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Krieg in der Ukraine: Wer Putin gewaltig stört

Gegner_innen des Kreml

Egal, ob in Russland, in der Ukraine oder im Exil: Diese Menschen, Organisationen und Proteste sind der russischen Regierung ein Dorn im Auge.

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Menschen helfen, Beweise sichern

Olga Skrypnyk leitet die Menschen rechtsorganisation Crimean Human Rights Group in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Spätestens seit der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 ist sie dem Kreml verhasst. Von Tigran Petrosyan

Obwohl russische Bomben und Raketen auf Kiew fallen, ist es kaum möglich, Olga Skrypnyk zum Schweigen zu bringen. Die Menschenrechtlerin zählte bereits im Jahr 2014 zu den Tausenden mutigen Bewohner_innen der Krim, die sich unbewaffnet russischen Truppen entgegenstellten, als diese die ukrainische Halbinsel annektierten. Nach massivem Druck russischer Spezial einheiten sah sie sich später gezwungen, die Krim zu verlassen. »Ich habe direkte Drohungen erhalten, dass sie mich inhaftieren oder töten würden.«

Heute ist Olga Skrypnyk wieder in Gefahr – dieses Mal durch den russischen Beschuss der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Die 35-Jährige leitet dort die Menschenrechtsorganisation Crimean Human Rights Group, die Beweise für russische Verbrechen gegen die Bevölkerung der Krim sammelt. «Für uns ist das Wichtigste, dass wir die Verbindung zwischen den Menschen auf der Krim und dem ukrainischen Festland aufrechterhalten«, sagt Skrypnyk. Ihre Organisation hilft deshalb auch Binnenvertriebenen in der Ukraine und unterstützt ukrainische politische Gefangene, die in Russland und auf der Krim inhaftiert sind.

Geboren wurde Olga Skrypnyk in Sibirien, doch zog ihre Familie auf die Krim, als sie noch ein Kleinkind war. Sie studierte Pädagogik und Rechtswissenschaft. In Jalta gründete sie im Jahr 2011 Almenda, ein Zentrum für Kinder und Jugendliche im Bereich der politischen Bildung und arbeitete auch als Dozentin für Strafund Zivilrecht an der Krim-Universität.

Immer wieder stellte sie sich die Frage, wie sich die Öffentlichkeit stärker für den Schutz der Menschenrechte sensibilisieren lässt. Skrypnyk organisierte deshalb regelmäßig Filmvorführungen im Kino, zeigte Dokumentarfilme über Menschenrechte und lud Aktivist_innen und Rechtsanwält_innen zum Gespräch ein. Nach der Annexion der Krim setzte der Kinoklub seine Arbeit in Kiew fort.

Doch nun ist Krieg, und gemeinsam mit 15 Mitarbeiter_innen der Crimean Human Rights Group dokumentiert sie die russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine. Sie sammelt Beweise für Angriffe russischer Streitkräfte auf zivile Einrichtungen. Betroffen sind Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser und Wohngebäude. »Russische Truppen versuchen, Kiew zu erobern, aber der Vormarsch stockt. Putins Plan, Kiew mit einen Blitzkrieg in die Knie zu zwingen, ist gescheitert. Die Ukrainer_innen kämpfen hartnäckig«, sagte sie Ende März, befürchtete aber auch, dass Kiew zu einem zweiten Mariupol, zu einer zerstörten Stadt werde.

Wie auch immer der Krieg ausgehe, eines sei ihr klar: Der Kreml sehe in ihr eine gefährliche Feindin, weil sie Menschenrechtlerin sei. Auch ihr Ehemann, der russische Oppositionelle Wissarion Aseew, ist der russischen Regierung ein Dorn im Auge. Im September 2014 wurden die beiden von russischen Grenzschutzbeamten inhaftiert, als sie Russland besucht hatten und auf der Rückreise in die Ukraine waren. Erst nach internationalem Druck kamen sie wieder frei.

Es sei nicht ausgeschlossen, dass sie eines Tages verschwinden werde, sagt Olga Skrypnik. Immer wieder drohe der russische Geheimdienst, sie zu verschleppen. »Doch ich darf keine Angst haben. Es ist wichtig, dass ich mich weiter für die Menschenrechte einsetze und mich da rauf konzentriere, den Menschen zu helfen«. ◆

Von der Krim vertrieben, macht sie aus Kiew weiter: Olga Skrypnyk.

