AD 07/2019

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ARCHITECTURAL DIGEST. Stil, Design, Kunst & Architektur

Deutschland  Juli & August 2019 / 8 Euro

Salone-Schönheiten

Die neuen Möbel aus Mailand!

Berlin wird erwachsen

David Chipperfield über die Vollendung der Museumsinsel

Retreat im Regenwald

Ruanda auf den Spuren eines großen Entdeckers

Südseite! Sommerliche Hideaways von Apulien bis Bali und Marino bis Mahdavi


Inhalt Juli / August 65

Architektur

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Batik Boom

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Projekt Chipperfield Die Berliner Museumsinsel ist vollendet. Ein Rundgang mit David Chipperfield. 70 Radar

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Cooles Chile

13 Editorial 14 Impressum 19 Entdeckung 20 Agenda 25 AD stellt vor

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72

Projekt Klotz Auf der Isla Coldita baute sich der chilenische Architekt Mathias Klotz einen vor der Welt verborgenen Hafen.

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Panorama 80

Reise

Stil

Ruanda, wie von Henri Rousseau gemalt: das „One & Only Nyungwe House“.

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84 Reise Neuheiten

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Kunst Koloman Moser war ein Allesgestalter. Erst war er Maler, dann schuf er Briefköpfe, Bühnen, Mode, ganze Räume. 94 Ausstellungen 96 Bücher

Neuheiten Die Salone-Schönheiten aus Mailand sind famos geflochten, gebatikt, collagiert, vom Mond geholt und aus dem Meer gefischt.

Cover: Giorgio Baroni; Fotos: Roland Halbe; Carl Kleiner; Swarovski Crystal Palace Cyanometer; Felix Brandl / Studio Condé Nast

40 Talent

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Louis Vuitton Die Objets Nomades von Louis Vuitton zeigen zum Salone ihre neuste Attraktion: die putzigen Sessel von Raw Edges. 44 Bellucci

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Ikone Vally Wieselthier war die Diva der Wiener Werkstätte. Eine Verbeugung.

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Inspiration Uhren Flower Power Hour: In diesem Sommer steht die Uhrmacherkunst in voller Blüte!

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Studio Runter vom Sofa! Hängematten und Schaukeln bringen Schwung ins Interior. 60 Praxis Bad 62 Molteni

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Die Zeit ist reif!


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Leben 100

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Kapstadt Enterprise

Große Geometrie Was macht man mit einem Schuhschachtel-Grundstück? Peter Marino setzt auf Star Island noch zwei Rechtecke dazu – und schenkt so der fabelhaften Kunst eines Sammlerpaars und den kecken Palmen einen angemessenen Rahmen.

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Alles auf Blau Lange suchte ein Paar auf Ibiza nach einem Anwesen mit Wasserblick und Raffinesse. Als die beiden schon aufgeben wollten, fanden sie dieses alte Haus an der Klippe. Ein Neuanfang in Pontiblau.

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Dornröschen

Fotos: Elsa Young / Frank Features; Rosenstein & Söhne; Jean-Marc Wullschleger

… blühen im kalifornischen Walnut Creek. Kakteen und Sukkulenten erzählen dort das Märchen einer Frau, die 109 Jahre alt wurde und ihren Garten in eine botanische Schatzkammer verwandelte: Ruth Bancroft.

110 Blau auf Ibiza

124

150

Unendliche Weiten

Endloser Sommer

Das strahlende Blau des Ozeans toppen in Kapstadt zwei Modedesigner mit Farbflashs und entspanntem Science Fiction-Chic. Faszinierend!

Im süditalienischen Fasano wachsen die Häuser eng aneinandergeschmiegt aus der Tuffsteinklippe empor. Zwei davon hat ein Architekt in sein Zuhause verwandelt – und in eine Ode an Apulien.

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Silbriges Glitzern Dem Zauber des Südens können wenige solche Sonnenbühnen bauen wie India Mahdavi. An der Côte d’Azur schenkte sie dem Haus einer Galeristenfamilie sogar eine glänzende Hülle.

156 AD bei … 157 Summaries 160 Apropos 162 Genie & Spleen

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Bamas Haus Feriendorf der Extraklasse: Der Architekt Ian Chee baute an Balis malerischer Südostküste drei luftige Sommervillen – und behielt zwei für sich.

