AD 10/2017

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OKTOBER 2017 DEUTSCHLAND

8 €

DEUTSCHLAND ÖSTERREICH 13 SFR SCHWEIZ

20 Jahre AD

ARCHITECTURAL DIGEST. STIL, DESIGN, KUNST & ARCHITEKTUR So gestaltet Deutschland

Gemeinsam! Special

Deutschlands schönste neue Hotels

Ein Fall für zwei Kreative Duos von Gonzalez Haase bis Anatomie Fleur Monster unter Denkmalschutz Wohin mit dem Brutalismus? Grünes Wunder Blühende Prärie an der badischen Bergstraße

Konferenzträume Interiors für eine neue Meetingkultur


Inhalt Oktober 160 Ausstellungen 162 Auktionen 164 Bücher

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Bücher 82

Berlin blüht

Paul Cassirer machte Berlin zum Nabel der Moderne. 100 Jahre später öffnet sein Salon erneut. In sechs Prachtbänden.

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AlpenSpa

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Architektur 126 Kulthaus

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Reise Deutschlands neuste Hotels sind nicht einfach nur schön. Sie erzählen auch Geschichten, spielen mit Epochen – und ändern den Blick auf die Frage, wohin wir eigentlich reisen wollen.

182 Reise Spas 184 Mobil BMW 186 Mobil Mercedes

Projekt Das DAM in Frankfurt widmet einer ungeliebten Ära eine große Ausstellung und entdeckt im Erbe des Brutalismus hehre Ideale. Ein Gespräch mit Oliver Elser und Philipp Oswalt über faszinierende Monster. 140 Radar

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Garten

Meeting!

Früher? Stand Phlox in der Rabatte stramm, blühten Astern brav im Beet. Und heute? Lässt Cassian Schmidt wilde Prärien wachsen.

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Fotos: Volker Conradus; Mizu Onsen Spa; Femmes Régionales; Andres Valbuena (2)

Panorama 152

Kunst Auf einer langen Reise in den wilden Westen wurde die junge Gabriele Münter mit der Fotokamera zur Malerin.

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Andenkunst

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Inhalt Oktober

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Leben 194

Samba vorm Beton Ein Bauherr mit Bodenhaftung und zwei Architekten mit viel Fantasie: ein Dreamteam, um ein Loft in BerlinMitte zum Tanzen zu bringen!

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Irmas Welt

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Königs Garten Schon vor ihrem Umzug zählten Lena und Johann König zu den wichtigsten Galeristen in Berlin. Arno Brandlhuber hat für sie kühn die Kirche St. Agnes renoviert. Nun wurde selbst der Garten drum herum zur grandiosen Ausstellungsfläche.

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Eine Welt für sich allein

Es fliegt!

Vintage-Möbel, klerikale Relikte und Altbau-Flair: Das Münchner Zuhause der Illustratorin Jasmin Khezri ist ähnlich urig und mondän wie das Leben ihrer Kunstfigur Irma.

Wuchtig steht es am Ufer der Spree, unverrückbar. Und doch ist das Haus aus Glas und Beton, das Tanja Lincke für ihre Familie gebaut hat, so feinsinnig, dass darin die Gedanken fliegen.

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„Chairs“

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Lincke & Reyle 228

Norwegian Wood Der Stil ist norwegisch, der Baugrund dänisch – und der Architekt, der den Umbau leitete, deutsch. Wie Jürgen Mayer H. Haus Holte ins Heute führte.

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Fotos: Elias Hassos; Daniela Müller-Brunke; Porträt: Noshe

Die Kunst des ersten Blicks Auf einem umgebauten Trockenboden in Berlin finden Kunst und Leben zu einer nonchalanten Einheit.

