Das philosophische Wirtschaftsmagazin
AUSGABE 01/2014
VERÄNDERUNG
A G O R A 4 2 Ausgabe 01/2014 | Deutschland 8,90 EUR Österreich 8,90 EUR | Schweiz 13,90 CHF
Alles gleich, nur anders? ■ Revolution oder Restauration? ■ Wirtschaft neu denken? ■ Kapitalismus – alternativlos? ■ Change-Management: die neue Routine? ■ Veränderung – Ich bin doch nicht blöd!
INHALT
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T
—3 EDITORIAL —4 INHALT
TERRAIN
T E R R A I N
Hier werden Begriffe, Theorien und Phänomene vorgestellt, die für unser gesellschaftliches Selbstverständnis grundlegend sind.
—8 DIE AUTOREN —9 Georg W. F. Hegel
An das württembergische Volk — 12 Michael Hirsch
Der Kampf um den Primat der Politik — 15 Bernd Villhauer
Bürokratie und Chaos — 96 AUS DER REDAKTION — 98 IMPRESSUM
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— 19 Ulrike Herrmann
Die Revolution, die keiner bemerkte
— 22 Michael Hampe
Jenseits des Umkehrpunktes — 26 Bettina Röder
Glaube vs. Markt — 29 Bernd Hamm
Medien
— 33 EXTRABLATT — 34 PORTRAIT
Mohandas Karamchand Gandhi (von Andreas Jurowich) — 42 KLEINANZEIGEN
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Inhalt
I
H
INTERVIEW
HORIZONT
— 58 Reinhard Blomert
Warum gibt es keine Weltzentralbank? — 44 Die kreative Zerstörung des Meschenbilds
Interview mit Peter Spiegel
— 66 Armin Petras
Wozu brauchen wir das? — 70 Wolfram Bernhardt
James Bond und das Ende der Geschichte — 74 WEITWINKEL
Thomas Kilpper
T E R R A I N
Auf zu neuen Ufern! Wie lässt sich eine andere gesellschaftliche Wirklichkeit denken, wie lassen sich konkrete Veränderungen herbeiführen?
— 80 FRISCHLUFT
Geld & Wachstumszwang Wald & Geld Konsum & Verantwortung Mensch & Widerstand — 86 LAND IN SICHT
Stadtisten Regenbogenfabrik Whistleblowers UK Revolutionskinder Wir sind Revolution — 94 GEDANKENSPIELE
von Kai Jannek
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T E R R A I N
Hier werden Begriffe, Theorien und Ph채nomene vorgestellt, die f체r unser gesellschaftliches Selbstverst채ndnis grundlegend sind.
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T T E R R A I N
DIE AUTOREN
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T E R R A I N
Georg W. F. Hegel
Michael Hirsch
Bernd Villhauer
Ulrike Herrmann
Georg Wilhelm Friedrich Hegel war zuletzt Professor für Philosophie an der Universität von Berlin. Dort lehrte er Logik, Naturphilosophie und Philosophie des Geistes. Er ist Autor zahlreicher bekannter und einflussreicher Werke und Schriften wie beispielsweise Phänomenologie des Geistes, Wissenschaft der Logik, oder Wer denkt abstrakt?
Dr. Michael Hirsch ist Philosoph und Politikwissenschaftler. Lehraufträge, Vertretungsprofessuren und Gastdozenturen an diversen Universitäten und Kunsthochschulen. Lebt als freier Autor und Dozent in München. Zuletzt von ihm erschienen: Warum wir eine andere Gesellschaft brauchen! (LOUISODER Verlag, 2013).
Bernd Villhauer, Ausbildung zum Industriekaufmann, Studium der Philosophie, Alten Geschichte und Kunstgeschichte; Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter/Dozent sowie im Lektorat verschiedener Verlagsunternehmen. Zurzeit Leiter des Lektorats in einer wissenschaftlichen Verlagsgruppe. Initiator der Reihe „Klüger wirtschaften“ am Weltethos-Institut Tübingen.
Ulrike Herrmann ist Wirtschaftskorrespondentin der „tageszeitung“ (taz). Sie ist ausgebildete Bankkauffrau und hat Geschichte sowie Philosophie studiert. Im September 2013 erschien ihr Buch Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen (Westend Verlag).
— Seite 12
— Seite 19
— Seite 15
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Michael Hampe
Bettina Röder
Bernd Hamm
Andreas Jurowich
Michael Hampe ist Professor für Philosophie im Department für Geistes-, Sozial- und Staateswissenschaften an der ETH Zürich. Anfang 2014 erscheint sein neues Buch Die Lehren der Philosophie. Eine Kritik im Suhrkamp Verlag.
Bettina Röder, Journalistin, ist Redakteurin im Hauptstadtbüro der Zeitschrift PublikForum und Mitglied der Bundespressekonferenz.
Bernd Hamm war von 1977 bis 2008 Professor für Soziologie, Stadt- und Regionalforschung und Nachhaltige Entwicklung an der Universität Trier. Letzte Buchpublikationen: Kulturimperialismus (Kai Homilius Verlag, Berlin 2011); Umweltkatastrophen (Metropolis Verlag, Marburg 2011).
Andreas Jurowich studiert Geschichte und Philosophie in Tübingen und ist Redakteur bei der agora42.
