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Migration in die USA: Die Wüste als Waffe

Die Wüste als Waffe

Seit fast 25 Jahren kommen im Grenzgebiet zwischen Arizona und Mexiko Menschen auf der Flucht um. Die Gerichtsmedizin, Anthropolog*innen und Freiwillige suchen nach Toten, sichern Spuren und tragen zur Identifizierung bei. Von Arndt Peltner, Arizona (Text und Fotos)

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Der Weg zu einem besseren Leben führt dort entlang. Wüste in Arizona.

James Holeman tritt auf die Bremse. »Kannst Du es riechen?«, fragt er. »Hier ist es.« Wir sind etwa 20 Meilen in seinem alten Pick-up auf einer unbefestigten Straße Richtung Westen gefahren. Holeman hatte am Morgen telefonisch Informationen zu einem Fundort bekommen. »Er ist noch immer hier.« Holeman dreht sich weg und zieht den Kragen seines Hemdes über die Nase. Der stechende Geruch eines verwesenden Leichnams liegt in der Luft. In einem Wasserrohr unterhalb der Straße liegt ein menschlicher Körper, nur ein paar Meter von der Mauer entfernt, die Donald Trump errichten ließ. Die rechte Hand ist starr nach oben gerichtet. Der Kopf des Mannes liegt auf dem Oberarm.

James Holeman markiert die Stelle mit einem rosafarbenen Band, notiert sich die genauen Koordinaten und gibt diese an das Büro des Sheriffs weiter. Am nächsten Tag erfährt er, dass der Leichnam des 25-jährigen Cristian H. aus Mexiko gefunden und gesichert wurde. Der Tote hat nun einen Namen, mithilfe des mexikanischen Konsulats können nun die Angehörigen ermittelt werden. Es ist genau das passiert, was Holeman gehofft hat und weshalb er überhaupt in der Wüste unterwegs ist.

Der 57-jährige Golfkriegsveteran gründete vor ein paar Jahren seine eigene gemeinnützige Organisation: Battalion Search & Rescue. Seitdem hat er ein paar Mitstreiter*innen um sich geschart und fährt regelmäßig in die Wüste südlich und südwestlich von Tucson in Arizona, um nach den »Verlorenen, aber nicht Vergessenen« zu suchen. Die Sonora-Wüste ist eine schöne und faszinierende Landschaft voller Kakteen, Mesquite-Bäumen und seltenen Vögeln. Faszinierend für Besucher*innen, oftmals tödlich für Migrant*innen, die dort auf ihrem Weg in ein besseres Leben stranden.

Mitten durch das Kakteenfeld

Am nächsten Morgen treffen wir uns um sechs Uhr auf einem Parkplatz in Three Points. Außer einer Tankstelle und einem Dorfladen gibt es nicht viel. Von hier sind es noch knapp 45 Meilen bis nach Sasabe, einer kleinen Gemeinde, die direkt an Trumps Mauer liegt. Dazwischen: nur Wüste. James Holeman ist schon da. Sein grüner Wagen, den er von der Waldbehörde günstig erstanden hat, ist weithin sichtbar. Holeman ist hochgewachsen und wirkt trotz eines leichten Bauchansatzes drahtig und durchtrainiert. Sein

Kopf ist rasiert, die Haut von der Sonne gezeichnet.

An diesem Morgen sind aus seinem Team auch Pete Lucero, Brad Hellman und Alisa Reznick dabei. Alle drei erklären, dass sie einfach nicht wegschauen wollen, wenn hier Menschen verdursten und sich niemand darum schert. Zu fünft steigen wir in den Wagen und fahren 30 Meilen Richtung Süden. Holeman schaut auf sein GPS-Gerät und biegt schließlich rechts auf eine Schotterpiste ab.

Langsam geht es auf eine Bergkette zu, die zum Reservat der Tohono O’odham Nation gehört. Das Reservat reicht bis an die mexikanische Grenze. Die Tohono O’odham Nation verweigerte vor Jahren die Zustimmung zum Mauerbau auf ihrem Grund und Boden. Das mexikanische Kartell, das die Routen nach Norden kontrolliert, lässt deswegen immer mehr Migrant*innen genau dort in Richtung

Norden ziehen. Es ist eine entlegene und schwierige, vor allem aber tödliche Route.

Der Wagen hält unweit des Stacheldrahts, der das Reservat begrenzt. Wir machen uns bereit für einen langen und schwierigen Marsch. Holeman reicht Wanderstöcke, einen grellen, orangefarbenen Hut und erklärt, wie die WalkieTalkies funktionieren, mit denen wir in Verbindung bleiben sollen.

