MO:DE 1 – Das Magazin über Mode

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Magazin über Mode und Kritik ✦ Lehrredaktion MM8 ✦ AMD München 8 Herbst 2009

Magazin über Mode und Kritik ✦ Lehrredaktion MM8 ✦ AMD München 8 Herbst 2009

(von lat. modus 4rechtes Maß, Art und Weise (des Lebens)3; ital. moda; frz. mode). mo|dern ‹lat.fr.›: 1. der Mode entsprechend. 2. neuzeitlich, -artig. mo|disch ‹lat.-fr.›: nach der Mode. modo ‹lat.› eben erst, soeben, nun. Die 1600 als Gemahlin König Heinrichs IV. nach Frankreich gekommene Maria de` Medici brachte ihren Kleidungsstil 8 alla moda italiana 7 (4nach italienischer Art3) ins Land. Als Frankreich in der 1. Hälfte des 17. Jh.s kulturell tonangebend zu werden begann, wurde der Begriff (8M.7 bedeutete Sitte und Brauch, auch in der Kleidung) auch in Deutschland, ab etwa 1628/30, gebräuchlich, und zwar in der sprachlichen Form ✦ à la m. und Alamode. Damit wurde eine stutzerhafte Übertreibung der französischen M. charakterisiert. Im 18. Jh. kamen die Begriffe altmodisch (in Deutschland im 15. Jh. als ✦ altfränkisch bekannt) und neumodisch auf. Das Bemalen, Behängen und Bekleiden des Körpers entspringt Urtrieben des Menschen. Geltungs- und Nachahmungstrieb, Imponiergehabe, Spieltrieb und Schmuckbedürfnis sind ursprüngliche Beweggründe, auch gibt es kultisch-magische Motivationen, wie das Verbergen sekundärer Geschlechtsmerkmale vor dem 8bösen Blick7.



Editorial

Liebe Leser, Sie haben es vielleicht schon mitbekommen: es weht ein scharfer Wind im Magazinjournalismus. Dennoch wagen wir es unsere Idee von einem neuen Magazin zu verwirklichen. Weil wir davon überzeugt sind, dass Mode es verdient, für sich alleine zu stehen. Und weil Qualität gerade in Krisenzeiten das beste Argument ist, um etwas Neues zu starten. Das sehen auch erfahrene Kollegen so, die uns einige Ratschläge mit auf den Weg gegeben haben. Obwohl ihre Magazine die Medienkrise nicht überlebt haben, glauben sie trotzdem daran, dass ambitionierter Journalismus immer eine Chance hat. Und das tun wir auch. Unser Anspruch ist es, Mode kritisch zu betrachten, unabhängig und abseits gängiger Verkaufsargumente. Deshalb finden Sie bei uns keine Horoskope und Diät-Tipps, sondern ehrliche Worte und Geschichten aus ungewohnten Blickwinkeln. Denn egal ob in Musik, Kunst oder Gesellschaft - Mode durchdringt alles! »Das Wichtigste beim Blattmachen ist, dass man seinen Lesern ein Gefühl von Zuhausesein vermittelt und sie gleichzeitig überrascht - mit ungewöhnlichen Themen, Ansätzen und Wendungen. Wer das beherzigt, wird immer ein erfolgreiches Magazin machen.« Petra Winter - Celebrity »Wer heute journalistische Texte schreibt, darf sich nicht mehr auf den Standards ausruhen. Also: Formatvorlage beiseite! Gut beobachten, was wirklich passiert! Den richtigen Leuten die richtigen Fragen stellen! Genau zuhören und sich überraschen lassen.« André Boße - Galore

Ihre Chefredaktion.

»Wenn ich gefragt werde, ob man heutzutage Journalist werden sollte, sage ich immer: Bloß nicht! Alle, die diesen Rat ignorieren, sind genau diejenigen, die Journalisten werden sollten. Und die werden wir auch in Zukunft dringend brauchen.« Meike Winnemuth – Park Avenue »Man darf nicht sofort aufgeben, wenn die Lage schwierig scheint. Es gibt immer eine Chance! Dabei aber das eigentliche Ziel nicht aus den Augen verlieren.« Hanne Marie Schröder - Chica

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INHaLT

Inhalt

mittəndrin Shortcuts

Seite 10

Herrenschneiderei, die neuen Materialisten und Graffiti für die Perlenträgerin

Stell dir vor...

Seite 12

Wir fragen uns, ob die Modenschau in Zeiten von Style- Blogs und Mode-Twitter noch eine Zukunft hat

Ein Schritt - ein Klick

Seite 14

Unsere Redakteurin hat sich auf einen Shoppingmarathon begeben - online und offline

Unsichtbar

Seite 16

NEBənan

Shortcuts

Seite 48

Sex, Drugs and Fashion

Seite 50

Modemythen

Seite 24

Was steckt wirklich hinter den beliebtesten Modemythen? Ein Diskurs über Rocklängen, Stilikonen und das Korsett

Wann ist ein Mann ein...

Seite 25

Welche Wege müssen Jungdesigner gehen, um erfolg- reich durchzustarten?

Mode muss in Deutschland...

Seite 30

Vier große deutsche Journalisten im Gespräch über Modekritik in Deutschland. Plus eine gebürtige New Yorkerin über ihre Erfahrungen und Empfindungen

Modekritik global

Seite 35

DAHintər

Shortcuts

Seite 64

Personal Shopper, Loschek-Theorien und Elsa Schiaparelli

Lizenz zum Täuschen

Seite 66

Ein Einblick in die Mechanismen der Modebranche und die komplexe Zusammenarbeit von Modejournalisten, PR-Beratern und Anzeigenkunden.

Fashion Shows gibt es auf der ganzen Welt - hier schauen wir uns zwei davon an

Groß, größer, Größenwahn - diese Accessoires sprengen alle Grenzen

No Privacy

Seite 72

Transparente Stoffe, Hautfarben und Pudertöne. Trotz Verhüllung fühlen wir uns im Alltag oft „nackt“ und beobachtet

Verhüllt und trotzdem nackt

Seite 80

Warum der gläserne Mensch dem Nude-Trend verfällt

Seite 82

Der Style der Moderedaktionen

Supersize me

Seite 36

Die Bildstrecke erörtert das Kreuz mit der Kunst

Männer und Mode - ein ewiges Rätsel

Gefallener Star oder...

Seite 26

Wird Mode wertvoller, nur weil ein Künstler sie kreiert?

Das kann man doch nicht...

Seite 59

Geht es um Mode, glauben wir nur was wir sehen. Doch wie erleben Blinde Mode – ein Perspektivenwechsel

Was die Posen der Modefotografie über Zeitgeist und Gesellschaft aussagen

Mode macht Musik und Musik macht Mode. Doch wie funktioniert diese Zusammenarbeit und welche Musi- ker fehlen dem Fashion-Zirkus eigentlich noch?

Kleider machen Leute...

Seite 58

Posieren bitte!

Seite 21

Die Burka, Paper Fashion und Mode mit Schuss

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Wie seht ihr eigentlich aus?


OBənAUF

Do it yoursəlf

Shortcuts

Seite 90

Ballerinas „to go“, Wunderkind und sündige Früchte

Der große Unbekannte

Seite 92

Der belgische Designer Martin Margiela gibt der Mode- welt Rätsel auf. Eine Spurensuche Seite 84 Totgeglaubte leben länger. Den Anfang unserer Do-it- yourself-Serie macht das Stricken

An die Nadeln!

Ecolution

Seite 97

Wie aus Hippietum und Latzhosenbewegung der heutige Green Glamour Hype entstehen konnte

Berlin, Berlin, Berlin!

Seite 100

Das Mercedes-Benz Fashionweek-Spezial: Alles über die Berliner Modewoche

Untəndurch

In & Out

Seite 110

Wir zeigen, was man diese Saison unbedingt braucht und auf was man verzichten kann

Des Zaren neue Kleider

Seite 112

Ein Besuch in Moskau - einer Modemetropole der Zukunft

noəTIG

Editorial

Seite 5

Impressum

Seite 124

Adressen

Seite 126

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Shortcuts

Seite 118

Kindermodels, Lagerfeld-Enthüllungen und Fake Parties

Schein oder nicht Schein

Seite 120

Das ist hier die Frage! Die Foto-Nachbearbeitung wird immer besser, die Gesichter immer glatter - doch wie viel Perfektion vertragen wir überhaupt?

Letzte SəITE

Im Kleiderschrank mit...

Seite 128

Dieses Mal verriet uns Max Strauß, wo er seine Hemden schneidern lässt und wieso er sich nie eine ausgefallene Frisur wünschte


SHORT CUTS

mittəndrin

The Dress Doctor

Graffiti für die Perlenträgerin Der noch unbekannte Künstler Stephen Sprouse brachte im Jahr 2000 zusammen mit Louis Vuittons Kreativdirektor Marc Jacobs eine Graffiti-Linie auf den Markt. Über Nacht wurde aus dem Kofferhersteller ein angesagtes Label und Sprouse erlangte Weltruhm. Nicht nur Fashionistas, sondern auch mit Perlen behängte Damen rannten Louis Vuitton regelrecht die Bude ein um die neuen It-pieces zu ergattern. So wurde aus den ehemals verpönten Tags ein Hype, der plötzlich Beachtung fand. Als Mr. Sprouse 2004 an Lungenkrebs verstarb, ehrte ihn Marc Jacobs Anfang des Jahres mit einer Re-Edition seiner beliebten Graffitis. Seitdem sind die neonfarbenen Schriften überall zu sehen: Sie prägen Magazincover, Kleidung, Kosmetik und Parfümflakons - Sprouse sei Dank! nw

Adieu Lacroix

Letzter Auftritt des Couturiers Vorerst letzter Auftritt des Couturiers

Die wahrscheinlich letzte Schau des traditionsreichen Couture-Hauses Lacroix stand ganz im Zeichen des Pariser Chic. Das Defilee hat das Publikum mit schwungvoll akkuraten Schnitten, zarten Gold- und Silberornamenten und raffinierten Elementen aus Spitze und Tüll zu Tränen gerührt. Obwohl es um die Zukunft von Lacroix sehr düster aussieht, setzt er mit farbigfröhlichen Akzenten dem Haus ein gebührendes Denkmal. Diese Details erinnern an seine erste Schau 1987, die wie eine Farbbombe in die schon für tot erklärte Haute Couture einschlug und der dunklen Ästhetik der Japaner, die sich von der Prêt-à-Porter ausgehend über die Modewelt ausbreitete, entgegenwirkte. Es wäre ein Trauerspiel, würde das Haus keinen potenten Investor finden. Es wird aber gemunkelt, dass die Investmentgruppe Bernard Krief Consulting Lacroix kaufen will. Ein Hoffnungsschimmer. kn

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“A dress should be tight enough to show you‘re a woman and loose enough to prove you‘re a lady.“ Es ist ein schöner Satz, den die legendäre Kostümbildnerin Edith Head 1959 in ihren Ratgeber „The Dress Doctor – Prescriptions for Style from A to Z“ geschrieben hat – weil er zeigt, dass selbst in der Mode manches nicht an Gültigkeit verliert. Und weil er den Trend der hautengen BodyconDresses nicht zur Figur-, sondern zur Stilfrage macht. Ebenso zeitlos sind zum Beispiel die Erkenntnisse der Amerikanerin, Glitzer-Outfits erst nach Einbruch der Dunkelheit zu tragen und im Zweifel immer zum kleinen Schwarzen zu greifen. Neben diesen Do’s and Dont’s finden sich bei Head aber auch Anekdoten aus ihrer Arbeit mit Filmstars wie Audrey Hepburn, Marlene Dietrich oder Grace Kelly, deren Stil sie zum Teil entscheidend mitprägte. Schließlich kam keine der großen Hollywood-Diven an der Kostümdesignerin vorbei. Die Outfits, die „The Dress Doctor“, wie Head von ihren Kollegen genannt wurde, zum Zirkusoder Hundeshow-Besuch empfiehlt oder der Ratschlag an schwangere Frauen, mit einem großen Hut von ihrem Bauch abzulenken, laden zwar nicht unbedingt zum Nachmachen ein. Sie zeichnen aber ein lebhaftes Sittenbild der amerikanischen Upper Class in den Fifties. Jetzt wird „The Dress Doctor“ 50 Jahre alt und wurde deshalb neu aufgelegt, mit Illustrationen von Bill Donovan, die allein schon Grund genug wären, dieses Buch zu mögen. The Dress Doctor – Prescriptions for Style, From A to Z von Edith Head mit Illustrationen von Bill Donovan, ist im Harper Collins Verlag erschienen. vz


Marc Bohan DIOR III.

Die Materialisten Ein Kragen aus Porzellan, eine Uhr, gänzlich mit schwarzem Leder umhüllt – wie war das noch mal mit der Form und der Funktion? Einer ganzen Reihe junger Designer scheint das ziemlich egal zu sei. Im Gegenteil: Je weniger Material und Produkt miteinander zu tun haben, je unpraktischer das Ergebnis, desto besser. Arielle de Pinto ist 23 Jahre alt und seit zwei Jahren damit beschäftigt, zu häkeln – Schmuck, Handschuhe oder ganze Masken. Und als wäre das nicht schon ungewöhnlich genug, benutzt die Kanadierin dazu ausschließlich Metallfäden. Weil, wie sie sagt, das feuchte, kalte Gefühl von Metall eine unheimliche Faszination auf sie ausübe. Das zeugt von echter Mode-Leidenschaft. Über den Gebrauch ihrer Accessoires lassen die beiden Designer des deutschen Labels „Uncommon Matters“ keine Zweifel offen. Der Name ihrer Kollektion lautet „Handle with Care“. Was soll man auch sonst sagen, über Gliederketten und Krägen, die aus Por-

Wer die Chefdesigner des Hauses Dior, ab dem Tod Christian Diors, Revue passieren lässt, dem kommen sicherlich Namen wie Yves Saint Laurent, Gianfranco Ferré oder John Galliano in den Sinn. Marc Bohan, der 1926 in Paris geborene Modeschöpfer, spielt da ganz oft nur eine Nebenrolle. Dabei prägte er fast 30 Jahre lang das modische Erscheinungsbild des Luxuslabels. So etablierte er die Ready-to-Wear Linie „Miss Dior“, führte unter dem Namen „Christian Dior Monsieur“ auch die Herrenmode ein und schneiderte für die Linie „Baby Dior“ Kinderkleidung für den HighSociety-Nachwuchs. Und niemand geringerer als Grace Kelly, Brigitte Bardot und Elizabeth Taylor schätzten die Kleider Bohans, der dem Hause Dior beachtliche Umsätze lieferte. Einblicke in sein kreatives Schaffen gewährt nun das Christian Dior Museum in Granville, mit der Ausstellung „Dior, les années Bohan. Trois décennies de styles et de stars (1961-1989)“, die noch bis zum 20.September zu sehen ist. li

Gut gekleidet?

zellan hergestellt werden. Und auch die Uhren der französischen Designerin Natalia Brilli kommen wie eine Persiflage auf den ewigen Vorwurf daher, in der Mode stünden Nutzen und Wert in keinem Verhältnis. Brillis mit Leder umhüllte „Nolex“, die kleinen Taschen in Form eines To t e n ko p fe s , die ledernen Halstücher verwischen die Grenze zwischen Objekt und Gebrauchsgegenstand und haben nur einen Sinn – nämlich schön und außergewöhnlich zu sein. So unterschiedlich diese Labels sein mögen, sie alle drei machen die Zweckentfremdung zum Prinzip einer neuen Ästhetik - auf die man sich einlassen muss. vz

Die Fashion-Bibel Seit Jahrzehnten widmen wir uns nahezu perfektionistisch dem Bild der Frau. Ob auf dem roten Teppich bei den Oscars oder bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises, unser Blick wandert auf die Roben der Diven. Auch im Alltag werden Frauen penibel unter die Lupe genommen um eventuelle Fauxpas aufzudecken. Doch was ist mit den Herren? Gewährt ihnen auch nur irgendjemand einen Blick? Nein? Das ist vielleicht auch besser so. Denn unter der Manie der perfekt gestylten Frau gehen sie verloren. Aus gutem Grund, denn genauer betrachtet ist die Passform ihrer Anzüge, Smokings, Fracks und Sakkos alles andere als optimal. Zu kurz, zu lang, zu eng oder viel zu groß. Gut sitzende Herrenmode scheint so selten geworden zu sein wie Models, die Größe 36 tragen. Wie gut, dass endlich Hilfe naht. Die Schneidermeisterin und Magistra der Philosophie Ruth Sprenger brachte nun das Buch „Die hohe Kunst der Herrenkleidermacher“ auf den Markt, das nicht nur Einblicke in die Entstehung der Schneiderkunst gewährt, sondern auch wie man mit modischer Eleganz aus jedem Mann einen Gentleman zaubern kann. Denn mit Hilfe des Schneiderhandwerks lassen sich so manche männliche Makel kaschieren. nw Die hohe Kunst der Herrenkleidermacher erschien im Böhlau Verlag

Jedes Jahr im September bringt die US-Vogue ihre größte und dickste Auflage des ganzen Jahres auf den Markt. Eine echte Meisterleistung und ein Knochenjob für alle Beteiligten. Doch 2007 erschien die bislang umfangreichste Auflage, die zur „single largest issue of a magazine ever published“ gekürt wurde. Ein Filmteam begleitete die New Yorker Redaktion und ihre berühmt berüchtigte Chefredakteurin Anna Wintour acht Monate lang bei der Vorbereitung der September-Auflage und gewährte somit spektakuläre und noch nie da gewesene Einblicke hinter die Kulissen. Der Direktor und Produzent R.J. Cutler ließ dann aus den mehr als 300 Stunden Filmmaterial einen Dokumentarfilm entstehen, der im Januar auf dem „Sundance Filmfestival“ in Utah vorgestellt wurde. Bleibt zu hoffen, dass der Film auch bei uns in die Kinos kommt. nw

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mittəndrin

STELL DIR VOR, ES IST FASHION WEEK UND KEINER GEHT HIN... Die Modenschau kommt ins Museum – eine lang ausstehende Krönung? Oder eher ein Zeichen dafür, dass der Catwalk im Zeitalter von Online-Shops, StyleBlogs und Mode-Twitter einbalsamiert gehört?

Text: Petr Matejcek

Doch ist die Tatsche, dass sich das NRW-Forum in Düsseldorf in den nächsten Monaten der spektakulärsten Schauen der Modegeschichte annimmt, eine lang ausstehende Krönung? Oder eher ein Zeichen dafür, dass der Catwalk im Zeitalter von Online-Shops, Style-Blogs und ModeTwitter einbalsamiert gehört? Eine Frage, die in den Modekreisen schon seit einiger Zeit umherschwirrt.

Von den 21.779 Ausstellern, die bei der „Exposition Universelle“ 1855 in Paris um die Gunst des internationalen Publikums buhlten, gelang es nur Zweien nachweislich Weltruhm zu erlangen: Luigi Bezzera und Charles Frederick Worth. Bezzera erfand ein Gerät, mit dem Wasser in einem durch Gas beheizten Kessel auf etwa 90 °C erhitzt und unter neun Bar Druck durch fein gemahlenes Kaffeemehl geleitet wird – die Espressomaschine. Worth hatte es da einfacher, er ließ seine Frau in einem selbstentworfenem Mantel über den alten Parkettboden der „Galerie des Machines“ spazieren und erschuf so die Modenschau.

1996 – Aus den Radios dröhnt der Hit „Wannabe“ von den Spice Girls; der Millionär Jan Philipp Reemtsma wird für 32 Tage entführt; Greenpeace stellt das erste Dreiliterauto vor; und die deutsche Vogue klagt über einen neuen, unsichtbaren Feind – das Internet. Es sei nahezu unvorstellbar, beschwert sich das Blatt, dass dank „geschäftstüchtiger Netzparasiten“, bald auch das „Fashion Victim aus Castrop-Rauxel“ Einzug erhalten könnte in den Heiligen Gral der Modewelt.

Seither dient der Laufsteg als Bühne der Mode. Regelmäßig versammeln sich Branchengrößen bei internationalen Modenschauen, um dem Allerweltsliebchen ins Maul zu schauen. Und die ganze Welt will dabei sein, wenn Suzy Menkes, Anna Wintour und Co. Schicksalsgöttinnen spielen – entscheiden, welchem der Designer es besser gelungen ist, in seinen Kleidungsstücken den Zeitgeist, das Jetzt, zu konservieren und dem Publikum zugleich ein bisschen vom Morgen zu enthüllen. Anschließend wird in den weltweiten Medien am Lebensfaden der dazugehörigen Unternehmen gesponnen. Ein It-Piece adelt eben nicht nur den Couturier, es sorgt auch für Umsatzzahlen. So ist der Catwalk Wiege der Mode, Börse und theatralisches Spektakel zugleich und längst selbst zur Kunstform geworden. Und weil schon Charles Baudelaire wusste, dass die Hälfte des Kunstückes seine eigene Inszenierung ausmacht, kommt die Fashion Show jetzt auch ins Museum.

Nicht, dass es sonst nichts zu berichten gäbe von den damaligen Prêtà-porter-Schauen: Chanel-Zar Karl Lagerfeld hatte nach dem Schlussapplaus seinem Lieblingszögling Claudia Schiffer das obligatorische Küsschen verweigert, weil sie fremdgelaufen war. Die launische Naomi hatte ihren 30.000-Mark-Auftritt bei Lanvin platzen lassen und die milliardenschwere L´Oréal-Erbin Liliane Bettencourt fand die UngaroKollektion so scheußlich, dass sie noch während des Defilees aus dem Saal floh. Nur interessierte sich an jenen verregneten Pariser Märztagen kaum jemand für die kleinen Skandale der Modebranche. Vielmehr wurde Backstage über Deep Blue diskutiert, den ersten Computer, der

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den Schachweltmeister Garry Kasparow in einer Partie unter Turnierbedingungen bezwang. Vermutungen wurden aufgestellt, dass er schon bald mit der gleichen Finesse, mit der er den Russen Schachmatt setzte, auch Haute Couture Roben schneidern könne. Wie ein dunkler Schatten hing die digitale Revolution über der Pariser Bussi-Bussi-Gesellschaft und das binäre Unwetter sollte sich in den nächsten Monaten noch verschlimmern.

4. Juli 2009, die Berlin Fashion Week ist in vollem Gange – Yves Saint Laurents Enkel auch: „Scherer Gonzalez – Altrosa Seide, Spitze, ein Reifrock darunter. Sissi lässt grüßen. Trotzdem nicht so raffiniert wie in der vergangenen Saison, die Farben sind eher blass, die Zuschauer langsam auch, kein Wunder bei der Luft“, twittert Userin Sara live vom Bebelplatz, samt Fotos versteht sich. Der Bürostuhl von Max Mustermann wird im Nu zum begehrten Sitz in der Front Row – ohne streng hierarchische Sitzordnung, nervtötende Warteschlangen und aggresIm Sommer ’96 war es gerade der Mann, der 30 Jahre zuvor die Mode sives Fashion-Volk, das rastlos von einer Schau emanzipierte, indem er sie in einen Smoking zur nächsten hetzt. Vielleicht war es gerade das, steckte, der ihr nun ein virtuelles Bein zu steldie dauernden Jet Lags und das ewige New-Yorklen schien. Yves Saint Laurents Haute Couture London-Mailand-Paris-Herumgefliege, was die Kreationen wurden plötzlich nicht mehr nur auf Modekritikerin Cathy Horyn dazu veranlasste, dem Laufsteg präsentiert, sondern zeitgleich im in ihrem Artikel „My Invitation Isn’t in the Internet gezeigt. Der ewige Empörer der Mode hat Mail“ die revolutionäre Frage zu stellen: „Wieso wieder einmal die Büchse der Pandora geöffnet tun wir uns das eigentlich noch an?“ Ja, wieso und damit das goldene Zeitalter beendet, in dem eigentlich? Vielleicht, weil wir auch schon seit die gehobene Schneiderei nur einigen wenigen Jahrhunderten Weihnachten feiern, obwohl wir Auserwählten vorbehalten war. Aficionados auf alle bereits wissen, dass es den Weihnachtsder ganzen Welt konnten von nun an Stich für The New York Times mann nicht gibt. Weil bestimmte Rituale und Stich das Modegeschehen in Paris, Mailand und Bräuche unser Kollektiv zusammen halten. Und New York mitverfolgen. Und wieso auch nicht: weil die Mode zum Phönix der postmodernen Gesellschaft geworden „Mode ist im modernen Zeitalter ein besonders wichtiges Phänomen, ist – zu einem Phänomen, das den Tod zu eliminieren sucht. So ein das die Traumenergie einer Gesellschaft kanalisiert und artikuliert“, außergewöhnlicher Vogel braucht ein Nest, in dem er jede Saison aus um den Philosophen Walter Benjamin zu zitieren. So etwas sollte seiner Asche wieder neu erstehen kann. Aber eben nur ein einziges Nest Allgemeingut sein und kein streng bewachtes Geheimnis einer eli– nicht eines in jeder Stadt tären Gruppe. Die Mode zu demokratisieren – das muss auch Helmut Langs Wunsch gewesen sein, als er nur vier Saisons nach Saint Laurent Deswegen bleibt unsere First Row heute ausnahmsweise mal leer. Stelkomplett auf Schauen verzichtete. Unwiderruflich zum „King of Less“ len Sie sich doch einfach vor, es ist Fashion Week und keiner geht hin. l avanciert, zeigte Lang seine Kollektion 1998 ausschließlich via Internet. Daran sollte sich erst zehn Jahre später das Arnheimer Exzentriker-Duo Viktor und Rolf wiederversuchen. Übrigens mit dem gleichen Ergebnis: Die Branche war bestürzt. P.S.: Nächstes Jahr versuchen wir das gleiche mit Weihnachten.

»Wieso tun wir uns das eigentlich noch an?« Cathy Horyn,

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mittəndrin

EIN SCHRITT - EIN KLICK Ob eine neue Tasche oder neue Schuhe – ein paar Klicks, und zwei bis drei Tage später liefert die Post die Ware direkt vor die Haustür. Bequem, zum Teil günstiger und oftmals ein breiteres Warensortiment, das sind die gängigen Vorteile des Online Shoppings. Doch gibt es auch Nachteile? Unsere Redakteurin hat sich auf einen wahren Einkaufsmarathon begeben – Online und Offline.