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— Seite 26
— Seite 29
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T E R R A I N
An das württembergische Volk
Text: Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Die Menschen sind über den derzeitigen Zustand der Gesellschaft besorgt. Das Staatsgebäude ist unhaltbar geworden. Der Wunsch nach einem freieren und gerechteren Leben ist groß. Wenn eine Veränderung geschehen soll, so muss aber auch tatsächlich etwas verändert werden. Es ist also an der Zeit, sich von den alten Verhältnissen zu verabschieden und sich mutig und selbstlos für eine gerechtere Gesellschaft einzusetzen. 9
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T E R R A I N
Bürokratie und Chaos —
Schumpeter über die „schöpferische Zerstörung“
Text: Bernd Villhauer
Wie sehen Ökonomen die Veränderung? Mit welchen Konzepten und Begriffen beschreiben sie den beständigen Wechsel? Unter den großen Wirtschaftsdenkern hat Joseph Alois Schumpeter (1883–1950) sicherlich die Fragen des Neuen und der Innovation am stärksten in den Mittelpunkt seiner Überlegungen gestellt. 15
Bernd Villhauer
B
erühmt wurde Schumpeter für die Beschreibung des Phänomens der „schöpferischen Zerstörung“, einem Begriff, der 1942 zum ersten Mal auftaucht und in den öffentlichen Diskussionen unvermindert präsent ist. Damit ist der Prozess der Umwälzung und Neuschöpfung gemeint, der im kapitalistischen Wirtschaftssystem dafür sorgt, dass Unternehmen untergehen und gleichzeitig die Voraussetzungen für den Aufstieg neuer Unternehmen geschaffen werden. Diese konstruktive Destruktion wurde gleichsam zum Kennzeichen von Schumpeters Denken, seinem intellektuellen Alleinstellungsmerkmal:
T E R R A I N
„Dabei fällt es nicht schwer, ein schumpeterianisches Programm zu erkennen, ganz gleich, auf welcher Ebene man danach sucht: der des Unternehmers, des Betriebs, der Branche oder des ganzen Landes. Auf all diesen Ebenen besteht Schumpeters Lackmustest darin, ob die Akteure nach Innovation streben und schöpferische Zerstörung betreiben. Ist das der Fall, dann ist ihr Programm schumpeterianisch, andernfalls nicht.“ (Thomas K. McGraw: Joseph A. Schumpeter. Eine Biographie. Murmann Verlag, Hamburg 2008, S. 203) Schumpeter hielt diese „schöpferische Zerstörung“ für eine der Grundlagen des Kapitalismus, der daher nie als stabiles System im Gleichgewicht gedacht werden dürfe. Kapitalismus und ständige Revolutionierung der Verhältnisse sind untrennbar miteinander verbunden. Um diese wechselhafte und quecksilbrige Gemengelage zu beschreiben, müssen wir die wichtigsten dauerhaften Kräfte und Potenziale in einem sich dauernd verändernden geschichtlichen Prozess verstehen. Dieser Prozess folgt keiner klaren Entwicklungslogik, ist ungeordnet und enthält auch lange Phasen des reinen Chaos. Konstant bleiben aber die kreativen Fähigkeiten des Menschen. Schumpeters besonderes Talent liegt darin, die ökonomischen Verhältnisse immer als historische und zugleich soziologische zu lesen und so den Menschen in 16
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einen realen Kontext der Abhängigkeiten zu stellen, anstatt ihn zum abstrakten Homo oeconomicus eines Rechenmodells zu machen. Vielleicht greifen deshalb auch heute immer wieder Leser nach seinem großartigen Buch Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. In ihm wird die Wirtschaftsgeschichte nicht als Abfolge von Wirtschaftsmodellen beschrieben, sondern als Anthropologie und Soziologie des wirtschaftenden Menschen, der in einer chaotischen Welt Inseln der Rationalität und Verlässlichkeit schafft. Und dies kann er nur, weil er den Mut zur Veränderung hat. Kapitalismus – zum Untergang verurteilt
Kreative und mutige Einzelpersönlichkeiten erkennen in glücklichen Augenblicken die Chancen, die die Marktentwicklung bietet – im Kern der Schumpeterschen Wirtschaftssoziologie steht die Unternehmerpersönlichkeit. Ohne sie bleibt von der „schöpferischen Zerstörung“ nur die Zerstörung. Und er beschreibt mit Unbehagen eine Zeit, in der die Kreativität durch die Macht gigantischer Bürokratien begrenzt wird. Aber kann man das verhindern? Tatsächlich sieht Schumpeter den Untergang des Kapitalismus als etwas Notwendiges. Dieser untergräbt nämlich genau die kreativen und produktiven Kräfte, die ihn selbst hervorgebracht und am Leben erhalten haben. Allerdings ist zweifelhaft, ob etwas Besseres nach ihm kommt – denn Schumpeters Beschreibungen eines alternativen Systems (in seiner Zeit als Sozialismus beschrieben) klingen nicht sonderlich sympathisch und anstrebenswert. So ist es für Schumpeter ausgemacht, dass sich die sozialistische Weiterentwicklung der kapitalistischen Ökonomie mit der uns bekannten Form der freiheitlichen Demokratie nur schlecht verträgt. In den riesigen Apparaten und Bürokratien, die der Sozialismus vom Kapitalismus erben soll, herrscht der Technokrat, nicht der mündige Bürger, der an das Gemeinwohl denkt und die Freiheiten der Mitbürger sichert.
HOMO OECONOMICUS
In Abwandlung von Homo sapiens (von lateinisch homo = Mensch und sapiens = weise) bezeichnet Homo oeconomicus („Wirtschaftsmensch“) in der Wirtschaftstheorie das Modell eines ausschließlich nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten denkenden und handelnden Menschen. Der Homo oeconomicus handelt rational, ist auf die Maximierung des eigenen Nutzens bedacht und vollständig über das Marktgeschehen informiert.
Bettina Röder
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Glaube vs. Markt
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—
Wo in der Kirche Widerstand wächst
Text: Bettina Röder
„In der Gesellschaft herrscht die Meinung vor: ‚Es gibt keine Alternative zu Wirtschaftswachstum.’ Als Christen sagen wir: ‚Es gibt keine Alternative zu Alternativen.’“ (Initiativkreis „Anders wachsen“) 26
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„D
ie Sache mit der Reudnitzer Brauerei in Leipzig, das war Wahnsinn und wieder so ein Erlebnis der besonderen Art“, sagt Christian Führer. „Das war so wie im Herbst 1989.“ Er war in den Nächten der friedlichen Revolution Pfarrer an der Leipziger Nikolaikirche. Die Friedensgebete vor den Montagsdemonstrationen dort wurden weit über Deutschland hinaus bekannt; sie sind zum Symbol der Friedlichen Revolution geworden. Doch wurden sie nach 1989 nicht beendet, es gab sie auch nach der Einheit und es gibt sie bis heute. „Wir bekamen wieder Zulauf, als die Menschen merkten, dass das Leben im Westen mehr als nur ein Spaziergang ins Berliner Nobelkaufhaus KaDeWe ist“, sagt Christian Führer. Das galt auch für die Arbeiter der Reudnitzer Brauerei, die 1997 abwickelt werden sollte. Sie kamen zu Christian Führer und sagten „Leute, ihr habt schon so viel erreicht. Uns steht das Wasser bis zum Hals. Könnt ihr Friedensgebete für uns abhalten?“ Der Getränkekonzern Brau und Brunnen in Dortmund, der das Unternehmen von der Treuhand aufgekauft hatte, kam in Schwierigkeiten und wollte die Brauerei schließen – obwohl die Reudnitzer Brauerei schwarze Zahlen schrieb und die 170 Arbeiterinnen und Arbeiter auf die Gehälter verzichtet hatten. „Wir nehmen diese Ungerechtigkeit nicht hin. Die Brauerei arbeitet weiter“, hatte Christian Führer in den Friedensgebeten verkündet. Das machte Schlagzeilen. Und war peinlich obendrein. Die Kirche, die sich gegen das DDR-Unrecht aufgelehnt hatte, tat es nun wieder im Hinblick auf den hochgepriesenen freien Markt. Der Vorstandsvorsitzende in Dortmund trat zurück. Nach einem Vierteljahr kam die befreiende Nachricht: Die Brauerei Reudnitz steht nicht mehr zur Disposition. Heute ist sie ein hochmoderner Arbeitgeber. Das war nur ein Beispiel für die Kraft der Friedensgebete an Nikolai. Sie richteten sich auch gegen den Irakkrieg, die unselige Verquickung von Wirtschaft und Rüstung, den Wachstumswahn.
