AD Choice 2017

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Choice Sonderausgabe 2017

CONDÉ NAST VERLAG

ARCHITECTURAL DIGEST. STIL, DESIGN, KUNST & ARCHITEKTUR

A D C HOIC E – 10 0 JA H R E DE SIGN

100 Jahre Design Die Klassiker. Die Macher. Die Geschichten.

SON DE R AUSGA BE 20 17

9,80 €

Deutschland Österreich 16,90 SFR Schweiz 10,50 € Benelux


inhalt

9 Editorial 14 Impressum 17 100 Jahre – 100 Seiten

34 Ludwig? Oder Lilly?

Seite 18

Wiege der Moderne 1918–1932 Gerrit Rietveld – Curt Fischer – Raoul Dufy –

43 Drapers Dschungel

Cover: Oluce; Nola 2017; Petite Friture; Classicon; Martin Url; Midgard; Fabrizio Annibali / Editions Milano; Tom Vack; Krøyer Saetter Lassen; Venini; Vitra (2); USM; Gufram; Jens Mourits Sørensen / PP Møbler; Fotos: Knoll; Courtesy Collection of Dorothy Draper & Co. and the Carleton Varney Design Group; Daniel Caja; Porträt: Sika-Design

Marcel Breuer und Gunta Stölzl – Frank Lloyd Wright – ­Kasimir Malewitsch – The Jazz Age – Breuer, die Zweite – Genealogie des Freischwingers – Eileen Gray – Sitz­ maschinen – Lilly Reich und Ludwig Mies van der Rohe – Paul T. Frankl – Jean-Michel Frank – Axel Einar Hjorth

Seite 39

Umbruch und Exil 1933–1945 Margarete Heymann-Loebenstein – Jean Prouvé –

Alvar und Aino Aalto – Carlo Scarpa – Dorothy Draper – Wilhelm Wagenfeld – Meret Oppenheim – Franco Albini – Märta Måås-Fjetterström und Barbro Nilsson – Jens Risom – Josef Frank – Hans J. Wegner vs. Wilton C. Dinges

74 Hyggelig!

70 Acapulco Street-Style

Seite 57

Schlicht und ergreifend: Midcentury

1946–1959 Børge Mogensen – Charles und Ray Eames – ­

Greta Magnusson Grossman – Das Standardtelefon – Finn Juhl – Hans Brockhage – Isamu Noguchi – Harry Bertoia – Egon Eiermann – Max Bill – Der „Acapulco Chair“ – Maija Isola – Arne Jacobsen und Henning Koppel – Poul Hen­ ningsen – Nanna und Jørgen Ditzel choice 11


inhalt

Seite 75

Popkultur und Gute Form Fotos: Third Drawer Down; Nola; Heidi Lerkenfeldt; Made in Design

1960–1975 Dieter Rams – Hans Roericht – Gio Ponti – Eero

Aarnio – George Nelson – Beatlemania – Tapio Wirkkala – Anna Castelli Ferrieri – Verner Panton – Sixties-Plakate – Superstudio – Joe Colombo – Peter Opsvik – Der „Monobloc“ – Bruno Gambone – Tapeten der Siebziger

Seite 96

Postmoderne und Schulterpolster

105 Memphis in Afrika

1976–1989 Wolfgang Müller-Deisig – Vico Magistretti –

Alessandro Mendini – Gillis Lundgren – Gaetano Pesce – Memphis – Nathalie Du Pasquier – Keith Haring – Ingo Maurer – Michael Graves – Norman Foster – Neues Deutsches Design – Wimbledon – Miami Vice

114 Paradiesvögel

148 Clou im Konzept

Seite 115

Countdown zum Millennium 1990–1999 Piet Hein Eek – Ron Arad – Sieger Design –

Garouste und Bonetti – Sofa-Landschaft – Ian Schrager und Philippe Starck – Philipp Mainzer – Safari-Look – Der iMac – India Mahdavi

111 So wohnt der Sport

Seite 127

Wahlverwandtschaften: New Conceptualism 2000–2017 Ronan & Erwan Bouroullec – Jan Kath –

