Das philosophische Wirtschaftsmagazin
AUSGABE 04/2014
DAS NEUE
In der Wirtschaft nichts Neues? ■ Keine Zeit für das Neue? ■ Neuhaltigkeit? ■ Worauf wartest du? ■ Eigentum neu denken? ■ Grunzen gegen das Alte? ■ Unvorstellbar!
A G O R A Ausgabe 04/2014 | Deutschland 8,90 EUR Österreich 8,90 EUR | Schweiz 13,90 CHF
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INHALT
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—3 EDITORIAL —4 INHALT
TERRAIN Hier werden Begriffe, Theorien und Phänomene vorgestellt, die für unser gesellschaftliches Selbstverständnis grundlegend sind.
—8 DIE AUTOREN —9 Peter Seele
Was bedeutet „neu“? – Zeig mir dein Neues und ich sage dir, wer du bist — 14 Verena Rauen
Keine Zeit für das Neue? – Auf der Suche nach einer Ökonomie des Unbekannten — 18 Georg Simmerl
— 98 IMPRESSUM
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Eine neue Aufklärung? – Die neoklassische Theorie und ihre Kritiker
— 24 Michael Hampe
Zurück zum Alten? – Natur und Ideologie — 29 Beate Großegger
Wie neu ist die Jugend? — 32 Peter Spiegel
Vom IQ zum WeQ – Wir-Qualitäten machen alles neu — 38 PORTRAIT
Friedrich Nietzsche – Das radikal Neue (von Tanja Will) — 46 EXTRABLATT
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Inhalt
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INTERVIEW
HORIZONT Auf zu neuen Ufern! Wie lässt sich eine andere gesellschaftliche Wirklichkeit denken, wie lassen sich konkrete Veränderungen herbeiführen?
— 64 Giacomo Corneo
— 84 FRISCHLUFT
— 72 Jan Drees
— 92 LAND IN SICHT
Demokratie und Eigentum neu denken – Politische Selbstbestimmung und der Bundesaktionär — 48 Die Pilgerin, das Trojanische Pferd, der Klebstoff und die Entdeckung der neuen Welt
Interview mit Frank Augustin und Wolfram Bernhardt
Debit vs. Dada — 76 MARKTPLATZ
La douceur de vivre – Werkstattgespräche Berlin
Pluralist Economics Reader – Arbeitskreis Plurale Ökonomik Hamburg
Übermorgen Open Source Seed Initiative — 96 GEDANKENSPIELE
von Kai Jannek
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Hier werden Begriffe, Theorien und Ph채nomene vorgestellt, die f체r unser gesellschaftliches Selbstverst채ndnis grundlegend sind.
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DIE AUTOREN
Foto: David Ausserhofer
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Peter Seele
Verena Rauen
Georg Simmerl
ist Professor für Corporate Social Responsibility & Business Ethics an der Universität der italienischen Schweiz in Lugano. Von ihm zum Thema erschienen: Philosophie des Neuen (Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2008); Philosophie der Epochenschwelle (Verlag Walter DeGruyter, 2008).
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Praktische Philosophie und wissenschaftliche Geschäftsführerin des Kiel Center for Philosophy, Politics and Economics am Philosophischen Seminar der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel.
promoviert an der HumboldtUniversität zu Berlin über die Diskursgeschichte transnationaler Wirtschaftskrisen in der deutschen Öffentlichkeit. — Seite 18
— Seite 14
— Seite 9
Michael Hampe
Beate Großegger
Peter Spiegel
ist Professor für Philosophie im Department für Geistes-, Sozial- und Staateswissenschaften an der ETH Zürich. Im April 2014 ist sein Buch Die Lehren der Philosophie. Eine Kritik im Suhrkamp Verlag erschienen.
ist wissenschaftliche Leiterin und stellvertretende Vorsitzende des Instituts für Jugendkulturforschung in Wien. Darüber hinaus ist sie Lektorin an mehreren österreichischen Universitäten. Zuletzt von ihr erschienen: Kinder der Krise (Archiv der Jugendkulturen Verlag, 2014).
ist Leiter des Genisis Institute for Social Innovation. Weitere Informationen unter www.genisis-institute.org sowie www.weq.works.