Revolution – noch einmal
Christian Führer aber geht es um mehr. „Der zweite Teil der Friedlichen Revolution steht noch aus“, ist er überzeugt. Das ist auch das Motto der Stiftung Friedliche Revolution, die er mitbegründet hat. Sie will die Ereignisse nicht ins Museum stellen, sondern den Geist vom Herbst 1989 für heute fruchtbar machen. Die Forderung nach einer gerechten Wirtschaftsordnung, die Menschen nicht unter die Räder kommen lässt, gehört dazu. „Wir müssen nach Alternativen zur heutigen Wirtschaftspraxis Ausschau halten. Weil sonst alles lebensunfähig wird“, sagt der Theologe. „Wir brauchen eine Wirtschaftsform der Zukunft, eine solidarische Ökonomie, die die Jesus-Mentalität des Teilens praktiziert: Das Teilen von Bildung, Arbeit, Einkommen und Wohlstand; eine Ökonomie, in welcher der Mensch als Ebenbild Gottes an erster Stelle steht und nicht Geld und Profit.“ Der Globalkapitalismus treibe uns mit seiner „Wurzelsünde, dem hemmungslosen Profitstreben und der Anstachlung der Gier“ in den Abgrund. Dem müsse gegengesteuert werden. So weit, so gut, aber wie soll das gehen? „Da haben wir im Rücken diese wunderbare Alternative der friedlichen Revolution, wo auch kein Mensch gedacht hat, dass so was möglich ist“, sagt Christian Führer. Schnell ist er bei all jenen, „die heute vom Status quo profitieren und sofort im Chor schreien: Es geht nur so, wie es jetzt geht.“ Wie gut, „dass es schon jetzt Menschen gibt, die in kleinen Gruppen aufstehen.“ Er verweist auf die Initiative „Anders wachsen“, die er als einer der ersten mit unterschrieben hat. Einer ihrer Gründer ist Walter Lechner, der als Pfarrer im sächsischen Frauenhain tätig ist. In seiner Gemeinde erlebe er immer mehr Menschen, die ausbrennen. Da wäre zum Beispiel die junge Mutter. Sie würde gern die ersten Monate nach der Geburt ihres Kindes daheim bleiben. Doch das geht nicht. „Wir müssen beide arbeiten“, sagt sie, „sonst fallen wir unter den Sozialhilfesatz und fliegen aus 27
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Glaube vs. Markt
Mohandas Karamchand Gandhi
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Portrait
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Mohandas Karamchand Gandhi —
King of Change
Text: Andreas Jurowich
Es ist zweifellos unmöglich, Gandhis gesamte Philosophie und sein tatenreiches Leben in einem kurzen Porträt wie diesem darzustellen, da alleine die Sammlung seiner Schriften 90 dicke Bände füllt. Warum aber überhaupt ein Porträt über den großen indischen Freiheits- und Friedenskämpfer in der agora42 – einem philosophischen Wirtschaftsmagazin? Und warum in der Ausgabe zum Thema Veränderung? Natürlich zum einen, weil er eine Person ist, der für unmöglich gehaltene Veränderungen herbeigeführt hat. Zum anderen, weil Gandhi uns gerade in ökonomischer Hinsicht durch die Radikalität seines Vorgehens neue Perspektiven aufzeigen kann. 35
Portrait
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»Wahrhaftige Ökonomie verletzt niemals höchste ethische Standards, sowie alle wahrhaftige Ethik, sofern sie diesen Namen verdient, gleichzeitig auch immer eine gute Ökonomik sein muss.«
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Die Freiheit von der britischen Kolonialherrschaft erkämpften sich die Inder durch ihre wilde Entschlossenheit, trotz aller erfahrenen Gewalt friedlich zu bleiben und somit die moralisch Überlegenen in dieser Auseinandersetzung zu bleiben. Letztendlich kapitulierten die Briten aber nicht, weil sie die friedlichen Methoden von Gandhi beeindruckten, sondern weil dieser sie mit seinen Aktionen ins Mark traf: in deren profitables Geschäft mit der indischen Kolonie. Indirekt geschah dies auch dadurch, dass er mit seinem Vorgehen die Weltöffentlichkeit gegen die Briten aufbrachte und sie fürchten mussten, dass ihnen aus diesem Reputationsverlust auch ökonomische Nachteile entstehen würden. Gleichzeitig skizzierte er eine völlig neue Form der Ökonomie. Der neueste Boom um die Ökonomie des „Sharing“ hätte ihn nicht sonderlich überrascht, propagierte er doch schon vor 100 Jahren eine Ökonomie des Teilens, der Unabhängigkeit und eines Konsums in Maßen. Gandhi ist vielen ausschließlich als Philosoph des Friedens bekannt. Vielleicht wäre es an der Zeit, dass Gandhi auch als großer Ökonom wahrgenommen wird. Und nicht nur das. Die zeitgenössische Literatur wartet bereits mit Buchtiteln auf wie Gandhi – der CEO, was die Vermutung nahelegt, dass er mittlerweile nicht nur als Theoretiker, sondern auch als Mensch der Praxis mit großen Führungsqualitäten, als „Macher“ entdeckt worden ist. Und in der Tat: Für Gandhi waren Theorie und Praxis untrennbar miteinander verbunden. Gandhi und die Ökonomie
Gandhi vertrat eine Reihe von ökonomischen Ansätzen und Prinzipien, deren Aktualität bemerkenswert ist. Ganz besonders dann, wenn es darum geht, das Wohlergehen aller und nicht nur einiger weniger in den Fokus zu stellen. Zunächst ist da das Prinzip des Swadeshi zu nennen: Heimische Güter sind importierten Gütern prinzipiell vorzuziehen, selbst wenn damit Mehrkosten verbunden sind. „Be Indian, buy Indian“ wurde ein bekannter Slogan. In diesem Zusammenhang ist auch Gandhis Eintreten für eine dörfliche oder kommunale Autarkie sowie für eine dezentralisierte Ökonomie zu sehen. Darüber hinaus propagierte er die restriktive Nutzung von Maschinen, die nur dort zum Einsatz kommen sollen, wo die Aufgabe nicht durch menschliche Arbeitskraft erledigt werden kann. Für Letzteres sprach sich Gandhi nicht aus, weil er fortschritts- oder technikfeindlich eingestellt war, sondern weil er befürchtete, die Eigentümer der Produktionsmittel würden diese allein zu dem Zweck einsetzen, ihren Reichtum zu mehren – was irgendwann unweigerlich Massenarbeitslosigkeit und die Armut eines Großteils der Bevölkerung zur Folge hätte. Als Antwort auf die mit dem Massenkonsum verbundenen Probleme baute er auf eine Beschränkung der Wünsche und Begehrlichkeiten. Jeder solle nur konsumieren, was er auch wirklich brauche. Mit dieser Beschränkung des individuellen Konsums setzte Gandhi eine ganz andere Priorität als der schottische Moralphilosoph und Begründer der klassischen Nationalökonomie Adam Smith (1723–1790), demzufolge die Nutzenmaximierung des Einzelnen automatisch auch immer einen Nutzenzuwachs für die Gesellschaft als Ganzes hervorbringt. Gandhi hingegen sah das Problem, dass diese 36