Patricia Urquiola – Tom Dixon – Konstantin Grcic – Hella Jongerius – Jaime Hayon – Lars Tornøe – Oskar Z ­ ieta – Stefan Diez – Tiermöbel – Marmor – Sebastian Herkner – Daybeds – Michael Anastassiades – Christophe de la ­Fontaine – Rosa – Konzepträume

152 Internationales Impressum 154 100 Jahre – 100 Songs choice 13


editorial

„Erfindergeist, Beharrlichkeit, Experimente, Formgenie. Wir erzählen unsere Geschichte des Möbeldesigns.“

Manchmal braucht es nicht viel mehr als eine Fahrradpumpe und ein paar Holzlatten, um eine Revolution anzuzetteln. Im Juli 1941 begannen der Architekt Charles Eames und seine Frau Ray, eine gelernte Bildhauerin, im Gästezimmer ihres kleinen Apartments in Los Angeles mit ein paar seltsamen Experimenten. Mithilfe einer provisorischen Apparatur, die sie nach einem alten Zauberspruch auf den Namen „Kazam!“ getauft hatten, wollte das Paar eine lang gehegte Idee in die Tat umsetzen: einen Stuhl zu bauen, dessen Sitzschale aus einem Stück Sperrholz bestand, schwungvoll schön gebogen und leicht in großer Zahl herstellbar zugleich. Das Kunststück ging so: Dünne Lagen Furnier, das Charles – der als Set-Designer in den MGM-Studios arbeitete – heimlich hatte mitgehen lassen, wurden alternierend, mal mit der Maserung, mal quer dazu, übereinander­geschichtet und verleimt, dann in eine mit Heizdrähten durchzogene Gipsform in einem Holzkäfig eingepasst. Über dem Schichtholz platzierten die beiden eine Art Ballon und verschraubten ihre magische Box. Mit der Fahrradpumpe wurde die Membran aufgeblasen, um vier bis sechs Stunden Druck auf das Werkstück auszuüben, während die Heizdrähte den Leim trock­ neten. Die Ecken der fertigen Sitzschale wurden noch mit einer Säge und per Handschliff abgerundet – et voilà. Erfindergeist, endloses Experimentieren, Beharrlichkeit und natürlich eine gehörige Portion skulpturales Genie verbanden sich hier zu einer Mischung, die einige der berühmtesten Klas­siker der Möbelgeschichte hervorbringen sollte. Der exemplarische Blick auf die Historie des Designs zeigt ja vor allem eines: Es geht nicht einfach um gefällige Formen, die mal eben in der Nach­ mittags­sonne unterm Apfelbaum ersonnen wurden. Die Ge­schichte des Designs im 20. Jahrhundert ist ein nie versiegendes Füllhorn ver­schlungener Geschichten von Lust und Frust, von Ringen und Ge­lingen. Einige davon wollen wir Ihnen in dieser Ausgabe von AD Choice unbedingt erzählen, von 1918 bis hinein in unsere Gegenwart, in Jahresschritten. Manche Stücke – wie den Lounge Chair aus Eames’ „Plywood Group“ auf S. 57 – kennen Sie, andere vielleicht nicht. Es ist unsere ganz persönliche Geschichte von 100 Jahren Möbeldesign. Eine Luftpumpe. Leim. Ein bisschen Holz. Ein Ballon. Was würden Sie damit machen?