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Ice Ice Baby


AD Editorial

„Fliegen lernen ist eine ganz einfache, eine herrliche Sache. Eine Erfahrung fürs Leben.“

Foto: Jean-Francois Jaussaud / Luxproductions; Porträt: René Fietzek

E rinnern Sie sich noch, wie es sich anfühlte, als Sie ein Kind waren und beim Sitzen den Boden nicht mit den Füßen berühren konnten? „Halt doch endlich mal die Füße still!“, hieß es da vielleicht am Abendbrottisch. Schon hatten Sie Bekanntschaft mit der Ungerechtigkeit der Welt gemacht, denn schließlich: Wie soll man die Beine ruhig halten, wenn sie in der Luft baumeln und es den Füßen langweilig wird und womöglich das Blut ungut in ihnen zu kribbeln beginnt? Einfacher wird die Sache mit der Tischdisziplin erst, wenn wenigstens die Zehen auf festem Grund stehen. Doch das wissen viele Eltern nicht. Oder nicht mehr. Ganz sicher aber können Sie in sich die freudige, helle Aufgeregtheit wieder wachrufen, die Sie empfunden haben, als Sie das Schaukeln lernten. Die Mühe und Anstrengung, die es kostete, bis Ihr Hintern endlich auf dem gemeinerweise viel zu hoch angebrachten Brett platziert war und irgendwer (Ihr Vater vielleicht oder eine Sandkastenfreundin) Ihnen von hinten Schwung gab. Wie es höher und höher hinaufging, bis Sie irgendwann merkten, wie Sie selbst für noch mehr Drive sorgen können: Oberkörper weit nach hinten und Beine strecken beim Vorstoß in den Him-

mel – Beine wieder anwinkeln und Oberkörper nach vorn beim Rückwärtsflug Richtung Erde. Fliegen lernen ist eine ganz einfache, eine herrliche Sache. Eine Erfahrung fürs Leben. Natürlich bleibt die Welt ein Ort der Exklusion. Oder kennen Sie einen Spielplatz ohne Hinweisschild, dass seine Benutzung nur für Kinder und Jugendliche bis 14 Jahren zulässig sei? Umso dankbarer sind wir, wenn wir als gestandene Erwachsene doch noch einmal abheben können in die gefühlte Schwerelosigkeit – wie oben links auf der Poolterrasse eines von Stéphane Parmentier gestalteten Anwesens auf Mauritius. Hier kann man sogar übers Wasser schwingen. Oder an jedwedem Ort, an dem die Last der Verantwortung vorübergehend suspendiert ist. Im Urlaub zumal, wenn kein Termin Pflöcke in den Tag rammt. Inzwischen arbeiten nicht nur Designer und Outdoor-Firmen daran, diesen Schwebezustand in unseren Alltag hinüberzuretten. Schaukeln und Hängematten halten Einzug in die Wohnungen und verführen zum Loslassen, wie wir Ihnen in unserer Rubrik Studio (S. 54) mit vielen beschwingten Beispielen zeigen. Nicht umsonst sprechen manche davon, „die Seele baumeln zu lassen“. Auch wenn das nicht mein Sprachbild ist, denke ich doch: Ab und zu die Füße vom Boden loszubekommen ist ein Stück Paradies auf Erden. Genießen Sie den Sommer!

O liver Jahn

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Stil

Salone-Neuheiten 2019! Plus: Ikone, Inspiration, Studio und Praxis

Foto: Stefan Giftthaler

Alles kann, Mix muss Guccis Kreativgenie Alessandro Michele hat zur Mailänder Möbelmesse einen Sturm heraufbeschworen, dessen türkisblaues Auge (o., Klapptisch „Star Eye“, 1100 Euro) sich in der Via Santo Spirito befand. Drumherum flirrten Farben und Muster, wirbelten Bienen, Blumen, Tintenfische, Quallen – Guccis fabelhaft quirlige Décor-Kollektion in den Wunderkammern einer Palastwohnung! Dass die übrigen Neuheiten des Salone zwar einen Hauch weniger exaltiert, aber genauso exquisit waren, zeigt unser Best of – made in Milano! SF gucci.com

Redak tion Simone Herrmann und Sally Fuls

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Stil Ikone Tex t Simone Herrmann

Küss die Hand, Fräulein Wiesel! Wenn Schalen zu Tieren, Frauen zu Fabelwesen werden und alle zusammen Farborgien feiern, dann steckt Vally Wieselthier dahinter: die Diva der Wiener Werkstätte. Eine Verbeugung.

Keramik-Kosmos (von li. im Uhrzeigersinn): Das Schälchen mit orangerotem Innenleben führt ein kleines Affentheater auf, 1928. ­Wiener Feminismus avant la lettre: Die „Bacchantin“ als Abbild ihrer rauschhaften Epoche, 1919 / 1920. Schnörkelhenkel und Beere on top – die Kaffeegarnitur entstand 1920. Schale mit „Spitzendeckel“, Röschen – und Rüssel, um 1922. Das „Fräulein Wiesel“, wie die Künstlerin genannt wurde, zeigte die fast lebensgroße, expressiv überlängte „Flora“ 1928 bei ihrer ersten Ausstellung in New York.

