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aus Syrien berichtet

»Russland führt auch mit Informationen Krieg«

Der Syrische Zivilschutz ist seit 2013 für die Opfer des Krieges in Syrien im Einsatz. Die sogenannten Weißhelme leisten erste Hilfe, versorgen Verletzte und ziehen Menschen nach Luftangriffen aus den Trümmern. Sie wissen nur zu gut, was Krieg mit Russland bedeutet, denn russische Truppen kämpfen auch auf Seiten des Assad-Regimes. Was die Menschen in der Ukraine daraus lernen können, erklärt Raed Al Saleh, Leiter der Weißhelme.

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Wieder mal im Einsatz. Der Syrische Zivilschutz in Sheikh Ahmad, Syrien, 30.Dezember 2019.

Seit 2015 unterstützt Russland Baschar al-Assad im Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Sie und ihre Kolleg_innen haben unzählige Menschen nach Luftangriffen und

Chemiewaffeneinsätzen versorgen müssen. Was haben Sie über die Vorgehensweise des russischen Militärs gelernt?

Die russische Armee hält sich an keinerlei moralische oder menschenrechtliche Regeln. Wenn sie angreift, dann trifft es zuerst die Infrastruktur: Krankenhäuser, Bäckereien, Wasser- und Elektrizitätswerke. Sie vertreibt Menschen aus ihren Vierteln und zerbombt diese komplett, es ist eine Strategie der verbrannten Erde. Sie erlangt Kontrolle über Gebiete, in denen dann niemand mehr lebt. Das ist der Grund für die massive Zerstörung, die wir heute in der Ukraine sehen. Wir haben das in Aleppo, Ghouta, Homs und anderen Städten erlebt. Und dieselbe Strategie wendet das russische Regime jetzt in der Ukraine an.

Was hat Russland durch den Krieg in Syrien gelernt, wovon es nun in der Ukraine profitieren könnte?

Russland hat mehr als 300 neue Waffen an der syrischen Zivilbevölkerung getestet. Diese Erfahrung kann das Militär nun nutzen, um in der Ukraine noch mehr Schaden anzurichten.

Wie haben Sie in den vergangenen Jahren Ihre Einsätze an die russischen Methoden angepasst?

Alles, was wir heute wissen, mussten wir unter Einsatz un seres Lebens lernen. Jedes Mal, wenn wir etwas gelernt haben, ist einer unserer Freiwilligen getötet worden. Wir haben zum Beispiel gelernt, keine humanitären Korridore zu nutzen, die Russland einrichtet. Denn dort greifen die Truppen noch gezielter an. Das sind keine humanitären Korridore, sondern Korridore zur Hölle. Zudem haben wir beobachtet, dass Russland nach einem ers ten Luftangriff auf ein Gebiet fast direkt einen zweiten Angriff startet. Wir haben also nur eine sehr kurze Zeitspanne, um Menschen zu retten. Wir haben uns außerdem Flugachsen eingeprägt, um zu antizipieren, wo bombardiert werden soll. Das Wichtigste, was wir gelernt haben, ist aber: immer eine Kamera am Helm tragen und alles aufnehmen.

Damit schützen Sie sich auch gegen russische Propaganda. In der Vergangenheit wurden viele Falschinformationen über die Weißhelme in die

Welt gesetzt, etwa dass sie mit Jihadisten zusammenarbeiten oder dass sie für Giftgasattacken verantwortlich sind.

Russland führt auch mit Informationen Krieg. Sie verwenden dabei immer die gleichen Vorwürfe. Wenn es um den Nahen Osten geht, kommt der Terrorismusvorwurf. In der Ukraine funktioniert das nicht, also behaupten sie, Nazis bekämpfen zu wollen. Als Russland sich 2015 in Syrien einmischte, war uns »Desinformation« noch kein Begriff. Doch bald muss ten wir feststellen, dass Russland gezielt Falschinformationen über uns verbreitete. Es entstanden zahlreiche neue Profile in den Online-Netzwerken, die sich an die westliche Gesellschaft richteten.