Foto: Valeriia Mezentseva

»Salam« heißt Frieden

Swetlana Gannuschkina ist eine der führenden Persönlichkeiten der russischen Menschenrechts bewegung. Seit mehr als 30 Jahren setzt sie sich für Flüchtende ein, nun stellt sie sich in Moskau gegen den russischen Angriffskrieg. Von Bernhard Clasen

An dieses eine »Salam« erinnert sich die russische Menschenrechtlerin Swetlana Gannuschkina noch sehr gut: Anfang der 1990er Jahre besuchte sie Bergkarabach, als dort Armenien und Aserbaidschan Krieg gegeneinander führten und Zehntausende Menschen ihr Leben verloren. Gannuschkina war Teil einer Delegation von Menschenrechtler_innen und wollte sich nicht von einer Seite vereinnahmen lassen. Sie zog auf eigene Faust los, ging durch einen Wald, immer weiter, bis sie die Stimme einer Frau hörte. Die Frau winkte ihr fröhlich zu, lud sie in ihren Garten ein und sagte »Salam«. An diesem in Aserbaidschan verbreiteten Gruß erkannte Gannuschkina, dass sie sich nicht mehr auf der armenischenen Seite der Front befand.

Viel gesprochen wurde beim Tee nicht, dazu reichten die Russischkenntnisse der Aserbaidschanerin nicht aus. Doch gab sie Gannuschkina zum Abschied eine kleine Tasche voller Äpfel aus dem Garten mit. Als die Menschenrechtlerin wieder auf der armenischen Seite war, beäugten alle die Äpfel voller Argwohn, als ob sie vergiftet wären. Niemand wollte sie anrühren. Doch dann fasste sich eine Frau ein Herz und nahm sich einen Apfel. Der Bann war gebrochen, eine Stunde später waren alle Äpfel aufgegessen.

Die Mathematikerin Swetlana Gannuschkina ist seit mehr als 30 Jahren eine führende Persönlichkeit in der russischen Menschenrechtsbewegung. Die Friedensarbeit zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Leben. Unzählige Male hat die mittlerweile 80-Jährige unter großen Gefahren Tschetschenien besucht, sie setzte sich auch gemeinsam mit Menschenrechtsorganisationen gegen die Abschiebung von Tschetschen_innen aus Deutschland nach Russland ein.

In der Flüchtlingsarbeit ist sie seit Ende der 1980er Jahre aktiv, als armenische und aserbaidschanische Flüchtlinge nach Moskau kamen. Ihre Organisation, das seit drei Jahrzehnten im Bereich der Flüchtlingshilfe arbeitende Komitee Bürgerbeteiligung, setzt sich mittlerweile nicht nur für Bin nenvertriebene aus dem Kaukasus, sondern auch für Flüchtlinge aus Usbekistan, dem Iran und anderen Staaten ein. Das Komitee wird seit dem 20. April 2015 vom russischen Staat als »ausländischer Agent« gelistet und musste zuletzt auch eine Hausdurchsuchung hinnehmen, kann aber noch legal arbeiten.

Immer wieder geht Gannuschkina auf die Straße. Als sie im Juli 2019 auf dem Roten Platz in Moskau daran erinnern wollte, dass ihre Mitarbeiterin Natalia Estemirowa zehn Jahre zuvor in Tschetschenien ermordet worden war, wurde sie festgenommen und zu einer Geldstrafe verurteilt. Es war nicht der einzige Mord an Weggefährt_innen Gannuschkinas. Auch ihr Mitarbeiter Wiktor Popkow, ihr Rechtsanwalt Stanislaw Markelow und die mit ihr befreundete Journalistin Anna Politkowskaja wurden ermordet.

Nun ist es der russische Überfall auf die Ukraine, der Gannuschkina hart getroffen hat. »Das ist ein absoluter Albtraum«, sagte sie wenige Tage nach Kriegsbeginn. »Für das, was jetzt geschieht, gibt es keine Entschuldigung.« Zusammen mit weiteren Menschenrechtler_innen rief sie zum sofortigen Ende des Krieges auf. Es blieb nicht bei Worten. Gannuschkina äußerte auch auf der Straße ihren Unmut gegen den Krieg. Es folgten eine Festnahme und eine Geldstrafe in Höhe von umgerechnet 80 Euro.