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Klause über der Stadt Die Inhaber einer Kreativagentur gestalteten ihr privates Apartment an der Münchner Au als Penthouse, das dem Zen huldigt. 248 Summaries 250 Apropos 252 Gewinnspiel

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AD Editorial

„Luther-Style: ein markiges Renaissance-Ensemble fürs heimische Studiolo. Das wäre doch mal eine Alternative zu unseren allgegenwärtigen Midcentury-Trophäen.“

Foto: Alfred Pasieka / Science Photo Library / AKG-Images; Porträt: René Fietzek

D as mit dem Tintenfleck an der Wand ist wohl nur Legende. Martin Luther soll in einer Nacht, als ihn der Teufel wieder einmal heimsuchte, mit dem Fässchen nach ihm geworfen haben, dort oben in seiner kleinen Stube auf der Wartburg. Unweit von Eisenach im heutigen Luthergrund war der Augustinermönch bei der Rückreise aus Worms (der berühmte Reichstag!) von kurfürstlichen Reitern gefangen genommen und am 4. Mai 1521 auf die Wartburg verbracht worden. Ein Coup Friedrichs des Weisen, um sein Landeskind vor den Gefahren der Reichsacht zu schützen. Natürlich ist die Wartburg nicht nur Luther, und doch steht der knapp einjährige Aufenthalt des Reformators als überragendes Ereignis genau zwischen dem legendären Sängerkrieg, dem Wirken der Heiligen Elisabeth von Thüringen und der deutschen Nationalbewegung im 19. Jahrhundert. Dies umso mehr, als sich ja aktuell der Anschlag der 95 Thesen zum 500. Mal jährt. Und man muss sagen, schlecht war seine Unterbringung nicht. Eingecheckt unter dem Tarnnamen Junker Jörg, bewohnte der mit einem päpstlichen Bann belegte Theologe mit der Bohlen- und der darüber­ liegenden Vogteistube quasi ein schlichtes Zweizimmerapartment,

in dem er sich völlig seiner Arbeit hingeben konnte. Auf dem Boden liegt ein Walwirbel, der als Fußschemel diente. Der Tisch stammt von der Familie Luther, ein Kastentisch, wie er im 16. Jahrhundert als Schreibtisch gebräuchlich war. Das Original, an dem Luther in nur zehn Wochen das Neue Testament aus dem Griechischen in ein verständliches Deutsch übersetzte, soll über die Jahrhunderte Splitter für Splitter in den Taschen der Pilger verschwunden sein, bis er in sich zusammenfiel. Und natürlich der Stuhl. Nicht heilig, aber höchst imposant, spätgotisch markant, macht er sich breit, der hölzerne Sessel aus Katzwang bei Nürnberg, damals die deutsche Version des einst berühmten Savonarola-Faltsessels aus Italien. Freilich ist auch er heute eine Nachbildung aus dem 19. Jahrhundert. Da saß er nun und konnte nicht anders und schuf damit nichts weniger als die Grundlagen einer einheitlichen deutschen Sprache. Als er fertig war und die Lage günstig, packte er am 1. März 1522 seine Sachen und ging wieder in seine Heimatstadt nach Wittenberg. Auf die Wartburg kehrte er nie mehr zurück. So ein markiges Renaissance-Ensemble, das wäre unser Vorschlag im Lutherjahr fürs heimische Studiolo (S. 74) angesichts der allgegenwärtigen französischen und skandinavischen Midcentury-Trophäen. Man muss daran ja nicht gleich die Bibel neu übersetzen.

Oliver Jahn

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Stil

Neuheiten, Thema, Adresse, Porträt, Projekt, Interview, Studio, Fokus und AD Award

Bewegend Wo heute

Foto: Studio Oink

Messing in Mobiles verwandelt wird, röhrten einst die Gitarren von Nirvana. Eine ehemalige Kneipe in Hanau bauten Rivka Baake und ihr Mann Wilfrid Kreutz in ein lichtes Atelier um, in dem – ganz nach Ale­ xander Calder – kinetische Kunst­ werke wie „Black Dot“ entstehen. Verspielt, aber genau auf den Punkt gebracht. LI 24 0 Euro, lpln.de

Redak tion Simone Herrmann & Lilian Ingenkamp

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Stil Neuheiten

Den Dingen auf den Grund geht nicht nur little Joseph (links). Seine Eltern, Matthias Hiller und Lea Korzeczek alias Studio Oink, lassen bei jeder Aufgabe Bedacht und Akribie walten, sei es bei Interior-Projekten in Washington und Leipzig oder ihrer Kollektion „Langsam ist das neue Schnell“. Die ist komplett aus heimischem Material wie Keramik (der Schirm der Tischleuchte u.) und Eiche. LI 5 8 4 Euro, s tudio oink.de

Reif für die Bühne!