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Fotos: Courtesy Im Kinsky (3); 1stdibs; Georg Mayer/© MAK; Porträt: © Marianne Hussl-Hörmann

W

Gebrauchskeramik. Nur dass aus Wieselthiers Schälchen, Kaffeegarnituren, Lampenfüßen und Leuchtern Tiere wachsen, die jeden Moment anfangen können, wie in einem Disneyfilm zu tanzen, zu iener Weiberwirtschaft“ nannte man in gewissen Herrenzirkeln flirten, so lebendig sind sie! Mode, Stoffdesign, Schmuck, Wanddie Wiener Werkstätte. Und Vally Wieselthier (noch ein doppeltes malerei, Buchillustration, Plakatgestaltung – in allem brilliert sie. „W“!) hatte einiges dazu beigetragen. Lieblingsschülerin von Josef Aber das Arbeiten in Ton ist ihre Berufung, ein coup de foudre. Sie Hoffmann und Koloman Moser, dessen Zeichenklasse sie besuch- hat es in den Fingerspitzen, dieses Gefühl. Selten dreht sie etwas te, hochgelobt von Michael Powolny, der sie als Keramikerin aus- auf der Scheibe, baut alles von Hand auf, formt ihre Gedanken bildete, hatte sich die Tochter eines K.-u.-k.-Hofadvokaten 1914 den in Ton, wie andere zeichnen oder schreiben. „Nun weiß ich, dass Zugang zur Kunstgewerbeschule ertrotzt. Kaum 17-jährig, besteht ­Vally Bildhauerin ist“, hatte Hoffmann 1917 vor einer ihrer Figusie darauf, „nie heiraten zu müssen“, selbst etwas zu werden. Die ren ausgerufen, worauf sie in die Keramikabteilung der Wiener Eltern geben nach, eingeschüch­ ­Werkstätte eintritt. Es sei, sagt tert, aber auch voller Bewundesie später, „die glücklichste rung vor ihrem Elan. Und als Zeit meines Lebens“ gewesen. 1918 alles ins Bodenlose stürzt – Rauschhaftes, fieberhaftes Ardas Kaiserreich, die patriarchale beiten, durchfeierte Nächte. Gesellschaft mitsamt der Pen­ Doch wo andere die Bodenhafsion des Vaters und der Somtung verlieren, gründet sie 1922 merfrische am Semmering –, ihre eigene Werkstatt, gewinnt als nur noch Mut und BehaupPreise in ganz Europa, verdient tungswillen zählten, hatte sie Geld, ihr eigenes Geld; sie wagt da nicht gut gewählt, sich nur sich an Kaminverkleidungen, auf sich selbst zu verlassen? lebensgroße Garten­skulpturen, Weil sie spürte, dass etwas an Kunst am Bau, ihre Frauenin ihr war … Talent, nun ja, das köpfe pfeifen von Supraporten, hatten viele, auch die, die dann und ihre Gefäße, immer ein roin Mode- oder Stickereiateliers ter Scherben, glühen vor Farbe, landeten, Geschirrtücher webfast sieht es wie Action-Painten, artige Tässchen töpferten. ting aus, was da – Blau, Türkis, Nein, da war dieser innere Gelb, Rot, Pink, peng! – auf ihDrang, sich auszudrücken. Eine rer Keramik explodiert. Sturzflut an Fantasie, FormwilWieselthiers Glasuren, meint len, Eigensinn. Groß, expresMarianne Hörmann, Autorin siv, ungebärdig, voller Humor einer Monografie über die und Charme, geistreich, frei – Künstlerin, wirkten wie expresdas war ihre Kunst, denn das sive Malerei, während in der Kunstgewerbe ließ sie in ihren Fantastik ihrer Motive jener besten Stücken weit hinter sich. Ton mitschwingt, der so tyDa sprießen knallrote Blupisch für Wien sei. Auch das men und Brustknospen auf Rokoko, die Lust am Asiatigeishaweißer Haut; ihre „Flora“ „Großzügig und hypersensibel“, diese Eigenschaften las ihr eine schen blitzen in ihren Werken Wahrsagerin aus der Hand: Vally Wieselthier (1895–1945, o. trägt Make-up und ein frivoles auf, der Surrealismus, Chagall bei der Arbeit an „Mädchenbüste mit erhobenen Armen“, 1928), Blumenhütchen, ist mehr Großund Schiele, Lehmbrucks madie bedeutendste Keramikkünstlerin der Wiener Werkstätstadtpflanze und Cabaret-Star te, zog 1928 nach New York, wo sie kurz nach Kriegsende starb. nieristisch überlängte Formen, als Blumengöttin. Überhaupt ist Archipenko … Aber immer bleibt diese „Flora“ fast lebensgroß und bis auf ein paar „Fetzn“ splitter- sie ganz bei sich, gibt den Dingen ihr eigenes Charisma, lineare nackt. Schamlos, sagen die Männer zu so einer, „ausgschamt“ Eleganz, funkelnden Witz, wilde, kitzelnde Sinnlichkeit. nennt so mancher auch die Künstlerin selbst, vor allem ihre abge„Nach dem Krieg“, sagt Hörmann, habe man ihre unbändige blitzten Liebhaber. Sie trägt ihren Bubikopf raspelkurz und ringel- Lust am Dekorativen als Kitsch angesehen. Auch in New York, gelockt wie die Frauenköpfe, die sie modelliert. Die „Bacchantin“ wohin sie 1928 zieht und, hellsichtig vor der Gefahr, die sich in von 1920 etwa. Eine Frau im Rausch! Lallend, mit zitternden Lip- Europa zusammenbraut, bis zu ihrem frühen Tod 1945 bleibt, wird pen, Lider auf Halbmast, blau unterlaufene Augen, die Brauen ra- sie nach ein paar umschwärmten Jahren vergessen. Mit kleinen siert, zwei Clownsflecke auf den bleichen Wangen. Ein Porträt. Gebrauchs- und Dekorationsobjekten bringt sie sich durch. Fast Nicht von ihr oder von irgendwem, sondern von der Zeit, so „aus- unbemerkt erlischt der Elan dieser Frau, der noch in den letzten gschamt brutal“, wie die eben ist. Ihre Affenskulpturen sind bra- Zeilen ihrer selbstverfassten Kurzbiografie klingt: „Aber sind das chial naturalistisch, dunkel und wie mit Blumen tätowiert, einige nicht Erinnerungen eines alten Mannes? Und ich bin ja immer tragen platinblonde Perücken. Aber es gibt auch lustiges Spielzeug, noch am Leben. Heute mehr als gestern!“ In der Tat.