Porträt: René Fietzek

Oliver Jahn

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Porträt: Fredericia; Fotos: Märta Måås-Fjetterström; Courtesy of Knoll; Wittmann; Quittenbaum Kunstauktionen (4)

100 jahre möbelklassiker

100 Jahre 100 Seiten Re da kt io n Uta Schürmann und Andreas Kühnlein

Was verbindet die Beatles mit Gropi­ us, was den „Backenzahn“ mit sei­ nen Groupies? In AD Choice führen wir Sie durch ein Jahr­hun­dert Designgeschichte(n), von Eames bis Ikea, von Miami bis in den Welt­ raum – jede Seite eine neue, stil­ prägende Idee. Unsere Auswahl ist willkürlich, aber bedacht, und eines können wir versprechen: Sie wer­­­den die Klassiker danach mit ande­ ren Augen sehen. Glauben Sie nicht? Dann blättern Sie doch mal auf S. 104. Und nun: rein ins Vergnügen! choice 17


schlicht und ergreifend: midcentury

1953 Der Tisch, dem die Architekten vertrauen In der Kunst gibt es das Phänomen des artists’ artist, des Künstlers, auf den sich (fast) alle Kollegen einigen können. Im Bereich der Architektenmöbel entspricht dem o ­ hne Zweifel seit Jahrzehnten der Arbeitstisch „Eiermann 1“, der sich leicht zum Zeichentisch mit schräg gestellter Platte umfunktionieren lässt. Seine Standfestigkeit bei geringem Materialeinsatz verdankt das Gestell einem versetzt platzierten Stahlrohr­kreuz; eine geniale Lösung, die der Architekt Egon Eiermann beim Altar seiner Matthäuskirche in Pforzheim erprobt hatte. RK

„Eiermann 2“ Egon Eiermann, 1953 Redesign von Richard Lampert 210 Euro, zum Beispiel über s m ow.de

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Fotos: Brian Buchard / Linie Design; Smow

Richard Lampert erwarb 1995 die Rechte an Egon Eier­manns Entwürfen. An­ ders als beim Arbeitstisch „Eiermann 1“ (g. o., mit Tep­ pich von Linie Design) ist das Stahlrohr­kreuz des Ge­ stells beim Esstisch „Eier­ mann 2“ lotrecht angebracht, wahl­weise mittig oder (wie hier) seitlich. Und das ist nicht die einzige Entschei­ dung, die man treffen darf: Noch größer ist das An­ge­ bot bei den Tischplatten.


schlicht und ergreifend: midcentury

Kosmos

Box-Office „Ulmer Hocker“ Max Bill und Hans ­Gugelot 1954, heute bei WB Form, 198 Euro w b fo r m .co m

„Butshi“ Andree Weissert, 2014 3er-Set ab 300 Euro über magaz in.com

Fotos: Daniel Hofer; Muuto; Daniela Gellner; Cassina; We Do Wood; Schellmann Furniture; WB Form

1954

Fast schon Arte povera Eigentlich hatte der Rektor Max Bill seine Studenten an der Ulmer Hochschule für Gestaltung aufgefordert, ein simples Multifunktionsmöbel für den Unterrichts­ alltag zu entwerfen. Am Ende setzte sich sein eigener Entwurf durch, den der Schweizer mit seinem Kollegen Hans Gugelot entwickelte. Ihr „Ulmer Hocker“ (oben) bestand aus nichts als drei Bret­­tern Fichtenholz und einem abgesägten Besenstiel – und zählt neben Le Cor­ busiers simplen Holzboxen „LC14“ zu den frühen Ikonen sperrig-spartanischen Gestaltens. Weniger geht nicht. R K

„SJ Bookcase Midi“ Sebastian Jørgensen 2013 für We Do Wood 530 Euro we d owo o d.dk

„LC14“ Le Corbusier, 1952 Reedition von Cassina ab 660 Euro ca ssin a .co m

„Berliner Hocker“ Van Bo Le-Mentzel 2011 für Hartz IV Möbel Prototyp h a r t zivmo e be l.de

