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Jeden Monat 1.000 Euro geschenkt – so lebt es sich mit bedingungslosem Grundeinkommen
JEDEN MONAT 1000 EURO
GESCHENKT
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Regelmäßig gibt Anita Baumgärtner im eigenen Atelier Nähkurse - das bedingungslose Grundeinkommen hat ihr den Schritt in die Selbständigkeit erleichtert.
DAS BEDINGUNGSLOSE GRUNDEINKOMMEN ALS STÜTZRAD AUF DEM WEG IN DIE BERUFLICHE FREIHEIT
Von Dominik Baum
Der Verein „Mein Grundeinkommen“ verlost regelmäßig sogenannte bedingungslose Grundeinkommen (BGE). Die glücklichen Gewinner:innen erhalten ein Jahr lang jeden Monat 1.000 Euro geschenkt. Und das – wie der Name schon sagt – bedingungslos. Seit Vereinsgründung kamen rund 1.200 Menschen in den Genuss eines BGE – darunter auch Anita Baumgärtner. Die gebürtige Allgäuerin, die inzwischen mit ihrer Familie in Ravensburg lebt, nutzte die unverhoffte Finanzspritze auf dem Weg in ihre Selbständigkeit.
Ursprünglich absolvierte Anita Baumgärtner nach der Schulzeit eine Schneiderausbildung und studierte Bekleidungstechnik in Hamburg. Danach arbeitete sie jedoch lange Zeit als Angestellte in der Produktentwicklung, fühlte sich dort „im Hamsterrad gefangen“. Deshalb stand für sie schon lange fest, dass sie eines Tages ihren Traum eines eigenen Nähateliers verwirklichen will.
Und genau das tat sie vor zweieinhalb Jahren: Sie renovierte liebevoll einen Gewölberaum in einem der ältesten Gebäude Ravensburgs und eröffnete schließlich ihr kleines Atelier im November 2019. Zugute kam ihr in dieser Zeit das monatliche Grundeinkommen, das sie von Mai 2019 an für ein Jahr erhielt.
Wie genau ihr der finanzielle Segen bei ihrer beruflichen Verwirklichung geholfen hat, wie sich ihr Privatleben durch das Grundeinkommen verändert hat und für wie wahrscheinlich sie ein bundesweites BGE hält, hat sie uns im Interview erzählt.
Wie groß war die Freude, als klar war, dass Sie nun ein Jahr lang jeden Monat 1.000 Euro geschenkt bekommen würden?
Ich weiß noch, dass ich gerade mit dem Fahrrad zur Arbeit aufbrechen wollte, als ich die Nachricht bekommen habe. Zuerst habe ich es für einen Scherz gehalten. Von dem Moment an, als ich realisierte, dass ich wirklich gewonnen hatte, fühlte ich mich reich beschenkt – nicht des Geldes wegen, sondern reich im Sinne von privilegiert, auserwählt worden zu sein. Es war ein Geschenk von Leuten, die ich gar nicht kenne. Dazu muss man wissen, dass sich ein Grundeinkommen aus tausenden Kleinspenden zusammensetzt. Deshalb war für mich von Anfang an klar: Egal, was ich mir davon leiste, ich muss es mit Bedacht tun. Das war eine Chance, die ich nutzen wollte.
Hatten Sie sich im Vorfeld überlegt, was Sie mit einem Grundeinkommen machen würden, sollten Sie eines Tages zu den glücklichen Gewinner:innen zählen?
Ich dachte mir nur, was für ein schönes Freiheitsgefühl es sein muss, zu wissen, dass die Miete jeden Monat bezahlt ist. Man hätte Zeit für andere Dinge.
Frau Baumgärtner, wie sind Sie erstmals auf das bedingungslose Grundeinkommen aufmerksam geworden?
Das war über eine Freundin. Sie hat mir einen Einladungslink von „Mein Grundeinkommen e. V.“ geschickt. Über den Link kann man gemeinsam mit Freunden ein Grundeinkommen gewinnen. Von da an habe ich mich näher mit der Thematik befasst.

Im Gewölberaum eines der ältesten Gebäude Ravensburgs hat die gebürtige Allgäuerin ihren Traum vom eigenen Nähatelier erfüllt. In Ihrem Fall für ein Nähatelier …
Genau. Ich wollte jede Ausgabe in mich und meine berufliche Selbständigkeit investieren. Statt lange darüber nachzugrübeln, ob die Nähmaschine im Budget ist, habe ich sie mir einfach gekauft. Ich hatte durch das Grundeinkommen aber auch viel mehr Zeit für meine Familie. Man geht einfach leichter durchs Leben.
