AD 11/2018

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ARCHITECTURAL DIGEST. Stil, Design, Kunst & Architektur Coup de foudre Wie Frauke Meyer Liaigres klare Linie weiterführt

Strahlend schön

60 Leuchten, die Lust auf dunkle Tage machen

Künstlerturm

Wien und sein erstes „Hochhauserl“

Ganz einfach November 2018 Deutschland 8 € Deutschland, Österreich/ 13 SFr Schweiz

Von der Kraft des Wesentlichen

Eigensinnig

Stilberatung mit Mary Poppins, Le Corbusier und Steve Jobs

Deutschland  November 2018 / 8 Euro


Inhalt November 90 Praxis Küche

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Architektur 94

Projekt Neu trifft Alt. Das Recycling-Ferienhaus von Ortúzar Gebauer auf Chiloé. 98 Radar

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Kulthaus Ein Ort für Diven und Freigeister: Wiens erstes Hochhaus in der Herrengasse.

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Unter Fresken

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Panorama 110

Reise Aus einer einstigen Papstresidenz in Rom wurde eine fulminante City-Lodge.

27 Editorial 28 Agenda 32 Impressum 37 Entdeckung 39 AD stellt vor

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Ein Haus für Liaigre! Kreativchefin Frauke Meyer und ihre Maison.

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Stil

Man-made: die Kunsthandwerksmesse Homo Faber in Venedig.

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81 Award

Vom Wandblaker aus Messing bis zum LED-glimmenden Glasblock: Der Herbst erstrahlt im Glanz neuer Leuchten.

Studio

Special Leuchten Cover: Paul Massey; Fotos: Giovanni De Sandre; Brooke Holm; Ryan Gould; Gio Ponti Archives

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Porträt

58 Thema 60 Talent 62 Projekt B & B Italia 64 Adresse

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Porträt Zu Besuch bei Louis Vuittons Meisterparfumeur Jacques Cavallier Belletrud in Grasse.

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Projekt „Tutto Ponti“: Paris entdeckt das Werk des großen Gio Ponti.

Projekt

Die neuen Leuchten

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Macht der Streifen: die neue Lust an Wänden mit Fries und Bordüre.

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Kippeln mit Gio

116 Reise Neuheiten

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Kunst Hans Christian Andersen erzählte seine Märchen nicht nur mit Worten, sondern auch mit der Schere. 124 Ausstellungen 128 Bücher 132 Mobil Grand Basel 136 Mobil Porsche

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Inhalt November 141

Leben 142

Zwei Seelen, ach! 180

Baden in Bath

Als Künstler und Gestalter hat Christian de Beaumont zwei Identitäten. Sein Pariser Appartement vereint sie beide.

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Blick in die Zukunft Nach aufwändiger Restaurierung ist Le Corbusiers Studioapartment in Paris wieder für Besucher zugänglich.

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Insel Zauber Auf Sark gelten noch die Gesetze Wilhelm des Eroberers, doch im Garten der Seigneurie blüht die Anarchie!

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Herr & Frau Geerlings 166

Eine Ikone am Strandweg

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Samba de Jorge

Wie der Architekt René Fernandes ein Interieur des großen Jorge Zalszupin in Garujá neu erstrahlen lässt.

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Perfekt imperfekt Ein marodes Lagerhaus und ein Architekt, der Fragen gern offenlässt: Thomas Geerlings’ Amsterdamer Townhouse.

Fotos: Paul Massey; Kasia Gatkowska; Filippo Bamberghi / Photofoyer

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Sense & Sensibility Auf den Hügeln von Bath: Ein stattliches Herrenhaus aus der Zeit Jane Austens fand zurück zu alter Größe.

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Unter dir die Stadt Regisseur André Godoi wohnt ganz oben in Oscar Niemeyers Edifício Copan. São Paulo liegt ihm dort zu Füßen. 198 Apropos 199 Summaries 202 Genie & Spleen

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AD Editorial

„Händische Arbeit ist dabei auszusterben. Die Kunst des Handwerks zu bewahren ist aber überlebensnotwendig!“

