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DIE OHREN AUF REISEN
Wer kennt sie nicht – die guten alten Reiseführer. Und natürlich reden wir hier von den kleinen Büchern in Druckform. Unterwegs mehr oder minder eine Hilfe auf der Reise, die vermeintliche Insidertipps mit einer Auflage von wünschenswerten 300.000 Exemplaren vermittelt. Im heimischen Bücherregal gerne nebeneinander platziert, um dezent auf die weltgewandten Reisetätigkeiten hinzuweisen. Zwischen Kreta, Andalusien und Italien gerne auch mal der Bayerische Wald und Sylt – der Reiseführerfantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Mit dem Einzug der Digitalisierung gibt es das Ganze nun logischerweise auch als eBook oder eben als App. Ein eher neuerlicher Trend sind allerdings Audioguides, die es ermöglichen Gegenden, Orte und Sehenswürdigkeiten mit offenen Augen und aufmerksamen Ohren zu erkunden.
Die meisten unter uns kennen so etwas bereits aus den Museen, wo damals noch Abspielgeräte samt Kopfhörer verteilt wurden, um durch die Ausstellung zu leiten.
Mit einem Smart Device wird man nun nicht nur mobiler sondern vor allem ortsunabhängig. Also raus aus dem Museum und rein ins Hörvergnügen.
Wie so eine auditive Reise richtig Spaß machen kann, zeigt niemand geringerer als Udo Lindenberg. Und dazu muss man noch nicht mal den Sonderzug nach Pankow besteigen. Obwohl man dort schon am Ort des Geschehens angekommen ist. Der Musiker nimmt die Hörerinnen und Hörer mit auf eine Reise durch Pankow, Prenzlauer Berg und Weissensee und erkundet gemeinsam historische und aktuelle Orte, die Musikgeschichte geschrieben haben und schreiben. Mit Hilfe von zahlreichen prominenten Stimmen geht’s von Konzertlocations und Clubs durch die Nachbarschaften und Gemeinden.
Und selbst Städte, die wir wohl eher selten auf der Top10 unserer „Places to see before I die“ – Liste haben, werden hörbar spannend. So zum Beispiel Kassel. Spontan halten sich die Sehenswürdigkeiten, die uns bei dem Stadtnamen in den Sinn kommen ein wenig in Grenzen. Wie schön, dass die CDW Stiftung hier einen Audioguide bereit hält, der echte Überraschungen in sich trägt. Die Graffiti-Kunst von Kassel. Das klingt nicht nur überraschend, sondern ist es in der Tat. Die Tour lädt zum Entdecken ein und wer hätte gedacht, dass Nordhessens einzige Großstadt mit Street Art aufwartet.
Nun muss man keine Metropole sein, um die Ohren der Besucherinnen und Besucher zu erobern. So zum Beispiel das kleine Örtchen Bollendorf in der Südeifel. Hier entdeckt man in einer gut fünfstündigen Wanderung durch die „Grüne Hölle“ ganz besondere Felsformationen, tolle Aussichtspunkte oder Kulturdenkmäler. Das alles gespickt mit Geschichten der Bollendorfer – von Schmugglerstories bis hin zu Gesundheitstipps. So funktioniert Stadt...oder besser gesagt Dorfmarketing.
Aber nicht nur Ortschaften haben Audioguides für sich entdeckt. Die Kaufland Supermärkte haben im Mai 2022 das Einkaufserlebnis um ein Hörerlebnis erweitert. Genau – Lebensmittel shoppen mit Audioguide. Dazu haben die Kollegen von Kaufland drei „Touren“ durch das Supermarktangebot konzipiert. Man kann zwischen „Frische und Familie”, „Nachhaltig und bewusst” und „Süßes und Besonderes“ wählen. Irgendwie fraglich, warum man eine Audiotour durch einen Supermarkt machen sollte. Und schade, dass man das Medium Audio hier nicht ein wenig kundenzentrierter nutzt. So könnte man doch durchaus Produktinformationen anhand des EAN Codes mit Audioinfos verknüpfen. Scan & Listen. Mit KI und entsprechendem Setup heute überhaupt kein Problem – so liefert man Infos zum Produkt, den Inhaltsstoffen oder beispielsweise der Herkunft. Und durch die Integration in eine eigene App sammelt man bestenfalls sogar noch Kundendaten, ist skalierbar und bietet einen echten Mehrwert. Ganz im Gegensatz zu dem „Bitte leihen Sie Ihren Audioguide am Kundenempfang aus“- Ansatz.
Durchaus moderner und zukunftsweisender geht es auch. Wie man den altgedienten Museums - Audioguide neu und zeitgemäß interpretiert zeigt das Museum of Modern Art in New York. In 2015 wurde hier im Rahmen einer Ausstellung rund um die skandinavische Künstlerin Björk eine immersive Audio Tour kreiert. Abhängig von der Position im Raum erkennt eine KI die
Blickrichtung des Kopfes und schafft ein individuelles Hörerlebnis aus Songs, Klängen und Erzählungen. Auch nicht die schlechteste Idee.
Was uns die Zukunft der Audioguides bringen wird ist sicherlich ungewiss, aber mit der Headphone Generation und der Always On Mentalität werden die Leihgeräte in absehbarer Zeit ausgedient haben und der Audioguide wird dank Künstlicher Intelligenz immer individueller und personalisierter. So werden wir bald unser ganz persönliches Hörerlebnis der Sights, Orte und Highlights unserer nächsten Reise als einheitliches und individuelles Audioerlebnis präsentiert bekommen. Das ganze unterlegt mit der passenden Musik und bestenfalls gespickt mit maßgeschneiderten Tipps und Hinweisen.
Was auch immer die Zukunft bringt - auch das Reisen geht durch die Ohren. Auch ohne Ohrensessel.