„Stacked Shelf System“ JDS Architects 2008 für Muuto ab 99 Euro muuto.com

Next Generation

Design Goes Readymade Jörg Schellmann ist Minimalist. Neben Werken der Crème de la Crème des Kunstbetriebs verlegt er Kleinstauflagen von Künstlermöbeln (Beuys! Hirst! Judd!). Seine eigenen Entwürfe (von links „Five Boxes“, „Staff Lamp“, „Coatrack“ und „Storage 6“) verbinden knappste Form und Signalfarben mit zupackender Rohheit: Die Kis­ten seiner Staumöbel sind schlichte Industriecontainer aus staubgrauem Plastik. sc h e llma n n fur n it ure.com choice 69


schlicht und ergreifend: midcentury

1955 Die Sonne war schuld Dass sich ein Klassiker keinem Entwerfer zuschreiben lässt, ist selten. Der „Acapulco Chair“ ist so ein Uni­ kum. Der Legende nach geht seine Entstehung auf ­einen Touristen zurück, der sich bei glühender Hitze den Allerwertesten verbrannte. Wie auch immer: Das Prinzip, zwei Reifen strahlenförmig mit farbigen Plas­tikkordeln zu verbinden, wurde zum Symbol für Strandflair unter tropischer Sonne – und der „Acapul­ co Chair“ zum String unter den Strandmöbeln. R K

2

1 „Acapulco Rocking Chair“ Acapulco Design, 2015 um 350 Euro acapu lcod e s i g n.eu

3 „Acapulco Chair Leder“ Acapulco Design, 2016 um 450 Euro aca pu l co d es i g n.eu

2 „Acapulco Taburete“ Acapulco Design, 2015 um 190 Euro acapu lcod e s i g n.eu

4 „AD-1 Dining Chair“ Acapulco Design, 2017 um 350 Euro aca pu l co d es i g n.eu

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3

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Fotos: Daniel Caja

1

Wo kein Urheber, da kein Kläger: Den „Acapulco Chair“ gibt es in unzäh­li­gen Varianten – ob klassisch als Dreibeiner oder neuerdings als Freischwinger (Entwurf: Hansandfranz). Die Firma Acapulco Design (o. und u.) macht die kom­fortablen Maße des „Ori­ginals“ wieder verfügbar.


1956

Schnitt-Punkte Maija Isola war ein Freigeist: Als etwa die Marimekko-Gründerin Armi Ratia sie 1964 um neue Textilmuster bat – einzige Bedingung: Bloß keine Blumen! –, schuf sie mit den ikonischen Blüten von „Unikko“ den finnischen Stoff­klas­siker schlechthin. Acht Jahre zuvor hatte sie mit „Kivet“ (2) ein Dessin ent­wickelt, das simpler und effektvoller kaum sein konnte. Um die Form runder Kiesel nachzubilden, schnitt sie grobe Kreise aus Karton und fügte sie zu Loch-Streifen, die an schräge Jazztöne denken lassen. Stig Lindbergs „Tallyho“ (4) stieß 1961 ins selbe Horn, nur mit einer fruchtigen Apfelnote. Eine Hommage an „Kivet“ wurde 2009 Maija Louekaris „Räsymatto“ (3); hier stehen die schiefen Kontrapunkte allerdings für die Noppen finnischer Webteppiche. R K

2

1 „Isot Kivet“ Maija Isola 1959 für Marimekko 43 Euro pro Meter m a r i m e k ko.co m

2 „Kivet“ Maija Isola 1956 für Marimekko 44 Euro pro Meter m a r i m e k ko.co m

3 „Räsymatto“ Maija Louekari 2009 für Marimekko 43 Euro pro Meter m a r i m e k ko.co m

4 „Tallyho“ Stig Lindberg 1961 für Ljungbergs 84 Euro pro Meter l j u ng be rg s tex t il.se

Fotos: Marimekko (3); Ljungbergs

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3

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popkultur und gute form

Into the Wood

Foto: Andrew Bordwin

Als der studierte Architekt George Naka­ shima in einem Bau von Frank Lloyd Wright stand, wurde ihm klar: Mit Häusern würde er in einem Land mit derart miesem Hand­ werk nicht weit kommen. Also wurde er Woodworker, da hatte er die Umsetzung selbst in der Hand. Entsprechend charakter­ stark gerieten seine Möbel – hier zu sehen im 1957 entstandenen Conoid Studio in Penn­sylvania, wo er bis zu seinem Tod 1990 lebte (Teppich von e d wa rd f i e l d s .co m ). A K

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popkultur und gute form

1967 Die Wucht in Dosen

Zum Jubiläum präsentiert Kartell neue Varianten der „Componibili“, ­unter anderem in Petrol, Oliv und Aubergine. Anna Castelli Ferrieri entwarf komplett neue Wohnwelten für Kartell, unten etwa bei Macy’s in New York.