Text: Natalie Helmö

Foto: Matthias Garvelmann

Sind Sie Anhänger einer dieser modischen Bewegungen wie Yoga, Pilates oder Thai Chi, dann haben Sie gute Karten für einen Ausflug in die Innenstadt: In Stresssituationen wie Shopping kommen Ihnen die Beherrschung von Atem- und Meditationstechnik – sprich Selbstbeherrschung – zugute. Denn schon die U-Bahn-Fahrt in die Innenstadt entpuppt sich als recht unangenehm. Der Mann neben mir hat eine verdächtige Alkoholfahne und das Kind gegenüber will einfach nicht aufhören zu schreien. Doch noch kann nichts meine Vorfreude auf das erwartete Shoppingabenteuer trüben. Um einen Spießroutenlauf durch die gesamten Schuhläden der Innenstadt zu vermeiden, gehe ich nach der U-Bahnfahrt auf direktem Weg zum Schuhladen meines Vertrauens. Schuhläden sind normalerweise Oasen des entspannten Einkaufens. Sie kennen keinen fiesen Diätstress und die Anprobe ist kein schweißtreibender Akt, bei dem sich der Kunde in mit Neonlicht ausgeleuchtete Umkleidekabinen quetschen muss. Vorfreude auf das ersehnte Paar neuer Schuhe macht sich in mir breit. Leider habe ich nur Samstags Zeit, Einkaufen zu gehen. So finde ich mich nicht in einem Tempel des Friedens wieder, sondern in einem überfüllten Laden Münchens, in welchem eigens ein DJ dafür zuständig ist, den Kunden den Verstand aus dem Kopf zu blasen. Von den Millionen Menschen, die sich wie eine riesige Lawine von Schuh zu Schuh wälzen und der unglaublichen Geräuschkulisse im Laden werde ich fast erschlagen. Beim Einkaufen bewahrheitet sich auch eine Maxime: Man findet nie das, was man braucht und lässt sich plötzlich von Dingen verführen, von denen man nicht einmal ahnt, dass man sie will oder gar erst braucht. So pirsche ich mich erstmal an ein paar Ankle Boots von Pedro Garcia heran, deren schwarzes Leder mich ganz euphorisch macht und ich sehe mich schon mit meinen neuen Tretern die Straßen entlang schlendern. Ein Rempler von hinten – Grund genug mich wieder auf meine eigentliche Mission zu konzentrieren: Die Römersandale. Jetzt heißt es durchkämpfen zu den Traumtretern. Im Zick-Zack-Lauf vorbei an den ungünstig im Weg stehenden monströsen Kinderwä-

OFFLINE

Schuhe: Steve Madden

Dauer: Drei Stunden Kosten: 99,95 Euro

Vorteile: Beratung „Echtes“ Einkaufsgefühl Direkte Anprobe Nachteile: Oft überfüllte Läden Geringere Auswahl, da Ware oft ausverkauft Stressig

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gen, die wie ein Hindernis-Parcour geparkt sind, zur nächstbesten Verkäuferin. Eine Goldene Regel des Shoppings ist es, niemals das Gespräch zwischen zwei Verkäuferinnen zu unterbrechen. Auch nicht, wenn man ein Geschäft betritt und nicht gleich bedient wird. Stehen Sie sich geduldig die Beine in den Bauch, bis Ihnen geholfen wird oder Sie bezahlen können. Nachdem das Gespräch der Verkäuferinnen sich nun endlich dem Ende nähert, wage ich mich einen Schritt nach vorn – und werde prompt beachtet. Schnell trage ich mein Anliegen vor, und die Verkäuferin lächelt zuversichtlich. Wie ein tapferer Krieger – immun gegen das Schlachtfeld aus Schuhen und Menschen – führt sie mich zu den Sandalen. Ganz vorne stehen sie: Meine Traumsandalen. Ein Blick reicht um zu wissen, dass die Schuhe von Steve Madden sind, und ich nicht eher werde ruhen können, solange sie nicht bei mir zu Hause im Schuhschrank stehen. Ihr braunes Wildleder fühlt sich, als ich sie berühre wahnsinnig zart an, und die Fransen sind perfekt. Hektisch durchstöbere ich das Schuhregal, auf der Suche nach der richtigen Größe. Doch – es ist wie verflixt – die Schuhe sind komplett ausverkauft. Es gibt nur noch das Ausstellungsmodell, das ich selbst für 99,95 Euro nicht haben will, möchte ich gar nicht wissen, wer die schon alles probiert hat. Trotzdem schlüpfe ich schnell in den Schuh - natürlich mit den obligatorischen Probierstrümpfen - und stolziere durch den Laden. Zum Glück ist meine Freundin dabei, die immer sehr kritisch überprüft, ob ich etwas wirklich brauche oder nicht. Doch dieses Mal ist auch sie komplett begeistert. Genervt, das ich die Sandalen nicht mitnehmen kann, will ich mich schon aus dem Getümmel verabschieden und im nächsten Laden mein Glück versuchen. Da hält mich die freundliche Verkäuferin auf, denn die Schuhe kann man zum Glück auch noch nachbestellen – jedoch kommt die nächste Lieferung erst in zwei Wochen. Pech gehabt – aber ich muss sie einfach haben - und bestelle sie trotzdem. Nur noch vorbei an den schwitzenden, roten Gesichtern und dann - schnell raus hier, einen Café zur Entspannung trinken!


Foto: Yvonne Kaufmann

Während meine Freundinnen sich am Samstagnachmittag durch das Getümmel in der Fußgängerzone kämpfen, sitze ich entspannt mit Tee und I-Tunes Sound vor meinem Laptop und widme mich meinem virtuellen Einkauf. Im Grunde genommen besteht das Internet aus nichts anderem, als aus Wünschen, Meinungen und Ideen. Ich jedoch möchte die Objekte meiner Begierde eigentlich lieber im Original sehen, als sie mir virtuell vorzustellen und auf Bilder zu vertrauen, die in 72dpi Auflösung nicht gerade viel von der Sandale preisgeben. Damit heble ich natürlich das Prinzip Internet aus und stelle mich vor das Grundproblem des Online Shoppings: die Umwandlung von Information zum Produkt an meinem Fuß. Vorab habe ich mich schon für ein Teil entschieden, das ich mir im Netz fangen möchte: Römersandalen. Da ich keinen bestimmten Onlineshop ins Visier genommen habe, mache ich das, was täglich mehrere Millionen Menschen machen: Ich hacke mein Anliegen erstmal in die Suchmaschine. Doch es ist wie die berühmte Suche nach der Nadel im Heuhaufen: der Rechner spuckt mehr als 59.200 Treffer aus. Bei so viel Auswahl sollte das doch heißen, auch für mich warten meine Traumsandalen irgendwo im Netz. Ich muss sie nur finden. Doch das stellt sich schwieriger heraus als gedacht. Bei Frontline Shop, einem Laden der nur online vertreten ist, gibt es keine Sandalen, die meinem speziellen Zehentyp entsprechen. Füße sind der am wenigsten wertgeschätzte Teil unseres Körpers – und ich bin eine von vielen Frauen die sich für sie schämt. Also wird die Auswahl doppelt so hart. Als nächstes arbeite ich mich durch Shops, die zwar auch in fast jeder Fußgängerzone zu finden sind, aber Online über ein breiteres Warensortiment verfügen und meist auch noch sämtliche Schuhgrößen bereit halten. Hier kann ich mich in Ruhe umsehen, ohne lästige Boutique-Hyänen, grelle Umkleidekabinen oder schwitzende Menschen, die sich durch die Stadt wälzen. Hier wähle ich einfach einen Schuh aus, vergrößere ihn und drehe ihn um 360 Grad. Bei Buffalo gefallen mir jedoch die Lackriemen der Sandalen nicht und bei Görtz sind mir alle Schuhe zu schlicht. Zum Glück rät mir eine Freundin einen Tag später zum Schuhportal Zalando.de. Ein weiterer Klick und ich bin im virtuellen Schuhhimmel.

ONLINE

Schuhe: Pura Lopez

Dauer: Eine Stunde Kosten: 220 Euro

Vorteile: Entspannte Atmosphäre Schnelle Lieferung Große Auswahl an Artikeln

Nachteile: Kein richtiges Einkaufsgefühl Keine Beratung Oftmals unscharfe Bilder

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Eine riesige Auswahl an Schuhen aller Farben, Formen und Marken und das Beste überhaupt – sie sind nicht alle ausverkauft. Nachdem ich alles gesichtet habe, steht das Paar meiner Träume fest. Violette Römersandalen mit Fransen sollen es sein. Doch werden sie auch passen? Bei Schuhen will ich immer probieren, könnte es sich doch um Sandalen handeln, die Quetschzehen machen, zu groß oder zu klein sind, oder aber meine Füße wie kleine Elbkähne wirken lassen. Das kann ich bei meiner Schuhgröße 39 leider nicht ausschließen. Aber damit muss ich mich jetzt wohl erstmal abfinden. Denn zurückschicken kann ich sie ja immer noch. Welch ein Glück, der Online-Anbieter verlangt nicht einmal lästige Versandgebühren. Schon fünf Euro gespart. Motiviert wähle ich die richtige Größe aus und rein in den Einkaufswagen. Mit 220€ sind die Sandalen nicht gerade billig. Jetzt nur noch anmelden. Wird nicht immer vor der Angabe seiner persönlichen Daten gewarnt? Mit Kreditkarte oder per Vorkasse zahlen – eine riskante Angelegenheit. Woher weiß ich, dass die Schuhe, nachdem ich das Geld überwiesen habe auch ankommen? Darüber sollte ich mir jedoch keine Sorgen machen, ist der Shop auch ein so genannter „Trusted Shop“, die ihren Kunden spezielle Rechte bei Nichtlieferung anbieten. Der erste Schritt ist getan, jetzt heißt es nur noch warten, bis die fransigen Sandalen endlich bei mir ankommen. In 3-4 Tagen sollten sie bei mir vor Türe liegen. Am dritten Tag ist es dann soweit. Gemütlich vor meinem Spiegel, ohne das mich jemand halb wegschubst, bewundere ich die violetten Wildleder Sandalen, deren Passform mir sofort gefällt und die auch so aussehen wie auf dem kleinen Bild im Internet. Die werde ich behalten. Schwer ist Online Shoppen bei weitem nicht. Wer weiß, was er braucht, ist mit wenigen Klicks sogleich im richtigen Laden – ohne nervige Menschenmassen, Gedränge und hysterischen Verkäuferinnen. Doch auch wenn man ruhig und entspannt vor dem PC sitzen kann, fehlen mir die typischen Momente eines gemeinsamen Shoppingnachmittags mit meiner besten Freundin, die mich auch oft mit ihrem prüfenden Blick vor Fehlkäufen bewahrt. l


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UNSICHTBAR Geht es um Mode, glauben wir nur, was wir sehen. Was aber bleibt, wenn das Sichtbare bedeutungslos wird und Bilder nur noch im Kopf entstehen? Diese Menschen und ihre Geschichten machen den Perspektivenwechsel möglich. Text: Valerie Zehethofer

Eva Steinhauser ist blind, 65 Jahre alt – und sie liebt Mode. Aus dem Alter, in dem sie in den Boutiquen der Stadt nach möglichst extravaganten Outfits suchte, ist die Wienerin zwar raus. Jungdesigner stehen aber trotzdem noch ganz oben auf ihrer Mode-Agenda. Einen von ihnen versucht Eva Steinhauser seit Monaten dazu zu bringen, seine Kollektion bei ihren Modenschauen zu präsentieren. Im Publikum, vielleicht ist es das, was den Designer noch verunsichert, werden nur Blinde sein. Seit drei Jahren organisiert die Österreicherin Modenschauen für Blinde und Sehbehinderte.

versuchten sie damals zu erfahren, wie Blinde mit Mode umgehen, was ihnen fehlt und wie man ihnen ganz alltägliche Dinge, wie das Zusammenstellen eines Outfits, erleichtern könnte. Dabei zeigte sich, dass es gerade Blinden wichtig ist, modisch gekleidet zu sein, um nicht sofort auf ihre Behinderung reduziert zu werden. Denn Gleichbehandlung, so einige der Befragten, hänge nicht zuletzt auch damit zusammen, wie man aussehe. Und auch wenn es erst mal oberflächlich klingt, ist es am Ende doch nur verständlich, dass das Gefühl, gut gekleidet zu sein, Sicherheit gibt.

Ein Schlaganfall, falsch diagnostiziert und behandelt, zerstörte vor sechs Jahren Eva Steinhausers Netzhaut. Ihr blieb ein Sehrest von etwa fünf Prozent. Die Idee zu den Modenschauen kam von ihrem Sohn. Sie selbst arbeitete in den 70er-Jahren als Model und war später für eine Werbeagentur tätig - die Entscheidung fiel also leicht. Auch weil es nach Eva Steinhauser einfach an Läden fehle, die Blinde gut beraten. Allein in Österreich leben etwa eine halbe Million blinde und sehbehinderte Menschen. In Deutschland sind es fast drei mal so viele. Steinhauser glaubt, dass deren Interesse für Mode und die Bereitschaft dafür durchaus auch mehr Geld auszugeben, unterschätzt wird. „Designer und große Modefirmen blenden das ziemlich konsequent aus. Auf irgendeine Weise behindert zu sein hört sich für viele von ihnen erst mal zu kompliziert – und vielleicht auch nicht sexy genug - an.“

EIN CASHMERE-PULLI WIRD ZU EINEM HERBSTLICHEN SPAZIERGANG Zu Eva Steinhausers Schauen kommen mittlerweile fast 120 Frauen, die Männer müsse sie erst noch „mobilisieren“. Beim letzten Mal war es nur einer. Auch wenn das vielleicht weniger an der Fähigkeit zu sehen und viel mehr in der Natur der Dinge – oder besser - der Männer, liegt. Während der Show präsentieren dann fünf weibliche und ein männliches Model die Kollektion eines Modelabels. Ein Moderator versucht die Struktur der Stoffe, Schnitt, Farbe und Details möglichst genau zu beschreiben. Selbst Stimmungen, die ein Kleidungsstück transportiert, werden übersetzt. Ein kupferfarbener Cashmere-Pulli wird zu einem „herbstlichen Spaziergang“, ein geblümtes Kleid zu einem „Sommertag im Garten“. Danach kann selbst befühlt und gekauft werden. Vom Interesse und der Direktheit der Frauen war Eva Steinhauser anfangs selbst

Einige Modedesign-Studenten der Hochschule Niederrhein entwickelten vor zwei Jahren Kleidungsetiketten für Blinde. Durch Befragungen

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kam die Kraft, wieder noch mal von vorne zu beginnen.“ Irgendwann kam auch das Interesse für Mode, für Farben, Schnitte und Stoffe wieder. Und die Beschreibungen seiner Freundin darüber, was man auf Sydneys Straßen gerade trägt, reichten ihm nicht mehr. Also gründete Dawson Ko das erste Online-Modemagazin für Blinde und Sehbehinderte, das durch einen Screenreader an die Sprachausgabe des Computers gelangt. „The Fashionable eye for the blind guy&gal” trägt zu Beginn jeder Saison zusammen, was in Clubs, Schulen und Einkaufsstraßen modisch passiert. Auch wenn es hier nicht, wie sonst üblich, um Bilder, sondern eben nur um Worte geht. Mode auf ihre visuellen Reize zu reduzieren hält Dawson Ko ohnehin für engstirnig, weil es, wie er sagt „Blinde ausschließt“. Trends zu kennen, zu wissen, wie man etwas trägt, gäbe gerade jungen Blinden das Gefühl trotz ihrer Behinderung den Anschluss nicht zu verlieren. Die Redaktion des „Fashionable Eye“ besteht heute aus 17 Autoren. Zwei von ihnen sind selbst blind. Die Geschichten, in die sie Moon-washed-Jeans und Doc Martens, Layering-Looks, und Lippenstiftfarben verpacken, sind teils ganz persönlich, teils gut beobachtet, aber immer nah am Leben. „Wir wollen niemanden überreden, Unmengen von Geld für irgendwelche Labels auzugeben. Uns geht es darum, die Jungs und Mädchen zu informieren, ihnen Tipps zu geben, wo man toll einkaufen kann, oder auch nur, dass sie von Neon-Farben besser die Finger lassen sollen“, sagt Ko.

überrascht: „Da lässt sich niemand bequatschen. Egal, ob es um eine doppelte Innennaht geht oder darum, wie die Knöpfe angenäht sind. Viele der Frauen wollen wirklich alles wissen.“ Es sind aber nicht nur die Fingerspitzen, die dabei helfen, nach und nach ein Bild von einem Kleidungstück im Kopf entstehen zu lassen. „Unser Körper sagt uns, wie ein Stück aussieht; ob es ganz nah anliegt, etwas lockerer oder sehr weit ist, aber auch ob etwas weich, seidig oder spröde ist“, da ist sich Eva Steinhauser sicher. Man müsse nur lernen sich auf dieses Gefühl zu verlassen. Wenn etwas zu eng sitzt, merke man das und schaue dann meist auch nicht gut aus. Sehende würden das oft ignorieren. In Zukunft will sie ihre Modenschauen nicht mehr nur einmal im Jahr, sondern, wie in der Branche üblich, jede Saison präsentieren. Dann nicht mehr nur für Frauen, sondern auch für Männer. „Und wenn wir irgendwann einen richtig großen Namen, also einen wie Karl Lagerfeld, bekommen“, sagt Eva Steinhauser, dann hätte sie wirklich alles erreicht.

OUTFITS, DIE WIE ANTITHESEN ZUEINANDER STEHEN Sergej Ermakov arbeitet noch daran, einer dieser ganz großen Namen zu werden. Und die Zeichen stehen gut dafür. Ermakov ist Anfang dreißig und der teuerste Designer der Ukraine. Das günstigste Teil seiner Kollektion kostet umgerechnet 4000 Euro. Vielleicht liegt das daran, dass man in Kiew bis vor kurzem gerne noch mehr bezahlt hat als nötig. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass seine Entwürfe erst dann Sergej Ermakovs Atelier verlassen, wenn Material, Schnitt und Passform - auch ohne sie zu sehen - allein durch ein kurzes Befühlen ihren Preis verraten. Marketing-Experten würden das einen USP, einen einzigartigen Verkaufsvorteil, nennen, Sergej Ermakov nennt es ganz einfach nur Arbeit - denn der Designer ist blind. Mit 11 Jahren erkrankte Ermakov an Diabetes. Mit Anfang zwanzig war er vollständig erblindet. „Wenn ich jetzt eine Modenschau besuche“, sagt er „sind immer Freunde dabei, die mir genau erklären, was sie sehen. Das Bild, das dabei entsteht, wird aber erst komplett, wenn ich die Sachen berühre.“ Ermakov und seine Kleider funktionieren wie ein ehrlicher Zaubertrick - ohne Netz, ohne doppelten Boden. Was toll aussieht, muss auch noch überzeugend sein, wenn man ganz nah dran ist. Deshalb mag der Designer Outfits, die erst mal wie Antithesen zueinander stehen: Ein Pelzjäcken und ein Tüllrock. Kombinationen wie diese seien für ihn gerade deshalb so spannend, weil sie zusammen passen und dann wieder auch nicht: warm und kalt, spröde und weich. Ähnlich einem guten Koch mixt Ermakov möglichst Gegensätzliches, um am Ende vor etwas zu stehen, das stimmig ist. Die Ideen dazu muss Ermakov nicht suchen, sie sind irgendwann plötzlich da. So wie zuletzt während eines klassischen Konzerts. Die Bilder in seinem Kopf spricht er auf Band, skizzieren kann er nicht mehr. Davon, dass man über Mode sprechen muss, um sie zu verstehen, war Sergej Ermakov aber schon überzeugt, bevor er seine Sehkraft verlor.

„EIN PAAR QUADRATZENTIMETER, DIE UNS TRÄUMEN LASSEN“ Glaubt man Trendforschern wie Andrea Dall’Olio, dann wird es in Zukunft auch für Sehende immer wichtiger werden, Mode nicht nur von aussen zu betrachten, sondern sie mit allen Sinnen wahrzunehmen. Im Vorwort der aktuellen Ausgabe des „Surfaces“-Magazin heißt es dazu: „Eine Tasche, ein Paar Schuhe, die Oberfläche eines Kompaktpuders: Es ist eine Sache von ein paar Quadratzentimetern, die uns träumen lassen, die unser Bedürfnis danach stillen, zu fühlen.“ Dall’Olio und seine Mailänder Trendforecasting-Agentur A+A beschreibt darin die wichtigsten Material-Trends für die Wintersaison 2010/11. Materialien, wie fein gerippter Cord, Strick mit riesigen Maschen, grober Filz oder Stoffe, die sich wie Papier anfühlen und origami-artig drapiert und gefaltet werden, sollen dann nicht mehr nur nach optischen Kriterien, sondern erst mal nach ihrer Haptik beurteilt werden. „Es geht um Nuancen, um kleine Unterschiede, die unglaublich wichtig werden, wenn wir alle Sinne nutzen, um zu entscheiden, was wir tragen, worauf wir sitzen und gehen wollen“, sagt Dall’Olio. „Und dazu“, so ist sich der Trendforscher sicher, „reicht, was wir sehen alleine nicht aus.“ Für blinde Menschen beginnt genau an diesem Punkt die Normalität: nämlich Dinge, die uns ständig umgeben, mit geschärften Sinnen auszuwählen und zu tragen. Und nichts ist näher an uns dran, als unsere Kleidung.

Würde Ermakov Dawson Ko kennen - er würde ihn mögen. Denn aus dessen Vorhaben, Mode nicht in den ewig gleichen Plattitüden, sondern in echten Worten zu erklären, entstand im Jahr 2003 das erste OnlineModemagazin für Blinde. Der Australier war 15 Jahre alt, als er bemerkte, dass etwas mit seinen Augen nicht stimmte. Die Diagnose kam so schnell, dass ihm nicht mal Zeit blieb, sich ernsthaft Sorgen zu machen: Behcets-Syndrom, eine seltene Autoimmun-Erkrankung, die Dawson Ko früher oder später erblinden lassen würde. „Danach“, sagt Ko „hab ich vier Jahre lang gewartet. Erst darauf, dass alles besser wird und dann darauf, dass alles den Bach runter geht.“ Im März 2003, damals war Ko 18 Jahre alt, hatte er auch diesen letzten Sehrest verloren. Erst ein Klinik-Aufenthalt half ihm mit seinem Handicap umzugehen, „Ich saß einfach nur da, bis meine Teenager-Zeit vorbei war und ich nichts mehr sehen konnte, aber wenigstens

Max Grundwald von der Universität Leipzig beschäftigt sich schon seit Jahren mit den Unterschieden in der sinnlichen Wahrnehmung blinder und sehender Menschen. Er beschreibt nicht das Sehen, sondern das Tasten als unseren Leitsinn: „Der Tastsinn ist die Vorraussetzung dafür, dass wir Bewusstsein von unserem Körper erlangen.“ Dass Blinde selbst feinste Unterschiede an einem Kleidungsstück erkennen können, erklärt er damit, dass sie zum Fühlen Gehirnareale nutzen, die Sehende nur zur Verarbeitung von Bildern einsetzen. Es gibt für uns Sehende also noch einiges aufzuholen, um bis zum Winter 2011 Andrea Dall’Olios Prognose vom neuen Mode-Erleben auch wirklich zu verstehen und, das ist das Entscheidende, zu fühlen. Ein Besuch bei Eva Steinhauers Modenschauen wäre ein guter Anfang. l

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„GESEHEN WERDE ICH JA TROTZDEM.“ Mit 20 Jahren verlor Eva Papst ihre Sehkraft. Mode blieb dennoch immer ein wichtiger Teil von ihr. Wie all die Dinge, die Anderen ganz normal scheinen, im Leben einer blinden Frau funktionieren, erzählt sie im Interview. neben liegen will, muss man eben diszipliniert sein. Ich muss mir ja auch die Garderobe meines Mannes merken, der eine Farbfehlsichtigkeit hat. Eine echte Herausforderung, weil Anzüge kaum voneinander zu unterscheiden sind. Da hilft nur noch eine strenge „Hängeordnung“, oder ich schneide kleine Muster in die Etiketten.

Frau Papst, welche Rolle spielen Äußerlichkeiten in Ihrem Leben? Eine große, ganz klar. Ich selbst kann zwar nicht sehen, aber gesehen werde ich ja trotzdem. Wie nimmt man Mode wahr, wenn man nichts sieht? Als Gesamtkonzept aus dem was sicht- und fühlbar ist, wie Kleidung, Frisur, Accessoires, Körpersprache. Aber auch aus Dingen, die man nicht auf den ersten Blick sieht, wie der Lebensführung.

Das Material ist der erste Eindruck, den Blinde von einem Kleidungstück haben. Wie muss ein Stoff sein, der Ihnen gefällt? Ich mag weiche, fließende Materialien, wie Seide oder feines Jersey. Applikationen finde ich immer schön, die fühlen sich gut an, da „passiert“ was auf meiner Kleidung. Leinen vermeide ich.

Gehen Sie gerne einkaufen? Ja, sehr. Am liebsten in Boutiquen mit persönlicher Betreuung. Dort kostet zwar alles etwas mehr, dafür kann ich auch ohne Begleitung einkaufen, weil man mir hilft und ich in Ruhe alles probieren kann. In großen Modegeschäften geht das nicht.

Warum? Das ist mir zu grob, zu steif. Ausserdem sieht man in Leinen immer aus, als hätte man darin geschlafen. Den Knitterlook find ich generell nicht so toll, weil ich darin immer die Befürchtung habe, mein Gegenüber könnte glauben, ich hätte das Bügeln vergessen.

Und die passenden Stücke? Wie finden Sie die? Erstmal taste ich mich durch alles durch und lasse mir die richtigen Größen raussuchen. Muster und Farbtöne lasse ich mir dann von den Verkäuferinnen ganz genau beschreiben. Mischfarben wie Petrol und ausgefallene Prints können da schon eine echte Herausforderung sein. Was mir gefällt, probiere ich an. Die Verkäuferin sagt mir dann, wie es aussieht.

Sie haben vor mehr als 30 Jahren Ihren letzten Sehrest verloren. Können Sie sich an Farben noch erinnern oder vergisst man die? Farben existieren tatsächlich noch in meiner Erinnerung, deshalb habe ich auch Vorlieben was meine Kleidung betrifft. Andererseits erfährt man aber auch durch Fragen und Rückmeldungen, welche Farben passen und welche nicht. Dass Rot nicht zu Pink passt, ist ja auch Blinden nicht egal.

Auf deren Geschmack ist Verlass? Ich weiß, dass meine Vorstellung davon, was gut aussieht, nicht immer den Vorstellungen der Verkäuferin entspricht. Dann kommt es vor, dass ich noch jemanden im Laden frage, wie er es findet oder ich verlasse mich einfach auf mein Bauchgefühl.

Was nehmen Sie vom Outfit Ihres Gegenübers wahr? Leider nur wenig. Bei manchen Menschen, die ich näher kenne, bin ich ziemlich neugierig, wie sie sich kleiden, sich schminken oder das Haar tragen. Das passt nicht immer zu der Vorstellung, die sich in meinem Kopf bereits festsetzt hat.

Wie wichtig ist es, als blinder Mensch in Mode-Fragen auf die Meinung anderer zu vertrauen? Ich glaube, Vertrauen haben muss im Leben jeder in der einen oder anderen Situation. Schwierig wird es dann, wenn Sehende Hemmungen haben, einem blinden Menschen zu sagen, dass er einen Fleck auf der Bluse hat, die Jacke falsch geknöpft ist oder etwas einfach gerade doof aussieht. Ich freue mich über jede Kritik, auch wenn ich sie manchmal noch mal „gegenchecke“, bei engen Freunden oder Verwandten.

Woran liegt das? Vielleicht ist meine Vorstellung einfach falsch, vielleicht ist es manchmal aber auch die Person, die etwas aus sich macht, das sie nicht ist. Gibt es ein Lieblingsstück in Ihrem Kleiderschrank? Von Zeit zu Zeit, ja. Dass Lieblingsstücke bei mir nicht allzu oft vorkommen liegt aber auch an meinen Ansprüchen: modern, toll aussehend, pflegeleicht und bequem in ein Stück zu verpacken gelingt nicht vielen Labels. Und was ich noch nie verstanden habe, ist warum Modedesigner immer die Taschen an Kleidern vergessen. In die teuersten Kostüme kann man oft nicht einmal ein Taschentuch stecken. l

Wie finden Sie sich in Ihrem Kleiderschrank zurecht? Ich versuche mir schon beim Einkaufen zu merken, was mir über das Stück erzählt wird. Ein Anhaltspunkt sind aber auch Schnitte und Details - eine bestimmte Kragenform oder eine eingelegte Falte, tastbare Muster oder besonders geformte Knöpfe helfen immer weiter. Oft ist es aber auch einfach der Stoff, den ich anfasse und der sofort eine Assoziation zu Schnitt, Stil und Farbe auslöst.

Ein Leben ohne Mode? Für Eva Papst, 54, war das immer unvorstellbar. Auch nachdem sie eine Netzhauterkrankung im Alter von 20 Jahren erblinden ließ. Um den Zugang zur Mode nicht zu verlieren sind Einfallsreichtum, Vorstellungskraft und Vetrauen heute unverzichtbar für sie. Eva Papst arbeitet als Verlagsleiterin in einem Blindeninstitut. Sie ist verheiratet und lebt in Wien.

Und ähnliche Teile, wie erkennen Sie die? Da helfe ich mir, indem ich Accessoires, etwa eine Brosche oder einen Schal, an dem jeweiligen Kleidungsstück befestige. Organisation ist also alles? Eigentlich bin ich von Natur aus schlampig. Aber wenn man nicht total da-

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Mode MYTHEN

In der Modewelt halten sich einige Theorien hartnäckig. Aber was ist wirklich an ihnen dran? Wir sind den Irrtümern auf den Grund gegangen.

Ist Michelle Obama eine Stilikone?

