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Amnesty unterstützt Indigene: Würde und Autonomie
»Indigene organisieren sich«
Immer wieder kommt es zu Konflikten um indigene Gebiete, weltweit sind indigene Bevölkerungsgruppen gefährdet. Der Amnesty-Experte Chris Chapman über ihre Rechte und Kämpfe.
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Interview: Marianne Kersten und Maik Söhler
Die UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker enthält die Rechte auf Selbstbestimmung und auf Teilhabe an Entscheidungen, die zum Beispiel die Ressourcenausbeutung auf indigenem Land betreffen. Warum sind diese Rechte von zentraler Bedeutung?
Das Völkerrecht versteht Indigene als eine Gruppe, die von anderen Gruppen kolonisiert und entrechtet wurde. Es gibt indigenen Völkern die Möglichkeit, dies anzufechten und ihre Würde und Autonomie zurückzuerlangen. Das Recht auf Selbstbestimmung bedeutet, dass sie das Recht haben, über sich selbst, ihr Land und ihre Ressourcen zu bestimmen. Das Recht auf eine freie, vorherige und informierte Zustimmung zu Entscheidungen bedeutet, dass Regierungen in aufrichtiger Absicht auf indigene Völker zugehen müssen, um deren Zustimmung zu erhalten, wenn geplante Projekte das Land, die Ressourcen oder die kulturelle Identität Indigener betreffen.
Welche Bedingungen gelten in diesen
Fällen?
Nachdem alle relevanten Fakten offengelegt wurden, muss die Zustimmung ohne Zwang erfolgen. Regierungen müssen den Prozess der Entscheidungsfindung der indigenen Bevölkerung respektieren und ihr dafür so viel Zeit wie nötig einräumen. Wenn möglich muss der Staat auch technische oder juristische Hilfe stellen, sodass Indigene in vollem Umfang einschätzen können, was das jeweilige Vorhaben für sie bedeutet.
Viele Länder, die der Erklärung zugestimmt haben, halten sich dennoch nicht daran. Wie werden Indigenenrechte umgangen?
Indem zum Beispiel Schutzgebiete wie Nationalparks oder geschützte Wälder ausgeweitet werden. In vielen Fällen wird das Prinzip der »abgeschotteten Konservierung« (»Fortress-Conservation«) angewendet. Das heißt, dass außer Tourist*innen und Naturschützer*innen alle Menschen das jeweilige Gebiet verlassen müssen. Auf diese Art wurden bereits viele indigene Völker aus ihren Gebieten vertrieben und in Armut gedrängt. Außerdem trennt man sie damit vom Land ihrer Ahnen, das die Basis ihrer spirituellen und kulturellen Identität darstellt.
Gibt es noch andere Beispiele?
Derzeit arbeiten Regierungen, die das Übereinkommen über biologische Vielfalt unterzeichnet haben, an einem globalen Rahmenabkommen zu Biodiversität. Es sieht vor, 30 Prozent der Erdoberfläche unter Schutz zu stellen. Indigene Völker sehen darin eine Bedrohung und fordern Schutzmechanismen, um sicherzustellen, dass auf ihrem Land keine Schutzgebiete ohne ihre Zustimmung eingerichtet werden. Die Regierungen haben aber bei der Vereinbarung das letzte Wort. Auch beim Naturschutz meinen viele Regierungen und Bürger*innen wohlhabender Länder, »es besser zu wissen«, und drängen entrechteten Völkern ihre Projekte auf. Das muss aufhören. Stattdessen sollten die indigenen Völker zu Wort kommen, die die Biodiversität und die Umwelt viel erfolgreicher schützen als die Regierungen.
Was unternehmen indigene Völker, um ihre Rechte durchzusetzen?
Sie äußern sich häufiger und lauter als bisher und prangern die Missstände an, denen sie ausgesetzt sind. Außerdem organisieren sie sich – sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene.
Welche Rolle kann Amnesty International dabei spielen?
Amnesty sollte unterstützend tätig sein. Wir stehen nicht im Mittelpunkt, sollten aber unsere Möglichkeiten nutzen, um den Stimmen der indigenen Völker mehr Gehör zu verschaffen. ◆
Übersetzung: Viktoria Kunz und Alexandra Reuer
Chris Chapman arbeitet im Internationalen Sekretariat von Amnesty International in London zu den Rechten indigener Völker.
Foto: privat