AD 10/2018

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Best of Germany

Ton, Stahl, Licht und schmucke Stauden: Die große Stilreise Die neuen Meisterhäuser Wohnavantgarde von Sylt bis Selldorf

Oktober 2018 Deutschland 8 € Deutschland, Österreich / 13 SFr Schweiz

Bauhaus 2019 Die Moderne hat Geburtstag

Wir feiern rein – mit Gropius, Meyer, Mies und ihren wilden Erben


131 AD Award

132

Bewegung am Herd! Miniküche, Hauswirtschaftsraum, wet kitchen: Die Küche gewinnt an Komfort, Flexibilität – und Spaß.

I n h a l t

148

Blühende Farbfelder

O k t o b e r

142 Bad des Monats

144

Garten Eden mit Ärger-Prämie Mit dem Römischen Garten schufen die Warburgs ein grünes sans souci an der Elbe.

148

Belles de Jour Anspruchslos und doch so aristokratisch: Taglilien sind die Favoriten der Staudengärtnerei Gräfin von Zeppelin.

152

„Wo ich bin, ist Deutschland“ Thomas Manns Villa in Los Angeles wurde gerettet. Und mit federleichten Klassikern wieder zum Ort deutscher Kultur – und des Designs.

92

106

Fotos: Axel Killian / Staudengärtnerei Gräfin von Zeppelin; Hemmerle (2); Bauhaus-Archiv Berlin

Tanz den Oskar Schlemmer!

Aquamarin trifft Kupfer und Koralle

160

Meisterwerke aus Metall Wo Bronze Gold ist: ein Besuch bei der Berliner Bildgießerei Noack. 164 Bildende Künste

168

Dreieck und Quadrat Unbeachtet vom Männerclub De Stijl, schuf Lou Loeber ein spektakuläres Werk. Nun ist die Zeit reif für eine Entdeckung. 174 Grafik & Druck 176 Bücher

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198

Bild, schön! Annette Kicken hat ein fabelhaftes Auge für Fotografie – und ein großes Gespür für Design. So verzaubert die Galeristin ihre Wohnung in Berlin.

208

An der Nordseeküste … fand ein altes Seemannshaus den richtigen Architekten. Mit sorgfältig dosierter Sinnlichkeit macht Patrick Batek keine große Welle – und bringt trotzdem frischen Wind nach Sylt.

218

„Minimalismus langweilt mich zu Tode“ Interiordesigner Harry Clark über sein quirliges Berliner Apartment, den Stolz der Seventies. Und Ideen, bei denen er fast vom Fahrrad fällt.

226

Glam Rock in Köln

208

Sylter Reet

Die Vergangenheit ehren, die Gegenwart feiern und der Zukunft den Weg bereiten – all das verbindet die Architektin Annabelle Selldorf bei der Neuerfindung eines 100 Jahre alten Familienanwesens meisterhaft. 236 Summaries 240 Apropos 242 Genie & Spleen

81

Jan Kath goes Albers

179

Meisterhäuser Fotos: Janne Peters; Christoph Theurer; Jan Kath Design

180

Aurora Berolinensis Daniel Libeskind trifft Nils Holgersson: Die skandinavische Heimat des Hausherrn lieferte die Vorlage für ein Penthouse-Interior in Berlin, das die Architektur zum Tanzen bringt.

188

Auferstehung aus Ruinen Ein norwegischer Architekt und Konservator, ein Künstler aus Berlin und ein Gutshaus nahe der Ostsee: die Geschichte einer Rettung auf Rügen.

218

Bei Harry Clark

I n h a l t O k t o b e r


E d i t o r i a l

„Das Bauhaus wird 100! Spazieren Sie mit uns durch die Werkstätten und Meisterhäuser von heute.“

Foto: Wolfgang Stahr; Porträt: René Fietzek

O b Walter Gropius sich die Augen reiben würde? Spitz zulaufende Ecken, facettierte Erker, asymmetrisch abgeschrägte Fensteröffnungen, mit Schimmerfliesen belegte Fassaden, innen ein Vexierspiel stürzender Linien und waghalsiger Sichtachsen. Nein, kühl zurückgenommene Bauhaus-Kubaturen hatte Daniel Libeskind bei der Konzeption seines Sapphire sicher nicht im Sinn, des ersten Wohnhauses, das der New Yorker Architekt in Berlin realisiert hat. Wie schroffes Basaltgestein türmt sich die scharfkantige Wohn­skulptur gegenüber der BND-Zentrale an der Chausseestraße auf, wie ein unbezwingbares Gebirge, hoch oben reckt sich das wuchtige Eck des Penthouse selbstbewusst dem Himmel entgegen. Innen dominieren brauner Marmor und beiger Travertin die Böden, die Wände in mattblaues Indigo getaucht (oben und ab S. 180). Mittendrin eine sieben Meter hohe Wohnhalle, mehr Bühne als schmiegewarmes Boudoir, das Interieur in Rot, Orange und Petrol um den mächtigen verspiegelten Kamin arrangiert. Nein, im Geiste jener berühmten Designschule – der vielleicht wirkungsmächtigsten des 20. Jahrhunderts –, die im April 1919 unter ihrem ersten Direktor Walter Gropius gegründet wurde, ist