— Seite 24
— Seite 29 8
— Seite 32
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Was bedeutet „neu“? —
Zeig mir dein Neues und ich sage dir, wer du bist Text: Peter Seele
Wir seien Kinder der Neuzeit, so heißt es gelegentlich. Diese Neuzeit dauert nun schon seit gut 500 Jahren an – je nach historischer Darstellung. Doch ist sie noch aktuell für uns? Ist sie noch modern, so wie die Neuzeit in ihrem Ausklang auch „die Moderne“ genannt wird? Offenbar nicht, wie bereits der für unsere Zeit gemünzte Begriff der „Postmoderne“ suggeriert, und andere sprechen gar schon von der Postpostmoderne oder – hier wendet das Pendel – von einem aufkommenden zweiten Mittelalter. 9
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Keine Zeit für das Neue? — T E R R A I N
Auf der Suche nach einer Ökonomie des Unbekannten
Text: Verena Rauen
Jede Innovation geht einerseits aus einem bestimmten Kontext von Produktionsbedingungen hervor und ist andererseits mit einer bestimmten Erwartung der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung verbunden. So spannt sich zwischen der Erinnerung an das Vergangene und der Erwartung des Zukünftigen eine als linear vorgestellte Zeit auf. In einer solchen Zeitvorstellung ist alles berechnet, geordnet und nach Maßgabe ökonomischer Gewinnerwartungen und Risikoberechnungen eingeebnet. Ereignete sich das absolut Neue in der Ökonomie, so käme dies wahrscheinlich einer Katastrophe gleich. 14
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as bekannte Neue
Jeder Suche, so schreibt Martin Heidegger in seiner Einleitung zu Sein und Zeit, müsse das Gesuchte immer bereits vorausgehen. Wer sich darüber wundern mag, der vergegenwärtige sich die Alltäglichkeit dieses Problems: Wer zum Beispiel seinen Autoschlüssel verloren hat, erinnert sich vielleicht daran, wie er aussah, wo er sonst normalerweise lag und wann er ihn zuletzt benutzt hat. Er schaut womöglich neben und unter dem Auto nach und fragt, ob ihn jemand gesehen hat. Diese Suche wird von der Erwartung geleitet, einen bereits bekannten Gegenstand wiederzufinden, der einem bestimmten Zweck diente und auch zukünftig dienen soll. Durch die Erinnerung an die vorherige Benutzung und Funktion des Schlüssels und die Antizipation des Zwecks, zu dem der Schlüssel auch zukünftig dienen soll, spannt sich ein Bogen zwischen Vergangenheit und Zukunft auf. Es eröffnet sich ein Zeitraum, der auf unserer Erinnerung und der Projektion des Erinnerten auf einen zukünftigen Zeithorizont basiert. Nur in einem solchen Zeitraum, in dem ein kontinuierlicher und linear modellierbarer Zusammenhang zwischen Vergangenheit und Zukunft besteht, ist die Suche nach dem Schlüssel überhaupt vorstellbar. Doch bei der Suche nach einem vorher so banalen Alltagsgegenstand passiert noch etwas völlig anderes: Denn ganz gleich, wie oft wir den Autoschlüssel benutzt haben mögen, nie haben wir so viel über ihn nachgedacht, wie in dem Moment, als er plötzlich fehlte. Werden wir beispielsweise von vorbeilaufenden Passanten gefragt, wonach wir suchen,
dann versuchen wir uns an jedes Detail des Schlüssels zu erinnern, um ihn besser beschreiben zu können. Oder wir gehen in Gedanken alle Plätze durch, an denen er sonst noch sein könnte. Durch den Verlust des Schlüssels fallen uns also plötzlich Dinge auf, die wir vorher nie bemerkt hatten. Das in unseren Augen Neue zeigt sich also vom Bekannten her – und das auch nur zufällig. Innovation – das berechnete Neue
Auch in der Ökonomie ist die Suche nach der Erneuerung immer durch das bereits Bekannte geleitet. So unterliegt die Entwicklung einer Innovation im Idealfall bestimmten Grundsätzen von ethischer Verantwortung und juristischer Haftung. Und bevor eine Innovation den langen Weg in die Warenkette gemacht hat, wurde bereits intensiv darüber nachgedacht, welche Probleme und Gefahren auftreten können und wer für mögliche Schäden zukünftig verantwortlich gemacht werden könnte. Schon der Ökonom Joseph Schumpeter hat deutlich gemacht, dass eine Innovation stets durch die neue Kombination bereits bekannter Produktionsfaktoren entsteht. Die Suche nach Innovation ist deshalb keine Suche nach dem Neuen, sondern lediglich eine Suche nach der Erneuerung des bereits Bekannten in einer als linear vorgestellten Zeit. Auf dieser Vorstellung einer linear verlaufenden Zeit basiert nicht zuletzt die berühmte Theorie der rationalen Erwartungen, für die Robert E. Lucas 1995 den Wirtschaftsnobelpreis erhielt. Ihr Grundgedanke ist, dass die Individuen über das Marktgeschehen informiert sind und rati-
onal kalkulierend alle verfügbaren Informationen bestmöglich dazu benutzen, ihre jeweiligen Ziele zu erreichen. Weil man dabei von einem rationalen Individuum ausgeht, das seine Erkenntnisse aus der Vernunft zieht, glaubt man, alles andere gleich den mathematischen Prinzipien aus der Vernunft ableiten zu können. In dieser Theorie werden die „rational erwarteten“ Konsequenzen zukünftiger Entscheidungen durch Wahrscheinlichkeiten abgebildet. Man geht also davon aus, dass Ereignisse, die in der Vergangenheit mit einer bestimmten Häufigkeit aufgetreten sind, auch in der Zukunft entsprechend häufig auftreten – beziehungsweise wahrscheinlich sein – werden. Ohne die lineare Modellierung von Zeit ist eine solche Berechnung von Wahrscheinlichkeiten natürlich nicht denkbar. Das Problem ist allerdings, dass etwas völlig Neues nicht berechnet werden kann. Denn für das Neue liegen per definitionem keine Erfahrungswerte vor, die in die Berechnungen einbezogen, sprich in eine Zukunftserwartung übertragen werden könnten. Die Erneuerung des bereits Bekannten vor dem Horizont berechneter Erwartung lässt daher keine Zeit für das Neue. Aus zeittheoretischer Sicht ließe sich also sagen, dass eine Innovation immer nur dann eine solche ist, wenn sie sich in die lineare Zeitvorstellung einfügen lässt, das heißt, wenn sich ihr Erscheinungsdatum vorher berechnen und nachträglich genau protokollieren lässt. In einer solchen Zeit ist die Innovation ein Ergebnis ökonomischer Berechnung – sie wird als neu bezeichnet, obwohl sie das bereits Bekannte bloß wiederholt. 15
