags mit einem Luxus-Catering-Unternehmen und der «Desk», erklärte sich Jürg Jampen von den Stadtbauten bereit zu einem Gespräch über die Zukunft des denk:mal. Dieses Treffen war jedoch eine Farce. Der bedauernswerte Mensch würde uns ja so gerne helfen, scheitert aber an selbstauferlegten «Sachzwängen». Das einzige, was er denk:mal anbieten kann, ist, eine Zivilschutzanlage zu mieten (sic!).
WER HAT UNS VERRATEN... Wir verurteilen das Verhalten der Stadt aufs schärfste. Sie entschied, ohne auf Verhandlungen mit uns einzugehen. Einen öffentlichen Diskurs, gemäss der allseits so geschätzten Demokratie, fand nicht statt. Die Dialogbereitschaft von unserer Seite wurde kein bisschen gewürdigt. Einzig finanzielle Argumente wurden geltend gemacht. Wegen potentiellen Mieteinnahmen von ein paar hundert Franken pro Monat kann ein gemeinnütziges, auf Eigeninitiative beruhendes Projekt nicht weitergeführt werden. Was neoliberal anmutet ist das Produkt einer so genannt linken Stadtregierung. Übrigens die selbe Regierung, die sich denk:mal nicht leisten kann, macht Millionen für ein Visitenkartenprojekt wie Casablanca und für die Europameisterschaft locker.
Wir sind der Meinung, dass es denk:mal braucht. Die gratis Seminare und Kurse, das kostenlose Kulturangebot, die Möglichkeit, seine Kreativität konstruktiv auszuleben sind sehr gefragt und werden genutzt. Freiräume wie das denk:mal tragen zu gesellschaftlichem Wandel bei, zeigen neue Wege auf und geben zahlreichen Menschen die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung. Es ist uns egal ob die Stadt uns will oder nicht. Wir werden weitermachen, wenn’s mittels Dialog nicht klappt, wird es wohl anderer Mittel bedürfen. Die Bereitschaft von unserer Seite ist da. Wir benötigen aber die Solidarität von allen kritisch denkenden Mitmenschen.
ANDERE ZEITEN, ANDERE HOBBIES? Bei der Freiraumdemo am 11. März 2006, die unter dem Motto: «Freiraum statt Bern» stattfand haben wir die Solidarität ein wenig vermisst. Lag es an der Kälte, dass nur 200 Menschen den Weg auf die Strasse fanden? Oder sind die Leute allgemein demomüde? Zur Erinnerung: Die Reitschule, deren Zeitung DU gerade in den Händen hältst, wurde auch mittels Demonstrationen erkämpft! Tausende Leute gingen auf die Strasse damit das autonome Kulturzentrum eröffnet werden konnte. Andere Zeiten, andere Hobbies? Oder bereits Frau/Mann, Haus und Kind? Um ein Projekt wie denk:mal langfristig zu sichern braucht es jedenfalls mehr als 200 Menschen die sich in die Kälte wagen. Aber keine Angst, Gelegenheit um denk:mal zu unterstützen wird sich noch genügend bieten. Denn wir geben noch lange nicht auf... Denk:mal bleibt!!! > GRUPPE DENK:MAL < INNENLAND megafon Nr. 294, April 2006
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DIE LINKE WOCHENZEITUNG VORWÄRTS ENTLÄSST IHRE REDAKTION
RÜCKWÄRTS GEPUTSCHT DER «VORWÄRTS» HATTE VIEL VOR. ER WOLLTE SEIN VERSTAUBTES IMAGE ALS PARTEIZEITUNG
LOSWERDEN UND DURCH EINE ÖFFNUNG ZU EINER
PLATTFORM DER LINKEN BEWEGUNG WERDEN. DIE-
SES PROJEKT, DAS VON DER REDAKTION DER LINKEN WOCHENZEITUNG «VORWÄRTS» INITIIERT WOR-
DEN WAR, IST GESTORBEN. ABGESCHOSSEN AN DER Aber beginnen wir die Geschichte von vorne: Eine Öffnung des «Vorwärts» GENERALVERSAMMLUNG DER VERLAGSGENOSSENhatte schon Jahre zuvor begonnen, in SCHAFT. DIE RÜCKWÄRTSGEWANDTEN SEKTIONEN der Redaktion arbeiteten schon seit DER PARTEI DER ARBEIT, DIE SICH LIEBER AUF langem Nicht-PdA-Mitglieder – nur SICH SELBER KONZENTRIEREN UND DAMIT EINE wurde das lange nicht zur Kenntnis geBREITE ZUSAMMENARBEIT AM PROJEKT «VORWÄRTS» nommen, der Zeitung blieb das verstaubte Image eines Parteiblatts anhafABLEHNEN, HABEN DIES SO INSZENIERT. AN DER ten. Vor dem Hintergrund der BeweGV AM 17. MÄRZ WURDE MIT KNAPPER MEHRHEIT gung gegen die kapitalistische GlobaliBESCHLOSSEN, DASS DER «VORWÄRTS» ZU EINER sierung und insbesondere durch die ART PARTEIZEITUNG ZURÜCKGESTUTZT WERDEN Proteste gegen das WEF in Davos, entSOLL. stand eine Zusammenarbeit und Diskussionen zwischen verschiedenen politischen Millieus, deren Spuren im Vorwärts mehr und mehr sichtbar wurden. Die Redaktion und der damalige Verwaltungsrat begannen, die Zeitung in GESCHICHTLICHES eine Öffnung zu führen und eine breite Zusammenarbeit mit anderen GrupDie sozialistische Wochenzeitung Vorpen/Organisationen/Kleinparteien anwärts hat eine lange Geschichte: Vor 113 zustreben. Dies zeigte sich vor allem Jahren entstand der Vorwärts als Tagesam Relaunch des «Vorwärts» im verzeitung der ArbeiterInnenbewegung in gangenen Herbst, an dem diverse AktiBasel. Nach der Spaltung der ArbeiterInvistInnen und Gruppierungen beteiligt nenbewegung 1918 wurde er zur Zeitung waren, wie das Zentralamerika-Sekreder Kommunistischen Partei, nach deren tariat ZAS, direkte Solidarität mit ChiaVerbot zum Organ der neu gegründeten pas, JA!, Alternative Listen, OSL, SoziaPdA. Seit den 1990er Jahren ist er nicht listische Alternative SOAL Basel, Politimehr Parteizeitung, sondern hat einen sche Frauengruppe St. Gallen und die Prozess der Öffnung begonnen. ErsichtAnti-WTO-Koordination Bern. Wir belich war dies nicht zuletzt an der Redakteiligten uns, weil wir der Meinung wation, die zuletzt mehrheitlich aus Nichtren, dass die Linke eine Plattform PdA-Mitgliedern bestand. In den letzten braucht, in der Auseinandersetzungen Jahren und Monaten wurden die Bestregeführt werden können, die über das bungen zu einer Öffnung verstärkt weitereigene Gärtlein hinausblicken. Wir ergeführt, und zahlreiche Gruppen/Organihofften uns, dass der «Vorwärts» ein sationen/Kleinparteien haben begonnen, wichtiges linkes Informations- und Dissich am Vorwärts zu beteiligen und ihn zu kussionsmedium für uns und andere einer Plattform der Auseinandersetzung werden könnte. der radikalen, antikapitalistischen Linken Auf jeden Fall hatten die unzähligen umzugestalten. Trägerschaft blieb jedoch Diskussionen, die die Redaktion in den die PdA, weshalb es ihr möglich war, dievergangenen anderthalb Jahren mit sen Prozess zu stoppen. verschiedenen AktivistInnen und Gruppen/Organisationen/Kleinparteien geINNENLAND führt hat, das Ziel, den «Vorwärts» als megafon Nr. 294, April 2006 26 unabhängiges Medium zu erhalten,
auszubauen und zu einem nützlichen Werkzeug zu machen für die Linke jenseits von SP und Grünen. Die zahlreichen Beilagen zu diversen Kampagnen (WEF, Antifa, etc.) der letzten Jahre, die in loser Zusammenarbeit mit der «Vorwärts»-Redaktion entstanden sind, zeugen davon.
RÜCKWÄRTS ZUM NEUEN VORWÄRTS Im Oktober 2005 schloss überraschend die Druckerei Coopi in Genf ihre Tore. Sie hatte den «Vorwärts» seit jeher zu einem Solidaritätspreis gedrukkt. Seither wurden die Diskussionen zwischen der Redaktion und aussenstehenden Gruppen verstärkt weitergeführt, um einen Weg zu suchen, wie die Zeitung trotz des damit entstandenen grossen Finanzlochs überleben kann. Es zeichnete sich ab, dass ein solcher Weg durch das Vorwärtstreiben der Öffnung, ein Ansprechen einer breiteren LeserInnenschaft und durch die Unterstützung verschiedener Gruppen möglich gewesen wäre. Zahlreiche AktivistInnen sicherten zu, einen Beitrag für das Überleben des «Vorwärts» zu leisten, zum Beispiel mit der Beteiligung am neu gebildeten redaktionellen Beirat oder an der Spendenkampagne, durch Organisieren eines Solianlasses oder mit redaktionellen Beiträgen. Ziel dieser Öffnung sollte sein, dass auch die Trägerschaft und der Verwaltungsrat nicht mehr nur aus PdA-Mitgliedern bestehen sollten. Aber diese Öffnung war einigen PdA-GenossInnen zuviel. Während sich die Parteisektionen in Basel und St. Gallen mit viel Engagement für die Unterstützung der Redaktion entschieden, stellte sich eine neu gebildete «Kommission Vorwärts 2006» quer. An einer Verwaltungsratssitzung Ende Ja-
nuar 2006 wurde deren kaum ausgearbeitetes Konzept – für das keine Redaktion zur Verfügung stand und das nach Parteizeitung roch – jedoch mit grosser Mehrheit abgeschmettert. Was danach folgte, sieht stark nach einem Putsch der konservativen Kräfte aus. Die PdA Bern forderte, dass der Verwaltungsratsentscheid an der Generalversammlung der Verlagsgenossenschaft Vorwärts abgesegnet werden müsse. Dagegen hatte niemand etwas einzuwenden, schien es doch bloss um eine Bestätigung des eingeschlagenen Wegs zu gehen. Die «Kommission Vorwärts 2006» nutzte nun die Zwischenzeit, um (ohne Wissen der Redaktion) ihr Konzept weiter auszuarbeiten – und vor allem, um anschliessend bei den Parteisektionen vorzusprechen und für ihr Konzept zu mobilisieren. Zweieinhalb Wochen vor der GV veröffentlichte sie ihr Konzept, mit einem Begleitbrief aus der PdA Bern, der unter anderem folgende avantgardistische Haltung vertrat: «Es reicht (..) nicht den Neoliberalismus zu zähmen, sondern dieses System muss grundlegend (revolutionär) verändert werden. Und genau diesen politischinhaltlichen Punkt können so nur wir in eine breite linke Bewegung einbringen.» Mit diesem Mail wurde auch zum ersten Mal deutlich, dass es die Kommission auf einen Machtkampf abgesehen hatte. Am gleichen Tag stimmte in Bern schon der Parteivorstand über das Konzept ab und entschied sich für die Zustimmung zum Kommissionsvorschlag und damit gegen die Öffnung des «Vorwärts». Anders ausgedrückt: Eine Intervention der Redaktion oder von UnterstützerInnen des Redaktionskonzepts wäre in Bern nicht möglich gewesen.
VORWÄRTS ZUM NEUEN RÜCKWÄRTS Das Vorgehen der Kommission hatte zur Folge, dass an der Generalversammlung am 17. März die Sektionen der PdA und die Parteileitung, die je zu einer Stimme in der Verlagsgenossenschaft berechtigt sind, mit drei zu zwei Stimmen gegen das Redaktionskonzept entschieden. Damit hat sich die PdA nicht nur gegen die Redaktion der Zeitung entschieden (der gleich gekündigt wurde), sondern auch gegen eine Plattform für Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Gruppen. Die PdA-Sektionen Bern und Zürich sowie die Geschäftsleitung der PdA Schweiz haben sich mit der Entscheidung, dass die Zeitung keine «linke Sammlungsplattform» sein könne, sondern ausschliesslich «zum Nutzen» der Partei sein müsse (Zitate aus dem Kommissionskonzept und Begleitbrief) gegen die Gruppen/Organisationen/Kleinparteien und AktivistInnen ausgesprochen, die sich am «Vorwärts» beteiligt haben. Und sie haben deutlich gemacht, dass sie nicht bereit sind, mit PartnerInnen auf gleicher Ebene zu arbeiten, sondern an einem avantgardistischen Konzept festhalten wollen. Die PdA Bern hat in diesem Redaktionsputsch eine aktive Rolle gespielt und deutlich gemacht, dass sie eine gemeinsame Plattform ablehnt. Für uns drängt sich damit auf, die bisher angestrebte Bündnisarbeit, etwa im Zusammenhang mit dem WEF, zu beenden. Wir sind deshalb der Meinung, dass die PdA Bern nicht die Alternative sein kann, als die sie sich selbst im
Vorfeld der Grossratswahlen präsentiert, dann doch eher GAGU. Eine Partei, für die Machtstreben und Hegemonie wichtiger sind als Auseinandersetzungen, unterscheidet sich in ihrer Haltung und Vorgehensweise nicht wesentlich von anderen Parteien. Sie lässt vielmehr die Frage aufkommen, wie denn diese andere Welt aussieht, die sie anstrebt. Eine Welt, die von der Parteihegemonie bestimmt wird und nicht mehr von der Hegemonie der Konzerne? Das Potential, das sich mit der Öffnung des «Vorwärts» entwickelt hat, ist immer noch da. Wir denken, dass eine gemeinsame Plattform nicht mit dem «Vorwärts» untergehen darf. Im Gegenteil ist es wichtig, dass sie weitergedacht wird, ist es nötig, nach Wegen zu suchen, wie sie umgesetzt werden kann – diesmal ohne die rückwärtsgewandten Teile der PdA. > ANTI-WTO-KOORDINATION BERN <
Weitere Infos zur Auseinandersetzung: www.vorwaerts.ch
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ODYSSEE IN DER BURG
I WOULD PREFER NOT TO EIGENTLICH WOLLTE ICH «AUF DEM WASSER
LIEGEN UND FRIEDLICH IN DEN HIMMEL SCHAUEN, ‹SEIN, SONST NICHTS, OHNE ALLE WEITERE
BESTIMMUNG UND ERFÜLLUNG›», DOCH ES KAM
WIEDER MAL ANDERS (IMMERHIN IST DAMIT DAS OBLIGATE ADORNO-ZITAT BEREITS ERLEDIGT).
Nicht genung, das es schneite, ich musste mich an eine Sitzung im guten Haus kämpfen, wo die Umstände nicht minder widrig waren. Was einem da alles an Unannehmlichkeiten über den Weg laufen kann, ist erstaunlich bis beängstigend.
THE STORM Heraus zum x-ten Abendspaziergang, alles wie gehabt, nur die Plakate übertreffen sich von Jahr zu Jahr mit ihren Attacken aufs politische und ästhetische Empfinden. Heuer gibts süsse Bärchen, die da einfach so sitzen mit Fähnchen und der Berner Bär wird genötigt, so ein tolles Tuch vor dem Mund und eine schicke Fahne auf der Schulter zu tragen (Her mit dem Kopftuchverbot für Bären!). Soviel regionales Bewusstsein hätte ich dem «Bündnis Alle gegen Rechts» nicht zugetraut oder handelt es sich um eine Homma-
ge an die Rückkehr dieser putzigen Tiere ins Heidiland? Ich möchte ein Eisbär sein… Unklar bleibt auch, worin die Analogie zwischen einer Antifademo und einem Actionfilm bestehen soll, und was die sieben Todsünden mit einer linken Faschismusanalyse zu tun haben könnten. Ansonsten der übliche Militanzfetisch, viel Ritual, wenig Inhalt, mit fragwürdiger Wirkung nach Aussen. Irgendwie schade, soviel Energie in eine Parade der Selbstinszenierung und -zelebrierung zu stecken, wo doch vernünftiger Antifaschismus seine Wichtigkeit hätte. Wer, wenn nicht jetzt? Wann, wenn nicht du?