Fotos: Kartell

Manchmal kommt zusammen, was zusammengehört. Auf der einen Seite: Anna Ferrieri. Sie war eine der ersten Frauen, die am Mailänder Politecnico ihren Abschluss machten. Auf der anderen: Giulio Castelli, ein Chemiker. Er hatte 1949 eine Firma für Kunststoffmobiliar gegründet, Kartell. Das Treffen der beiden mündete nicht nur in einer erfüllten Ehe, sondern auch in innovativen Produkten wie den ­vielseitigen Modulelementen „Componibili“, die rasch zu Best- und Longsellern avancierten und Kartell weltweit ­bekannt machten. In diesem Jahr feiern sie ihren 50. Geburtstag. Schubladendenken in high gloss! F S

„Componibili“ Anna Castelli Ferrieri 1967 für Kartell ab 85 Euro ka r te ll.co m

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1

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1968

Chill-out im Pop-Uterus

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Kaum etwas faszinierte Verner Panton Ende der Sechziger mehr als Wohnlandschaften. Da kam es ihm zupass, dass der Chemiekonzern Bayer zur Kölner Möbelmesse jedes Jahr einen Dampfer charterte, auf dem zeitgenössische Designer ihre neusten Kunststoff-Interpretationen zeigten. 1968 arrangierte Panton dort bunte Kugeln und Kreise zu verspielten Wohnszenarien. Die Verantwort­li­chen erkannten das Potenzial und engagierten den Dänen für 1970 gleich wieder. Aus der Kooperation entstand einer der einflussreichsten Räume des 20. Jahrhunderts. In den futuristisch-psychedelischen For­ men seiner Installation „Fantasy Land­scape“ (o.) verband Panton die Aufbruchstimmung des Space Age mit der Entspanntheit der beginnenden Seventies. Manche der dafür entworfenen Möbel, Leuchten und Textilien gingen leicht modifiziert in Serie und inspirierten viele Designer. F S

Fotos: Gufram; Panton Design, Basel; Zanotta (2); Vitra (2); Vondom; B & B Italia; Artifort

Kosmos 1 „Bocca“ Studio 65 1970 für Gufram 6490 Euro gu f r a m. i t

Aus einem Guss

2 „Panton Chair“ Verner Panton 1967 für Vitra 250 Euro vi tr a .com

5 „Ribbon Chair“ Pierre Paulin 1966 für Artifort 4760 Euro a r t i for t .co m

3 „Doux Sofa“ Karim Rashid 2010 für Vondom ab 920 Euro vond om.co m

6 „Sacco VIP“ Gatti, Paolini, Teodoro 1968 für Zanotta ab 210 Euro z a not t a . i t

4 „Up5_6“ Gaetano Pesce 1969 für B & B Italia um 3810 Euro b e bi t a l i a .co m

7 „Amoebe Highback“ Verner Panton 1970 für Vitra ab 1750 Euro v i tr a .com

5

8 „Blow“ Studio DDL 1967 für Zanotta nur noch als Vintage 6

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postmoderne und schulterpolster

