megafon Nr. 429, März 2018

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Haben und Sein – Besitz und Reichtum im digitalen Kapitalismus, S.1 – 2 | Comix – von #tt, S.2 | Wien im Winter – aus dem Tagebuch von Alice, S.3 | Performen nach Normen – Schule statt Bildung, S.4 | Cheer up, Mr Bannon! – megafon stattBlick, S.5 | Büchertipps – Ein Dinner mit Folgen, S.5 | Die kurdischen Brüder – Momentaufnahme, S.6 | Stinkfink – frische Feder, S.7 | Leser*innenkommentar S.1 –  2 | die anarchietage in winti … – ein reisebericht, S.8 | Explosionen und Zeichnungen – Onomatopoesie, S.8 | Barrikade Info S.8

Die Zeitschrift aus der Reitschule | Bern

megafon | N° 429 | März 2018 | 6.-

Haben und Sein Besitz und Reichtum im digitalen Kapitalismus

Was früher die Protzer-Uhr ist heute der Premium-Account. Den Besitzen als Form von Wohlstand wechselt gerade seine Gestalt. Das ein Berner Assipunk momentan noch reicher ist als ein Immobilien­ spekulant in Katar ist kaum zu glauben. Ist aber so, und hat mit Zugang und Grundrechten zu tun.

«B

Text: Dr. Motz | Illu: jmj

esitz besitzt» hiess es früher, oder auch: «Der Brahmane kann glücklich in einem leeren Haus leben.» Solche Merksätze und Weisheiten stammen aus einer Zeit, in der Reichtum, Konsum und Dekadenz noch automatisch mit dem Besitzen von Gegenständen verknüpft war. Diese Vorstellung ist ziemlich veraltet und taugt kaum für eine fundierte, also radikale, politische Kritik. Wollen wir Armut und Reichtum im Spätkapitalismus verstehen und die politischen Mechanismen der (Um-)Verteilung, des Habens und Seins kritisieren können, dann sollten wir uns über ­immateriellen Besitz, über öffentliche Infrastrukturen und auch über die Ökonomie von Dienstleistungen Gedanken machen.

Was ihr nicht verändern könnt, das gehört euch nicht.

Lieber Abo als Depot? Denn vielleicht ist die Zeit des Besitzens von Gegenständen als Zeichen von Wohlstand zumindest in der westlichen Welt gerade am ablaufen. Die Vorstellung vom ­Eigenheim, das von oben bis unten mit Gerümpel vollgestellt ist, ­erscheint zunehmend oldschool und Oma-mässig. Was brauchen ­irgendwelche Jetsetter, Netflixer, Wifi & Rollkoffer-Monaden ein Caquelon oder ein Teeservice? Die brauchen nur trag­baren Besitz, dafür aber überall wo sie sich ­aufhalten ­maximalen

Komfort. Deshalb regiert in dieser Welt das AbonnementPrinzip. Was früher die Limousine und die Protzer-Uhr waren, ist heute der Premium-Account und der VIP-Eingang. Damit ändert sich schleichend auch die Bedeutung des ­Besitzens allgemein. Alles fliegt irgendwo in der Cloud rum und die ganze Welt ist immer verfügbar, solange noch genug Akkulaufzeit bleibt. Der Siegeszug von Spotify ist ein gutes Beispiel: Es ist so viel praktischer, sich seine Playlists aus der Cloud zu ­melken, als irgendwelche Tonträger mit sich rumzuschleppen; und seien es auch nur Festplatten mit MP3s. Wer Kisten voll CDs behalten will, dem helfen nur noch wenige beim Zügeln. Der Nachteil ist, dass ein wichtiger Bestandteil der älteren Konzeption von Besitzen verlorengeht: » Fortsetzung S.2


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