Foto: Tomas Bertelsen; Porträt: René Fietzek

M it sehr bestimmten Worten bat Johann Rupert um Ruhe. Zu wichtig sei der Anlass, so der Chairman des Luxuskonzerns Richemont, als dass sie vom Gemurmel der anwesenden Gäste hätten verschluckt werden dürfen. Was dann folgte im weitläufigen Innenhof eines ehemaligen Klosters auf der venezianischen Insel San Giorgio Maggiore – heute Sitz der Fondazione Giorgio Cini –, war für das illustre Publikum eine Überraschung. Zur Eröffnung nämlich der umfangreichen Messe Homo Faber, einer mit höchstem Aufwand umgesetzten Schau europäischer Handwerkskunst, fand der Südafrikaner sehr politische Wor­te – ungewohnt in diesem Metier. Die Welt stünde erkennbar am Abgrund nach all den wirtschaftlichen und politischen Verwerfungen der letzten zehn Jahre. Mit offenem Ausgang. Zugleich zeichne sich mit der rasend zunehmenden Automatisierung menschlicher, händischer Arbeit eine Revolution ungeahnter Dimensionen ab, deren Folgen noch nicht absehbar seien. Rupert hat zusammen mit seinem alten Weggefährten Franco Cologni die Michelangelo Foundation gegründet, die jetzt in Venedig, der Stadt der Seidenweber und Glasbläser, mit einem heh-

ren und zugleich erstaunlich politischen Auftrag an die Öffentlichkeit getreten ist: Die immens beeindruckende Leistungsschau möchte nicht bloß eine besonders fein herausgeputzte Bühne sein für das, was die menschliche Hand an Schönem und Wohlproportioniertem zu leisten imstande ist, kein hochgezüchteter Kunsthandwerksmarkt für die, denen jedes Produkt von der Stange ein Graus ist. Die Rede von Johann Rupert, dessen Marken wie Cartier, Montblanc oder Van Cleef & Arpels überzeugend unprätentiös untergemischt wurden (sehr unwerblich, allein auf die Werkbänke der Handwerker reduziert), hat das Thema Craftsmanship noch einmal ganz neu aufgeladen – als Potpourri über Jahrhunderte ­gepflegter menschlicher Fähig- und Fertigkeiten, die es mit aller Macht und Emphase zu schützen gilt. Zu retten! Ein Anfang ist gemacht, alle zwei Jahre soll die Veranstaltung nun artisans aus aller Welt mit Designern wie India Mahdavi zusammenbringen, die als Hohepriesterin des Rattangeflechts mit einer spanischen Manufaktur eine von Henri Rousseau inspirierte Traumarchitektur vorgestellt hat (o. li. und S. 74). Alte Gewerke mit aktuellen Designern in die Gegenwart heben, darum geht es. Neue Talente finden, Lehrlinge, Menschen, die die Fackel weitertragen. Und um nicht weniger als das Bewahren lebensnotwendiger Kulturtechniken. Was für eine Aufgabe. So endlos wichtig.

O liver Jahn

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Stil

Special Leuchten, Thema, Talent, Projekt, Porträt, AD Award, Studio und Praxis

Das Licht ist los! Der Standort einer Leuchte verhieß einst Endgültigkeit: Hier sollst du stehen, hier sollst du scheinen, und bleib bitte, wo du bist. Doch dann kamen Akku, LED und Bluetooth – und versetzten die Eckensteher in Bewegung. Je besser diese Technik, weiß man bei Tobias Grau, desto raffinierter das Design: Bei „Lipstick“ (900 Euro) wurde ein weißer Mikadostab in knutschmundrotes PC-Glas gedippt. Sie kann locker lehnen, lässig liegen und findet natürlich auch Halt an der Wand. Alles (!) ist erleuchtet. SF

Foto: Simon Menges / Tobias Grau

tobiasgrau.com

Redak tion Simone Herrmann und Sally Fuls

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Special Leuchten 2

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Spaceballs 1 Galaktisch: „Melt Blue“ aus poliertem Polycarbonat, 470 Euro tomdixon.ne t 2 „Bulbullias“ Lichtbläschen blubbern ab 2019 luc eplan.c om 3 Glaskuppel „Teo“ auf Marmorsockel, Preis auf Anfrage miliaseypp el.c om 4 „Gople“ (Design: Bjarke Ingels

Group) lässt Pflanzen wachsen, Preis auf Anfrage ar temide. com 5 „w171 alma“ kann pendeln oder direkt an der Wand oder