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Keine Zeit für das Neue? – Auf der Suche nach einer Ökonomie des Unbekannten
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Eine neue Aufklärung? —
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Die neoklassische Theorie und ihre Kritiker
Text: Georg Simmerl
Spätestens als Queen Elizabeth II. die Frage aufwarf, warum die Ökonomen die jüngste Weltwirtschaftskrise nicht hatten kommen sehen, war die Kritik am wirtschaftswissenschaftlichen Mainstream mehrheitsfähig geworden. Ist nun also eine geistige Revolution in den Wirtschaftswissenschaften im Gange? 18
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ie Krise und die Wirtschaftswissenschaft
Angesichts der jüngsten Weltwirtschaftskrise liegen dem gesunden Menschenverstand heute die Gründe für die prognostische Inkompetenz der vorherrschenden neoklassischen Theorie offen zutage: Wer Märkte als zum Gleichgewicht tendierende Systeme modelliert, der kann die ihnen innewohnende Krisentendenz nicht erfassen und somit die stetige Wiederkehr von Wirtschaftskrisen weder erklären noch vorhersagen. Das Verlangen nach theoretischen Alternativen, die den ökonomischen Turbulenzen der Gegenwart gerecht werden, ist daher groß: Klassiker der politischen Ökonomie werden wieder gelesen; Studenten kämpfen für theoretische Pluralität an den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten; George Soros, Philanthrop und hauptberuflich Finanzinvestor, gründet ein Institute for New Economic Thinking; Robert Shiller, Theoretiker irrationaler Finanzmarktdynamiken und nebenberuflich Finanzinvestor, erhält 2013 den Wirtschaftsnobelpreis und steht damit für den Aufstieg der Verhaltensökonomik; der französische Ökonom Thomas Piketty wird als neuer Marx gefeiert. Ist nun also eine neue Aufklärung in der Wirtschaftswissenschaft im Gange? Eine Aufklärung, die mit neuen Formen ökonomischer Theorie bald die tradierten Glaubenssätze der Neoklassik überwunden haben wird? Zumindest zum jetzigen Zeitpunkt scheint sich diese Hoffnung noch nicht erfüllt zu haben. Wie auch die letzte Nobelpreisverleihung zeigt – Shiller musste sich den Preis mit dem Hauptvertreter der Hypothese effizienter Finanzmärkte, Eugene Fama, teilen –, stehen die konkurrierenden Positionen allenfalls unvermittelt nebeneinander. Die geistige Revolution aber ist ein
weiteres Mal ausgeblieben. Das überrascht auch insofern nicht, als der Vorwurf, mit ihren Annahmen ökonomische Realität nicht adäquat erklären zu können, genauso alt ist wie die Neoklassik selbst – und doch hat es bislang kein Herausforderer geschafft, ihr den Rang streitig zu machen, indem er bessere Erklärungen hervorgebracht hätte. Näher besehen, entbirgt der Vorwurf der Realitätsfremdheit sogar eine entscheidende Gemeinsamkeit von Neoklassik und ihrer vorherrschenden Kritik: Beide verstehen ökonomische Theorie als abstrakt formulierte Hypothesen, die an empirischen Tatsachen gemessen werden und, sofern sie diese Tatsachen überzeugend erklären, Prognosen erlauben. Womöglich findet sich aber gerade darin der Grund für das Ausbleiben einer neuen Aufklärung: Beide Seiten träumen weiterhin den Traum der alten Aufklärung, wonach Wissenschaft eine Wahrheitssuche sei, im Zuge derer die Theorie an der Empirie gemessen wird. Aber was, wenn es gar nicht das Hauptgeschäft ökonomischer Theorie ist, ökonomische Realität zu erklären, sondern ebendiese zu erschaffen?
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NEOKLASSISCHE THEORIE / NEOKLASSIK: In der Wirtschaftswissenschaft versteht man unter Neoklassik im engeren Sinne jene Theorien, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die durch Adam Smith (1723–1790) begründete klassische Nationalökonomie ablösten. Im weiteren Sinne bezeichnet man ökonomische Theorien als neoklassisch, die das Modell des Homo oeconomicus („Wirtschaftsmensch“) zugrunde legen – und die somit von einem stets rational handelnden, vollkommen über das Marktgeschehen informierten und nur an der eigenen Nutzenmaximierung interessierten Wirtschaftssubjekt ausgehen. Abweichungen zwischen Angebot und Nachfrage werden der neoklassischen Theorie zufolge durch flexible Preise beseitigt, wodurch immer ein Markt-
Theorie als Praxis
Die Neoklassik selbst würde nie behaupten, dass ihre Annahmen der Realität entsprechen; sie sollen allenfalls idealisierte Annäherungen an dieselbe sein. Für eine Sozialwissenschaft, die wie eine QuasiNaturwissenschaft operiert, bieten diese Annahmen aber einen entscheidenden Vorteil: Sie erlauben die formale Modellierung ökonomischer Prozesse. Auch wenn also die mathematisierbare Form für die ökonomische Theorie wichtiger ist als ihre substanzielle Realitätsnähe, erlaubt es gerade diese Form, umso umfassender an der Gestaltung ökonomischer Realität mitzuwirken.
gleichgewicht erreicht wird. Nur bei unflexiblen oder gar starren Preisen kann es zu dauerhaften Nachfrage- oder Angebotsüberschüssen kommen.