dieses irisierende statement piece wahrlich nicht entstanden. Und doch wäre es ohne die sagenumwobene Gestalterschule aus Weimar (mit weiteren Stationen in Dessau und Berlin), die nun ihren 100. Geburtstag feiert, kaum denkbar, brachten doch die Granden des International Style, wie er seit der legendären Werkschau 1932 im New Yorker MoMA heißt, ihre Ideen in die ganze Welt. Die Meisterhäuser von damals ruhen kubisch karg wie eh und je zwischen den Nadelkiefern in der Dessauer Ebertallee. Die von heute finden wir jedoch überall, in Köln ebenso wie auf Rügen oder Sylt und natürlich in Berlin. 100 Jahre Bauhaus, das ist für Design-Aficionados so etwas wie – verzeihen Sie den Vergleich – Fußball-WM und Olympische Spiele auf einmal, mindestens. Entsprechend groß ist die Zahl der Ausstellungen und Veranstaltungen im nächsten Frühjahr, auf die wir uns schon jetzt immens freuen. Statt nur in die Historie zu schauen, feiern wir hinein mit weit offenem Blick in unsere gestalterische Gegenwart. Wir haben sie einfach mal Bauhaus 2019 genannt und in freier Fortführung der damaligen Schulordnung in zehn Werkstätten eingeteilt. Ob in Metall, Weberei, Glas, Keramik, den bildenden Künsten, der Druckerei oder bei den Tischlern – die Meister von heute finden ihre eigene neue Einheit von Technik und Kunst, ganz auf der Höhe mit den alten Meistern. Walter Gropius reibt sich die Augen.

O liver Jahn

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Fotos: © Digital Image, The Museum of Modern Art, New York / Scala, Florence / Oskar Schlemmer (1888–1943): „Bauhaus Stairway“, 1932. New York, Museum of Modern Art (MoMA). Oil on canvas, 162,3 x 114,3 cm. Gift of Philip Johnson, 597.1942

W e r k s t ä t t e n Ästhetische Hintertreppe Ein neues Bauhaus in zehn Werkstätten: Wir läuten das Jubiläumsjahr 2019 mit einer Tour durch die Disziplinen ein, in freier Orientierung an der wegweisenden Gestaltungsschule, aber stets auf einer Stufe mit den Meistern von heute. Baulehre, Tischlerei, Metallwerkstatt – was ist geworden aus der neuen Einheit von Kunst und Technik? Ein Best of Germany der Macher auf der Freitreppe des Stils (o. imaginiert Oskar Schlemmer die „Bauhaustreppe“ in Dessau, 1932). AK

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Glöckchen aus Porzellan

Heiße Kisten Lamborghini-Gelb und British Racing Green! Die Öfen „Edmund“ und „Softedge“ haben einiges unter der kachel­besetzten Haube. Nämlich Rauchgaskanäle aus Schamottestein zur Wärmespeicherung, ab 9000 Euro. kaufmann -keramik.de

Gut in Form Gerhard Marcks leitete die Werkstatt, der Chef in Dornburg aber war Max Krehan (re. mit Brille). Er ließ auch Ex­pe­ rimente zu, et­wa Theodor Boglers Teekanne (o.).

