Es war einmal vor 10 Jahren… – Jubiläum S.1 | denk:mal steht! – Vom Durchgangslager zum Lagerweg S.2 | Was soll das sein, autonome Schule? – Kollektives Schulterklopfen S.3 | Ruch's letzter Einsatz – Foto-Lovestory S.4-5 | Bildung fern des Haifischteichs – Nutzenfrage? S.6 | Volk und Herrschaft au dem Prüfstand – Demokratiekritik S.7 | Hattest noch der Söhne ja… – megafon-StattBlick S.8 | Leserkommentar S.8 | Frauenfeindlichkeit in freier Wildbahn – Sexismus im Internet Teil II S.9 | Königinnen – Der Tod S.9 | Burn Reto Burn! – Kurzschluss S.10 | Flucht ins Blaue oder Mein Schweinehund und die rosé-rote Brille – «Aare? Geh nicht.» S.10 | The Life and Death of GG Allin – Comic S.11 | Boxplay – Exitorial S.11 | Nichts tun – Kinderbuchtipp S. 11 | European Shootout – Stranger than fiction S.12 Die Zeitschrift aus der Reitschule | Bern
megafon | N°398 | August 2015 | 6.–
Jubiläum
Es war einmal vor 10 Jahren…
Das Bestehen des denk:mal, heute auch Autonome Schule Bern, jährt sich dieser Tage zum zehnten Mal. In dieser Dekade ist das denk:mal der einzige durch Hausbesetzung eröffnete Raum der Stadt Bern, der nicht-kommerziell und gleichzeitig einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich ist. Häuser zu besetzen heisst prekäre Lage, heisst unsichere Existenz. Das denk:mal ist in dieser Dekade auch unzählige Male umgezogen. Häuser zu besetzen bedeutet aber auch die Möglichkeit für niederschwellige Angebote und Potential für Unabhängigkeit und Kritik. Genug Grund um zu fragen: Was jährt sich da genau? Wie war das damals: Kopfgeburt – alles Zufall – Masterplan? Erinnerte Sedimente zweier Beteiligter. Aufgezeichnet von: dres, sak | Illu: reprint* Max:
Vor ziemlich genau zehn Jahren, am 1. August 2005, versammelten wir uns also gegen zehn Uhr abends am Bahnhof in Ostermundigen, mit dem Ziel das leerstehende Durchgangszentrum an der Bolligenstrasse 85 zu besetzen. Nach geschätzten tausend Sitzungen und dem Verfassen eines Manifests hatte sich die «Aktion Ungehorsamer Studierenden» (AUS) entschieden, eine «Offene Bildungsplattform» zu gründen: Das denk:mal war geboren. Jetzt fehlten nur noch die passenden Räumlichkeiten. Dass der ganze Komplex damals leer stand, hatten wir wohl nicht zuletzt C. Blocher und seiner Politik zu verdanken. Bekanntlich haben sich seitdem weltweit Kriege und Flüchtlinge streng an die von ihm festgelegte Anzahl freier Lagerplätze zu halten. Moritz:
Nun ganz so leer war die Bude auch wieder nicht, wie nach dem Einschlagen einer Scheibe (später ersetzt mit einem Produkt der Firma Pilkington, mit Ableger in Münchenbuchsee) und dem Aufbrechen etlicher Türen (Übermut, vielleicht sogar jugendlicher) festgestellt werden musste. Neben dem wohlgeordneten Schlüsselset der ganzen Anlage waren nicht gerade Berge, aber doch noch ein Haufen Akten von Asylsuchenden vorhanden, die durch die vormalige Mieterin, dem Roten Kreuz, zurückgelassen worden war. Gut möglich, dass auch dieser Umstand dazu führte, dass unser Auftauchen am Zipfel Berns das Rote Kreuz nicht gerade erfreute.