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Eine neue Aufklärung? – Die neoklassische Theorie und ihre Kritiker
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Wie neu ist die Jugend? —
Text: Beate Großegger
Sind radikale Pragmatiker, indifferente „Jein“-Sager und erlebniskickfixierte Realitätsflüchtlinge verhinderte „Neu-Denker“? 29
Beate Großegger
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Wenn uns der Pragmatismus der heutigen Jugend und ihre unverbindliche „Jein“-Haltung verstören, müssen wir uns eingestehen, dass der jugendliche Zeitgeist letztendlich nichts anderes als ein Spiegel des Zustandes unserer Gesellschaft ist.
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n den frühen 2010er-Jahren scheint unsere Gesellschaft an einem Wendepunkt angekommen zu sein. Deregulierte Finanzmärkte haben Wirtschaft und Politik in Turbulenzen gebracht. Der Wohlfahrtsstaat ist im Umbruch. Die Politik sucht nach Lösungen, doch die großen Lösungskonzepte fehlen. Und so mahnen die Politiker zum Sparen. Im Handel kommen die Schlussverkäufe nicht mehr so recht in Gang. Die Krise, die seit 2008 die tagesaktuelle Berichterstattung füllt, schlägt auf den Konsum der Bürger durch. In den Buchhandlungen türmen sich populärpsychologische und populärphilosophische Ratgeber, die dem lesefreudigen Zeitgenossen nahelegen, ein „gutes Leben“ nicht nur mit materiellen Dingen zu verbinden. Und Experten aus dem Bereich der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften raten, Wohlstand und Fortschritt nicht, wie man es vor der Krise gewohnt war, ausschließlich am quantitativen Wirtschaftswachstum zu messen. Die Krise lehrt uns, dass wir umdenken müssen. Doch wie dieses Umdenken konkret funktioniert und welche Effekte es in der Wirtschaft, Gesellschaft und Politik mit sich bringt, ist für große Teile der Bevölkerung heute bestenfalls schemenhaft erkennbar. Daher hat man sich scheinbar darauf verständigt zu sagen: „There is something wrong and it goes on and on and on …“, um fortan zu warten, dass sich die Sache irgendwie beziehungsweise irgendwann doch noch zum Guten wendet. Kinder der Krise
Das ist der Umgang mit der Krise, wie ihn die breite erwachsene Öffentlichkeit pflegt. Und was tut die Jugend, die mit der Krise aufwächst und diese quasi als Normalzustand betrachtet? Sie weiß, dass vieles nicht zum Besten steht. Den oft gehörten Satz, dass wir, wenn wir uns alle nur genug anstrengen, diese Krise bald vergessen und vielleicht gar ins Wirtschaftswunder 30
zurückfinden können, hält sie für naiv. Und dennoch versucht sie sich damit nicht weiter zu belasten. Sie versucht nicht nachzudenken, sondern trotz allem irgendwie am Ball zu bleiben. Die diffuse Krisenstimmung, die das öffentliche Meinungsklima prägt, wirkt im Alltag der Jugend als permanentes Hintergrundrauschen und liefert ihr, freilich zumeist unbewusst, wichtige Referenzpunkte für die von ihr gewählten Lesarten menschlicher Existenz. Keine langfristigen Pläne schmieden, sondern einfach mal sehen, was geht, so lautet das Motto der „Kinder der Krise“. Mit nüchternem Realismus sagen sie: „Planen ist heute nicht mehr, denn man weiß nie, was in fünf Jahren sein wird.“ Weltanschauliche Grabenkämpfe sind dieser Generation fremd. Lana Del Rey, eine junge und derzeit sehr angesagte USamerikanische Pop-Künstlerin, outete sich kürzlich in einem Neon-Interview mit dem Statement, dass sie konservative Werte mit linken Sehnsüchten verbinde. Dies macht deutlich, was bei den „Kindern der Krise“ heute Zeitgeist ist: Die Jugend hält sich die Optionen offen. In einer Welt, der die Planbarkeit abhanden gekommen ist, versucht sie, flexibel zu sein. Demnach lebt sie in ständiger Revisionsbereitschaft. Wenn sich Chancen bieten, greift sie rasch zu. Und wenn das nicht klappt, sagt sie sich: „Augen zu und durch.“ Die Sinnfrage stellt sich den meisten dabei nicht. Kompensation statt Konfrontation
Viele junge Menschen sehen keinen Sinn im Leben. Sie leiden aber nicht darunter, sondern machen einfach weiter. Die Zahl derer, die nicht kritische Auseinandersetzung, sondern Ablenkung von den großen gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit suchen, wächst. Die einen kultivieren idyllisch arrangierte Paarbeziehungskisten, die anderen tauchen in bunte Freizeit- und Erlebniswelten ab und lassen dort „die Sau raus“. Und etliche praktizieren beides. Vie-