… wecken Frühlingsgefühle! Wie Blütenköpfe verteilen sich die sechs filigranen Lichtkelche spielerisch entlang des u-förmigen Metallgestänges. Gefiltert durch das hauchdünne, unglasierte Porzellan legt das Licht einen weichen Schleier über alle Kon­ turen. „Moira“, das Maiglöck­ chen unter den Stehleuchten, ist Teil einer Lampenkollektion, die Sebastian Herkner zusammen mit der Porzellanmanu­fak­tur Fürstenberg und dem Licht­spe­zialisten Bankamp entwickelt hat. Preise auf Anfrage. FW fuer s tenb erg -p or zellan.com

B a u h a u s I k o n e

Werkstatt Keramik Große Worte kündigten große Taten an. „Wir alle müssen zum Handwerk zurück“, schrieb Walter Gropius 1919 im Bauhaus-Manifest. Um nicht die Nachteile der industriellen Produktion in Kauf nehmen zu müssen, Gegenstände aber immer noch in Serien herstellen zu können – was hätte sich dazu besser geeignet als Keramik? Andererseits war die vom Bildhauer Gerhard Marcks geleitete BauhausWerkstatt als einzige nicht im Weimarer Hauptgebäude untergebracht, sondern ungefähr 30 Kilometer weiter östlich in Dornburg an der Saale eingerichtet worden. Nach dem Umzug nach Dessau 1925 verzichtete Gropius sogar ganz darauf. Die Gründe dafür sind nicht ganz klar. Vielleicht liefen am Bauhaus mit seiner Tour durch drei Städte in 14 Jahren manche Dinge schlicht auch etwas chaotisch ab. Wer davon profitierte, war Dornburg: In der ehemaligen Bauhaus-Werkstatt wird noch heute Keramik gebrannt. UC

46

Fotos: Kaufmann Keramik; Porzellanmanufaktur Fürstenberg; Bauhaus-Archiv Berlin; Neue Galerie New York / Art Resource, NY / Bpk

K e r a m i k


K e r a m i k

1

Glänzend geformt und fein glasiert Schenk-Mischke seine Vasen „BTM Ceramics“ in einzigartige Formen, je 650 Eu­ro schenkmischke.com 2 Für Suppen oder Süßes: Milia Seyppels Porzellanschalen und -hauben „Chapeau“ in ­verschiedenen Höhen, Preis auf Anfrage ­ iliaseyppel.com 3 Imposant: Haifisch m „Bruce“ und Adler „Sam“ zieren die Platz­ teller der Rosenthal meets Versace-­Kol­ lek­tion „Le Règne Animal“, je 189 Eu­ro rosenthal.de 4 Berliner Designer wie Marilyne Blais („Turbie Tumbler“, 28 Euro) arbeiten im Studio Ceramic Kingdom ceramickingdomberlin.com 5 Balance­ akt: „Doppelwandgefäß“ von Gabi Ehrminger, 950 Euro ehrmingerkeramik.de

2

3 4

5 48

Fotos: Philipp Schenk-Mischke (5); Janne Peters; Rosenthal (2); Marilyne Blais; Felix Ehrminger

1 Mit Vibrationsplatten rüttelt Philipp


B a u l e h r e

Woher kommt die weiße Wand? Jeder kennt die puristischen Kuben der Moderne. Doch der „Bauhaus-Stil“ ist älter und facettenreicher, als man denkt.

Fotos: xxxxxxxxxx

Tex t Philipp Oswalt

116


Fotos: 4pi Systeme / Sto SE; Album / Fine Art Images / akg-images; Imagno / Getty Images

