AD 12/2018+01/2019

Page 1

ARCHITECTURAL DIGEST. Stil, Design, Kunst & Architektur

Deutschland  Dezember & Januar 2019 / 8 Euro

Die Schneekönigin

Wie Prinz Harrys Gartenfreundin die Hügel von Buckinghamshire verzauberte

Finnisch für Fortgeschrittene Die Sauna zieht ins Wohnzimmer

Winterpause

Dez. & Jan. 2019 Deutschland 8 € Deutschland, Österreich / 13 SFr Schweiz

Entspannt durch die schönste Zeit des Jahres

101

besondere Geschenkideen, die wunschlos glücklich machen


Inhalt Dezember & Januar 29 Editorial 30 Agenda 34 Impressum 39 Entdeckung 41 AD stellt vor

64

101

Architektur

Funkeln mit Pharao

102

43

Projekt

Stil

Pradas neues Hauptquartier übersetzt alte Tugenden in ein Kleid aus Glas und Stahl.

44

106 Projekt Pawson 108 Radar

Unter den Baum legen wir nur das Schönste: stilvolle Präsente, die glücklich machen.

Garten

Geschenke

64 Porträt Hemmerle 68 Porträt Giorgetti

80 Praxis Bad 82 Interview Aesop 86 Adresse KFF

88

72

AD Design Summit

Sie ist gemütlich, hat ein warmes Herz und macht sich auch schick und schlank: So passt die Sauna in die Stadtwohnung.

Hier sind sie: die Preisträger des diesjährigen AD Design Awards, ausgewählt von unseren Experten und Ihnen!

Studio

Cover: Michael Sinclair / Taverne Agency; Fotos: Hemmerle; Andrew Montgomery; Felix Brandl / Studio Condé Nast

110

Vielleicht gibt es doch mehr zwischen Himmel und Erde, als wir wissen. Ein winterlicher Besuch in Jinny Bloms Garten in Buckinghamshire.

110

Chalkland Farm

117

Panorama 50

Frohes Fest!

118

Kunst Als Kind baute Andreas Schmitten am liebsten Modelllandschaften. Heute bespielt er damit Ausstellungshäuser. 122 Ausstellungen 124 Editionen 128 Bücher

134

Reise Vier Freunde bauen sich in Wyoming ein imposantes Ferienhaus, lassen es von Commune einrichten und vermieten „Caldera House“ nun auch an Gäste. 138 Reise Neuheiten

19


Inhalt Dezember & Januar

60

Kugelrot

188

Ich hatte keine Farm … in Afrika. Aber immerhin ein Wochenendhaus. Wie ein frankophiles Paar die afrikanische Provence inmitten der Karoo-Wüste entdeckte.

194

Das Holz der Hugenotten Samantha Morton fiel hier die Decke auf den Kopf, und Keira Knightley fühlte sich wie im Schaukasten. Nun beamte ein junges Architektenpaar das 300 Jahre alte Gebäude sanft, aber bestimmt ins 21. Jahrhundert.

148

Zervudachis Fischerhaus 147

Leben 148

Fotos: Michael Sinclair; Iittala; Toby Lewis Thomas

Und täglich grüßt das Murmeltier Ein frisch gebautes Fischerhaus in den österreichischen Alpen, das wirkt, als habe es schon jahrhundertelang den Winterstürmen getrotzt: wie schön, wenn selbst die Zeit gefriert.

154

Snowtime! Die Winter in Finnland sind lang und kalt. Keine guten Voraussetzungen für ein Sommerhaus. Es sei denn, man macht es wie dieses Paar aus Helsinki und vertraut auf die Vorzüge der Holzbauweise.

204 Summaries 208 Apropos 210 Genie & Spleen

162

Der Engel der Geschichte In Londons Folgate Street hat der amerikanische Künstler Dennis Severs ein ganzes Haus zur Zeitkapsel konserviert.

172

Mit 1000 Farben in den Himmel Südindiens Kirchen sind so schrill wie die Kinos. Die Münchnerin Stefanie Zoche hat sie fotografisch festgehalten.

180

Das ist der Gipfel Am Fuße des Mont Blanc-Massivs steht das wohl italienischste Chalet der französischen Alpen: das Haus der Familie Rovere.