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Stil Inspiration

Tex t Friederike Weißbach Produk tion Nina Luisa Vesic und Friederike Weißbach Fotos Felix Brandl

Flower Power Hour

Orchideen, Iris, Flieder, Chronographen (v. o. li. im Uhrzeigersinn): Richard Milles Damenklassiker „RM 07-01“ in Weißgold mit onyx- und diamantbesetztem Zifferblatt, 220 500 Euro. Purpur-Stunde: Chronograph „Royal Oak Frosted Gold“ aus gehämmertem Weißgold mit violettem Blatt von Audemars Piguet, 63 700 Euro. Schön kompliziert! Louis Vuittons weißgoldene „Tambour Spin Time Air“ mit scheinbar schwebenden, rotierenden Würfeln mit Diamanten und Saphiren als Stundenanzeige, 72 000 Euro. Perfekt arrangiert: „Oyster Perpetual Datejust 36“ aus Stahl und hauseigener Weißgoldlegierung mit Perlmuttzifferblatt und diamantbesetzter Lünette von Rolex, 17 900 Euro. Bluse von Louis Vuitton, Cole & Son-Tapete „Bluebell“.

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Fotos: Felix Brandl / Studio Condé Nast

Technisch versiert, aus Gold, Titan oder Tantal, mit Perlmutt, Lack und Diamanten: In diesem Sommer steht die Uhrmacherkunst in voller Blüte!


Schräge Ansichten (von oben li. nach unten re.)? Keineswegs! Die kleine Sekunde von Chopards „L.U.C XPS Twist QF“ aus Weißgold mit Alligatorlederband findet sich im Zifferblatt bei sieben Uhr, 18 800 Euro. Sattelfest: „Galop d’Hermès“ mit diamantbesetztem Edelstahlgehäuse in Steigbügelform, Quarzwerk und Band aus Alligatorleder, 7500 Euro. Zwei Zeitzonen auf einem Schlauch: „Heritage GMT“ aus Edelstahl mit Milanaise-Band von Montblanc, 2700 Euro. Für mehr als eine lauschige Sommernacht: Jaeger-LeCoultres diamantbesetzte „Rendez-Vous Moon“ mit neuem Mondphasen-Design und Alligatorband mit Schnellwechselsystem, 15 400 Euro. Gartenschlauch mit Düse von Garden Glory, Kleid von Emilia Wickstead.