Haben Sie den Traum vom eigenen Atelier nur wegen des Grundeinkommens verwirklichen können?
Was fasziniert Sie an der Idee am meisten?
Es wäre ein ganz neuer Ansatz. Der Staat würde der Gesellschaft signalisieren, dass er an seine Bürger und das, was sie leisten, glaubt. Man müsste nicht erst in Vorleistung gehen und erhält anschließend eine monetäre Belohnung, sondern der Staat brächte einem das Vertrauen entgegen, dass jeder mit seiner Zeit etwas Sinnvolles anzufangen weiß.
Wer ein Grundeinkommen gewinnt, entscheidet das Glücksrad per Zufall. Wie lange haben Sie mitgemacht, bis es tatsächlich geklappt hat?
Nein, der Entschluss stand schon vorher fest. Mir war klar, dass ich eines Tages wieder das Nähhandwerk mit Kreativität und Leidenschaft ausüben wollte. Und so war ich bereits dabei, Räumlichkeiten zu renovieren, als ich vom Grundeinkommen erfahren habe. Die Absicherung ermöglichte es mir jedoch, meine Selbständigkeit viel entspannter anzugehen. Ich konnte mich beispielsweise in Ruhe um die Renovierung und den Aufbau einer eigenen Website kümmern.
Gab es neben der Selbständigkeit weitere Ziele, die Sie dank des finanziellen Segens verfolgen wollten?
Wie es oft im Leben ist, habe ich mir mehr vorgenommen, als ich tatsächlich umsetzen konnte. Mehr Sport und eine gesündere Ernährung waren Ziele, die ich nicht konsequent verfolgt

Mittelfristig möchte Anita Baumgärtner auch eigene Produkte entwickeln.
habe. Ich habe allerdings mehr Zeit mit meinen Liebsten verbringen können, war zum Beispiel mit einer Freundin verreist. Das Grundeinkommen hat den Alltagsstress deutlich reduziert.
Sie haben bis April 2020 Grundeinkommen erhalten. Ist es Ihnen danach gelungen, Ihre neuen Prioritäten und die Entspanntheit beizubehalten oder sind Sie in alte finanzielle beziehungsweise berufliche Muster zurückgefallen?
Leider kam direkt zu diesem Zeitpunkt die Pandemie und ich musste mein Atelier schließen, bevor es richtig öffnen konnte. Gleichzeitig ging die Kulturbranche in Kurzarbeit – das betraf auch meinen Teilzeitjob in einem Kreativzentrum. So blieb mir nichts anderes übrig, als im Akkord Masken zu nähen, um das Atelier über Wasser zu halten. Das hat mir einmal mehr gezeigt, wie wertvoll ein Grundeinkommen ist, um an seinen Träumen arbeiten zu können. Ich glaube, die Leistungsgesellschaft ist an einem Punkt angekommen, der eine Veränderung erfordert.
Was meinen Sie damit?
Ich denke, dass viele beruflich im Hamsterrad gefangen sind, sodass gar nicht die Chance besteht, sich umzuorientieren und anderweitig zu verwirklichen. Die Coronakrise hat gezeigt, wie weit die Schere zwischen Arm und Reich schon auseinander liegt. Allein im Kulturzentrum konnte ich zahlreiche Freiberufler beobachten, die während der Pandemie große finanzielle Probleme hatten. Auch in anderen Bereichen, wie der Pflege oder dem Handwerk, gibt es einen Mangel an Mitarbeitern. Ich denke, dass viele Spaß an einer solchen Arbeit hätten, aber eine Karriere in diesen Bereichen aufgrund der schlechten finanziellen Aussichten von vornherein ausschließen. Mit einem Grundeinkommen hätte jeder die Chance, mehr Eigenverantwortung für sein Leben zu übernehmen.
