1 Nr. 395 | zu Mai 2015 Protest im Partyoutfit – Eröffnung Mediamarkt S. 1 | Warum es sich lohnt, während Krawallen auf einem Balkon neben Nause
käfelen – Erlebnisbericht Mediamarkt S. 2 | Swiss I Pass – Computertechnologie, Internet und Datenschutz S.4 | Mach Dir ein Volk
– Geld oder Leben S. 4 | Francis – Caféperspektiven S. 5 | Schnappschuss S. 5 | Von tanzenden Tieren – Kinderbuchtipp S.5 | Traditi-
onelles Trauerspiel – Kurzschluss I | Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? – megafon-StattBlick S.6 | C’est la merde – Comix S.7 | Exitorial S. 7 | Willkommen zur Retraite – Kurzschluss II S.7 | «Wir setzen Nadelstiche!» – Interview zum Farbanschlag S.8
Die Zeitschrift aus der Reitschule | Bern
megafon | N°395 | Mai 2015 | 6.–
Eröffnung Mediamarkt
Protest im Partyoutfit Nach langem Sehnen und Hoffen eröffnete Ende März – endlich – ein Mediamarkt in der alten Berner Markthalle. Gut 500 Menschen liessen es sich nicht nehmen, den neuen Konsumtempel mit einem Fest gebührend willkommen zu heissen. Während sich die Mainstreammedien im Nachhinein vor allem mit ein paar kaputten Scheiben beschäftigten, freuen wir uns lieber ob der (frühlingsbedingt?) aufkeimenden Fest- und Protestlaune Berns.
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Text: Al | Illustration: Tamara Fischer
uf dem Bahnhofplatz rennt ein Clown herum. Mit Seifenblasenpistole springt er glücklich wie ein junges Reh auf LSD der Polizei hinterher, und als die Reihe Polizist_innen sich nach ihm umdreht, hüpft er drei Meter zurück und tanzt dort weiter. Unter dem Baldachin ist der Boden bedeckt von Konfetti, Luftschlangen, Ballonen und farbigen Flyern. Bunt angezogene Menschen mischen sich mit Demogänger_innen, Partyvolk mit Abendverkaufshopper_innen, Feierabendbiertrinkende mit Polizist_innen. Der Verkehr hat – sagen wir mal – etwas Mühe, vom Bahnhofshauptgebäude bis zum Loebegge, von der Schwanengasse bis zum Baldachin, überall stehen Leute und stehen rum, gucken, rauchen, trinken, tanzen.
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Ein Fest für den Mediamarkt! Was ist passiert, an diesem ganz normalen Donnerstagabend? Oder vielleicht doch nicht ganz so normal, denn: Auf diesen Abend wartete Bern schon seit fast einem Jahr. Die Tränen um den Verlust der Markthalle waren kaum versiegt, da kündigte ein anderer Markt an, die Berner_innen zu trösten: Ein Mediamarkt, mitten in der Stadt, direkt am Bahnhof! Die undankbaren Berner_innen wollten sich darüber aber nicht so recht freuen, die Wutbürger_innen der Hauptstadt der Anarchie tobten sich in den sozialen Medien aus: Dieser Markt wird boykottiert! Und dann kam eine Veranstaltung, die für einen Moment viel zu reden gab: Das Bündnis inexistenter Partykapitalist_innen (BIP) rief zum Fest. «Mediamarkt leerfeiern» hiess die Party, die dem Mediamarkt in der alten Berner Markthalle einen gebührenden
Empfang bescheren sollte. Zuerst für Mai 2014 angekündigt, mussten die Partykapitalist_innen aber noch eine Weile auf den neuen Markt warten. Dieser beschäftigte sich lieber mit juristischem Geplänkel um Zufahrtswege und Poller, als den Berner_innen endlich ihr Trostpflaster aufzuzwingen. Anfang dieses Jahres war es dann soweit. Der Mediamarkt kündigte die Eröffnung für den 26. März an, die Fete konnte endlich steigen. Auch das Löschen der Facebook-Veranstaltung mit bereits über 1‘600 Zusagen (höhere Macht?) konnte die Vorfreude nicht trüben, innert ein paar Tagen sagten schnell wieder 700 zu. Obwohl niemand genau wusste, worum es hier eigentlich geht. Was passieren würde, an diesem Donnerstagabend. Wer das alles überhaupt organisiert hatte. Aber Party, das klingt immer gut. Wir feiern ein Fest – damit kann man – Tanz dich frei lässt grüssen – Berns Jugend offenbar mobilisieren. Vergnügte Masse, schönes Chaos Am 26. März um 17.30 ist die Stimmung auf dem Bahnhofsplatz ausgelassen, etwa 500 Personen sind da, angenehme Spannung liegt in der Luft. Viele haben Elektroschrott mitgebracht, zwei tragen sogar einen Kühlschrank, und einer zieht ein altes Bügeleisen wie einen Hund an der Leine hinter sich her. Konfetti, Luftschlangen, Trillerpfeifen und Strassenkreide werden verteilt, ebenso ein Flyer, auf dem mit einem Flussdiagramm
vermittelt wird, was jetzt eigentlich genau der Plan ist. Die klare Antwort: Party! Nur schade, fehlt die Musik weitgehend, aber vorerst lässt sich die Stimmung davon nicht trüben. Punkt 18.00: Die Masse läuft los, begleitet von ein paar (noch) netten Polizist_ innen. Vor dem Mediamarkt angelangt, ist dann aber trotz Flyer nicht so ganz klar: Was jetzt? Der Mediamarkt, im Vorfeld noch Sympathie bekundend, verschliesst seine Türen fast sofort. Wo, lieber Mediamarkt, sind jetzt diese versprochenen 10-FrankenGutscheine für alle, die ihren Elektroschrott am Eröffnungstag abgeben? Dann steht die Masse eben vor den Toren. Konfetti und Glitzer fliegen immer noch herum, irgendwann Eier in Richtung Mediamarkt, und dann, ja, irgendwann Flaschen. Und Elektroschrott. Als die ersten Scheiben klirren, wird die Polizei nervös, und die Masse ebenfalls. Einige laufen davon, andere grölen, wieder andere tanzen und seifenbläterlen einfach weiter. Viele stehen auch nur da und schauen zu, wie ein paar wenige us Tümmi die Scheiben des Mediamarkts kaputt schlagen. Danach das Übliche: Gummischrot, ein paar Festgenommene, Bullenshow auf dem Bahnhofsplatz, die Hälfte der Leute immer noch in Festlaune, schönes Chaos, Tanz-dich-frei-Style.
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