Wie wirkte sich das auf Ihre Arbeit aus?

Anfangs hat uns das sehr getroffen. Wir sind eine Nichtregierungsorganisation mit vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern. Wie kann es sein, dass wir Menschenleben retten und des Terrors bezichtigt werden? Das hat uns fertiggemacht. Desinformation kann tödlich sein, wenn sie sich gegen die richtet, die in einem Krieg medizinische Versorgung leisten. Wir haben also begonnen, die Desinformation zu bekämpfen. Wir wurden medial sichtbarer und zeigten der ganzen Welt die Aufnahmen unserer Helmkameras. Sie beweisen, was passiert ist. Die Entdeckung der russischen Einflussnahme auf die US-Wahlen 2016 hat uns übrigens sehr geholfen. Denn dabei wurden Tausende Profile aufgedeckt, die während der Wahlen gezielt für Desinformation verwendet worden waren und die sich auch gegen uns gerichtet hatten.

Der Internationale Strafgerichtshof ermittelt bereits gegen Russland wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen, auch die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hat Ermittlungen aufgenommen. Dabei geht es um den

Einsatz von Streubomben oder Angriffe auf zivile Ziele. Für all das wird

Russland auch in Syrien verantwortlich gemacht. Können Ermittlungen und zukünftige Prozesse etwas verändern?

Das hoffen wir. Wir hoffen, dass Putin vor Gericht gestellt wird, damit die ukrainische Bevölkerung Gerechtigkeit erfährt. Wenn Putin für die Ukraine zur Rechen-

»Humanitäre Korridore werden von russischen Truppen gezielt angegriffen.«

schaft gezogen wird, dann bedeutet das für uns Syrerinnen und Syrer, dass er auch für die Verbrechen in Syrien zur Rechenschaft gezogen wird. Es handelt sich schließlich um den gleichen Täter und die gleichen Taten. Wäre Russland für die Kriegsverbrechen in Syrien zur Rechenschaft gezogen worden, dann würde es die gleichen Verbrechen jetzt kaum in der Ukraine begehen können. Und wäre das Land vorher für Verbrechen auf der Krim und in Georgien verurteilt worden, dann wäre es gar nicht erst so weit gekommen. Wenn Putin aber ungestraft davonkommt, für Georgien, die Krim, für Syrien und die Ukraine, dann ist das nächste Verbrechen nur eine Frage der Zeit. Es ist also wichtig, Putin für seine Kriegsverbrechen zur Rechenschaft zu ziehen – nicht nur für die ukrainische oder die syrische Bevölkerung, sondern für alle, die die Menschenrechte verteidigen.

Fürchten Sie, dass die internationale

Gemeinschaft angesichts des Krieges in der Ukraine den Krieg in Syrien vergessen könnte?

Nein, das glaube ich nicht. Die Lage in Syrien steht in sehr engem Zusammenhang mit der ukrainischen Lage. Viele Menschen haben diesen Zusammenhang immer wieder betont. Ich glaube eher, dass der Krieg in Syrien in den vergangenen Jahren in Vergessenheit geraten ist und jetzt wieder etwas mehr Aufmerksamkeit bekommt.

Gibt es Solidarität zwischen den Menschen in Syrien und der Ukraine?

Syrerinnen und Syrer auf der ganzen Welt haben sich mit der Ukraine solidarisch gezeigt und sind gegen den Krieg auf die Straße gegangen. Selbst in Syrien, in der Stadt Azaz, gab es kürzlich eine kleine Kundgebung zur Unterstützung der Ukraine. Wir Weißhelme stehen in direktem Kontakt mit zivilgesellschaftlichen Gruppen in der Ukraine. Wir arbeiten an einem gemeinsamen Netzwerk, das die Bevölkerung in Syrien und in der Ukraine darin unterstützen soll, Russland zur Rechenschaft zu ziehen. Außerdem bereiten wir aktuell Materialien auf Ukrainisch vor, damit man dort von unseren Erfahrungen profitieren kann. ◆

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