Für die meisten von uns war es die erste Besetzung; die ganze Aktion gestaltete sich dann auch umfassend dilettantisch. Der ganze Lagerkomplex war mit Maschendraht umzäunt und zusätzlich mit Nato-Draht gesichert. Geradezu feierlich schnitten wir mit dem Bolzenschneider ein Loch in den Zaun, danach musste nur noch eine Fensterscheibe dran glauben und wir waren drinnen. Ich glaube, es gab damals insgesamt vier Baracken, wir entschieden uns für die grösste. Früher wurden hier mal an die achtzig Menschen mit Essen versorgt und unsere Hobbyköche waren von der Industrieküche begeistert. Die Meute war kaum noch zu bremsen und machte sich sogleich daran, alle noch verschlossenen Türen einzutreten, natürlich bevor jemand im Briefkasten die Schlüssel für die gesamte Anlage fand. Ausserdem stellten wir fest, dass im hinteren Teil der Baracke noch allerhand Bürozeugs herumstand, Schränke, Computer, Telefone etc. Das Lager war also doch nicht so leer, wie wir gehofft hatten. Egal – wir hängten ein paar Transparente auf, es gab Musik und wir begannen den Einzug zu feiern und uns seriös zu betrinken.
Am nächsten Morgen kam der Lagerchef vom Roten Kreuz vorbei und bekam fast einen Herzinfarkt. Offensichtlich hatte die besenreine Lagerübergabe an die Stadtbauten noch gar nicht stattgefunden. Die Polizei umstellte im strömenden Regen das Lager. Ein paar versuchten noch zu flüchten und schnitten sich am Nato-Draht die Hände auf, der Rest war entweder zu verkatert (ein paar waren immer noch am pennen) oder gehörte zum sogenannten «harten Kern» und blieb. Es wurden dann fleissig Personalien aufgenommen und ein stadtbekannter Staatsschützler versuchte sich erst mal ein Bild von uns zu machen. Danach warfen sie uns raus. Ein paar Wochen später reparierten wir die Türen und den verdammten Maschendrahtzaun. Im Gegenzug verzichtete das Rote Kreuz auf eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch. Mit den Stadtbauten einigte man sich auf einen dreimonatigen Zwischennutzungsvertrag. Keine Ahnung, wie es dazu kam, jedenfalls zogen wir dann ganz offiziell am 1. Oktober 2005 ein. An die Eröffnungsparty kamen angeblich an die 800 Leute. Viele haben seit dieser Nacht dem Denner-Lagerbier endgültig abgeschworen.
Nebst all den Unerfahrenen hatten die an Sitzungen sich absprechenden Diskutant*innen quasi externe Besetzungsexpert*innen eingeladen. Wenn die Erinnerung nicht täuscht, gab es aber gerade bei den Expert*innen eine Beziehungskrise. Umstände halt, die Expert*innen erschienen gar nicht, machten sich noch in der Nacht oder im frühen Morgengrauen über den Bantiger und andere Berge davon.
Bei den Gesprächen bezüglich des weiteren Vorgehens wurde uns die grösste der fünf Barracken angeboten. Herr Jampen von den Stadtbauten japste, als mit grösster Selbstverständlichkeit alle fünf Barracken gefordert wurden. Denn was bringt eine Baracke, wenn man fünf haben kann, und das nur für den Zeitraum von drei Monaten. Man einigte sich dann letztendlich auf drei Barracken. Ein echter Schweizer Kompromiss!
Nebenbei aber, mit Gewichtigkeit, raunte der Mann von der Stadt: Sie hätten der Heilsarmee 10‘000 Franken überwiesen. Damit diese keine Anzeige erstattet, gegen diese Jungens und Mädels. Damit das alles schmerzlos (mit einem halben Jahr Nachwehen) über die Bühne gehen kann. Ob das wohl stimmt? Keine Ahnung. So oder so ist es eine lustige Welt. Kommt hinzu, dass diese Nachwehen – durchaus verwandelt – jetzt schon seit zehn Jahren andauern. Sogar den Jampen, und letztlich auch die Stadtbauten hat das Denki überlebt. 2014 wurden die Stadtbauten nach elf Jahren als öffentlich-rechtliches Unternehmen wieder in die Stadtverwaltung reintegriert und aufgelöst. Der Handelsregisterauszug vom Mittwoch 6. Februar 2008 vermerkt betreffend Stadtbauten Bern: Erloschene Unterschriften: Jampen, Jürg, Mitglied der Geschäftsleitung, mit Kollektivunterschrift zu zweien. Erloschene Unterschriften. So heisst das also in der Verwaltung. Mit dem wird das denk:mal sicher keine Zwischennutzungsverträge mehr abschliessen.
*) Erstabdruck im megafon Nr 380, Juni 2013, ‹Selbstverwaltung lernen mit dem Denki›, von Jill und Fäbu (Auszug).