194

Chan + Eayrs 21


AD Editorial

Eduard von Keyserling „Landpartie – Gesammelte Erzählungen“ 28 Euro manesse-ver lag.de

„Keyserling lesen ist wie Pilze sammeln. Der Korb kann nicht groß genug sein, um all die schönen ironischen Spitzen einzusammeln.“

Porträt: René Fietzek; Foto: Thomas Skroch; Coverabbildung: Manesse Verlag

A ls Eduard von Keyserling 1894 mit seinen drei Schwestern nach München zog, ging es ihm nicht gut. Der knapp 40-jährige Schriftsteller litt an einer schweren Syphilis. Ein paar Jahre später saß er nahezu erblindet in seiner Wohnung in der Ainmillerstraße 19 in Schwabing und konnte seine Texte nur noch diktieren. Die ­hingetupfte Sinnlichkeit endloser Sommernachmittage, die seine ­Erzählungen dieser Zeit durchzieht, schöpfte er nur noch aus der Erinnerung. Von des Gedankens Blässe angekränkelt war hier gar nichts. Während sein österreichischer Kollege Hugo von Hofmannsthal, der hypernervöse Überfeinerungskünstler, genau zur selben Zeit in seinem berühmten „Brief“ den fiktiven Lord Chandos müde bekennen lässt, die Wörter zerfielen ihm „im Mund wie modrige Pilze“, und damit jene Sprachkrise ins Bild setzte, mit der eine ganze Dichtergeneration die Ermattung des Fin de Siècle abzustreifen versuchte, um neue Ausdrucksmöglichkeiten zu finden, war ausgerechnet der blinde Balte schon einen Schritt weiter. Zu seinem 100. Todestag hat der Manesse Verlag nun seine gesammelten Erzählungen herausgegeben, eine 744 Seiten starke „Landpartie“, meine Lektüreempfehlung im Reigen unseres Weihnachts-Bücherspezials (S. 128). Keyserlings weiche Sätze wischen einem an den Knien entlang wie spätsommerliche Gräser, ein un-

widerstehliches Gefühl, hunderterlei Gerüche steigen auf, überall um die Landhäuser herum Buchs, der „warm und bitter“ duftet, und nicht selten kitzelt es, sodass man genauer hinschaut und fündig wird – Keyserling lesen ist wie Pilze sammeln, und zwar solche, die gar nicht modrig sind wie die von Hofmannsthal. Der Korb am Arm kann gar nicht groß genug sein, um all die präzisen Charakterbeobachtungen, die beglückenden Metaphern, nicht zuletzt die häufig ausgestreuten ironischen Spitzen einzusammeln. Da sind die Hände einer Dame „noch kühler als ihre Ringe“, Haar ist von einem ganz warmen Braun „wie alter Portwein“. ­Unvergessliche Szenen wie die in „Bunte Herzen“, als zwei junge Damen spät am Abend sich eifrig eine Rosencreme ins Gesicht schmieren und im Nachthemd die Köpfe ins Mondlicht halten, um das Antlitz zu bleichen. Was wiederum ein junger polnischer Graf nicht mehr braucht, von dem der Erzähler bemerkt, er war „ganz bleich von Beredsamkeit und verstand es, ein wunderbar unumwundenes Pathos in seine Worte zu legen“. Es gibt wohl keinen Autor, der öfter wiederentdeckt worden ist als Keyserling. Dass man ihn lange wahrgenommen hat als wehmütig-nostalgischen Lordsiegelbewahrer eines langsam verdämmernden Landadels, hat den Blick verstellt auf den modernistischen Gestus, mit dem hier nüchtern und mit liebevollem Spott zugleich ein gesellschaftlicher Kosmos nicht getätschelt, sondern behutsam auseinandergenommen wird. Unbedingt lesen!

O liver Jahn

29


Stil

Geschenke, Porträt, Studio, Praxis, Interview, Adresse und AD Design Summit

Merry Krakmas! Pssst, wir verraten ein Weihnachtsgeheimnis: Neben Ochs und Esel soll auch ein Oktopus einige seiner Ärmchen an die Krippe gelegt ­haben! Astier de Villatte hat den koketten Kraken (21 Euro) aus hauchzartem Glas ­geblasen. Und Sie wissen ja: Wer's glaubt – wird selig! SF

Foto: Felix Brandl / Studio Condé Nast; Produktion: Nina Luisa Vesic

as tierdevillat te.com

Redak tion Simone Herrmann und Sally Fuls

43


Stil Geschenke

Foto: Felix Brandl / Studio Condé Nast; Produktion: Nina Luisa Vesic

Grande délicatesse! Zarte Spitze ziert Christopher Kanes Smokingmantel und die Kittenheels (1895 und 645 Pfund). Raffhalter „Palais Royal“ von Houlès, 155 Euro. Ätherisch: Laura McKinleys Glasobjekte, ab 1000 Pfund. Satin „Mademoiselle“ (hinten rechts) und Samt „Nouvelles Vagues“ (vorn li.) von Dedar.