1985

Hier kommt das Vögelchen Kaum etwas seziert die Gefühlslage des objektverliebten Yuppies der achtziger Jahre so messerscharf wie die Szene aus Mary Harrons Verfilmung von „American Psycho“, in der Christian Bale alias Patrick Bateman der kalte Schweiß ausbricht, weil die Visitenkarte eines anderen Invest­ mentbankers einen schöneren Weißton besitzt als seine eigene. Und kaum ein Her­ steller hat den Trend zum hedonistischen Design­fetisch mehr bedient als Alessi. Tra­ gisches Beispiel: Philippe Starcks Zitronen­ presse „Juicy Salif“ – eine alienhafte Spin­ ne, die cool aussieht; doch Saft pressen kann man mit dem langbeinigen Elend aus rostfreiem Gussaluminium keineswegs. Neben diesem Hang zu sinnfreien Iko­ nen (den Firmenchef Alberto Alessi bis heute damit begründet, dass er sich in die kreative Leistung seiner Designer, selbst wider besseres Wissen, nicht einmischen will) zeich­nete Alessi durchaus eine gewis­se internationale Strahl­ kraft aus. Namhafte Archi­ tekten wie Robert Venturi, Aldo Rossi, Hans Hollein und Richard Meier entwarfen unter dem Titel „Tea & Coffee Piazza“ Kännchen und Zucker­dosen, die wie kleine Häuser aussahen. Auch Michael Graves war unter den Machern der Architektur en miniature – der Grundstein einer langen und fol­ genreichen Zusammenarbeit. 1985 entwarf Graves den Teekessel „9093“, einen der größten Verkaufsschlager des Hauses

­ lessi überhaupt. Ein Objekt, das sich A allem less is more verweigert, dafür aber jedem seiner kapriziösen Bestandteile eine klare Bedeutung zuweist. So steht, laut Graves, der blaue, hitze­resistente Griff für Kühle, während die Noppen, die den Korpus an seiner Basis umrunden, die Bläschen kochenden Wassers symboli­ sieren. Die gesamte konische Form, die dafür sorgt, dass der Siedepunkt schneller erreicht wird, steht für Geschwindigkeit.

Und das berühmte Vögelchen ist rot, weil es singt, wenn das Wasser heiß ist. Überhaupt der Vogel, der wie die Küh­ lerfigur auf dem Bug einer blank polierten Karosserie thront. Mit ziemlicher Sicher­ heit ist seiner Anwesenheit der große Erfolg von „9093“ zu verdanken und seine Beliebtheit bei Familien. Schließlich weckt der Plastik-Piepmatz nicht nur die kindliche Freude des Designhedonisten, sondern eben auch – der Kinder. U S

„Ich bin immer schlecht gelaunt, wenn ich morgens aufstehe, aber der Vogel auf Ihrem Wasserkessel bringt mich jetzt zum Lächeln. Verflucht seien Sie!“ Französischer Poet, Brief an Michael Graves

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Foto: Alessi

„9093“ Michael Graves 1985 für Alessi 120 Euro a l e s s i .com


1

Fotos: Artemide; Richard Davies; Tecno; Pamono / Wunderkammershop; Alias; Fiam Italia

2

Kosmos

Glasklar

3

1 „Tolomeo“ Michele De Lucchi 1987 für Artemide 280 Euro ar te m i d e.d e 2 „Ghost“ Cini Boeri 1987 für Fiam um 4010 Euro f iam i t al i a.it

1986 Auf Stahlbeinen gegen Spaßdesign

4

5

3 „Prima“ Mario Botta 1982 für Alias um 1070 Euro a lia s.de sig n /de 4 „Tavolo con Ruote“ Gae Aulenti, 1980 für Fontana Arte ab 1000 Euro fo n t a n aa r te.co m 5 „Nomos“ Foster + Partners 1986 für Tecno Preis auf Anfrage te c n o spa .co m

Wir befinden uns im Jahr 1986 n. Chr. Ganz Italien ist fest im Griff der Postmoderne. Ganz Italien? Nein! Eine von unbeugsamen Ästheten betriebene Firma bei Mailand hört nicht auf, sich gegen den Zeitgeist zu stemmen. Mit der Hilfe des britischen Stararchitekten Norman Foster gelingt es Tecno, ein System von Konferenztischen zu lancieren, das sich durch technische Brillanz plakativem Anti­funk­tio­na­lismus widersetzt. Die Platte besteht aus Sicher­heitsglas, die Trägerkonstruktion aus Edelstahlstreben, kühn wie eine Brücke. Z ­ ugleich ist „Nomos“ eine Hommage an Carlo Mol­linos 40 Jahre älteren Schreibtisch „Reale“ aus Holz und Glas. Ein Häuflein Aufrech­ter bewahrte das Geheimnis des Zaubertranks namens Moderne made in Italy. LG choice 109