THE MAZE Nächste Episode: Ein anderes Phänomen, aber in der Begeisterung für ihre Stadt und Äusserung derer nicht weniger aktiv als «mutige und entschlossene» Bewegungslinke, ist jene Crew, deren schriftlichen Hinweise – auch da und dort im guten Hause anzutreffen – uns auf die örtliche Vorwahlnummer aufmerksam machen. Kann von einem subkulturellen Erstarken regionaler Werte gesprochen werden? Diese Frage dürfte Sozialarbeiterinnen und Soziologen in nächster Zeit vermehrt beschäftigen. Gleichfalls zu analysieren wäre die Selbstbezeichnung als «Mara» (Jugendgangs, die sich in ganz Amerika einen Namen gemacht haben mit ihrer Gewalt und mafiösen Nettigkeiten). Ist das als Erscheinung der Kompensations- und Verarbeitungsprozesse von ödipalen und anderen Komplexe junger Männer zu werten? Oder sind die Gangsta-Projektionen ernstzunehmender Ausdruck eines «autoritären Charakters»? C’est la vengeance, mon amour.
THE HIGHTOWER AUS GUTEM HAUSE
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Nach der Sitzung geht der Spass weiter. Das Teetrinken lass ich lieber, denn wohl fühlen kann ich mich schon seit längerem nicht mehr in den öffent-
lichen Räumen der Burg. Zuviele Typen, verirrt in der heteronormativen Matrix, die ganz schön üble Vibes verbreiten mit ihrer gewaltig dominanten Präsenz. Bedauerlich, dass die Leute sich so schwer tun mit ihrer Männlichkeit. Wer Pech hat, bekommt auf die Fresse oder wird anderweitig drangsaliert. Wir sind doch alle ein bisschen überfordert vom Leben, liebe Problemkinder, das ist aber noch lange kein Grund, andere damit zu belästigen. Die Reitschule sollte wirksamere Strategien entwickeln (anstatt Dealer zu hetzen) wenn sie ein «Ort der Begegnung und Kommunikation» bleiben und nicht zum Gewalterlebnispark verkommen will. Schliesslich soll sie nur so aussehen wie eine Burg.
I NEVER THOUGHT, I’D MISS YOU Und wenn wir schon bei der Mediävistik sind, auch das Outsourcing von Problemen hat seine Tücken: Zum Schluss ein Nachruf auf einen Squat, der Geschichte gemacht hat dort draussen im Fischermätteli-Quartier. Ein Labor für soziale und kulturelle Entwicklung, ein Experimentierfeld für gescheiterte Väter und andere Homies auf der Suche nach sich selbst, geht dem Ende zu. Zum Nachtisch gibts dänischen Plunder und wir geben uns alle die Hände und drehen ringsherum im Kreis. Viva l’anarquia. Keinen Fuss mehr setz ich in diesen Sündenpfuhl, rief das Büsibüsi und ward von dannen. Seid doch mal etwas entspannter, Cowboys. Peace und so. Goodbye and enjoy the subtext. > ZAK <
HINTERGRUND EINES VORFALLS
«SCHWARZE SONNE» UND UNSICHTBARE NAZIGESPENSTER AM 17. FEBRUAR SCHMISSEN ANTIFASCHISTISCHE
AKTIVISTINNEN EIN MITGLIED DER KONZERTVERANSTALTUNGSGRUPPE «SOLEIL NOIR» AUS DEM DACHSTOCK. ES FOLGTEN INTERN UND EXTERN
DISKUSSIONEN ÜBER SINN & UNSINN DER AKTION UND ABER AUCH ÜBER «SOLEIL NOIR» - HIER MEHR HINTERGRUND ZUM WEITERDISKUTIEREN.
Am 17. Februar gabs Lämpen: Anlässlich eines Industrial-Rock’n’Roll-Konzerts im Dachstock schmissen antifaschistische AktivistInnen DJ Antz alias Trincea [Schützengraben] der Konzertveranstaltungsgruppe «Soleil Noir» aus dem Raum und lieferten sich draussen mit ihm und einigen seiner FreundInnen eine Schlägerei. Form und Art der Aktion werden mittlerweile selbst unter Beteiligten kritisiert, nicht aber die Tatsache, dass der Rausgeschmiss erfolgte; DJ Antz hat in der Reitschule nichts zu suchen. Wer versucht, nazianhimmelnde Bands wie «Death in June» oder «Allerseelen» zu veranstalten, muss mit Reaktionen rechnen… Am 22. Februar schrieb Journalist Rudolf Gafner im Bund nach einem Besuch der auch mit dem gemeinsamen Forum darkunited.ch verknüpften Websites von soleilnoir.ch und schwarzesonne.ch: «Da fehlt es nicht an Anleihen bei Okkultismus, Satanismus gar, und wo dergestalt mit sinistrer Spiritualiät kokettiert wird, fehlt es auch nicht an germanischer Runenmagie und heidnischem Sonnenradkult. Aber ein Nazi-Gespenst spukt da nicht.» Wirklich? Hätte sich Gafner intensiver umgeschaut und mehr recherchiert, wäre er auf der Website auf einige Nazi-Gespenster gestossen. Denn bei unseren eigenen Recherchen zur «Schwarzen Sonne» sind wir nicht nur auf Nazigespenster, sondern sogar auf ein Nazigespenster-Schloss gestossen…
SCHWARZE SONNE VOR UND NACH AUSCHWITZ Es geht bei der «Schwarzen Sonne» nicht – wie von Rechtsextremen oft behauptet – um jahrtausendealte Sonnenkulte und Sonnenscheiben oder -räder. Es geht um die knapp 118-jährige Geschichte von rassistischen Weltentstehungs-«Theorien». Die «Schwarze Sonne» ist für uns in einer ersten Phase (1888-1945) Symbol für eine rassistische HerrenmenschenIdeologie, die in theo- und ariosophischen Zirkeln ihren Anfang nahm und mit dem Dritten Reich der Nazis zum Zweiten Weltkrieg und zur industriellen Massenvernichtung von Millionen Menschen in Konzentrationslagern führte. In einer zweiten Phase (1945-heute) wird nach der Niederlage des Nationalsozialismus und des Faschismus die SS Hoffnungsträgerin für entäuschte Hitler-Fans. Rechtsextreme aller Richtungen sehen u.a. in der «Schwarzen Sonne» (S.S.) ein Symbol für den heimlichen Weiterbestand des Dritten Reiches in SS-Untergrundstrukturen oder nutzen es wegen dem Verbot des Hakenkreuzes als Ersatzsymbol für den arischen, germanisch-heidnischen «Widerstandswillen». Trotz des offensichtlich rassistischen und blödsinnigen Inhaltes vieler «Schwarze Sonne»Publikationen der Vor- und Nachkriegszeit boomten diese und andere NaziSymboliken und -mythen u.a. während der Esoterik-, New Age- und sonstigen (pseudo)spirituellen Wellen der letzten Jahrzehnte. Auch in diversen «Schwarzen Szenen» (Grufties, Gothics, Neofolk, Black Metal, SatanistInnen, etc.) oder heidnischen Zusammenhängen ist das «Schwarze Sonne»-Symbol anzutreffen. Gerne leisten wir mit diesem Text einen Beitrag, dies zu ändern.
NAZIGESPENSTER PHASE I: 1888-1945 Im 18. und 19. Jahrhundert stellten SprachwissenschaftlerInnen fest, dass viele Sprachen, Mythologien und Kulte in Europa und Teilen Asiens Gemeinsamkeiten aufweisen. Diese «indogermanischen» (indoeuropäischen) Sprachen hätten den gemeinsamen Ursprung im Raum Persien/Indien, und die damaligen Menschen hätten sich selbst als «Arier» (Arya) bezeichnet. Begeistert stürzten sich u.a. einige EthnologInnen auf die Thematik und schlossen von der Sprache auf die «Rasse» der jeweiligen Menschen – wer «indogermanisch» sprach, sei «Indogermane». Alle hellhäutigen Menschen wurden als Nachkommen der «Arier» bezeichnet, europäische Juden aber nicht, da angeblich nur semitischsprachig (hebräisch). Diese von der Sprachwissenschaft abgeleiteten «Rassentheorien» glitten je länger je schneller in wertende bzw. rassistische Ideologien ab, die sich je nach wem gegen JüdInnen, AfrikanerInnen, AraberInnen, AsiatInnen und Indigenas richteten und u.a. auch für die Rechtfertigung von kolonialistischer Ausbeutung oder der transatlantischen Sklaverei benutzt wurde. Die «Arier» galten in diesen Kreisen quasi als Spitze der Schöpfung und über den Anderen stehend.
THEO-, ANTHROPOUND ARIOSOPHINNEN Die «Theosophie» wurde durch Helena Blavatsky (1831-1891) begründet, die westliche Religionen und Philosophien mit östlicher Spiritualität verband. Letztere erkundete sie in zahlreichen Indien- und Tibetreisen. Blavatsky >
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begründete 1875 in New York die «Theosophische Gesellschaft» mit, deren deutscher Ableger 1884 gegründet wird (Der Theosoph Rudolf Steiner begründet später die Anthroposophie). Blavatsky gilt allgemein als «Mutter» der «Schwarzen Sonne»: Sie sprach in der «Kosmogenesis» ihrer «Geheimlehre» (1888) mehrfach von einer «Zentralsonne», mit der sie einen unsichtbaren Mittelpunkt im Universum bezeichnete, um den herum alle anderen Sonnen und Planetensysteme kreisen würden. Zu dieser «Geheimlehre» gehörte auch die Konzeption der «Wurzelrassen». Jede dieser sieben aufeinanderfolgenden «Wurzelrassen» bzw. Menschenrassen teilte sich in sieben Unterrassen und entwickelte sich während eines Zeitenzyklus auf der Erde. Auf der angeblich 9564 v.u.Z. versunkenen Insel Atlantis habe sich vor 18 000 Jahren die fünfte Wurzelrasse der Arier entwickelt. Deren höchst entwickelte fünfte Unterrasse sei die germanisch-nordische beziehungsweise teutonische (Germanen, Kelten, Slawen). Die Juden seien eine «künstliche arische Rasse», ein «abnormes und unnatürliches Bindeglied zwischen der vierten und fünften Wurzelrasse». Für die meisten Naturvölker der Erde sieht Blavatsky deren Ausrottung als eine «karmische Notwendigkeit» an. Im zweiten Band ihrer «Geheimlehre» schreibt Blavatsky: «Es ist ungenau zu behaupten, dass das Aussterben einer niederen Rasse ausnahmslos eine Folge der von Kolonisten verübten Grausamkeiten oder Misshandlungen sei… Rothäute, Eskimos, Papuas, Australier, Polynesier usw. sterben alle aus… Die Flutwelle der inkarnierten Egos ist über sie hinausgerollt, um in entwickelteren und weniger greisenhaften Stämmen Erfahrung zu ernten; und ihr Verlöschen
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ist daher eine karmische Notwendigkeit.» Zurück zur «Zentralsonne»: Diese sei Ursprung und Brennpunkt allen Daseins, «schöpferisches Licht», gar «Zentrum der universalen Lebenselektrizität» oder, um es moderner auszudrücken: der «Urknall». Zwar komme das Symbol auch als «schwarzes Licht» in der jüdischen Kabbala vor, aber, so Blavatsky, seinen eigentlichen Ursprung habe es «bei den geheimen Lehren der Arier». Diese wiederum entstammten aus dem hohen Norden, wo wiederum das legendäre polare Urvolk, die «hyperboreische Rasse» gelebt habe. Die von Guido von List begründete Ariosophie war die Lehre von den «Ariern» und ihrer rassischen Überlegenheit, die völkisches Denken mit Okkultismus und Theosophie verband. List behauptete, die aus Nordeuropa stammende «arische Rasse» alias «Ario-Germanen» nähmen in der Völkerhierarchie die höchste Stellung ein. Auch er redete von einem unsichtbaren «Urfeuer», das als zentrale Gottesvorstellung der «Ario-Germanen» den Anfang aller kosmischen Entwicklung bezeichne. List entwickelte auch die okkulte und auch bei heutigen Neonazis beliebte Runenlehre (ArmanenFuthark). List-Fan und Ariosoph Lanz von Liebenfels gründete 1908 die ListGesellschaft, um den Kampf gegen das «Untermenschentum» und «niedere Rassen» aufzunehmen. Artikel in seiner Zeitschrift «Ostara» wurden u.a. auch vom jungen Adolf Hitler gelesen. Der Esoteriker Peryt Shou sah in der Zentralsonne einen «Evolutionskern» aus rein geistigem Licht. Ganze Planetensysteme würden um einen imaginären kosmischen Mittelpunkt kreisen, dessen vollständige Umrundung 26 000 Jahre dauern würde. Die gesteigerte Sensibilität für die «ultraviolette Strahlensubstanz» der «dunklen Ursonne» bringe ein gesteigertes Bewusstsein für die Abstammung des Menschen von den Göttern statt von
den Affen hervor, das vor allem im uralten Kulturland Deutschland wieder verstärkt erwachen und zu revolutionären Taten führen müsse. Die Juden hätten dieses hohe esoterische Wissen einst auch besessen, aber heute sei ihnen alles «im Höhendienst materieller Götter untergegangen.» 1912 wurde der völkische «Germanen-Orden» gegründet, der als innerer Kreis des etwa gleichzeitig gegründeten «Reichs-Hammer-Bundes» galt, der die militant antisemitischen «Hammergemeinden» zusammenfasste. Der «Germanen-Orden» war als Geheimloge zur Bekämpfung der «geheimen jüdischen Weltverschwörung» mit «ihren eigenen Mitteln» konzipiert und führte die Lehren von Guido von List weiter.
ARIER IN THULE & ANDERSWO Neben dem Arier-Begriff spielte auch «Thule» eine Rolle. 1913 erschien unter dem Namen «Thule» eine 24bändige Ausgabe mit nordischen Mythen und Heldensagen. Im Auftrag des «GermanenOrdens» gründete 1918 Rudolf von Sebottendorf einen bayrischen Ableger als Tarnorganisation – die «Thule Gesellschaft», «Orden für deutsche Art». Symbol der Gesellschaft: ein Hakenkreuz – das «Sonnenrad» – hinter einem senkrecht stehenden blanken Schwert. Programm: «…jetzt wollen wir sagen, dass der Jude der Todfeind ist, von heute ab werden wir handeln.» Inhaltlich verband die «Thule-Gesellschaft» völkisches Gedankengut, okkult-heidnische Rassegedanken, antirepublikanische Agitation und vor allem antisemitische Propaganda. Die Thule-Gesellschaft bezog sich auf alte griechische und römische Texte, in denen es unter anderem hiess, ein griechischer Seefahrer sei um 330 vor unserer Zeit nördlich von Schottland auf eine Kultur mit dem Namen «Thule» gestossen. Die völkischen Thule-Fans vollbrachten allerlei
Der «Obergruppenführersaal» der Wewelsburg bei Paderborn, die Heinrich Himmler ab 1934 zur SS-Kult- und Schulungsstätte ausbauen liess.