Doch Gannuschkina lässt sich davon nicht beeindrucken und ignoriert die staatliche Vorgabe, den Krieg als »Sonderoperation« zu bezeichnen. Womöglich braucht diese Frau, die so vielen Menschen geholfen hat, deshalb bald selbst Hilfe. ◆

Swetlana Gannuschkina im August 2021 in Moskau.

Foto: Alexander Zemlianichenko/ AP/pa

Komitee Bürgerbeteiligung im Netz: Refugee.ru

Rund um die Uhr erreichbar

Seit mehr als zehn Jahren dokumentiert die Menschenrechts organisation OVD-Info politische Verfolgung in Russland. Seit Kriegsbeginn steht Repression gegen Friedensaktivist_innen im Fokus ihrer Arbeit. Von Bernhard Clasen

Wer Informationen aus erster Hand zu Menschenrechten in Russland braucht, wendet sich an OVD-Info. Seit 2011 dokumentiert die unabhängige Organisation mit Hauptsitz in Moskau politisch motivierte Festnahmen und Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und Behörden. Nach Angaben der Organisation wurden ihre Informationen allein im ersten Monat des Kriegs gegen die Ukraine 7.000 Mal in der internationalen Presse zitiert.

Der Name OVD ist ein Wortspiel: Die Abkürzung steht für »Abteilung für innere Angelegenheiten«. So hießen bis vor einigen Jahren die Polizeidienststellen in Russland. Die Organisation will damit nicht nur zum Ausdruck bringen, dass sie

sich mit Problemen im Inland beschäftigt, sondern auch, wer für die Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist.

Ab dem Beginn des Kriegs am 24. Februar bis zum 20. April dokumentierte das Portal OVDinfo.org die Namen von 15.434 Antikriegsaktivist_innen, die in ganz Russland festgenommen wurden. Und die Liste wird von Tag zu Tag länger. »Natürlich ist seit Beginn der ›Ereignisse in der Ukraine‹ unser Arbeitspensum extrem gestiegen« erklärt Katharina, die eigentlich anders heißt. Die Proteste hätten unmittelbar nach Beginn des Militäreinsatzes begonnen, und sofort habe auch die Repression zugenommen.

Das Wort »Krieg« nimmt sie nicht in den Mund, denn die »Sonderoperation« darf in Russland nicht Krieg genannt werden. Anfang März traten zwei Gesetze in Kraft, die für unabhängige Berichterstattung über den Krieg 15 Jahre Haft vorsehen. Der Druck auf OVD-Info habe sich nicht verstärkt, meint sie, denn er sei zuvor schon sehr hoch gewesen. Die Internetseite OVDinfo.org ist in Russland gesperrt, die Seiten ovd.news und ovd.legal waren Ende März aber noch zugänglich.

OVD-Info berichtet vor allem über Kriegsgegner_innen, die Repression erfahren. Schon jetzt gebe es Dutzende Straf- und Hunderte administrativer Verfahren, sagt Katharina. Der Vorwurf laute »Diskreditierung der russischen Streitkräfte« oder »Übermittlung von Falschinformationen«. »Wir berichten über diese Aktionen, weil wir nicht wollen, dass die ganze Welt denkt, die russische Gesellschaft unterstütze ›diese Vorgänge‹ in der Ukraine.« Jeden Tag finde irgendwo im Land eine Aktion statt, berichtet Katharina. Doch die Schrauben würden angezogen. Teilweise sei ein leeres Plakat oder eines mit der Aufschrift »Frieden!« bereits Grund für eine Festnahme.

OVD-Info hat eine Hotline eingerichtet, die rund um die Uhr erreichbar ist. Wer Informationen über Repressionen gegen politische Aktivist_innen weitergeben will, kann dort anrufen. Die Organisation gibt auch Tipps, wie man sich bei einer Festnahme oder Hausdurchsuchung verhalten sollte. Die Arbeit von OVD-Info ist nicht leichter geworden, gleichzeitig bieten immer mehr Menschen ihre Mitarbeit an. IT-Fachleute, Juristinnen und andere Expert_innen seien bereit, mitzumachen, erzählt Katharina, in vielen Fällen sogar ohne Bezahlung. Auch an Geld mangelt es im Moment nicht: 2021 wurde die Arbeit der Organisation nach Angaben des Mitgründers von OVD-Info, Daniel Beilinson, fast vollständig über Crowdfunding finanziert. ◆ portalen. Die russische Generalstaatsanwaltschaft wirft den beanstandeten Medien Falschinformationen, Aufrufe zu Extremismus und zur Gewalt gegen Russ_innen vor. Die Medienaufsichts behörde Roskomnadsor blockierte auch ukrainische und internationale Medienseiten in Russland, darunter BBC und Deutsche Welle. Der Zugang zu Facebook, Instagram und Twitter war zumindest zeitweilig unterbunden.