5

Decke montiert werden, 428 Euro was tb erg.com 6 „Enigma“ gibt es jetzt auch in Schwarz, in drei Größen ab 620 Euro louisp oulsen.de 7 Strahlende Aura für die Wand: Serien. Lightings „LID“, je 380 Euro serien.com 8 Effektvoll: „Rising“ mit diversen Farbfiltern, ab 726 Euro millelumen.de KJ

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Fotos: Peer Lindgreen; Luceplan; Silke Zander; Pierpaolo Ferrari /  Artemide; Johan Kalén; Louis Poulsen; Serien.Lighting; Millelumen

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Special Leuchten

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Strom-Linien

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Fotos: Lauren Coleman / The Future Perfect; Brooke Holm; DCW Éditions; Ozone; Atelier de Troupe; WonderGlass; Daniel Seung Lee

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1 Zauberei: Lüster „Oz“ von Bec Brittain und John Hogan, 54 800 Dollar, über the futurep er fe c t .com 2 Tonfolgen inspirierten Luca Nichetto zu „Legato“, Preis auf Anfrage, über mat termade.us 3 Auf Stahl reflektieren die Appliken „In The Sun“, ab 294 Euro dcwe.fr 4 Joseph Dirands goldglühender „Phenix“ für Ozone, 3546 Euro, über lumis o l.c om 5 „Alice“ hängt in einem Korsett aus geschwärztem Messing, 11 000 Euro atelierde troup e.com 6 Schattentänzer: Raw Edges' Tischleuchten „Horah“ aus Glas, limitierte Edition (je ab 4900 Euro) für wonderglas s.com 7 Straßenlicht imitieren „Glow“ und „Beam“ mit Harzlinsen, ab 4605 Euro p elle de signs.com MB


Die Macht der Streifen Weiße Wände waren (hoffentlich) nicht der Schlusspunkt der Wohn-Evolution. Wir erkunden die neue Lust an Fries, Bordüre und raffiniertem Colorblocking! Tex t Karin Jaeger


Stil Studio 5

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Dialoge: links eine Wand im Studio von Josephine Akvama Hoffmeyer (bordeauxrote Fliesen und Tapete „Berber“ von File Under Pop). Oben: In seinem sizilianischen Palazzo legte Dario Longo Belle Époque-Fresken frei – und beließ die dicken Farbschichten späterer ­Einrichtungsphasen als blau gestrichenes Passepartout.

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Fotos: Iksel; Cole & Son (5); Zuber (3); Alessandra Ianniello / Living Inside; Ditte Isager

nen Tapetenboom kam mehrfarbige Wand- Ob der Tapetenfries wirklich wiederkommt? Wenn ja, dann bitte so! 1, 2 + 8 Verschlungen: 2 gestaltung in Mode; zugleich schrumpften „Roman Mosaics 6“ (433 Euro / m ) von Iksel (über Hoyer & Kast), „2793“ (Preis auf Anfrage) von Zuber und „Queens Key“ (je 39 Euro / Rolle) von Cole & Son. 3 + 6 Frische Brise: Cole &  die geschnitzten Boiserien auf den komSons „Jaspe Border“ und „Scaramouche“ (29 bzw. 49 Euro / Rolle). 4 + 7 Plastisch: „Tudor pakteren Lambris, der den oberen Teil der Rose“ von Cole & Son und Zubers „1503“. 5 Nachtaktiv: „Nottambule“ (164 Euro / Rolle) aus Wand frei lässt und so neuen Gestaltungs- Cole & Sons Serie „Fornasetti II“. 9 Blütenfrisch: „20097“ von Zuber (Preis auf Anfrage). spielraum eröffnete. Der dann mit dem Aufkommen des Bauhaus-Stils dem Ideal ­bauliche Schwächen oder betonen Stärken, fühl von Geborgenheit stiften kann. Wer der klaren, neutralen weißen oder zumin- verändern Proportionen und machen Räu- sich für eine detailreichere Gestaltung entdest monochromen Wand geopfert wurde – me leichter „lesbar“, indem sie einzelne scheidet, kann Räume jedoch auch gera­ aber das ist eine andere Geschichte. Elemente hervorheben. Ein hoher Raum dezu „aufwecken“, sagt Josephine AkvaGeht man heute mit frischem Blick da­ kann durch farbliche Unterteilung oder ei- ma Hoffmeyer, Interior-Consultant und ran, Wände mehrfarbig zu gestalten, kann ne Bordüre in Schulter- oder Türhöhe auf Gründerin der in Kopenhagen ansässigen man sich formal durchaus auf das reiche menschlicheres Maß gebracht, ein enges Farben- und Fliesenfirma File Under Pop. Erbe beziehen. Und unter anderem lernen: Zimmer mit Trompe-l’Œil-Ausblicken „ge- „Und das bewirkt wiederum, dass auch die Rahmen, Leisten oder Friese sind praktisch weitet“ werden. Eine umlaufende dunklere Bewohner sich wacher fühlen.“ nie rein dekorativ, sie beeinflussen im- „Banderole“ beruhigt tendenziell, indem sie Dafür ist es wichtig, zunächst die „Seele mer auch die Raumwirkung. Sie verdecken einen klaren Horizont schafft und ein Ge- des Hauses“ zu erforschen, wie es Hoff-


