Zurück auf der Balkanroute Rund 7.000 Migranten warten in Bosnien und Herzegowina unter menschenunwürdigen Umständen darauf, in die EU zu gelangen. Von Erich Rathfelder, Sarajevo
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bermüdet und etwas ratlos stiegen mehr als 350 Migranten Mitte Dezember aus den Bussen, die sie von Bihać im Nordwesten Bosniens in die 400 Kilometer entfernte Hauptstadt Sarajevo gebracht hatten. Ihr Ziel: Die frühere Armeekaserne von Blažuj, die von Mitarbeitern des Technischen Hilfswerks winterfest gemacht worden war. Die Gruppe war die erste von mehreren, die bis Ende vergangenen Jahres aus dem skandalträchtigen, im Frühjahr 2019 auf einer Müllhalde errichteten Lager Vučjak bei Bihać abtransportiert wurden. Monatelang hatten dort rund 800 Männer aus Afghanistan, Pakistan, Bangladesch und aus den Maghrebstaaten ausgeharrt. Nach Einsetzen des Frosts war das nicht mehr möglich, doch bereits zuvor waren die Zustände in dem Lager katastrophal: Die Zelte waren nicht wasserdicht, Schlamm und Unrat lagen herum, die Versorgung mit Wasser war völlig unzureichend; es fehlte an Strom, Toiletten und Waschmöglichkeiten. Das bosnische Rote Kreuz hatte zumindest versucht, täglich eine warme Mahlzeit zu organisieren, und aus der Bevölkerung und von Unternehmen waren Lebensmittelspenden gekommen. Aber all das genügte nicht, um Mindeststandards im Umgang mit Migranten zu garantieren. Kurz vor der Evakuierung des Lagers besuchte die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatović, Vučjak. Sie warnte angesichts der verheerenden Zustände und der sinkenden Temperaturen vor Todesfällen und forderte die sofortige Auflösung des Flüchtlingslagers. Das acht Kilometer von Bihać entfernte Lager war von Anfang an eine Notlösung: Weil Unterkünfte in den Fabrikhallen der bankrotten Firma Bira bereits hoffnungslos überfüllt waren, hatten zumeist junge Männer damit begonnen, in den Parks der Stadt zu kampieren und sich in den Cafés im Zentrum niederzulassen. Vor allem Frauen fühlten sich zunehmend unwohl. So beschloss der Stadtrat im Juni 2019, die Migranten aus dem Stadtzentrum zu vertreiben. Polizisten führten Hunderte junge Männer zu dem neuen behelfsmäßigen Lager. Trotz der katastrophalen Zustände war Vučjak für die Migranten attraktiv, denn es liegt direkt am Fuße des Gebirgszuges, der die Grenze zu Kroatien markiert. Von hier aus machten sich täglich Gruppen von Migranten auf den Weg, um in das EUMitgliedsland zu gelangen – und von dort weiter nach Italien, Frankreich oder Deutschland. Hier wollten sie ihre Träume verwirklichen, eine Arbeit finden, eine Zukunft für sich und ihre in der Heimat gebliebenen Familien aufbauen. Doch die meisten kamen abends wieder zurück. Kroatische Polizisten und Sicherheitskräfte hatten sie aufgegriffen, ihnen
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Handys und Geld abgenommen. Offene Wunden, gebrochene Beine, blaue Flecken im Gesicht und an den Körpern zeugten von der Gewalt, die von der kroatischen Polizei angewandt worden war. Die wenigen freiwilligen Helfer, wie der deutsche Journalist Dirk Planert, hatten alle Hände voll zu tun, medizinische Nothilfe zu leisten. Dass die Migranten oftmals völkerrechtswidrig malträtiert wurden, berührte nur eine Handvoll Abgeordnete des Europaparlamentes, die Bihać besuchten. Die europäischen und auch die deutschen Institutionen und Politiker schienen vielmehr froh zu sein, dass die kroatische Polizei die Drecksarbeit macht, indem sie Migranten auf ihrem Weg nach Europa aufhalten. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bezeichnete Kroatien bei einem Zusammentreffen mit Premierminister Andrej Plenković als Erfolgsstory und Vorbild für andere Länder. Ein Grund dafür ist, dass die Zahl der Menschen, die über die »Balkanroute« nach Zentral- und Westeuropa weiterreisen wollen, seit 2016 drastisch zurückgegangen ist – nicht zuletzt durch Sperranlagen, die entlang der ungarischen und nordmazedonischen Grenzen errichtet wurden. Zudem hatte das Abkommen zwischen der EU und der Türkei zunächst abschreckende Wirkung. Zuletzt gewann die Route durch Bosnien aber wieder an
Über Bosnien in die EU. Migranten nahe
AMNESTY JOURNAL | 02/2020