les, wenn nicht alles, dreht sich dabei um die kleine Welt des Privaten. Krisenbewältigung (sofern man das überhaupt so nennen kann) basiert hier auf dem Prinzip kurzfristig wirksamer Kompensation. Die Konsequenzen sind unschwer zu erkennen: Kompensatorisch angelegtes Selbstmanagement verhindert, dass Jugendliche in Resignation und Lethargie verfallen. Gleichzeitig schützt es die Gesellschaft davor, sich mit einem weiteren „Jugendproblem“ beschäftigen zu müssen. Denn laut wird eine solche Jugend nicht – obwohl sie mit hoher Wahrscheinlichkeit zu den Verlierern der Krise zählt. Es ist nicht zu erwarten, dass sie aufbegehrt und die Altvorderen mit unbequemen und neuen Ideen konfrontiert. Abgesehen von einer kleinen und öffentlich kaum wahrgenommenen jungen Engagementelite hat die breite Mehrheit der Jugendlichen kein großes Interesse daran, der Stachel im System zu sein. Das ist eine Tatsache. Neuigkeiten statt Neues
Aus Sicht älterer Generationen scheint es, als hätte diese Jugend das große Ganze aus dem Blick verloren. Tatsächlich hat sie es aber wohl nie so recht im Blick gehabt. Anders als die politisierten 68er und Post68er wirkt sie utopielos; sie verblüfft, trotz offen zum Ausdruck gebrachter Unzufriedenheit, mit ihrer hohen Bereitschaft, sich mit dem System zu arrangieren. Zwar könnte sie dem Konzept eines „qualitativen Wohlstandswachstums“, in dem neben „Kohle“ auch andere Aspekte wie Zeitwohlstand oder ein lebendiges, funktionierendes Gemeinwesen zählen, durchaus etwas abgewinnen; die Sehnsucht nach einem nicht allein an harten ökonomischen Faktoren zu messenden „guten Leben“ ist groß. Auch glauben die heute Jungen – sozialisiert im Zeitalter der gesellschaftlichen Individualisierung und Pluralisierung –, dass in unserer Gesellschaft unterschiedliche Lebensentwürfe und damit ganz
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Portrait
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Friedrich Nietzsche — Das radikal Neue Text: Tanja Will
»Die Moral ist die Sache jener, welche sich von ihr nicht frei machen können: für sie gehört sie eben deshalb unter die ‚Existenz-Bedingungen’. Existenz-Bedingungen kann man nicht widerlegen: man kann sie nur – nicht haben.« Friedrich Nietzsche
Nietzsche – der Name des Anthropologen, der sich einst verkannt, einsam und ohne Beachtung fühlte, ist heute jedem ein Begriff. Kaum ein Philosoph hat seine Thesen nicht an ihm geschliffen, rechts- und linkspolitisch Orientierte fühlen sich von ihm inspiriert und seine freiheitlichen Ideen prägen unsere westliche Kultur und Wissenschaft sowie unser aufklärerisches Gedankengut. Aber nicht nur im Denken, auch in der Praxis wird Nietzsche „verwendet“: Gläubige kreiden ihm Gotteslästerung an, Liberale preisen ihn als Vordenker des freien Individuums, Unternehmer loben seinen Mut, Risiken einzugehen, Manager kommunizieren im Sinne seiner konfrontativ-produktiven Art und Kreative hören seinen Appell zur ständigen Neuerschaffung der Welt. Nicht unerwähnt, da vielfach getadelt, soll auch die Untermauerung und Radikalisierung manch einer Ideologie durch Nietzsches Worte bleiben. Und selbst Ärzte finden anhand der Krankheitsgeschichte des Philosophen Anlass, Syphilissymptome neu zu deuten. 39
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Die Pilgerin, das Trojanische Pferd, der Klebstoff und die Entdeckung der neuen Welt – Interview mit Frank Augustin und Wolfram Bernhardt
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Frank Augustin und Wolfram Bernhardt
Anna Poetter Die Künstlerin trat nach vier Jahren Bühnenausbildung in Berlin und London zunächst als Schauspielerin und Sängerin auf, wobei sie bald eigene Wege ging
Der eine pilgert nach Santiago de Compostela – die andere in unsere Redaktion im Stuttgarter Westen. Anna Poetter, Pilgerin des Geldes, kam zu uns mit Fragen zum großen Mammon, auf der Suche nach einer Neubewertung der Dinge. Begleitet wurde sie von Heinz Gubler, der die Pilgerreise filmisch dokumentiert. Ziel einer Pilgerreise wird man wohl nur ein Mal im Leben. Grund genug, diesen Moment mit Ihnen zu teilen und – passend zum Thema der Ausgabe – etwas Neues zu versuchen: agora42-Gründer Frank Augustin und Wolfram Bernhardt dieses Mal nicht als Interviewer, sondern als Interviewte.
und experimentelle Stücke entwickelte. Der Übergang zur Performance und
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Installation verlief fließend. Es folgten Aktionen im öffentlichen Raum und seit 2012 eine Beschäftigung mit den neuen Medien. Insbesondere die Vergänglichkeit menschlicher Existenz und die Macht sowohl archaischer als auch neuzeitlicher Mythen treiben sie um. Zuletzt pilgerte Anna Poetter „Auf den Spuren des Geldes“. Dabei besuchte sie so ziemlich alle Geldhäuser zwischen Zürich und Frankfurt/Main – sowie die agora42, die zwar nicht viel Geld, aber viel Wissen über Geld hat. Näheres zu Anna Poetter
Fotos: Adrian Moser
finden Sie unter www.annapoetter.com.