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Stil Studio

Runter vom Sofa! Ein Wohnzimmer ist kein Spielplatz! Warum eigentlich nicht? Schaukeln und Hängematten bringen Schwung ins Interior.

Tex t Karin Jaeger

Südlich gemütlich: „Ein ruhiges Plätzchen für die ausgedehnte Sies­ta“ wünschten sich die ­Besitzer eines Hauses an der Costa Brava. The Room Studio erfüllte ­ihren Wunsch mit der Hängematte „Sambito“ aus Canvas von Ska­ gerak. Auch Guéridon und Teppich sind aus Naturmaterialien.

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S

Fotos: Ferran Freixa / RBA; Styling: Olga Gil-Vernet; © Lee Broom; Molly Culver; Gaelle Le Boulicaut

ie kennen sicher das berühmte Gemälde von Fragonard: eine junge Frau auf einer Schaukel, die Röcke vom Luftzug gebauscht, übermütig hin- und herschwingend zwischen zwei Verehrern. Die ganze Faszination des Schaukelns ist in dieser Ikone des Rokoko gebündelt: das Gefühl rausch­ hafter Leichtigkeit, von Schwe­­re- und Sorg­losigkeit; man schwebt über den Dingen, entflieht Zwängen und Konventionen, gewinnt neue Blickwinkel, verliert den Boden unter den Füßen und die Ernsthaftigkeit des Alltags aus den Augen. Ähnlich unseriös, wenn auch weniger frivol ist das Image der Hängematte: Wer entspannt abhängt, entzieht sich fast schon provokant der allgemeinen Geschäftigkeit, lässt sich tragen, kehrt geradezu in einen frühkindlichen Zustand sorgloser Geborgenheit zurück. „Whatever you’re doing, it can wait.“ Das Motto der „Porch Sitters Union“ (von porch = Veranda), einer Vereinigung aus den Südstaaten der USA, wo Schaukelbänke zum Inventar jeder Veranda gehören, lässt sich eigentlich auf alle Hänge- und Schaukelmöbel übertragen.

Schaukeln + offenes Feuer = maximale coziness; hier hängt ein Rattansessel von Expormim in einem Ferienapartment in der Bretagne (unesuiteavannes.com). Ein US-Klassiker ist die Veranda-Schaukel (o. re. vor dem Büro des Onlinemagazins camillestyles.com in Austin). Eher in eine glamouröse Manege gehört dagegen Lee Brooms „Hanging Hoop Chair“ oben.


Architektur Projekt

Agora an der Spree Tex t Andreas Kühnlein Por trät Peter Rigaud

Nach fast zwei Jahrhunderten ist die Berliner Museumsinsel endlich komplett – so gut wie jedenfalls. Wir trafen David Chipperfield zu einem Rundgang durch die nagelneue James-Simon-Galerie. 66


Fotos: © Ute Zscharnt für David Chipperfield Architects (2)

W arum brauchte es noch einen weiteren Bau auf der Museums­insel? Die James-Simon-Galerie geht auf den Masterplan zurück, und der resultierte aus unserer Arbeit am Neuen Museum. Ursprünglich sollte das der Haupteingang für das gesamte Ensemble werden. Aber wenn man den historischen Teil bewahren will, kann man da keine fünf, sechs Millionen Menschen durchschleusen. Wo also hin mit den nötigen Servicefunktionen? Genau das versuchen wir hier zu beantworten. Die Galerie ist also als eine Art Schnittstelle und als Servicegebäude gedacht … … das alle Funktionen umfasst, die den anderen Häusern fehlen. Aber es wird hier auch Wechselausstellungen und ein Auditorium geben, das ist für die Museumsinsel ganz neu. Alles in allem beantworten wir Fragen, die noch gar nicht gestellt waren, als die anderen Häuser gebaut wurden. Damals haben Museen noch anders funktioniert – ich meine, das Neue Museum hatte ursprünglich eine Klingel an der Tür! Das heißt, das Verhältnis zum Museum selbst hat sich gewandelt?