Küche des Monats Redak tion Karin Jaeger und Mona B erger s

Tex t Karin Jaeger

D e signer:

Stevens Lawson Architects O r t:

Waiheke Island, Neuseeland Materialien:

∙S ägeraue, ungleichmäßig breite Zedernlatten, die von der Außenhaut ins Innere fortgeführt werden ∙A rbeitsplatte aus geschliffenem Granit ∙ Terrazzoboden Aus s tat tung:

∙ I nduktionskochfeld, Back­ofen und zwei „Dish Drawer“ zum Geschirrspülen von ­Fisher & Paykel (seit Kurzem auch in Deutschland er­hältlich, f i s h e r p ay k e l . c o m ) M öb el:

Das macht sie b e sonder s:

Drinnen oder draußen? In diesem Ferienhaus verschmilzt beides. Zedernplanken leiten von der Fassade in Küche und Essbereich, Terrazzo verstärkt das Outdoor-Gefühl. Und vor den offenen Terras­ sentüren rauscht der Ozean.

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Fotos: Mark Smith (2); Allude (2); Please Wait to be Seated; Michael Pflüger; Martina Björn Studio (2); Sigmar London; Peugeot Saveurs; Emil Monty Freddie; Georg Jensen; David Design; Authentics; Kaëll; L:A Bruket

∙B arhocker „Morph“ (aus amerikanischem Nussbaum) von Zeitraum ∙T ulip-Tisch von Knoll International mit Vintage-­ Stühlen von Niels Bendtsen


Stil Praxis 1

Salz- & Pfeffermühlen

Streueffekt #picobello 2

W interzeit ist Kaschmirzeit. Damit Pul­ lover und Plaids aus dem Unter­flaum der Kaschmirziege uns weich und warm durch die kalte Zeit bringen, brauchen sie artgerechte Pflege. Auch wenn es ihnen manchmal unterstellt wird: Zickig sind sie kaum. Häufiges Waschen etwa schadet nicht – bei höchs­tens 30 Grad. Eine Maschine mit modernem Wollprogramm (etwa Mie­­ les „W1 Passion“ mit Wiege­tech­nik) ist dabei sogar sanfter als Hand­wäsche. Wer seinen flauschigen Gefährten et­ was gönnen möchte, greift statt zu Woll­ wasch­mittel aus dem Supermarkt zu fein duftendem „Sham­poo“ aus natür­ lichen Sub­ stan­ zen von L  :  A Bruket (250 ml um 19 Euro, über ludwigb e ck. de ), Kaëll oder Allude (500 ml je um 28 Euro, kae ll.de; allude -­c a s hm e r e. com ). Einen Schleudergang – bei nied­ riger Um­dre­hung! – stecken die feinen Fasern danach locker weg. Anschlie­ ßend entspannen sie sich am liebsten liegend, man sollte sie also zum Trock­ nen nicht aufhängen. Dem berüchtig­ ten Pilling gebietet man mit einem spe­ ziellen Kamm schonend Ein­halt (oben, 7 Euro). Und entwickelt sich ein Stück trotz liebevoller Pflege zum Sorgen­ kind: Mottenlö­ cher und gerissene Nähte verarzten die Profis der Allude Cash­mere Clinic (Christophstr. 6, Mün­ chen, c ashmere - clinic.com ) – Wa­schen, Steamen, Pflegen inklusive.