Nutzenmaximierung des Einzelnen, sofern ihr keine Grenzen aufgezeigt werden, zu einer enormen Verschwendung von Ressourcen führt – was gesamtgesellschaftlich mehr Nachteile als Vorteile mit sich bringt. Weil es den Produzenten von Gütern primär um ihre Profite geht – und eben nicht um das Wohlergehen der gesamten Gesellschaft –, würden sie immer mehr produzieren, als es der Fall wäre, wenn jeder nur das konsumiert, was er auch wirklich braucht. Gleichzeitig entstehen durch die Profite der großen Unternehmen riesige Machtasymmetrien in der Wirtschaft – es kommt zu Monopolen und Kartellen, was zur Folge hat, dass sich der gesamtgesellschaftliche Mehrwert auf den Mehrwert für eine kleine Elite reduziert. Insofern ist Gandhis Vorstellung einer sinnvollen Ökonomie am ehesten mit modernen wohlfahrtsökonomischen Ansätzen vergleichbar, bei denen dem Staat die Pflicht zugewiesen wird, mittels ordnungspolitischer Interventionen die größten Ungleichgewichte in der Wirtschaft zu beseitigen. Allerdings ist der Staat für ihn kein Allheilmittel, da die politischen Entscheidungsträger oft durch privatwirtschaftliche Interessen korrumpiert werden. Darüber hinaus wird ihr Handeln häufig durch pures Selbstinteresse bestimmt, das heißt das Interesse am Erhalt der eigenen Macht. All dies produziert – in einer wohlfahrtsorientierten Kosten-Nutzen-Analyse – unnütze Ausgaben und Aufwendungen. Daher ergibt für Gandhi eine Wirtschaftspolitik nur dann Sinn, wenn die soziale Perspektive in den Fokus der Nutzenmaximierung des Individuums gestellt wird. Er nennt dies Savordaya: Das Individuum muss sich an ethischen Prinzipien ausrichten und ständig danach streben, den ethischen Ansprüchen in zunehmenden Maße gerecht zu werden. In Gandhis Worten: „Alle Ökonomie, die moralische Grundsätze ignoriert, ist nicht wahrhaftig. Wahrhaftige Ökonomie verletzt niemals höchste ethische Standards, sowie alle wahrhaftige Ethik, sofern sie diesen Namen verdient, gleichzeitig auch immer eine gute Ökonomik sein muss.“ Gandhi erkennt an, dass es Unterschiede bei den Eigentumsverhältnissen gibt, doch sieht er – gemäß dem Grundsatz „Eigentum verpflichtet“ – alle Eigentümer moralisch in der Pflicht, dieses nicht nur zur Steigerung ihres persönlichen Nutzens, sondern zum größtmöglichen Nutzen aller einzusetzen. Gandhi nennt dies „Treuhänderschaft des Eigentums“. Festzuhalten bleibt Gandhis grundlegende Überzeugung, dass die Menschen bei sich selbst anfangen müssen, wenn sie eine gesellschaftliche Veränderung wollen. Wenn das Individuum sich nicht selbst überwindet, bleibt alle Theorie Utopie. Leben und Prinzipien
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war Indien eine britische Kronkolonie und befand sich in einem Zustand ökonomischer Versklavung durch das Empire. Im äußersten Westen Indiens, dem heutigen Westgujarat, wurde am 2. Oktober 1869 Mohandas Karamchand Gandhi als Sohn einer einflussreichen und wohlhabenden Familie aus der Kaste der Kaufleute (Vaishya) geboren. Mahatma (große Seele) wurde er erst später von seinen An37
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Mohandas Karamchand Gandhi
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Interview
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Die kreative Zerstörung des Menschenbilds –
Interview mit Peter Spiegel I N T E R V I E W
Fotos: Duncan Smith
Die kreative Zerstörung des Menschenbilds für die er bis 2007 als Verleger tätig war.
rer. Zuletzt initiierte er die Gründung von
1994 erfolgte die Gründung der internatio-
Bildungsstifter e.V., eines Vereins, der sich
nalen Nichtregierungsorganisation Terra
für die Förderung und Entfaltung mensch-
e.V., deren Ziel die Entdeckung und Förde-
licher Potentiale einsetzt (Mai 2013).
rung von Projekten ist, die sich auf beson-
ders innovative Weise mit der Lösung von drängenden sozialen und ökologischen Problemen befassen. Im Jahr 2003 war
Spiegel Mitgründer des Komitees für eine demokratische UNO (KDUN), das sich für eine Demokratisierung und Stärkung der Vereinten Nationen einsetzt, und ist dort
seither Vorstandsmitglied. 2007 rief er den
Peter Spiegel Peter Spiegel wurde am 8. Juni 1953
–
Bücher (Auswahl)
- Faktor Mensch. Ein humanes Weltwirtschaftswunder ist möglich. Ein Report an die Global Marshall Plan Initiative. Horizonte Verlag, Stuttgart 2005 - Kyoto PLUS. So gelingt die Klimawende. Nachhaltige Energieversorgung plus globale Gerechtigkeit.
VISION SUMMIT ins Leben, einen inter-
Verlag C.H. Beck, München 2006
nationalen Kongress, auf dem Konzepte
- Eine bessere Welt unternehmen.
für die Lösung drängender gesellschaft-
Wirtschaft im Dienst der Menschheit –
licher Probleme wie Armut, Klimawandel
Social Impact Business.
und Ressourcenknappheit ausgewählt
Herder Verlag, Freiburg 2011
und vorgestellt werden. 2008 gründete er
- Schmetterlingseffekte. Meine verrückte
Interview mit Peter Spiegel
in Würzburg geboren. Er studierte von
1974 bis 1980 Soziologie an der Universität Regensburg, absolvierte danach eine Buchhändlerlehre und war neun Jahre beim Verlag C. H. Beck tätig. Unternehmungen (Auswahl)
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das GENISIS Institute for Social Innovation, das sich grundlegend mit den Möglichkeiten der Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch Unternehmen
1985 gründete Spiegel die Horizonte Ver-
auseinandersetzt. Seit der Gründung ist
lags GmbH (seit 2006: Terra Media Verlag),
Spiegel Institutsleiter und Geschäftsfüh-
Bildungsbiografie. Murmann Verlag, Hamburg 2013
Peter Spiegel
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Herr Spiegel, Sie entwickeln schon seit vielen Jahren Strategien für einen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft. Hier sehen Sie sich umgeben von zahlreichen Stars aus Rock und Pop – wie wollen Sie die Wirtschaft rocken?