Ja, Museen sind Teil unserer Freizeitgestaltung geworden, man geht nicht mehr gezielt hin, um sich mit einem Exponat zu beschäftigen, sondern will einen zugänglichen, möglichst unterhaltsamen Überblick. Und der umfasst hier fünf Museen, die direkt nebeneinanderliegen und doch keine echte Verbindung haben. Es geht also um drei Dinge: eine klare Orientierung, die nötigen Servicefunktionen – und ein Angebot an die Bürger der Stadt. Eine Dauerausstellung allein kann das nicht leisten; wenn

Säulenreihe (oben): Schlanke Betonpfeiler mit Marmorzuschlag über dem wuchtigen Sockel u. stellen die Verbindung zum monumentalen Nachbarbau, dem 1930 fertiggestellten Pergamonmuseum, her. Der Entwurf aus dem Büro von David Chipperfield (li. Seite) übersetzt historische Motive in beispiellose Leichtigkeit – so wirkt das Haus weder ­introvertiert noch zu stark.


Le Muy

Beste Aussicht: Louis Benech, Gestalter ­der Tuilerien in Paris, ent­warf den Park für die Familie Mitterrand. Hier ließen die Pari­ ser Galeristen Skulp­ turen von Claudia Comte, Wim Delvoye und Sol LeWitt in­ stallieren. Den Pool gestaltete Peter Kog­ ler. Im Esszimmer (rechte Seite) sind sich die sonnengelben ­Rattanstühle freund­ lich zugeneigt. Tisch, Stühle, Bank und Ke­ ramiken entwarf ­In­dia Mahdavi. Darüber hängen Papierar­ beiten der Schweizer Per­formance-Künst­ lerin ­Katja Schenker.


Silbriges

Dem Zauber des Südens können wenige solche Sonnenbühnen bauen wie India Mahdavi. An der Côte d’Azur schenkte sie dem Haus einer Galeristenfamilie sogar eine glänzende Hülle.

Glitzern Tex t Ulrich Clewing

Produk tion Cédric Saint André Perrin

Fotos Ambroise Tézenas

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Sonderheft Juli  /   A ugust 2019

Immobilien Special Die schönsten Kaufobjekte 2019


Immobilien 2019

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D A

Frankfurter Küche

Legende A Österreich B Belgien CHL Chile D Deutschland E Spanien F Frankreich GB Großbritannien I Italien P Portugal S Schweden USA USA

Architectural Digest. Stil, Design, Kunst & Architektur erscheint in der Condé Nast Germany GmbH Oskar-von-Miller-Ring 20, 80333 München Telefon 089 38104-0 mail@condenast.de, www.condenast.de ad@admagazin.de, www.admagazin.de Chefredakteur Oliver Jahn Verantwortlich für den redaktionellen Inhalt Redaktion Stv. Chefredakteur & Style Director Dr. Simone Herrmann Art Director Inka Baron Editorial Design Judith Pretsch Textchef Barbara Gärtner Managing Editor Eike Schrimm Textredaktion Andreas Kühnlein, Florian Siebeck Bildredaktion Thomas Skroch (Ltg.), Isa Lim, Samantha Taruvinga Art Department Viviana Tapia (Stv. Art Director), Anastasia Novikova (Trainee) Assistenz der Chefredaktion Johanna Hänsch Mitarbeiter dieser Ausgabe Reinhard Krause, Carola Plappert Autoren dieser Ausgabe Till Briegleb, Bettina Schneuer Fotograf dieser Ausgabe Thomas Skroch Illustrator dieser Ausgabe Jelka Lerche Büro Mailand Anna Riva, Paola Dörpinghaus Tel. +39 02 29000718, p.dorpinghaus@condenast.it Büro New York Christina Schuhbeck Tel. +1 212 2866856, christina_schuhbeck@condenast.com Schlussredaktion / Dokumentation Lektornet Syndication syndication@condenast.de Redaktion admagazin.de Andreas Kühnlein (Ltg.), Valerie Präkelt (Feature & Social Media Ltg.), Clara Westhoff (Trainee)

Quartier machen Nach Startproblemen scheint aus Hamburgs HafenCity doch noch mehr zu werden als nur ein Stadt-Avatar.

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Hangarlage Ein alternatives Wohnkonzept schafft Lebensqualität in Detroit – und vitalisiert die alternde Industriestadt.

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Kaufobjekte 2019

Die schönsten Villen, Apartments, Lofts und Chalets auf dem Markt. Von Chile über Italien bis in die USA.

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Farbe, satt

Bei Ziegert Knight Frank in Frankfurt: das neu gestaltete Verkaufsbüro mit starken Tönen und deutschem Design.

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Flex Work

Vor den Toren Münchens baut ­Euroboden eine neue Form des Büros, das Arbeit und Ausgleich vereint.

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Gute Aussichten

Das Bellevue di Monaco steht für eine andere Flüchtlingspolitik, wie Architekt Matthias Marschner erklärt.