44


Stil Geschenke

Bling it

back!

2

1

Glamourös, ein bisschen von gestern und schön ooohpulent? Extravaganzen wie diese schenken dem Fest ein eklektisches Fluidum. 1 Kaskade aus Saphiren: Ohrringe „Spring Hydran­

gea“ von Tiffany & Co. (Preis auf Anfrage) tif fany. ka“ (aus Ebenholz und Federn von Strauß und Pfau, 2300 Euro) von Duvelleroy eventail- duvel leroy.fr 3 Lyrisch: Die Fronten von Beata Heu­ mans „Lire Cabinet“ (5900 Euro) tragen Rosshaar b eataheuman.com 4 Eyecatcher: Brieföffner „Li­ to“ (185 Euro) aus Messing mit Limoges-Porzellan, von L'Objet über ar te dona.com 5 Erich Kleinhem­ pels „Heilige Drei Könige“ für Meissen, je Leuch­ ter 6490 Euro meis sen.com 6 Serena Confalonie­ ri setzt ihre Vase „Caleido“ (1000 Euro) aus antiken Glasresten zusammen serenaconfalonieri.com

6

5 46

4

3

Fotos: Tiffany & Co.; Duvelleroy (2); Milo Brown; L’Objet; Meissen; Serena Confalonieri

com 2 Fächer „Parrot“ (39 Euro) und „Peacock Pol­


Tex t Karin Jaeger

Glück kann eine Holzbox sein Sie ist gemütlich, hat ein warmes Herz und macht sich auch mal schick und schlank: Eine Sauna passt selbst in Stadtwohnungen.

Finnisch für Fortgeschrittene: Diese Familiensauna in Jyväskylä statteten Skammi Architects mit Erlenlatten und Mosaik­ fliesen von Pukkila aus. Holzofen „Lupaus“ von Aurinkokiuas.


Stil Studio

N ach einem langen Arbeitstag, nach dem Sport oder allgemein in den dunklen Wintermonaten gibt es wenig Wohltuenderes als einen Besuch in der Sauna. Und doch gönnt man ihn sich viel zu selten. Geselliges Saunieren in Therme oder Fitnessstudio ist eben nicht jedermanns Sache. Wer auf fremde Blicke und lautstarke Aufgussrituale problemlos verzichten kann und lieber still und ungestört schwitzt, für den könnte sich jedoch eine eigene Sauna lohnen. Man muss dafür kein Haus mit Keller besitzen – ein „Heißluftbad“, wie der Sauna­besuch in Fachkreisen auch genannt wird, lässt sich mittlerweile im Bade- oder sogar im Wohnzimmer nehmen. Denn ähnlich wie Küchen- und Badhersteller haben sich Saunafirmen in den letzten Jahren einiges einfallen lassen, um ihre Produkte urbaner, „wohnlicher“ und mitunter auch platzsparender zu machen.

Fotos: Pauliina Salonen; Eric Kuster / Metropolitan Luxury; Rento (2); Kolo Sauna; Chalet la Forêt, Chamonix

Privat-Spa oder Schranksauna? Verglaste Fronten, dezent gemaserte, dunkle Hölzer wie im Möbelbau, weiche, indirekte Beleuchtung, unsichtbare Technik oder auch spezielle Textilien für Kissen und Auflagen – mit solchen Elementen lassen sich Saunen zunehmend individueller

und eleganter gestalten. Und auf die oft beengten Verhältnisse in Stadtwohnungen hat Marktführer Klafs mit einem ZoomMechanismus reagiert, der die Kabine auf Schrankformat schrumpfen lässt und sie bei Bedarf ausfährt. In der kleinsten Ausführung misst sie nur 1,42 Meter mal 60 Zentimeter und darf, wie übrigens jede privat genutzte Sauna, im Prinzip an beliebiger Stelle einer Wohnung eingebaut werden. Man sollte natürlich darauf achten,

Li. eine „Barrel Sauna“ aus Thuja (über sauna kit s.com) . G. o.: Am Genfer See kombiniert Eric Kuster zweierlei Holz mit hinterleuchtetem Onyx. Darunter schwarzer Aufgusskübel mit Kelle von Kolo und silberfarbenes Set von Rento, beide aus Aluminium und Bambus. Eukalyptusreisig von Rento.