Ich mache mir seit meiner Jugend Gedanken darüber, wie die Gesellschaft sozialer gestaltet werden kann. Irgendwann kam ich darauf, dass man dabei eine Beziehung zur Wirtschaft aufbauen muss. Denn die Wirtschaft hat den Raum, den ihr Politik und Zivilgesellschaft überlassen haben, nur zu gerne ausgefüllt und ist somit zu einer gesellschaftlichen Instanz geworden, die man nicht ignorieren kann, wenn man ernsthaft etwas verändern will. Je mehr ich mich mit der Wirtschaft beschäftigte, desto klarer wurde mir, dass es so etwas wie die Wirtschaft gar nicht gibt. Zwar gibt es so etwas wie ökonomische Prinzipien, aber letztlich sind es immer Menschen, die ökonomische Prinzipien annehmen oder verändern und die die daraus abgeleiteten wirtschaftlichen Prozesse ausführen. Es sind Menschen, welche die Prinzipien aufstellen und ihnen dadurch Gültigkeit verleihen, dass sie nach ihnen handeln. Insofern besteht für mich der Königsweg darin, Menschen davon zu überzeugen, dass eine andere Haltung in Bezug auf die Art und Weise, wie wir wirtschaften, sinnvoll wäre.
Das Interview wurde geführt in der LON Rockstar Photo Gallery (www.longdensmith.com).
Als Paradebeispiel kann man die von Muhammad Yunus in Bangladesch gegründete Grameen Bank anführen, deren Konzept sich grundsätzlich von anderen Banken unterscheidet und für das er 2006 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Folgende Überlegung ging der Gründung dieser Bank voraus: In der Regel ist es so, dass gerade diejenigen keinen Kredit für eine unternehmerische Tätigkeit bekommen, die ihn am dringendsten benötigen – das heißt jene Personen, die keine Sicherheiten vorweisen können. Der riesige Verdienst von Yunus besteht nun darin, dass er diese scheinbare Wahrheit – „Man braucht eine Sicherheit, um als kreditwürdig betrachtet zu werden“ – einfach ignoriert und Kredite an Personen vergeben hat, die keinerlei Sicherheiten anbieten konnten. Nach vielen Jahren der Konzepterprobung hat er schließlich ein Modell entwickelt, bei dem die Rückzahlungsquote der nicht besicherten Kredite sogar besser ist als bei Krediten, für die Sicherheiten hinterlegt wurden. Social Business bedeutet, unternehmerisches Handeln als gesellschaftlichen Auftrag zu verstehen – und nicht auf die maximale Renditesteigerung zu reduzieren. Wirtschaft im Dienst des Menschen statt umgekehrt. Wenn man unternehmerisches Handeln so versteht, dann eröffnen sich plötzlich auch Lösungsansätze für Probleme, die bislang als unlösbar galten. In diesem Zusammenhang möchte ich gerne ein weiteres Beispiel anführen, das im Zusammenhang mit der Grameen Bank steht: Ausgerechnet die Ärmsten der Armen zahlen oft die höchsten Preise für Energie – sofern sie überhaupt Zugang zu Energie haben. Diese Missstände wurden lange ignoriert oder bestenfalls im Rahmen vereinzelter Projekte karitativer Organisationen oder der Entwicklungshilfe angegangen. Indem man nun in Bangladesch den Ärmsten der Armen günstige und speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Solaranlagen zur Verfügung gestellt sowie den Kauf über einen Kredit finanziert hat, wurde erreicht, dass sich Solaranlagen dort so schnell wie in keinem anderen Land der Welt verbreiten – über zwei Millionen Haushalte versorgen sich bereits mit Solarenergie, zu letztlich erheblich geringeren Kosten als bei jenen Energieformen, zu denen sie zuvor Zugang hatten. In Bangladesch herrscht große Armut, von einem Sozialsystem wie in Deutschland kann keine Rede sein. Inwiefern ist es möglich, das Konzept des Social Business auf ein Land wie Deutschland zu übertragen?
Social Business in seiner ursprünglichen Bedeutung ist tatsächlich schwer auf hiesige Verhältnisse übertragbar. Natürlich gibt es auch hier Bereiche, wo man es anwenden kann, diese sind jedoch überschaubar. Wenn man aber eine Ebene tiefer geht und sich die Frage stellt, was der Impuls war, das Konzept des Social Business zu entwickeln, öffnet 47
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Sie sind Leiter des Genisis Instituts, welches das Ziel verfolgt, eine neue soziale Kultur zu etablieren. Dabei spielt das Konzept des Social Business eine große Rolle. Was kann man sich darunter konkret vorstellen?
Auf zu neuen Ufern! Wie l채sst sich eine andere gesellschaftliche Wirklichkeit denken, wie lassen sich konkrete Ver채nderungen herbeif체hren?
H HORIZONT
Armin Petras
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H O R I Z O N T
Wozu brauchen wir das? — Text: Armin Petras Im Frühjahr 1932 gründete der Arzt, Schriftsteller und Linksintellektuelle Friedrich Wolf in Stuttgart den „Spieltrupp Südwest“. Die Agitprop-Theatertruppe bestand aus schwäbischen Laiendarstellern und hatte sich zum Ziel gesetzt, im Industriezentrum Württemberg gegen den aufkommenden Faschismus zu agitieren. Für Friedrich Wolf, der bald darauf als kommunistischer Jude aus Deutschland fliehen musste, war Theater ein Mittel unmittelbarer gesellschaftlicher Veränderung. „Kunst als Waffe“ heißt einer seiner berühmten Vorträge vor dem Arbeiter-Theaterbund. Die Idee, mit dem Medium des Theaters den Lauf der Geschichte zu verändern, erscheint uns heute merkwürdig und fremd; die Texte dieser Generation von Theatermachern sind Lichtjahre von uns entfernt. Trotzdem sind die Fragen geblieben: Was ist Kunst? Was ist überhaupt Theater und wozu brauchen wir Kunst? 66
Jeder Mensch ist ein Künstler, sagte Beuys, und mein ewiger Lieblingskünstler Martin Kippenberger antwortet zehn Jahre später darauf in seiner ironischen, U-Bahneingänge auf der ganzen Welt installierenden Art, jeder Künstler ist ein Mensch – und verweist damit auf das Ende des in seinem Elfenbeinturm sitzenden Künstlerideals, der aus seinem Genius heraus für sich selbst und die anderen ewige Wahrheiten produziert. Mein derzeitiger Lieblingskünstler Santiago Sierra bezahlt Drogenabhängige dafür, dass sie sich eine Linie auf den Rücken tätowieren lassen und so nebeneinander gestellt eine quasi Life-Mauerzaun-Performance des Ausgeschlossenseins aus dieser Gesellschaft darstellen. Kunst ist erst einmal nichts außer Reflexion über die Gesellschaft, über unser Leben, deren Abbild in konzentrierter Form. Aber wozu brauchen wir das? Zuerst einmal würde ich sagen, brauchen wir das gar nicht. Wir brauchen Essen,
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H O R I Z O N T
Wozu brauchen wir das?