In Schale geworfen … hat sich Walter Knolls Sessel „369“. Die Ikone aus dem Jahr 1956 gibt es nun auch mit Gestell in Messing (1850 Euro). walterknoll.de

Opiumnebel Sieben Lagen Lack geben Sebastian Herkners MDFScreen „Opium“ (120 bzw. 170 cm hoch) für Lucio Doro tiefen Glanz. Preis auf Anfrage, lucio doro.it

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Herkner zum Zweiten: Für Pulpo setzt der Designer Obst auf ein Podest aus Keramik. Als geschlossene Halbkugeln haben seine „Mila Bowls“ zwar kein Fassungsvermögen, rücken ihre süße Fracht aber gekonnt ins Rampenlicht. FW ab 14 0 Euro, pulp opro duc t s.com

Porträt: Matthias Hiller / Studio Oink; Fotos: Matthias Hiller / Studio Oink; Pulpo; Doppia Firma; Walter Knoll

Klare Signale


Stil Neuheiten

Kunst des Krakelns Jan Kaths „Ballpoint Art“-Kol­ lektion aus Hochlandwolle, Seide und Brennnesselgarn setzt Knoten für Knoten um, was eine mit Tintenpaste gefüllte ­Kugel zuvor auf Papier gekritzelt hat – von einer feinen Linie bis zur monochromen Fläche. „Wir fangen das Chaos im Teppich ein, bündeln seine Energie und erzeugen ein dynamisches Kraftfeld für den Boden.“ AH ab 2 0 0 0 Euro/m², jan -kath.com

AD ✕ Monoqi „Emil“ kommt zum Tragen! Der kleine Beistelltisch (72 cm hoch, 199 Euro) wurde von Tischler und Designer Tim Brüggemann für ­Side by Side entworfen. Er setzt sich aus einem Tablett aus geölter Eiche und einem Gestell aus pulverbeschichtetem Aluminium zusammen. Dank seines Griffs steht er für jeden Einsatz(ort) bereit. MB erhältlich über mono qi.com /ad-sele c t s

B allaballa? S chwer auf Zak!

Schicker Raumgleiter Ob in Rosa oder Anthrazit, Leder oder Stoff (oder im Mix) – Cor fertigt jeden „Roc“-Sessel per Hand. In der Basis verbergen sich wahlweise Gleiter oder ein Drehteller, ab 1970 Euro. cor.de

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Fotos: Jan Kath Design; Side by Side; Cor Sitzmöbel; Pascal Sorg / Enzo Zak Lux

Bei Displays denken Sie als Erstes an Ihr Smartphone oder die Waschmaschine? Dann haben Sie Enzo Zak Lux’ 3D-Version u. noch nicht gesehen! „Pico Balla“ ist Mondrian auf Speed – drei bunte Quadratmeter à acht Pixel, denen in Sachen Farbtiefe kein Computerscreen das Wasser reichen kann. Skulptur oder Regal? Hängt ganz von Ihrer Programmierung ab. AK je 3 5 0 0 Euro, enzozaklux.de


Stil Porträt Dreamteam: Annika Murjahn (links) und Paula Macedo Weiß haben allen Grund zur Zufriedenheit! Basierend auf Farbtrends der Vergangenheit haben sie 120 Farben für heutiges Wohnen entwickelt. Das Taubenblau der No 63 (u.) erinnert sie an die blaue Welt japanischer Zeichentrickfilme der 80er Jahre und heißt daher „Anime“.