Es ist schon jetzt über 30 Grad Celsius heiß, das Thermometer steigt später bis auf fast 40 Grad. Wir marschieren los, in einer Reihe nebeneinander, querfeldein, decken auf diese Weise etwa 120 Meter Wüste ab. Von den anderen sieht man zwischen den stachligen Sträuchern, den spitzen Mesquite-Bäumen und den verschiedenen Kakteen nur noch die grellen Hüte. Es ist ein beschwerlicher Weg, auf und ab über Geröll und unwegsamen Boden. Man kommt leicht ins Rutschen. Dazu die vielen Stacheln und Spitzen, denen man kaum ausweichen kann. Wie schafft man es, hier nachts entlang zu laufen?

Nach zwei Stunden erreichen wir ein kleines Plateau, das wohl auch von Migrant*innen als Rastplatz genutzt wird. Dosen, Flaschen, Verpackungen, ein paar zerrissene Kleidungsstücke liegen verstreut herum. Von hier oben hat man einen guten Blick in alle Richtungen. »Wir sind gerade mal eineinhalb Meilen weit gekommen«, meint Holeman und schaut auf seinen GPS-Tracker. Die Landschaft ist zerklüftet und brutal, man kann die Grenze sehen und das weite, offene Land des Reservats. Alle sind durchgeschwitzt. Pete, der Pensionär, sitzt im Schatten eines Mesquite-Baums, ist sichtlich mitgenommen, trinkt Schluck für Schluck aus einer Flasche. »James, was treibt Dich eigentlich immer wieder hier raus?« Holeman lacht: »Ich spiele kein Golf.« Er überlegt, schaut in die Ferne. »Ich liebe das Wandern und kann es mir finanziell leisten, oft hier draußen zu sein. Dafür bin ich dankbar.« Mit dem, was er beim Militär gelernt und erfahren hat, will er helfen, »dass hier keiner zurückgelassen wird, dass die Familien trauern und einen Abschluss finden können«.

Manchmal stoßen er und seine Mitstreiter*innen auch auf jemand, der Hilfe braucht, dem sie Wasser und Nahrung geben, dessen Wunden sie versorgen können. »Dann fragen wir, ob er weiterlaufen will, oder ob wir die Grenzpolizei benachrichtigen sollen?« Es ist diese direkte Hilfe, die Holeman antreibt und ihn immer wieder in die Wüste fahren lässt. Er sei keine »morbide Person auf der Suche nach Knochen und Leichen«. Im Gegenteil: Er liebe das Leben, jeden Atemzug. Aber hier könne er sich einbringen. Ganz einfach und ganz direkt, jedes Leben zähle. Seine Mitstreiter*innen stimmen ihm zu.

»Reisewarnung: Man kann in diesem Gebiet auf Schmuggel und illegale Immigration treffen.«

Weiter Schikanen an der Grenze

Allein in diesem 260 Meilen langen Sektor der Grenze hat die Grenzpolizei im Jahr 2021 rund 195.000 Menschen aufgegriffen. Die meisten direkt an der Grenze, die mal Mauer und dann wieder Zaun ist. Viele auch in der Wüste – ausgelaugt, entmutigt, verletzt, dem Tode nahe. 2022 wird die Zahl der Aufgegriffenen voraussichtlich noch deutlich höher liegen, heißt es. Und damit auch die Zahl derjenigen, die auf dem langen und beschwerlichen Weg nach Norden gestorben sind.

Im Kampf gegen Migrant*innen wird die Wüste als Waffe eingesetzt. Und das nicht erst, seit Donald Trump sein Wahlkampfversprechen, eine Mauer zu bauen, zumindest in Teilen umsetzte. Schon Mitte der 1990er Jahre, als der Demokrat Bill Clinton Präsident war, setzte die Grenzpolitik auf Militarisierung, um Migrant*innen abzuschrecken. In Grenzstädten wie Tijuana, Nogales oder Ciuadad Juarez wurden Zäune aus Stacheldraht errichtet. Doch war bereits damals klar, dass sich diejenigen, die aus Mittelamerika und Mexiko flohen, um Armut, Gewalt, Menschenrechtsverletzungen und Elend zu entkommen, nicht aufhalten lassen würden. Weder Bewegungsmelder, Kameras und Drohnen noch ein Grenzzaun oder eine Mauer halten die Menschen von der Flucht ab. Die lange Reise in Richtung USA wurde nur umso gefährlicher und tödlicher, je weiter Migrant*innen in die Wüste abgedrängt wurden.

Unter Präsident Joe Biden wurde die Grenze nicht geöffnet, auch wenn das konservative, Trump-freundliche US-Medien so vermitteln. Biden stoppte lediglich den weiteren Ausbau der Mauer und ermöglichte es Asylbewerber*innen wieder, während ihres Asylverfahrens in den USA zu sein.

Doch gibt es weiterhin die Verordnung »Title 42«, die von Trump während der Corona-Pandemie in Anspruch genommen wurde, um nahezu alle Migrant*innen an der Grenze abzuweisen. Biden wollte »Title 42« auslaufen lassen, doch Ende Mai stoppte ein Richter diese Pläne. Amnesty International in den USA zeigte sich enttäuscht, die US-Sektion hatte sich für ein Ende der Restriktionen eingesetzt. Amy Fischer, Amnesty-Expertin für den amerikanischen Kontinent, fordert, dass »die Regierung Biden Lösungen finden muss, um Asylsuchenden die Unterstützung und die Möglichkeiten zu bieten, die sie brauchen«.