O

wahrhaftig. Begeistert berichtete der Wiener Architekt Josef Hoffmann 1897 im Anschluss an eine Reise nach Capri davon, bevor er 1904 mit dem Sanatorium West­ b im Fertighauskatalog oder in der Innenstadt von Tel end in Purkersdorf bei Wien eines der ersten weißen Aviv, den Bauhaus-Stil erkennt auch der Laie auf einen Gebäude im modernen Stil schuf. Und als Adolf Loos Blick: weiße Fassaden, kubische Bauformen, flaches sein legendäres Haus am Michaelerplatz errichtete, Dach. Weltweit gilt dies als Ausdruck der Architektur hatte er zuvor den Mittelmeerraum bereist, über den des modernen Industriezeitalters; sachlich und funk­ Balkan nach Griechenland und in die Türkei sowie tional, effizient hergestellt aus den neuen, industriel- nach Marokko und Algerien. 1908 schrieb er: „Wir halen Baustoffen Glas, Stahl und Beton. Und auch wenn ben das ornament überwunden … Bald werden die solche Gebäude aus den 1920er und 1930er Jahren vie- straßen der städte wie weiße mauern glänzen! Wie lerorts zu finden sind, gelten die von Walter Gropius Zion, die heilige stadt, die hauptstadt des himmels.“ fertiggestellten Bauhaus-Bauten in Dessau weithin als Drei Jahre später folgte Le Corbusier Loos’ Spuren und Ursprung dieser Architektur. Warum eigentlich? nahm bei seiner Voyage d’Orient unzählige AnregunDie weißen Fassaden lassen die Plastizität der Bau- gen des vernakulären Bauens und muslimischer Archikörper besonders gut zur Geltung kommen, weil sie tektur auf. In Istanbul resümierte er: „All diese Dinge alle Nuancen von Licht und Schatten sichtbar werden befanden sich unter der erhabenen Tünche aus weilassen. Zugleich erscheinen die Häuser monolithisch ßem Kalk. Die Formen waren klar; die fehlerlose Konwie aus einem Guss. Mit Ehrlichkeit und Materialge- struktion zeigte ihre ganze Kühnheit.“ Und als J. J. P. rechtigkeit allerdings hat das wenig zu tun, denn die Oud, der Pionier der weißen Moderne in den NiederBauten sind nicht aus weißem Beton gegossen, son- landen, 1916 / 17 an seinem Erstlingswerk arbeitete, der dern weiß verputzt, und dahinter befinden sich in der Villa Allegonda in Katwijk aan Zee, hielt auch er sich Regel eher konventionelle gemauerte Wände, unterbro- an Anregungen nordafrikanischer Architektur. Ganz chen von den Deckenplatten der einzelnen Geschosse. wie von seinem Auftraggeber Menso Kamerlingh OnReines Weiß als FarDer Putz verdeckt also eine aus vielen Elementen zu- nes gewünscht, schlugen sich diese nicht nur in einem be der Transzendenz: sammengesetzte Konstruktion. Diese Simulation erin- maurischen Zimmer nieder, sondern auch in der Ge- Kasimir Malewitschs nert an die Behandlung der Glasfassade des Bauhaus-­ staltung des Baukörpers insgesamt aus asymmetrisch „Weißes Quadrat auf weißem Grund“ Gebäudes, deren Scheiben Walter Gropius mit viel angeordneten, weißen Kuben. Arbeit und Geld von Hand hatte plan schleifen lassen, Bevor die avantgardistischen Architekten sich in oben war als supre­ ma­tis­tische Gottes­ damit sie wie ein präzises Industrieprodukt erschei- den 1920er Jahren auf die Ideologie einer funktionalis- dar­stellung gemeint. nen, auch wenn es modernes Floatglas noch nicht gab tischen Architektur versteiften, die eine angeblich dem Bereits 1909 schuf und Glasscheiben eben noch recht wellig waren. Ge- Zweck und der Konstruktion gemäße Gestalt realisier- Adolf Loos mit seischossbauten aus Beton zu gießen war damals jeden- te und in der die weiße Fassade als nackte, unverhüllte nem weißen Haus falls viel zu teuer und aufwändig, aber mit dem von Erscheinung des Baukörpers galt, begründete Adolf am Michaelerplatz u. eine Ikone der WieHand aufgebrachten flächigen Putz wollte man we- Loos seine weiße, modernistische Bauweise mit einem ner Moderne – lange nigstens denselben Eindruck erwecken. Jedenfalls so, konträren, aber weitaus plausibleren Architekturver- vor dem Bauhaus. wie man sich das eben vorstellte. Als man 30 Jahre ständnis. Der deutsche Architekt Gottfried Semper später dann tatsächlich ganze Bauten aus Beton zu fer- hatte in seiner Bekleidungstheorie von 1860 scharfsintigen begann, war die Ästhetik längst eine andere, und nig herausgearbeitet, dass sich in der Architektur die der Brutalismus hatte den Bauhaus-Stil abgelöst. Gestalt nicht quasi automatisch aus der Konstruktion Doch wieso setzte sich in den 1920er Jahren über- ergibt; im Gegenteil, grundlegend für die Architektur haupt die Vorstellung durch, ein modernes funktiona- sei das Prinzip der Bekleidung. Diesen Gedankengang les Gebäude müsse aus weiß verputzten Kuben beste- griff Loos auf: Für ihn war der weiße Kalkputz eine hen? Gropius und seine Mitstreiter am Bauhaus waren Art Maske; das Haus habe nach außen hin verschwiekeineswegs die Erfinder dieser Idee, die schon früher gen zu sein, die private Sphäre des modernen Indi­ in Mode gekommen war und mehr als nur einen Ur- viduums vor der Öffentlichkeit zu schützen. Das sprung hatte. Die wohl wichtigste Inspiration hatte ­erinnert an die weiße Schminke in der modernen mit moderner Technik nichts zu tun, ganz im Gegen- ­Pantomime von Jean-Gaspard Deburau bis Marcel teil: Es sind die weiß gekalkten Wohnbauten im Mit- Marceau, die alles Individuelle zurücktreten lässt und telmeerraum, in Griechenland, Rumänien, Süditalien das Universelle betont. und Nordafrika. Diese traditionellen, handwerklich Doch die Nichtfarbe Weiß war keineswegs neutral. ausgeführten Gebäude, unberührt von Kapitalismus Das schon seit dem Mittelalter herrschende Schön­ und Industrie, verkörperten für die Pioniere der klas- heits­ideal vornehmer Blässe, mit dem sich die Obersischen Moderne ein ganzheitliches Ideal im Rous- schicht von den körperlich und im Freien arbeitenden seau’schen Sinne. Aus einem Guss schienen sie eine Unterprivilegierten absetzte, erlebte in den 1920er Jahintakte, gemeinschaftliche Lebensform zu symbolisie- ren nach der Erfindung des modernen Make-ups ein ren, in ihrer Form ursprünglich, unverfälscht und Revival. Und die weißen Fassaden der Avantgarde