Sind Rocklängen ein Wirtschaftsbarometer? Oder doch nicht? Kaum ist die Wirtschaft in der Krise, suchen Wissenschaftler händeringend nach Rat und Erklärung, sogar bei der Mode. Die Theorie: Wird der Rock länger, geht es der Wirtschaft schlechter. Werden die Säume kürzer, erlebt die Wirtschaft einen Aufschwung. Erforscht hat das Phänomen US-Wirtschaftswissenschaftler George Taylor. Zwischen 1910 und 1920 stellte er die „Bull markets and Bear (Bare) Knees“-Theorie auf. Einer der Fehler der Untersuchung lag jedoch darin, dass der Untersuchungszeitraum schlicht zu kurz war. Ein weiterer in falschen Begründungen: So wurden die Röcke in den 40er Jahren nicht deshalb kürzer, weil die Kriegsnachfrage die Wirtschaft belebte, sondern aufgrund akuten Stoffmangels. Seit aber der Anthropologe Desmond Morris in den 70er Jahren die Taylor’sche These bestätigte, gilt sie als unausrottbare Theorie – und wurde zur beliebtesten Falschmeldung der Wirtschaftsbranche. Gewiss ist die Mode ein Spiegel unserer Zeit, aber „sie ist kein voraus weisendes Barometer“, meint Modehistorikerin Ingrid Loschek. Gegen die Rocklängen-Theorie sprechen ihrer Meinung nach die Vorlaufzeit vom Design bis zum Endprodukt, nationale Unterschiede, sowie die unterschiedlichen Rocklängen innerhalb einer Saison. Denn einheitliche Rocklängen gibt es schon seit den 70er Jahren nicht mehr, weshalb die Theorie – gut 80 Jahre nach ihrem Aufstellen – heute nicht mehr tragfähig ist. Dass „diese These nichts als ein Mythos“ ist, findet auch die New Yorker Modehistorikerin Valerie Steele. Denn welche Rocklänge soll man schon in Betracht ziehen, wenn, so Steele, „bei Prada die Röcke bis knapp unters Knie gehen, sie bei Dolce & Gabbana knöchellang sind, und die Frauen auf der Straße Jeans tragen.“ l

So inflationär wie der Begriff Stilikone heutzutage gebraucht wird, ist es schon fast eine Beleidigung, Michelle Obama als sol­che zu bezeichnen. Denn sucht man den Begriff im Internet, flimmern einem sogar Namen wie Paris Hilton, Nicole Richie oder Pixie Geldof entgegen. Aber: Wahre Stilikonen sind selten, denn es bedeutet weitaus mehr, als sich modisch zu kleiden und sonst nichts zu leisten. Hier sind höhere Maßstäbe anzusetzen: Stilikonen sind einzigartig, unverwechselbar und oft für Generationen ein Vorbild. Kreiert wird dabei ein ganz eigener Look, der sich beispielsweise durch ein kennzeichnendes Kleidungsstück auszeichnet, wie etwa Jackie Kennedy und ihre Pillbox. Außerdem – und das ist wichtig – stehen wahre Ikonen auch für eine Aufgabe außerhalb der Mode. Audrey Hepburn beeindruckte zum Beispiel auch durch ihr unermüdliches Engagement für Unicef. Michelle Obama kümmert sich zwar intensiv um Familien, in denen ehemalige Soldaten aus Kriegsgebieten heimkehren. Hinsichtlich ihres Stils spielt sie dagegen noch nicht in der Oberliga, denn sie vergreift sich noch dann und wann. Michelles modische Besonderheit ist ihr Faible für das Versandhaus J.Crew, sowie ihre Vorliebe für emigrierte US-Designer wie Jason Wu oder Isabel Toledo. Doch dies ist kein modisches, sondern vielmehr ein politisches Statement, was aber in diesen Zeiten vielleicht ohne­hin die bessere Wahl ist. Potential zur Stilikone hätte sie auf alle Fälle. Nicht nur ihre muskulösen Oberarme sind ein aussage­ kräftiges Stilmittel. Auch der Gürtel, und das zeichnet sich schon ab, könnte ihr kennzeichnendes Mode-Merkmal mit ganz ähnlicher Aussage werden. Schon im Mittelalter symbolisierte er Kraft und Stärke. Zwei Attribute, die ja nun offenbar auf Michelle Obama zutreffen. l

Hat Coco Chanel wirklich das Korsett abgeschafft? Energisch befreit Audrey Tautou alias Coco Chanel im Film „Coco avant Chanel“ ihre Schwester aus einem Kleid mit eng geschnürtem Korsett. Die legendäre Modeschöpferin, die jetzt gleich mit zwei Filmen in die Kinos kommt, behauptete zu Lebzeiten gerne noch, sie habe die Frauen aus dem textilen Käfig befreit. In Wahrheit war es aber Modeschöpfer Paul Poiret, der den weiblichen Körper 1906 von den einengenden Stäben und Schnüren erlöste. Das um die Jahrhundertwende getragene SansVentre-Korsett, das den weiblichen Körper in eine unnatürliche S-Form brachte, fand Paul Poiret schlichtweg lächerlich. Dem setzte er eine schlichte, schmale Robe entgegen, deren Rock direkt unter dem Busen ansetzte und gerade bis zum Boden fiel (siehe Bild links). Und auch wenn Coco Chanel sicherlich zur Anti-Korsett-Fraktion gehörte, war es nicht sie, die den Frauen die körperliche Freiheit verlieh. Dafür sind wir ihr für ganz andere Dinge dankbar. Denn wie oft hat uns schon die schlichte Eleganz ihres Kleinen Schwarzen (von 1926) gerettet? l

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Text: Lilian Ingenkamp


Illustration aus dem Präsentationsbooklet von Alice Knackfuß

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Gefallener

Star

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Jährlich absolvieren hunderte von Modedesign-Studenten in Deutschland. Nur wenigen gelingt es, erfolgreich durchzustarten. Wir zeigen, welche Wege man gehen, welche Strategien man anwenden kann, um dauerhaft erfolgreich zu sein. Text: Natascha Wolf

tolle Chance, doch alles kam anders. Sie bewarb sich stattdessen beim „ITS #8 Award“ (International Talent Support) in Triest. „Designer, die sich in ihrem Metier auskennen und sich für Wettbewerbe interessieren, kennen diesen Award. Ich persönlich recherchiere aber auch viel im Internet“. Obwohl die Veranstalter jedes Jahr eine Scouting-Tour organisieren, wo sie sich in allen wichtigen und international bekannten Modeschulen nach talentiertem Nachwuchs umschauen und die Besten einladen, hat sich Alice jedoch auf dem einfachen Weg mit einer Mappe und dem Konzept ihrer Kollektion beworben. „Für den Diesel Award musste ich allerdings noch mal separat ein Jeansoutfit kreieren“, sagt die Designerin, „man muss sich ganz genau an die vorgegebenen Kriterien und Richtlinien halten“. Nach langer Vorbereitung gewann sie am 11. Juli 2009 den Diesel Award, den wichtigsten Nachwuchspreis Europas. „Niemand hat damit gerechnet; schon gar nicht ich. Man muss sich vorstellen, dass ich die erste Frau bin, die gewonnen hat und dann noch von einer international eher unbekannten Schule“, schwärmt Alice. Neben einem hohen Preisgeld von 50.000 Euro steht nun auch die einmalige Chance vor der Tür, ein sechsmonatiges Praktikum beim Diesel Kreativ-Team zu absolvieren. Der Grund, warum sie den Weg der Festivals und Wettbewerbe gegangen ist und nicht den der Labelgründung, erklärt das junge Talent so: „Ich habe einfach nicht die finanziellen Möglichkeiten und die Festivals stellen eine Plattform dar, durch die man eine gewisse internationale Bekanntheit erlangen kann und es bieten sich Gelegenheiten zur Förderung“. Zusätzlicher Vorteil: Große Firmen werden aufmerksam und man erscheint in Datenbanken, über die man wiederum angeschrieben werden kann. Es ist also nicht nur der finanzielle Aspekt, sondern auch die Chance, Aufmerksamkeit und internati-

Vier junge Newcomer haben es geschafft. Sie haben alle erfolgreich ihren Abschluss an renommierten Modeschulen gemacht und stürzen sich seit diesem Jahr freiwillig in das Haifischbecken der Modewelt. DIE WETTBEWERBERIN

Alice Knackfuß hat bewiesen, dass sie sich bis jetzt gut über Wasser halten kann. Sie absolvierte Anfang des Jahres an der Akademie Mode und Design (AMD) in München und reist seitdem von Nachwuchsdesign-Awards bis hin zu Mode-Festivals. Jedes Jahr veranstaltet die AMD die Fashionshow „NEXT“. Im Januar präsentierte Alice dort ihre Abschlusskollektion mit dem Namen „Heimwärts“ und gewann damit den Preis der „Zukunftsweisenden Designerin“ ihres Jahrgangs. Mit ihrer Herrenkollektion trat sie dann auch als einzige Deutsche am 24. „Festival International de Mode et de Photographie“ in Hyères an, eine der wichtigsten Plattformen für die Fashion-Newcomer in Europa. „Das war eine tolle Erfahrung für mich. Vor allem, dass ich junge Designer kennen lernen durfte, die in der gleichen Situation sind wie ich. Insgesamt sollte man jede Gelegenheit nutzen, seine Arbeit internationalem Publikum vorzustellen“, sagt die Münchnerin. Ebenso wichtig ist es, Kontakte zur Presse zu knüpfen und vielleicht neue Projekte oder Kooperationen zu starten. Diese Kontakte haben ihr bereits viele Veröffentlichungen wie z.B. im Indie Magazine gebracht. Durch die Teilnahme in Hyères haben sich für Alice aber auch ganz neue Türen geöffnet: Ihr wurde ein Stipendium am Royal College of Art in London angeboten, wo sich ihr die Möglichkeit bot, ihren Master in Fashion Design zu machen. Eine

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d ER

aufsteigender

Stern?

Motiv aus der Modestrecke von Alice Knackfuß´s Abschlußkollektion „Heimwärts“ dabei sehr wichtig“, sagt Julia. Sie sind nicht nur mit Leidenschaft dabei, auch der Teamgedanke ist ein großer Bestandteil, denn gemeinsam fühlen sie sich stärker. „Jeder von uns könnte zwar alleine was starten, aber zusammen haben wir einfach das Gefühl, mehr aus uns herausholen zu können“, sagt Ben. Denn Julia ist eher der klassische Typ und Ben der ausgeflippte, avantgardistische. Mixen die beiden diese Komponenten, kommt für die zwei die optimale Mischung heraus. Auch in der Arbeitsteilung ist Teamwork ein wirklicher Vorteil. Durch zwei unterschiedliche Perspektiven lassen sich im Vorfeld mögliche Probleme durchleuchten und bessere Qualität erzeugen. Einige Kleidungsstücke werden so auch massenkompatibler, weil mehrere Ideen zur Auswahl stehen und vier Augen mehr sehen als zwei. „Bei Bedenken gibt es immer jemanden, mit dem man reden kann. So fühlt man sich einfach stärker und besser und wagt sich vielleicht an Dinge heran, die man sich alleine nicht getraut hätte“, sagt Ben. Anfangs hatten Julia und Ben die Kreation von Herren- und Damenmode getrennt. Ben hatte sich auf die Menswear konzentriert und Julia war für die Womenswear zuständig. Mittlerweile machen beide, worauf sie Lust haben, auch wenn Ben seine Domäne noch nicht ganz in Julias Hände übergeben will. „Ich entscheide mehr, was die Details der Meanswear angeht, wenn bei Julias Entwürfen etwas nicht stimmig ist“, erklärt Ben. Organisatorische Angelegenheiten entscheiden sie zusammen; für das daily Business ist Ben zuständig. Julia hingegen kümmert sich um die PR, den Internetauftritt und die Öffentlichkeitsarbeit. „Auch kaufmännisch ist sie tüchtiger als ich“, sagt Ben, „ich kümmere mich um die Verwaltung und die praktischen Dinge

onale Bekanntheit zu erlangen. Doch auf ihren Lorbeeren ausruhen, will sich die Newcomerin nicht: „Ich will vorwärts kommen, ich muss noch so viel lernen, aber alles Schritt für Schritt. Das ist meine Strategie, so habe ich bis jetzt alles erreicht“, sagt sie. So möchte sie auch in Zukunft vorgehen, keine Chance auslassen und alles auf sich zukommen lassen. „ Ich habe keinen Plan A, den ich bis zum bitteren Ende versuche durchzuziehen. Alles kommt, wie es kommen soll“, erklärt die Jungdesignerin. Außerdem sei der Zusammenhalt ein wichtiger Bestandteil, „man muss Leute mitziehen und keine Ellbogen zeigen, ich habe mich nie mit anderen verglichen oder um mich geschaut, was andere machen, ich bin ein Teamplayer und kein Konkurrenzmensch“, bekräftigt Alice. DIE TEAMWORKER

Julia Heuse und Benjamin Klunke haben passend zu ihrem eigenen Label auch einen Shop in Berlin gegründet. Gemeinsam haben sie 2006 an der Esmod-Schule in Berlin absolviert und wollten auch danach gemeinsame Sache machen. Alles begann im Hinterzimmer einer Kunstgalerie. Dort richteten sie ihr Atelier ein und begannen die Fusion ihrer ungleichen Stilrichtungen - das Label „Juliaandben“ war geboren. Seit April diesen Jahres ist auch ihr Flagshipstore in der Torstrasse in Berlin Mitte eröffnet und seit drei Saisons entwerfen und produzieren sie ihre Kollektionen. „Mit Ach und Krach haben wir uns das Ganze damals gemeinsam finanziert, aber auch die Unterstützung unserer Eltern war

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im Atelier“. Generell sind beide jedoch gleichberechtigt, was Entscheidungen und die Finanzen angeht. „Wir sprechen gemeinsam alles ab“, belegt Julia. Finanziell gesehen ist die Zusammenarbeit mit einem Partner immer leichter und einfacher. Man muss sich nie alleine durch den Dschungel der Bürokratie kämpfen und auch Kredite lasten nicht alleine auf einer Person. Für Julia und Ben ist die Kommunikation untereinander ein wichtiger Punkt, um die Teamarbeit nicht zur Last werden zu lassen. Es gibt natürlich immer mal Situationen, wo sich beide ein Wochenende eine Auszeit voneinander nehmen müssen, weil dicke Luft im Atelier herrscht. „Das ist aber ganz normal, da man sich ja permanent auf der Pelle sitzt“, sagt Ben. Generell gilt: Man sollte sich einen Partner suchen, mit dem man gut arbeiten kann, der die eigene Persönlichkeit ergänzt und einen weiterbringt. Das müssen auch nicht immer die besten Freunde sein, aber gemeinsame Absprachen müssen eingehalten werden und die Kommunikation muss fließen. DIE NETZWERKERIN

Ein aufsteigender Stern am Modehimmel ist womöglich auch Olivia-Elisa Bouillé. Sie absolvierte Anfang 2009 ebenfalls an der AMD in München und entschied sich, den langen und mühsamen Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Anfang Juni präsentierte sie zum ersten Mal in München ihre eigene Kollektion mit dem Label „2ReMain“. Freunde, Familie aber auch Leute aus der Branche waren in das LuxusApartment in Bogenhausen gekommen. „Kontakte über ihren Onkel“ beteuert sie, so sei sie an die schicke Location gekommen. Wegen ihrer vielen nützlichen Beziehungen entschied sie sich auch recht schnell, in ihrer Heimatstadt zu bleiben. Denn für das Nachwuchstalent ist der bayrische Standort eine sehr wichtige und gut durchdachte Angelegenheit. „Ich habe mich dafür entschieden, in München durchzustarten, weil ich insgesamt sechs Jahre hier studiert habe, in zahlreichen Modegeschäften gearbeitet habe und bereits auf Mode-Events erste Kontakte knüpfen konnte, die ich momentan in keiner zweiten Stadt besitze“, erklärt sie. Olivia hat hier ihre Wurzeln, ihre Freunde und Familie, die ihr eine gewisse Sicherheit geben, diesen Schritt zu wagen. „Hier kann man sich aufgehoben und anerkannt fühlen“ meint sie, denn München geht es wirtschaftlich noch vergleichsweise gut und junges Design wird gefördert. Auch die Akzeptanz ist höher und stilistisch passt es zu ihrem Label. Natürlich waren auch die Mithilfe und die Ideen der AMD für sie wichtig, denn was die Promotion ihrer Events angeht, wird sie tatkräftig von der Akademie unterstützt. Ein weiterer wichtiger Aspekt sei der Rückhalt anderer Modedesigner hier aus München. „Wir haben vor, gemeinsame Events mit Jungdesignern, Fotografen, Musikern und Filmemachern zu organisieren und greifen uns so gegenseitig unter die Arme“, sagt die Newcomerin. In jeder Hinsicht gibt es hier für Olivia nur Vorteile, denn der Kontakt zu den Schneiderinnen, die ihre Kollektion genäht haben, ist durch private Bekanntschaften entstanden. Auch die Aushilfen, die für sie arbeiten, sind ehemalige AMD-Studentinnen, die genau wissen, welche Erwartungen die Designerin hat. Über die Jahre konnte sie ihr eigenes Lager und Atelier einrichten. „Ich habe mir in dem Haus, in dem ich lebe, einen professionellen Arbeitsplatz geschaffen, was vieles für mich erleichtert“, sagt sie. Bei dem Thema Showrooms hängt mal wieder alles von den Kontakten ab, die sie oder befreundete Designer haben. Gemeinsam mit ein paar Modedesignern will Olivia jetzt einen eigenen eröffnen. „Das wäre in keiner anderen Stadt möglich, da wir nur hier ein Netzwerk besitzen um so etwas auf die Beine zu stellen“, sagt sie. Das fängt schon bei dem DJ und den Fotografen an und hört bei den Sponsoren auf. Denn auch die finanziellen Unterstützer, die man am besten auf der Munich fabric Start oder anderen Messen findet, helfen und bieten eine Plattform, die eigene Arbeit zu präsentieren. Filmemacher zeigen z.B. das InspirationsVideo von Olivia auf ihrer Website oder bei Messen und Ausstellungen. Die ersten Läden in München, die ihre Ideen unterstützen und Jungdesigner fördern wollen, haben bereits einige Teile ihrer Kollektion zum Verkauf aushängen. Doch bei einem Punkt ist sie sich sicher: „Sich selbstständig zu machen, ist kein leichtes Ziel, aber dennoch erreichbar, wenn man verschiedene Komponenten wie Kontakte, Fleiß, Ehrgeiz und Erfahrung verbindet.“ l

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Juliaandben, Outfit aus der Herbst/Winter Kollektion 09/10

Modezeichnung von Olivia-Elisa Bouillé


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»Mode muss in deutschland ein teil der modernen kultur werden« Mode ist Zeitgeist und Kultur. Für die Franzosen und Italiener kein Problem – in Deutschland hingegen werden Couture- und Kleiderthemen gern belächelt und in die Schublade „Frauen und Gedöns“ gestopft. Was sagen eigentlich Deutschlands seriöseste Modekritiker dazu? Vier Kollegen gaben uns Auskunft über ihren Arbeitsalltag und die Vorurteile, mit denen sie zu kämpfen haben.

Text: Sandra Loos

Peter Bäldle

langt. Lanvin hat die derzeitige Stimmung am besten ein eingefangen.

Wie bereiten Sie sich auf eine Show vor? Da geh ich ganz unbedarft hin.

Und von welchem waren Sie eher enttäuscht? Enttäuscht bin ich eigentlich selten. Wenn das der Fall sein sollte, dann hab ich die Kollektion am besten vergessen, nachdem ich sie gesehen habe.

Gibt es einen Kriterien-Katalog, nach dem man als Profi eine Modenschau beurteilt? Was wichtig ist, hängt vom Designer ab. Bei einem, den ich seit 35 Jahren sehe, erwarte ich natürlich eine Weiterentwicklung. Aber bei anderen, die ich überhaupt nicht kenne, lasse ich mich gerne überraschen. Da muss es bei mir einfach „Klick“ machen. Das kann genauso gut der komplette Look sein oder vielleicht auch nur die raffinierte Stoffauswahl. Außerdem ist mir wichtig, ob die Kollektion den Zeitgeist einfängt. Wie viele Modenschauen sehen Sie sich durchschnittlich im Jahr an? Grob überschlagen sind es rund 140. Mittlerweile habe ich es etwas reduziert.

Peter Bäldle ist in Deutschland der „Grand Seigneur“ des Modejournalismus. Seit 35 Jahren ist er als freier Journalist für die Modekritiken der „Süddeutschen Zeitung“ zuständig. Nebenbei ist er auch noch für diverse andere Zeitschriften tätig, wie für die „Textil Wirtschaft“ oder den österreichischen „Standard“. Außerdem arbeitete er 20 Jahre lang für das Deutsche Modeinstitut.

Welche Show war die ausgefallenste, die Sie je gesehen haben? Das war definitiv in den 80er Jahren. Da gab es Schauen von Thierry Mugler und Claude Montana, die sich ein regelrechtes Duell lieferten. Ich erinnere mich noch an ein Jubiläums-Defilee von Thierry Mugler bei dem er die Religion als Inspiration verwendete. Am Schluss hing das männliche Model Cleveland als Jesus am Kreuz und Topmodel Simonetta trug ihr frisch geborenes Baby auf dem Arm. Es wurden gewickelte Kleider mit Engelsflügeln präsentiert und Weihrauchkessel anstatt Handtaschen geschwenkt. Das war wirklich mal anders.

Was macht der Profi, wenn er einen Designer per se nicht leiden kann? Das ist mir noch nie passiert. Wenn man in der Mode arbeitet, hat man eigentlich ein gutes Gefühl für die verschiedenen Strömungen und Einflüsse. Zeitgeist ist das A und O hinter jeder Mode. Und wenn sie mit ihrer Zeit im Einklang sind, dann empfinden Sie auch die Mode, die gerade Trend ist, als die einzig richtige.

Kann man nach jahrelanger Erfahrung abschätzen, was man von einem Designer zu erwarten hat oder werden Sie jede Saison auf‘s Neue überrascht? Es gibt nur ganz wenig originäre Designer, die einfach unberechenbar sind und die Sie gar nicht einschätzen können, wie zum Beispiel bei Prada. Und dann gibt es andere, die bewegen sich grundsätzlich gern im Kontext der momentanen Mode. Tatsächlich gibt es nur sehr wenige, die etwas komplett Neues erschaffen können, wie zum Beispiel Nicholas Ghesquière für Balenciaga.

Warum, denken Sie, gibt es in Deutschland niemanden in der Modekritik, der so polarisierend ist, wie zum Beispiel eine Suzy Menkes? Jede Zeitung ist ein Spiegel des Landes, in dem sie erscheint. Mode hat in Frankreich, Italien, England und Amerika einen ganz anderen Wert, als bei uns. In Frankreich ist Mode ein Teil der Kultur. Wenn Sie dort ein Couturier

Welcher Designer hat Sie in der neuen Saison am meisten beeindruckt? Das ist ganz schwierig. Ich fand die Kollektionen extrem stark in diesem Jahr. Es gab insgesamt sehr viel Raffinesse, was Schnitte und Details anbe-

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sind, haben Sie den gleichen Stellenwert wie ein Komponist. Dasselbe gilt für Italien. Da interessiert sich auch ein Taxifahrer für Armani. In England und Amerika ist Mode ein fester Bestandteil der Gesellschaft und zählt als Statussymbol. Wieso gibt es sehr wenig explizit negative Kritiken über die Shows und Kollektionen der Designer? Die Journalistin Ursula von Kardorff hat Mode immer als Gesellschaftsthema betrachtet. Ihre Meinung war: „Wir schreiben nicht, dass etwas schlecht war. Wenn sie nicht gut waren, bemerken wir sie einfach nicht. In jeder Schau steckt sehr viel Kreativität. Daher wäre es unfair, jetzt auch noch den Dolch hineinzustoßen. Der Designer bemerkt sehr wohl, wenn nicht über ihn geschrieben wird und er wird sich das nächste Mal bemühen, es besser zu machen.“ Das ist auch für mich eine Geisteshaltung, die ich sehr gut nachvollziehen kann. Inzwischen gibt es aber heutzutage so viele Modeschöpfer, dass man gar nicht mehr über alle schreiben kann.

Wie viele Modenschauen sehen Sie sich durchschnittlich im Jahr an? 200 werden es bestimmt sein.

Alfons Kaiser schreibt seit 1997 für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und übernahm dort vor neun Jahren die Verantwortung für das Ressort „Deutschland und die Welt“. Kaiser, der sich selbst gern als „Bauernsohn aus dem Sauerland“ bezeichnet, gilt unter Journalisten als besonders akribisch und gründlicher Rechercheur.

Kann man nach jahrelanger Erfahrung abschätzen, was man von einem Designer zu erwarten hat oder werden Sie jede Saison aufs Neue überrascht? Manchmal wird man überhaupt nicht mehr überrascht, wie bei Armani. Aber bei Dolce & Gabbana ist es fast jedes mal wieder eine Freude; sie erfinden sich immer wieder neu. Es stellt sich allgemein bei einer Marke, die bereits länger existiert, die Frage: Sind die Designer überhaupt noch fähig etwas Neues und dennoch Passendes zu kreieren, oder bringen sie immer die gleichen Dinge? Welcher Designer hat Sie in der neuen Saison am meisten beeindruckt? Lanvin war wunderschön, Yves Saint Laurent oder auch Jil Sander.

Und von welchem waren Sie eher enttäuscht? Das war Karl Lagerfeld mit seiner eigenen Linie. Er kann wunderbar Chanel zum Leben erwecken, aber seine eigene Kollektion sieht oft billig, einfach und langweilig aus.

Wie sensibel muss man gegenüber Anzeigenkunden sein? Man muss ein bisschen zwischen den Zeilen schreiben. Sie müssen sie ja nicht in den Himmel loben und ein paar Spitzfindigkeiten können ruhig enthalten sein. Der eine bemerkt sie und der andere nicht. Das ist dann journalistische Raffinesse.

Welche Show war die ausgefallenste, die Sie je gesehen haben? Das war die 50. Show von Dries van Noten. Sie wurde in einer alten Industriehalle außerhalb von Paris gezeigt. In der Mitte stand ein langer Tisch an dem 500 Gäste zu Abend aßen. Nach dem Essen hoben sich plötzlich die Kristallleuchter und über den Tisch liefen die Models und präsentierten die wunderschöne Kollektion. Am Ende haben die Leute sogar geweint. So emotional ist es leider selten. Denn heute wird vieles wie am Fließband abgehandelt. Dabei wäre es doch passend, wenn sich das Flair einer Kollektion auch in ihrer Präsentation widerspiegeln würde.

Es gibt ja auch viele Skeptiker, die behaupten, dass die Mode der Laufstege nicht tragbar ist. Wie bringen Sie solchen Personen die Mode nahe? Nur einzelne Kollektionen oder Modelle sind nicht tragbar. Es gibt Designer, die generell Showpieces entwerfen und damit beeindrucken möchten, wie John Galliano. Dabei ist es wichtig, dem Leser verständlich zu machen, warum er gerade solch eine Kollektion zeigt. Außerdem ist es hilfreich zu wissen, dass die Mode der Laufstege nicht als Konfektionsmode gedacht ist. Die Aufgabe des Journalisten ist es, die Mode so zu beschreiben, dass eine Idee davon entsteht und die Hausfrau für sich etwas herausnehmen kann.

Was macht der Profi, wenn er einen Designer per se nicht leiden kann? Da muss man sehr vorsichtig sein. Ich mag zum Beispiel diesen punkigrockigen Stil von Rick Owens bis Neil Barrett nicht mehr. Aber da darf man sich dann nicht völlig auf sein eigenes Urteil verlassen. Deshalb ist es sehr wichtig, sich nach der Show mit anderen Fachjournalisten oder Einkäufern zu unterhalten. Vor allem mit den Frauen der Modemagazine wie Elle, Vogue, Madame. Die sehen noch mehr Schauen und haben einen noch besseren Blick, auch weil sie bei Fotoproduktionen mit der Kleidung der Designer arbeiten. Dadurch bekommen sie einen besseren Blick für die gesamte Marke.

Was würden Sie Leuten sagen, die behaupten, jeder könne über Mode schreiben? Das ist ein großer Irrtum. Sie können zwar über Mode eine Meinung haben, aber für das Trennen von Wichtigem und Unwichtigem braucht man ein gewisses Gespür. Ich nenne es das Fashion-Gen. Zwar gibt es heute viele Fashionblogs, aber wenn Sie die alle lesen würden, wären Sie danach auch nicht schlauer.

Alfons Kaiser

Warum, denken Sie, gibt es in Deutschland niemanden in der Modekritik, der so polarisierend ist wie zum Beispiel eine Suzy Menkes? Modeberichterstattung in Deutschland hat traditionell keinen festen Ort. So ist es schwierig, die Mode einzuordnen. Sie berührt die Ressorts Gesellschaft, Feuilleton, Wirtschaft, ja sogar Politik, Sport und Technik. Hinzu kommt, dass es kaum feste Redakteure gibt, die sich regelmäßig darum kümmern. Das ist in anderen Ländern anders. Mode hat dort mehr Bedeutung als bei uns und wird pragmatischer angegangen. Außerdem wird unsere Medienwelt von Männern dominiert, die Mode als schwules oder weibliches Thema sehen und nicht als bedeutsam genug erachten. Der alltägliche, kulturelle und künstlerische Aspekt wird dabei außen vor gelassen.

Wie bereiten Sie sich auf eine Show vor? Ich studiere andere Zeitschriften von der deutschen bis zur amerikanischen Vogue, die Textilwirtschaft, die Süddeutsche Zeitung, WWD, New York Times bis hin zum Figaro. Ich drucke alles aus, was ich im Internet zu den Marken finde, die ich besuche. Befrage Leute aus meinem Umfeld, zum Beispiel Fachjournalisten, zu bestimmten Themen oder Marken. Gibt es einen Kriterien-Katalog, nach dem man als Profi eine Modenschau beurteilt? Es gibt keinen konkreten. Ich bin immer sehr bemüht, einen runden Überblick über die Marke zu geben. Dazu spreche ich mit Leuten, die einen guten Einblick haben. Wichtig ist natürlich auch, ob es einen Trend gibt und das Label vielleicht ein Vorreiter dafür ist. Die Stimmigkeit und Präsentation ist der andere bedeutsame Punkt. Alles muss aber auch vor der Geschichte des Modehauses gesehen werden.