Heinz Gubler Regisseur, Filmer, Co-Leiter am freien Theater GUBCOMPANY (Zürich), Dozent an der Fachhochschule HSA (Luzern), lebt in Zürich.
Fotos: Janusch Tschech und Heinz Gubler
AP: Als ich jemandem erzählt habe, dass die agora42 eine Station auf meiner Pilgerreise ist, war die erste Reaktion: „Was? Ein philosophisches Wirtschaftsmagazin? – Das passt doch gar nicht zusammen!“ Was ist ein philosophisches Wirtschaftsmagazin?
WB: Die agora42 entstand, weil wir die Zeit verstehen wollten, in der wir leben. Wir gründeten sie 2009, als alles, was bis dahin als vermeintlich sicher galt, ins Wanken geriet. Die Krise brachte ja nicht nur die Finanzmärkte durcheinander! Auch die großen Wirtschaftstheorien waren nichts mehr wert, zumindest hatten sie das Chaos nicht vorausgesehen. Die Wissenschaft versuchte händeringend, Erklärungsansätze für das Irrationale in der Wirtschaft zu finden, oder sie hielt an den ökonomischen Klassikern fest in der Hoffnung, dass das Tal der Krise bald durchschritten sei. Das genügte uns nicht. Um Widersprüche unserer wirtschaftlichen Denkweise aufzudecken und in den Debatten zu neuen Erkenntnissen zu kommen, muss man viel grundlegender vorgehen. Also brauchte es ein Medium, das wieder das große Ganze der Wirtschaft in den Blick nimmt – die agora42. FA: In den Jahren 2007/2008 ist etwas Grundlegendes passiert. Da hat nicht nur eine Krise begonnen, sondern da wurde eine neue Epoche eingeleitet. Bis heute haben ökonomische Argumente „Letztbegründungscharakter“. Die Ökonomie sagt uns, was wir tun und lassen können. Mit der Krise begann die Glaubwürdigkeit der ökonomischen Leitordnung aber zu zerbröseln – mit der Folge, dass die ganze Gesellschaft aus den Fugen geriet. Also: Der Rahmen wurde gesprengt und wir haben noch keinen neuen. Eigentlich müssten sich jetzt alle, die noch fünf Minuten Zeit am Tag haben, hinsetzen und fragen: „Moment mal, in was für Zuständen lebe ich gerade? Wie kann ich mich auf die Höhe dieser Zeit bringen?“ Wenn man heute die Möglichkeit hat nachzudenken, dann muss man sie unbedingt nutzen. Denn ich glaube, wir kommen in ziemlich wilde Zeiten hinein. 51
Auf zu neuen Ufern! Wie l채sst sich eine andere gesellschaftliche Wirklichkeit denken, wie lassen sich konkrete Ver채nderungen herbeif체hren?
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Demokratie und Eigentum neu denken — Politische Selbstbestimmung und der Bundesaktionär
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Demokratie und Eigentum neu denken – Politische Selbstbestimmung und der Bundesaktionär
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Text: Giacomo Corneo
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Liberale Gesellschaftswissenschaftler in der Tradition von Karl Popper und F. A. von Hayek machen den Erfolg der sozialen Marktwirtschaft von der Trennung des wirtschaftlichen vom politischen Sektor der Gesellschaft abhängig. Von einer solchen Trennung kann heute keine Rede mehr sein. Um der Übermacht des Wirtschaftlichen wieder Herr werden zu können, bedarf es gleichermaßen des demokratischen Empowerments wie der Etablierung eines Bundesaktionärs. Anders als in den 70ern, als der Einfluss der Politik auf die Wirtschaft ein bedenkliches Ausmaß angenommen hatte, ist es heute die Übermacht des Wirtschaftlichen, die uns zu schaffen macht. Ich will auf zwei Beispiele für das Ausufern kapitalistischer Kräfte ins Politische und auch ins Sittliche aufmerksam machen. Das erste Beispiel betrifft die Entwicklung der ökonomischen Ungleichheit in den USA während der letzten drei Jahrzehnte. Aus einem vergleichsweise egalitären Land sind die USA zu einem Land mit einer außerordentlichen Konzentration von Einkommen und Vermögen geworden – mit einer Ungleichheit, die jener ähnelt, die vor einhundert Jahren beobachtet wurde. Zu den Opfern der heutigen gesellschaftlichen Spaltung zählt auch die weiße untere Mittelschicht. Parallel zum Anstieg der Einkommensungleichheit stieg auch die Inhaftiertenrate in den USA an – und liegt heute etwa zehn Mal so hoch wie in Westeuropa. Der politischen Passivität des Großteils der Bevölkerung entspricht die zunehmende Einflussnahme der Lobbys. Der Begriff „Dollarocracy“ wird inzwischen benutzt, um den Übergang des politischen Systems vom Gleichheitsprinzip „One man, one vote“ zum faktischen Prinzip „One dollar, one vote“ zu beschreiben. Die kapitalistische Dominanz 65