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Pikante Neuheiten: 1 Handgearbeitete Minimühle mit Messingwimpel, 130 Euro michael-pflue ger.de 2 Marmormörser von Studio Wieki Somers (bald erhältlich) und Kunstharz-Turm von Maarten Baas, 129 Euro. Beide vale rie - obje c t s .c om 3 Moulin Rouge: Peugeot-Klassiker „Paris“ in Chilirot, 30 cm, 55 Euro de.p euge otsaveur s.com 4 Michael Anastassiades’ „Italic Mill“ aus Messing wird in der Werk­ stätte Carl Auböck hergestellt, je 575 Pfund sigmarlondon.com 5 Glänzend: Streuer-­ Duo „Alfredo“, 120 Euro ge org jensen.com 6 Mühlen „Tête-à-tête“ aus Esche, je 82 Euro davidde sign.se 7 „2Hot“ wird seitlich mit Pfeffer, Salz oder Gewürzen befüllt, 30 Euro authentic s.de 8 Set „My Salt & Pepper Mill“ aus Buche, 75 Euro oyoy.dk 9 Set „PS. Grind“ mit Messingtaille, 110 Euro pleasewait tob e seate d.dk

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Patchworkhaus In einem Ferienhaus auf Chiloé recycelten zwei junge Architekten handwerkliche Traditionen und aussortierte Materialien – und machten daraus etwas überraschend Neues. Tex t Andreas Kühnlein Fotos Federico Cairoli

Am Anfang war die Treppe: Sie stammt aus dem Restaurant der Hausherren in Santiago de Chile. Mit den Glasfronten und transluzenten Dachpaneelen maximierten die Architekten den natürlichen Lichteinfall; an kühlen Tagen trägt dies zur Heizung des 200 Quadratmeter großen Gebäudes bei.

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Architektur Projekt

aus den Flammen retten konnten, gehörte eben jene Stiege, die nun das Zentrum der Casa Pollo bildet. Sie ist längst nicht das einzige Element des Hauses, dessen Geschichte weit über das Alter des Baus hi­ nausreicht: „Unsere Auftraggeber“, erzählt Gebauer, „haben eine ganze Sammlung von Salvages aus alten Häusern.“ Dielen, Teile der Holzbalken, einige Türen und Fenster stammen daraus und laden den Holzbau mit geliehener Historie auf. Zuallererst sind es allerdings die rostigen Zinkplatten, die einem ins Auge fallen. Die Architekten retteten das Material vom Schrott – fast die gesamte zur Zufahrt zeigende Fassade ist damit verkleidet. Ihr charakteristisches Rotbraun lässt das Haus wie eines der hier typischen Lagerhäuser erscheinen, auch wenn der sachte Knick im sonst rechteckigen Grundriss schon andeutet, dass sich ein komplexerer Bau unter dem Wellblech verbirgt. Die vom Wetter gezeichneten Platten schließen die Front fast vollständig ab und schützen das Innere so vor den Blicken neugieriger Nachbarn. Ihre Herangehensweise, sagt Tania Gebauer, haben sie und ihr Partner Eugenio Ortúzar aus dem Ort entwickelt, aus der Landschaft und den Traditionen jener fruchtbaren, regenreichen Insel vor der schier unendlichen chilenischen Pazifikküste. Mit ihrer Architektur suchen sie nach nachhaltigen, reduzierten Lösungen, Das auskragende Obergeschoss o. schützt den darunterliegenden Eingang vor Wind und Wetter. Auf der Rückseite öffnet sich die komplett mit rostroten Zinkplatten verschalte Fassade auf ganzer Breite und gibt den Blick aufs Meer frei, etwa unten im Schlafzimmer.

D as Typischste an Chiloé?“ Tania Gebauer überlegt. „Der Regen.“ Er gehört zum Leben auf der Insel wie die Luft zum Atmen. Chiloé ist eine Insel der Bootsbauer, der Fischer und Kartoffelbauern (in der Tat vermutet man die Urheimat des Nachtschattengewächses auf dem gut 9000 Quadratkilometer großen Eiland). Gebaut wurde auf Chiloé seit jeher vor allem mit Holz; die Holzkirchen der Insel, die ältesten davon gehen aufs 17. Jahrhundert zurück, gehören zum Unesco-Weltkulturerbe. Die Casa Pollo ist um eine Treppe he­ rumgebaut. Die stammt aus dem Restaurant der Hausherren in Santiago; 2008 brannte es dort, und zum wenigen, was die Besitzer

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Heilige Nächte, helle Morgen

Schlafen, wo der Papst sich bettete. Im Palazzo Pamphilj in Rom, einst Familiensitz und Hideaway von Innozenz X, entstand eine City-Lodge fĂźr Geschichtensucher.