«wissenschaftliche» und astrologische Saltos und erklärten die Thule-Kultur als älteste der Welt. Sie habe schon vor 6 000 Jahren ein unglaubliches technisches Wissen besessen und sei weltweit verbreitet gewesen. «Wir finden arische Kultur in Ur in Chaldäa, deutsche Stämme in Palästina, ehe die Juden dort einwanderten, die trojanische, die mykenische Kultur ist germanisch, die griechische ist Blut von unserem Blut! Indien und Persien tragen den Stempel deutscher Kultur, und was wir später vom Orient zurückerhielten, hat der Osten von uns empfangen.» Sebottendorf erwarb einen Zeitungsverlag und taufte das dazugehörige Boulevardblatt «Münchner Beobachter» 1919 in «Völkischer Beobachter» um. 1918/19, zur Zeit der Münchner Räterepublik, bildet die Thule-Gesellschaft einen «Kampfbund», der Waffen beschafft und deponiert, mit dem Ziel, den Räterepublik-Vorsitzenden Kurt Eisner zu ermorden. Zusammen mit den Freikorps war die Gesellschaft massgeblich an der Niederschlagung der bayrischen Räterepbulik beteiligt. Viele führende Mitglieder der NSDAP waren Thule-Mitglieder (Rudolf Hess, Alfred Rosenberg, etc). Wiederum im Auftrag des Germanenordens gründet Sebottendorf die «deutsch-sozialistische Partei», um Arbeiter von sozialistischen Ideen zu entfremden und für völkisches Gedankengut empfänglich zu machen. Geburtshilfe leistete die Thule-Gesellschaft auch bei der Gründung der Deutschen Arbeiter-Partei (DAP), die 1920 in NSDAP umbenannt wurde. Hitler wurde 1920 in die Thule-Gesellschaft eingeführt, später als «Führer» distanzierte er sich offiziell (nicht aber innerlich) von deren heidnisch-völkischem Gedankengut.
HITLER UND DIE ARIERSONNE Auch Hitler glaubte an den ArierMüll: Hitler kannte u.a. neben den Opern auch die Schriften von Wagner,
der dort neben antisemitischen Attacken auch von der geschichtsprägenden Mission der «weissen Rasse», die noch ein Wissen um ihre «göttliche Abstammung» besitze und durch Rassenvermischung ihre einstige «Reinheit» zu verlieren drohe. Hitler wurde auch durch verschiedene theosophische Schriften beeinflusst. 1920 hielt er im Münchner Hofbräuhaus eine Rede, in der er davon sprach, dass sich einst die «Arier» in grauer Vorzeit in den «Eiswüsten» des hohen Nordens durch «Rassereinzucht» höherentwikkelt hätten. Durch geistige Kraft und physische Stabilität seien die «Arier» imstande gewesen, auf langen Wanderungen durch die Welt zu ziehen und in Indien, Ägypten, Persien und Griechenland die grossen antiken Hochkulturen zu begründen. Das auch in diesen Ländern vorkommende Hakenkreuz sei nur ein Echo der einstigen nordischen Einwanderer, die ihre uralten Lichtkulte und Sonnensymbole mitgebracht hätten. Zu einem späteren Zeitpunkt erklärte er, die Idee, dass die Sonne als eine Gottheit dargestellt wird, die mit feurigen Rossen auf einem Wagen um die Erde herumfährt, könne nur aus dem Norden stammen. Nur dort rolle die Sonne am Kreis des Horizonts entlang. Dasselbe betreffe auch das Hakenkreuz, es sei das Sonnenrad, das von Osten nach Westen um die menschlich bewohnte Erdfläche herumrollt. Die Nazis reklamierten sämtliche Mythen über den Kampf eines erhabenen Lichtgottes gegen die dämonische Finsternis für sich und erklärten sich als alleinberechtigte Erben einer uralten Lichtreligion, die für sie im Norden entstanden sein musste, weil nur die dortigen Völker die Rückkehr der Frühlingssonne als besondere Offenbarung empfunden hätten. Als Beweise dafür zogen sie Hakenkreuze und spiralenförmige Symbole heran, die sich bereits auf Felszeichnungen und Kultobjekten der Bronzezeit befänden, und interpretierten sie um-
standslos als Sinnbilder «alt-arischer» Sonnenkulte. Die Hitlerjugend führte bereits ab 1933 Sonnenwendfeiern durch, im Sommer 1935 gab es sogar eine «Reichssonnenwende» und im Winter 1935 liefen von einem Zentralfeuer in sechs Strahlen unzählige Feuer zu allen Grenzen des Landes, die in der Phantasie ein Sonnenrad in Reichsgrösse entstehen liessen.
WEWELSBURG: DIE «SCHWARZE SONNE» Im Nordturm in der nach Plänen des Architekten Hermann Bartels geplanten und von Häftlingen des KZ Niederhagen ausgebauten SS-Kultund Schulungsstätte Wewelsburg befindet sich im «SS-Obergruppenführersaal» ein von zwölf Säulen umrundetes und mit zwölf Sig-Runen-Speichen verziertes radähnliches Boden ornament – von der heutigen rechten Szene «Schwarze Sonne» genannt und dementsprechend verehrt. Auch hier gibt es einige Mythen dazu: eine wichtige Rolle schien die Zahl 12 zu spielen, die in der Wewelsburg oft auftaucht und auf verschiedene «spirituelle» Gemeinschaften der Geschichte anspielt und wohl viel mit SS-Reichsführer Himmlers Ritterorden-Vorbildern zu tun hatte. In der Marienburg des Deutschritterordens bestand der leitende Konvent aus zwölf «Rittermönchen», die nordische «Edda» erzählt von einer Burg in der «Mitte der Welt», in der zwölf Götter als Richter über das Menschenschicksal wirken würden. Gemäss einem SS-Führer sei das zwölfspeichige Rad ein «Zeichen der Vollendung», ein für die SS «heiliges» Symbol, das sich im germanischen Götterhimmel, in Tierkreiszeichen sowie in anderen «arischen» Ordensge>
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Links www.idgr.de (Informationsdienst gegen Rechtsextremismus) www.turnitdown.de (Gegen Rechtsrock) www.ns-gedenkstaetten.de/nrw/wewelsburg (NS-Gedenkstätten NRW) www.geister-bremen.de (Grufties gegen Rechts Bremen) http://www.ggrks.de/news.php (Grufties gegen Rechts Kassel) www.kein-allerseelenkonzert.de.vu (Kampagne Rosenheim 2005) www.rabenclan.de (Arbeitskreis für Heiden) www.derhain.de (Heiden-Online-Magazin)
meinschaften wiederspiegle, ein Sinnbild für höhere Ordnungen, die die SS wieder auf der Erde herstellen wollte. Historisch belegt ist die Tatsache, dass Himmler im Juni 1941 im SSObergruppenführersaal davon sprach, «dass der Zweck des Russlandfeldzuges die Dezimierung der slawischen Bevölkerung um dreissig Millionen» sei. Vom von vielen Neonazis als «Vater» der Wewelsburger «Schwarzen Sonne» gesehenen SS-Standartenführer Karl Maria Wiligut alias Weisthor (SS-Reichsführer Himmlers spiritueller Berater und Designer des SS-Totenkopf-Ringes) wird gesagt, er habe an eine Ursonne geglaubt, die noch vor ca. 230 000 Jahren am Nordpol über den sagenhaften «Hyperboreern» geleuchtet und deren geistige Entwikklung gefördert habe. Auch Griechen und Germanen hätten darum gewusst. Schwarz sei die Sonne, da sie unterdessen erloschen und nur noch im Verborgenen wirke, von wo sie jedoch immer noch «Hochintelligenzwirkungen» auslösen könne. Um diese zu empfangen, müsse mensch bestimmte Meditationsübungen machen, zum Beispiel leichte Druckmassagen auf die Thymusdrüse – aber Vorsicht, immer in Beachtung der kosmischen Gesetze, ansonsten verfalle man dem Wahnsinn…
SCHWARZE SONNE PHASE II: 1945-2006FF. Zwei Ex-SS-Führer führten die Mythen um «Schwarze Sonne» und «Thule» ab den 1950ern weiter: Rudolf Mund schrieb Biografien seiner Theosophie- und SS-HeldInnen sowie einen Aufsatz über «Den Mythos der Schwarzen Sonne». Wilhelm Landig hingegen machte sich an eine Roman-
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Trilogie mit den sinnigen Namen «Götzen gegen Thule», «Wolfszeit um Thule» und «Rebellen für Thule». Die «Schwarze Sonne» wird als «Ausgangspunkt der arischen Sendungsüberlieferung und Urquell der arischen Kräfte» beschrieben, als «geheimes Zeichen für Thule» und «Lichtquell der Weisheit und Strahl des einen Grossen, dessen Willen alles lenkt.» Das «Urwissen» darum sei von der jüdisch-christlichen Religion verdrängt worden, dieses «Urwissen» um die «Geburt der nordischen Seele aus dem Sternenlicht» und um die Herkunft der Germanen vom «Mitternachtsberg» im hohen Norden, wo vor der Verstossung in die Hölle «Lucifer» als Lichtbringer herrschte. Landig ruft die «Schwarze Sonne» als emphatisches Widerstandssymbol auf gegen diese Verdrängung ursprünglicher nordischer Grösse. Schuld an allem seien – wer sonst – die «mischrassigen» Juden mit ihrem mordlustigen Gott, was den Verlauf der Weltgeschichte als ewigen Kampf zwischen «Thule» und «Juda» programmiere. Die «Schwarze Sonne» sei Widerstandssymbol für Europa, als Erinnerung an vergessene Urtraditionen des Nordens, die mal von jüdisch-amerikanischem Materialismus, mal von multikulturellen Utopien überrannt würden. Die Romanhelden käuen oft Theorien aus Himmlers SS-Stiftung «Ahnenerbe» wieder und auch antischwarzer Rassismus ist des öfteren anzutreffen. Schriftsteller Der chilenische Miguel Serrano benutzt das Symbol der «Schwarzen Sonne» ebenfalls. Er sieht den archetypischen Grundkonflikt der Weltgeschichte darin, dass die Juden vor Urzeiten versucht hätten, die Tatsache der Ungleichheit der Menschen zu leugnen. In Wahrheit aber habe es auf der Erde immer verschiedene Rassen gegeben, von denen die einen rein irdisch waren und die anderen – die «Hyperboreer» – einst von einem fremden Stern in der Nähe der
«Schwarzen Sonne» auf die Erde kamen. Gegenüber den eher tierähnlichen Rassen seien diese Sternenkinder immer von hohen Zielen beseelt gewesen: Reinheit, Toleranz, Selbstlosigkeit, Idealismus, die Fähigkeit zur religiösen Verehrung eines höheren Wesens. Die Juden hätten einst auch dazugehört, sich aber dann durch sodomitische Verirrungen von diesen Idealen entfernt und verunreinigt. Mit der Erfindung der «Ursünde» etwa habe das jüdisch inspirierte Christentum die Germanen in ihrer Wurzel geschwächt, diese hätten vorher keinen Begriff von Schuld und Sünde gekannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten die Juden durch das Phantom der «Kollektivschuld» weiterhin versucht, die «Arier» in die Knie zu zwingen – die Ermordung von sechs Millionen Juden sei nur eine «Erfindung». Serranos «Analyse»: «Die mythische SS tötete nicht, um Menschen zu vernichten, vielmehr befanden sich ihre unsterblichen Götter im Kampfe mit anderen Wesenheiten oder Gottheiten.» Auch der Verschwörungsphantast Jan van Helsing alias Jan Udo Holey benutzt die «Schwarze Sonne»-Symbolik: Laut ihm haben esoterische Unterabteilungen der «Thule-Gesellschaft» und der SS unter dem Namen «Schwarze Sonne» bereits in den 1940er Jahren Flugscheiben mit Antigravitationsmotoren entwickelt und seien sogar zum fernen Sternensystem Aldebaran geflogen. Hitler habe angesichts der problematischen Kriegslage seine Zustimmung zu diesem Projekt gegeben. Aldebaran deshalb, weil dies die kosmische Heimat der Deutschen sei, von wo vor 730 000 Jahren «helle weisse Gottmenschen» auf die Erde gekommen seien, um in Thule und Atlantis menschliche Zweigstellen zu gründen. Die «arischen» UFOs fanden bald auch ihren Weg in die UFO-Szene und es mehrten sich laut van Helsing die Erlebnisberichte von Leuten, die an-
geblich Kontakte mit blonden, blauäugigen und deutschsprechenden Aliens hatten, welche die kleinen grauen Aliens nur als Tarnung vorausschickten… In einem anderen Buch beschreibt van Helsing eine andere Version: Flüchtende Nazis ziehen sich ins Erdinnere zurück, der Weg in die Hohlwelt führt über Löcher in Nord- und Südpol von 200 Kilometer Durchmesser. Nach aussen fliegen die Hohlweltbewohner mit UFOs, die oft Hakenkreuze als Hoheitszeichen haben. Flugfähige, mit Alternativenergie betriebene U-Boote versorgen die Hohlwelt. In der Mitte dieser Hohlwelt hängt eine atombetriebene, künstliche Sonne aus unzerstörbaren Kristallen, die «schwarze (unsichtbare) Strahlen» aussendet und zweimal jährlich von der richtigen Sonne aufgeladen wird. Diese Schwarze Sonne stehe für die SS. Weitere solche abstrusen und rassistischen Verschwörungsromane im Zusammenhang mit der «Schwarzen Sonne» gibt es zuhauf – zum Teil beziehen sie sich sogar aufeinander, zum Beispiel beschreibt Peter Moon in seinem Buch «Die Schwarze Sonne. Montauks Nazi-Tibet Verbindung» Begegnungen und Gespräche mit Jan van Helsing, der ihn u.a. darüber aufklärt, dass Mekka ein ursprünglich arisches Heiligtum sei…
«SCHWARZE SONNE» IM JAHRE 2006 Schaut man sich heute auf dem Netz zum Thema «Schwarze Sonne» um, ist auffällig, dass fast sämtliche Bücher und Schriften der auch in diesem Text erwähnten AutorInnen und Gruppen problemlos, zum Teil auch über seriöse Buchversände, erhältlich sind. Daneben ist das Schwarze-Sonne-Symbol auch als T-Shirt, Jacke, Uhr oder sonstwas bestellbar. Unter anderem auch mit dem Spruch «Uns geht die Sonne nicht unter» versehen,
dem Titel eines Hitler-Jugend-Liederbuchs. Auch das Thule-Thema ist im Netz präsent, meist in Verbindung mit dem Schwarze-Sonne-Symbol. Zum Beispiel das rechtsextreme «Thule-Seminar», bei dem mensch auch CDs mit dem sinnigen Titel «Krieger der Sonne» bestellen kann. Auf vielen Seiten kann mensch auch allerlei Texte von hier bereits erwähnten völkisch-okkulten-faschistischen-rassistischen «Arier-PhilosophInnen» herunterladen. Es gibt aber auch harmloses, wie die Punkrock-Bands «The Soleil Noir» oder gar amüsantes, wie die Erklärung auf Wikipedia: «In den Romanen zu dem Film «Star Wars» ist «Schwarze Sonne» (Black Sun) der Name der mächtigsten kriminellen Vereinigung, die durch ihre Arbeit direkt und indirekt das Galaktische Imperium unterstützt»… Zurück zu den laut Rudolf Gafner nazigespensterfreien Seiten im Umfeld von Soleil Noir: soleilnoir.ch (Schwarze Sonne im Loorbeerkranz samt Wodansknoten oben und Morgenstern unten) verweist in ihren Erklärungen zu ihrem Symbol auf die Schwesterseite schwarzesonne.ch (Wewelsburger Schwarze Sonne). Der Webmaster dort verkündet, man sei «unpolitisch». Und führt im gleichen Text ein paar nette Herren auf, über die er «auf alle Fälle» noch etwas schreiben werde: K.M. Wiligut, (SS-Standartenführer), Otto Rahn (Gralsforscher im Auftrag der SS), Julius Evola (italienischer Faschist und Antisemit), Joseph Arthur Graf von Gobineau («Rassentheoretiker», der die «philosophischen» Grundlagen für den nationalsozialistischen Antisemitismus schuf). In den Erklärungen zur «Schwarzen Sonne» trifft mensch auf bekannte Stichworte wie Hyperboreer, Ultima Thule, Germanenorden und Arier…
FAZIT Für uns ist klar: Die «Schwarze Sonne» wird immer nur über Orten wie Auschwitz (er)scheinen, wo ihre JüngerInnen aufgrund ihres Arier- und Herrenmenschengrössenwahns andere Menschen brutal ermorden beziehungsweise vernichten. Also kaum ein Symbol, mit dem ein vernünftiger Mensch herumlaufen oder seine Website zieren möchte. Froh sind wir deshalb um Projekte wie «Grufties beziehungsweise Gothics gegen Rechts» oder die Ansätze in der Heidenszene wie «Der Hain», «Rabenclan», «Heiden gegen Rechts», die uns mit ihrem Kampf gegen esoterischen Nazimüll in ihren Szenen zuversichtlich stimmen. Wir danken auch Rüdiger Sünner und allen anderen AutorInnen, deren Werke wir verwendet haben, für ihre tolle Arbeit. Wir sind froh, dass wir ursprünglich und wissenschaftlich nachgewiesen von AfrikanerInnen abstammen und nicht von irgendwelchen durchgeknallten ArierInnen aus dem All: We’re all from Africa – fuck Aldebaran!