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B a u l e h r e


B a u l e h r e

Tex t Karin Jaeger

Bewegung am Herd! Miniküche, wet kitchen, Hauswirtschaftsraum: Die Küche gewinnt an Flexibilität, Komfort – und Spaß.


B a u l e h r e

W

Fotos: Annick Vernimmen / Obumex; Melanie Acevedo / Trunk Archive; Plain English

enn sich die Küche verändert, geschieht das in der Regel langsam, evolutionär. Korpusse wachsen, Hochschränke schrumpfen, die Mikrowelle wird durch den Dampfgarer ersetzt. Alles keine großen Umwälzungen, schließlich ist man bei einer Anschaf­fung fürs Leben oder zumindest für Jahrzehnte wenig geneigt, sich auf Experimente einzu­ lassen. Kommt es aber doch einmal zu einer deutlichen Transformation, dann sind es nicht technische, sondern gesellschaftliche Veränderungen, die sie anstoßen. Die letzten Metamorphosen liegen dem­ entsprechend schon ein Weilchen zurück: Nach dem Ersten und verstärkt nach dem Zweiten Weltkrieg revolutionierte die Ein­ bauküche den Familienalltag. Küchen soll­ ten effizient und pflegeleicht sein; Geräte und Vorräte platzsparend verstaut und je­ derzeit griffbereit. So befremdlich es heute erscheint, Konzepte wie die Frankfurter Küche waren neben den beengten Groß­ stadtverhältnissen auch damals fortschritt­ lichen Rollenbildern geschuldet. Die be­ rufstätige Frau sollte den Haushalt schnell und ergonomisch erledigen können. Dass sie dafür in einer geschlossenen Kabine vor sich hin werkelte, wurde in Kauf genom­ men. Bis – nächster „Megatrend“ – etwa ab den 80er Jahren die Küche in den Wohn­ raum zu wandern begann. Wenn man schon

In der „Osea“-Küche von Plain English links trennt ein schlichtes Gitter mit Glaseinsätzen den Vorratsbereich ab. Die von Miles Redd designte butler’s pantry in Atlanta o. bietet Spüle, Stauraum und viel Glamour. Linke Seite: die neue „Bibliotheks­küche“ von Grégoire de Lafforest für Obumex. Die Technik verschwindet, während Kochbücher, Keramiken, Silber oder Glas offen präsentiert werden können.

stupide Küchenarbeit erledigen musste, dann wenigstens in Gesellschaft. Die prak­ tische Resopalwerkstatt entwickelte sich zur repräsentativen Kochoase mit Früh­ stückstresen. Griffleisten verschwanden, Geräte wurden bündig eingelassen oder gleich in Schränken verborgen, und zuneh­ mend edle Materialien kamen zum Einsatz. Diese Entwicklung hält bis heute an. „Küchenräume werden kontinuierlich wohn­licher und öffentlicher“, sagt Jörg Overlack, Leiter der Markenkommunika­ tion bei Siematic. „Wir sind mitten in einer Evolution, von der offenen Küche zur kom­ pletten Verschmelzung von Küche und Wohnbereich“, ergänzt Stefan Waldenmai­ er, Vorstand von Leicht. Dazu gehört etwa, dass Türen raffiniert gedreht oder gefaltet werden und sich selbst gewaltige Kühl­ schränke grifflos auf leichten Druck öffnen; dass Bratdünste effizient abgesaugt werden,

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B i l d e n d e K ü n s t e

Unbeachtet vom Männerclub De Stijl, schuf die niederländische Malerin Lou Loeber ein spektakuläres Werk. Nun ist die Zeit reif für eine Entdeckung. Tex t Oliver Koerner von Gus tor f