wahlverwandtschaften: new conceptualism

Beton plus Bonbon

Foto: Frederik Vercruysse

In den 2000ern galt es als cool, die eigene urbane Existenz in hallende Fabriketagen zu verlagern, von deren offenen Decken schwere Industrieleuchten hingen. Bis heute ist der Industrial Style gefragt, vor allem wenn er nicht gar so brachial daherkommt. Im Brüsseler Atelier eines Bildhauers setzen die Architekten von „Office Kersten Geers David Van ­Severen“ auf harte Materialien, schenken dem Auge aber auch sanfte Töne, siehe lachsfarbene Küchen­insel. Noch ein bisschen – Achtung, nächster Dauertrend! – Vintage dazu, fertig ist das Loft für den Fan rauen Feinsinns. US

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wahlverwandtschaften: new conceptualism

„Houdini mit Armlehne“ 2009 740 Euro

„Eugene“ 2010 1790 Euro

„Houdini“ 2009 630 Euro

2009

Holz-Gymnastik „Ein Schlüsselerlebnis für mich“, verriet Stefan Diez uns kürzlich im Interview, „war 2007 die Arbeit mit ­Thonet. Die haben mit einem einzigen Prinzip – dem Biegen von Holz und Stahl – Möbelgeschichte ­geschrieben.“ Zwei Jahre später bog der Designer selbst die Balken und lancierte „Houdini“, den Urtyp des Diez-Stuhls aus viereinhalb Millimeter dicken Schichtholzplatten, die erst gefräst, dann gebogen und verleimt werden. Basierend auf diesem Prinzip entstand dann 2013 „This That Other“, ­eine filigrane Stuhlfamilie, die E15 industriell und somit preiswer­ter herstellen kann. Doch egal ob virtuose Handarbeit oder demokratisches ­Industrieprodukt – sie alle sind „Spielarten derselben Idee“. S F 140 choice

„That“ 2013 480 Euro Alle von Stefan Diez für E15 e 1 5.co m

Fotos: Martin Url; Porträt: Conny Mirbach

„Leo“ 2010 Anfertigung auf Anfrage


wahlverwandtschaften: new conceptualism

Kosmos

Mücke & Elefant 1

2

1 „Elephant Chair“ Neuland, 2010 für Kristalia ab 335 Euro kr ist a lia .it 2 „Vertigo“ Constance Guisset 2010 für Petite Friture 730 Euro pe t ite fr it ure.co m

3

3 „Beetle Sofa“ GamFratesi 2016 für Gubi 3770 Euro gubi.co m

4 „Parrot“ India Mahdavi 2015 für Petite Friture 1540 Euro pe t ite fr it ure.co m 5 „Credenza“ Patricia Urquiola und Federico Pepe, 2016 für Editions Milano Preis auf Anfrage e dit io n smila n o.co m

2010 Zahme Mitbewohner Neuland, wie der Studioname verspricht, betraten Eva Paster und Michael Geldmacher 2010 mit ihrem ersten Sitzmöbel, dem „Elephant Chair“. Der gesellige Vierbeiner für Kristalia erobert seither ste­tig neuen Lebensraum. Für Artenvielfalt in den eigenen vier Wänden warb schon Arne Jacobsen mit „Schwan“ und „Ameise“. Und heute? Zieht Constance Guisset nach mit einer riesigen Leuchtlibelle, und Patricia Urquiolas „Credenza“ starrt aus Wespenaugen. M B

Fotos: Kristalia (2); Petite Friture (2); Gubi; Fabrizio Annibali / Editions Milano

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Cover: Oluce; Nola 2017; Petite Friture; Classicon; Martin Url; Midgard; Fabrizio Annibali / Editions Milano; Tom Vack; Krøyer Saetter Lassen; Venini; Vitra (2); USM; Gufram; Jens Mourits Sørensen / PP Møbler;

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