Literatur Rüdiger Sünner, Schwarze Sonne. Entfesselung und Missbrauch der Mythen im Nationalsozialismus, 3. Aufl., Freiburg i.B. 1999 Eduard Gugenberger, Roman Schweidlenka, Mutter Erde, Magie und Politik. Zwischen Faschismus und neuer Gesellschaft, Wien 1987 Friedrich Paul Heller, Anton Maegerle, Thule. Vom völkischen Okkultismus bis zur Neuen Rechten, Stuttgart 1995 Andreas Speit (Hg.), Ästhetische Mobilmachung. Dark Wave, Neofolk und Industrial im Spannungsfeld rechter Ideologien, Münster 2002 Hermann Gilbhard. Die Thule Gesellschaft. Vom okkulten Mummenschanz zum Hakenkreuz, München 1994
> BÜRO GEGEN FINSTERE ZEITEN <
VERANSTALTUNG! «Schwarze Sonne», Kultorte und Esoterik des III. Reichs Mythologische Hintergründe des Nationalsozialismus. Ein Film von Rüdiger Sünner, DVD, 90 Minuten Zu sehen im Infoladen, Freitag, 28. April 2006, 20 Uhr. BLICK NACH RECHTS megafon Nr. 294, April 2006
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JEAN-PHILIPPE PEYRAUD: SCHÖNHEITSFLECKEN
DREI MAL SEX MIT DEM EX NACH DER LIEBE, WENN DIE KÖRPER ENTSPANNT SIND UND DIE STIMMUNGEN MILDE, DA KANN SO MANCHES GESCHEHEN. DIE EINEN RAUCHEN DIE
BERÜHMTE ZIGARETTE, ANDERE, JA, DIE ZÄHLEN EBEN DIE SCHÖNHEITSFLECKEN DER GELIEBTEN.
Sie sind zwar schon seit zwei Jahren kein Paar mehr. Beide haben längst eine neue Beziehung und kommen ohne den andern bestens zu recht. Trotzdem enden die beiden nach einem unerwarteten Zusammentreffen zusammen im Bett. Und weil sie sich halt nur zu vertraut sind, so beginnen auch alte Rituale wieder zu spielen: So kommt es, dass er nach der Liebe ihre Schönheitsflecken zählt. Genau 269 waren es einst doch was, wenn plötzlich einer fehlt? Dreimal erzählt Peyraud die Geschichte vom ehemaligen Liebespaar. Dreimal beginnt er am gleichen Ausgangspunkt – beim Zählen der Schön-
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heitsflecken. Nicht nur kommt bei jedem Zählen ein anderes Resultat heraus, auch die Geschichten wechseln von Version zu Version die Richtung. Denn der unverhoffte Seitensprung bringt zwar die angenehmen Erinnerungen an gemeinsame schöne Tage wieder zum Vorschein. Aber auch die Gründe, die damals zur Trennung führten, sind nicht verschwunden. Ganz wie damals verstricken sich die beiden in schon tausendmal geführte Diskussionen, oder verlieren sich in träumerischen Erinnerungen. Sie necken oder streiten sich auf altvertraute Art oder lachen über gemeinsam Erlebtes. Und am Schluss trennen sie sich erneut, jeder geht seinen eigenen Weg – oder etwa doch nicht?
Peyrauds «Schönheitsflecken» ist eine unaufdringliche und charmante Fingerübung über die Liebe. Nicht wilde Action oder grosse Gefühle sind das Thema. Vielmehr besticht das 140-seitige Büchlein im handlichen Taschenbuchformat mit stimmigen Dialogen und liebenswerten Protagonisten. Der 1969 geborene Franzose JeanPhilippe Peyraud zog nach vollendetem Studium der angewandten Künste nach Paris, wo er sich als Zeichner und Autor rasch einen Namen machte. Inzwischen hat Peyraud 15 Alben veröffentlicht, die teils in Zusammenarbeit mit anderen Künstlern entstanden sind. Daneben arbeitet Peyraud als Grafiker und Illustrator. > CDK <
MARCEL BLATTI (POLA) HÖRT LAURIE ANDERSON Lieblingsplatten gibts viele, und doch hatte ich nie so wirklich welche. Bin mit dem Vorsatz, nur noch Alben zu erstehen, die ich dann auch am Stück durchzuhören vermag, kläglich gescheitert – nach frohem «auf zum Kauf!» allzu oft Stunden später mit tauben Ohren und ohne neu gehobenen Schatz enttäuscht aus dem x-ten Laden getaumelt. Die folgenschwere Kompensation: Blitzvorstösse mit selbstauferlegtem Vorhörverbot – bewaffnet mit einer Auflistung der zu erbeutenden Ware, damit man ob all der Vielfalt nicht die Besinnung verliert. Kurz, eine Qual. Dazu kommt meine – ich gestehe! – Abneigung gegen den Download. Nein, nicht wegen den armen Multis (die Penner sind ja selber Schuld), sondern aus purer Liebe zu was Handfestem, dem Sound und einem schönen Cover. Jawohl, einmal mehr sei hier ein Hohelied auf LPs, ihre Hüllen und Retter erhoben – auf Covers, die den Geist bereichern, jede Wohnung verschönern und oft gar verkannte Meisterwerke sind. Auch fühl
ich mich unwohl im Heuschreckenschwarm der Downloader, der sich hemmungslos über all die kleinen und grossen musikalischen Wunder-Stimmungsmacher, Lebensretter, Tranquilizer, Energieschübe, Uppers und Erleuchtungen hermacht, da diese ja jetzt gratis sind, und selbst wenn man sich die jeweils besten Tracks dann doch holt und kompiliert, dann halt ohne besagte Verschönerungen. Die Seelen der kleinen Wunder erreichen uns degeneriert, entschlüpfen arg geschunden dem digitalen Datenmeer – wie ein nasser Hund einem Fluss im Winter. Ja klar, ich fühle mich gerade sehr altmodisch – was solls, irgendwann holts einen ja sowieso ein. Aber ohne Frage, MP3 ermöglicht uns Freiheiten, von denen man zu Zeiten des Schellack nur geträumt hätte und die heute niemand ernsthaft missen möchte. Und natürlich ist auf diesem Weg so mancher Schatz zu heben, und genau darum gehts doch auch irgendwie, ums Entdecken, um Geschichten und Erlebtes, das wir mit der jeweiligen Mu-
sik verbinden. Somit also hier ein paar meiner liebsten Alben. Vielleicht hilfts wem weiter... Mit Geschichten füllen muss mann&frau sie dann trotzdem selber. Mir jedenfalls waren und sind sie gute Gefässe und treue Gefährten. Mein Herzensdank geht an: LAURIE ANDERSON * NEW SIENCE NICK DRAKE * PINK MOON DACKELBLUT * FLUTEN UND TAUCHEN APHEX TWIN * SELECTED AMBIENT WORKS 85-92 KRAFTWERK * TRANS EUROPA EXPRESS TRANSAM * FUTUREWORLD LCD SOUNDSYSTEM * DISC 1 DIRTY THREE * OCEAN SONGS VINCENT GALLO * WHEN PJ HARVEY * STORIES FROM THE CITY, STORIES FROM THE SEA
SCHWARZES SCHAF ALS ROTER FADEN 1970 verweigerte Jürg Wehren den Militärdienst. Er wollte kein Gefängniswächter der Schweiz sein. Deshalb steckten sie ihn für elf Monate ins Zuchthaus. Wozu dienen Gefängnisse im Gefängnis Schweiz muss man sich fragen. Um eine dritte, heimtückische Art von Gefängnis zu errichten, ein Gefängnis für die Gedanken. Die allzu freien Gedanken dieses Menschen einzufangen, und in geordnete Bahnen zu lenken, gelang jedoch nicht. Weiterhin verstiegen sie sich zu der Anmassung, selber über Recht und Unrecht entscheiden zu wollen. Davon zeugen die im Buch abgedruckten Linolschnitte, welche Wehren in seiner Zeit in Witzwil angefertigt hat. Das Buch führt vor Augen, dass es notwendig ist, Mauern niederzureissen. Seien diese nun in unserem Kopf oder zwischen den Menschen, an einer Landesgrenze oder vor einem Gefängnis.
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«Widerstand braucht viele Sprachen». Gebrauchsgrafik und Texte von Jürg Wehren Mit Beträgen aus dem Freundeskreis. Hg. von Claudia Bislin, Sonja Hug, Edi Lehmann, Marc Rudin bei Edition8.ch. 128 Seiten, Bilder s/w und farbig, s/w-Fotos. Broschur, Grossformat, ca. 36 Franken, ISBN 3-85990-097-8
KINO DACHSTOCK TOJO FRAUENRAUM SOLIBARS SOUSLEPONT
> SKYBALA <
PROGRAMM
Als ich das Buch («Widerstand braucht viele Sprachen») zu lesen begann, war ich sehr skeptisch. Ein Buch über einen Menschen und sein Leben, kann das gut sein? Ich hasse Autobiographien. Über sich selbst zu schreiben hat für mich immer etwas selbstverherrlichendes an sich. Handelt es sich hier um ein weiteres Nostalgiebuch? Ein Buch über die schlechten alten Zeiten, die doch irgendwie noch gut gewesen waren, weil man damals ja noch Widerstand geleistet hat? Dieses Misstrauen hat sich dann schnell gelegt. Es geht in diesem Buch nicht um Jürg Wehren und sein Leben. Er dient viel mehr als roter Faden, um die Welt, in welcher er gelebt hat, und ihre Probleme darzustellen. Interessant wird das Buch, wenn man plötzlich bemerkt, dass die Probleme von damals, heute im Grunde noch immer die selben sind. Es sind Ängste vor dem Fremden, dem Anderen, dem Unbekannten die diese Probleme verursachen. Ängste, die durch Militarismus, Nationalismus und Rassismus, ein scheinbares «Aussen» abgrenzen. Im scheinbaren «Innern» wird dann durch eine repressive Staatsgewalt eine lebensfeindliche Ordnung hergestellt.
KULTUR ET ALL megafon Nr. 294, April 2006
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megafon 06.04
PROGRAMM
KINO
megafon Nr. 294, April 2006
PETER VOLKART, CH 2005
TERRA INCOGNITA
YUSUF YESILÖZ, CH 2006
ZWISCHEN DEN WELTEN
SAMSTAG, 8. APRIL, 21.00 UHR
TERRA INCOGNITA
PETER GUYER, CH 2006 IN ANWESENHEIT VON PETER GUYER, BERN
MEERDOLEN
JACQUELINE VEUVE, CH 2006
LA PETITE DAME DU CAPITOLE
PETER VOLKART, CH 2005
TERRA INCOGNITA
DONNERSTAG, 6. APRIL, 21.00 UHR FREITAG, 7. APRIL, 21.00 UHR
NEUE SCHWEIZER FILME
DISKUSSION UND FILM ZUM STREIK IN EINER NESTLÉ-FABRIK
BLUT IM NESCAFÉ!
DIENSTAG, 4. APRIL, 20.00 UHR
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Organisiert von Perspektiven nach Davos (Anti-WTOKoordination, attac & OeME-Komission) sowie der OeME-Fachstelle.
Noel Alemania und Carina Castrillo berichten auf ihrer Infotour quer durch die Schweiz aus erster Hand über die angespannte politische Situation auf den Philippinen, den Kampf der NestléarbeiterInnen und über die Prekarisierung der Arbeitssituation südlich von Manila.
Nestlé, der Schweizer Nahrungsmittelmulti erwirtschaftete 2005 einen Reingewinn von knapp 8 Milliarden Franken. Doch was ist die Praxis in den Ländern des Südens? Was läuft in und um die Werke auf den Philippinen? Seit fast vier Jahren sind über 600 ArbeiterInnen des grössten Nestléwerks auf den Philippinen im Streik, weil Nestlé nicht gewillt war, den Altersvorsorgeplan in die Tarifverhandlungen aufzunehmen. Nestlé hat mit harter Repression auf den Streik reagiert und weigert sich, mit den streikenden ArbeiterInnen zu verhandeln. Am 22. September 2005 wurde der Präsident der Nestlé-Gewerkschaft brutal ermordet. Die ArbeiterInnen machen die Nestlé-Direktion, die Nationale Polizei und Präsidentin Macapagal-Arroyo für den Mord verantworlich.
DISKUSSION UND FILM ZUM STREIK IN EINER NESTLÉ-FABRIK AUF DEN PHILIPPINEN. MIT NOEL ALEMANIA, VIZEPRÄSIDENT DER NESTLÉGEWERKSCHAFT IN CABUYAO UND CARINA CASTRILLO VON DER PHILIPPINISCHEN KOALITION ZUM SCHUTZ DER RECHTE DER ARBEITERINNEN.
BLUT IM NESCAFÉ!
DIENSTAG, 4. APRIL, 20.00 UHR
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Lucienne Schnegg ist eine kleine Frau voller Energie: Mit 80 Jahren leitet sie immer noch das Kino Capitole. Sie ist die eigentliche Seele des Kinos: hier begann sie 1949 als Sekretärin, und später hat es ihr der Besitzer vererbt. Sie ist sowohl Kassiererin, Putzfrau und Direktorin, und sie erzählt uns die Geschichte ihres Kinos: des schönsten, des grössten und ältesten in Lausanne. In den Nachkriegsjahren waren 25 Leute hier beschäftigt, davon sechs Platzanweiser in Uniform, und in Scharen kamen die Besucher, um Filme wie «Der längste Tag» zu sehen.
J. VEUVE, CH 2005, 55 MIN., BETA SP, F/D/E
LA PETITE DAME DU CAPITOLE
DONNERSTAG, 6. APRIL, 21.00 UHR FREITAG, 7. APRIL, 21.00 UHR
Ende der 1920er Jahre war er kurz in den Schlagzeilen: Igor Leschenko, der junge Physiker aus Hermannstadt, der mit bizarren Experimenten das Gesetz der Schwerkraft ins Wanken branchte. Das Debakel am Kongress der Pataphysiker führt zu einer geheimen Expedition zum Antigravitätspunkt. Rare Filmdokumente einer Reise jenseits von Zentropa durch den bedrohlichen KarfunkelArchipel. Wird er die Insel Nanopol je finden?
P. VOLKART, CH 2005, 17 MIN., 35MM, OV/DT. SCHWEIZER FILMPREIS 06, BESTER KURZFILM
TERRA INCOGNITA
DONNERSTAG, 6. APRIL, 21.00 UHR FREITAG, 7. APRIL, 21.00 UHR SAMSTAG, 8. APRIL, 21.00 UHR
Wie immer im April gibt es auch dieses Jahr eine kleine Werkschau des neuen Schweizer Filmschaffens. Mit einer Auswahl der Filme aus den vergangenen Solothurner Filmtagen, sollen neue Tendenzen im Schweizer Film aufgezeigt werden.