Wieso gibt es sehr wenig explizit negative Kritiken über die Shows und Kollektionen der Designer? In Deutschland haben wir eher den Ansatz, einen allgemeinen Überblick verschaffen zu wollen. Das sind beschreibende Texte, Reportagen, Inter-

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Joop für Wunderkind macht das anders. Er ist sehr bemüht, immer etwas Neues zu entwickeln. Trotzdem muss beachtet werden, was die Kunden erwarten. Bei Boss gibt es auch nie fundamental neue Ideen, was aber auch daran liegt, dass die spezielle Kundschaft bedient werden will. Davon kann sich natürlich auch ein Modeunternehmen nicht ganz frei machen, das finanziell überleben will.

views oder Porträts, weil man so glaubt, den Leser besser einfangen zu können. Man darf nicht vergessen, dass der deutsche Leser natürlich mit Dior nicht soviel verbindet wie der französische – Detailkritik interessiert ihn da wenig. Aber ganz ohne Kritik kann es natürlich nicht gehen, sonst bleibt die Berichterstattung nicht glaubwürdig. Teilweise nähert man sich Personen aus der Branche und möchte dann vielleicht nicht so hart mit ihnen ins Gericht gehen. Zur Ehrlichkeit muss man sich gerade deswegen immer zwingen. Andererseits wird die Beschreibung einer Kollektion auch überflüssig, wenn man sie im Internet vollständig sehen kann, da kann sich der Leser selbst ein Bild machen. Hintergrundinformationen sind daher heute noch viel sinnvoller als vor zehn Jahren, als es style.com noch nicht gab. Darin sehe ich für uns einen Fortschritt. Im Figaro zum Beispiel wird alles nur beschrieben, nicht eingeordnet und analysiert. Das hört sich teilweise sehr nach PR-Text an.

Welcher Designer hat Sie in der neuen Saison am meisten beeindruckt? Das war eindeutig Raf Simons für Jil Sander. Und von welchem waren Sie eher enttäuscht? Das kann man schwer sagen. Das weiß ich eigentlich nicht mehr, womöglich habe ich das verdrängt. Welche Show war die ausgefallenste, die Sie je gesehen haben? Shows von Viktor & Rolf bleiben fast immer in guter Erinnerung. Aber eine Inszenierung von Bernhard Wilhelm in Berlin war auch sehr beeindruckend: Die Show fand in einer großzügigen Location statt, in der Männer Skibekleidung präsentierten und kleine „Feen“ derweil um sie herumtanzten.

Wie sensibel muss man gegenüber Anzeigenkunden sein? Zum Glück gar nicht. Wir haben auch nicht viel mit unserer Anzeigenabteilung zu tun. So können wir freier schreiben und erscheinen glaubwürdiger. Es gibt ja auch viele Skeptiker, die behaupten, dass die Mode der Laufstege nicht tragbar ist. Wie bringen Sie solchen Personen die Mode nahe? Man muss einfach erklären, was die Mode, speziell die Avantgardemode, bedeutet. Aber auch, woher solche Ideen kommen, was der Designer damit ausdrücken will und wie es im normalen Alltagsdesign ankommt. Der Kreative, der hinter dem Ganzen steht, muss erklärt werden. Avantgardemode ist angewandte Kunst – und dabei geht es eben nicht nur ums Geschäft.

Was macht der Profi, wenn er einen Designer per se nicht leiden kann? Man ignoriert ihn besser und schreibt über Kollegen, die positiv überrascht haben. Damit macht man es auch dem Leser leichter, der ja schließlich wissen will, was angesagt ist. Warum, denken Sie, gibt es in Deutschland niemanden in der Modekritik, der so polarisierend ist, wie zum Beispiel eine Suzy Menkes? In Deutschland wird Mode nicht als Teil der modernen Kultur wahrgenommen, wodurch auch der Modejournalismus keinen so großen Stellenwert hat. Das muss erst nach und nach aufgebaut werden. Ein weiterer Grund ist, dass wir viele verklemmte Redakteure haben. Mode hat auch immer etwas mit erotischen und sexuellen Aspekten zu tun und der deutsche Kulturjournalist hat Angst, das darzustellen.

Was würden Sie Leuten sagen, die behaupten, jeder könne über Mode schreiben? Da würde ich sagen, stimmt. Aber und jetzt kommt das große Aber: die meisten würden schlecht darüber schreiben.

Tillmann Prüfer Wie bereiten Sie sich auf eine Show vor? Gibt es einen neuen Designer, recherchiere ich ausführlich über ihn. Bei Shows, die man schon länger besucht, ist das nicht nötig. Zumindest die beiden letzten Shows sollte man kennen.

Wieso gibt es sehr wenig explizit negative Kritiken über die Shows und Kollektionen der Designer? Der „Modekreis“ besteht aus einer kompletten Clique; dadurch fehlt oft die nötige Distanz und kaum einer traut sich, auch mal etwas Negatives zu schreiben. Gerade in den Frauenmagazinen ist das der Fall. Womöglich fürchten einige Kollegen, die Vorteile und Präsentchen nicht mehr einheimsen zu können, wer weiß?

Gibt es einen Kriterien-Katalog, nach dem man als Profi eine Modenschau beurteilt? Tillmann Prüfer gewann im Jahr 2003 den begehrten Holzbrinck-Preis, 2008 den CORGanz wichtig ist, ob der Designer sein Handwerk, Preis für Designjournalismus und außerdem die Schneiderkunst, beherrscht. Wenn etwas an den German Fashion Award. Vor neun Jahren den dünnen Models schon nicht gut sitzt, wie soll begann er, für die „Financial Times Deutschland“ zu arbeiten und wechselte vor zwei es dann an normalen Menschen aussehen? AndeJahren zum „Zeitmagazin Leben“. Ebenfalls im Wie sensibel muss man gegenüber Anzeigenkunden re Kriterien wie, was für eine Inspiration steckt Jahr 2007 begann Tillmann Prüfer auch für die Zeitschrift „Neon“ die Kolumne „Nein-Danke“ sein? dahinter, sind neue Ideen dabei, ist die Kollektion zu schreiben. Es herrscht eine große Abhängigkeit in dieser Branoriginell, passt es in unsere Zeit, sind ebenfalls che. Man schreibt nicht kritisch, weil man Angst hat relevant. Es muss ein Gleichgewicht aus Inszeseine Anzeigenkunden zu verlieren. Der Leser spielt nierung und Mode herrschen. Was die Kleidung da überhaupt keine Rolle und ihm werden lieber einige Dinge vorenthalten, ausdrücken will, muss sich in der Inszenierung widerspiegeln. wenn’s grad nicht passt. Bei meinem Arbeitgeber, der „Zeit“, ist das anders. Unser Blatt ist uns als auftretende Marke wichtiger und wir möchten unsere Wie viele Modenschauen sehen Sie sich durchschnittlich im Jahr an? Glaubwürdigkeit nicht verlieren. Es werden so 60 bis 70 sein. Es gibt ja auch viele Skeptiker, die behaupten, dass die Mode der Laufstege nicht tragbar ist. Wie bringen Sie solchen Personen die Mode nahe? Ich finde leider, dass gerade die Mode der Laufstege immer tragbarer wird. Und ich gebe ernsthaft zu bedenken, dass ein Künstler auch nicht ein Gemälde malt, damit es zur Wand passt. Mode sollte ein Aus-

Kann man nach jahrelanger Erfahrung abschätzen, was man von einem Designer zu erwarten hat oder werden Sie jede Saison auf‘s Neue überrascht? Das kommt ganz auf den Designer an. Armani baut immer sehr auf sein altes Konzept, da werden jetzt nicht großartig neue Ideen entwickelt.

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bruch von Kreativität sein, speziell bei jungen Designern. Wenn es weniger tragbare Sachen gäbe, wäre die Aufmerksamkeit und das Interesse womöglich größer.

macht und handelt es sich um Mode oder nur um Bekleidung? Ich glaube, wenn man diesen Filter anlegt, lässt sich ganz gut beurteilen, was gut war und was nicht.

Wie lautet das meistgehörte Vorurteil gegenüber Modekritikern? Dass sie alle schwul sind!

Warum, denken Sie, gibt es in Deutschland niemanden in der Modekritik, der so polarisierend ist, wie zum Beispiel eine Suzy Menkes? Es gibt in Deutschland keine richtige Tradition von Modejournalismus. Hier ist alles neutraler und etwas feiner formuliert. In England gibt es schon viel länger Modekritik. Da existiert kein Unterschied zu einer Theater- oder Ausstellungskritik. Mode kommt hierzulande nur in den Stilteilen vor und somit ist auch im Heft noch etwas „Buntes“ drin. Mode wird in Deutschland leider nicht ernst genommen. Bei uns zählt die Meinung, Mode sei etwas zum Anziehen, soll schön aussehen und eigentlich wollen viele auch nur die Bilder sehen. Der journalistische Teil, der sich mit dem „warum und wieso“ beschäftigt, wird deshalb gern vernachlässigt.

Was würden Sie Leuten sagen, die behaupten, jeder könne über Mode schreiben? Stimmt, das kann jeder! Vordergründig zumindest.

Marcus Luft Wie bereiten Sie sich auf eine Show vor? Mit Schlaf und einem guten Frühstück. Gibt es einen Kriterien-Katalog, nach dem man als Profi eine Modenschau beurteilt? Wenn man über einen gewissen Erfahrungsschatz verfügt, kann man auf sein Bauchgefühl hören. Von Kollegen beeinflussen lassen sollte man sich niemals. Die Kollektion und die Show müssen perfekt aufeinander abgestimmt sein; dazu gehört natürlich auch die akustische Beschallung. Es muss einen einfach packen und ich will Gänsehaut spüren.

Marcus Luft ist nicht nur Modechef der „Gala“, sondern schreibt auch für die „Welt am Sonntag“ und die „Neue Züricher Zeitung“. Seine Karriere als Modejournalist begann er beim „Stern“. Unter dem Pseudonym „Tooposhtopush“ veröffentlicht Marcus Luft außerdem Kommentare bei www.modepilot .de

Wieso gibt es sehr wenig explizit negative Kritiken über die Shows und Kollektionen der Designer? Das finde ich gar nicht. Es geht einfach diplomatischer zu, da der Modejournalismus noch sehr in den Kinderschuhen steckt.

Glauben Sie, es gibt dafür Potenzial in Deutschland? Das denke ich auf jeden Fall. Designer werden immer mehr wie Stars angesehen und über Stars möchte der Leser gerne etwas erfahren. Das merken auch die Monatszeitschriften, die ja auch vermehrt über Mode berichten.

Wie viele Modenschauen sehen Sie sich durchschnittlich im Jahr an? Es sind an die 160 Schauen. Kann man nach jahrelanger Erfahrung abschätzen, was man von einem Designer zu erwarten hat oder werden Sie jede Saison auf‘s Neue überrascht? Wenn man lange genug dabei ist, weiß man, in welche Richtung es geht. Aber es gibt auch immer wieder Überraschungen. Miuccia Prada schafft das erstaunlicherweise immer wieder. Ganz allgemein empfinde ich die Kunst der Designer als etwas ganz Besonders. Man fragt sich oft, woher die ihre ganzen Ideen nehmen.

Wie sensibel muss man gegenüber Anzeigenkunden sein? Wenn ich etwas ganz schrecklich finde, dann äußere ich das auch, was natürlich nicht besonders gut ankommt. Das ist aber schließlich die Aufgabe eines Journalisten. Es gilt immer abzuwägen, ob es sich nur um den eigenen Geschmack handelt oder ob der Leser zu dem ein oder anderen Thema vielleicht eingehender informiert werden möchte.

Welcher Designer hat Sie in der neuen Saison am meisten beeindruckt? Das war bei Gianfranco Ferré der Fall. Die neuen Designer dort, Aquilano e Rimondi, haben ganz Außergewöhnliches geleistet. Das war ein großer Sprung für die Marke. Auch Jil Sander war wieder toll!

Es gibt ja auch viele Skeptiker, die behaupten, dass die Mode der Laufstege nicht tragbar ist. Wie bringen Sie solchen Personen die Mode nahe? Das hört man ja häufiger. Aber gerade da geht es ja um eine Vision und ums Träumen. Da wird ein Prototyp gezeigt, fast wie bei einem Auto. Deswegen fotografieren wir für eine Modestrecke auch an eher dünnen Models, selbst wenn unsere Leser vielleicht nicht so schlank sind. Die Idee des Designers muss transportiert werden. Und natürlich muss dem Leser immer erklärt werden, wie die Laufstegmode im Alltag umgesetzt werden kann.

Und von welchem waren Sie eher enttäuscht? Also ehrlich gesagt war die Saison allgemein sehr gut. Da war keine Enttäuschung dabei. Welche Show war die ausgefallenste, die Sie je gesehen haben? Ich erinnere mich auf Anhieb an zwei: Die Couture Show von Dior von vor zwei Jahren, die in Versailles gezeigt wurde und bei der sämtliche Topmodels liefen. Und außerdem erinnere ich mich noch sehr gern an Viktor & Rolf, als sie ihren Duft „Flowerbomb“ herausbrachten. Zuerst traten alle Models in Schwarz gekleidet auf die Bühne, dann gab es einen großen Knall mit Feuer, und plötzlich waren alle in Rot.

Wie lautet das meistgehörte Vorurteil gegenüber Modekritikern? Dass wir total bestechlich sind und von den Firmen mit Geschenken überhäuft werden. Das ist natürlich Quatsch. Was würden Sie Leuten sagen, die behaupten, jeder könne über Mode schreiben? Auf keinen Fall! Nicht jeder, der sich morgens anzieht, hat Ahnung von Mode. Das denken zwar immer alle, aber das ist Fachwissen, das man sich aneignen muss.

Was macht der Profi, wenn er einen Designer per se nicht leiden kann? Man sollte nie sagen: „Das gefällt mir und das gefällt mir nicht.“ Man muss die Kollektion einordnen können und sich fragen, ob sie dem Zeitgeist entspricht. Worüber hat sich der Designer Gedanken ge-

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Und wie empfindet eine gebürtige New Yorkerin unser Deutschland? Wir fragten Melissa Drier. Melissa Drier Wie kam der Wechsel von New York nach Berlin? Ich hatte einfach genug von New York. Alle erklärten mich für verrückt, da ich ja bei der „Womens Wear Daily“ einen super Job hatte. Ich wollte aber etwas anderes machen und ich wollte unbedingt nach Berlin. Das hatte mit dem Thema „Mode“ im Grunde nichts zu tun. Ich hatte vor, mich journalistisch neu zu orientieren, Romane und dergleichen zu schreiben. Da mich Fairchild selbst nicht gehen lassen wollte, half ich also schließlich von hier aus der WWD und wurde von Berlin aus Modekorrespondentin. Eine klassische Modejournalistin bin ich heute aber nicht mehr. Ich schreibe inzwischen mehr Porträts, Marketing und Merchandising für verschiedene Firmen. Wie viele Modenschauen sehen Sie sich durchschnittlich im Jahr an? Nicht genug. Ich sehe mir hauptsächlich nur noch Shows in Deutschland an. Für mich sind Modenschauen Entertainment und wenn sie nicht gut gemacht sind, halte ich das für Zeitverschwendung.

muss in der Zeitungspolitik sehr stark und selbstbewusst sein, damit sie, erst recht wenn sie über Mode schreibt, ernst genommen wird. Gibt es Unterschiede zwischen Ihren angelsächsischen und Ihren deutschen Kollegen? Meine deutschen Kollegen sind nicht so heikel, wie sie sein könnten. Es gibt im angelsächsischen Raum eher die Erwartung, offen und auch mal kritisch zu sein, aber nicht nur, weil das Publikum dort größer ist, sondern weil es einfach eine richtige Tradition für Modejournalismus gibt. Und da ist es immer wichtig, eine Meinung zu haben. In Deutschland schreiben die Journalisten durchaus gut, aber es gibt wenige, die konkret „Ja“ oder „Nein“ zu einer Kollektion sagen. Die Amerikanerin Melissa Drier, langjährige Modejournalistin für die „Womens Wear Daily“ (WWD), kam bereits 1985 nach Berlin. Nach ihrem Studium der Kulturgeschichte bewarb sie sich für eine Stelle bei Fairchild Publication. Beim Daily News Record (DNR) bekam sie zunächst eine Stelle als Assistentin der Chefredaktion. Durch Zufall kam sie zum Schreiben. Als der DNR in die WWD integriert wurde, übernahm sie hier eine Stelle als Modejournalistin. Heute schreibt sie immer noch für die WWD.

Wie, würden Sie sagen, wird Mode im angelsächsischen Raum empfunden? Ach, überall passiert gerade das Gleiche, zum Beispiel wenn es um die Ausstattung von VIPs geht. Diesen Firlefanz finde ich schrecklich. Aber in England und Amerika wird Mode dennoch ernster genommen. In Deutschland scheint es fast, als wenn sich die Menschen für Mode schämen. Vor allem finde ich, dass in kleineren Tageszeitungen katastrophal über Mode geschrieben wird. Die haben absolut keine Ahnung von der Thematik. Für die ist es nur Mode, wenn es ausgefallen ist. Das Schöne ist doch, dass Mode über uns selbst etwas aussagen kann.

Gibt es einen Kriterien-Katalog, nach dem man als Profi eine Modenschau beurteilt? Und wie wichtig ist das viel zitierte Bauchgefühl? Wenn man lange genug dabei ist, kann man sich sehr gut auf sein Bauchgefühl verlassen. Mir ist es aber wichtig, die Sachen im Kontext zu sehen und sie mit verschiedenen Dingen vergleichen zu können. Zum Beispiel mit der aktuellen Marktentwicklung.

Mögen Sie die deutschen Designer? Ja, ich mag vor allem Wunderkind. Auch Jil Sander finde ich toll, allerdings nicht für mich selbst. Ich bin einfach keine Jil Sander–Frau.

Wie bereiten Sie sich auf eine Show vor? Da kann man sich nicht direkt vorbreiten. Ich habe zwar teilweise mit den Leuten bei Previews gesprochen und sie gefragt, was ihre Inspirationen waren und welche Neuerungen es gibt, aber eine konkrete Regel gibt es nicht. Ich glaube mittlerweile auch nicht mehr daran, dass man wirklich alle drei Monate etwas komplett Neues auf den Markt bringen kann. Aber es ist wichtig, eine Bewegung zu sehen, dass an etwas Neuem gearbeitet wird.

Sagt Ihnen die Berlin Fashion Week zu? Ich war sehr zufrieden dieses Jahr. Es gibt zwar immer noch viel zu entwickeln, aber vor zwei Jahren hätte niemand gedacht, dass die Berlin Fashion Week solch einen Zuspruch finden würde. Es gab auch ein paar Schwächen, aber auch viele schöne Überraschungen. Wir brauchen einfach mehr Möglichkeiten zum Präsentieren, gerade für junge Designer, die sich eine große Show nicht immer leisten können.

Wann ist für Sie eine Show richtig gut gelungen? Die Show muss in sich stimmig und rund sein. Sie sollte auch etwas zu sagen haben und Emotionen hervorrufen. Es muss etwas passieren.

Denken Sie, Berlin könnte eine Chance haben, sich als Modestadt zu etablieren? Berlin ist eine tolle Plattform für junge deutsche Designer, aber mit Paris nicht zu vergleichen. In Deutschland wird Mode ganz anders konsumiert und wahrgenommen. Gerade in Berlin herrscht viel mehr Streetstyle. Das ist zwar erfrischend, doch momentan noch zu wenig. Man sollte in jedem Fall versuchen, die Berlin Fashion Week noch mehr aufzubauen.

Kann man nach jahrelanger Erfahrung abschätzen, was man von einem Designer zu erwarten hat oder werden Sie jede Saison auf‘s Neue überrascht? Das kommt sehr auf die Marke an und auch, was sie aussagen will. Es gibt Marken, die mehr und welche, die weniger modeorientiert sind. Die deutschen Designer reagieren meines Erachtens sehr stark auf Trends.

Was würden Sie Leuten sagen, die behaupten, jeder könne über Mode schreiben? Der Meinung bin ich nicht. Man kann junge Leute unterrichten und ihnen die Möglichkeit geben, das Schreiben zu üben, aber Mode besteht aus viel mehr, als nur aus Alltagsmode. Es ist ein Spiegel unserer Gesellschaft. Schnitte, Stoffe, gesellschaftliche Trends - es gibt so viel, was in die Mode mit hineinspielt. Um das zu erkennen, müssen sowohl die Augen, als auch das Schreiben trainiert werden. Was von uns Profis gesehen wurde, muss dann auch wiederum dem Leser verständlich gemacht werden. Und das ist beileibe nicht einfach. l

Welcher Designer hat Sie in der neuen Saison am meisten beeindruckt? Das war die Studenten-Show für den „Designer for Tomorrow Award“ in Berlin. Da waren wirklich sehr viele gute Kollektionen dabei. Die traditionelle Meinung lautet, Mode sei weiblich. Warum, glauben Sie, gibt es dann kaum deutsche Modekritikerinnen? Es gibt in Deutschland nicht nur wenig weibliche Modekritikerinnen, sondern generell zu wenig. Mode wird in Deutschland allgemein nicht sehr ernst genommen. Es ist natürlich durchaus möglich, dass dies relevanter würde, wenn Männer darüber schreiben würden. Wer weiß? Eine Frau

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DIE BURKA - DAS WOHL UMSTRITTENSTE KLEIDUNGSSTÜCK DER WELT

Seite 5

Neu hier?

Nur die Spitzen bitte!

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Tolles Outfit!

Wie meistert man unseren Alltag in einer Burka? Diese Frage stellte sich Eva Schwingenheuer, Absolventin der Düsseldorfer Kunstakademie, in ihrem Buch „Burka“. Ob beim Friseur, beim Sport oder beim Einkaufen; in lustigen, aber auch provokanten Zeichnungen macht sie sich Gedanken über die Parallelwelt der Burkaträgerinnen. Wie kommt man auf die Idee, die Burka in einem Buch zu karikieren? Im Alltag beobachte ich immer häufiger Frauen in Komplettverschleierung. Das hat Fragen in mir geweckt, wie: Welches Individuum steckt unter dem Schleier? Wie lebt man damit bei uns? Im Buch sind zahlreiche Situationen enthalten, die beschreiben, was passiert, wenn man in Totalverschleierung auf einen Alltag trifft, der eben nicht auf dieses Kleidungsstück ausgerichtet ist. Daraus ergeben sich etliche absurde Momente. Wofür steht die Burka Ihrer Meinung nach? Was symbolisiert sie? Für mich ist die Burka Ausdruck eines Sexismus’, der die Frau auf ihre äußeren Reize reduziert, die es zu verhüllen gilt. Sie zwängt im Übrigen auch Männer in das Bild des ewig lüsternen Wesens, das alles bespringen will, was unverhüllt ist. Dieses Menschenbild führt faktisch dazu, dass 50 Prozent der Bevölkerung einfach unsichtbar und öffentlich handlungsunfähig gemacht wird. Eine Frau unter einer Burka kann den meisten Berufen nicht nachgehen, sie kann keinen Sport treiben, sie ist nicht in der Lage, ein gesellschaftliches Leben zu führen. Schließt die Burka modisches Verhalten aus?

Die Burka stutzt modisches Verhalten auf ein Minimum zurück. Das ist ihr Zweck. Ist die Burka Ihrer Meinung nach auch ein modisches Statement? Nein. Mode versucht Individualität optisch zu unterstreichen. Die Burka dagegen versucht genau das zu eliminieren und ihre Trägerinnen möglichst unauffällig zu machen. Sie ist kein modisches oder folkloristisches Statement, sondern Ausdruck einer krassen Ungleichbehandlung von Mann und Frau. Was wollen Sie mit dem Buch erreichen? Ich will in erster Linie unterhalten und Diskussionen zu einem gesellschaftlich relevanten Thema anregen. Und ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der sich Männer und Frauen als gleichberechtigte Menschen auseinandersetzen. Haben Sie dabei keine Angst vor Reaktionen, wie sie etwa die Mohammed-Karikaturen in Dänemark ausgelöst haben? Doch, habe ich. Aber Gewalt als Reaktion auf eine Meinungsäußerung ist niemals zu tolerieren. Denn Meinungsfreiheit und die Freiheit der Satire sind ein hohes Gut, das es zu schützen gilt. Sie sind die Grundpfeiler unserer Demokratie. Dass wir uns überhaupt die Frage nach dem „ist das vielleicht zu heikel“ stellen, zeigt den großen Diskussionsbedarf – und den löst man nicht, indem man bestimmte Themen Interview: L. Ingenkamp einfach totschweigt. Das Buch „Burka“ von Eva Schwingenheuer ist im Eichborn Verlag erschienen und kostet 7,95 Euro.

BLATTWERK

INFOBLATT

PAPIERTÜTE

Auch Karl Lagerfeld hat plötzlich seine Liebe für’s Papier entdeckt: “Es ist das Material, das ich allen anderen auf Erden vorziehe. Das Anfassen von Papier hat etwas an sich, das ich einfach nicht erklären kann.” Den Pavillon der Haute-Couture Schauen für das Haus Chanel ließ er daraufhin mit 7000 weißen Papierblüten schmücken. Und die Models trugen aufwendige Papierblüten zur Schau.

Doch nicht nur König Karl, auch der deutsche Modedesigner Stephan Hann frönt dem filigranen Material. Seine Papier-Kollektion wurde erst kürzlich im Berliner Kunstgewerbemuseum gezeigt. Schon seit 1985 schneidet und verklebt der Designer Zeitungspapier, reißt Seiten aus dem Telefonbuch oder aus Comic-Heften und kreiert daraus außergewöhnliche Roben.

Wem das zu bunt ist, der setzt auf die puren Papiertaschen von Saskia Diez. Die aus Tyvek, einem synthetischen Papier hergestellten Taschen, sind extrem leicht und stabil. Wer es lieber luxuriöser mag, greift zur Kelly-Bag von Hermès. Sie denken, das kann man in Zeiten wie diesen eh knicken? Richtig: Das Luxuslabel bietet acht Vorlagen zum Download an. Nur noch ausschneiden, zusammenkleben, und fertig ist das neue Wertpapier. li

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Nebənan

Das kann man doch nicht anziehen! Wenn Mode ihren Kunstcharakter einfordert, scheitert sie oft. Sie muss die körperlichen Bedürfnisse des Menschen erfüllen; das bleibt der Bildenden Kunst und Architektur meist erspart. Oft werden Designobjekte mit dem Hinweis auf die fehlende Funktionalität abgetan - ein Missverständnis. Text: Klara Neuber

Foto: Hersteller

„Ich wurde von Arts Co beauftragt, zusammen mit acht anderen Designern und Künstlern, ein Möbel zur kreieren, das auf das Thema Plastik aufmerksam macht – und auf die Probleme, die damit verbunden sind. Ich beschloss, mich auf Textilien zu fokussieren, da ich bemerkt habe, dass die Menschen eine Tendenz haben, zu übersehen, dass der Großteil ihrer Kleidung aus Plastik besteht. Beim Schmelzen des weichen Stoffes wird er hart: seine wahre Natur kommt zum Vorschein. Bei diesem Vorgang zeigt das Material seine Vielseitigkeit: visuell-verspielte, expressiv-farbenfrohe und gemusterte Oberflächen. Die Meltdown-Serie ist Teil einer neuen Arbeisweise, die die Faszination an der Veränderung thematisiert.“ Tom Price, Künstler

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Nebənan

„Durch die Evolution einer kurzlebigen Umwelt, in der wir ständig in Bewegung sind, habe ich eine feste Hülle kreiert, die den Körper zu einer Art von Gebäude werden lässt. Er erdet sich im Boden und kann sich somit in die Umwelt integrieren. Dieser Gedanke zieht eine Parallele zwischen den methodischen Konstruktion eines Bauwerks, und dem Aufbau des menschlichen Körpers. Ein Körper, der sich letztendlich aus Zement erhebt.“ Hussein Chalayan, Modedesigner

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„Die Architektur des Baumhauses musste nicht unbedingt den üblichen Sehgewohnheiten entsprechen - ein Experiment in Form und Material war erlaubt. Ich entwickelte ein Konzept mit einer sehr langen und schlanken Terrasse sowie einem separat stehenden Baumhauskörper. Die Terrasse ist weitgehend an den Bäumen verankert, während die Lasten des Baumhauses auf acht asymmetrisch stehenden und geneigten Eichenstützen ruhen. Beide Bauteile werden über einen kleinen Catwalk mit Treppe verbunden. Durch diese Brücke wird der Höhenunterschied überwunden und der Zugang des Baumhauses markant in Szene gesetzt.“ Andreas Wenning, Architekt

Foto: Hersteller

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DaHintəR

»Schleichwerbung

beginnt im

Kopf«

Prof. Dr. Volker Wolff liest keine Modemagazine, nicht einmal beim Arzt. Das hat einen Grund: In Moderedaktionen sind seines Erachtens viele Veröffentlichungen nicht mit dem Pressekodex zu vereinbaren. Wolff sprach mit uns über Schleichwerbung, bestechliche Journalisten und sein Verhältnis zum deutschen Presserat.