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A uf einem meiner Spaziergänge Richtung Bauhaus-Gelände dehnte ich die Rundgänge etwas weiter aus und genoss die Wälder und Wiesen, an denen ich vorbeikam“, schreibt Lou Loeber, als sie ihre Erinnerungen 1980, drei Jahre vor ihrem Tod, festhält. „Plötzlich, nach einer Straßenbiegung, sah ich etwas Weißes zwischen den hohen Nadelbäumen glitzern. Als ich die Häuser erkannte, ich hatte Postkarten von ihnen, kamen mir Tränen in die Augen, wie es Lou Loeber malte die Moderne euphorisch wie einen Traum. Oben meint man, ins Atrium eines Bauhaus-Gebäudes zu schauen, tatsächlich zeigt „Grintgraver II“ von 1928 einen Arbeiter (blau) in einer Kiesgrube, die Farben orientieren sich an De Stijl.

Foto: Sebastian Schobbert

Die Welt in Dreieck und Quadrat


Foto: Sebastian Schobbert; Porträt: The Hague / RKD – Netherlands Institute for Art

B i l d e n d e

K ü n s t e

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Tex t Sally Fuls

Produk tion Ralph Stieglitz

Fotos Janne Peter s


Jünger, als sie aus­ sieht: Als das See­ mannshaus (linke S.: die Straßenfassade) 1691 gebaut worden ist, gab es die Trep­ pe rechts noch nicht, sie ist erst ein Jahr alt. Auch das Reet­ dach wurde neu ge­ deckt (binnen drei Wochen dunkelt das strohhelle Schilf nach), in die Fenster wurde gewölbtes Glas eingesetzt, um die historische Äs­ thetik bestmöglich zu unterstützen.

S y l t

An der Nordseeküste

… fand ein altes Seemannshaus den richtigen Architekten: Mit sorgfältig dosierter Sinnlichkeit macht Patrick Batek keine große Welle – und bringt trotzdem frischen Wind auf die Insel.

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Sonderhef t Ok tober 2018

Handgemacht Von Korbstuhl bis Kajak: Wahre Meister und ihre Geschichten


Handgemacht

14 Das Erbe hochhalten Töpferwaren und Teppiche von Melissa Ávila.

Architectural Digest. Stil, Design, Kunst & Architektur erscheint in der Condé Nast Verlag GmbH Oskar-von-Miller-Ring 20, 80333 München Telefon 089 38104-0 mail@condenast.de, www.condenast.de ad@admagazin.de, www.admagazin.de Chefredakteur Oliver Jahn Verantwortlich für den redaktionellen Inhalt Redaktion Stv. Chefredakteur & Style Director Dr. Simone Herrmann Leitung Andreas Kühnlein, Judith Pretsch (Editorial Design) Art Director Inka Baron Managing Editor Eike Schrimm Photo Director Ralph Stieglitz Stil & Textredaktion Mona Bergers, Florian Siebeck, Nina Luisa Vesic, Friederike Weißbach Bildredaktion Thomas Skroch (Stv. Leitung), Isa Lim Assistenz der Chefredaktion Johanna Hänsch Mitarbeiter dieser Ausgabe Reinhard Krause, Carola Plappert Autoren dieser Ausgabe Larissa Beham, Dr. Antje Korsmeier Fotografen dieser Ausgabe Lucas Allen, Leonhard Rothmoser (Illustrator), Danilo Scarpati, Debi Treloar Büro Mailand Anna Riva, Paola Dörpinghaus Tel. +39 02 29000718, p.dorpinghaus@condenast.it Büro New York Christina Schuhbeck Tel. +1 212 2866856, christina_schuhbeck@condenast.com Schlussredaktion / Dokumentation Lektornet Syndication syndication@condenast.de

6 Der Mann, den sie Löffel nannten Barn the Spoon aus London ist der Vordenker eines weltweiten Schnitz-Revivals.

ab 10

28 In neuem Glanz

Publisher André Pollmann

Wie man Midcentury-Möbel richtig pflegt und restauriert.

30 Birth of a Boat In Seattle baut Kiliii Yuyan neue Kajaks nach uraltem Vorbild.

Aus der Werkstatt

34

Meister ihres Fachs – Atelierbesuche bei Woodworkern, Teppichknüpfern und Lehmputz-Virtuosen.

Drei Werkstätten treten an, Rattankunst aus Europa zu bewahren.