NEUE SCHWEIZER FILME
Schriftsteller und Filmemacher Yusuf Yesilöz zeigt in seinem sensiblen Portrait die gelungene Integration von Güli Dogan, die im Alter von neun Jahren aus der Türkei in die Schweiz immigrierte. Der Film dokumentiert die heute 35jährige Frau an ihrem Arbeitsplatz im Winterthurer Einwohneramt, im Alltag mit ihren Töchtern, ihrem Mann, ihren Schweizer Freundinnen und bei Besuchen von älteren, stark in der Tradition ihrer Heimat verhafteten Landsleuten. Dank der Offenheit von Güli Dogan wird auf eindrückliche Weise der Spannungsbogen zwischen ihrem jetzigen Leben hier und ihren Sehnsüchten nach ihrem Bergdorf der Kindheit spürbar.
YUSUF YESILÖZ, CH 2006, 54 MIN., BETA SP, KURDISCH OV/D
ZWISCHEN DEN WELTEN
SAMSTAG, 8. APRIL, 21.00 UHR
Den Blick am Boden, einen Besen in der Hand, zieht er als Stadtwanderer durch Barcelona. Im Schatten einer Palme entdeckt er eine vornehme alte Dame. Und mitten auf den Ramblas einen jungen Gauner. Für Bossert hat jedes Senkloch ein Gesicht. Ein Beseler sei er, sagt Bossert von sich selber, während er die Dole von Dreck und Asphalt befreit. Einer, der mit dem Besen die Dinge beseelt. Und sagt das so, dass man ihm glaubt. Schicht für Schicht legt er mit Hammer und Besen die Schönheit des Unscheinbaren frei. Als Lohn der Abrieb: Die Frottage der Dole auf einen grossen Bogen Papier.
P. GUYER, CH 2006, 40 MIN., BETA SP, DIALEKT
MEERDOLEN
DONNERSTAG, 6. APRIL, 21.00 UHR FREITAG, 7. APRIL, 21.00 UHR
MEERDOLEN
DONNERSTAG, 27. APRIL, 21.00 UHR FREITAG, 28. APRIL, 21.00 UHR SAMSTAG, 29.APRIL, 21.00 UHR
KERSTIN NICKIG, D 2005
LIEBER MUSLIM
DONNERSTAG, 20. APRIL, 20.00 UHR FREITAG, 21. APRIL, 20.00 UHR SAMSTAG, 22. APRIL, 20.00 UHR
JOS DE PUTTER, NL 2003
DANCE GROZNY DANCE (THE DAMNED AND THE SACRED)
DONNERSTAG, 20. APRIL, 21.00 UHR FREITAG, 21. APRIL, 21.00 UHR SAMSTAG, 22. APRIL, 21.00 UHR
*) IN ANWESENHEIT DER LEITERIN DER RUSSISCHEN NGO «WARM HOME», DIE IN TSCHETSCHENIEN, IN INGUSCHETIEN UND MOSKAU MIT TSCHETSCHENISCHEN FLÜCHTLINGEN ARBEITET.
ERIC BERGKRAUT, CH 2005
COCA: DIE TAUBE AUS TSCHETSCHENIEN
DONNERSTAG, 13. APRIL, 21.00 UHR FREITAG, 14. APRIL, 21.00 UHR SAMSTAG, 15. APRIL, 21.00 UHR *
TSCHETSCHENIEN
megafon Nr. 294, April 2006
JOHANN FEINDT UND TAMARA TRAMPE, D 2005
WEISSE RABEN
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In Weisse Raben erzählen russische Mütter über ihre an Körper und Seele verletzten Söhne, die, nachdem sie an
Das megafon und das Kino der Reitschule legen im April ihren Schwerpunkt auf Tschetschenien, ein Land in Kaukasien, in dem Krieg herrschte und immer noch herrscht. Ein schmutziger, sinnloser Krieg. Wie können Menschen in diesem vom Krieg zerstörten Land leben, bedroht von Entführung, Verschleppung, Vergewaltigung, Mord? Wie bewältigen sie die traumatischen Erlebnisse und Erinnerungen? Was für Überlebensstrategien setzen sie Krieg und Zerstörung entgegen? Das Reitschule-Kino zeigt Filme von engagierten Filmemachern und -macherinnen aus Holland, Deutschland und der Schweiz, die sich auf unterschiedliche Weise mit den vom russisch-tschetschenischen Krieg betroffenen Menschen befassen.
EIN «INTERNES PROBLEM»?
TSCHETSCHENIEN – der russisch-tschetschenischen Front verletzt wurden, bei ihnen abgegeben wurden. Der Film erzählt von Männern, die Täter sind und nicht selten zugleich selbst zu Opfern ihrer Tat werden. «Coca» Sainap Gaschaiewa, hat zusammen mit anderen Frauen Hunderte von Videokassetten versteckt und will sie nach Westeuropa schaffen mit dem Ziel, ein Tribunal zu initialisieren, damit die Schuldigen bestraft werden – auf welcher Seite sie auch stehen. In Dans, Grozny Dans schliesslich zeigt Regisseur Jos de Putter einen aussergewöhnlichen Mann, Ramzan Akhmadov, der mit Strassen- und Waisenhauskindern aus Grosny kaukasische Tänze einstudiert. Sein Engagement ermöglicht ihnen triumphale Auftritte in ganz Europa. Diese Kinder trotzen dem Krieg und zeigen ein Bild von Tschetschenien, das nicht nur aus Terror besteht. Kunst als Überlebensstrategie.
Mehr dazu unter unten, oder unter www.reitschule.ch/reitschule/kino/
Am Samstag, den 15. April folgt im Anschluss ein Gespräch mit Natasha Nelidova, der Leiterin der russischen NGO «Warm Home1», und Shoma Chatterjee, von der Gesellschaft für bedrohte Völker2.
Coca nannten ihre Eltern Sainap Gaschaiewa – die Taube. Geboren in der Verbannung in Kasachstan, wurde sie Geschäftsfrau und zog vier Kinder gross. Seit 1994 dokumentiert sie, was in ihrer Heimat täglich geschieht: Verschleppung, Folter, Mord. Was Präsident Putin zur «antiterroristischen» Aktion erklärt, hat Züge eines Völkermordes angenommen. Bis zu 30 Prozent der tschetschenischen Bevölkerung könnten getötet worden sein. Die Weltöffentlichkeit schweigt, sei es aus Unwissen, Hilflosigkeit oder Opportunismus. Zusammen mit anderen Frauen hat Sainap Gaschaiewa hunderte Videokassetten versteckt. Jetzt will sie diese nach Westeuropa schaffen. Coca, Leiterin der Organisation «Echo of War», strebt ein Tribunal in Strassburg an. Hass lehnt sie ab. Sie lebt teilweise in Moskau und hat vier Kinder gross gezogen (eines lebt im schweizerischen Kölliken). Sie wurde zur Chronistin des Krieges in ihrer Heimat.
ERIC BERGKRAUT, SCHWEIZ 2005, 86 MIN., 35MM, OV/DT.
COCA:DIE TAUBE AUS TSCHETSCHENIEN
DONNERSTAG, 13. APRIL, 21.00 UHR FREITAG, 14. APRIL, 21.00 UHR SAMSTAG, 15. APRIL, 20.00 UHR
megafon 06.04
PROGRAMM
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megafon Nr. 294, April 2006
KINO
WEISSE RABEN
1. Preis der Stadt Prag für den besten Kurzfilm auf dem International Human Rights Film Festival 2006
«Lieber Muslim» - so beginnt das Tagebuch von Sacita, das sie ihrem kleinen Sohn Muslim schreibt, damit er einmal versteht, was seine Eltern in Tschetschenien im Krieg erlebt haben. Warum sie nach Polen geflohen sind. Damit er sich einmal in einer unbekannten Zukunft zurechtfinden wird, wenn sie selbst vielleicht schon nicht mehr leben, wie sie glaubt. Sacita, ihr Mann Said-Selim und Muslim leben in einer Provinzstadt in Ostpolen und haben wie über 6000 andere tschetschenische Flüchtlinge in Polen Asyl erhalten. Doch sie leben vollkommen in den Kriegsschrecken der Vergangenheit. Die Berliner Filmemacherin Kerstin Nickig hat sie über ein halbes Jahr lang mit der Kamera begleitet: Herausgekommen ist ein nahes Porträt der Familie und ihrer persönlichen Kriegsgeschichte.
KERSTIN NICKIG, D 2005, 35 MIN, OMU /D
LIEBER MUSLIM ...
DONNERSTAG, 20. APRIL, BIS SAMSTAG, 22. APRIL, JEWEILS 20.00 UHR
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Nach zwei Unabhängigkeitskriegen gegen Russland liegt die Stadt Grozny immer noch in Trümmern. Vor den Ruinen probt eine Tanzgruppe bestehend aus Strassen- and Waisenhauskindern den Kaukasischen Tanz. Der Film bricht mit der Gruppe zu ihrer Europatournee auf und kehrt doch immer wieder in das kriegsgebeutelte Tschetschenien zurück. Die jungen Tänzer feiern Erfolge an den renommiertesten und glamourösesten Bühnen der Welt der Himmel ist dunkel vor lauter Bomben, die jungen Männer sterben im Krieg, Minen pflastern die Strassen. Die Kinder werden nicht allein vom Wunsch, auf der Bühne zu stehen, angetrieben, sondern brauchen die Kunst als Überlebensstrategie. Sie versuchen, dem Krieg zu trotzen und Europa ein Bild von Tschetschenien zu zeigen, das nicht nur aus Terror besteht.
JOS DE PUTTER, NL 2003, 75 MIN., BETA, OV/E
DANS, GROZNY DANS (THE DAMNED AND THE SACRED)
DONNERSTAG, 20. APRIL, 21.00 UHR FREITAG, 21. APRIL, 21.00 UHR SAMSTAG, 22. APRIL, 21.00 UHR
1) «Das warme Haus» ist eine überregionale öffentliche Wohltätigkeitsorganisation, die zur sozialen Integration der Flüchtlingsfrauen und Zwangsumgesiedelten beiträgt. «Das warme Haus» begann seine Tätigkeit im August 1999 und wurde im Mai 2000 in Moskau registriert. Seitdem wurden über tausend Flüchtlingsfrauen und deren Verwandte in Moskau, in Tschetschenien und in den Zeltlagern in Inguschetien unterstützt. Dazu gehören psychologische Beratung, Betreuung durch die Sozialmitarbeiter, Kauf von Medizin und Kleidung, Behandlung in den Moskauer Krankenhäusern und Erholungsheimen, Stipendienzuschüsse für die Fortführung der Ausbildung, Teilnahme an Weiterbildungen und Praktika und PC-Kurse – das ist die Bandbreite dieser Hilfe. 2) siehe www.gfbv.ch
Seit zehn Jahren herrscht Krieg in Tschetschenien. Ein schmutziger, sinnloser Krieg. Ein Krieg des verletzten russischen Reiches. Die politischen Machthaber sind froh, dass der Krieg zuletzt ein neues Etikett bekommen hat: Kampf gegen den Terrorismus. Das klingt gerecht und kommt international besser an. Petja und Kiril melden sich – gerade 18 Jahre alt – freiwillig zum Einsatz an der tschetschenischen Front. Die Krankenschwester Katja arbeitet in einem Lazarett im Kriegsgebiet. Keiner von ihnen kehrt zurück, wie er ging. An Leib und Seele verkrüppelt, allein gelassen mit ihren Erfahrungen von Verstümmelungen, Folter und Tod. Über einen Zeitraum von drei Jahren beobachten Johann Feindt und Tamara Trampe wie die Heimgekehrten versuchen, sich in einer Gesellschaft wieder zurechtzufinden, die den Krieg verdrängt. Einzig im Komitee der Soldatenmütter Russlands finden sie und die hilflosen Eltern noch Ansprechpartner und Gleichgesinnte.
JOHANN FEINDT UND TAMARA TRAMPE, D 2005, 92 MIN., BETA SP, OV/DT.
WEISSE RABEN
DONNERSTAG, 27. APRIL, 21.00 UHR FREITAG, 28. APRIL, 21.00 UHR SAMSTAG, 29. APRIL, 21.00 UHR
DACHSTOCK
DACHSTOCK DARKSIDE PRESENTS: SKYNET ( U N D E R F I R E R E C . / U K ) , SUPPORT: VCA ( B I OT I C R E C S . ) , DEEJAY MF ( U T M ) , TONI B. ( B A SS R I D E AG E N CY ) , DJ SUBMERGE
SAMSTAG, 29. APRIL, 22.00 UHR
KLASHNEKOFF & DJ SKULLY ( U K )
FREITAG, 28. APRIL, 22.00 UHR
CARTE BLANCHE 4 ROUND TABLE KNIGHTS; SPECIAL GUEST T.B.A.
SAMSTAG, 22. APRIL, 22.00 UHR
BRANT BJORK & THE BROS. ( U S A )
DONNERSTAG, 20. APRIL, 21.00 UHR
GUTBUCKET ( U S A )
SONNTAG, 16. APRIL, 21.00 UHR
MOUTHWATERING CLUBNIGHT, FEAT.: MOUTHWATERING DJS KEV' THE HEAD & DUSTBOWL, VISUALS BY OPTICKLE
SAMSTAG, 15. APRIL, 22.00 UHR
AHEAD OF CONFUSION TOUR – SPECIAL DOXA LABELNIGHT, MIT: FOR GOD CONSOUL FEAT.: ACID PAULI ( L I V E ) , HOMETRAINER/ FC SHUTTLE ( C O N S O L E / D ) , VENDAS NOVAS ( D OX A / F )
FREITAG, 14. APRIL, 22.00 UHR
NORTHERN SOUL, VOL. V DJS ANDY SMITH ( P O R T I S H E A D / U K ) & HENRY STORCH ( D )
SAMSTAG, 8. APRIL, 22.00 UHR
AWOL ONE ( S H A P E S H I F T E R S , M A SS M E N / U S A )
FREITAG, 7. APRIL, 22.00 UHR
NO INFO ( I ) & STONED MONKEYS ( B E )
SAMSTAG, 1. APRIL, 22.00 UHR
megafon 06.04
PROGRAMM
megafon Nr. 294, April 2006
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(BE)
Bereits zum siebten Mal findet dieses Jahr der Antifaschistische Abendspaziergang statt, ein Zeichen gegen das erstarkende Selbstbewusstsein unserer braunen Zeitgenossen zu setzen. Einmal mehr soll der Geist der Veranstaltung nach der Demonstration in unserem Haus, das sich mit den Anliegen des veranstaltenden Bündnisses solidarisiert, weiterleben, der Beweis erbracht werden, dass schnelle, laute und harte Musik, welche Nazi-Gedankengut vermittelt, eine Randerscheinung in der Musikszene darstellt. Hardcore und Punk, wie wir ihn leben und verstehen, ist ein Ausdruck der Wut der Unterdrückten, eine gemeinsame Sprache der Ausgegrenzten, ein Aufruf zum Widerstand, nie eine Aufforderung, Leben zu vernichten. Dass die Qualität der Inhalte, die mit der Musik vermittelt werden, in Wechselwirkung mit derjenigen der sie transportierenden Musik steht, dass dem Nazi-Punk die Marschmusik zugrundeliegt, intelligente Texte dagegen auch von musikalisch verfeinert zu Werke gehenden Menschen begleitet werden, lässt sich unschwer erkennen. So auch bei No Info aus Turin, wohl nicht von ungefähr der italienischen Hardcore-Hauptstadt, die schon Negazione und I Fantastici 4 hervorgebracht hat. Bemerkenswert, dass ihre zweite Veröffentlichung «Nothing 'till now» von nicht weniger als 14 unabhängigen italienischen Labels herausgebracht wurde.