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Debit vs. Dada
Text: Jan Drees
Nach X-Factor und Das Supertalent war der Fernsehsender VOX diesen Sommer auf der Suche nach dem Start-up-Star. In der Castingsendung Die Höhle des Löwen stellten Jungunternehmer wie Marvin Metzke (27) und David Hagenkötter (26) ihre Geschäftsidee vor, um Kapital einzusammeln. Die Jury bestand aus wohlhabenden Personen aus der Wirtschaft, von denen die bekannteste der Reisunternehmer Vural Öger sein dürfte. Wie schon in der Serie Big Boss mit Rainer Calmund wird hier auf völlig unbekümmerte Weise Ökonomie mit Entertainment verbunden – mithin Wirtschaft so stark vereinfacht, dass sie leicht vom Herz ins Hirn gelangt. Eine solche Komplexitätsreduktion stellen auch der Geniekult um den verstorbenen AppleChef Steve Jobs oder die über Gebühr beanspruchten Aktien-Ratings und Firmen-Rankings dar. All das suggeriert, Wirtschaft sei ein ebenso integraler wie allgemein verständlicher Teil des gesellschaftlichen Lebens. Besonders bizarr sind in diesem Zusammenhang die ARD-Börsennachrichten. Sie werden täglich vor der Tagesschau gesendet und erscheinen derart platitüdenhaft, dass sie problemlos mit ihrer gleichsam im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gesendeten Persiflage ausgetauscht werden können: „Damit der Aufschwung endlich auch bei Ihnen ankommt, erstelle ich Ihnen gewissermaßen als Top-Boni eine Potenzialanalyse. Damit auch Ihr persönlicher DAX die 9000-Punkte-Marke übersteigt. Und – darin sind sich alle ernstzunehmenden
Opinion-Leader einig – alles ist letztlich reduzierbar auf die fünf Schritte des Erfolgs, zu Deutsch: The five steps of success. Step 1: Nur wer loslässt, hat beide Hände frei. Step 2: Nur lebendiges Kapital ist fröhliches Kapital. Step 3: Die zweite Luft hat den längeren Atem. Step 4: Bleib, wie du bist, nur anders. Step 5: Nützt ja nix.“ (Heinz Strunk 2013 in der NDR-Satiresendung extra3). Nur wer loslässt, hat beide Hände frei. Der Kapitalismus entert das Entertainmentfeld. Und die ebenfalls zur Popularisierung genötigte Kritik schlägt auf ähnliche Weise zurück. Neben Persiflagen wie jene von Heinz Strunk und den leicht zu vermarktenden Camps der Occupy-Bewegung, die dann von Stars wie Rapper Kanye West, Schauspieler Alec Baldwin und U2-Frontmann Bono besucht werden, gehören sogenannte Zombiewalks zu einer der avanciertesten Protestformen der Gegenwart.
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Zombiewalks versus Zombiebanken: Was bedeuten die grunzenden Untoten in unseren Straßen, Kinosälen und Timelines? Steht die Figur des Zombies für eine neue Form der Kapitalismuskritik?
Moderne Zombies Schon in den 1980er-Jahren wurde der Begriff Zombie von Edwar J. Kane, Professor für Finanzwirtschaft, für den Kapitalismus geprägt. „In seinem Buch The S & L Insurance Mess: How Did it Happen? (1989) argumentierte Kane, dass der Auslöser der Krise sogenannte ZombieBanken waren, die trotz eines negativen Substanzwerts weiterhin auf dem Markt agierten und ihre Transaktionen nicht auf der Grundlage von Eigenkapital, sondern von staatlich garantierten Einlagen der Federal Savings and Loan Insurance Corporation (FSLIC) kalkulierten. ‚In effect, a zombie has transcended its natural death from accumulated losses by the black magic of federal guarantees‘ (Kane 1989: 4). Die Ursache der Bankenkrise sieht Kane damit nicht primär im Geschäftsgebaren der jeweiligen Zombie-Institutionen, sondern in 73
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La douceur de vivre — Neue Perspektiven für den Kapitalismus? Werkstattgespräche Berlin
Der Anlass: Giorgio Agambens Thesen zur Zukunft Europas. Die Frage: Folgte man Agambens wirtschaftskulturellem Ansatz, was würde anders? Der Initiator: Institut für Wirtschaftsgestaltung, das Forschungsinstitut für Wirtschaftsphilosophie. Die Gäste: Gesellschaftsgestalter aus unterschiedlichen Disziplinen und – der Flaneur: Ein wacher Geist, der das Gespräch assoziativ begleitet. Das Ziel: Sehen, wo im Diskurs wir derzeit tatsächlich stehen und wo es Ansätze für ein anderes, neues Wirtschaften gibt. Die Zeit: Ein schöner Sommerabend am 6. Juli 2014. Der Ort: Im Herzen Berlins, in der Galerina Steiner. Die Dokumentation: Text von Nika Wiedinger und Wolf Dieter Enkelmann, Fotos von Ioni Laibarös 76
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La douceur de vivre – Werkstattgespräche Berlin
Stefanie Greca:
„Das Akkumulieren von Kapital könnte einem Sicherheitsgedanken untergeordnet sein.“ Raul Heimann:
„Ja aber was soll denn gesichert werden? Das ‚gute Leben’, die Muße oder einfach nur das bloße Überleben?“ Reinhard Blomert:
Wolfgang Schivelbusch:
„Die Heilserwartung des calvinistischen Wirtschaftens ist doch der Eingang in die Ewigkeit.“
Herrmann Breulmann:
„Was Trient übrigens bestritten hat. Es gibt keine letzte Sicherheit im Glauben.“
Es Diskutieren: Nadima Alcheikho, Philosophie, TU Berlin. Bodo Baumunk, Volkskunde, Autor und Ausstellungskurator. Dr. habil. Reinhard Blomert, Ökonomie und Soziologie, Wissenschaftszentrum Berlin, Gastprofessor im In- und Ausland, Autor und Herausgeber von Leviathan. Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Pater Dr. Herrmann Breulmann, Theologie, Jesuitenorden Berlin. Dr. Wolf Dieter Enkelmann, Philosophie, Direktor für Forschung und Entwicklung im IfW, Gastprofessor HfG Karlsruhe und Autor. Dr. Raul Heimann, Philosophie, FU Berlin. Max Höfer, Politik und Ökonomie, Journalist – ehem. Leiter des Berliner Büros von Capital – und Autor. Katja Geis, Kunst, Malerin und Inhaberin des Redaktionsbüro Geis. Stefanie Greca, Ökonomie, selbständige
Unternehmens- und Organisationsberaterin. Dr. Bernd Krusche, Ökonomie und Ethnologie, Organisationsberater und Herausgeber des Magazins Revue, Magazine for the Next Society. Johannes von der Osten, Ökonomie, Investor, Manager und Unternehmensgründer. Florian Wüst, Kunst, Kurator für Filme u.a. zu Wirtschaftsthemen. Dr. Wolfgang Schivelbusch, Geschichte und Philosophie, vielfach preisgewürdigter Autor. Yannick Sonnenberg, Ökonomie, Start-up-Unternehmer und Unternehmensberater. Dr. Ingeborg Szöllösi, Philosophie, Redakteurin, Autorin, Lehrbeauftragte an der FU Berlin und Mitarbeiterin des IfW. Nika Wiedinger, Philosophie, Autorin, Kommunikation und Wissenstransfer im IfW. Und last but not least der namelosen Flaneur. 77
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„Das Geld!“und alles lacht
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Hier werden Forschungsergebnisse präsentiert, die neue Denkräume eröffnen. Stellen Sie Ihre Arbeit bei uns vor: info@agora42.de
H O R I Z O N T Illustrationen: Carlos García-Sancho dedesign.tumblr.com
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PLURALIST ECONOMICS READER — Arbeitskreis Plurale Ökonomik Hamburg
Ursache Die eindimensionale neoklassische Wirtschaftstheorie ist zum dogmatischen akademischen Mainstream geworden. Lösung Wenn an den Universitäten kurzsichtiges ökonomisches Wissen gelehrt wird, sind die Studenten gefordert, sich selbst zu organisieren. Im Pluralist Economics Reader haben sie selbst ein Lehrwerk zusammengestellt.
Grundsätzliches Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2008 kritisieren immer mehr Studenten die dogmatische und eindimensionale Wissensvermittlung in der Ökonomie, die sich beispielsweise in dem Standardlehrbuch von Mankiw/Taylor (2011) niederschlägt: dieses beginnt mit zehn unumstößlichen volkswirtschaftlichen Regeln. Studierende fordern stattdessen einen methodischen Pluralismus und eine stärkere Interdisziplinarität. Vor allem müsse man die Wirtschaftstheorie wieder in den Dienst der Gesellschaft stellen. Mit einem Aufruf der International Students Initiative for Pluralism in Economics (ISIPE) am 5. Mai 2014 hat die Bewegung für eine Plurale Ökonomik auch international Bekanntheit erlangt. Mittlerweile haben sich 65 studentische Vereinigungen aus 30 Ländern angeschlossen, darunter auch der Arbeitskreis Plurale Ökonomik Hamburg.
H O R I Z O N T
Problem Bestenfalls hat die gängige ökonomische Theorie die Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2008 nicht vorhersehen können; schlimmstenfalls hat sie diese mit verursacht.
Der Pluralist Economics Reader Um der pluralen Wissensvermittlung und undogmatischen Herangehensweise an die Ökonomik eine Form zu geben, ist der Pluralist Economics Reader (PER) vom Arbeitskreis Plurale Ökonomik Hamburg zusammengestellt worden. Er besteht aus 32 Beiträgen, die unterschiedliche Erklärungsansätze für wirtschaftliche Phänomene vorstellen und die Annahmen des Mainstreams diskutieren. Zugleich betonen die Verfasser, dass sie den PER als „work in progress“ betrachten und laden – im Sinne des Pluralitätsgedankens – ein, über die inhaltliche Zusammenstellung des PER zu diskutieren.
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