73


Bad des Monats Redak tion Karin Jaeger

Tex t Karin Jaeger und Friederike Weißbach

H er s teller: Drummonds O r t: London Materialien:

∙h andgemalte Tapete „Anemones in Light“ von de Gournay (Dessin entworfen von Kate Moss) ∙ Steinerner Kamin mit verspiegelten Fliesen ∙V orhänge aus silbern-transluzenten, bestickten Saris (nicht im Bild) Aus s tat tung:

Das macht e s b e sonder s:

Kate Moss ist nicht gerade als Frühaufsteherin bekannt, und so spiegelt ihr Londoner Bad die Grisailletöne des Mondlichts. Lüster, Kamin und die handgemalte Tapete machen den Wasch-Salon so glamou­rös, dass Partys schon mal hier enden – im Morgengrauen.

80

Fotos: Simon Brown; Kaldewei; Puik; Giobagnara Studio; Svenskt Tenn; Yellows / Menu; Alex Carnevali; Pfister; Promemoria; Friends & Founders; Bette; Manufactum

∙D oppelwaschtisch „Lowther“ in Arabescato mit verchromten Armaturen „The Mull“ von Drummonds ∙G usseisenwanne „Spey“ und passendes WC „Brora“ (nicht im Bild), Drummonds ∙S piegelschrank nach Maß mit offenen Regalen ∙A ntiker Kristalllüster über James Worrall, Marylebone


Stil Praxis

1

#picobello

2

B adewannen aus Stahlemaille können Jahrzehnte überdauern. Es gibt nur eines, was sie zuverlässig kleinkriegt: „Wannen werden meistens nicht kaputt gebadet, sondern kaputt geputzt“, seufzt Mar­cus Möl­lers, Pressespre­ cher von Kal­dewei. Wer mit aggres­ siven Putz­mit­teln scheuert, zerstört auf Dauer die robusteste Emaillie­ rung. Man sollte solche Wannen (oben Kaldeweis „Classic Duo Oval“) deshalb zwar regelmäßig, aber stets nur mit warmem Wasser und Spülmittel oder Schmierseife reinigen und mit einem weichen Tuch nachwischen. Nur wenn das Kind schon in die Wan­ ne gefallen ist und sich hartnäckige Verschmutzungen gebildet haben, kann man ausnahmsweise zu stärkeren Mitteln greifen: Oberflächliche Schrammen (meist Metallabrieb) beseitigt ein Schmutzradierer (u. von Bette, b e t te.d e ), gräuliche Schleier oder Schlieren lassen sich mit Blink­ paste oder dem passenden Polierstift auf Wachsbasis (a q ua tic .d e ) beseitigen. Oder auch nicht … Denn Emaille ist nicht gleich Emaille, die Re­zep­ turen variieren und haben sich über die Jahre verändert. Ehe man die Lage verschlimmbessert, sollte man sich im Zwei­fel vom Hersteller beraten lassen. Und es am besten gar nicht erst so weit kommen lassen.

3

4

5

6

7

8

Kleiderbügel

Elegant abhängen Rundherum! Lex Potts Entwurf „Loop“ ist aus einem Stück Stahldraht geschlungen, Dreier-Set 30 Euro puikdesign.com 2 Klirren nicht: handgearbeitete Holzbügel mit Lederbezug, hier in der weiblichen Version, ab 183 Euro giob agnar a.c om 3 Leinenbezogene Holzhänger von Svenskt Tenn, je 38 Euro svensk t tenn.se 4 Hosenbügel aus beschichtetem Stahl mit Messing, 25 Euro m enu.as 5 Persönlich: Toscaninis „Marcello“ in gewachster Buche (mit Initialen 36 Euro), über fat to -b ene. com 6 Asymmetrisch: „Quarten“ aus Aluminium, Dreier-Set um 11 Euro pf is ter.ch 7 Gediegen: Bügel aus Bronze und Leder, Preis auf Anfrage pr om e m oria.c om 8 ­Friends & Founders’ Garderobenhänger „Tangent“, 30 Euro, über b ehan -thurm.com 1