NO INFO ( I ) STONED MONKEYS
SAMSTAG, 1. APRIL , 22.00 UHR
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Ein junger Tony Martin, in L.A. geboren und aufgewachsen, begann als Teenager seine eigenen Rhymes zu schreiben, tauchte schnell ein in die Untergrund-Szene seiner Heimatstadt, nahm zum Beispiel an den Project Blow-Nächten teil, wo er keinen leichten Stand hatte, sich als weisser Rapper zu behaupten. Mit sechzehn begann er, unterstützt von Massive, der ihn dem Massmen-Produzenten Fat Jack vorstellte, seine eigenen Tracks zu veröffentlichen. Sein charakteristischer, mit rauher Stimme vorgetragener laidback Flow – «als würde Tom Waits rappen» –, der über die oft ungemütlichen Lyrics mit einem Hang zum Bizarren hinwegtäuscht, verschaffte ihm Anerkennung, und mit Awolrus kreierte er eine neue Rap-Persona, eine Art post-apokalyptischen, alkoholisierten Hobo, die ihm Kult-Status weit über die Szene von L.A. verschaffte. Hatten für sein erstes Album «Speakerface» noch verschiedene Leute wie Evidence, Kutmasta Kurt, Mums the Word, Fat Jack und andere ihre Beats beigetragen, begann er um die Jahrtausendwende eine fruchtbare Zusammenarbeit mit Daddy Kev, deren erstes Resultat das Album «Souldoubt» (2001) war. Oft um die TurntableSkills von DJ D-Styles (Invisibl Skratch Picklz) erweitert, markierte das Album «Slanguage» (2003), in dieser Besetzung aufgenommen, den Ausbruch aus vorgegebenen Bahnen, indem sich das Werk wie eine Hommage an den Free-Jazz der 1970er-Jahre lesen lässt.
( S H A P E S H I F T E R S , M A SS M E N / U S A )
AWOL ONE
FREITAG, 7. APRIL , 22.00 UHR
(D)
Immer, wenn sie nicht grad mit No Twist oder als Console unterwegs sind, oder sich produzierenderweise im Studio vergraben, zieht es die Leute aus dem bayerischen Weilheim in die weite Welt, die Clubs mit Live-Electronics oder als DJs zu rocken. Vor allem Michael Schwaiger, der als Hometrainer nach zweijähriger Veröffentlichungspause letztes Jahr eine ganze Reihe von Tracks als Maxis oder EPs herausgebracht hat, brennt darauf, diese auf den Dancefloor zu schmeissen. Zudem ergibt sich die Gelegenheit, mit Vendas Novas den Neuzuzug aus Frankreich auf dem Doxa-Label zu begrüssen, einen Produzenten, einen DJ und eine Sängerin aus der Bretagne, welche auf ihrem Debut «Barry Black» (2004) auf der Basis von Dub, Tech und Electro einen mit verschiedensten Zutaten gespickten Dancefloor-Cocktail zusammenbrühen, an den 120 BpM orientiert, gerade groovend und voller Überraschungen.
FOR GOD CONSOUL FEAT.: ACID PAULI ( L I V E ) HOMETRAINER FC SHUTTLE ( C O N S O L E / D ) VENDAS NOVAS ( D OX A / F )
AHEAD OF CONFUSION TOUR - SPECIAL DOXA LABELNIGHT, MIT:
FREITAG, 14. APRIL , 22.00 UHR
HEART- & SOULMUSIC
NORTHERN SOUL, VOL. V: DJS ANDY SMITH ( P O R T I S H E A D / U K ) & HENRY STORCH
SAMSTAG, 8. APRIL , 22.00 UHR
megafon 06.04
PROGRAMM
DACHSTOCK
megafon Nr. 294, April 2006
BOTANICA ( U S A )
FREITAG, 26. MAI
SÄXIMO OPEN MIC SESSION
DONNERSTAG, 25. MAI
BLURT ( U K )
SONNTAG, 21. MAI
DACHSTOCK DARKSIDE
SAMSTAG, 20. MAI
CHARLES GAYLE TRIO ( U S A )
SONNTAG, 14. MAI
MOUTHWATERING CLUBNIGHT
SAMSTAG, 13. MAI
BRANT BJORK
ELECTRO_SHOX PRESENTS: T.B.A.
FREITAG, 12. MA
ALLE RÄUME -- PROGRAMM T.B.A.
REITSCHULE FEST
SAMSTAG, 6. MAI
ULAN BATOR ( F / I )
FREITAG, 5. MAI:
VORSCHAU MAI 2006:
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Das Label Pulver Records wurde von einer Handvoll DJs aus Stuttgart gegründet, weil sie kein Label fanden, das ihre Compilation «A Night at Blowshop», ein Stuttgarter Venue, publizieren wollte. Sie bringen da ihre eigenen, zwischen Nu Jazz, Breakbeat, Technofunk und Acid House anzusiedelnden Tracks, ebenso wie Werke von Telemark (Aroma Bar), dem Ungaren Erik Sumo, und Inverse Cinematics heraus.
MOUTHWATERING DJS KEV' THE HEAD & DUSTBOWL VISUALS BY OPTICKLE, SPECIAL GUEST: DUBPLEX ( P U LV E R R E C S . / D )
MOUTHWATERING CLUBNIGHT, FEAT.:
SAMSTAG, 15. APRIL , 22.00 UHR
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Aus dem kalifornischen Palm Desert stammend, begann Brant Bjork mit dreizehn Konzerte zu spielen, während der High School gründete er mit den Kumpels Josh Homme, Chris Cockrell (später Nick Oliveri), und John Garcia Kyuss, deren mit schweren, harten Riffs und einem psychedelischen Vibe gewürzter Rock'n'Roll zum Prototypen eines neuen Genres werden sollte, das da «Stoner Rock» genannt wurde. 1993 verliess er die Band, um in Humboldt Pizzas zu backen und Fussball zu spielen. Weil es zu oft regnete, zog er zurück in seine Heimat, gründete ein Label, spielte Drums für die Hardcore-Punkband DeCon, Gitarre für Mario Lalli's Fatso Jetson, tat sich wieder mit Homme zusammen, eine Serie von Aufnahmen unter dem Titel «Desert Sessions» zu starten, über einem Projekt namens «Queens of the Stoneage» zu brüten. Als dieses verwirklicht wurde, zog er es jedoch vor, mit den Kumpels von Fu Manchu zu touren, was ihn für fünf Alben ins Studio und in vier Jahren um die Welt brachte. Danach begann er, sein musikalisches Universum über fünf Alben hin zu erforschen, was ihn von einem Cool Jazz-, Breakbeat- und Rasta-Vibe angehauchten Album, für welches er alle Instrumente selbst einspielte, über eine harte, seine Rock'n'Roll -Wurzeln unterstreichende Zusammenarbeit mit Alfredo Hernandez am Schlagzeug und Dave Dinsmore am Bass, in drei Tagen aufgenommen und abgemischt, zu einer vom New Wave der 80er beeinflussten Scherbe, zurück zum swingenden Rock'n'Roll brachte, um sich schliesslich im fünften Album noch als Singer-/Songwriter zu outen. Und nun ist er also seit zwei Jahren mit seiner neuen Band The Bros. unterwegs - «Make no mistake ...
BRANT BJORK & THE BROS. (USA)
DONNERSTAG, 20. APRIL , 21.00 UHR
movie about Frank Zappa, performed by Slayer and Ornette Coleman, only the reels are not in order.» (Nashville Scene) — Es passt da, dass die Vier, neben ihren Aktivitäten mit dem Ethel String Quartet, seit einiger Zeit auch Live-Soundtracks zu frühen Animationsfilm-Klassikern aufführen.
(UK)
Ricochet Klashnekoff, the Black Russian, Angel of Death, Son of Nia sind einige der Namen, unter welchen der im Hackney-Distrikt Süd-Londons aufgewachsene Sohn jamaikanischer Eltern bekannt ist. Mit zehn Jahren begann er zu rappen, wollte eigentlich Schauspieler werden, erkannte dann aber, dass seine Rhymes zu schreiben seine Probleme überwinden half, sie vorzutragen seine Coolness festigte. Als Teil der «Terra Firma»-Crew veröffentlichte er verschiedene 12"es, welche ihm massiven Respekt zuteil werden liessen, so dass er vor drei Jahren beschloss, sie, unter dem Titel «The Sagas of ... Klashnekoff» zusammengefasst, als Album zu veröffentlichen. Fast durchgehend wurde daran einzig kritisiert, dass da eine Sammlung von Killer-Tracks vorlag, deren jeder für sich stehen konnte, welchen jedoch der Zusammenhalt beim Hören des Albums fehlte. Dem hat DJ Skully Abhilfe geschaffen, indem er letzten Herbst die Mix-Compilation «Focus Mode» herausgebracht hat, für welche er eine ganze Reihe von den beiden in den letzten Jahren aufgenommenen Dubplates und Freestyles von Klashnekoff zu einem Ganzen verschmelzt. Während wir noch auf das dieses Jahr erscheinende Debut Klashnekoffs warten, werden die beiden ihr Material an diesem Abend live und direkt vermitteln: «Beware of Ricochets!»
KLASHNEKOFF & DJ SKULLY
FREITAG, 28. APRIL , 22.00 UHR
GUTBUCKET
megafon Nr. 294, April 2006
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ROUND TABLE KNIGHTS SKYNET
(USA)
Wer sich Gutbucket nennt, und sein Album «Dry Humping the American Dream» betitelt, lässt vermuten, dass da eine gewisse Respektlosigkeit im Spiel ist — was durchaus richtig ist. In der Tat ist das Quartett, das sich selbst als «Juke Joint Punk-Jazz Kerzoom» bezeichnet, vier mit einer Jazz-Ausbildung befrachtete junge New Yorker, einen Weg gegangen, den noch niemand vor ihnen gegangen ist, und allenfalls gebührt ihnen der Respekt, einen eigenen Stil aus der Fusion von Free Jazz, Jam Band Rock, Funk, Heavy Metal, Latin, Klezmer, Polka, Surfpunk, Rock'n'Roll, und dann noch einigen anderen Zutaten zu schaffen, die an sich unvereinbar scheinen. Dementsprechend dürfen sich die Kritiker wieder einmal kreativ ergehen, und so werden denn Perlen wie diese auf sie gemünzt: «Nothing makes you feel as sane as listening to musicians who are clearly out of their minds ... Like the circus clown who continually pretends he's falling off his unicycle yet never actually does, Gutbucket has a wonderful knack for melting time without ever loosing the groove. Would have hurt my ears if I wasn't laughing so hard.» (Guitar Player), «Gutbucket's stylistic chaos makes sonic dime-turns, blasting from riff-based heavy rock to jazz and klezmer, often in one song. The resulting noise sounds much larger than the quartet making it.» (The Onion), «Sounds like Raymond Scott's Soundtrack for a
GUTBUCKET
SONNTAG, 16. APRIL , 21.00 UHR
Derek Andrew Safo ist jemand, der seine Existenz unter dem Namen Sway in eine Karriere als Rapper gesteckt hat, und diese soweit vorangebracht hat, dass er mit «This is my Promo, Vol. 1 & 2» und dem lange erwarteten, als Debut betrachteten «This is my Demo» vom letzten Jahr in eine Liga mit Namen wie Dizzee Rascal und Kano gelangt ist. Was er an Lebenserfahrungen und Kommentaren, zum Beispiel zum Zustand des Musikgeschäfts, in seine Lyrics legt, wird sich dem Fortschreiten seiner Karriere, wenn er von einem grösseren Label unter Vertrag genommen werden wird und endlich «This is my Album» produziert, entsprechend verändern. Zu erwarten ist, dass dann die Lyrics in Bezug auf Ironie und Sarkasmus an Schärfe noch zulegen werden. Eine Woche vor dem nächsten Gig wird sich zeitlich verzögert wiederholen, was es auch schon gegeben hat: Sway als Support von Klashnekoff.
CARTE BLANCHE 4 R.T.K.: SWAY ( D CY P H A / U K ) & GUESTS, SHOWCASE BY GAMBIT ( R E VO LT ) , ROUND TABLE KNIGHTS ( B E )
SAMSTAG, 22. APRIL , 22.00 UHR
we're a real band» –, fünfmal durch Europa, zweimal durch die Staaten, und durch Australien, wo das Magazin «Beat» ihren live dargebotenen Rock'n'Roll als «The closest thing we'll get to seeing the Hendrix Experience» bezeichnete.
SAMSTAG, 29. APRIL , 22.00 UHR
(UNDERFIRE REC.,
Mit dem Aufkommen des Acid House zum DancefloorAddict geworden, macht sich beim jungen Nathan Vinall aus Brighton das Bedürfnis bemerkbar, selbst Tracks zu produzieren, und er beginnt seine Studio-Lehre gleichzeitig mit dem Aufkommen von Jungle, für den er sich begeistert. Er lernt Shaun Morris a.k.a. Stakka kennen, und die beiden beginnen gemeinsam Sachen zu produzieren, welche auf keines der ihnen bekannten Labels passt, weshalb sie ihr eigenes gründen. Ihrer Zusammenarbeit entspringen einige Werke, mit dem letzten gemeinsamen Album «Clockwork» eine Sammlung von Drum'n'Bass Anthems, die in der Galerie der grossen Werke des Genres aufgenommen wird.
SUPPORT: VCA ( B I OT I C R E C S . ) , DEEJAY MF ( U T M ) TONI B. ( B A SS R I D E AG E N CY ) DJ SUBMERGE
SKYNET/UK)
SKYNET
DACHSTOCK DARKSIDE PRESENTS:
megafon 06.04
PROGRAMM
TOJO
megafon Nr. 294, April 2006
VARIÉTÉ PUR!
«LUSTIGER DIENSTAG 21»
DIENSTAG, 25. APRIL, 20.30 UHR
VERUNSICHERUNG
TEXTPERFORMANCE UND CD TOUR VON MELINDA NADJ ABONJI & JURCZOK 1001
«KUPLUNG & VOICE BEATBOX VIOLIN»
SAMSTAG, 22. APRIL, 20.30 UHR
TRAGISCH-KOMISCHES THEATERSTÜCK VON PERRON 2
«ABRASSO»
DONNERSTAG, 20. APRIL FREITAG, 21. APRIL, JE 20.30 UHR
SCHWEIZERIN & GESTAPO-AGENTIN
«CARMEN MORY»
MITTWOCH, 12. APRIL DONNERSTAG, 13. APRIL SAMSTAG, 15. APRIL, JE 20.30 UHR
VON TLÖN. REGIE: DOMINIQUE MÜLLER
«VERUNSICHERUNG»
DONNERSTAG, 6. APRIL FREITAG, 7. APRIL SONNTAG, 9. APRIL, JE 20.30 UHR
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«Verunsicherung» spielt in einer Zeit, in der die Welt ein bisschen gerechter, etwas friedlicher und viel gesünder ist als heute. Herbert K. ist eines der selten gewordenen Wesen, die noch immer acht Stunden täglich schlafen und träumen. Seine Zeitgenossen kommen dank der «Pro Illuminatis»-Pille mit lediglich zwei Stunden Schlaf aus und sind produktiver denn je. Damit auch Herbert ein effizienter Bürger werden kann, steckt ihn die Versicherungsgesellschaft in ein Aufbauprogramm mit dem Namen «Fit für die Zukunft». Ein persönlicher Berater begleitet ihn Tag und Nacht und versucht seinen Alltag in die richtigen Bahnen zu leiten. Um sein Schlafverhalten der herrschenden
Versicherungen übernehmen immer mehr die Rolle moralischer Instanzen. Längst haben sie das Erbe der Kirchen angetreten und belohnen oder bestrafen uns für unsere Taten. Im Kreuzfeuer des Optimierungswahns laufen die Sozialsysteme jedoch Gefahr, sich von solidarischen Institutionen zu rein gewinnorientierten Unternehmen zu wandeln. Welche Folgen hat das für die Menschen?