W

Die unendliche Geschichte der Farbe „Beloved Paint“! Ein treffender Subtext für eine Farbkollektion, in die so viel Herzblut, Detailversessenheit und Engagement geflossen ist wie in Caparol Icons. Annika Murjahn und Paula Macedo Weiß über die Entstehung der „ersten deutschen Marke für Luxusfarbe“. Tex t Friederike Weißbach

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Por trät Evelyn Dragan

as haben eine fast legale Cannabissorte, Adrenalin, das beim Erreichen des nächsten Computerspiel-Levels ausgeschüttet wird, und ein kleiner runder Damenhut gemeinsam? Sie schmücken als Farben die Wände einer Stadtvilla im Frankfurter ­Nordend. Die assoziativen Namen „Queen Green“ für das Hellgrün im Treppenhaus, „Next Level“ für schreiendes Rot in der Bibliothek und „Pillbox“, ein elegantes Greige im Esszimmer, sind (wie die 117 weiteren Töne der Kollektion) das Resultat der Zusammenarbeit von ­ Paula Macedo Weiß, Designerin und Hausherrin der Frankfurter Farben-Villa, und Annika Murjahn, Schwester des geschäftsführenden Inhabers des Farb- und Lack-Giganten DAW, zu dem auch Caparol gehört. Dieser lernte 2013 bei einer Dinnerparty Macedo Weiß kennen; sie plauderten über Farben, Murjahn brachte seine Schwester ins Spiel – und die Idee, zusammen eine Kollektion


Annika Murjahn

Fotos: Evelyn Dragan; Caparol Icons (3)

„Caparol hat die Geschichte der Farbe mitgeschrieben, wir erzählen sie neu.“

von „Luxusfarben“ zu entwickeln, war geboren. Für ein Familienunternehmen mit über 100 Jahren Farb­erfahrung ein naheliegendes Projekt, aber auch eine Mammutaufgabe, denn: Wo fängt man an? „Wir waren zwar völlig frei, aber uns war wichtig, eine fundierte Basis zu haben, auf der wir unsere Kollektion aufbauen konnten“, erinnert sich die Kunsthistorikerin Annika Murjahn. Diese fanden sie in den umfangreichen Caparol-Archiven und in den Ergebnissen der Farbtrendstudie der Hochschule Hildesheim. Abstrahiert aus Einrichtungstendenzen, Mode und Gra­ fikdesign der letzten 60 Jahre, identifi­ zierte die Studie für jede Dekade explizite Farbspektren. Zusammen mit historischen Caparol-­ Farbfächern wurden diese zur Grundlage für die Arbeit von Murjahn und Macedo ­Weiß. „Hier, in Paulas Küche, haben wir riesige Moodboards gebastelt, Farben nach Jahrzehnten sortiert und überlegt,

Das Farbspektrum der 1980er zeigt sich technisiert und synthetisch: Neon, Me­tallic und Grautöne (re. o.). Nomen est omen: Die Farbe in der Küche (o.) erhielt den ­Namen „Paula’s Kitchen“ nicht zufällig. Viele Ideen wurden hier geboren. ­Popkultur: Die 1960er brachten neben dem Rock ’n’ Roll auch ausdrucksstarke, provokante Farben hervor (rechts).

welche davon die ikonischen Töne ihrer Zeit sind. Welche sind gleichzeitig so modern, dass man heute und in Zukunft mit ihnen leben will?“, beschreibt Murjahn den Beginn des Projekts. „Wir wollten einen historischen Bezug, aber kein Retro!“ Paula Macedo Weiß erklärt den scheinbaren Widerspruch: „Ein Rosa muss ja nicht der exakten Farbe des Babydoll-Kleides meiner Mutter aus den 50ern entsprechen, um mich daran zu erinnern. Es kann trotzdem zeitlos sein.“ Da nicht jeder ein so sicheres Gefühl für Farbe hat (Macedo Weiß bekam

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Wir müssen reden! Tex t Karin Jaeger

Cheers! Als Grundton im Hauptquartier der experimentierfreudigen Craftbeer-Brauerei Mikkeller in Kopen­hagen wählte die Agentur Femmes Régionales süffiges Altbierbraun. Dazu bunte Retrositze, PantonLeuch­ten – und ein Zapftresen (nicht im Bild). Re. oben: Für die Textilfirma Kvadrat bezog Sevil Peach „Beetle“-Chairs und Wandpaneele mit eigenen Stoffen.


Stil Studio

Konferenzräume können ermüden oder einschüchtern. Oder aber zu Orten kreativer Kommunikation werden. Das hängt vom Team ab, vom Chef, vom Wetter – doch auch die Einrichtung bestimmt, ob der Austausch funktioniert. Wie gut, dass es dafür Experten gibt, die ihr Wissen gern teilen.