Es passiert selten, dass die Menschen in den Blick genommen werden, wenn es um die Grenze geht. Das weiß auch die Migrationsforscherin Robin Reineke vom Southwest Center der University of Arizona: »Das Narrativ der Angst und der Bedrohung ist in den USA so erfolgreich, dass die Idee der Mauer sich bestens verkauft. Ein Ende ist nicht in Sicht, es ist einfach nie genug. Die Mauer ist zu einer Form des Nationalismus geworden. Patriotisch sein bedeutet heute, man muss

»Die Familien der Toten sollen einen Abschluss finden können.«

James Holeman

für die Mauer sein.« Reineke betont auch, dass Unternehmen mit der Mauer viel Geld verdienen könnten.

Suche nach Angehörigen

Die scharfe Grenzsicherung hat jedenfalls dazu geführt, dass seit fast 25 Jahren immer mehr Menschen in der Wüste starben oder als vermisst gemeldet wurden. Die genauen Zahlen kennt Greg Hess. Er ist Gerichtsmediziner im Bezirk Pima County, in dem die Großstadt Tucson liegt. Seit dem Jahr 2000 stieg die Zahl der Toten, die in der Wüste gefunden wurden, rapide an. Seither wurden mehr als 3.600 menschliche Überreste gefunden und in die Gerichtsmedizin von Pima County gebracht. Die Leichname in den verschiedenen Stadien der Verwesung werden in Kühlräumen aufbewahrt – in der Hoffnung, irgendwann deren Angehörige zu finden.

Neben dem Flachbau, in dem die Gerichtsmedizin untergebracht ist, steht ein etwa 20 Meter langer LKW-Anhänger. Allein darin befinden sich mehr als 250 längliche Kartons, in denen Knochen und Schädel von Menschen gelagert werden, die noch nicht identifiziert werden konnten. Sie wurden in kleine Tüten gepackt und mit einem Aktenzeichen und dem Fundjahr beschriftet.

In dem Anhänger ist es heiß, für die Lagerung von Knochen ist keine Kühlung notwendig, meint Greg Hess. »Wir haben hier Überreste von etwa 900 Personen. Wir äschern sie nicht mehr ein, sondern lagern sie hier, wie in einem Museum.« So könne man im Fall einer Identifizierung zumindest die Knochen an die Familien zurückgeben, die diese dann in den Heimatländern beerdigten. Das helfe vielen dabei, eine tragische Geschichte würdevoll zu beenden.

Umso wichtiger ist es, dass James Holeman und seine Leute vom Battalion Search & Rescue alle Informationen zu den Toten in den Blick nehmen und sie von den Beamten des Sheriffs am Tatort sichern lassen. Anthropolog*innen des gerichtsmedizinischen Instituts werten die Informationen dann vorläufig aus. Wie groß war die Person? Hatte sie Tätowierungen, Verletzungen? Sind Operationsnarben oder Zahnlücken zu sehen? Auch DNA wird entnommen. Manchmal liegen am Fundort noch Kleidungsstücke, Ausweise, Fotos, Schmuck. Jedes noch so kleine Detail wird aufgelistet und aufbewahrt. Dabei geht es nicht um die Todesursache, denn die ist meist klar: Wer in der Wüste tot aufgefunden wurde, war Migrant*in und ist verdurstet oder an Entkräftung gestorben. Frau in Honduras an, ihre Mutter war vor Jahren als vermisst gemeldet worden. Sie meinte zu mir, heute sei ihr Geburtstag. Ich entschuldigte mich, doch sie bedankte sich und meinte, das sei das schönste Geburtstagsgeschenk, denn sie habe immer gewusst, dass etwas passiert sein müsse, denn ihre Mutter hätte sie nicht einfach im Stich gelassen.« ◆

Mehr als 250 Kartons voller Gebeine. Gerichtsmedizin in Pima County, Arizona.

Die gesammelten Daten nutzt wiederum die gemeinnützige Organisation Colibri, um die Namen der Toten herauszufinden und womöglich auch die Frage zu beantworten, woher sie einst kamen. Mirza Monterroso ist Direktorin von Colibri und kam selbst als Immigrantin aus Guatemala in die USA. Sie erklärt, wie ihre Organisation Meldungen über Vermisste mit Informationen abgleicht, die am Fundort einer Leiche entdeckt und in der Gerichtsmedizin analysiert und erweitert wurden. Manchmal dauere es Jahre, bis eine Identifizierung gelinge und den Familien die traurige Gewissheit bringe, sagt Monterroso. »Einmal rief ich eine

Immer auf der Suche: James Holeman im Grenzgebiet zwischen Arizona und Mexiko.

Foto: privat

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