81



Architektur Garten

Winter in den Wolken Vielleicht gibt es doch mehr zwischen Himmel und Erde, als wir wissen. Nirgends wird das so deutlich wie in dem Garten, den Jinny Blom auf einem Hügel in Buckinghamshire gestaltet hat. Tex t Simone Herrmann

Fotos Andrew Montgomer y

E in Lichtsee im Himmel – blitzend hell und kreisrund reißt er die weite, wattig weiße Wolkenlandschaft auf. Manchmal, sagt Jin­ ny Blom, müsse man nach oben schauen, um die Landschaft unten ganz zu begreifen. Blom, Englands bekannteste Gartendesi­ gnerin, Prinz Charles' und auch Prinz Harrys liebste Gartenfreundin, kommt oft in die Gärten zurück, die sie einmal gestal­ tet hat. „Besonders im Winter, denn da zeigt sich ihre Struktur, wie sie in der Landschaft sitzen – und ob der Himmel dazu passt.“ Chalkland Farm jedenfalls, der Landsitz von Lady Victoria Getty in Buckingham­ shire, den sie vor Jahren auf einer Anhöhe rund um das restaurierte Herrenhaus mit einer Bastion, Heckenwegen, Eibenskulp­ turen und Rosenrabatten angelegt hat, sitzt wie ein Puzzleteil in der Landschaft. Fast scheint es, als habe sie auch das sanft ge­ wellte Land ringsum gestaltet, so unmerk­ lich sind die Übergänge. Und der Himmel? „Den nicht“, lacht sie. Trotzdem wirkt er wie ein blasser Abdruck der Schneeland­ schaft darunter. „Dort!“, ruft Blom plötzlich und schaut einem Rotmilan nach, wie er, weiß, rötlich braun und schwarz, in weitem Bogen über dem Dach des Herrenhauses kreist und dann hinunterfliegt, über ver­ schneite Wiesen, Wälder, Gesträuch und blitzende Wasserläufe hinweg, bis er klei­ ner und kleiner wird – ein schwarzer Punkt in einer weiß gehöhten Tuschezeich­ nung, sanft und traumverloren. „Schön, nicht?“ Jinny Blom mag sich kaum lösen von diesem Panorama. Ein pastorales Idyll – „kaum zu glauben, dass London nur 40 Minuten entfernt ist“. Der Blick von der gemauerten Bastion, einem Rasenrund unterhalb des Hauses, sagt sie, sei ihr liebster in diesem an überraschen­ den Perspektiven und Aussichten so rei­ chen Garten. „Hier zu stehen ist jedes Mal so, als ob sich ein Theatervorhang hebt. Allerdings musste ich dafür erst alle Asche­ bäume und das Gestrüpp kappen.“ Über­ haupt sei es ein niederschmetternder Ort gewesen, „irgendjemand hatte in den 60ern Top of the hill: Das Herrenhaus o. li. wurde samt Festungsmauer und georgianischer Fassade neu gebaut. Der Park fließt in die Landschaft von Buckinghamshire li., aber reiten kann Lady Getty auch unter den ­hohen Eschen (li. Seite) in ihrem Garten.

111



Panorama Kunst

Mann im Spiel Als Kind baute Andreas Schmitten am liebsten Modelllandschaften. Heute bespielt er damit Galerien und Museen – seine Inszenierungen tragen feine Farbtöne, sind albtraumgleich künstlich und kühn clean.