Um gegen die unliebsame Opposition vorzugehen, greifen die Behörden außerdem auf das Gesetz über »ausländische Agenten« aus dem Jahr 2012 zurück. Es richtete sich zunächst gegen Nichtregierungsorganisationen, die Geld aus dem Ausland erhielten. Seit 2020 gelten neue Regelungen: Nicht nur registrierte Organisationen wie Memorial gelten als »ausländische Agenten«, sondern auch nicht registrierte Vereinigungen und Privat personen, sofern sie »finanzielle Mittel« aus dem Ausland erhalten und »politische Aktivitäten« ausüben. Darunter können auch die Teilnahme an einer Kund gebung oder Äußerungen über den Krieg fallen.

Aufgrund einer Verschärfung der Gesetze zu »ausländischen Agenten« und »unerwünschten Organisationen« waren zivilgesellschaftliche Organisationen 2021 in noch stärkerem Maße Repressalien und Einschränkungen ausgesetzt. Inzwischen stufe der russische Staat mehr als 400 Personen, Medienhäuser und NGOs als »ausländische Agenten« ein, schrieb OVD-Info Ende März. ◆

Weggesperrt und abgeschaltet

Polizeigewalt, Festnahmen, Zensur und »Agentengesetze«: Die russischen Behörden gehen hart gegen all jene vor, die sich kritisch mit dem Krieg auseinandersetzen. Von Tigran Petrosyan

Viele Ausdrucksformen bleiben den Russ_innen nicht mehr, wenn sie gegen den Krieg in der Ukraine protestieren wollen. Zuletzt kam ein grünes Band zum Einsatz, das sie an Laternen, Bäumen, Bushaltestellen und Abwasserrohren befestigten. Für die Polizei ist eine grüne Schleife derzeit noch kein Anlass, aktiv zu werden. Alle anderen Protestformen endeten bislang mit Repression und Haft.

Nach Angaben der unabhängigen russischen Menschenrechtsorganisation OVD-Info wurden ab dem Beginn des Kriegs bis Mitte April rund 15.000 Menschen im Zusammenhang mit Antikriegsaktionen in Russland festgenommen. OVD-Info zufolge gehen Polizist_innen dabei äußerst brutal vor. Sie schlagen den Demonstrierenden mit Stöcken ins Gesicht und auf den Kopf, in Dutzenden Fällen setzten sie Elektroschockgeräte ein. Sie drohten Inhaftierten nicht nur mit strafrechtlicher Verfolgung, sondern auch mit sexueller Gewalt. Der Kreml versucht, die eigenen Bürger_innen zum Schweigen zu bringen.

Schweigen sollen auch die Medien. Fast gleichzeitig mit dem militärischen Einmarsch in die Ukraine führten die Behörden eine strenge Zensur der Kriegsberichterstattung ein. Russische Medien dürfen nur unter Bezugnahme auf offizielle Quellen berichten und im Zusammenhang mit der Ukraine nur von einer »Spezialoperation« sprechen. Begriffe wie »Krieg«, »russischer Angriff« oder »Invasion« sind verboten. Im Fall eines Verstoßes drohen Publikationssperren und Geldstrafen von bis zu fünf Millionen Rubel (rund 50.000 Euro, Umrechnungskurs Ende März).

Die russische Nichtregierungsorganisation Roskomsvoboda hatte am 9. April 2.000 Webseiten erfasst, die seit dem 24. Februar gesperrt sind. Dazu gehören Internetpräsenzen großer unabhängiger Medien wie Echo Moskwy und Doschd, aber auch einzelne Unterweb sites in Online-Netzwerken oder auf Medien -

»Nein zum Krieg« steht in Russland derzeit unter Strafe. Graffito in St. Petersburg, März 2022.

Foto: Zk Media/ZUMA Press/pa

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