6 Internationales Impressum

Publisher André Pollmann Anzeigen / Vermarktung Sales Christina Linder, Head of Sales christina.linder@condenast.de, Tel. -430 Christine Weinsheimer, Head of Digital Sales christine.weinsheimer@condenast.de, Tel. -466 Brand Advertising Andrea Latten, Brand Director Vogue & AD andrea.latten@condenast.de, Tel. -276 (verantwortlich für Anzeigen) Marketing Angela Reipschläger, Head of Marketing angela.reipschlaeger@condenast.de, Tel. -793 Ingrid Hedley, Marketing Director ingrid.hedley@condenast.de, Tel. -142 Kathrin Ölscher, Marketing Director kathrin.oelscher@condenast.de, Tel. -746 Creative Studio Carsten Schilkowski, Head of Creative Studio carsten.schilkowski@condenast.de, Tel. -365 Advertising Operations Katharina Schumm, Head of Revenue Management, Ad & Marketing Service katharina.schumm@condenast.de, Tel. -135 Vertrieb Alima Longatti, Head of Direct Marketing & CRM alima.longatti@condenast.de, Tel. -301 Einzelverkauf MZV GmbH & Co. KG, Karsten Reißner (Bereichsleitung) Herstellung Leitung Lars Reinecke, Director Production Digitale Vorstufe / Druck Mohn Media, Mohndruck GmbH Carl-Bertelsmann-Straße 161 m, 33311 Gütersloh Unternehmenskommunikation / PR Henrike Zock, Director Corporate Communications presse@condenast.de, Tel. -413 Finanzen Roland Riedesser, Finanzdirektor Geschäftsführerin und Herausgeberin Jessica Peppel-Schulz

Cover: Jelka Lerche; Foto: Diana Pfammatter

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Fotos: xxxxxxxxxx

Aneignung von unten, bespielt von oben: Eigentlich sollte das Gebäudeensemble im Münchner Glockenbachviertel abgerissen werden. Dank der Genossenschaft Bellevue di Monaco bietet es heute Geflüchteten Wohnraum und Gemeinschaft mitten in der Innenstadt. Auf dem Dach soll bald ein Bolzplatz entstehen.


Immobilien 2019

Gute Aussichten Das Bellevue di Monaco ist Vorzeigeprojekt einer anderen Flüchtlingspolitik – ein Gespräch mit Architekt Matthias Marschner.