Interview: Corinna Strohmayer

wird dann nicht öffentlich gemacht, wenn durch Öffentlichkeit eine Person nochmals an den Pranger gestellt würde.

Herr Wolff, erzählen Sie uns von Ihrer speziellen Beziehung zum deutschen Presserat. Der Presserat ist eine komplexe Veranstaltung. Er ist zum Beispiel solange völlig passiv, bis sich jemand beschwert. Da kann passieren, was will. Meine Studenten schreiben Beschwerden an den Presserat, wenn ihnen ein Verstoß gegen den Presskodex in Zeitungen oder Zeitschriften auffällt. Ich unterschreibe dann diese Beschwerden, um ihnen den Rücken freizuhalten. Mittlerweile bin ich deshalb wohl für manche Mitglieder des Presserates so etwas wie eine Nervensäge oder ein notorischer Querulant.

Sind Moderedaktionen verpflichtet, nach einer Rüge durch den Presserat, diese ihren Lesern mitzuteilen? Ja, nach Ziffer 16 des Pressekodex. Sobald es sich um eine öffentliche Rüge handelt. Das wird aber nicht so richtig durchgesetzt. Der Presserat entwickelt da manchmal sehr viel Geduld. Zu viel, meines Erachtens. Wie viele Beschwerden erhält der Presserat im Jahr ungefähr? Das sind im Verhältnis zu tausenden Zeitungen und Zeitschriften und ihren vielen Ausgaben sehr wenig. 2007 waren es nur 735 Eingaben, aus denen dann 328 Beschwerden wurden. Unter Eingabe fällt jeder Brief, der mit einer Beschwerde an den Presserat geschrieben wird. Nicht jeder dieser Briefe übersteht aber die Vorprüfung und wird als Beschwerde dem Presserat vorgelegt. Knapp zwei Drittel der Eingaben überstehen diese erste Prüfung nicht. Von den verbleibenden Beschwerden ist am Ende fast die Hälfte „unbegründet“. Da gibt es dann keine Maßnahmen.

Kommen wir auf das Thema Modemagazine: Verpflichten sich sämtliche Moderedaktionen schriftlich zur Einhaltung des Pressekodex, der vom deutschen Presserat veröffentlicht wird? Die Verlage ja, schriftlich. Das sollte dann eigentlich für alle Redaktionen dieses Verlags gelten. Nur die Ausführung lässt leider oft zu wünschen übrig. Der Presserat rügt unethische Verhalten in der Medienlandschaft. Welche Arten von Maßnahmen gibt es da? Es gibt Hinweise; das sind die ganz sanften Maßnahmen. Dann gibt es noch Missbilligungen, öffentliche und nicht öffentliche Rügen. Eine Rüge

Stimmt es, dass in Moderedaktionen mehr Manipulation durch PRLeute stattfindet als zum Beispiel in einer Fachzeitschrift für Autos?

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Einige Themenfelder und ihre Redaktionen gelten unter Journalisten als besonders anfällig für Schleichwerbung. Die Mode-, Auto-, Reise-, Kosmetik- und Computerbranche sind in Sachen Schleichwerbung ziemlich aggressiv. Da wird viel unsaubere PR-Arbeit betrieben, um gerade diese Redaktionen auf die eigene Seite zu ziehen. Das ist zwar wissenschaftlich noch nicht untersucht worden, aber ich kann mir vorstellen, dass das daran liegt, dass Leser sich gerade bei diesen Produkten häufig an den Zeitschriften orientieren.

deshalb auch seriös informiert werden. Der Journalist ist verpflichtet, distanziert, sorgfältig und natürlich wahrheitsgemäß zu berichten. Er dient seinen Lesern.

Wo beginnt für Sie persönlich Schleichwerbung? Schleichwerbung beginnt im Kopf. Wenn sich eine Redaktion instrumentalisieren lässt oder so schlampig arbeitet, dass sie die Instrumentalisierung durch die Unternehmen nicht merkt, ist das fatal. Hinzu kommen Chefredakteure und Verlage, die Deals vereinbaren, die auf die Täuschung des Lesers ausgelegt sind. Wir haben einmal eine Beschwerde gegen ein Sonderheft „Traumstraßen der Welt“ des renommierten Magazins Merian eingereicht. In diesem Heft fuhr auf manchen Bilder ein blank geputzter Audi durch die Gegend. Oft ein Q7, der damals gerade mal einen Monat auf dem Markt war. Die Chefredaktion schrieb daraufhin dem Presserat, das sei so eine Art Zufall gewesen. Was das noch mit der Wahrheitsverpflichtung von Journalisten zu tun hat, ist mir völlig rätselhaft. Der Presserat fand das auch nicht sehr überzeugend und erteilte eine Rüge.

Redaktionelle Schwerpunkte wie z.B. ein Beauty Special mit nur einem Produkthersteller sind nicht zulässig. Wie viele Hersteller müssen mindestens erwähnt werden? Eine breite Übersicht über die relevanten Hersteller. Es sei denn, das Produkt eines Hersteller ist ganz außergewöhnlich. Davon zu trennen sind allerdings Verlagsveröffentlichungen. Da können Sie ein Produkt hochjubeln, bis es Ihnen zu den Ohren heraus kommt.

Klingt ziemlich idealistisch. Mag sein, aber so ist nun mal die Rechtslage und so fordert es auch die Berufsethik der Journalisten. Daran wird man ja wohl noch erinnern dürfen.

Was halten Sie von Journalisten, die gerne das eine oder andere GiveAway von PR-Leuten annehmen? Nichts, die sind bestechlich! Doch nicht alle, oder? In Ziffer 15.1 ist das Annehmen von minderwertigen Gegenständen als unbedenklich manifestiert. Sie haben natürlich recht. Mit minderwertig meint der Presserat eben Minderwertiges, wie Kulis, Blocks oder billige Geschenke. Aber wer nimmt so etwas schon mit?

Wer manipuliert mehr? Der PR-Berater den Journalisten oder der Journalist seinen Leser? Das kommt auf den einzelnen Fall an. Oft sind es beide. Viele PR-Berater oder PR-Stellen in Unternehmen arbeiten raffiniert mit freien Journalisten zusammen. Diese bieten dann den Redaktionen Themen an. Da merkt man als Redakteur ohne genau Marktkenntnis überhaupt nicht, dass hinter den Stücken PR steckt. Dass diese freien Journalisten ihre Leser täuschen, ist klar. Wenn ein Schreiberling sich auf solche Täuschungsmanöver einlässt, hat er meines Erachtens die Berufsbezeichnung Journalist nicht verdient.

»Eine Anzeigenseite muss für den flüchtigen

Wie steht es mit kostenlosen Reisen, die nicht selten angenommen werden? Die sind nun wirklich nicht minderwertig. Da gibt es schon beeindruckende Beispiele. Zur Fußball WM 1994 in den USA hat Adidas einen ganzen Flieger voller Journalisten zu den einzelnen Spielen gebracht. Wenn da nicht alle Journalisten ihre Reise bezahlt haben, wovon ich einmal ausgehe, dann war das schon ein ziemlich kollektiver Verstoß gegen den Kodex. Allgemein sind Redaktionen nach Richtlinie 15.1. des Pressekodex verpflichtet, Pressereisen als solche kenntlich zu machen. Aber solche Hinweise lese ich sehr selten. Auch heute, wo die Redaktionen kaum noch Geld für Reisen haben. Das irritiert schon.

Durchschnittsleser erkennbar sein«

In Ziffer 7 des Pressecodex wird eine strikte Trennung von Werbung und Redaktion vorgeschrieben. Heutzutage sehen jedoch Anzeigen dem Layout der Modemagazine immer ähnlicher. Wo werden hier Grenzen gesetzt und sind diese nicht bereits durch das ähnliche Layout überschritten? Natürlich werden da oft Grenzen überschritten. Bei Gesundheitsgütern und Kosmetik ist gerade in Frauenzeitschriften ein ähnliches Layout sehr oft der Fall. Meistens reicht es dem Presserat aber, wenn das Wort „Anzeige“ auf der Seite steht. Für die flüchtige Leserin ist das aber nicht immer erkennbar. Sie bekommt so überhaupt nicht mit, dass sie die guten Ratschläge nicht von der Redaktion sondern von einem Hersteller bekommt.

Was wäre Ihrer Meinung nach die Lösung für das Problem mit Anzeigenkunden? Qualität. Wenn ein Blatt eine gute Zielgruppe hat und Qualität produziert, dann kommen die Anzeigen von alleine. Der Spiegel hat vor vielen Jahren lange auf Anzeigen der Automobilindustrie verzichtet. Die Redaktion war nicht käuflich. Es wird erst richtig schwierig, wenn man die Leser getäuscht und damit ihr Vertrauen verloren hat. Dann wird man erpressbar. l

Gibt es eine Vorschrift, welche Schriftgröße das Wort „Anzeige“ auf diesen Anzeigenseiten haben muss? Nicht wirklich. Der Pressekodex nimmt Bezug auf Richtlinien des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft. Darin heißt es, dass eine Anzeigenseite für den flüchtigen Durchschnittsleser erkennbar sein muss. Verstößt ein „Schönschreiben“ von Produkten bei redaktionellen Veröffentlichungen gegen die Medienethik, insbesondere der Achtung vor der Wahrheit? Das verstößt gegen alles, ich spiele ja dann mit dem Vertrauen des Lesers. Sehen Sie, der Leser bezahlt für die Information und möchte

www.journalistik.uni-mainz.de

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Dr. Volker Wolff (58) ist Professor für Pressejournalismus an der Universität Mainz und ehemaliger Chefredakteur der „Wirtschaftswoche“.


dahintər

Verhüllt und Trotzdem Nackt Hautfarbene und transparente Stoffe spielen unseren Augen einen Streich. Sie lassen tief blicken, doch nicht bis unter die Haut. Nicht nur in der Mode wird Nacktheit in den Mittelpunkt gestellt. Exhibitionismus im ganz großen Stil? In der modernen Architektur spielt Glas eine Hauptrolle - vom Einfamilienhaus bis zum Wolkenkratzer. Das Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron plant für 2010 in New York ein gläsernes Hochhaus, dessen 57 Stockwerke aus kühn übereinander gestapelten und gegeneinander verschobenen, voll verglasten Wohneinheiten bestehen. Hinter der Glasfront entsteht ein inszeniertes Leben; die Wohnung als Bühne, die Insassen als Schauspieler und das Interieur als Kulisse. Voyeuristische Anwohner bekommen womöglich ein sehr langweiliges Stück Alltag präsentiert. Licht an, Essen, Licht aus, blaue blitzartige Reflektionen vom Fernseher, Dunkelheit. „Die Räume des Privaten werden mittlerweile anders ausgeleuchtet als noch vor 25 Jahren“, kündigt das Münchner Stadtmuseum die Ausstellung „Nude Visions“ an, die die letzten 150 Jahre der Aktfotografie zusammenfasst. Der Fotograf Helmut Newton gab den Frauenrechtlerinnen der 60er Jahren mit seinen „Nudes“ Stoff für endlose Diskussionen, wobei die Bildsprache der nackten Frauen eher stark als erniedrigend war. Der Soziologe Richard Sennet bezeichnet die öffentliche Zugänglichkeit privater und – im wahrsten Sinne des Wortes– nackter Momente in TV-Reality-Shows, wie Big Brother oder dem Dschungelcamp, als „Tyrannei der Intimität“. Unverhüllte Tatsachen werden auch auf diversen Social-Network Portalen mit Freude preisgegeben. Dabei geht es oft mehr um das Posieren, als um die nackte Wahrheit. Die User kreieren ein Selbst auf der Plattform, mit dem sie vortäuschen können, zum Beispiel die neuesten Underground-Clubs zu kennen oder ein bewegtes Jet-Set Leben zu führen. Der Schein stimmt mit dem Sein selten überein. Die Transparenz, die in der realen Welt mit Datenschutzgesetzen bekämpft werden soll, boomt dubioserweise im Internet. Der Modetrend zur Durchsichtigkeit ist freiwillig und rein körperlich. Die Durchsichtigkeit im Alltag ist nicht nur nicht freiwillig, sondern auch über das Körperliche hinausgehend, tief ins Menschliche eintauchend. Überwachungskameras dokumentieren das Leben des so genannten „gläsernen Menschen“. Ob beim Geldabheben, Tanken, im Aufzug, in der Tiefgarage oder auf der Straße. Doch die exhibitionistischen Züge der Gesellschaft in Mode, Architektur und Privatleben werfen die Frage auf, ob die Gesellschaft bei ihrer Verglasung auch selbst beteiligt ist. Jeder Trend ist Ausdruck einer Stimmung. So auch „Nude“. In einer Zeit, in der alle Hüllen zu fallen scheinen, täuscht die Gesellschaft Nacktheit vor. Fleischfarbene Stoffe umschließen den Körper wie eine zweite künstliche Haut, die die Wahrheit der natürlichen Haut im Verborgenen versteckt und somit schützt - im sonst ungeschützten Raum. l

„Nude“ ist unvergänglich. Puderige Hauttöne und luftig transparente Stoffe begegnen sich auf der Straße immer öfter. Seit es Yves Saint Laurent 1966 erstmals wagte, eine transparente Bluse über den Laufsteg zu schicken, taucht der Trend immer wieder auf und scheint seit den 90ern zum Inventar einer jeden Modenschau zu gehören. Wobei man Yves Saint Laurent nicht die ganzen Lorbeeren überlassen sollte; Madeleine Vionnet hat schon in den 30ern mit einer transparenten Bluse für Furore gesorgt. Bahnbrechend war ihre Veröffentlichung in der Vogue von 1932. In den aktuellen Herbst/Winter-Kollektionen von Hermès, Miu Miu und Louis Vuitton erscheint der Körper ebenfalls unangezogen. Hauchzarte, hautfarbene Stoffe umhüllen den Träger und lassen ihn vermeintlich nackt erscheinen. Die Haut verschmilzt mit den streng geschnitten Bleistiftröcken in milchigem Beige, Kleider in pudrigem Rosé und Chiffonblusen in hellem Braun. Transparente Biedermeierärmel entblößen die Konturen von der Schulter abwärts. Hautfarbene Seidenkleider umfließen den Körper. Stoffe wie Seide, Satin, Chiffon und Chemiefasern sind aus den Kreationen der Designer nicht mehr wegzudenken und machen den „Nude-Look“ zu dem was er ist: Verlockung, Versuchung, Reiz. Der französische Semiotiker Roland Barthes beschrieb Mode als ein Spiel zwischen Verstecken und Enthüllen. Das Erotischste ist „die Haut, die zwischen zwei Stücken Stoff hervor scheint.“ Nicht nur die Oberbekleidung unterliegt dem „NudeTrend“, auch untendrunter wird es immer „nackter“. Hautfarbene Unterwäsche, die früher mit Omas Miederhöschen assoziiert wurde, hat sich heute als durchaus praktisch und sogar erotisch gemausert. Die am Hautton inspirierte Nuance verdeckt den Busen unter der transparenten Bluse – der Alltag ist schließlich nicht der Laufsteg - und erinnert an die Anfänge des „Nude-Looks“. Die hauchfeine Angelegenheit entwickelte sich schon im 18. Jahrhundert, als sich berühmte Gesellschaftsdamen wie Madame Récamier in Chemisenkleider hüllten. Die Stoffe dieser Kleider waren so dünn, dass der ganze Körper durchschimmerte. Darunter wurden hautfarbene Trikotagen (enge Maschenware) getragen, welche zu dem Namen „Nacktmode“ führte. Wäsche spielte auch zur letzten Jahrhundertwende eine große Rolle im „Boudoir-Stil“; eine frivole Wäschemode mit viel Dekolleté und Spitze. Mit der Entwicklung der Chemiefaser Mitte des 20. Jahrhunderts wurde es immer einfacher, Nacktheit zu suggerieren. Ein Eckpfeiler, der „Nude“ auf die Überholspur brachte, war der Nylonstrumpf. 1940 wurden die ersten fünf Millionen Paar verkauft. Nichts täuscht Nacktheit echter vor als die hautfarbene Strumpfhose. Sie modelliert das Bein optimal, verdeckt sogar Besenreißer und Sommersprossen. Auch in der dekorativen Kosmetik zeichnet sich der Trend dadurch aus, Natürlichkeit vorzutäuschen: man versucht geschminkt möglichst ungeschminkt auszusehen.

Text: Klara Neuber & Vanessa Dübell

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DER GROSSE UNBEKANNTE Der Belgier Martin Margiela ist einer der bedeutendsten Modedesigner unserer Zeit. Und einer der geheimnisvollsten. Doch was fasziniert uns so an diesem Phantom? Eine Spurensuche. Text: Valerie Zehethofer & Lilian Ingenkamp

das vielleicht am besten gehütetste Geheimnis der Mode. Martin Margiela wurde 1956 in Limburg geboren. Später studierte er an der „Königlichen Akademie der Schönen Künste“ in Antwerpen Modedesign. Ob er nun Teil der legendären Antwerp Six oder der unsichtbare Siebte war, ist Teil des Rätsels um den Designer und seine Arbeit. Sicher ist aber, dass Margiela mit seinen dekonstruktivistischen Entwürfen dem Schönheitsbegriff der 80er-Jahre eine Anti-Perfektion entgegensetzte, die die Mode bis heute nicht loslässt. Dieser Chic des „Halbfertigen“, die zerschlissenen Stoffe und die Schnitte, die sich nicht der Körperform anpassen, sondern sich viel mehr gegen sie richten, wurde in den letzten Jahrzehnten, ob in Streetwear oder Haute Couture, tausendfach zitiert und kopiert. Mittlerweile ist der „Used-Look“, den Margiela begründete, im Mainstream angekommen. Von 1984 bis 1987 arbeitete Martin Margiela als Assistent für den Pariser Mode-Rebell Jean Paul Gaultier. Mut hätte ihm Gaultier gemacht, erklärte er in einem seiner seltenen Interviews, das er 1991 dem „Süddeutsche Zeitung Magazin“ gab. Margiela bezeichnete den Franzosen damals als einen „großen Arbeiter“. Mit 32 lernte der Designer die Brüsselerin Jenny Meirens kennen und gründete mit ihrer Hilfe das Modelabel „Martin Margiela“, aus dem später „Maison Martin Margiela“ mit Sitz in Belgien und Paris wurde. Margielas Entscheidung, sich konsequent der Öffentlichkeit zu verweigern und stattdessen ein Kollektiv vorzuschieben, fiel, noch bevor die Modewelt auf ihn aufmerksam wurde.

Es ist ein Suchspiel. Man weiß, er muss ganz nah sein, der Eingang zum ersten Flagship-Store der Maison Martin Margiela auf der Münchner Maximilianstraße. Die Schriftzüge und Schaufenster der großen Luxuslabels sind das Ablenkungsmanöver. Eine weiße Tafel, auf der in Schreibmaschinenschrift „Maison Martin Margiela“ steht, dient als falsche Fährte - kein Pfeil, kein Hinweis. Nur wer das Suchspiel lang genug mitspielt, entdeckt auf der anderen Straßenseite ein unauffälliges Schild; darauf Zahlen von 0 bis 23 und, kaum lesbar, noch einmal „Maison Martin Margiela Paris“. Hinter der weißen Gittertür ist die Wand mit Zeitungsausschnitten und kleinen Notizen beklebt. Eine Treppe führt nach unten. Und am Weg dahin wird man das Gefühl nicht mehr los, man könnte stören - eine Runde enger Freunde und Familienmitglieder. Eine Türklingel wäre gut.

„WIE ICH AUSSEHE, HAT KEINE BEDEUTUNG FÜR MEINE ARBEIT.“ Seit 20 Jahren gelingt es dem belgischen Modedesigner Martin Margiela sich selbst, seinen Mitarbeitern und den Trägern seiner Kleider, die Aura eines exklusiven Kreises zu geben. Seine Läden sind versteckt in Kellern und verwinkelten Straßen. Seine Entwürfe sind nur gekennzeichnet durch ein kleines Stück Baumwollstoff, das, aussen sichtbar, von vier weißen Fäden gehalten wird. Sein Team ist ein anonymes Kollektiv und er selbst – ist

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Die Möglichkeit, dadurch wieder in Vergessenheit zu geraten, schien ihn nie zu interessieren. Im Interview von 1991 sprach der Designer zwar noch selbst, er weigerte sich aber schon damals, ein Foto von sich abdrucken zu lassen. Denn wie er aussehe, habe keine Bedeutung für seine Arbeit.

in seinem Aufsatz, dass die Identität derjenigen, die Margielas Kleidung tragen, ebenso wichtig sei, wie die Kleidung selbst. Es geht also erst ums Verstehen, dann ums Kaufen. Und dennoch - man kann nicht wegreden, dass das Phantom Margiela anzieht, dass man „das Gesicht, die Person, das Genie dahinter sucht“, wie es Barbara Vinken auf den Punkt bringt. Sie glaubt, dass die Vorstellung des Designers, wie wir sie etwa von Karl Lagerfeld haben, heute längst nicht mehr der Realität entspricht: „Das ist total veraltet. Diese Figur des kreativen Genies gehört ins 19. Jahrhundert, kommt aber einem Publikum entgegen, das diese Erwartungen immer noch hat.“ Der britische Couturier Charles F. Worth war der Erste, der sich um 1900 selbst zur Marke machte. Mit dieser Idee des Modemachers, der allein für die Arbeit eines Labels stehe, werde nur verschleiert, dass jede Kollektion immer auch das Werk eines Kollektivs sei, so Vinken. Nur nach und nach entwickelt sich ein Bewusstsein dafür. Mit Design-Kollektiven wie dem schwedischen Label Acne oder den Amerikanern von Three as Four, die ihre Arbeit eben nicht mit einem Gesicht oder dem Namen einer einzigen Person verkaufen. Der Erste, der das betonte, war Martin Margiela. Wenn auch auf ziemlich radikale Art und Weise.

WEIßE ARZTKITTEL UND WEIN AUS BILLIGEN PLASTIKBECHERN Deshalb sitzt Margiela, wenn er denn überhaupt kommt, auch bei seinen Modenschauen lieber irgendwo versteckt im Publikum, als sich auf dem Laufsteg zu zeigen. Die Gesichter der Models verbergen sich hinter futuristischen Sonnenbrillen, schwarzen Balken oder, wie zuletzt bei den Haute Couture-Schauen in Paris, unter Strumpfmasken. Sein Team tritt nur in weißen Arztkitteln auf, teurer Wein wird in billigen Plastikbechern serviert und die Einladungen zu den Schauen sind meist nicht einmal als solche zu erkennen. Es wird getarnt und getäuscht. Die Modewelt scheint es nicht zu stören. Im Gegenteil. Je bizarrer und klinischer die Inszenierung, desto größer der Hype um die Defilees des Labels. Die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken befasste sich schon früh mit der Arbeit des Belgiers und bezeichnet die Entscheidung für ein gesichtsloses Modelabel als „intelligente Anti-Strategie“. Das Image des Designers, dessen Anonymität Rätsel aufgibt und über den fortdauernd spekuliert wird, hält Vinken für einen geschickten Marketing-Zug: „Wenn sich der Markt total auf das Gesicht und den Namen eines Modeschöpfers stützt, ist Entzug die intelligenteste Möglichkeit der Vermarktung, weil sie allen anderen Marktstrategien widerspricht. Das hat nichts mit Margielas Wesen zu tun“, sagt Vinken, die den Designer seit vielen Jahren persönlich kennt.

Radikale Spuren hat die Zeit auch an der Marke Maison Martin Margiela hinterlassen. Im Jahr 2002 wurde sie an Diesel-Gründer Renzo Rosso und seinen Konzern Staff International verkauft, zu dem auch Labels wie Sophia Kokosalaki oder Viktor&Rolf gehören. Von der „ganz bestimmten Unabhängigkeit“, wie es Margiela Anfang der 90er dem SZ-Magazin beschrieb, ist wenig übrig geblieben. Barbara Vinken glaubt, dass der große Konzern das Label auf Dauer ruinieren könnte: „Die Marke hat großen symbolischen Wert, der im Moment durch reales Kapital ersetzt wird. Damit geht sie in einen anderen Zustand über und der Name ist unwiederbringlich verloren.“ Allein vergangenes Jahr wurden Produkte im Wert von 80 Millionen Dollar verkauft, eine Schmuck- und Sonnenbrillenlinie aus dem Boden gestampft und mehr Shops als je zuvor eröffnet. Für 2010 ist eine Home-Collection geplant und sogar die Telefonnummer der Maison ist erst seit der Übernahme im Telefonbuch zu finden. Renzo Rosso freut es – Margielas Intention war eine andere. Und dies, so Vinken, sei nur der Beginn eines Wandels der Maison Martin Margiela.

Die Mitarbeiter im Münchner Shop kennen ihren Chef nicht. Das stört sie aber auch nicht. Schließlich, erzählt einer von ihnen, ginge es ja um das Kollektiv und darum, dass jeder gleichwertig sei. Wenn hier doch etwas herrscht, dann das „weiße Regime“, wie es Chris Dercon, Leiter des Münchner „Haus der Kunst“, in einem Aufsatz, anlässlich der kürzlich dort zu Ende gegangenen Maison Martin Margiela-Retrospektive, nennt: weiße Wände, weiße Böden, weiße Stühle, weiße Tische, weiße Kleiderbügel, weiße Verpackungen. Und auch jeder, der den Laden betritt, wird gleich behandelt, nämlich gar nicht. „Wir laufen niemandem hinterher. Margiela-Träger muss man in Ruhe lassen. Sie gehen auf uns zu, wenn sie Hilfe brauchen“, erklärt einer der beiden Verkäufer. Kunden, die schon mit gezückter Kreditkarte reinkommen, hätten die Maison Martin Margiela sowieso missverstanden: „Manche sind zu steif, um das Prinzip Margiela zu verstehen und fühlen sich nur dann auf der richtigen Seite, wenn der Name des Designers stimmt.“ Sie sind es meistens auch, die nicht locker lassen, wenn es darum geht zu erfahren, wer die Person Margiela ist, wie er aussieht und arbeitet. Und diese Frage beschäftigt längst nicht nur Markenfetischisten: Etwa die Hälfte aller Artikel, die zur Margiela-Retrospektive in Antwerpen erschienen, titelten mit „Wer ist Martin Margiela?“. Mehr als ein paar kryptische Antworten, stets in „Wir“-Form, gibt es aber nicht, für niemanden und schon gar nicht für diejenigen, die mit seiner Kleidung auch den Namen Martin Margiela kaufen wollen. Mehr als ein paar Worte liefert das Unternehmen auch nicht, wenn es um die Kollektionen geht. Die müssen für sich selbst stehen. Den Designer im Hintergrund, der zu jeder Kollektion auch ihre Entstehungsgeschichte liefert, gibt es nicht. Übergroß aufgeblasene Kleider, ein T-Shirt bedruckt mit dem Foto eines Woll-Pullis, ein Ärmel wo kein Ärmel sein sollte, eine vermeintlich falsche Naht oder ein Top, dessen Material und Farbe an Stützstrümpfe erinnern – Martin Margiela führt die Mode vor, kritisiert idealisierte Körperbilder und Wegwerf-Gesellschaften. „Margiela entlarvt die Mode“ sagt Barbara Vinken, „mit der Zeit, die er in dieses Handwerk investiert, macht er ihr aber eine irrsinnige Liebeserklärung.“ Vielleicht erwartet Martin Margiela diese Hassliebe auch von seinen Trägern. Die eingefleischten unter ihnen sammeln seine Stücke wie andere Kunst. Chris Dercon, schreibt

„ES IST DAS SPIEL MIT DER NEUGIERDE, DAS BEGEHREN WECKT.“ So überrascht es dann auch nicht, dass die Kollektionen, die an den weißen Kleiderstangen hängen, erstaunlich tragbar sind. Und auch wenn man es im Münchner Shop nicht gerne hört: Von den Ecken und Kanten, die das Modehaus einst auszeichneten, wird von Saison zu Saison ein Stückchen abgeschliffen – weil es sich so nun mal besser verkauft. Da scheint es fast so, als wäre der Hype um das Phantom Martin Margiela der avantgardistische Strohhalm, den es zu greifen gilt. „Es ist das Spiel mit der Neugierde. Und der Entzug, der das Begehren natürlich verstärkt.“, sagt Barbara Vinken. Demnach geht es nicht um den Designer bei dieser Suche nach dem Phantom Margiela, sondern um die Suche selbst – in einer Zeit, in der zu viele Gesichter zu große Bedeutung haben. Dass der Belgier längst nicht mehr für das Label tätig sei, behaupten mittlerweile immer mehr Margiela-Kenner. Renzo Rosso erzählte der International Herald Tribune kürzlich in einem Interview, dass er mit Margiela glücklich sei, der Designer aber schon seit längerer Zeit nur noch an speziellen Projekten mitarbeite. Und auf die Frage, ob dieser das Haus wirklich verlassen habe, antwortete Rosso: „Sag niemals nie, aber ich kann es mir nicht vorstellen. Ich liebe ihn.“ Ein bisschen zu sehr vielleicht – zumindest lässt sich darüber spekulieren, dass Martin Margiela vom Erfolg des eigenen Labels genug hat und längst das Phantom hinter einem neuen Projekt ist. Und wenn es so wäre? Würde wohl die Suche von vorne beginnen. l

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Maison Martin Margiela in Nahaufnahme: 1. Kein Produktionsfehler - echte Margiela-Fans, erkennt man an den vier weißen Stichen an der Aussenseite ihrer Kleidung. 2. Im Shop in der Münchner Maximilianstraße herrscht das „weiße Regime“. Die Trompe l‘oeil-Tapeten sind vom Hauptatelier in Paris inspiriert. 3. Verpackt wird in weiße Baumwolltüten. Natürlich ohne Label. 4. Die Tabi-Schuhe sind angelehnt an japanische Strümpfe und begleiten Margiela seit seinen Anfängen. 5. Die Evolution des Kragens. Jedes Jahr entwirft Maison Martin Magiela eine neue Kragenlinie.