einen anderen Menschen, einen Ort zum Schlafen, ein paar Sachen zum Anziehen, eine Tätigkeit, eine soziale Struktur, vielleicht das Gefühl, in einer Gruppe zu sein, gewollt zu werden. Vielleicht jemanden, der einem die Hand hält, wenn man stirbt. Das ist schon einmal sehr viel mehr, als viele Menschen auf dieser Erde jemals bekommen. Dann aber geht es sehr schnell, dass einer eine Blume malt oder einer anfängt zu tanzen. Es geht sehr schnell, dass jemand sein Unglück beschreibt oder jemand versucht, aus einem Schrei ein Lied zu machen. Aber wozu können wir das gebrauchen? Um dem Alltag zu entfliehen? Um gesehen zu werden? Um uns zu verständigen, über unsere Ängste, die Visionen? Um uns jeden Tag wieder neu klar zu machen, dass uns der Himmel auf den Kopf fallen kann? Das erste Theater der Welt fand sicher in einer Höhle statt. Männer hatten Drogen
genommen und tanzten um ein Feuer herum, um sich Mut zu machen, Mut für die Jagd auf riesige Tiere oder den Nachbarstamm am darauffolgenden Tag. Ihre Schatten tanzten an der Wand der Höhle und jemand fing an, die Büffel oder Säbelzahntiger an die Wand zu malen. Vielleicht waren die Tiere aber gar keine Tiere, sondern ihre Götter, die nicht menschlich dargestellt werden durften. Vielleicht waren die ersten Theaterzuschauer ihre Frauen oder die gefesselten Gegner, die hinter dem Feuer im Zuschauerraum saßen. Vielleicht wurden sie nach dem Theaterstück zerrissen, gebraten und gegessen oder sie gingen am nächsten Morgen mit auf die Jagd und wurden so Teil der Gruppe. In jedem Fall aber ging es den Spielenden darum, sich selber ein Bild von der Welt zu machen, etwas auszuprobieren, ein Labor sozialer Fantasie zu entwickeln. Und das ist es, so denke ich, was Kunst heute noch kann: die Regenerationsfähigkeit von Gesellschaften verbessern. 67
Wolfram Bernhardt
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James Bond und das Ende der Geschichte H O R I Z O N T
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James Bond und das Ende der Geschichte
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Text: Wolfram Bernhardt
Denn Karl Stromberg oder Hugo Drax sind Männer, die kurzerhand das Ruder selbst in die Hand nehmen. Man könnte meinen, dass beide von der Studie Die Grenzen des Wachstums (1972) des Club of Rome inspiriert wurden, stimmten beide doch dahingehend mit der Studie überein, dass es so nicht weitergehen könne. Mit „so“ meinen beide den fatalen Umgang der Menschen mit dem Planeten Erde. Zu viele Menschen, zu viel Zerstörung, zu viel Raubbau, zu viel Feindschaft. Die Hoffnungen, die die Humanisten und die Befürworter der Aufklärung hatten, dass die Menschheit sich weiterentwickeln könne, dass ein verantwortlicher Umgang mit der Natur und ein friedliches Miteinander der Völker möglich sind, schienen sich 1977 in Luft aufgelöst zu haben. Denn zu dieser Zeit überlegte sich Karl Stromberg, die Menschheit durch ein paar Atombomben von der Erdoberfläche verschwinden zu lassen und auf dem Meeresboden eine neue Zivilisation zu schaffen: Atlantis. Nicht nach unten, sondern nach oben zog es 1979 Hugo Drax, einen Milliardär aus Kalifornien, der einige auserwählte Menschen mit Spaceshuttles ins All beförderte, während er durch spezielle Bomben die Erdbevölkerung ausrotten wollte. Der Clou: Die Bomben waren gefüllt mit dem Gift einer seltenen Orchidee, das zwar die Menschen tötet, Flora und Fauna hingegen keinen Schaden zufügt und so das natürliche Gleichgewicht wiederherstellen soll. Allerdings haben weder Karl Stromberg noch Hugo Drax ihre Vorhaben verwirklichen können. Beide Male vereitelte ein sturer britischer Geheimagent die Durchführung des Planes und sorgte somit dafür, dass die Menschheit weiter den Planeten zerstören kann, dass noch spektakulärerer und noch sinnloserer technischer Schnickschnack erfunden werden und sich das Rad des Kapitalismus immer schneller weiterdrehen konnte. Der Name des Agenten: James Bond. Sein Status: Ausdruck unserer Ideale, Bild des modernen Helden, der kompromisslos für das Gute kämpft. James Bond war großartiges Entertainment, war Ausdruck einer Gesellschaft, die auf schnelle Autos
H O R I Z O N T
Es muss sich etwas ändern. Darin stimmen alle überein, ob Wirtschaftsbosse, Politelite, linke Intellektuelle, Konservative, die Stammtischparolenschwinger. Allein, man weiß nicht, was – und auch nicht, wie das gehen sollte. Natürlich kann man an dieser Stelle den ewigen Klassiker Grundlegung zur Metaphysik der Sitten von Immanuel Kant zur Hand nehmen, beantwortet er darin doch die Frage „Was soll man tun?“. Wem Kant zu kompliziert ist, der kann sich auch an Karl Stromberg oder Hugo Drax halten.
Zu viele Menschen, zu viel Zerstörung, zu viel Raubbau, zu viel Feindschaft.
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WEIT W INK EL
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Hier wird das Fernrohr gegen das Kaleidoskop getauscht und gezeigt, dass die Wirklichkeit viele Facetten hat.
H O R I Z O N T Der Künstler Thomas Kilpper wurde 1956 in Stuttgart geboren.
wurde. Andere Ausstellungstitel sprechen für
Konzerte und Konferenzen geben. Die folgenden
Er studierte Malerei und Bildhauerei an den Staat-
sich: „Learning from Maghreb. How to get rid of
Abbildungen sind im Rahmen dieses Projekts
lichen Kunstakademien Nürnberg, Düsseldorf
unloved presidents?“ (Museo Marino Marini, Flo-
entstanden. Begleitend wird hier eine leicht ge-
(Professor Alfonso Hüppi) und der Städelschule
renz, 2011).
kürzte Fassung des Tagebuchs der ersten Reise
Seit 2008 setzt sich Thomas Kilpper für die Er-
des Künstlers nach Lampedusa abgedruckt (er-
richtung eines Leuchtturms in Lampedusa ein.
ster Teil des Tagebuchs). Zum Zeitpunkt, als diese
Als roter Faden zieht sich die kritische Analy-
Dieser Leuchtturm soll mit einem starken Leucht-
Ausgabe der agora42 in den Druck gegangen ist,
se der Gesellschaft und der gesellschaftlichen
feuer ausgestattet werden und dabei helfen,
war Thomas Kilpper in Lampedusa, um die Mög-
Machtverhältnisse durch sein Werk, wobei die
die Schiffsunglücke vor der Küste zu reduzieren.
lichkeiten für die Ausschreibung eines interna-
letzteren auch unverblümt angesprochen werden
Gleichzeitig soll er den Migranten signalisieren:
tionalen Architekturwettbewerbs bezüglich des
– wie beispielsweise im Rahmen der Ausstellung
„Hier sind wir. Wir verstecken uns nicht“. Aber
Leuchtturms auszuloten.