Fotos: Femmes Régionales, Mikkeller and Jens Langkjær; Ed Reeve; Noshe

K reativität und Kommunikation verhalten sich manchmal wie Katzen: Man stellt ih­ nen einen riesigen, teuren, schick design­ ten Kratzbaum hin – und die eigensinnigen Biester wetzen ihre Krallen stattdessen genüsslich am Lieblingslesesessel. Man in­ vestiert in einen aufwendigen Konferenz­ raum – und es herrscht betretenes Schwei­ gen, aber hinterher in der Teeküche haben plötzlich alle ganz viel zu erzählen. Möglicher Grund: Das Styling stimmt, doch die Atmosphäre geht trotzdem an den Bedürfnissen der Mitarbeiter vorbei. „Klei­ nen, vielleicht erst mal naiven Ideen lässt ein typischer Corporate-Konferenzraum, wo alles clean und geradeaus ist, nicht ge­ nug Raum“, sagt Alexander Fehre, dessen Stuttgarter Studio sich unter anderem auf die Gestaltung von Arbeitswelten spezia­ lisiert hat. „Mit aufwendiger Möblierung wird ja auch Status vermittelt“, bestätigt Wolfgang Hofmann, Geschäftsführer von Böhmler Büro und Objekt in München. „Solche klassischen Konferenzräume sollen eine gewisse Ehrfurcht vermitteln.“ Und sind damit in einer sich wandelnden Ar­ beitswelt oft nicht mehr zeitgemäß, in der es verstärkt darum geht, flexibel zu sein, auch mal querzudenken und Bestehendes infrage zu stellen. „Es liegt mittlerweile selbst großen Firmen viel daran, dass Mit­ arbeiter sich eher trauen, in Konferenzen oder Treffen etwas beizutragen“, hat Ale­ xander Fehre beobachtet. „Damit am Ende des Tages mehr Ideen herauskommen und ein bisschen mehr gewagt wird.“

D er Rahmen: von Technik bis Teppich

Aber wie lässt sich eine Umgebung gestal­ ten, die eine gute Kommunikationskultur fördert? „Was man immer unterschätzt, sind die technischen Belange“, sagt Fehre. Dazu gehört die Medienausstattung: „Es muss aufgeräumt sein, da dürfen keine Kabel rumliegen; und die Technik sollte super funktionieren – das ist heute Vorausset­ zung für alles.“ Mindestens ebenso wichtig: angenehmes Klima und perfekte Akustik. Gerade in Räumen mit viel Glas, Beton und anderen glatten Materialien „kann die Re­

flek­­tion Sie kirre machen“, warnt Werner Schmidt, Architekt und Kundenberater bei Böhmler. Abhilfe schaffen sogenannte ak­ tivierte Oberflächen, beispielsweise akus­ tisch wirksame Teppichböden und Wand­ paneele von Carpet Concept. Wer aus gestalterischen Gründen darauf Wert legt, kann auch einen traditionellen Kelim oder Knüpfteppich verwenden, sollte sich aber bewusst sein, dass der die Schallsituation nur marginal verbessert – „insbesondere nicht im hohen Frequenzbereich“, wie Schmidt erklärt (und auch nervös hin- und

Erst wurde das Berliner Pumpwerk zum Lapidarium, dann zum Konferenzsaal einer Kom­ munikationsagentur – „Die Magie würde fehlen, wenn man nur über Funktion nachden­ ken würde“, sagt Inhaber Christian Boros. „Lobby Chairs“ geben den Meeting-Bereichen Gewicht, Ólafur Elíassons Lichtobjekt für Zumtobel bringt Gedanken zum Schweben.