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ECOLUTION Von Peace, Love, „No War“ und Blumenketten über Greenpeace und lila Latzhose zum „Green Glamour“ der Neuzeit. Wer heute als LOHA (Lifestyle of Health and Sustainability) gilt, in Bioläden einkauft und Pullis aus organischer Baumwolle trägt, wurde vor 20 Jahren noch als unmoderner Freak abgestempelt. Was genau hat den jetzigen Bioboom ermöglicht? Wir betrachten die letzten vierzig Jahre der deutschen Öko-Geschichte...

Illustration: Georg Kronawitter

Text und Illustration: Stephanie Wilde & Larissa Lilje

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HIPPIES – ERSTE WEGBEREITER DER ÖKOBEWEGUNG?

80ER UND 90ER – DIE UMWELTBEWEGUNG REVOLUTIONIERT DEUTSCHLAND

Fernab von Atomstreiks, ungespritzen Äpfeln und ökologischer Baumwolle, gab es in den 60er Jahren bereits die erste Bewegung Naturbewusster: die Hippies. Mit der Parole „Zurück zur Natur“ grenzten sie sich von der Masse ab und richteten sich gegen das Establishment. Bilder von halbnackten Menschen mit Blumenketten um den Hals, die im hohen Gras einen Joint rauchen, dazu Lieder von Jimmy Hendrix hören, haben wir alle im Kopf. Ziemlich cool, wenn wir an Woodstock & Co denken, ziemlich „öko“ wenn uns der anfängliche Look mit Jesuslatschen und wallenden Leinengewändern in den Sinn kommt. Von welcher Art die Baumwolle war, oder ob die gebatikten Leinenlaken auch fair gehandelt wurden, war damals noch nicht von Bedeutung. Hauptsache selbst gemacht. Da konnten es auch 100% synthetisches Polyester oder chemische Glanzfasern sein. Trotz der Parole „Back to nature“, waren keine Skandale um Klimawandel, Kinderarbeit oder genmanipulierte Nahrung Auslöser der Hippie-Bewegung, sondern das Bewusstsein, sich gegen den Vietnamkrieg und die spießige, etablierte Elterngeneration zu stellen. Die Grundsteine aber, sich in der Öffenlichkeit zur Natur und den Ursprüngen des Lebens zu bekennen und soziale Probleme nicht zu ignorieren, wurden bereits gelegt. Zu diesem Zeitpunkt allerdings, erstreckten sich die ersten Anfänge des Umweltbewusstseins auf die ganze Welt und begrenzten sich nicht auf Deutschland.

„Die Grünen“ sprachen aus, was Tausende in Deutschland und Millionen auf der ganzen Welt schon lange dachten: Die Welt leidet unter dem Verhalten der Menschheit. Die Empörung über Waldrodungen, Müllberge, Trinkwasserverschmutzung und die gescheiterte Entwicklungspolitik, mobilisierte vor allem junge Leute. Deutschland wurde in den 80er Jahren zum Mittelpunkt der ersten Umweltbewegung und bot eine einmalige Plattform für Gleichgesinnte. Unvergessen bleibt der Skandal am 12. Dezember 1985, als sich Joschka Fischer in weißen Turnschuhen, Jeans und Sakko, zum ersten grünen Kabinettsmitglied vereidigen ließ. Der amerikanische Musiker Paul Amrod, der in den 60ern zusammen mit Janis Joplin auf Tour ging und als echter Hippie bei Woodstock dabei war, emigrierte in den 80er Jahren wie viele seiner Landsleute nach Deutschland und wohnt heute im beschaulichen Böblingen. „Viele Amis kamen zu dieser Zeit her. Damals schaute die halbe Welt auf Deutschland, wo sich in Sachen „öko“ unheimlich viel tat“, so Amrod. Die 51 jährige Umweltaktivistin Anette Erlacher traf sich bereits Anfang der 80er Jahre, wöchentlich im Münchner Café Ruffini zum „Grünen Stammtisch“ der Demonstrationen und Sitzblockaden gegen Atommüll und gescheiterte Entwicklungshilfe organisierte. Als Deligierte kam sie 1981 nach Bonn, um gegen den Nato Doppelbeschluss zu demonstrieren und traf unter anderem Mitgründerin Petra Kelly und Gerald Häfer, der bis 2002 Mitglied des Bundestags für die Fraktion „Bündnis 90/Die Grünen“ war - damals noch mit Vollbart und langen Haaren. „Greenpeace Deutschland“ das 1980 gegründet wurde, gewann innerhalb kurzer Zeit viele Anhänger und fand in den 90ern mit Protesten gegen Luftverschmutzung und Atomkraftwerke seinen Höhepunkt an Aufmerksamkeit. Für viele Deutsche wurde es selbstverständlich, sich für Umweltschutz einzusetzen und Dinge zu hinterfragen. Vom Auto fahren und richtiger Mülltrennung, bis hin zu Öko-Kosmetik und Kleidung aus Naturmaterialien, veränderten sie ihren bisherigen Lebensstil. „Ich war ein Exot und wurde milde belächelt, wenn ich in Latzhosen meine Kinder mit dem Fahrrad von der Schule abholte“, erzählt Anette Erlacher, die sich bis heute der grünen Idee verschrieben hat.

Dank Janis Joplin, Jimi Hendrix, dem Musical „Hair“ und anderen Vertretern der Hippiebewegung, wurde der lässige Look schließlich stylish - damals als „groovy“ bezeichnet - und zum Vorbild der jungen Generation. Auch Uschi Obermaier, die zwar als „Queen der sexuellen Befreiung“ galt und in der „Kommune 1“ ein typisches Hippie-Leben führte, verkörperte den Look auf eine feminine und sexy Art. Um politische Hintergründe und Diskussionen scherte sich die gebürtige Münchnerin nie. „Ich habe alles gemacht, was ich wollte! Ich bin nicht aus politischen Gründen in die „Kommune 1“ gegangen. Dort eingezogen bin ich, weil ich mich in Rainer Langhans verliebt hatte“, war nur eines ihrer Statements. Neben den Erinnerungen an Musik von Jimmy Hendrix & Co, Joints und Freizügigkeit, blieben uns die Elemente des Hippie Styles, die immer wieder in die aktuellen Modekollektionen einfließen, erhalten. Bodenlange Blumenkleider, Stirnbänder, Blusen mit Flügelärmeln und EthnoSchmuck sind vor allem in diesem Jahr nicht wegzudenken. Manch einer trägt gerade T-Shirts, bedruckt mit original schwarz-weiß Fotografien chillender Hippies in Woodstock - vor genau 40 Jahren.

Pionierin in Sachen Ökomode war Britta Steilmann die, dank familiären Backgrounds, 1992 ihr eigenes Modelabel gründete und ein Jahr später, im Alter von 27 Jahren, als „Öko-Managerin des Jahres“ ausgezeichnet wurde. Ihre Kollektion „It‘s one world“ die aus fair gehandelter, handgepflückter und chemiefreier Baumwolle bestand, brachte sie in die Regale von Tchibo, Karstadt und Co. Öko gab es nun endlich für jeden und galt nicht mehr als Symbol für ungepflegte Exoten à la „Müsliman“. Einziges Problem: Britta Steilmanns Mode sollte auch eindeutig als ökologisch wertvoll erkennbar sein. Knallige Farben, Desgins oder flippige Optiken kamen also nicht in Frage und es herrschte farblicher Einheitsbrei in

Die wirklich erste und bisher größte Ökowelle erfasste Deutschland ein Jahrzehnt später, als Uschi Obermaier längst in Amerika lebte. Die Hippies wurden vorerst von Glitter, Glamour und dem Disco-Look der 70er abgelöst.

1990

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trotz wildem Bart und Holzfällerhemd, ein Sexsymbol für viele Frauen. Die Internetplattform „Unique Nature“, Vermarkter von Öko-Labels wie „Edun“, „Noir“ oder „Mandala“, gewinnt täglich neue Fans. Und auch Stella McCartney, die aus Überzeugung nur vegane Kleidung entwirft, bekommt immer mehr Konkurrenz, zum Beispiel von Phlipp Lim und seiner „Go green go“ Kollektion, aber auch von dem niederländischen Label „Kuyichi“.

schlammbeige oder mutterbodenbraun. Zelebriert wurde das Ganze gern im Lagenlook, der zwar günstig für die Figur mit Problemzone war, aber auf Dauer leider nicht sexy genug. Und da „Sex sells“ war Britta Steilmann mit ihrer im Grunde bahnbrechenden Innovation bald wieder weg vom Fenster. Die „Pionier-Nadel“ für außerordentliche Leistungen im Bereich Mode und Umweltbewusstsein darf sie sich aber allemal anstecken.

Anita Tillmann, Leiterin der Premium in Berlin, setzt sich aktuell sehr für Eco-Fashion ein und fordert die Einführung eines Umweltsiegels für Kleidung, da hier im Gegensatz zu Lebensmitteln die Begriffe „öko“ und „bio“ nicht geschützt sind. Gleichzeitig errichtete sie eine „Green Lifestyle Area“ während der Fashion Week in Berlin, die ebenfalls auf dem neusten Stand in Sachen ökologischer Mode ist. Der „Green Showroom“ im Hotel Adlon zeigt edle Marken wie „Blushless“ und „Snowberry“ sowie Arbeiten von Hess Natur Chefdesigner Miguel Adrover. Der gebürtige Mallorquiner hatte der Modebranche eigentlich vor einigen Jahren den Rücken gekehrt, ließ sich jedoch von Hess Natur überzeugen. Angebote von Tommy Hilfiger & Co. schlug er aus, da er in Zukunft keine Alternative für „grüne“ Mode sieht. Auch Schuhliebhaberinnen können neuerdings mit ökologisch reinem Gewissen durchs Leben stöckeln. Sergio Rossi, Tochterfirma des Gucci-Konzerns, hat vor kurzem einen „Eco Pump“ auf den Markt gebracht. Absatz und Sohle des luxuriösen Bio-High-Heels bestehen aus nachwachsenden Rohstoffen wie Hanf, Flachs oder Wachs und dem Sekundärrohstoff Lignin. Auch die italienische Garnmesse Pitti Filatti präsentiert seit letztem Jahr Garnanbieter im Bereich „Eco Luxe“ von organisch gewachsener Baumwolle über Bio-Leinen, Hanf, Ginster, und Bambus bis hin zu Soja und Milchfasern. Polyester wird von „Ecafil Best“ recycelt, schwarze Farbstoffe gewinnt das Trend-Projekt „Equo-Eco-friendly“ aus dem Blutholzbaum. Wer weiß, vielleicht bekommen wir ja bald ein Luxuskleid von Chanel aus Krebspanzerfasern zu sehen. Die amerikanische Jungdesignerin Linda Loudermilk, verdient sich ihren Titel „Goddess of green fashion“ bereits durch die Verarbeitung von innovativen Materialien wie Algen, Baumrinde und Mais.

HEUTE - WEG MIT DEM MÜSLI-IMAGE „Grün ist das neue Schwarz“ findet Modekritikerin Suzy Menkes und meint damit neben der aktuellen Laufstegmode, vor allem die Einstellung dahinter. Doch wir können längst einen Schritt weiter gehen und sagen: Ökobewusstsein ist der neue Luxus! „Eco“, „green“, „organic“, „nature“ – Wörter wie diese sind aus unserem Wortschatz nicht mehr wegzudenken. Von Kleidung über Essen bis hin zu Kosmetik, Wohnen und Reisen, steht neuerdings alles in Verbindung mit „Öko“ und einem ökologischem Bewusstsein. Kurz: „Grün“ sein ist richtig stylish geworden. Nachdem die amerikanische Vanity Fair die neue Ökologie seit Jahren mit ihrer glamourösen „Green Issue“ huldigt, wurde auch der deutsche Zeitschriftenmarkt mehr und mehr von „Green Glamour“-Ausgaben und Öko-Specials überschwemmt. Das neue Lebensgefühl prägt heute vor allem den gut verdienenden Bildungsbürger. Geschäftsmänner, die ein Jahrzehnt zuvor noch den ins Reformhaus latschenden Nachbarn als typischen „Öko“ abstempelten, tragen auf einmal ihren Bio-Salat ins Büro und steigen anschließend ins Hybrid Auto. Umweltengagement und Status wachsen immer mehr zusammen: Jeder fünfte Deutsche fühlt sich dem Umweltschutz besonders zugetan. Top-Verdiener in reichen Wohngegenden, die Soziologen als „Post-Materialisten“ bezeichnen, gelten dabei als besonders engagiert. Wer hätte schon vor einigen Jahren geahnt, dass es einmal offiziell „in“ ist, mit einer stark ökoverdächtigen Jutetasche, die Shopping-Meilen rauf und runter zu laufen. Die Aufschrift „I’m not a plastic bag“ machte diese 2006 zum absoluten „Must Have“ der Saison. Bereits nach einer Woche war sie in den USA restlos ausverkauft. Stolze Besitzerinnen waren und sind unter anderem Lauren Bush und Keira Knightly. Die „Neue Grüne Welle“ schwappt langsam aber sicher über den gesamten Erdball. Vor allem aber sind es plötzlich Stars aus Film und Musik, die sich zu Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit bekennen. Manch etablierter Umweltaktivist mag dem plötzlichen Hype um Hybrid und Hanf kaum trauen. Ist es wirklich modern geworden, ein Öko zu sein? MillionenErbe David de Rothschild, der schon seit Jahren für Umweltschutz eintritt und mit spektakulären Aktionen wie einer Weltumsegelung im Katmaran aus Plastikflaschen auf Umweltverschmutzung aufmerksam macht, wird schon längst nicht mehr belächelt. Aus dem Enfant Terrible ist ein ernstzunehmender Vorreiter in Sachen Ökologie geworden und

Zukunftsforscher Matthias Horx prophezeite vor einigen Jahren: „Wer dachte, grüner geht’s nicht mehr, der irrt. Was bisher als Bio und Öko bei uns angekommen ist, kann nur vorsichtig als Vorhut bezeichnet werden.“ Auch jetzt hat das Bewusstsein für Umwelt und Ethik seinen Höhepunkt noch lange nicht erreicht. Soziologen gehen davon aus, dass LOHAS bald die Mehrheit der Konsumenten ausmachen werden. Ökologische Innovationen sowie ein ökologischer Lebensstil in allen Lebensbereichen, werden irgendwann selbstverständlich und unumgänglich sein. Forscher entwickeln bereits schicke Öko-Kleidung die sich nach einigen Monaten in Luft auslöst und nebenbei die Stadt von Abgasen reinigt. Da bekommt die Parole „Zurück zur Natur“ eine ganz neue Bedeutung. l

2009

2000

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Obənauf

»Die Mode wird die ganze Stadt durchdringen und der Glanz wird darüber hinaus international leuchten« Harald Wolf - Bürgermeister von Berlin & Senator für Wirtschaft, Technologie und Frauen

Wir zeigen die Highlights & Stars der MercedesShows, die interessantesten Gespräche und

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e


s

»Wunderkind würde hier in Berlin viel mehr gehypt und respektiert werden als in Paris. Hier könnte es das Highlight sein.« Kerstin Schneider - Elle Modeleitung

Benz Fashionweek F/S 2010. Die wichtigsten einen Backstage-Report der anderen Art...

»Berlin wird langsam zu einem der wichtigsten Anziehungspunkte der internationalen Modewelt« Julia Stegner - Topmodel und Gesicht der Mercedes-Benz Fashion Week 101

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Obənauf

»Die Energie in Dieser Stadt ist unglaublich« Suzy Menkes

...wie unglaublich, verrieten uns Designer, Models und Modejournalisten in Berlin:

Interviews: Yasemin Oyan & Judith Heede

MICHAEL MICHALSKY, Designer

ARMIN MORBACH, Hair & Make-up Artist

Hat die „Berlin Fashion Week“ Potential, im internationalen FashionBusiness an Bedeutung zu gewinnen? Wenn ich daran nicht glauben würde, würde ich mich nicht so stark beteiligen. Berlin wird im Modemarkt ein eigenes Profil bekommen, denn es ist als Stadt einmalig, und dies ist die beste Basis für Kreativität. Berlin ist die Stadt, die noch immer aus zwei Teilen besteht, die erst allmählich zusammenwachsen und die im Herzen Europas liegt. New York hat auch zehn bis zwölf Jahre gebraucht, bis es in punkto Mode zu dem wurde, was es heute ist. Berlin wird nie Mailand oder Paris, muss es aber auch nicht. Und wie lange wird es noch dauern bis Berlin sich als Modestadt etabliert hat? Ich bin kein Hellseher. Das dauert bestimmt noch ein bis zwei Jahre. Was braucht es Ihrer Meinung nach noch dafür? Wenn die Großen, wie Wolfgang Joop oder Escada, hier zeigen würden, wäre es sicherlich gut und sehr förderlich. Und deshalb zeigen Sie selbst auch Judith und Yasemin im Gespräch hier in Berlin? mit Michael Michalsky Deutschland hat genauso eine Berechtigung in der Designwelt, wie Frankreich oder Italien. Leider wurde hier bislang nicht viel für den Nachwuchs getan, deshalb ist eine gewisse Lücke entstanden. Aber es gibt viele coole Leute, die sie füllen könnten. Wie wichtig ist Berlin für Sie als Modestandort? Ich liebe Berlin, weil die Stadt offen ist , jeden aufnimmt und sich permanent wandelt. Genau das braucht ein Designer zur Inspiration. Was würden Sie Nachwuchsdesignern raten, um erfolgreich zu sein? Es ist immer ein bisschen albern, Ratschläge zu geben. Aber sicherlich sollte man immer nur das machen, wofür man Leidenschaft verspürt. Dann hat man auch genug Antrieb, um es zu schaffen. Irgendwann kriegt jeder eine Chance geboten, die muss man dann erkennen und nutzen. Wenn man seine Ideen nicht lebt und atmet, ist man in keinem Job gut. Egal, ob man am Bankschalter sitzt, als Florist oder Designer arbeitet. Sie kombinieren am liebsten Basics mit eleganten Klamotten und sehen damit immer top aus. Haben Sie den ultimativen Styling-Tipp? Je nach Stimmung sollte man sich die Sachen aussuchen, die man am tollsten findet. Die passen dann automatisch zu dem, was man hat. Und ich finde, Qualität hat nicht unbedingt etwas mit dem Preis zu tun. Ich glaube, dass die Kombination aus verschiedenen Einflüssen die Sache interessant macht. Es ist völlig uncool, sich komplett in einer Marke einzukleiden.

Wie sehen Sie die Entwicklung der Fashion Week in Berlin seit 2007? Ich glaube, sie entwickelt sich ein bisschen zurück. Am Anfang war große Hoffnung da, man dachte, es bewegt sich etwas. Die Bread & Butter kam zurück und damit kamen auch die Jungdesigner. Ich finde es ok, dass wir die Plattform für Jungdesigner sind, aber es gibt keinen großen Designer, der hier zeigt. Es wäre schön, wenn Wunderkind hier zeigen würde. Auch Jil Sander war damals ein deutsches Label und es wäre toll, wenn sie eine Show hätten. Aber leider sind viele Labels wie Joop abgewandert. Boss zeigt nur noch Boss Orange, seine „billige“ Linie. Aber die Deutschen müssen zu den Deutschen stehen! Keiner traut sich. Sie wollen alle international sein, anstatt dass sie einmal etwas machen, was uns Deutsche ausmacht. Ich schaue mir jede Show und jeden Jungdesigner an, denn wir müssen das unterstützen. Ob sie es schaffen, weiss ich nicht. Denn ich meine, wenn du Obdachlose über den Laufsteg schickst und untragbare Mode machst, das ist wie „Abschlussklasse Modeschule“. Mehr leider nicht! Gibt es einen typisch deutschen Look in Berlin? Ich fände es gut, wenn es wirklich deutsch aussehen würde. Wenn wir Themen aufgreifen würden, wie „20 Jahre Mauerfall“ und uns von Leuten wie Helmut Newton inspirieren lassen würden. Stattdessen wird immer Geplänkel gezeigt und wahnsinnig viel Kommerz. Plötzlich machen alle auf Masse, wollen verkaufen und nur noch auffallen. Es ist nichts Eigenständiges. Ich freue mich aber auf LALA Berlin morgen; da könnte was dabei sein. Werden Sie bei der „P&C Designer for Tomorrow“ - Show dabei sein? Ich bin bei P&C nicht einmal eingeladen, da ich die Konkurrenz zu Maybelline bin. Beim letzten Mal wollten sie mich rausschmeißen. Da geh` ich nicht mehr hin. Da soll Boris Entrup hingehen. Was hat Ihnen heute am besten gefallen? Ich fand alles ok. Schumacher zum Beispiel war süß und hübsch, genau so, wie Mädchen aussehen wollen. Bei Marcel Ostertag waren ein paar Teile dabei, die würde ich für eine Katalogproduktion mitnehmen. Aber es gab nichts Außergewöhnliches, außer vielleicht Lena Hoschek. Die fand ich ganz toll, es hatte was von Country-Style, und somit etwas Eigenständiges. Ich bin gespannt was GANT macht – soll sensationell sein. Die haben eine eigene Luxuslinie im Gantsystem und haben die tollsten Mädchen eingekauft. Vielleicht reicht ...mit Armin Morbach das aus. Auf welche Party werden Sie heute Abend gehen? In mein Zimmer. (grinst) Ich gehe nicht zu Escada. Es gibt wohl eine Party, auf der die Turntable Rocker auflegen. Da werde ich wahrscheinlich vorbei schauen. Das finde ich ganz cool.

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CHRISTIANE ARP,

Chefredakteurin deutsche Vogue Wie fanden Sie die Show von Anja Gockel? Die Show war toll. Ich finde es großartig, wie professionell es hier mittlerweile ist: Ob es die Atmosphäre ist, das Licht oder das ganze Ambiente. Das alles trägt zu einer gelungenen Show bei. Ich finde, dass das hier Judith, Christiane, Yasemin gut gelungen ist. Außerdem ist es toll, dass ...mit Christiane Arp wir als Redakteure die Chance haben, alle Kollektionen sehen zu können. In Berlin zu sein und viele Kollektionen live zu erleben, ist wunderbar, da wir sonst nur ein Lookbook haben. Stichwort Atmosphäre: Gibt es Unterschiede zu den anderen Modehauptstädten? Ich glaube, dass alle unterschiedlich sind. Man kann New York nicht mit Mailand, Paris oder London vergleichen, und sollte es auch nicht, weil es dann keinen Grund mehr gäbe, dorthin zu gehen. Ich glaube, dass wir in jeder Stadt irgendetwas anderes mitnehmen, da wir alle anders funktionieren. Berlin stand immer für Aufbruch und hatte einen Hang zum Selbstzerstörerischen. Was ja durchaus von Vorteil für Mode ist, denn sie muss sich immer wieder neu erfinden und ich glaube auch, dass Chaos zum Teil sehr gut für die Kreativität ist. Sehen Sie einen Unterschied beim Styling des Publikums im Vergleich zu den anderen Fashion Weeks? Gibt es einen typischen Berlin-Look? Nein. Berlin ist einer der weltweit größten Meltingpots. Und da sieht man alles an Styling - was ich toll finde. Ich möchte ja nicht nur einen einzigen Frauentyp sehen, sondern soviel unterschiedliche wie möglich, denn das

macht dann erst die Großstadt aus. Denken Sie, dass die Leute international auch schon denken, dass Berlin in der Riege der Modehauptstädte ist, oder ist es doch noch nicht so weit? Also ich glaube, dass es noch einen Schritt braucht, bis es wirklich die Notwendigkeit für alle gibt, hierher zu kommen. Man darf nicht vergessen, dass wir uns an einen unglaublichen Schauenkalender reihen, der weltweit stattfindet und es ist überhaupt nicht möglich, dass jeder überall hingeht. Außerdem kann man natürlich auch durch die Online-Medien alles relativ zeitgleich anschauen und deswegen wird es nicht funktionieren, dass ein Redakteur aus Rio hierher kommt, um sich die Berlin Fashion Week anzuschauen. Aber das war in New York ja genauso in den 90er Jahren. Es ist aber ein unglaublich gutes Gefühl in Berlin zu sein. Und das entscheidet dann auch, ob jemand kommt oder nicht. Woran liegt es, dass zum Beispiel Wunderkind nicht hier zeigt? Diese Menschen sind alle in etwas eingereiht. Da sind viele logistische Fragen, warum sie noch nicht hier zeigen, die man klären müsste. Jil Sander ist keine deutsche Marke mehr. Sie ist es nur noch aus unserer Erinnerung heraus. Und genau so ist es bei Wunderkind. Sie haben sich irgendwann dafür entschieden in Paris zu zeigen und die Strukturen so aufgebaut, dass die Kollektion erst im September fertig sein muss - das sind noch zwei Monate. Aber es wird immer wieder spekuliert, ob irgendwann die Schauen vorgezogen werden. Wenn das der Fall sein sollte und wir einen anderen Schauenrhythmus bekommen, dann könnte ich mir vorstellen, dass das auch noch kommt und sie hier zeigen werden. Sehen sie Berlin als Sprungbrett für Jungdesigner? Ich denke, es ist eine gute Plattform und genau das brauchen wir. Wir müssen jungen Talenten eine Bühne bieten, die sie dann irgendwann hoffentlich wunderbar bespielen. Das macht mutig und ist genau das Richtige für junge Talente.

EVA PADBERG,

SUZY MENKES, Modekritikerin Herald Tribune

Model

Waren Sie schon mal in Berlin? Ich bin seit dreieinhalb Jahren das erste Mal wieder in Berlin. Ich war noch nie auf der Fashion Week, aber die Stadt kenne ich. Ich war früher schon mehrmals auf der Mode-Messe in Düsseldorf. Das war nett. Aber dort habe ich nie diese spezielle Mischung aus Mode und Aufbruchstimmung gesehen, wie hier in Berlin. Berlin ist kreativ und das merkt man überall in der Stadt. Was hat Ihr Interesse an der Fashion Week Berlin geweckt? Es ist sehr spannend hier zu sein. Viele junge Leute sind hier und es passiert unglaublich viel. Ich glaube, dass Berlin das Zentrum Europas sein kann. Dies ist eine sehr interessante und junge Stadt und es gibt viele Gründe, warum die Mode in Berlin sehr stark sein sollte und kann. Die „Black Coffe & Ramirez“ Show war die erste, die Sie heute gesehen haben. Wie hat es Ihnen gefallen? Es war interessant, denn die Show hatte nicht viel mit Berlin zu tun. Die sind einfach hierher gekommen, um hier ihre Show zu zeigen. Es würde Berlin sehr gut tun, wenn es internationaler werden würde. Glauben Sie, dass Berlin Chancen hat, sich wie New York, Paris oder Mailand zu etablieren? Warum nicht? Bei der Energie in dieser Stadt werde ich bestimmt wieder kommen. Welche Schauen werden Sie noch besuchen? Ich werde Ihnen jetzt keine Liste geben (grinst). Aber ich werde nicht nur Schauen besuchen. Ich werde mich auf den Straßen umsehen, was die Menschen hier tragen. Es geht in der Mode nicht nur um Modenschauen, ...mit Suzy Menkes

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Was halten Sie von Berlin als Modehauptstadt? Wird es mit Paris, New York und London mithalten können? Ich glaube schon, dass Berlin mithalten kann, weil es ganz viel junges neues Potenzial hat, was viele andere Modestädte nicht mehr haben. ...mit Eva Padberg Die haben alle schon ihren eingefahrenen Stil. Hier passiert noch ganz viel Neues. Und es ist sehr spannend und aufregend. Wie finden Sie es, dass Berlin Jungdesigner fördert? Das finde ich großartig. Berlin hat ja hauptsächlich Jungdesigner. Es macht einen ganz großen Teil der kulturellen Gesellschaft in Berlin aus und deswegen muss es gefördert werden, was ja auch gemacht wird mit der Fashion Week und mit anderen Events. Denken Sie, dass das der Grund ist, warum größere Designer wie Wunderkind nicht in Berlin zeigen? Womöglich um nicht auf dem gleichen „niedrigen“ Niveau zu stehen? Ich glaube, viele große Firmen waren am Anfang sehr skeptisch. Wunderkind macht heute zum ersten Mal eine Präsentation hier und ich glaube, die wollen sich reinfühlen. Andere Großfirmen unterstützen das schon von Anfang an, indem sie auch zeigen. Die meisten wollen natürlich erst mal schauen, wie sich alles entwickelt. Sie kennen sich in der internationalen Fashion-Szene aus. Was können Sie zur Berliner Atmosphäre sagen, was macht diese Stadt aus? Es ist lockerer und noch sehr spaßorientiert. Es geht natürlich schon um Business und ums Geschäft, aber es gibt nebenbei noch ganz viel anderes zu erleben.