„wer das geld hat, hat die macht!“ im Forum der
nicht nur den Flüchtlingen soll der Leuchtturm zu-
Sparkasse 1822 (Frankfurt/Main), die dann von
gute kommen, sondern auch den Bewohnern der
der Sparkasse 1822 kurzfristig noch abgesagt
Insel will Kilpper einen Raum für Ausstellungen,
in Frankfurt am Main, wo er 1998 Meisterschüler von Professor Georg Herold (Bildhauerei) war.
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www.kilpper-projects.net/blog/
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Thomas Kilpper, A Lighthouse for Lampedusa, 2009, Zeichnung, mixed media 330x150cm, Fotografie: Ludger Paffrath, Copyright: Galerie Nagel Draxler, Berlin
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FRISCHLUF T
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Sie befassen sich im Rahmen Ihrer Forschungstätigkeit mit Themen an der Schnittstelle von Ökonomie und Gesellschaft/Politik und loten neue Denkräume aus. Stellen Sie Ihre Arbeit bei uns vor: info@agora42.de
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WARUM WIR NICHT WENIGER HABEN WOLLEN DÜRFEN
— Vor bald 15 Jahren gab Greenpeace die Klärung der Frage in Auftrag, ob auf Wirtschaftswachstum mit seinen ökologischen Folgen verzichtet werden kann und inwieweit soziale Probleme anders als durch Wachstum gelöst werden können. Der dafür vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung organisierte Workshop „Zukunftsgestaltung ohne Wirtschaftswachstum?“ kam zu dem Schluss, dass eine Begrenzung des Wachstums zugunsten ökologischer Nachhaltigkeit nur auf Kosten sozialer Stabilität erreichbar ist. Dass nicht nur die soziale Stabilität in Gefahr ist, wenn es zu keinem relevanten Wachstum mehr kommt, sondern die gesamte Geldwirtschaft von Wirtschaftswachstum abhängig ist, zeigt die im Jahr 2011 gegründete „Wissenschaftliche Arbeitsgruppe nachhaltiges Geld“ in ihrem 2012 veröffentlichten Zwischenbericht „Wachstumszwänge in der Geldwirtschaft“. Zwei der darin angestellten Überlegungen seinen hier skizziert. Eine der Ursachen für den Zwang zum Wachstum liegt demnach im Sparen. So erweist sich als problematisch, dass mit steigendem Einkommen auch mehr 80
gespart, also ein immer größerer Anteil der Einkommen nicht für den Konsum verwendet wird. Es zeigt sich, dass genau daraus erst ein Zwang zu exponentiellem Wachstum resultiert: Denn Unternehmen sind auf Konsumeinnahmen angewiesen, um die für die Produktion in Anspruch genommenen Kredite mitsamt Zinsforderungen tilgen zu können – andernfalls drohen Insolvenzen und wirtschaftliche Stagnation. Um dies zu vermeiden, müssen an anderer Stelle zwangsläufig zusätzliche Kredite aufgenommen werden, zu deren Tilgung wiederum zusätzlicher Konsum, also zusätzliches Wachstum nötig ist. Dabei ist anzumerken, dass es die Unternehmen in einem solchen Szenario grundsätzlich schwerer haben, zusätzliche Kredite zu erhalten. Eine Ausweitung der Staatsverschuldung ist dann ein möglicher Weg, den Wachstumsmotor am Laufen zu halten – auch dies bringt allerdings weitere Wachstumsnotwendigkeiten mit sich. Das stellt die Konsumkritik der Nachhaltigkeits-Bewegten in ein neues Licht: Konsum schürt Wachstum und Wachstumserwartungen; der Nicht-Konsum bietet aber auch keinen Ausweg, führt er in der gegebenen Geld- und Finanzarchitektur doch ebenfalls zu Wachstumszwängen. Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass auch die Zentralbanken auf ein Mindestwachstum angewiesen sind, weil sie bei dauerhaft niedrigen Wachstumsraten eine ihrer wichtigsten Steuerungsfunktionen verlieren. Denn eigentlich sollte die Zentralbank aufgrund beschäftigungspolitischer Überlegungen in
Zeiten der Rezession den Leitzins senken, um Wachstum zu stimulieren. Das kann sie nicht unbegrenzt: Je näher sie der Nullzinsgrenze kommt, desto mehr riskiert sie, dass – wie unter anderem im Fall Japans – die wirtschaftliche Stagnation trotz eines Leitzinssatzes nahe Null nicht abgewendet werden kann, sondern durch das „billige Geld“ lediglich Vermögenspreisblasen und Inflationsrisiken entstehen. Um dies zu vermeiden, muss die Zentralbank die Zinsrate künstlich höher halten als es die niedrige Wachstumsrate eigentlich erfordert, und dabei in Kauf nehmen, dass sie das zur Erholung der Konjunktur notwendige Wachstum dadurch selbst ausbremst. Die 2011 gegründete „Wissenschaftliche Arbeitsgruppe nachhaltiges Geld“ forscht zu Geld und Nachhaltigkeit aus ökonomischen, naturwissenschaftlichen und soziologischen Perspektiven. Mehr Informationen unter: http://www.geld-undnachhaltigkeit.de Kontakt: Ludwig Schuster (info@geld-und-nachhaltigkeit.de)
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— Nicht mit Veränderung, sondern mit dem Erhalt des Status quo beschäftigte sich Torsten Krause in seiner Forschungsarbeit. Allerdings ging es ihm weniger um den Erhalt des wirtschaftlichen und politischen Status quo, sondern um den Erhalt der Ökosphäre, genauer: des Regenwalds in Ecuador. Das ist zunächst einmal nichts Neues und die Tatsache, dass man inzwischen auch den Regenwald retten kann, indem man Bier trinkt – wie sich das der deutsche Bierhersteller Krombacher ausgedacht hat – belegt, dass das Thema die breite Öffentlichkeit erreicht hat. Eines der grundsätzlichen Probleme, die mit dem Schutz der globalen Ökosphäre verbunden sind, besteht darin, dass viele der intakten Flächen, die es zu erhalten gilt, in Ländern liegen, die als unterentwickelt gelten; in Ländern also, wo die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen nahe liegt, wenn es darum geht, die schlimmste Armut zu lindern. So stoßen diese Länder regelmäßig auf lautstarke Kritik von internationalen Umweltschützern und Regierungen, da der Verlust wertvoller Ökosysteme befürchtet wird. Um den unterentwickelten Regionen Anreize zu bieten, wertvolle Ökosysteme – beispielsweise unberührte Wälder als CO2-Speicher – nicht zu zerstören beziehungsweise andere Ökosysteme nicht durch den Abbau von Bodenschätzen zu gefährden, wurden in den letzten Jahren eine Reihe von marktbasierten Instrumenten entwickelt. Darunter versteht man Vereinbarungen, die alle gemein haben, dass sie einen rational handelnden und Nutzen maximierenden Menschen voraussetzen, der mittels finanzieller Anreize zu einem nachhaltigeren Verhalten animiert werden kann.