Tex t Oliver Jahn


Panorama Reise

Unter den marmornen Türstürzen wandelte schon der Papst. Heute führen sie vom Studio zu Ankleide- und Gästeschlafzimmer. Das Baxter-Sofa wird flankiert von zwei P ­ romemoria-Leuchten.

Fotos: Giovanni De Sandre (2); Album / Oronoz / Akg-Images

R

Stechender Blick: Velázquez malte den 76-jährigen Papst oben 1650. Von seinem Schlafzimmer (linke S.) hatte Innozenz X eine famose Sicht auf die Piazza Navona. Heute erfreut sie die Gäste der „Holy Deer San Lorenzo City Lodge“ – in das die ehemalige Papstwohnung verwandelt wurde.

om, 1644. Olimpia Maidalchini war am Ziel ihrer Träume. Gerade wurde ihr Schwager Giovanni Battista Pamphilj zum Papst gewählt. Der richtige Zeitpunkt, um den Familiensitz an der Piazza Navona, bis dahin wenig stattlich, zum repräsentativen Palast umzubauen. Eine Sache für Olimpia, so machtbewusst und einflussreich, dass sie schon bald den Beinamen La Papessa erhalten sollte – und in der glücklichen Lage war, zur Herrin über das Anwesen erklärt zu werden. Sie wünschte, die gesamte Piazza zum Forum Pamphilj umzubilden, ganz nach Vorbild der antiken Kaiserforen. Ein Fall für die Stararchitekten der Stadt, Francesco Borromini und Girolamo Rainaldi mussten ran, der große Bernini würde kurze Zeit später nachlegen und direkt gegenüber seinen Vierströmebrunnen anlegen – man delektierte sich am Wettstreit der

eifersüchtigen Kreativgenies. Damit nicht genug, riss sich der Pope, dem man zudem nachsagte, ein Verhältnis mit seiner Schwägerin zu unterhalten, gleich noch die angrenzende Prachtkirche Sant’Agnese in Agone unter den Nagel und bestimmte sie zu seiner Hauskapelle und Grablege. Eine Menge Feuer also unterm Dach des Palazzo Pamphilj, dessen bestens erhaltene ba­rocke Deckenfresken einiges gesehen haben dürften über die Jahrhunderte – seit 1920 beherbergt das Gebäude die Botschaft Brasiliens. Nur ein kleiner Teil, immer noch im Privatbesitz, kam letztes Jahr auf den römischen Wohnungsmarkt. Aber was für einer – ein 350 Quadratmeter großes Apartment, Balkon zur Piazza, Papstschlafzimmer inklusive. „Genau darauf haben wir Jahre gewartet“, erzählt Stefano Barbini beim Ortsbesuch. Seine Frau Giorgia und er sind keine Unbekannten – sie Enkelin von Gaetano Savini, dem Gründer des Edelschneiders Brioni, er

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Amsterdam

Kanal total: Den ­besten Blick auf die Amsterdamer Grachten bietet das Wohnzimmer im ersten Stock. Das Sofa entwarf der Hausherr selbst; den Tisch fand er beim niederländischen Vintage-Spe­ zialisten Morentz, wo er auch das Regal (re. S.) von Pierre Chapo erstand.


Perfekt imperfekt Ein heruntergekommenes Lagerhaus und ein Architekt, der Fragen gern offenlässt: Thomas Geerlings öffnet ein Townhouse mit milden Farben und rauer Struktur – und bewahrt es so vor Eintönigkeit.