Die Hähne im Korb

ab 13

Vertrieb Alima Longatti, Head of Direct Marketing & CRM alima.longatti@condenast.de, Tel. -301 Einzelverkauf MZV GmbH & Co. KG, Karsten Reißner (Bereichsleitung)

AD Branchenbuch Der richtige Handwerker für jede Lebenslage: unsere Übersicht der besten Polsterer, Schreiner, Maler und Bodenleger.

22 Fantasie, frisch gepresst Die aufregenden Entwürfe aus der Druckwerkstatt der Bonfield Block-Printers.

4

Anzeigen / Vermarktung Sales Christina Linder, Head of Sales christina.linder@condenast.de, Tel. -430 Christine Weinsheimer, Head of Digital Sales christine.weinsheimer@condenast.de, Tel. -466 Brand Advertising Andrea Latten, Brand Director Vogue & AD andrea.latten@condenast.de, Tel. -276 (verantwortlich für Anzeigen) Marketing Angela Reipschläger, Head of Marketing angela.reipschlaeger@condenast.de, Tel. -793 Ingrid Hedley, Marketing Director ingrid.hedley@condenast.de, Tel. -142 Kathrin Ölscher, Marketing Director kathrin.oelscher@condenast.de, Tel. -746 Creative Studio Chris Riss, Head of Creative Studio christian.riss@condenast.de, Tel. -476 Advertising Operations Katharina Schumm, Head of Revenue Management, Ad & Marketing Service katharina.schumm@condenast.de, Tel. -135

20 Wie gemalt Stil-News aus Ateliers und Manufakturen.

Herstellung Leitung Lars Reinecke, Director Production Digitale Vorstufe / Druck Mohn Media, Mohndruck GmbH Carl-Bertelsmann-Straße 161 m, 33311 Gütersloh Unternehmenskommunikation / PR Ines Thomas, Director Corporate Communications presse@condenast.de, Tel. -413 Finanzen Roland Riedesser, Finanzdirektor Herausgeber und Geschäftsführer Moritz von Laffert Chairman Condé Nast International Jonathan Newhouse

Cover: Debi Treloar für „Löffel“ / AT Verlag; Foto: Melissa Ávila; Illustration: Leonhard Rothmoser

Inhalt

Redaktion admagazin.de Andreas Kühnlein (Leitung), Valerie Präkelt


Löffelschnitzen, sagt Barn the Spoon, bringt einen zwangsläufig dem Wald näher. Zum Einstieg braucht man nur eine minimale Aus­ stattung (re. S.): Hau­ klotz, Axt, ein gerades Messer und eines mit gebogener Klinge für die Laffe. Den Rest be­ sorgt geduldiges Üben.

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Mit Grünholz zu arbeiten ist wie ein Zwiegespräch mit dem Material

Der Mann, den sie Löffel nannten Barn the Spoon ist der Vordenker des Schnitz-Revivals.

Tex t Andreas Kühnlein Fotos Debi Treloar

E

in einfaches Werkzeug erfährt seit ein paar Jahren eine eigenartige Renaissance. So viele Facetten entdeckt mancher an ihm, dass er sich ihm ganz und gar verschrieben hat. Dem einen ist es Hobby, dem anderen Lebensunterhalt, allen gemeinsam Leidenschaft. Die Rede ist – vom Löffel. Er ist das älteste Essbesteck des Menschen und wohl das Erste, das er als Kind in Händen hält. Seine Geschichte geht um die ganze Welt und reicht bis in die Steinzeit zurück, man hat ihn aus Knochen gefertigt, aus Muscheln, Ton, Porzellan und natürlich Metall. Vor allem aber aus Holz; hölzerne Löffel gab es bei den Kelten, hölzerne Löffel rühren bis heute Suppe oder Eintopf.

Barnaby Carder trägt seinen Beinamen „The Spoon“ mit Stolz und zu Recht. Der Londoner Woodworker ist so etwas wie der Frontmann der neuen Löffelbewegung, und unter seinem Schnitzmesser entstehen jeden Tag wahre Kunstwerke; einfach sind sie nur auf den ersten Blick, spätestens auf den zweiten sieht man die Präzision hinter jedem einzelnen Schnitt, die Eleganz der Linien, die ausgewogenen Proportionen. Das, sagt Barn the Spoon, sei der Reiz an der kleinen Schüssel mit Griff: die Einfachheit, deren Verfeinerung ungeahnte Tiefen bereithält. Mit gut zehn Jahren Erfahrung ist The Spoon schon ziemlich gut, den perfekten Löffel aber, sagt er, habe er noch nicht gemacht. Wird er wohl auch nicht, weil es ihn gar nicht gibt, den einen, an