Dass dies jedoch nicht automatisch zu den gewünschten Ergebnissen führt, zeigt Krause in seiner Forschungsarbeit. Ein prominentes Beispiel hierfür ist die Diskussion um die Erdölfelder in einem unberührten Teilgebiet des Yasuni Nationalparks in Ecuador. Die Förderung dieses Öls würde bedeuten, dass nicht nur viel Wald verschwindet, sondern gleichzeitig die Biodiversität in der Region stark in Mitleidenschaft gezogen wird. Was tun? Den Spieß umdrehend, schlug die ecuadorianische Regierung den Industrienationen vor, dass sie von der Förderung des Öls absieht, wenn sie dafür Ausgleichszahlungen erhält. Als die von der ecuadorianischen Regierung gesetzte Frist verstrichen war und klar wurde, dass nur ein Bruchteil der geforderten Summe realisiert werden würde, genehmigte das Parlament die Förderung des Öls. Es scheint also, dass die Idee, marktbasierte Instrumente einzusetzen, zwar vielversprechend ist, aber die nötige Vernunft nicht immer vorausgesetzt werden kann (übrigens war auch die ecuadorianische Regierung nicht ganz schuldlos am Scheitern des Vorhabens). Ein weniger bekanntes Beispiel für die Anwendung marktbasierter Instrumente in Ecuador ist das „Socio Bosque“-Programm (deutsch: „Partner Wald“-Programm). Bei diesem Programm bekommen Landbesitzer, vor allem aber indigene Gemeinschaften, Geld vom Staat, wenn sie sich verpflichten, Waldgebiete, die ihnen gehören, nicht abzuholzen. So gut das Programm bisher angelaufen ist, so schwierig wird es jedoch sein, es durchzuhalten. Denn durch die weltweit steigende Nachfrage nach Holz und landwirtschaftlichen Anbauflächen, welche die Hauptursachen für die Abholzung der Regenwälder darstellen, führen solche Programme zwar im besten Falle zu einem bewussteren Umgang mit dem Wald, oft jedoch lediglich dazu, dass die Abholzung dorthin verlagert wird, wo es keine derartigen Programme gibt. Insofern wäre eine funktionierende internationale Zusammenarbeit nötig, um langfristige Erfolge zu erzielen. Des Weiteren stehen markbasierte Instrumente nicht für ein generelles Umdenken in Bezug auf unseren Umgang mit natürlichen Ressourcen, sondern sie repräsentieren eine Schein-
ERFOLGSZAHLEN VON SOCIO BOSQUE (JUNI 2013) Quelle: http://sociobosque.ambiente.gob.ec/
Jahr
Anzahl an Vertr gen (Privat und Kollektiv, i.e., Indigene Dorfgemeinschaften)
Hektar
2008
61
168,872.64
2009
346
200,002.60
2010
545
181,444.85
2011
570
223,236.90
2012
464
277,855.84
2013
209
71,998.11
Total
2,185
1,123,410.96
Auszahlungen in 2013 in US$: 8,267,119 Auszahlungen seit 2008 in US$: 22,922,602
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VERNUNFT IM URWALD, UNVERNUNFT IN DER Z I V I L I S AT I O N
lösung für die immer größer werdenden globalen Umweltprobleme. Solange kein Umdenken stattfindet, sondern ein profitorientiertes Denken immer weiter in die verschiedensten gesellschaftlichen Sphären vorrückt, so lange kann und wird sich nicht viel ändern. Torsten Krause Torsten Krause promovierte an der Universität Lund (Schweden) zum Thema „Buying Conservation – Financial Incentives for Tropical Forest Conservation in the Ecuadorian Amazon“. Kontakt: torsten.krause@lucsus.lu.se
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L AND IN SICHT
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D I E S TA d T I S T E N
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We m ge h ö rt d ie Stad t? H O R I Z O N T
Können Politiker heute noch etwas verändern? Spätestens seitdem der US-amerikanische Präsident Barack Obama unter dem Motto „Change“ angetreten ist und die groß angekündigten Veränderungen bislang ausblieben, haben weltweit viele Menschen den Glauben daran verloren. In Deutschland lebte die Hoffnung, einem Change beiwohnen zu dürfen, im Jahr 2011 wieder auf, als bei den Landtagswahlen in BadenWürttemberg die 58-jährige Regierungszeit der CDU durch Grün-Rot beendet wurde. Doch auch hier hat man nicht das Gefühl, dass sich die grundsätzliche Ausrichtung der Politik geändert hat. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob gesellschaftliche Veränderungen überhaupt noch von der Politik ausgehen können. Wozu also noch Politik, wenn man sie als „Fähigkeit zur alternativen Gestaltung gesellschaftlicher Zukünfte“ (Elmar Altvater) sieht? „Politik, wie wir sie verstehen, bedeutet: gemeinsam Lösungen finden für die Fragen und Probleme, die die Stadt und das Gemeinwesen betreffen.“ So lautet der erste Satz des stadtistischen Manifests, einer Wählervereinigung, die 2014 bei den Gemeinderatswahlen in Stuttgart antreten wird. Weiter heißt es: „Viele Menschen setzen sich für Stuttgart auf unterschiedliche Weise ein, begreifen ihr Engagement aber nicht als politisches Handeln. Sie überlassen das Feld den ‚Berufspolitikern’, von denen sie sich nicht vertreten fühlen. Die Verdrossenheit gegenüber einer Politik, die sich an parteipolitischen Grundsätzen orientiert, nimmt zu. Diesem Unbehagen möchten wir eine konkrete Alternative entgegensetzen.“ Der Gedanke, der dabei mitschwingt, verbindet die Stadtisten mit dem oben genannten Präsidenten, der im Rahmen seines ersten Präsidentschaftswahlkampf mit folgendem Satz in eine ähnliche Richtung zielte: „Change will not come, if we wait for some other person or some other time. We are the ones we’ve been waiting for. We are the change that we seek.“ Allerdings scheint auch Obamas Change auf eine andere Zeit zu warten. Aber vielleicht haben die Stadtisten Obama gegenüber einen entscheidenden Vorteil, denn: „Wir Stadtisten konzentrieren unsere Kraft auf die Stadt und auf das, was kommunal machbar ist.“ Vielleicht beginnt der nächste große Wurf ja im Kleinen. Und wer weiß, was passiert, wenn sich wieder viel mehr Menschen als das begreifen, was sie ja als Bürger einer Stadt (und/oder eines Staates) ohnehin immer sind: politisch. Vielleicht sind es am Ende gerade diese Politiker, die heute noch etwas verändern können. Mehr zu den Stadtisten unter: www.die-stadtisten.de
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ÂťIch kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen: Es muss anders werden, wenn es gut werden soll. ÂŤ Georg Christoph Lichtenberg
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