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Tex t Reinhard Krause

Der Prinz von Worpswede Auf dem Barkenhoff wurde Heinrich Vogeler zum Star des Jugendstils, der Häuser und fantastische Interieurs schuf. 126

D iese Geschichte geht nicht gut aus, gar nicht gut. Doch rund zehn Jahre lang ist Heinrich Vogeler so etwas wie der Märchenprinz des deutschen Jugendstils. Ein genialer Allroundkünstler, dem wie von Zauberhand alles gelingt, was er nur anfasst – ob er nun malt oder Radierungen anfertigt, Gärten, Häuser und Innenräume entwirft oder hunderterlei Dinge gestaltet, die den Alltag weniger gewöhnlich und

grau, dafür festlicher, bedeutsamer, einfach schöner erscheinen lassen. Heinrich Vogeler, 1872 in Bremen geboren, zählt zur kleinen Schar von Pionieren, die keine Trennlinie mehr ziehen wollten zwischen bildender und angewand­ter Kunst und deren Hervorbringungen sich zu einem alles umfassenden Gesamtkunstwerk steigern, das bis heute fasziniert. Auf der ersten Seite seines 2015 erschienenen Vogeler-Romans „Konzert ohne Dichter“ schreibt Klaus Modick: „Er steht auf, zieht den nachtblauen Morgenrock an, halb Ki-


Architektur Kulthaus Als Heinrich Vogeler 1895 eine alte Kate zum Barkenhoff um­ baute, entwarf er das repräsentative neue Portal zur ­Gartenseite. Heute beherbergt das Haus eine Dauer­ ausstellung zu sämt­ lichen Schaffenspha­ sen des Künstlers.

In jungen Jahren prä­ sentierte sich Hein­ rich Vogeler (1872– 1942) in nos­talgischer Aufmachung, re. im Stil Hoffmann von Fallerslebens. Unten sein Entwurf eines Speisezimmers aus dem Jahr 1909. Noch 1921 warb die Worps­ weder Werkstätte seines Bruders Franz mit diesem Design.

Fotos: Thomas Langreder / VISUM; Barkenhoff-Stiftung, Worpswede / AKG-Images; Porträt: Barkenhoff-Stiftung, Worpswede

mono, halb mittelalterliches Adelsgewand. Die Stickerei, ein im Dornendickicht schnäbelndes Nachtigallen­paar, hat er selbst entworfen, wie er alles, was ihn hier umgibt, selbst entworfen hat, vom großen Bett aus poliertem Birkenholz über die Lampen, Kerzenleuchter und Tapeten bis zur mattweiß gestrichenen Kommode.“ Das erste reine Vogeler-Geschöpf ist jedoch der Künstler selbst. Zahllose Foto­ grafien zeigen ihn als jungen Mann, zart­ gliedrig und kerzengerade, angetan mit

Vatermörderkragen und Gamaschen – fast meint man, Aufnahmen von David Octavius Hill vor sich zu haben, Daguerreotypien aus der Frühzeit des Mediums. Mit seiner Selbstinszenierung als Edelmann eines ima­ ginierten Biedermeiers macht sich Heinrich Vogeler zum Aushängeschild seines ästhetischen Programms und sichert sich zugleich die Aufmerksamkeit des Publikums. Das besteht anfangs, ab 1894, aus den Künstlerkollegen, die sich vor ihm in Worpswede niedergelassen haben,

Rainer Maria Rilke

„Ich sitze in einem ganz weißen, in Gärten verlorenen Giebelhaus unter schönen und würdigen Dingen, in Stuben, die voll von der Stimmung eines Schaffenden sind.“ 127


„Manche Leute halten unser Haus für das Kontrollzentrum der Wasserschutzpolizei in Treptow!“ Jedenfalls wirkt der Betonbau mit Glaskubus von Architektin Tanja Lincke so, als gehöre er hierher. Wenn auch Murakamis Blümchen aus dem Schlafzimmerfenster (links) lachen.

Es fliegt!

Tex t Simone Herrmann Produk tion Ralph Stieglitz Fotos Noshe


Berlin

Wuchtig steht es am Ufer der Spree, in Beton gegossen, unverrĂźckbar. Und doch ist dieses Haus mit dem Rundumblick aus Glas, das Tanja Lincke fĂźr sich, Anselm Reyle und ihre Kinder gebaut hat, so feinsinnig gestaltet, dass darin die Gedanken fliegen. 217


ARCHITECTURAL DIGEST

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Cover: Noshe;

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