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OBəNAUF

Neuland Berlin Was machen wir mit den Hunden während der Show? Wie reagieren wir, wenn eines unserer Models betrunken ist? Ist ein gebrauchter Müllcontainer auf dem Laufsteg eine zu große Geruchsbelästigung? Die Organisation der Show von Jungdesigner Patrick Mohr war ein Fashion-Erlebnis der besonderen Art. Text: Luisa Grußendorf 28 Tage vorher... Inoffiziell ist es sicher: Der Münchner Nachwuchs-Designer Patrick Mohr wird auf der Mercedes-Benz Fashion Week 2009 seine Kreationen zeigen. Neben seinem außergewöhnlichen Style und Aussehen sorgt Patrick besonders in der bayerischen Landeshauptstadt mit seinen avantgardistischen, oder wie es manche auch lieber nennen, ausgeflippten Designs für Aufmerksamkeit. Nun wird er sich also dem kritischen Publikum der Berliner Fashion Week stellen. Ich kenne den Designer seit gut drei Monaten. Als ich von den Neuigkeiten höre, wittere ich die Chance auf eine interessante Erfahrung - und hoffe darauf, vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben eine Fashion-Week besuchen zu können! Patrick nimmt mein Hilfsangebot gern an - warum, ahne ich nach dem ersten Treffen: Offensichtlich sind wir, der Designer und ich, das Münchner Team, das die Show auf die Beine stellen soll. Bisher sind nur ein paar Helfer in Berlin klar. Für alles andere Organisatorische bin erst einmal ich verantwortlich.

Noch 26 Tage... Kaum hat das Unternehmen IMG, das für für die Modewoche verantwortlich ist, die Teilnahme von Patrick offiziell bestätigt, beginnt sich meinPosteingang in Zehner-Frequenzen zu füllen. Plötzlich bekomme ich Anfragen von all meinen Lieblingsmagazinen! Mein studentisches Ich ist teils verblüfft, teils eingeschüchtert, nun auf „du und du“ mit Leuten zu sein, die man sich nicht einmal als Chef erträumen darf. Mit Patrick ist mittlerweile nur noch schwer zu kommunizieren. Er scheint

mehr und mehr unter Strom zu stehen. Man sieht ihn nur noch sehr selten ohne sein iPhone am Ohr, mit dessen Hilfe er den zahlreichen Kooperationspartnern, meist mit erhöhter Lautstärke, die Dringlichkeit seiner Anliegen darlegt. Heute treffen wir uns, um die Stoffe für die Keypieces zu besorgen. Glücklicherweise begleiten uns drei Mode-Designstudenten, denn mein Wissen über Stoffe ist recht bescheiden. Bereits bei der Anfahrt zum Stoff-Paradies Schalt in Unterhaching, lässt unsere Professionalität ein wenig zu wünschen übrig. Während wir vier Studenten uns verfahren, trifft auch der Designer erst 55 Minuten später ein. Nun ja, immerhin scheint unser Team auf einer Wellenlänge zu sein. In dem alten Bauernhof, der zu einem riesigen Stofflager umgebaut wurde, erläutert Patrick sein Vorhaben. Er erklärt den Mood der Kollektion, gibt genaue Farbund Material-Vorgaben, so dass sogar meine Wenigkeit eine Ahnung bekommt, was wir suchen: Wir wollen die besten Stoffe unter Tausenden finden! Möglichst außergewöhnlich, und in Idealfall mit Dreieck, Viereck oder Parallelogramm – die Formen von Patricks Logo. Nach zwei bis drei Stunden haben wir eine erste Auswahl von ca. 200 (!) Stoffen gesammelt. Der Mitarbeiter von Schalt lässt uns schaffen, im Glauben, dass für den Einkauf einer Fashion-Week am Ende vermutlich ein guter Profit zu verzeichnen sein wird. Weit gefehlt: Patrick hat nicht vor, mehr als 15 Stoffe mitzunehmen! Sich keinerlei Schuld bewusst, versucht er noch, Rabatte bei dem mittlerweile ausgesprochen schlechtgelaunten Mitarbeiter herauszuhandeln. Hier zeigt sich, was man braucht, um in dieser Branche Erfolg zu haben: Mit grenzenlosem Selbstbewusstsein schafft es der Designer nicht nur, den Mann auf seine Seite, sondern auch satte Prozente zu bekommen.

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Noch 24 Tage... Während Patrick mit seinen Aushilfs-Assistenten die letzten Kreationen fertigstellt, muss ich mich um die Organisation der Show kümmern. Auf meiner To-Do-Liste steht: 1000 Einladungen verschicken, erste Anfragen beantworten und Models organisieren. Besonders der letzte Punkt gestaltet sich schwieriger als erwartet. Entsprechend dem Namen seiner Kollektion „Is The Rhomboid Ragpacker Homeless? ( zu dt.: Ist der Lumpensammler im Parallelogramm obdachlos?) möchte Patrick keine professionellen Models auf den Laufsteg schicken, sondern 20 Obdachlose. Womit Jean Paul Gaultier einst in Paris für Furore sorgte, soll nun also das Berliner Publikum elektrisieren. Die Idee finde ich toll, aber wie ich das, 520 km vom Ort des Geschehens entfernt, anleiern soll? Keine Ahnung!

Noch 23 Tage:... Glücklicherweise gibt es in der Hauptstadt zahlreiche Hilfsorganisationen und –einrichtungen, die ich über das Internet kontaktiere , in der Hoffnung, dass sich niemand auf den (wohl eher nicht vorhandenen) Schlips getreten fühlt. Ich muss die Leute für Konzept und Botschaft des Designers gewinnen, muss ihnen irgendwie vermitteln, dass der Designer die Outsider der Gesellschaft für einen Abend zu den Hauptpersonen der Fashion-Week machen möchte. Es handelt sich weder um einen PR-Gag noch um einen Weg, Obdachlose vorzuführen. Ich weiß das. Aber ob es mir gelingt, das auch so zu kommunizieren?

Noch 22 Tage... Ich kann es kaum glauben: Nur einen Tag nach der Anfrage meldet sich morgens um halb acht Herr Ghattas vom “Berliner Straßenfeger”, einer Obdachlosen-Zeitung. Er ist an der Sache interessiert und möchte mit uns reden. Patricks Schwester, die in Berlin wohnt, trifft sich mit ihm – und danach scheint alles unter Dach und Fach: Die Einrichtung wird versuchen, die Obdachlosen für die Sache zu begeistern und wir versprechen einige Unterstützungs-Maßnahmen, mangels Budgets in Form von materiellen Dingen und hoffentlich großer Medien-Aufmerksamkeit.

Noch 2 Wochen... Ab jetzt geht es für mich vorrangig um die bürokratische Komponente der Show. Einladungen müssen verschickt, E-Mails beantwortet und Gästelisten zusammengestellt werden. Natürlich passiert das alles eher weniger professionell. Die Gästeliste geht nach Vornamen und Studenten sind willkommen – alles ist ein wenig anders. Aber alles was anders ist, passt zu Patrick. Noch 10 Tage... Wir brauchen doch noch professionelle Models! Acht zusätzliche Jungs und Mädchen müssen gecastet werden, um die Jeans zu präsentieren: denn es ist nicht sicher, ob unsere Models von der Straße in die Hosen

passen (oder überhaupt vollständig erscheinen). Also beantworte ich nun doch die etlichen Anfragen von Model-Agenturen, die schon seit Tagen immer wieder wissen wollen, ob wir Models benötigen. Ich informiere die Agenturen über ein recht kurzfristiges offenes Casting in Berlin am Montag vor der Schau. Budget ist auch hier nicht vorgesehen. Schwer einschätzbar, ob wir am Ende nicht alleine da sitzen werden...

Die letzte Woche... Während die Show immer näher rückt, steigt die Anzahl der E-Mails pro Stunde auf bis zu 70! Das Handy klingelt so oft, dass ich mittlerweile schon bei der ersten Vibration zusammenzucke. Backstage- und Interview-Anfragen, RSVP’s und Info-Anforderungen folgen immer schneller aufeinander. Täglich stellen sich neue Aufgaben und Fragen. Was passiert mit den Hunden, während ihre Herrchen auf dem Laufsteg sind? Wer gehört in die Front- und wer in die Second-Row? Was ist mit Musik, Requisiten und Licht? Wie shuttlen wir die Obdachlosen zum Fitting und zur Show? Mein Kopf scheint mittlerweile kurz vor dem Platzen und sowohl Listen als auch Hunde verfolgen mich schon im Traum. (Letztendlich gab es keinen Platz für sie: Im Bebelzelt herrscht Tierverbot! Die Herrchen mussten ihre Vierbeiner zu Freunden geben).

Noch 5 Tage... Ich habe erfahren, was der Designer als Requisite auf dem Laufsteg will. Meine neue Aufgabe: Eine Berliner Parkbank sowie eine Mülltonne, möglichst versifft, besorgen. An wen, bitte, wendet man sich bezüglich einer Parkbank und eines Mülleimers? Antwort: an die Berliner Stadtund Müllversorgungs-Anlagen. Am Telefon schildere ich unser Vorhaben und bin mal wieder begeistert über die Berliner Freundlichkeit und Flexibilität. Sowohl die Bank als auch die Tonne sind uns sicher, wobei letztere aber neu sein muss. Der Herr vom Amt klärt mich über die immense Geruchsbelästigung eines bereits gebrauchten Müllkanisters auf. Wer hätte gedacht, dass ich im Zuge der Fashion-Week sogar einen Einblick in die Müllversorgungs-Problematik bekomme. Interessantes Intermezzo, aber jetzt zurück zu meiner geliebten Gästeliste.

Noch 3 Tage... Es ist soweit! Aufgeregt und ein wenig panisch trete ich Sonntag vor der Show mit meinem kleinen, verbeulten Peugeot den Weg nach Berlin an. Im Gepäck befinden sich unter anderem zahlreiche unfertige Listen, mein Laptop plus fünf Absicherungen in USB- und Festplatten-Form und ein Drucker, der noch einige Arbeit vor sich hat. Sieben Stunden später bin ich tatsächlich in Berlin! Zum ersten Mal bekomme ich den grausamen Verkehr zu spüren, der mir in den nächsten Tagen immer wieder zum Verhängnis werden wird. Das Navi muss nun noch einmal seine Dienste erweisen und mich von Hotel zu Hotel bringen. Die von Patrick persönlich designten Einladungen müssen noch irgendwie an die Super-VIPs gelangen. Meine unrealistische

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obənauf

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ZAREN „Klotzen statt kleckern“ war gestern, das Russland von heute hat eine neue Marschroute eingelegt. Zumindest modisch gesehen übt es sich in Zurückhaltung. Ein Besuch in Moskau - einer Modemetropole der Zukunft.

Text: Petr Matejcek

Wladimir Pawlowitsch Emelianenkos Weg zur Arbeit ist lang. 9288 Kilometer um genau zu sein – so weit ist es von Moskau nach Wladiwostok. Und trotzdem zögerte er keinen Moment, als sich das Modeunternehmen Maison Martin Margiela meldete und ihn bat, am östlichsten Punkt der Russischen Föderation eine Dependance zu eröffnen. Schon einige Flaschen Russian Standard später schwang sich der Modebegeisterte in den Zug. Vom Jaroslawler Bahnhof in Moskau ging es vorbei an Jekaterinburg, über Nowosibirsk und Irkutsk bis an den Pazifischen Ozean. Sieben Zeitzonen weiter, dort, wo nicht einmal mehr die Schienen der Transsibirischen Eisenbahn weiterführen, war Wladimir Pawlowitsch endlich angekommen. Seitdem ist er der Leuchtturm des Antwerpener Avantgardisten am Japanischen Meer. Als Pionier der Mode in Russland sieht sich Emelianenko deswegen nicht. Und trotzdem ist seine Reise ein Symbol dessen, wie weit sich der Geschmack der „Rossijskaja Federazija“ in den letzten Jahren entwickelt hat. Die Worte Michail Gorbatschows wird Emelianenko in den Ohren gehabt haben, als er aufbrach, um im fernen Osten Martin Margielas Dekonstruktivismus zu verbreiten. „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“: Mit diesem Satz ließ der legendäre Präsident vor fast 20

Jahren den Eisernen Vorhang fallen. Für viele Russen hörte sich das an, wie ein Startschuss. Sie ließen Glasnost und Perestroika hinter sich und stürmten los. Das Ziel war eine neue politische Identität – und nicht nur das: Schnellstmöglich sollte auch das Äußere der taufrischen Gesinnung angepasst werden. Versace, Gucci, Chanel – egal! Hauptsache teuer. Hauptsache auffallen. Bloß nicht aussehen wie jemand, der Jahrzehnte in sozialer Uniformität gelebt hat, wie jemand, der weggesperrt war. Hemmungslos schnappte Russlands Großbürgertum nach allem, was gesellschaftliches Ansehen versprach – Maßlosigkeit als Maß aller Dinge. Der russische Archetyp war geboren, ein „nouveau riche“ samt Pelzmantel und Vertu-Handy. 2009 sieht es allerdings danach aus, als hätte er ein neues Entwicklungsstadium erreicht: Die Metamorphose vom modegierigen Allesfresser zum stilbewussten Feinschmecker hat begonnen. Dass die Raupe irgendwann einmal zu einem Schmetterling mutiert, davon war Igor Chapurin schon immer überzeugt. Aus seinem Moskauer Atelier in der Sawinnskaya 21 will der Designer nun versuchen, das auch dem Rest der Welt zu zeigen. Nicht umsonst hat er für seine Zentrale das junge In-Viertel am Ufer des Flusses Moskwa gewählt und

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NEUE

Kleider nicht etwa die protzige Twerskaja-Straße. Vom oligarchentypischen Angebertum hält er ohnehin wenig. Nichts in seinem Studio erinnert an das Unternehmerbarock des vergangenen Jahrzehnts. Die Wände sind braun, die wenigen Möbel so funktionell wie seine Kleidung. Jeans und Shirt, beide ohne Logo, beide grau, könnten auch vom belgischen Puristen Raf Simons stammen – sind aber von Chapurin. Das einzige, was hier wie Gold glänzt, ist der Erfolg des 39jährigen Modemachers, der als „Dior von Moskau“ gilt, und neben der Upperclass der russischen Metropole auch Roman Abramowitschs geschmackssichere Freundin Dasha Zhukova oder die R&B-Ikone Beyoncé Knowles zu seinen Stammkundinnen zählt.

Moskauer Designer sind in Europa angekommen

Chapurins Schau neben Menkes. Dort, wo sonst Anna Wintour sitzt, Chefredakteurin der US-“Vogue“ und damit Doletskayas westlicher Konterpart. Die Sprachwissenschaftlerin mit dem akzentfreien OxfordEnglish hätte viel zu erzählen. Darüber, wie vor zehn Jahren die erste Ausgabe der „Vogue“ in Russland erschien. Just an dem Tag, an dem die Regierung im Kreml den „Default“ ausrief, die Staatspleite verkündete. Aber auch darüber, wie man es fertig bringt, ein Jahrzehnt später Herrin über eine 600-seitige Luxusbibel mit über 300 Seiten Werbung zu sein. Allein, Doletskaya hat keine Zeit zu erzählen, zurückzublicken, sie muss weiter - zu Louis Vuitton. Seitdem behauptet wird, sie könnte die Kandidatin für die Nachfolge der in die Kritik geratenen Anna Wintour sein, bleibt im Terminkalender kein Platz mehr für spontane Interviews. Eines muss Doletskaya dann aber doch noch loswerden: „Wir sind jetzt ein Teil dieser Welt und keine unfreundlichen, wilden Kreaturen mehr, die hinter einer Mauer sitzen.“ Ob sie sich vorstellen kann, dass Russland eines Tages Skandinavien die Mode-Vorherrschaft abluchst? „Alles ist möglich!“ Die Voraussetzungen dafür könnten besser nicht sein. Denn neben Kaviar, Eishockeyspielern und utopischen Ideen von klassenlosen Gesellschaften gehören zu Russlands Hauptexportgütern auch Milliardäre. 55 von ihnen soll es in Moskau und Umgebung geben – trotz Finanzkrise. Und: „Ihr Nationalstolz befiehlt ihnen, in russische Designer zu investieren“, erklärt Valentin Yudashkin, Russlands populärster Modeschöpfer. Als „Putin der Kunstszene“ bekannt, hat der Mann mit den leicht antoupierten Haaren gerade seinen größten Coup gelandet. Gemeinsam mit Chapurin verpasste er der russischen Armee (mit 1,2 Millionen Soldaten eine der größten Streitmächte der Welt) ein neues Outfit.

»Ich glaube fest an das Potential der russischen Mode«

Suzy Menkes

Einige Monat zuvor zeigte er seine Kollektion bei den Prêt-a-porter-Schauen in Paris. Stars, Journalisten, Unternehmergattinnen - die Blüte der internationalen Modebranche war gekommen. Sogar die Modekritikerin Suzy Menkes sah Chapurins Großstadtamazonen dabei zu, wie sie in asymmetrisch geschnittenen Kleidern versuchten, eine alte Kulturnation aus ihrem Dornröschenschlaf wach zu küssen. „Man spürte förmlich die Energie, den Willen eine modische Revolution in Russland zu entfachen“, analysierte für unser Magazin die Scharfrichterin der Mode kurz nach der Schau. „Über Jahre hin verfolge ich die Entwicklung der russischen Mode und glaube fest an ihr Potenzial“, so Menkes. Zu einer Symbolfigur dieses Potenzials ist auch Aliona Doletskaya geworden. Die Chefredakteurin der russischen „Vogue“ saß während

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obənauf

Ob Pelz, Uniform oder sibirisches Grau – Igor Chapurins Leise ist das neue Laut in Russlands Hauptstadt. Chapurin ist zum erfolgreichsten Designer der aufstrebenden Modenation avanciert. Seine scharf geschnittene, aber immer weibliche Mode gefällt nicht nur der Upperclass des Ostens. Mittlerweile hat der Modemacher auch im Westen viele Bewunderer.

Einige Offizier sollen sich zwar beschwert haben, sie müssten wegen der schmalen Silhouette der neuen Uniformen jetzt öfters in den Kraftraum. Der Präsiden aber, das bestätigte uns Yudashkin persönlich, soll begeistert gewesen sein. Und eines ist klar: Wer den Kreml als Investor hat, der muss seine Zukunft nicht mehr voraussehen, der hat sie bereits möglich gemacht.

Russlands junge Generation besinnt sich ihrer Herkunft

Wir haben so viel, worauf wir bauen können, wir müssen uns einfach nur emanzipieren.“ Chapurin sagt, man könne in Russland zurzeit die gleiche Entwicklung beobachten wie in Paris zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Kleine Werkstätten werden zu Manufakturen umgebaut, und diese vermutlich schon bald zu internationalen Unternehmen. Wie sehr die Finanzkrise der Entwicklung schaden wird, wollen wir wissen. „Finanzkrise, welche Finanzkrise“, platzt Michail Kusnirovich in den Raum. Er ist der CEO des russischen Unternehmens Bosco di Ciliegi und damit Herr über die luxuriösesten Shopping-Malls der ehemaligen Sowjetunion, das Warenhaus GUM am Roten Platz mit eingeschlossen. „In den ersten drei Monaten des Jahres 2009 lagen wir vier Prozent im Plus und der April sieht noch besser aus. Teure Marken wie Chanel, Max Mara oder Moschino verkaufen sich wie frische Piroschki“, lacht Kusnirovich, der nur zufällig in Chapurins Geschäft vorbeikam – in der rechten Hand hält er ein schlichtes Kleid aus der letzten Kollektion des Modemachers für 14.000 Dollar, in der Linken einen von Straußenfedern gesäumten Mantel, dessen Preis uns nicht einmal der Designer selbst verraten will. Aber: Was soll’s, seine 13jährige Tochter hat Geburtstag. „Leute, wie Kusniro-

»Wir sind jetzt ein Teil dieser Welt und keine unfreundlichen Kreaturen mehr, die hinter einer Mauer sitzen. «

Aliona Dolet skaya

Zurück in der Sawinnskaya 21. Igor Chapurin sitzt auf seinem selbst designten Ledersofa, trinkt schwarzen Tee mit viel Zucker und lässt die letzten Jahre Revue passieren. Ganz schlimm sei es in den 90ern gewesen. Damals hätten die Russen versucht zu vergessen, wer sie sind und woher sie kommen. Die eigene Herkunft wurde mit viel Blendwerk weggeschminkt. Weltenbürger wollte man sein. Die heutige Generation kehrt wieder nach Hause zurück, zurück zu sich selbst, zurück zu dem, was Chapurin „den russischen Charakter“ nennt. „Puschkin, der Prunk der Zaren, das Ballett des Bolschoi-Theaters oder Kasimir Malewitschs Konstruktivismus.

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„Als Amerikaner dachte ich, das Land wäre trist und grau, dabei ist es so voller Farbe und Energie“, schwärmt der Mann, den das Magazin „Time“ zu den 100 einflussreichsten Menschen der Branche zählt. Und das Modepotenzial? „Uneingeschränkt!“, findet Schuman. Es müsse sich nur ein Designer finden, dem es gelingt, die Kultur und Vergangenheit in einem Look zusammenzufassen. Einer, der sich auf der Suche nach Inspiration nicht nach Europa wendet, sondern die eigene Geschichte studiert. Der wird ein „Major Player“, davon ist Schuman überzeugt. Früher oder später werde Russland ohnehin die Mode diktieren, so wie die Belgier heute. Das wird allerdings noch dauern. 20 bis 30 Jahre, schätzt Schuman. Igor Chapurin trinkt schnell seine Tasse aus. 20 bis 30 Jahre? So lange will er dann doch nicht warten. Man solle bloß den russischen Konsumenten nicht unterschätzen. Er zählt schließlich zu den experimentierfreudigsten weltweit und ist bereit, für heimisches Design viel Geld zu zahlen. Selbst in Zeiten der Finanzkrise wird in Russland lieber auf das Essen als auf Mode verzichtet. Und sollte die Rezession doch einmal in der Sawinnskaya 21 vorbeischauen, Chapurin würde ihr ein Designerkleid entwerfen. Aufhalten lässt er sich davon jedenfalls nicht. l

vich sind ein Beispiel dafür, dass Russen immer bereit sein werden, für hohe Qualität den Rubel rollen zu lassen“, erklärt Chapurin. Außerdem seien alle Unternehmen von der Krise betroffen, egal ob national oder international. „Nur die Besten und Stärksten überleben“, meint er und man wird das Gefühl nicht los, Chapurin wisse bereits, dass er zu ihnen gehören wird.

Moskau lockt immer mehr internationale Fashionprominenz

»Als Amerikaner dachte ich, Russland wäre trist und grau, dabei ist es voller Farbe und Energie«

Der Weg von Prawda zu Prada scheint doch nicht so mühevoll zu sein – besonders wenn man ihn in High Heels zurücklegt. Das Land marschiert in Riesenschritten vorwärts. Moskau, die teuerste Stadt der Welt, lockt inzwischen immer mehr internationale Modeprominenz an. Neben Suzy Menkes, die dort 2007 Schirmherrin einer von der International Herald Tribune veranstalteten Luxuskonferenz war, findet man auch den Trendscout und Modeblogger Scott Schuman („The Sartorialist“) immer öfter in Russlands Hauptstadt.

Scott Schuman

Couturier Valentin Yudashkin, Chefredakteurin Aliona Doletskaya und Designer Igor Chapurin – gemeinsam schneidern sie an einem neuen Russland.