Wehe dem, der zu viel schläft! – Denn wenn die Leistung nicht mehr stimmt kann einer schnell unter Verdacht geraten, ein Sozialparasit zu sein; und damit steigt seine Versicherungsprämie. Mit diesem Druck im Nacken und dem Blues auf den Saiten, stolpert Herbert K. durch reale Träume und traumatische Realitäten. – Wie das Feuer löschen, das die Intuition entfacht?
EINE TLÖN PRODUKTION. REGIE: DOMINIQUE MÜLLER. TEXT: DOMINIQUE MÜLLER, MANUEL BÜRGIN. MUSIK: SANDRO CORBAT, FRANK WENZEL. BÜHNE/VIDEO: LYDIA LYMBOURIDES. KOSTÜME: JUDITH STEINMANN. SPIEL: MANUEL BÜRGIN, SANDRO CORBAT, DOMINIQUE MÜLLER, CHRISTOPHER NOVÁK, FRANK WENZEL.
VERUNSICHERUNG
DONNERSTAG, 6. APRIL FREITAG, 7. APRIL SONNTAG, 9. APRIL, JE 20.30 UHR
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Am 4. Februar 1947 richtete Mory aus ihrer Gefängniszelle eine Botschaft an die Presse: «Ich blicke dem Tode ins Antlitz, wie jeder gute Journalist es getan hätte, und nehme ihn als Schlag des Schicksals hin. Es ist nicht das erste Mal, das ich unschuldig zum Tode verurteilt wurde. Wenn ich den Tod erleide, dann weiss ich, dass ich in guter Gesellschaft bin, denn vielen unschuldigen Leuten war in den letzten Jahren das gleiche Los beschieden. (...) Wenn die Engländer mich jetzt hängen, dann vollenden sie das, was die Gestapo zu tun versäumt hatte.» In der Nacht auf den 9. April 1947 nimmt sich Carmen Mory in ihrer Zelle in Hamburg-Fuhlsbüttel das Leben. Morys Briefe, Briefe der Familie Mory, des EPDs, des EJPDs, und der Bericht der Augenzeugin Isa Vermehren bilden die Ausgangslage. Das Zentrum des Abends bildet das Kreuzverhör. Carmen Mory wäre am 2. Juli 2006 hundert Jahre alt geworden.
Berlin der 1930er Jahre in Nazikreise und ist ab 1936 als Agentin für die Geheime Staatspolizei (Gestapo) tätig, wodurch sie sich in eine gefährliche Abhängigkeit verstrickt. In Paris wird sie 1940 als deutsche Agentin zum Tode verurteilt, dann vom französischen Staatspräsidenten begnadigt. In Berlin wird sie erneut von der Gestapo angeworben. Ein Fluchtversuch bringt sie 1941 ins KZ Ravensbrück, wo sie in der Position der Blockältesten Macht über Leben und Tod der anderen Häftlinge gewinnt. Am 5. November 1945 wird sie von den Briten verhaftet. Der Prozess vor dem britischen Militärgericht findet vom 5. Dezember 1946 bis 3. Februar 1947 im Curio-Haus in Hamburg statt. Die Zeugenaussagen und Kreuzverhöre ergeben ein äusserst widersprüchliches Bild der «meistgefürchteten Frau in Ravensbrück»: Hat sie ihren Einfluss genutzt, um anderen zu helfen, oder hat sie zum eigenen Vorteil mit den Mördern kollaboriert?
In ihrem neuen Programm stellen Melinda Nadj Abonji & Jurczok 1001 auch ihre erste gemeinsame CD «Voice Beatbox Violin» vor. Im Zeitalter der elektronischen Nachbearbeitung haben die beiden ein Album hingezaubert, das der Direktheit ihrer Bühnenarbeit entspricht. Analog zu ihren Performances lassen sie zwei stilistische Welten aufeinander prallen und schaffen so eine einmalige Kombination: Urbane Folklore? Avantgarderap? Ja, vielleicht. Mit minimalen, reichhaltigen Elementen begründen Jurczok 1001 & Nadj Abonji ihr musikalisches Universum – Voice Beatbox Violin – suchen im dramaturgischen Prinzip die Spannung und Überraschung, das Highlight ist nicht ein einzelner Song, sondern ein ganzes Album, das im gesprochenen und gesungenen Wort ein Bekenntnis ablegt. Der Mut von Jurczok 1001 & Nadj Abonji zur Innovation wurde mit Einladungen an zahlreiche internationale Literaturfestivals und Sprechbühnen belohnt. Für ihre Performances haben sie sich einen ökonomischen Kompositionsstil erarbeitet: Gesang, Textfragmente, Elektrische Geige und Human Beatbox werden auf Looppedale einge-
KUPLUNG: Kurze Erzählungen, Raps, Spoken Word Texte, elektrische Geige, Human Beatbox, Gesang und Loops – in den letzten sieben Jahren haben Melinda Nadj Abonji und Jurczok 1001 eine eigenständige Bühnensprache entwickelt. In «kuplung», ihrem neuen Programm, geht es um das «Nichtverstehen», die Poesie der Fehler, das Aneinandervorbeireden im Privaten, das öffentliche Zerreden. Mit theatralen, sprachlichen und musikalischen Mitteln erzeugen sie absurde, explosive, tragische und komische Situationen.
TEXTE, E-GEIGE, GESANG, LOOPS: MELINDA NADJ ABONJI; RAPLYRIK, HUMAN BEATBOX, GESANG, LOOPS: JURCZOK 1001.
KUPLUNG & VOICE BEATBOX VIOLIN
SAMSTAG, 22. APRIL, 20.30 UHR
ABRASSO
CARMEN MORY
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KUPLUNG & VOICE BEATBOX VIOLIN
megafon Nr. 294, April 2006
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Carmen Mory – Schweizerin und Gestapo-Agentin (19061947) ist ein Theaterabend, der auf Originaldokumenten basiert. Die Schweizerin Carmen Mory war Häftling und Blockälteste im Frauen-KZ Ravensbrück und wurde 1947 von den Briten in Hamburg zum Tode verurteilt. Carmen Mory ist am 2. Juli 1906 in Bern geboren und als Tochter eines Arztes in Adelboden aufgewachsen. Ihr Wunsch, Sängerin zu werden, wird durch eine Mandeloperation zunichte gemacht. Als Journalistin gerät sie im
PRODUKTION & KONZEPTION: JUDITH NIETHAMMER. DRAMATURGIE UND REGIE: PATRICK BOLTSHAUSER. SPIEL: JUDITH NIETHAMMER, INGO OSPELT. AUSSTATTUNG: ISABEL SCHUMACHER.
SCHWEIZERIN UND GESTAPO-AGENTIN (1906-1947)
CARMEN MORY
MITTWOCH, 12. APRIL, 20.30 UHR DONNERSTAG, 13. APRIL, 20.30 UHR SAMSTAG, 15. APRIL, 20.30 UHR
«Verunsicherung» ist eine melancholisch-satirische Social-Fiction, welche die bestehenden Tendenzen im Versicherungswesen auf die Spitze treibt. Ein Arzt, ein Chef, ein Priester, ein Barmann und ein persönlicher Berater begeben sich zusammen mit Herbert K. auf eine philosophische Verfolgungsjagd durch eine futuristische Welt. Die Bühne, eine weisse Loge oder ein Warteraum der Seelen, verwandelt sich dabei fliessend von Arztpraxis zu Stammkneipe, über Parkanlage bis hin zur Traum-Innenwelt des Helden. Der Gitarrist aus der Bar ist dabei stets zugegen, und wenn er nicht gerade die Sängerin mit ihrer Engelsstimme begleitet, so sitzt er auf Herberts Sofa und spielt ihm den Blues.
Norm anzupassen, muss Herbert unter anderem seine Trinkgewohnheiten ändern, Sport treiben bis zum Umfallen, und sich schmerzhaften ärztlichen Untersuchungen unterziehen. Er setzt alles daran, sein Übel in den Griff zu bekommen. Doch während er an dieser Aufgabe zu scheitern droht, treibt ihn seine Schlafsucht jede Nacht an ein grosses Feuer in der Wüste. Ein Ort, an dem er ein Alter Ego gebiert, das ihm die Freiheit jenseits aller Abhängigkeiten von Versicherungen und Vorsorgeplänen aufzeigt.
www.company-perron2.ch
Sie bauen gemeinsam am Bühnenbild, jeder seinem Wesen entsprechend, bis alles an seinem Ort ist, und beginnen zu spielen. In einer Musik tauchen Erinnerungen auf. Was erst als Überbrückung erscheint, wird immer mehr zur Hommage an den verstorbenen Grossvater, die prägende Figur im Leben der beiden Männer. Sie streifen Geschichten, suchen nach Wörtern und finden immer mehr spielerische Anekdoten aus seinem Leben. Am Ende verabschieden sie sich zum allerletzten Mal von ihm.
Ein Türrahmen auf einer leeren Bühne. Im Rahmen steht ein Mann, wartend, wie ein Bild aus vergangener Zeit. Alles scheint bereit für den ersten Auftritt, doch das Wichtigste fehlt. Eine Tür erscheint, getragen von einem anderen Mann. Durch Missverständnis entsteht unerwartet das Erwartete und die Begegnung findet statt. Eintreten, auftreten, nach Hause kommen. Gemeinsam betreten sie den Raum und entdecken Fehlendes. Mal sprunghaft, mal schleichend überholen sie sich gegenseitig, geben sich die Hand und stehen sich wenig später wieder im Weg. Kleines und Unscheinbares findet seinen Platz. Alltägliches wird zum wichtigsten Element. Der Umgang der beiden unterschiedlichen Männer, die kleinen Regeln ihres Alltages und die wiederkehrenden Umarmungen. Abrasso. Das Ritual der Umarmung als Dank, als Unterstützung, als Bekenntnis zu menschlicher Nähe.
TRAGISCH-KOMISCHES THEATERSTÜCK VON PERRON 2 REGIE: PIERRE BYLAND. SPIEL: AHTIV CHANLEN, MANUEL RYTZ. MUSIKALISCHE BEARBEITUNG: FRANZISKA GOHL.
ABRASSO
DONNERSTAG, 20. APRIL FREITAG, 21. APRIL, JE 20.30 UHR
www.tojo.ch
CREW: OLGA OSCHIMEK (BARBARA SORGEN), HELL & SCHNELL (LUCIANO ANDREANI, MARKUS SCHRAG), AD WILL LEE (THOMAS LAUBE), MAX HAVELAAR (ROBERT STOFER)UND DER BÄR (KUNO SORGEN). REGIE: BRIGITTE FREY. MIT PUBLIKUMSWETTBEWERB UND KURZVIDEO (90 SEC).
Was bisher geschah: Vor dem Abschluss und nach der Party zum 20. Jubiläum läuft alles nach Plan. Hell und Schnell sind endlich wieder versöhnt. Olga Oschimek scheint ihre zwischenzeitlichen Aggressionen unter Kontrolle gebracht zu haben. Max sprach Klartext, die Meditation tat ihr Werk. Will Lee ist glücklich, denn seine kleine Crew wird endlich singen und der Bär will gar kein Doktor sein, und nun ist er halt ein Dreiradhoch. Bringt Folge 21 den grossen Umsturz? Ist nichts mehr so, wie es vorher auch nicht war? Droht nun in der siebten und letzten Folge der dritten Staffel das Chaos? Gäste: AKTUELLES KABARETT – mit Uwe Spinder aus Deutschland – MäRCHEN AUS 1001 SCHLACHT – Texte, Gedichte und Lieder mit Gitarrenbegleitung (Ulrike Berthold) – HERBERT HÄGI gibt zu denken (Reto Zeller) – zum beiSPIEL – Sprachkomik mit GINA & FABIENNE – und ein vielstimmiger Surprise Act.
VARIÉTÉ PUR!
LUSTIGER DIENSTAG 21
DIENSTAG, 25. APRIL, 20.30 UHR
schlauft, was den beiden ermöglicht, ihre Texte zur live eingespielten Musik vorzutragen. Mit minimaler Besetzung erreichen sie so einen orchestralen Sound. Mit «lieblichen Ungeheuerlichkeiten» könnte man sowohl die Texte von Nadj Abonji als auch die Raps von Jurczok bezeichnen: ein schweizerdeutsches Kreuzfeuer mit feinen Lautverschiebungen vom Politischen ins Poetische. www.masterplanet.ch
megafon 06.04
PROGRAMM
FRAUENRAUM
megafon Nr. 294, April 2006
MILOU’S LOUNGE
DONNERSTAG, 13. APRIL, 20.00 UHR
LAUT & LUISE ( AC C O U S T I C WO M E N JA Z Z ) PIANO & SAXOPHON RAHEL THIERSTEIN ( P ) & ARAXI KARNUSIAN ( S )
KLANGRAUM.KLANGVOLL PRÄSENTIERT:
SONNTAG, 9. APRIL, 11.00 UHR
FILME ZUM MITREDEN, MITLACHEN UND MITINSZENIEREN MIT ALEKS SISTER OF WALAHI. ANSCHLIESSEND TANZBEINSCHWINGEN ZU DEN TÖNEN VON AMEISE.
ROSAMUNDE PILCHER ABEND
DA-LOUNGE-DA PRES:
DONNERSTAG, 6. APRIL, 20.00 UHR
TONVISION: FEMMES WITH FATAL BREAKS ( B E R L I N ) > DJ T-INA, DJ CHRISTINE LANG, MC QUIO. SUPP. BY MISSBEHAVIOUR ( B E ) VISUALS BY ANGSTROEM ( F R )
LESBIAN&GAY@IDA PRÄSENTIEREN:
SAMSTAG, 1. APRIL, 23.00 UHR
44
( B A SS , K L A R I N E T T E )
(LESBISCH-SCHWULES CHILLEN)
CRASH HELMET LOUNGE
DONNERSTAG, 27. APRIL, 20.00 UHR
Sabina Meyer: Gesang. Sie singt Zeitgenössisches von Berio, Scelsi, Eisler etc. Macht Projekte u.a. mit Tristan Housinger, Ab Baarsen, Hans Koch. Madeleine Bischof: Kontrabass-Flöte. Querflötenstudium in LU/ZH. Spielt u.a. im Kontra-Trio mit Leo Bachmann & Thomas Meyer Margrit Rieben: Sounds, Elektronik. Als ausgebildete Schlagzeugerin interessiert sie sich für alle möglichen & unmöglichen Klangerzeugnisse. Paed Conca: Bass, Klarinette. Spielt u.a. bei Blast, Tsuki (Margrit Rieben, Hans Koch) und komponiert & improvisiert in diversen Projekten
Das Impro-Quartett spielt viele leise Töne, viele Farben und Klänge, Geräusche und Bilder. Zeitgenössische Musik im Frauenraum für alle Menschen die gerne Filme hören.
PAED CONCA
(SOUNDS, ELEKTRONIK),
MARGRIT RIEBEN
( KO N T R A B A SS - F LÖT E ) ,
SABINA MEYER ( G E S A N G ) , MADELEINE BISCHOF
MONTAG, 17. APRIL, 11.00 UHR
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
for women and men in dresscode.