dem nichts mehr zu verbessern wäre. Der Holzschnitzer arbeitet mit seinen Händen an einem natürlichen Material – Grünholz, wie man das frisch geschlagene Holz nennt, das noch gut zur Hälfte aus Wasser besteht. Das ist nicht der Ort für Perfektion. Eher: für Achtsamkeit, Anpassung an das Gewachsene, Augenmaß. Nicht immer ist das Schöne das, was keine Abweichungen zeigt. Vor einer Weile hat Barn the Spoon ein Buch darüber geschrieben, das gleichermaßen Leitfaden für Einsteiger wie Manifest der Maker-Bewegung ist, ein Plädoyer für das menschliche Maß und mehr Nähe zum Ding. Das ist es wohl auch, was so viele ihm folgen lässt, die Erfahrung, mit den eigenen Händen etwas Bescheidenes und doch gleichermaßen Schönes wie Funktio-

7


Aus der Werkstatt

Letzte Hülle

Handelsübliche Urnen sehen aus wie plumpe Sportpokale, einfach trostlos! Aber nun gibt es eine Alternative mit Seele. Die duftig-luftigen Urnen der Leipzigerin Kristina Rothe sind aus handgegossenem Papier. 350 bis 1200 Euro. kris tinarothe.com

Bonbons

… inspirierten Ana Kraš (o.) zu ihren gleichna­ migen Leuchten. Den bunten Korpus be­ spannt die aus Belgrad stammende, in New York lebende Designerin von Hand. Auch die Mood-Fotos dazu (u.) schießt sie selbst.

Uuund … cut! Natsuki Ishitanis Massivholzmöbel kann man in Europa zwar nicht bestellen, dem japanischen Schreiner aber bei seiner faszinierenden Arbeit zusehen – auf Youtube. te cori.com

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Fotos: Kristina Rothe; Ishitani Furniture; Ana Kraš; Porträt: Jody Rogac

anakras.com


Gut im Stoff – unsere Raumausstatter & Polsterer

Da sitzt jeder Stich Münchens Interior-Duo Hoyer & Kast steht für Home Couture in raffinierter Handarbeit.

Z

um einen ist da der Showroom. An der I­ smaninger Straße kann man stundenlang inmitten von Stoffen und sorgfältig kuratierten Wohnaccessoires stöbern und sich von Jan Hoyers Gespür für die eigenen, vielleicht noch vagen Vorlieben überraschen lassen. Hinter den Kulissen werden Bettüberwürfe, Faltrollos und Vorhänge komplett von Hand gesäumt. Der Clou bei Letzteren ist die traditionelle, heute nur noch selten angewandte Verarbeitung: Statt eines Faltenbandes wird ein versteifter Stoff eingenäht, zudem wird jede Falte einzeln gesteckt und genäht. Warum dieser Aufwand? Er ermöglicht Faltenformen wie Kelch, französische Falten oder Kellerfalten. Die Schönheit liegt im Detail. hoyer - kas t .com

Hand anlegen ist auch Chefsache: Tom Hoyer-Kast (o.), der in klassischen Techniken der Vorhangverarbeitung geschult ist, bei der Arbeit. Der Aufwand macht sich bezahlt: „Ein handgenähter Vorhang fällt einfach ganz anders“, ist Hoyer-Kast überzeugt.

Adressen

Designt und zugenäht Krebes

Imme Witt

Neuraum

Feinste handgefertigte Vorhänge und Polsterarbeiten nach Wunsch.

Ob Polster oder Sonnenschutz – die richtige Stoffauswahl ist bereits die halbe Miete, sagt Imme Witt. Und hilft.

München. Eine Besonderheit sind die prächtig-praktischen Außenvorhänge.

B erlin.

raumunikat .de

Hamburg.

neuraum - einrichtung.de

p ols terei-imme -wit t .de

Foto: Svea Kemper

Phildius

Wagenpfeil Eiting Räume

D üs seldor f. Fensterdekorationen werden aus Dessins der aktuellen Kollektion gefertigt – oder aus traditionellen Stoffen.

Kö ln.

Handgewebte Seide bis venezianischer Damast – Eiting verarbeitet alles.

München. Handwerkskunst als Familien­ tradition: Sitzmöbel werden mit feinen Stoffen, Leder oder Rosshaar bezogen.

phildius - raumaus s tat tung.de

eitingraeume.de

wagenpfeil - raumaus s tat tung.de

13



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