Tex t Andreas Kühnlein Fotos Thomas Skro ch

P

Werkstattkeller, in dem die Möbel entstehen, auf denen man vorne im Café sitzt und die man auch kau­ rojekte wie dieses gibt es nicht fen kann. Die einstige Auffahrt ist viele in München, oder? jetzt ein Amphitheater für Veranstal­Nein, obwohl eine Menge Leute tungen, eine winzige Kammer ein ­unzufrieden sind mit der Richtung, ­Möbellager, weiter hinten im Keller­ in die sich die Stadt entwickelt. gewölbe entstand eine provisorische Da liegt durchaus großes Potenzial. Fahrradwerkstatt. Das Ensemble Die Bereitschaft, sich ohne Ge­ wird genutzt bis in den letzten Win­ genleistung einzubringen, war hier kel, vom Keller bis unters Dach. wirklich überwältigend. Wie gingen Sie dabei vor? Den geplanten Abriss hatte das Wir hatten es mit drei Teilen zu tun, Ensemble auch kaum verdient … einem 50er Jahre-Bau, einem Wohn­ Das kommt auf die Perspektive an. haus von 1884, einem Gewerbe­ Die Stadt München muss zwangs­ bau, der irgendwo dazwischenliegt, läufig mit ihren Standards anders im Krieg zerstört und danach wie­ rechnen, als eine Genossenschaft der aufgebaut wurde. Wir haben er­ das kann. Das gilt auch für die Kli­ halten, was immer sich erhalten mabilanz: In einem solchen Bau ist ließ, den kaputten Terrazzo ergänzt, immens viel „graue Energie“ ent­ die marode Holztreppe im ältes­ halten, die verloren geht, wenn man ten Gebäudeteil aufwändig gerettet, abreißt und neu baut. Bis die bes­ Türen aufgearbeitet und teils an­ sere Dämmung eines Neubaus das derswo wieder eingesetzt. Am auf­ dabei freigesetzte CO2 ausgegli­ wändigsten war der Dachstuhl chen hat, vergeht ein Jahrhundert – des alten ­Textilbetriebs – die Akus­ das steht in keinem Verhältnis zur tikdecke darunter haben wir per­ Nutzungsdauer des Gebäudes. Au­ sönlich angeschraubt. ßerdem erzeugt jeder Neubau Son­ Mat thias Mar schner Wie haben Sie dafür eine gestaldermüll, selbst wenn man sich wie terische Linie definiert? wir dem ökologischen Bauen verschrieben hat. Wer komplett auf Die grobe Idee ist eine Art „goldenes Band“, das die drei Häuser nicht recycelbare Verbundmaterialien verzichten will, produ­ wie eine Klammer zusammenhält. Eine komplett stringente ziert Kosten, die kein öffentlicher Bauherr bezahlen kann. Also ­Gestaltung wäre für ein derart zusammengewürfeltes Ensemble müssen wir anfangen, über den Bestand anders nachzudenken. zu viel – wir haben einen Mittelweg versucht, der von der Ganz kurz: Was haben Sie hier eigentlich gemacht? ­Nutzung ausgeht. Schritt für Schritt haben wir das Haus quasi Unser Konzept kann man als kreative Aneignung und Umgestal­ „anprobiert“, was uns als Architekten viel Flexibilität abverlangt. tung beschreiben: um einerseits den Charakter des Bestands zu Und doch wirkt das Ergebnis geradezu durchdesignt … erhalten, andererseits durch vorsichtige Eingriffe so umzubauen, Warum muss Ehrenamt auch immer in Sackleinen daherkommen? dass das Ganze neuen Ansprüchen genügt. Die Genossenschaft Eine vernünftige Gestaltung zieht auch andere Bevölkerungs­ hatte das Gebäude schon vor der Renovierung bezogen, dadurch schichten an, und hier ist die Idee ja, möglichst unterschiedli­ gab es bereits Erfahrungen, was fehlt, was gebraucht wird, was che Leute zusammenzubringen. Natürlich ruft Schönes auch sich bewährt hat. Zu den vielfältigen Aktivitäten im Bellevue ge­ Neider hervor, damit muss man umgehen. Dabei muss gute Ge­ hört das gemeinsame Kochen, deshalb ist ein zentraler Teil eine staltung nicht teuer sein. Die eigens für das Projekt entworfe­ gut ausgestattete Küche. Die ehemalige Tiefgarage wurde zum nen Möbel sind billiger als alles, was man hätte kaufen können.

„Wem gehört die Stadt – das ist die Frage, um die es eigentlich geht.“

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Immobilien 2019

D

WF 5 8–1 6 4 m 2 Preise auf Anfrage

Wohnungen Erlangen Das Ensemble aus drei hintereinander errichteten Gebäuden mit stillen grünen Höfen umfasst insgesamt 21 Wohnungen; der größte, straßen­sei­ tige Bau zeigt eine raffiniert geknickte, graue Natursteinfassade auf WDVS. Alle Fenster sind bodentief und werden elegant mit Stahl gerahmt.

USA

raumwerk.de WF 1 5 6 m 2 2 , 9 5 Mio. D ollar

Mid Mod-Meisterstück: Craig Ellwood ent­warf 1956 dieses Mondrian-Gemälde in 3D. Sein Kuderna House wurde nun authentisch restauriert. Die offene Raumstruk­ tur blieb, alle Einbauten aus Walnuss sind aufgearbeitet, der Terrazzoboden und die Bäder neu. Separates Gästeapartment, schmaler Pool und: Traumblick auf L. A. par tridge e s tate s.com

WF 2 8 0+ 4 6 0 m 2 2 , 2 Mio. Euro

Domaine Languedoc Das neue Gutshaus, errichtet mit alten Steinen aus den Weinbergen, und drei charmant sanierte Gästehäuser aus dem 16. Jahrhundert bieten viel Raum samt großer neuer Poolanlage. Dazu kommen Stallungen, Koppeln und der hauseigene Olivenhain – die Weinkellerei ist noch vermietet. house s-and-home s.com

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Fotos: © Zoom VP; Partridge Estates Group (4); H & H Immobilien

F

Bungalow Los Angeles


Elementarteilchen: Alejandro Aravena, der Pritzker-Preisträger 2016, erdachte die Betonkuben an den Klippen der Pazifikküste seiner chilenischen Heimat. Außen rau und verschlossen, wandelt sich das Haus zum Wasser dank raumhoher Glasfronten (aus Deutschland) zum eleganten Ruhepol. Darüber liegen Schlafzimmer mit Blick ins Land. sothebyrealt y.com

WF 2 5 0 m 2 1 , 249 Mio. D ollar

Fotos: William Rojas for Chile Sotheby’s International Realty

Trutzburg Los Vilos

CHL



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