WALPURGISNACHT BLACK PLANET GOTHIC NIGHT
SAMSTAG, 29. APRIL, 22.00 UHR
TANZABEND FÜR GLEICHGESCHLECHTLICHE PAARE FÜR STANDARD- UND LATEINAMERIKANISCHE TÄNZE / AB MITTERNACHT DISCO
TANZ-BAR
FREITAG, 28. APRIL, 21.00 UHR
HIP-HOP IM FLUSS VOLUME 8. / SÄXIMO
DONNERSTAG 27. APRIL, 20.00 UHR
SOLIBAR FÜR DIE FREIE ARBEITERINNENUNION FAU
MITTWOCH 26. APRIL, 19.00 UHR
SOLIBAR
MITTWOCH 19. APRIL, 19.00 UHR
TANZEN GEGEN RECHTS
DONNERSTAG 13. APRIL, 20.00 UHR
FÜR EINEN GEHÖRLOSEN IN ALGERIEN
SOLIBAR FÜR HILFSAKTION
MITTWOCH 12. APRIL, 19.00 UHR
DRUM N'BASS
TONY B & FRIENDS
DONNERSTAG 6. APRIL, 20.00 UHR
SOLIBAR FÜR DIE FREIE ARBEITERINNENUNION FAU
MITTWOCH 5. APRIL, 19.00 UHR
I FLUSS
SOUS LE PONT
(CH)
& ARKHAN
(CH)
NEKROPOLIS: Die Zeit der Oldschool-Deathmetaller ist zu Ende und auf die Nu-Metal Welle aufzuspringen ist nicht das Ding von Nekropolis. Also kombinieren sie harte, schnelle Oldschool-Riffs mit neuzeitlich erklingenden Keyboardsounds und beladen das Ganze mit heftigen Drums und energischem Gesang. Das Ergebnis ist der einzigartig energiegeladene Sound von Nekropolis, der geradlinigen Deathmetal sowohl mit melodiösen Blackmetal- als auch mit modernen Sampleparts zusammenfügt. Trotz allem verlieren die Jungs nicht den Link zur Zeit und wissen genau, wie die Songs zu arrangieren sind. Mit David Luginbühl, einem langjährigen Freund der Band, als zweiten Gitarristen im Gepäck, wird die Zukunft mit möglichst vielen Shows ausgefüllt.
NEKROPOLIS
SWISS METALL NIGHT
FREITAG, 21. APRIL, 22.00 UHR
GRIECHENLAND SPEZIALITÄTEN
MITTWOCH, 19. APRIL, 19.00 UHR
KOREA SPEZIALITÄTEN
MITTWOCH, 12. APRIL, 19.00 UHR
UNGARN SPEZIALITÄTEN
MITTWOCH, 5. APRIL, 19.00 UHR
FLOHMARKT MIT BRUNCH
SONNTAG, 2. APRIL, 9.16.00 UHR
megafon 06.04
PROGRAMM
megafon Nr. 294, April 2006
45
(F)
& GONE BALD
(NL)
wechseln mit der Berner Stadtmusik, obwohl beide auf eine langjährige Tradition zurückblicken. Seit der Jahrtausendwende stehen die fünf seidigen Jungs spielfreudig auf der Bühne, und machen Musik so gewaltig und unterschiedlich, wie Sonne, Mond und Erde. Gemeinsam feilen sie an ihren Liedern und so entstehen brachiale Gitarrenwände, verspielte Arrangements und ein Ausbruch an Emotionen, wie man ihn nur im kreativen Untergrund findet. Energiereich, druckvoll, melancholisch und geschmeidig. Vor allem Live entwickelt sich das Energiepotential der Songs zu einem wahren Konzertrausch. Im letzten Herbst entstanden die Aufnahmen zum neuen Album «Market Street». Die Herren Silkenfine liefern mit der Veröffentlichung nun rechtzeitig zu Beginn der Marzili-Saison modernen Rock zum modernen Stadtleben. Das neue Album wird feierlich am Puls der Urbanität im Sous le pont getauft. Es lohnt sich auf jedenfall vorbeizukommen, ob Silkenfine Fan oder nicht, denn das neue Material ist aussergewöhnlich abwechslungsreich und nirgends bekommst du die neue CD billiger.
Guitar; Stanley Disko, Bass; Bubba de vries, Drums) ist vertrackt und steigert sich musikalisch in seiner Intensität. Waren die alten Songs noch von einer düsteren Destruktivität beladen, so bekommen die neueren Songs eine bedeutendere, ja kraftvollere Ehrlichkeit durch eine Destruktivität, die sich auf höherem, positiverem Level zu befinden scheint. Destruktiv immer noch, aber mit der unbeugsamen Kraft des Noiserocks. «Das Destruktive ist mir zu banal, ja zu offensichtlich geworden», sagt Razorblade selber. Bis zum heutigen Tag sind sieben Recordings veröffentlicht und unzählige Konzerte in ganz Europa gespielt worden. Unter anderem, hat das Noiserocktrio mit Bands wie Jesus Lizard, Butthole Surfers, Ninewood, The Ex, Don Caballero, The Flying Lutenbachers und Today is the Day die Bühne geteilt. Nach elf Jahren und mehrfachem Line-Up-Wechsel sowie exzessiver Seelensuche erhält Gone Bald durch die Presse Referenzen wie Fugazi, Sonic Youth, Unsane, Black Flag, Shellac und Jesus Lizard. Zu Recht schätzen wir uns also glücklich, die Gelegenheit diese einzigartige und eigensinnige Band Live zu erleben.
(ZH)
SILKENFINE: Die Berner Band Silkenfine ist nicht zu ver-
PLATTENTAUFE!
SILKENFINE ( B E ) SUPPORT BY HENCHMAN
SAMSTAG, 29. APRIL, 22.00 UHR
15 Minuten berühmt sein!
OFFENE BÜHNE #81
MITTWOCH, 26. APRIL, 22.00 UHR
KOLUMBIEN SPEZIALITÄTEN
MITTWOCH, 26. APRIL, 19.00 UHR
GONE BALD: Der Sound von Gone Bald (Razorbalde Jr.,
und Nico Poisson, Guitar) existieren als Trio seit 1998. Von den ersten selber produzierten Kassetten bis zur Gründung von «SK Records» hat sich ihre Musik durch Recording Sessions, Bekanntschaften und Touren ständig weiter entwickelt und nach anfänglich viel Noise-Punk für mehr Einflüsse geöffnet. Ned zeichnen sich durch unberechenbare Rhythmen, brutale Antimusik-Konzepte und fesselnde Melodien aus. Über 300 Konzerte sind in ganz Europa gespielt worden, und dies mit internationalen Acts wie Laddio Bollocko, Guapo, Sabot, Blonde Redhead, Bastard, Oxbow und Melt Banana.
NED (Tristan Perreton, Bass; Nikko Fenouillat , Drums;
NED
NOISE ROCK
SAMSTAG, 22. APRIL, 22.00 UHR
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
NEKROPOLIS
DANACH TANZEN FÜR ALLE BIS 0.30 UHR
(nur mit Reservation per Mail slp@reitschule.ch)
CRASHKURS VON 19-20.30 UHR
TANGONACHT #4
SONNTAG, 30. APRIL, 20.30 UHR
HENCHMAN: Wer Henchman (altengl. Handlanger, Gefolgsmann) gehört hat, weiss, wieso ihr Bandname für sie spricht. Sie geben alles, was es braucht, um ihre unbändige Energie musikalisch zum Ausdruck zu bringen. Nichts ist gespielt, alles ist gelebt. Die Band und ihr Sound leben von der unbändigen Spielfreude, welche die rohe Power und Emotionalität ihrer Musik verschmelzen lässt – Ihre charmante Härte paaren sie mit ihrer positiven Ausstrahlung und bauen sie live zu einer unverkennbaren Bühnenpräsenz aus.
STORY OF HELL – c.a. rundumschlagendste Folge diese Folge wird ihnen präsentiert vom Fahrstuhlpersonal des Hotels «Panoramablick» Nüchternen Auges, durch kalte Kameralinsen, ganz Ohr mittels Mikrofon, unbeteiligt und ohne jede Emotion, hält das Sensorsystem der Burg die Begebenheiten daselbst fest. Eine Schlaufe dauert sieben Tage, dann wird das Vergangene überschrieben. Zuvor werden, wenn wer daran denkt, Teile des Geschehenen, soweit sie des Erinnerns würdig, und dem Überdenken der Konsequenzen daraus dienlich sind, zu diesem Zweck herauskopiert: Material für die tragikomische Farce des multimedialen Musical-Spektakels, welches dereinst die Geschichte und Geschichten der Burg einem grösseren Publikum zugänglich machen soll. Schon jetzt, als sich das Projekt noch in einer Phase befindet, da über das Budget, die Finanzierung, den möglichen Zuzug von aussenstehenden Geldern debattiert wird, macht sich reges Interesse daran bemerkbar. Wissend, dass bedenkenswerte, denkwürdige und bedenkliche Ereignisse eine Chance haben, ins Skript aufgenommen zu werden, bemüht sich zum Beispiel die Gemeinschaft der «Strictly Stupids» immer wieder, mit zunehmend bedenklichen Aktionen Eingang in die Chronik zu finden, hoffend, dass sie sich dereinst im Spektakel selber darstellen dürfe. Doch nicht alles, was in der Burgchronik festgehalten ist, wird den Weg ins Drehbuch finden, und da es sich bei den ihrigen meist um vollkommen inhaltsleere Beiträge handelt, Gewalt um der Gewalt willen, werden sie, wenn überhaupt, in der ganzen Geschichte wohl eher am Rand vorkommen.
Nicht ganz klar ist, ob die Motivation einer anderen Gruppe, die sich bemerkbar machen will, der «Siechenden Aristokraten», die selbe ist, umso mehr, als deren Mitglieder zum Teil mit denjenigen der «Stupids» identisch sind. Mit ihrer Überzeugung, dass arbeitende Menschen verachtenswerte Kreaturen sind, die es zu beleidigen, bespucken, sabotieren, bestehlen, auf jede erdenkliche Art zu schikanieren, und am Verrichten ihrer Arbeit zu hindern gilt, wird aber wohl auch diese kaum ins Projekt aufgenommen werden. Falls es sich doch aufdrängen würde, dürften die für die Besetzung der Darstellenden Verantwortlichen am ehesten in den Ställen der umliegenden Bauernhöfe, und im nächsten Zoo fündig werden. In der Verbindung der «Strictly Stupids» mit den «Siechenden Aristokraten» entsteht der militante Arm der Partei der «Schwammigen Volks-Politiker», welche die Burg am liebsten in Schutt und Asche sehen würden. Der draussen tobende Wahlkampf wird von der Partei mit dem Slogan bestritten: «Wollt ihr den totalen Blödsinn?» Im Verlauf des Wahlkampfes hat sie unter anderem, zum Beweis, wie gefährlich solche sind, einen schwarzen Block mitten in der Stadt aufgestellt, in Form eines Kubus, der dann von einem Grossaufgebot an Sicherheitskräften bewacht werden musste. Der Witz ist so gut, dass sich schon Unmengen von Leuten eine Spassvogelgrippe zugezogen haben, so sehr mussten sie lachen. Es ist nicht mehr lustig, wenn die Vögel vom Himmel fallen. Es wird düster jetzt.
So dunkel ist es, obwohl eine Sonne scheint, dass bald kein Mensch mehr klar sehen kann. Friedliche Deppen sind am Pöbeln, Schwammige Volks-Politiker stellen schwarze Blöcke auf, rotschwarze Kreise halten dicht, Dreier-Allianzen brechen auseinander, Sonnenräder drehen sich, ihrerseits braune Blöcke ankarrend – für einige Menschen scheint Politik zu einer Art Bandenkrieg mutiert. Sicher profitiert irgendwer davon, sonst würde das ganze absurde Theater keinen Sinn machen. Dargestellt werden heute Abend «Die Sieben Todsünden», aber das Ensemble ist eher mies. Der Intendant, der die Truppe ans Theater geholt hat, wurde vor kurzem entlassen. Er organisiert jetzt Strassentheater aus dem Untergrund. Unter anderem will er ein Spektakel in Szene setzen, für welches er die Stupids und Leute aus dem echten schwarzen Block engagieren will, ein Drama um eine Strassenschlacht, das für die Gaffenden möglichst authentisch aussehen soll, aber mit einem Happy-End. Wie das so ist, wenn etwas zu Kunst wird, dann findet es auch ein Ende, während die Geschichte in der Realität weitergeht, unaufhaltsam. Am Ende der Inszenierung gibt es mehr oder weniger Applaus, und die Kritiken äussern sich zustimmend oder ablehnend. Was immer du auch machst, es wird zum gefundenen Fressen von Leuten, die auch noch ihren Senf dazu geben, und das dann weiterverkaufen. Irgendwer profitiert immer, von allem, wasauchimmer. Wer immer du auch bist, was immer du auch machst, du wohl am wenigsten. Wenn sie noch nicht gestorben sind, dann kommen sie auch heute.
STORY OF HELL
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megafon Nr. 294, April 2006
DAS ALLERLETZTE – BOULEVARD IM MEGAFON Daraufhin bietet sich die seltene Gelegenheit mit einem prominenten Politiker über ganz intime Angelegenheiten zu plaudern. So erfahre ich beispielsweise von seiner Sammlung an «heissen Filmen». Wenn ich ihn besuchen würde, könne ich einen nach meinem Geschmack auswählen, verspricht er. Ausserdem stehe er auf «soft». Zu diesem Zeitpunkte glaubt Heute kein Gras. er, ich sei ein 16Diskutieren wir jähriger Secondo, dann. der gerne eins kiffen würde.
Thomas Fuchs drängt auf ein Treffen – ein Wunsch der ihm gewährt wird: Wir verabreden uns am 28. September 2004 um 23.45 Uhr hinter dem Hauptgebäude der Universität. Und tatsächlich: Er taucht dort in seinem überdimensionierten Geländewagen auf und setzt sich neben mich auf die Parkbank. Der Smalltalk hat noch kaum begonnen, als er mit zwei fliegenden Sahnetorten aus dem Hinterhalt überrascht wird – ein Brauchtum, welcher sich zu dieser Zeit gerade grosser Beliebtheit erfreut.
Richtig lustig wird es dann nach dem Treffen: Fuchs alarmiert die PoliMeine Parteifreunde zei (Was er denen regen sich eh schon wohl erzählt hat?) auf wegen meiner und bemüht sich Medienpräsenz. gleichzeitig via SMS um Schadensbegrenzung. Tagelang gibt er sehr erstaunliche Statements von sich: Er habe praktisch nur linke Freunde, finanziere die «Jungen Alternative» Wahlwerbung und sei eigentlich ein viel zu netter Politiker. Ausserdem wäre er dankbar, die Episode würde nicht veröffentlicht, ansonsten würden sich seine Parteikollegen wieder beklagen, sie kämen in der Öffentlichkeit zu kurz... Erfolglos schliesslich auch sein Versuch, einen Rachefeldzug einzuleiten: «Hallo, ich bin Julia, die Blondine, die du vor 3 Monaten in der Reitschule kennen gelernt hast. Hilfst du was abmachen?»
> EFFE DER BÄR < Original-Mitteilungen.
SMS = Zitate aus den
MEGAFON POSTFACH 7611 3001 BERN
Briefmarke
SVP-Hardliner und megafon-Abonnent Thomas Fuchs bangt um seine Wiederwahl in den Grossrat. Er denkt sich deshalb zwecks Steigerung der Medienpräsenz wieder vermehrt kleine Gags aus: Beispielsweise hat er provokativ-ungefragt Christoph Blocher als eine Art Schutzpatron auf seinen Wahlplakaten platziert. Anders als die Mainstream-Revolverpresse lassen wir uns aber nicht instrumentalisieren und graben lieber seine schmutzige Wäsche aus. Als die Natelnummer von Thomas Fuchs in einem Zeitungsinserat für irgendein abstruses Anliegen erscheint, speichere ich sie ab – man weiss ja nie. Einige Monate später schicke ich ihm aus Versehen eine belanglose SMS, welche eigentlich für einen Kollegen mit ähnlichem Vornamen bestimmt ist. Am nächsten Morgen erkundet sich Fuchs in mehreren Kurznachrichten nach meiner Identität, woraufhin ich ihm antworte, mein Name sei «Effe der Bär» und er habe die Mitteilung aus Versehen erhalten. Eigentlich ein idealer Zeitpunkt um die virtuelle Konversation zu beenden. Doch der Hobbydemagoge bleibt am Ball: «Ich bin Tom der Fuchs. Was suchst du? Bist du m oder f?» Etwas erstaunt ob so viel Offenheit Wir können auch erwidere ich diplonur quatschen und matisch, ich würde einen heissen Film dasselbe suchen schauen. wie er.
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