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Untəndurch

SHORT CUTS

„MERCI KARL“

„Merci Karl“ – mit seinem im Jahr 2007 erschienenen Enthüllungsbuch, sorgte A r n a u d Maillard, der jahrelang die rechte Hand Karl Lagerfelds war, für einen kleinen Skandal in der Modewelt. Nun kommt auch die deutsche Fassung, unter dem Titel „Karl Lagerfeld und Ich“ in die Regale. Mit privaten Geschichten und indiskreten Details beschreibt Maillard die Zeit als Untertan beim Modezar und bringt damit auf 256 Seiten zu Papier wie es im Königreich des Designers zugeht. Arnaud Maillard beschreibt den Narzissmus des Modeschöpfers, seine persönlichen Vorlieben und wie Kaiser Karl morgens direkt nach dem Aufstehen aussieht. Doch wer muss das wissen? Oder eher gesagt, wissen wir das nicht eh schon alles? Maillard und seine Enthüllungen beweisen nur einmal mehr, dass man mit peinlichen Lästereien über Ex-Arbeitgeber keine Bücher füllen sollte. vd

INDEPENDENT VERLAG SCHEITERT Die Magazine „Qvest“, „Luna“ und „Sleek“ müssen aufgefangen werden. Der erst im November 2008 von Lothar Eckstein gegründete Independent Verlag B 20 Publishing mit Sitz in Hamburg ist gescheitert. Unter dem Dach des Verlages befanden sich die unabhängigen Blätter „Sleek“, „Luna“ und „Qvest“. Die Verbindung der Magazine im Luxussegment sollte den Grundstein für einen Nischenverlag legen. Aufgrund der konjunkturellen Lage übernehmen jetzt die Berliner Unternehmer Markus Höfels, 44, und Christian Bracht, 40, das „Sleek Magazine“. „Der „Spiegel“ kann eine Anzeigenflaute wie derzeit verkraften“, so der Verleger Eckstein, „für so ein kleines Haus wie uns ist das fast unmöglich.“ Das einst ebenfalls von B20 Publishing publizierte Familienmagazin „Luna“ und das Kunst-und Modemagazin „Qvest“, haben bereits zuvor eine neue Verlagsheimat gefunden. “Luna‘“ gehört mittlerweile dem Verlag Medikom, der von dem Hamburger Verlag Junior übernommen wurde. „Qvest“ haben die früheren Medikom-Gesellschafter Michael Kaune und Malte Sudendorf gekauft. nh

LITTLE MISS SUNSHINE? Das Geschäft mit Baby Dior und Kinder-Cavalli boomt. Doch müssen schon Dreijährige wissen, was gerade Mode ist und wie ihr perfekter Body-Mass-Index lautet? Jedes kleine Mädchen möchte einmal im Leben Prinzessin sein: Von den schönen Kleidchen bis zum perfekten Make-Up. Doch wie schnell ein Traum zum Alptraum werden kann, zeigen aktuelle Entwicklungen. Nicht zuletzt dank hochwertiger Kinderkollektionen, wie z.B. Baby-Dior, sind Kindermodels gefragt wie nie. Doch das Geschäft mit den Kleinsten ist brutal: Während sich in Casting-Shows wie jener von Frau Klum die Möchtegern-Models wenigstens freiwillig zum Affen machen, wissen die manchmal erst Dreijährigen (!) noch nicht einmal, wie ihnen geschieht: Warum sie, statt mit den Nachbarkindern zu spielen, zum Lauftraining müssen, warum sie nur essen dürfen, was auf ihrem Ernährungsplan steht, und warum Mami sie mit eiserner Hand festhält und schminkt, obwohl sie schreien und weinen. Bisheriger Tiefpunkt in den USA: Schönheits-OPs für Kinder – von Botoxbehandlungen gegen das Schwitzen bis hin zur Nasen-Korrektur. Was für uns wie purer Wahnsinn klingt, ist für die fanatischen Model-Mütter die Chance, ihre Kinder die eigenen unerreichten Träume leben zu lassen. ms

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UNSERE MEINUNG: BLOGS Was früher noch die It-Bag war, ist heute das Blog: Für ein Fashion Victim gehört es mittlerweile zum guten Ton zu bloggen. Der Einfluss der „modischen Tagebücher“ wächst stetig: Fashionblogs sind aktueller, persönlicher und vielfach auch kreativer als die alteingesessenen Modebibeln „Vogue“ oder „ELLE“. Die meisten Blogs werden jedoch von Amateuren betrieben, die zum Teil noch studieren, oder zur Schule gehen. Heutzutage kann eben jeder, der Lust hat, im Internet die Blogosphäre mit Beiträgen zupflastern. Nach Schätzung des Dienstes „Blogcensus“ gibt es allein in Deutschland 125.000 Weblogs, die täglich aktualisiert werden. Doch die Frage ist: Wen interessiert es eigentlich, wenn Lieschen Müller ein Outfit auf ihrem Blog postet? Außer ihren Freundinnen wahrscheinlich niemanden. „Natürlich gibt es viel Schrott unter den Blogs“, sagt auch Gunnar Hämmerle vom Streetstyle-Blog „styleclicker“. Die meisten sind zusammengeflickt aus PR-Texten und dem, was man aus anderen Online Tagebüchern übernehmen kann. Dann noch mit ein paar Outfit Fotos gewürzt und fertig ist das

Blog. Aber gekaufte Outfits aus der Trend-Abteilung von H&M und die zum Teil an Sucht grenzende Shopping Wut in Outfi - Posts zu zeigen, stellt noch Lange keine künstlerischen Leistung dar und hat mit Modejournalismus wenig zu tun. Doch auch professionellere Modeblogs haben so ihre Probleme: Sie behaupten unabhängig von Anzeigen zu sein und könnten daher Kritik an Designern üben, ohne wie große Magazine zu fürchten, dass ihnen die Anzeigenkunden abspringen. Wie kann es dann aber sein, das große Blogs wie zum Beispiel „LesMads“ vom Burda Verlag betrieben werden? Ein Paradoxon in sich. Erstaunlich ist auch, dass die auf Individualität getrimmten publizierten Outfits, im Endeffekt doch von Berlin bis Tokio gleich aussehen. Mit den Modeblogs verhält es sich wie mit dem Fernsehprogramm: Masse war da noch nie ein Garant für Qualität. nh

FAKE PARTY Es gab Zeiten, da kam man nur über dubiose Straßenhändler in heruntergekommen Gegenden an gefälschte Designerteile. Damals hatte eine schlecht kopierte Chanel-Tasche noch was verbotenes. Seit sich der Handel mit Plagiaten ins Internet verlagert hat, ist das anders. Zahllose Replika-Online-Shops verkaufen von der Louis Vuitton Monogram Grafitti Bag bis zu den neuesten Louboutins jedes nur erdenkliche Designer-Stück in Fake-Version – zu einem Bruchteil des OriginalPreises und ganz ohne schlechtes Gewissen. Dass die rote Farbe an der Sohle schon nach ein paar Tagen abblättert und die Tasche nicht aus Leder, sondern aus billigem Kunststoff ist, ist dabei nebensächlich. Preis und Name müssen stimmen. Und weil es sich gemeinsam viel schöner shoppt, treffen sich jetzt immer mehr junge Frauen zu sogenannten Fake-Parties. Erst werden die Originale bei Gucci, Louis Vuitton oder Prada im Netz recherchiert, danach die besten Replikas gemeinsam bestellt. So schnell die Teile geliefert werden, landen sie dann übrigens auch wieder auf dem Müll.

vz

WER HATS ERFUNDEN? NOLAN MILLER! Geht’s um die 80er, denkt man unweigerlich an gepflegte Yuppies und ihre kostspieligen Outfits. Mit zweireihigen Designeranzügen, taillierten Powerkostümen, extra großen Schulterpolstern, Ballonröcken und Puffärmeln in glänzenden Stoffen und schrillen Farben wurde im Jahrzehnt des Markenwahn und Labelfetischimus eher geklotzt als gekleckert. Christian Lacroix, Calvin Klein oder Ralph Lauren feierten hier ihre größten Erfolge. Während Lacroix eher für seine ausgefallenen Roben bekannt war, stehen US-Marken wie Calvin Klein oder Ralph Lauren für tragbare Alltagsmode. Jean-Paul Gaultier besetzte die extravagante Sparte und verpasste Madonna gar ein Bühnenoutfit mit riesigen Eistüten am Busen. Doch wenn es einen gibt, dessen Kleider das Lebensmotto der 80er „Dress for Sucess“ perfekt widerspiegeln, dann ist das Nolan Miller. Er prägte maßgeblich den Look der Dekade als Kostümbildner der Erfolgsserie „Denver Clan.“ Für seine außergewöhnlichen Kostüme war er ab 1983 sogar viermal hintereinander für den Emmy Award nominiert. Die Miller-Kreationen wurden so populär, dass die Produzenten des „Denver Clans“ sich entschieden, eine Damenlinie und später auch eine Herrenlinie in Anlehnung an die Kostüme herauszubringen. Miller machte zudem auch Karriere als privater Designer, unter anderem für Sophia Loren, Elizabeth Taylor and Joan Collins. Also bitte, vergessen Sie den guten Nolan Miller nicht, wenn es um die 80er geht. vd

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UNTənduRCH

Schein oder nicht Schein Auf der Suche nach makelloser Schönheit erreicht die Bildbearbeitung dank des Adobe Photoshops eine neue Perfektion – aber ist das nicht langsam zu viel des Guten?

Text: David Englmeier

Interview: Michael Scherer

Ob es schon zu Zeiten der Höhlenmenschen einen künstlerisch besonders begabten Zeitgenossen gab, der dafür zuständig war, die heroischen Jäger in den Wandmalereien noch muskulöser und schöner erscheinen zu lassen, als sie der ursprüngliche Künstler gemalt hatte, bleibt ungeklärt. Doch bleibt dies ungeklärt. Schon aus den Epochen die folgten, wissen wir, dass sich die Menschen bei jeglicher Art von Darstellung immer mehr einem Schönheitsideal angenähert haben, als sie es in Natur hätten je erreichen können. Gerade die alten Ägypter ließen bekanntlich kaum ein echtes Haar an ihrem Äußeren: Es wurde geschminkt, gezupft und gefärbt und was in der Realität noch nicht gut genug war, wurde dann eben auf den Papyrusmalereien verbessert. Besonders in der Mode, der eitlen Geißel der Menschheit - so bezeichnet schon von Imanuel Kant - war das Streben nach physischer Perfektion mehr als präsent. Als mit Erfindung des Drucks die sogenannten Modekupfer (frühe Grafiken) als Maßstab für die Schönheit der damaligen Zeit galten, ließen es sich die Pariser, deren Stadt seit Erstürmung der Bastille zur freien Modehauptstadt Europas avanciert war, natürlich nicht nehmen, sich ein wenig hübscher darzustellen, als es schon alleine

die überlieferten hygienischen Verhältnisse überhaupt zugelassen hätten. Enge Taillen, turmhohe Frisuren, ein schneeweißes Gesicht - so schwierig dies in Realität zu erreichen war, so gerne wurde ein Künstler beschäftigt, der die Wahrheit eben ein wenig optimierte. Bis zur Erfindung der Fotografie, die übrigens wegen dem hohen Wahrheitsgehalt der Bilder zunächst nicht als Kunstrichtung akzeptiert wurde, war es also Gang und Gäbe, das zeitgemäße Schönheitsideal in übertriebenen Darstellungen zu bewundern und diesem nachzueifern. Man konnte davon ausgehen, hier eine zwar überzeichnete, aber doch erstrebenswerte Vorlage zu sehen. Grundsätzlich bildeten Fotografien nun zunächst einmal die „ungeschminkte“ Wahrheit ab, und so galt ein Fotograf in den Anfangszeiten nur dann als Könner, wenn er auch die Nachbearbeitung beherrschte. Die Werkzeuge heißen immer noch wie vor gut einhundert Jahren (Pinsel, Schwamm und Abwedler), in modernen Fotoateliers sind sie jedoch nur noch digital zu finden. Seit gut zwanzig Jahren revolutioniert der Adobe Photoshop regelmäßig die Nachbearbeitung und hält so praktische keine Grenzen mehr in Bezug auf die Retusche bereit. Die Haarfarbe kann problemlos in alle Töne

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Perfekte Schönheiten oder unnatürliche Statuen? Scarlett Johansson und Keira Knightly auf dem Cover der Vanity Fair - im Hintergrund saß übrigens noch Tom Ford, bevor er dem Photoshop zum Opfer fiel.

geändert werden, das Körpergewicht um beliebig viele Kilos reduziert und jegliche Operation, die der Schönheitschirurg (noch) nicht hinbekommt, kann am Computer mit ein paar Klicks und entsprechendem Vorwissen durchgeführt werden. So erhält jeder gealterte Filmstar problemlos ein Gesicht, das er nicht mit zwanzig gehabt hat und Figurprobleme nach einer Promischwangerschaft verschwinden auf magische Weise. Doch so leicht Photoshop einem das Verändern von Bildern erlaubt, merkt man noch immer recht schnell, ob ein Könner oder ein Möchtegern am Werk war. So zum Beispiel wenn statt ein paar überflüssiger Kilos mal ein ganzes Bein verschwindet oder Brad Pitt ein zusätzliches Adoptivkind auf die Schulter kopiert bekommt. So etwas findet sich im Internet nun gemeinhin unter dem Stichwort Photoshop-Disaster und das wäre früher bestimmt nicht vorgekommen denn ein Maler, der einem Monarchen damals ein Bein abgeschnitten hätte, einen extra Finger oder einen giraffenähnlichen Hals verpasst hätte, wäre vermutlich nicht alt geworden. Und doch sind

es trotz einer immer größeren Selbstverständlichkeit in Hinblick auf die Macht des Computers genau diese kleinen Fehler, die auch zu einer allgemeinen Aufklärung des Phänomens Photoshop geführt haben. Wenn solche extremen Fehler passieren können, was ist generell möglich? Die Antwort ist simpel: einfach alles. Da dem Nachbearbeiter so gut wie keine Grenzen mehr gesetzt sind, geht die Natürlichkeit leicht und oft verloren. Doch zeichnet sich ein elementarer Wandel ab. Mittlerweile scheint die Gesellschaft von Schönheits-OPs, den damit verbundenen Fernsehshows, gefühlten eine Million MakeUp-Firmen und eben den perfekten Fotos in Zeitungen und Magazinen übersättigt zu sein. Parallel zur Wiederentdeckung des Öko-Trends (ohne Alt-Hippies und ungewaschenen Haaren) hält nun vielleicht auch eine neue Natürlichkeit Einzug in unser Schönheitsideal. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit? Nein, nicht ganz. Nach Zeiten des Barocks verzeichnen wir die kurze Epoche des Empire-Stils, die völlig

Was ist generell möglich? Die Antwort ist simpel: einfach alles.

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UNTənduRCH

ungeschminkt, natürlich, schnörkellos und sehr schlank daherkam. Die Models einer äußerst erfolgreichen Kampagne des Kosmetikunternehmens Dove haben zwar ein paar Kilos mehr auf den unretuschierten Hüften als Josephine, Napoleons Gemahlin, die als klassisches Beispiel für den Empire-Stil gilt, doch sind sie fast genauso erfolgreich wie Frankreichs spätere Kaiserin. Ein kurzer You-Tube-Film der Firma, der eine durchschnittliche Frau zeigt, die innerhalb weniger Stunden im Zeitraffer zu einem Supermodel geschminkt, gestylt und natürlich geshoppt wird, soll die manipulative Kraft der Schönheitsindustrie entlarven und die Kundinnen zurück zu ihrer eigenen Natürlichkeit finden lassen. Im Endeffekt waren auch diese Modelle nicht unbearbeitet, wie einige Experten im Nachhinein feststellten, doch die Botschaft ist klar: mehr Natur, weniger Perfektion. „Ich glaube inzwischen, dass diese glatten

Gesichter bald nicht mehr gefragt sein werden“, meint Lauren Hutten, die mit ihren 66 Jahren weder Botox noch Chirurgen und am allerwenigsten Bildbearbeiter an ihr Gesicht lässt und immerhin das erste Supermodel der Geschichte ist. Auf dem Cover der französischen Elle war neulich eine weitestgehend ungeschminkte und vor allem unbearbeitete Scarlett Johansson zu sehen. Immerhin 66% der Leser eines bekannten Internetblogs fanden das Foto großartig, so wie es war. Aber wollen wir in der Glitzerwelt von Haute Couture, Hochglanz-Magazinen und Hollywoodglamour wirklich natürliche Menschen sehen? Ist es nicht gerade diese Perfektion, die uns aus der Alltagswelt entfliehen lässt? Wir haben mit Dorothea Bitterling, die seit über 27 Jahren als Nachbearbeiterin arbeitet, über diese und andere Themen gesprochen, denn: Sein oder Schein, das ist hier die Frage.

Der Bildbearbeiter Glenn Feron rühmt sich für seine Retuschearbeit. Sein Handwerk beherrscht er in der Tat, aber muss Stilikone Anna Piaggi wirklich völlig glatt gebügelt werden?

Links Nina Garcia, die attraktive ehemalige Modeleiterin der amerikanischen Elle. Rechts Ferons Traumbarbie.

Die New Yorker Designerin Behnaz Sarafpour ist eigentlich auch ohne unnatürlich Retusche eine hübsche Frau.

Das britische Nachwuchsmodel Victoria Ekong wirbt lieber mit dem verschönertem Bild in ihrer Mappe. Ob‘s hilft?

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»In den USA wird ganz oft die Vagina weggemacht« Natürlich! Ich wäre ja dumm, wenn nicht! (Lacht) Lange Haare, kurze Haare, alles schon gemacht...

die Länge ziehen. Oder in Erotikmagazinen in den USA wird ganz oft die Vagina weggemacht. Eine Umfrage hat da einmal ergeben, dass viele junge Leute denken, eine Frau sieht da unten echt so aus – glatt wie eine Barbie. Aber ich persönlich denke, wer halbwegs intelligent ist, der weiß doch, dass das nicht echt ist... nicht echt sein kann!

Wie lang machen Sie den Job denn schon?

Meinen Sie denn, dieser Trend hält an?

Seit fast 27 Jahren. Damals ging’s natürlich noch anders zu: Da wurde mit Airbrush gearbeitet. Man hat Fotoabzüge bekommen, hat die Elemente, die nicht verändert werden sollten, mit Folie abgeklebt, und ist dann mit der Sprühpistole immer wieder ganz fein über das Bild gegangen – wie beim Autolackieren.

Ich glaube, dass die Entwicklung bald ins Gegenteil umschlägt. Also nicht, dass wir alle wieder total behaart werden, aber vielleicht macht man sich bald wieder etwas hässlicher. So wie Kate Moss damals mit dem HeroinChic, wo man sich dann extra Augenringe geschminkt hat, weil das damals eben einfach cool und sexy war. Und es kommt, denke ich, wieder mehr auf die inneren Werte an. Denn jetzt ist gerade so ein LangeweileZenith erreicht, wo man so satt ist von dem Ganzen, weil man nichts überraschendes mehr in den Magazinen sieht...

Frau Bitterling, Sie verschönern beruflich Bilder. Motzen Sie denn auch die eigenen Bilder auf?

Und wie geht es bei Photoshop? Im Grunde genauso – nur eben digital. Zum Beispiel sind es im Photoshop noch immer die gleichen „Werkzeuge“. Man merkt, dass wer immer das programmiert hat, das Retuschieren auch mal mit der Hand gelernt haben muss. Dank Photoshop kann inzwischen jeder seine Bilder selbst retuschieren. Merkt man das? Also im negativen Sinne... Absolut! Vor allem Fotografen halten sich da oft für die totalen Helden. Eine Fotografin hat mal alle ihre Bilder einfach komplett mit dem Weichzeichner bearbeitet, so dass die Gesichter wie Barbiepuppen aussahen, wie aus Plastik. Sogar die Männer!

Also bald unretuschierte Stars auf Magazincovern? Naja, ganz so krass bestimmt nicht. Keiner will ein hässliches Bild sehen, wenn er die VOGUE aufschlägt. Normale Menschen sehen wir schließlich jeden Tag auf der Straße. Die Leute wollen ab und zu in die schöne Glamour-Welt der Stars eintauchen, und dazu gehört eben auch die perfekte Göttin aus Hollywood. Wobei Paparazzi-Fotos von ungeschminkten Stars gleichzeitig ja auch sehr begehrt sind...

Keine Chance! Als ich ganz freundlich meinte, ich könne ihr gerne mal zeigen, wie man das ein bisschen... sagen wir mal „genauer“ macht, ist sie richtig ausgeflippt: Was ich mir einbilde, das sähe super aus und ihre Kunden fänden das klasse!

Na klar. Wenn ich als Frau sehe, dass Victoria Beckham auch Cellulite hat, oder Madonna einen faltigen Hals, dann fühle ich mich besser, weil ich weiß: „Na also, die sieht trotz OPs auch nicht immer so toll aus.“ Obwohl man im Grunde ja sagen müsste „Ich habe so etwas gar nicht nötig! Ich bin so, wie ich bin, zufrieden mit mir.“ Aber das Aussehen ist in unserer Gesellschaft so wichtig, und jeder, der zu mir sagt, das sei nicht so, der lügt.

Wie macht man es denn besser?

Deswegen: Sollen wir Ihr Foto verschönern, oder im Original lassen?

Unregelmäßigkeit erschafft Regelmäßigkeit, heißt das Motto. Man muss sich wirklich die Mühe machen, ganz viele kleine einzelne Punkte zu setzen. So sieht das Auge den Schwindel nicht.

Also, wenn wir schon über so ein Thema reden, dann natürlich nicht verschönern. Hauptsache, wir schießen das Foto nicht sofort, denn heute sehe ich echt bescheiden aus... (lacht) l

Konnten Sie denn als Bildbearbeiterin da nicht eingreifen?

Welche Partien müssen Sie denn am häufigsten bearbeiten? Die Augen und die Zähne. Und das berühmte Glänzen auf der Nase. Zu wissen, wie man sich schminkt, hilft auch oft: Zum Beispiel ein etwas dunklerer Strich auf einer großen Nase lässt sie gleich nicht mehr so mächtig wirken, weil Helles ja hervorsticht. Sind eigentlich Männer oder Frauen eitler, wenn es ums Retuschieren geht? Also, WENN Männer eitel sind, dann gleich extrem! Frauen sind eher dankbar, dass man sie schön macht, aber Männer – besonders mittleren Alters – die bestehen drauf, wieder auszusehen wie 20. Das ist ja überhaupt der Trend: Ewig jung zu bleiben, nicht mehr nur in Hollywood. Haben Sie nicht manchmal ein schlechtes Gewissen, weil Sie mit Ihrer Retusche zu diesem verzerrten Schönheitsideal beitragen?

Als Dorothea Bitterling (43) ihre Laufbahn als Reinzeichnerin in einer Werbeagentur begann, kam gerade der Computer und mit ihm der Adobe Photoshop auf. Als Photoshoperin der ersten Stunde wurde Bitterling schnell zum Profi. Heue lebt sie in München und arbeitet als selbstständige Grafikerin für verschiedene Magazine, wie z.B. Gault Millau oder finetobacco.

Ich versuche immer, nicht zu übertreiben bei meiner Arbeit. So wie die Modezeitschriften, die ihre mageren Models dann noch zusätzlich in

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IMPRəSSUM

Judith Heede Chefredakteurin David Englmeier Art Director Vanessa Dübell Ressortleiterin Untendurch Nathalie Güttler Redakteurin Beatrice Hettlage Redakteurin

Valerie Zehethofer Chefredakteurin Zahra Walberer Art Director Larissa Lilje Ressortleiterin Obenauf Petr Matejcek Redakteur

Natalie Helmö Chef vom Dienst Lilian Ingenkamp Ressortleiterin Nebenan Stephanie Wilde Redakteurin Sandra Loos Redakteurin

Corinna Strohmayer Redakteurin

Yasemin Oyan Chef vom Dienst Natascha Wolf Ressortleiterin Mittendrin Luisa Grußendorf Ressortleiterin Dahinter Klara Neuber Redakteurin

Michael Scherer Chefredakteur

Unsere besten Stücke.

Anschrift der Lehrredaktion: Infanteriestraße 11a, 80797 München; Herausgeberin: Sabine Resch; Beratung der Redaktion: Carolin Schuhler (Gesamtkonzept), Michael Weies (Art Direction), Gerlind Hector (Text), Dorothea Bitterling (Layout), Gundi Patscheider (Styling), Frank Gerbert (Marketing & Onlineauftritt), Karen und Erdmute Weidner (Do it yourself); Redaktion: Michael Scherer, Valerie Zehethofer, Judith Heede, Yasemin Oyan, Natalie Helmö, Zahra Walberer, David Englmeier, Natascha Wolf, Lilian Ingenkamp, Larissa Lilje, Vanessa Dübell, Luisa Grußendorf, Stephanie Wilde, Petr Matejcek, Nathalie Güttler, Klara Neuber, Sandra Loos, Corinna Strohmayer, Beatrice Hettlage Anzeigenabteilung: Stephanie Wilde, Zahra Walberer, Beatrice Hettlage, Valerie Zehethofer; Marketing: Stephanie Wilde, Vanessa Dübell, Larissa Lilje, Sandra Loos, Klara Neuber, Beatrice Hettlage, Luisa Grußendorf, Zahra Walberer; Mitarbeiter dieser Ausgabe: Yvonne Kaufmann, Matthias Garvelmann, Kilian Bishop, Jean Moritz Steffens, Georg Kronawitter; Druck: Miraprint, Danziger Straße 1, 82131 Gauting, www.miraprint.de; Diese Ausgabe erschien im Rahmen der Lehrredaktion II der AMD München, MM8, 6. Semester und gelangt nicht in den öffentlichen Verkauf.

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Max Josef St rauss ß Letzte Səite

Im Kleiderschrank mit Max Strauß sprach mit MODE nicht über Finanzverbrechen, Rüstungslobbyisten oder seinen berühmten Vater. Er sprach mit uns über Tattoos, Maßanzüge und Irokesenschnitte.

Dresscodes und Maßanzüge doch ganz schnell über Bord geworfen, Lieber Herr Strauß, ich sehe, Sie haben die Initiale MJS auf Ihrem oder? Manche Leute, die in die Psychiatrie kamen, waren auch persönlich Hemd gestickt, Maßanfertigung? Für mich das einzig Richtige. völlig fertig: Da ist die Kleidung im Eimer, da gibt es keine Hygiene, keine London oder Mailand? München. In Deutschland gibt es nur einen, der es Tischmanieren. In meiner Krankenakte standen immerhin noch die beiden richtig macht und das ist der Maßkonfektionär Maile. Das Haus hat mich Worte: Gepflegte Erscheinung. Menschen, die in Depressionen verfallen, deswegen begeistert, weil es dort noch zugeht wie bei einem alten Schneihaben keine Achtung mehr vor sich selber, und das spiegelt ihre Kleidung der, der genau weiß, wo er hinfassen muss. wider. Nebenbei bemerkt, das sind riesen Prozentzahlen, von denen wir hier Womit sollte sich ein Mann, neben einem Maßanzug von Maile, denn reden. Und es werden immer mehr, da immer mehr Menschen in immer noch schmücken? Einer Uhr – meinetwegen noch mit einer Brille, aber da weniger gesicherten Stellungen leben. auch nur sehr vorsichtig. Besser anziehen hilft da aber auch nicht. Was diese Menschen oft nicht Einer goldenen Pilotenbrille zum Beispiel, die tragen Sie auf einem mehr haben ist eine innere Ordnung und zu der gehört natürlich auch die berühmten Foto aus den 80er Jahren. Ja, aber Mode ist mir heute Mode. Der Mensch strahlt das aus, was er ist. Diese Ordnung muss man fast noch wichtiger als damals, weil sie den Eindruck von einem Menschen einfach wieder herstellen. gibt. Das Verhalten eines Menschen zur Mode zeigt, was er sich selber wert Ist die Kleidung, die wir derzeit tragen, ein Zeichen dieses Autoritätsist. Und letztendlich ist das, was er sich selber wert ist, auch das, was ihm verfalls? Na ja, wir haben derzeit ja gar seine Umwelt wert ist. Das ist für mich der keine Linie mehr. „Sex sells“ ist momentan entscheidende Punkt der Mode und den die Linie. Das, was man in den 60er Jahren habe ich lange unterschätzt – das versuche vielleicht als Revolution begonnen hat, ist ich jetzt zu korrigieren. heute omnipräsent. Sie geben jetzt also Unmengen von Geld Ärgert Sie, dass sich das so stark für Kleidung aus? Nein, das nicht, aber ich geändert hat? Ja und nein. Wissen Sie, bin bereit für Qualität zu bezahlen. Nicht ich glaube, dass das Wichtige an Mode für Produkte die teuer sind, weil ein großer Dasjenige ist, dass man seinem Gegenüber Name draufsteht, aber für Produkte, die anmerken muss, dass er Spannung und ihren Preis Wert sind. Kraft ausstrahlt. Das muss er haben und Bleiben wir doch noch für einen Moment dann soll er ruhig in einem billigen T-Shirt in den 80ern: damals hatte Gloria von kommen. Man muss einfach sehen: der Thurn und Taxis einen wilden IrokeMensch hat Spannung, der Mensch hat dir senschnitt, haben Sie sich nicht auch was zu sagen, und das ist für mich Mode. so einen gewünscht? Nee, nee, nee! Ein …ein Kulturphänomen? Ja, absolut. AnIrokesenschnitt ist ja nur ein Versuch, mit Max Strauß (* 24. Mai 1959 in München; gefangen bei den einfachsten Stämmen bis Gewalt auf sich aufmerksam zu machen eigentlich Maximilian Josef Strauß) ist Jurist und der zu unseren Politikern. Mode ist allgegenund das hatte ich nie nötig. Bei den meisten älteste Sohn des ehemaligen bayerischen Ministerpräwärtig. Menschen ist das ohnehin nur ein kurzes sidenten und CSU-Vorsitzenden Franz-Josef Strauß. Sicherlich auch bei Ihnen zu Hause, Sie Intermezzo, und nicht von Erfolg gekrönt. 1995 wurde ein Verfahren wegen des Verdachts auf sind Vater von zwei Töchtern. Ja, die Sie und Ihre Geschwister hatten also Steuerhinterziehung gegen Strauß eingeleitet. 2007 wurde er vor dem Augsburger Landgericht freigesprosind da beide sehr bewusst. Wobei, ich nie Probleme mit dem Dresscode der chen. 2003 war Strauß wegen schwerer Depressionen möchte, dass sie zu Persönlichkeiten herFamilie Strauß? Wir Strauß-Kinder haben für einige Monate in stationärer Behandlung in der anwachsen, die ihre Wichtigkeit nicht über nie gegen die Älteren aufbegehrt. Unsere psychiatrischen Universitätsklinik an der Münchner Kleidung definieren. Was Mode angeht bin Eltern haben uns liberal erzogen und dunkle Nussbaumstraße. ich tolerant. Aber natürlich gibt es auch bei Punkte in der Vergangenheit hatte auch uns Grenzen. Ich bin ein strenger Gegner keiner aufzuweisen - etwa während der von Piercings und Tattoos, und was weiß Nazi-Zeit. Den Widerspruch, den die 68er ich, was es da noch für furchtbaren Murks gibt. Generation hatte, hatte ich also nie. Ich musste nie fragen: Was hast du im Und wenn sich eine Ihrer Töchter zum Geburtstag doch ein Tattoo Krieg gemacht? wünscht? Sie sind beide zu selbstbewusst, um so einen Ersatz zu brauchen. …und so fehlte Ihnen die Motivation mit langen Haaren und Bart gegen Ein Tattoo ist für mich so lange in Ordnung, so lange es nur ein Abziehbild die Elterngeneration zu rebellieren? Genau, das gab es bei mir nicht. ist, das maximal vier Wochen hält. Ein Mensch muss immer die Chance Vielleicht fehlt mir damit auch was – das weiß ich nicht. haben, sich von dem Thema lösen zu können. Ich halte Tattoos für eine komGab es denn überhaupt einen Dresscode? Klar: das was heute plette Fehlentwicklung. Wenn es einer mit so einem Abziehbildchen macht zum Teil möglich ist, mit offenem Hemd in die Oper und ähnund es in vier Wochen ab ist – ok, akzeptiert. Was mich daran stört, ist die liche Geschichten, das war damals undenkbar. iew r v r Endgültigkeit. Also Tattoos – never ever. In Ihrem Leben gab es ja auch schwierigere Zeiten, e Int olle Das Sie in v 8. Auch nicht, wenn es ein CSU-Tattoo wäre? Das wäre das Schlimmste! l Sie litten an schweren Depressionen. Da werden en mm find ge auf .de Interview: Petr Matejcek Län gonline a 128 im

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