Tex t Sally Fuls

Fotos Kasia G atkowska

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Sonderhef t November 201 8

Uhren & Juwelen


Uhren & Juwelen

Inhalt Seite 19

Architectural Digest Stil, Design, Kunst & Architektur erscheint in der Condé Nast Verlag GmbH Oskar-von-Miller-Ring 20, 80333 München Telefon 089 38104-0 mail@condenast.de, www.condenast.de ad@admagazin.de, www.admagazin.de Chefredakteur Oliver Jahn Verantwortlich für den redaktionellen Inhalt

Haute Horlogerie von Montblanc Seite 36

Für die Ewigkeit: die schönsten Uhren Seite 44

Hublots Streetart am Handgelenk Seite 38 Seite 49

Seite 46

New York ist … ein Juwel von Wempe Seite 48

Van Cleef & Arpels’ Märchen-Schätze

Seite 35 Seite 6

Das ist Liebe! Die Schmuck-News 2018

Seite 22

Die Macht der Pracht oder: die starken Stücke der Haute Joaillerie 4

Büro New York Christina Schuhbeck Tel. +1 212 2866856, christina_schuhbeck@condenast.com Schlussredaktion / Dokumentation Lektornet Syndication syndication@condenast.de Redaktion admagazin.de Andreas Kühnlein (Ltg.), Valerie Präkelt Publisher André Pollmann Anzeigen / Vermarktung Sales Christina Linder, Head of Sales christina.linder@condenast.de, Tel. -430 Christine Weinsheimer, Head of Digital Sales christine.weinsheimer@condenast.de, Tel. -466 Brand Advertising Andrea Latten, Brand Director Vogue & AD andrea.latten@condenast.de, Tel. -276 (verantwortlich für Anzeigen) Marketing Angela Reipschläger, Head of Marketing angela.reipschlaeger@condenast.de, Tel. -793 Ingrid Hedley, Marketing Director ingrid.hedley@condenast.de, Tel. -142 Kathrin Ölscher, Marketing Director kathrin.oelscher@condenast.de, Tel. -746 Creative Studio Christian Riss, Head of Creative Studio christian.riss@condenast.de, Tel. -476 Advertising Operations Katharina Schumm, Head of Revenue Management, Ad & Marketing Service katharina.schumm@condenast.de, Tel. -135 Vertrieb Alima Longatti, Head of Direct Marketing & CRM alima.longatti@condenast.de, Tel. -301 Einzelverkauf MZV GmbH & Co. KG, Karsten Reißner (Bereichsleitung)

Seite 20

Bulgari im Kreml: die Retrospektive

Büro Mailand Anna Riva, Paola Dörpinghaus Tel. +39 02 29000718, p.dorpinghaus@condenast.it

Auf dem Cover:

Patek Philippes roségoldener Chronograph „5270 / 1R“, 173 440 Euro; Brosche „L'Oiseau d'or“ aus Gelbgold, mit Diamanten, gelben Saphiren, Spessartin-Gra­naten und Onyx von Van Cleef & Arpels.

Herstellung Leitung Lars Reinecke, Director Production Digitale Vorstufe / Druck Mohn Media, Mohndruck GmbH Carl-Bertelsmann-Straße 161 m, 33311 Gütersloh Unternehmenskommunikation / PR Ines Thomas, Director Corporate Communications presse@condenast.de, Tel. -413 Finanzen Roland Riedesser, Finanzdirektor Herausgeber und Geschäftsführer Moritz von Laffert Chairman Condé Nast International Jonathan Newhouse

Cover: Philippe Lacombe; Fotos: Suzanne Syz Art Jewels; Montblanc; Van Cleef & Arpels; Christoph Rüttger / Studio Condé Nast

Seite 34

Redaktion Stv. Chefredakteur & Style Director Dr. Simone Herrmann Art Director Inka Baron Textchef Barbara Gärtner Managing Editor Eike Schrimm Photo Director Ralph Stieglitz Stil Mona Bergers, Nina Luisa Vesic, Friederike Weißbach Bildredaktion Thomas Skroch (Ltg.), Isa Lim, Samantha Taruvinga Art Department Viviana Tapia (Stv. Art Director), Judith Pretsch Assistenz der Chefredaktion Johanna Hänsch Mitarbeiter dieser Ausgabe Sophia Lierl, Andrea Schulz, Günther Spiegel Autor dieser Ausgabe Ulrich Clewing Fotografen dieser Ausgabe Philippe Lacombe, Christoph Rüttger Stylisten dieser Ausgabe Nina Luisa Vesic & Friederike Weißbach