Tex t G esine B orcherdt

Por trät Frederike Wetzels

Foto: Niels Schabrod

D ie „Zicke“. Es gibt keinen unpassenderen Ort für ein Treffen mit Andreas Schmitten. Das charmant französelnde Düsseldorfer Küns­tlerbistro, die Wände mit vergilbten Ausstellungspostern tapeziert, ist so ziemlich das Gegenteil von dem, wofür seine Arbeit steht: cleane, künstlich leuchtende Raumskulpturen, die an Las Vegas erinnern oder an Film-Kinderzimmer, kühl-kindlich und auch immer ein bisschen unheimlich. Dabei führt der dunkelblonde, hochgewachsene Mann mit der sanften Stimme offenbar ein ganz harmloses Leben. Auf einem Bauernhof bei Neuss lebt er mit seiner Partnerin und der kleinen Tochter. Auch sein Studio hat er dort, Arbeiten und Alltag fallen bei ihm zusammen. „Ich kann abends durchs Wohnzimmer ins Atelier gehen und mache dort kleine Lämpchen an, das ist behaglicher als die Neonröhren. Dann setze ich mich noch mal ran. Oft stellt sich dabei ein Gefühl ein wie in der Kindheit. So ein Eintauchen in eine Welt.“ Eingetaucht ist Andreas Schmitten schon immer. Als ­Einzelkind verlor er sich in Modellbauten, wenn die Mutter noch bei der Arbeit war. Er bastelte sie in seinem Zimmer, im Keller der Schule, in der Wohnung des Partners der Mutter. Sie war es auch, die mit ihm ins Museum Abteiberg in Mönchengladbach ging, wo Schmitten 1980 geboren wurde. „Das war sehr prägend – wie ein Spielplatz.“ Sein späteres Philosophiestudium war dann eher eine Verlegenheitslösung. Doch als er Kurse an der Düsseldorfer Akademie (er ist ein Student von Georg Herold) belegte, war klar: „dass mir das Praktische fehlte. Die Faszination am Modellbauen war mir ja nie abhandengekommen. Und plötzlich wusste ich, wie es weiterging.“ Genauso wie vorher – nur gedanklich ein paar Ebenen weiter. Schmitten baut Modelle, die so perfekt und artifiziell aussehen, dass man dabei nie an händisches Arbeiten denken würde. Er sägt und näht, gießt Plastik und spannt Stoffe, arbeitet mit Holz, Lack und Tapete. Was so entsteht, sind Mikrokosmen, die jedoch größer sind als jede Modelleisenbahn – die den Raum beherrschen und ihn in eine Bühne oder eine Art Filmset verwandeln. Inszenierung ist das Stichwort. „Ich habe drei Jahre in L. A. gelebt. Mir fiel auf, wie formvollendet und mit Liebe zum Detail dort Bars, Restaurants und Geschäfte inszeniert sind.“ Schmitten belegte in Hollywood

Große Bühne: Andreas Schmitten (o.) bekam für seine Installa­ tionen (wie linke Seite „Spectators’ Choice“ von 2018) Nachwuchs­ preise und hat 2019 Einzelausstellungen in Berlin, Bremerhaven und Düsseldorf. Er wird vertreten von der Berliner Galerie König.

119


Snowtime! Saimaa

154


Die Winter in Finnland sind lang und kalt. Keine guten Voraussetzungen für ein Sommerhaus. Es sei denn, man macht es wie ein Paar aus Helsinki und vertraut auf die Vorzüge der Holzbauweise, gräbt einen Schacht, um die Erdwärme zu nutzen – und beauftragt den Architekten Tuomas Toivonen, praktischerweise der eigene Sohn, und die Designerin Nene Tsuboi, die Schwiegertochter, mit dem grandiosen Rest.

Fotos: Krista Keltanen / Living Inside

Tex t Ulrich Clewing

Fotos Kris ta Keltanen

Um Haus und Landschaft zu verbinden, wendeten Tsuboi und ­ oivonen einen einfachen Kunstgriff an: Sie stellten den Baukör­ T per auf Stelzen. Der Effekt ist verblüffend – man steht im Wohn­ zimmer, schaut nach draußen und meint, auf halber Höhe zwi­ schen den Bäumen zu schweben. Rechts in den Nischen r­ ichteten sie Tatami-Räume ein, sie erinnern an die japanische Heimat von ­Nene Tsuboi. „Panton One“ von Verner Panton (Montana). Linke ­Seite: Die Eigentümer und Eltern des Architekten Leena Karo und ­Seppo Toivonen, sie leitete die größte Familienzeitschrift Finn­ lands, er arbeitete als Auslandskorrespondent für Radio und TV.


Hier zum digitalen Magazin im Abo-Shop

ARCHITECTURAL DIGEST. Stil, Design, Kunst & Architektur

Cover: Michael Sinclair / Taverne Agency

Das Beste aus Interior, Stil, Design, Kunst und Architektur.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.