MEHR FREIHEIT UND WÜRDE FÜR JEDEN EINZELNEN
Kurz nachgefragt bei: Erna-Kathrein Groll
Erna-Kathrein Groll (Grüne) ist nicht nur 3. Bürgermeisterin der Stadt Kempten, sondern hat bereits 2012 – unter anderem zusammen mit dem Allgäuer Karl-Heinz Blenk – die Bewegung „Grundeinkommen. Initiative Allgäu“ gegründet. Nach wie vor macht sich die Politikerin für ein bedingungsloses Grundeinkommen stark, mitunter ehrenamtlich bei der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) Landesarbeitsgemeinschaft Bayern e. V.
Frau Groll, warum setzen Sie sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein?
Wir haben in Deutschland ein relativ gutes Sozialsystem. Das Problem dabei: Wenn ich eine Leistung in Anspruch nehmen möchte, muss ich – bildlich gesprochen – vor den Behörden blankziehen. Bei sämtlichen Ämtern habe ich eine Bringschuld. Ich muss nachweisen – und das in regelmäßigen Abständen –, dass ich tatsächlich zu einer Leistung berechtigt bin. Das bedingungslose Grundeinkommen verfolgt einen würdevolleren Ansatz. Wie der Name schon sagt, erhält jeder Mensch bedingungslos eine gewisse Summe, mit der das eigene Leben frei gestaltet werden kann.
Wenn über das BGE diskutiert wird, ist eine zentrale Frage die der Finanzierung. Wie würde Ihr Lösungsansatz aussehen?
Das Konzept der KAB ist vielfältig und würde den Rahmen sprengen. Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen, wie an anderer Stelle Geld für ein bedingungsloses Grundeinkommen eingespart werden könnte: Der hohe Bürokratismus, den ich eben beschrieben habe, kostet den Staat sehr viel Geld. Sämtliche Anträge müssen geprüft werden, Beratungen müssen durchgeführt werden – all das ist extrem teuer und würde mit einem BGE wegfallen.
Ein anderer Kritikpunkt ist die Sorge vor zu vielen Menschen, die das BGE mitnehmen wollen – schließlich ist es bedingungslos – aber dann für die Gesellschaft nichts mehr leisten. Teilen Sie diese Befürchtung?
Nein, wir als KAB teilen diese Sorge nicht. Es gibt mehrere Projekte, die bereits aufzeigen, wie Menschen ihr Leben verändern, wenn sie Monat für Monat 1.000 Euro erhalten. Die meisten haben ihre eigene Arbeitskraft sinnvoller eingesetzt,
Glauben Sie, dass die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle realistisch ist?
Ich bin zumindest überzeugt davon, dass uns als Gesellschaft ein neues Konzept guttun würde – auch für den Zusammenhalt untereinander. Grundvoraussetzung ist eine offene, neugierige Gesellschaft, die mitmacht. Um zu beurteilen, ob ein Grundeinkommen finanzierbar ist, kenne ich mich allerdings nicht gut genug aus.
Was würden Sie aus Ihrer Erfahrung heraus den künftigen Gewinner:innen eines Grundeinkommens empfehlen?
Den Augenblick in vollen Zügen zu genießen, das eigene Leben und die gesetzten Ziele zu hinterfragen und das geschenkte Geld gewissenhaft zu verwenden.
Ihr wollt mehr über den Verein „Mein Grundeinkommen e. V.“ erfahren und euer Glück bei den regelmäßigen BGE-Verlosungen auf die Probe stellen? Hier entlang.
MEHR FREIHEIT UND WÜRDE FÜR JEDEN EINZELNEN
weil sie selbst entscheiden konnten, welcher Arbeit sie nachgehen wollten. Davon profitiert die Gesellschaft insgesamt. Natürlich wird es vereinzelt Menschen geben, die sich in die soziale Hängematte legen. Aber das gibt es bei jedem anderen Sozialsystem auch.

Wie stehen Ihrer Meinung nach die Chancen, dass ein BGE tatsächlich in Deutschland kommt?
Vor zwei, drei Jahren hatte ich die Hoffnung, dass die Weichen für ein Grundeinkommen gestellt sind. Inzwischen hat sich die Situation leider wieder verändert, nicht zuletzt durch den Wahlausgang. Sowohl die SPD als auch die FDP sehen ein BGE eher kritisch. Ich fürchte, wir müssen drei Schritte zurück, um wieder Anlauf für das Grundeinkommen zu nehmen.
Das Konzept eines bedingungslosen Grundeinkommens hat eure Neugierde geweckt? Hier geht’s zur Facebook-Seite der Bewegung „Grundeinkommen. Initiative Allgäu“.
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