Uhren & Juwelen

W e n n das Liebe ist

„Coloratura“ nennt Cartier seine neue Haute Joaillerie-Kollektion, eine Sinfonie der Farben! Beim „Chromaphonia“-Collier geben barocke Smaragdperlen aus Afghanistan (li.) den Ton vor. Der Ring „Holika“ (u.) spielt mit dem Klang eines Rubelliten zu Chrysoberyllgrün und Turmalinblau. Zartes Rosa perlt im Sautoir „Yoshino“ (o.) zum hohen C – dem Morganit. Darunter klingt ein Opal im Chor der Diamanten. c a r t i e r . c o m

Redaktion S i m o n e H e r r m a n n Te x t M o n a B e r g e r s , U l r i c h C l e w i n g , N i n a L u i s a V e s i c , F r i e d e r i k e W e i ß b a c h 6

Fotos: Vincent Wulveryck / Cartier

… dann flirrt sie wie Diamanten, leuchtet hoffnungsgrün wie Smaragde, rosarot wie ein Morganit – und heißt: Cartier! Oder Boucheron, Elie Top, Hornemann … Verlieben Sie sich auch!


Uhren & Juwelen

Immer Sommer! Sie hat einen Hang zur Kunst. Gustav Klimt und Henri Matisse liefern Lara Melchior Anregungen für ihre Arbeiten, aber auch die Natur, der späte Sommer und die Getreidegarben, die dann abgeerntet sind, wie bei diesem bezaubernd filigranen Ohrgehänge „Earrings IX“. l a r a m e l c h i o r. c o m

Fotos: Alexandre Tabaste (2); AC Cooper (2); Elie Top

T o p i s t ganz oben

Eugenie Niarchos wurde die Liebe zu großen Steinen in die Wiege gelegt. Und die Seventies? Auch toll! Ihre fancy Anhänger und Ohrclips leuchten in Email- und Malachitnuancen. The New Age of Aquarius! venyxworld.com

YSL, Alber Elbaz, Lanvin, das sind die Koordinaten, um den Pariser Designer Elie Top zu verstehen. Seinen Showroom ließ er von Interiorstar Vincent Darré gestalten: Was Top macht, wird Mode. Gerade hat er Gelbgold wiederentdeckt. Auch Avalon, Gothic Style, die Mystik eines Fantasy-Mittelalters inspirieren ihn sehr. Etwa bei diesem Ring mit Diamanten und Opalen der „Lady of the Lake“-Linie, der von oben aussieht wie der Schild eines edlen Ritters der Tafelrunde König Artus’. elietop.com

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Die Macht der Pracht In diesem Jahr legen die großen Juwelenhäuser den Frauen Mondglanz und Goldspitze um den Hals und seltene Farbsteine ans Herz. Hier sind die starken Stücke der Haute Joaillerie.

Te x t & P r o d u k t i o n S i m o n e H e r r m a n n Fo t o s P h i l i p p e L a c o m b e

Ist er grün? Oder blau? In jedem Fall: unwiderstehlich! Den Paraiba-­ Turmalin (34,7 Karat) hat Louis Vuitton an die Kette gelegt. Und so wachsen aus den Logo­blüten die Vs des Haus­es in Weißgold und Diamanten. „Re­galia“ (Insignien der Macht) heißt die Kollektion. Und das ­Collier? „Eroberung“! louisvuitton.com


Uhren & Juwelen

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Uhren & Juwelen

Bis in alle Ewigkeit! Wahre Schönheit vergeht nicht. Darum haben wir die prächtigsten neuen Uhren aus Platin, Gold und Stahl auf anmutig klassizistische Podeste gehoben. Te x t Frie derike W e i ß b a c h Produktion und Styling N i n a L u i s a Ve s i c & Fr i e d e r i k e We i ß b a c h Fo t o s C h r i s t o p h R ü t t g e r


Fotos: Christoph Rüttger / Studio Condé Nast

Orakel-Architektur (von li. nach rechts): Oris’ „Big Crown“ in Stahl, 1500 Euro. „Grandes Complications Ref. 5270P“ aus Platin mit ewigem Kalender von Patek Philippe, 168 339 Euro. Zeniths bronzene „Pilot Type 20“, 5900 Euro. „Arceau Chrono Titane“ von Hermès, 4200 Euro. Breitlings kleiner „Navitimer 1“ aus Stahl und Rotgold, 5290 Euro. Chronograph „1858“ in Bronze von Montblanc, 4690 Euro. Charlotte Taylors „Stair­ case“- und „Curve“-Vasen, 325 und 485 Dollar.

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