Altbackene Brosamen – Die Eroberung des Brotes S. 1 | By any means necessary! – Damals wie heute S. 3 | Weiter atmen – Facies
hippocratica S. 4 | Dominum Huttwilarae – megafon-StattBlick S. 5 | Das Streben zum Thier – Comix S. 5 | Man wird doch wohl mal wütend werden dürfen – Kinderbuchtipp S. 5 | Kreuzworträtsel S. 6 | Denn wir wissen nicht, was ihr treibt… – Computertech
nologie, Internet & Datenschutz S. 6 | Von Festen und Festgenommenen – Kurzschluss S. 7 | Schnappschuss S. 7 | Exitorial S. 7 |
Le lance-pierre. S. 8
Die Zeitschrift aus der Reitschule | Bern
megafon | N°394 | April 2015 | 6.–
Die Eroberung des Brotes
Altbackene Brosamen In Bern hat die erste Bäckerei ohne Backstube eröffnet. Im Kampf gegen die Abfallberge der Überflussgesellschaft lautet der untaugliche Lösungsvorschlag: Kauf! Entsprechend ist der neue Backwarenoutlet mit gutem Gewissen und alten Nussgipfeln vor allem eines: Ein gutes Geschäft.
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Text: sak | Illustration: Luki de la Drucki
er auf dem Beifahrersitz eines Autos die Landschaft an sich vorüberziehen lässt, hat diesen flackernden Blick. Den Fokus auf scharf gestellt, wechselt der betrachtete Gegenstand alle Sekundenbruchteile. Solcher Rastlosigkeit sind auch die Augen von Herrn Rüfenacht anfangs März, in den Lauben der Marktgasse, in der Berner Altstadt. Herr Rüfenacht ist seit über zwanzig Jahren Mitinhaber der chezrüfi AG in Biel. In vierter Generation fliehen er und sein Bruder den zunehmenden Druck auf Bäckereien und ihr Kleingewerbe nach vorne. Indem sie ihre Bäckerei zu einem Kaffee erweitert haben, regelmässig in der Bieler Innenstadt die wiederkehrenden Anlässe von Fasnacht bis Fussball-WM bewirtschaften, Schüler_Innen in den grossen Pausen mit Backwaren versorgen oder Hochzeiten und andere Verzweigungen von Familienstammbäumen kulinarisch unterstützen. An jenem Donnerstagnachmittag in den Lauben der Berner Marktgasse herrscht Geschäftigkeit, nicht aber jene Geschwindigkeit, die auf Landstrassen und Autobahnen erwähntes Augenflackern verursacht. Die flackernden Pupillen des Herrn Rüfenacht sind nicht dem äusseren Treiben geschuldet, sondern den Bildern, die vor seinem inneren Auge vorbeiziehen. «Damit konkurrenzieren sie aber die herkömmlichen Bäckereien.» Stellt Rüfenacht zur Antwort herausfordernd fest. Soeben hatte ein Mann, dessen salbige Freundlichkeit und Entschiedenheit so gar nichts Bäckerhaftes an sich hatte, Rüfenacht die Geschäftsidee des neu eröffneten Backwarenoutlet erklärt.
Brockenstube des Brotes an bester Lage In den grösseren Bäckereien der Stadt werden morgens die vom Vortag übriggebliebenen Backwaren eingesammelt und an bester, er nennt es «hochfrequentierter» Lage, erneut zum Verkauf angeboten. Die Bäckereien erhalten Umsatzbeteiligung, begründet wird das Vorgehen moralisch und dahingehend, dass somit die Lebensmittelverschwendung bekämpft wird. «Das Konzept kommt aus Zürich und ist nach den Prinzipien des Franchisings organisiert.» Franchising ist die Organisationsstruktur bekannter Ketten wie McDonalds, Starbucks oder Coop Pronto. Filialleiter_Innen tragen die umfassende unternehmerische Verantwortung und kaufen gegen Umsatzbeteiligung das Konzept, das Erscheinungsbild, je nach je auch die Produkte von den Ideengebenden ein. Mit anderen Worten: Das unternehmerische Risiko ist bei den Filialen, der Gewinn zu einem guten Teil bei der Muttergesellschaft. Genau genommen kommt das Konzept im Falle des Backwarenoutlets an der Marktgasse also nicht aus Zürich, wo lediglich die erste Filiale eröffnete, sondern aus Uster. Hier lebt Roul Stöckle. Der Backwarenoutlet ist seine Idee. Hauptberuflich arbeitet Roul Stöckle bei der Mobiliarversicherung, wo er als Head Corporate Innovation zur Konstruktion neuer Versicherungsvehikel beiträgt. No Risk, just Fun Dass sich Roul Stöckle mit Risikokalkulation auskennt wird beim vorliegenden Geschäftsmodell schnell ersichtlich. Ein Abfallprodukt wird auf symbolischer Ebene mittels ökologischer Rhetorik aufgefrischt. So fallen grosse Kostentreiber herkömmlicher Bäckereien, wie Miete und Einrichtung einer Backstube, Energie und Mehl, weg. Auch der Lohn der Bäckerin kann ei-
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