2010_05_anschlaege

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€ 3,80 (Ö) € 4,80 (D) sfr 9,-

l l an.schläge das feministische monatsmagazin. mai 2010

Filmarbeit      And the Oscar goes to .  .  .     Frauen hinter der Kamera: Filmemachen als Beruf      Lohn ohne Zettel   Solidarität mit undokumentierten Arbeiter_innen     We ❤ digital Life    Queer-feministische Blogs & Banden    Reif für die freie Liebe     Am Nacktbadestrand mit Elfriede Vavrik     Plus: Abtreibungspolitiken weltweit >> FrauenFrühlingsUni >> Tarantinos Geschlechterbilder >>    Moskauer Attentäterinnen >> 100 Jahre VBKÖ >> Nurse Jackie >>  Rosa stinkt? >> und vieles mehr    an.schläge Nr. 5/10, 24. Jahrgang, € 3,80 (Ö) € 4,80 (D) sfr 9,- ISSN 1993-3002, P.b.b. Erscheinungsort Wien, Verlagspostamt 1010 Wien, envoi à taxe réduite, GZ 02Z031419 M



Politik

ll an.schläge

an.riss politik

>>> 06

Lohn ohne Zettel Die deutsche Gewerkschaft ver.di öffnet sich für illegalisierte Arbeitende

>>> 08

Allianzen für Selbstbestimmung Abtreibung ist weltweit umkämpft – gemeinsame Strategien sind gefragt

>>> 10

The American Way of Health Feministinnen kritisieren die Deals hinter der US-Gesundheitsreform

>>> 12

an.riss international

>>> 14

Thema: Filmarbeit No Oscar for Old Men Interview: Silke J. Räbiger erklärt, warum es ein Frauenfilmfestival braucht

>>> 20

an.sage: Q&A Relaunch sprechblase: Sager des Monats plusminus: Anny Hartmann vs. Durst an.frage: FrauenFrühlingsUni medienmix: CUT, Trikster, ORANGE 94.0 an.sprüche: pro & kontra Rosa an.lesen: Anna Mitgutsch an.klang: Baby Dee, Lali Puna, Tender Forever, Goldfrapp, Cherry Sunkist, Mieze Medusa an.sehen: Nurse Jackie an.künden: Termine & Tipps

05 06 06 07 15 23 38 41

Kolumnen

>>> 16

Rubriken

81:1 Filmschaffende Frauen in Österreich geben Einblick in ihre Arbeitsbedingungen

neuland zeitausgleich heimspiel lebenslauf lesbennest katzenpost zappho des monats

11 24 29 33 37 43 46

42 43

Gesellschaft an.riss arbeit wissenschaft

>>> 24

Feminism kills! Quentin Tarantinos „Death Proof” wäre gern subversiv

>>> 26

verniedlicht, vermonstert Interview: Claudia Brunner analysiert Medienbilder über Selbstmordattentäterinnen

>>> 28

We ❤ digital Life Wohin geht queer-feministische Netzkultur im Web 2.0?

>>> 30

Kultur an.riss kultur

>>> 32

Look, a hidden ballroom! Die Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs feiert ihr 100-jähriges Bestehen

>>> 34

Reif für die freie Liebe Interview: Elfriede Vavrik genießt – und schweigt nicht

>>> 36


editorial Seit Stefan Ruzowitzky („Die Fälscher”) und Christoph Waltz („Inglourious Basterds”) mit dem Oscar ausgezeichnet wurden, wähnt sich Österreich neuerdings als Filmnation. Doch nicht der nationale Freudentaumel, sondern die erste Oscar-Auszeichnung an eine Regisseurin – Kathryn Bigelow nahm für „The Hurt Locker” den diesjährigen Oscar in der Kategorie „Beste Regie” entgegen – gab uns Anlass, im Thema der aktuellen an.schlägeAusgabe der Frage nachzugehen: Wie sehen hierzulande und anderswo die Arbeits- und Zugangsbedingungen für Filmemacherinnen aus? Wir stellen fest: Den problematischen identitären Festschreibungen zum Trotz sind auch im Filmbereich die Quoten-Diskussion und das Abarbeiten an der Kategorie „Frauenfilm” noch lange nicht vom Tisch. Nicht zuletzt deshalb, weil die prekären Arbeitsverhältnisse, die typisch für die gesamte, sehr hierarchisch strukturierte Filmbranche sind, weibliche Filmschaffende gleich in mehrfacher Hinsicht treffen: Im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen sind sie weniger repräsentiert, werden weniger (finanziell) gefördert und haben schlechtere Chancen aufzusteigen. Ungeachtet aller Widrigkeiten werden von Barbara Albert, Sabine Derflinger, Jessica Hausner und Co. ausgezeichnete Filme gemacht. Und sie und ihre Kolleginnen – von den Produzentinnen bis zu den Kamerafrauen – zeigen den Männern der Branche unbeirrt, was eine Klappe ist. Und das nicht erst seit gestern.

Feminist Superheroines Sojourner Truth aka Isabella Baumfree (1797–1883), ehemalige Sklavin, Freiheitskämpferin, Abolitionistin und Wanderpredigerin. Mitte des 19. Jahrhunderts thematisierte sie bereits die politischen Zusammenhänge zwischen „Women’s Rights“ und den Rechten der afroamerikanischen Bevölkerung, so auch in ihrer berühmten Rede „Ain’t I a Woman?“ von 1851. Fotoarbeitung: Lina Walde

Und jetzt: Vorhang auf für die neuen an.schläge – alle Infos zum Relaunch gibt’s auf Seite 5.

impressum Herausgeberinnen und Verlegerinnen: CheckArt, Verein für feministische Medien und Politik. A-1030 Wien, Untere Weißgerberstr. 41, T. 01/920 16 76, e-mail: redaktion@anschlaege.at, office@anschlaege.at, www.anschlaege.at l Koordinierende Redakteurinnen: Sylvia Köchl, office@anschlaege.at, T.01/920 16 78, Vina Yun, redaktion@anschlaege.at, T. 01/920 16 76 Buchhaltung, Abos: Svenja Häfner, buchhaltung@anschlaege.at, abo@anschlaege.at l Termine, Tipps: Andrea Heinz, termine@anschlaege.at l Inserate: Michèle Thoma, mi.thoma@chello.at Redaktion: Bettina Enzenhofer/be, Svenja Häfner/svh, Andrea Heinz/han, Sylvia Köchl/sylk, Silke Pixner/pix, Fiona Sara Schmidt/fis, Lea Susemichel/les, Irmi Wutscher/trude, Vina Yun/viyu l Praktikum: Claudia Amsler/claude, Alexandra Fugger/af, Verena Stern/vers, Lina Walde l Texte: Claudia Amsler/claude, Elke Auer, Sarah Diehl, Sonja Eismann, Gertraud Eiter, Denice Fredriksson, Silke Graf, Beate Hammond, Christine Hartmann, Gabi Horak, Kathrin Ivancsits/kaiv, Mia Kager/miak, Leonie Kapfer/leka, Kerstin Kellermann/kek, Birge Krondorfer, Rudolfine Lackner, Katharina Ludwig, Svenja Schröder, Verena Stern/vers, Esther Straganz, Michèle Thoma, Anita Welzmüller/nita l Layoutkonzept & Layout: Lisa

Bolyos l Coverfoto: heal and inspire back home again/flickr l Cartoons & Illustrationen: Claudia Amsler, Paula Bolyos, Nadine Kappacher, Lina Walde, Zappho l Fotos: aism/photocase,

an.schläge-Archiv, Nick Albert, comfortzone, Edition a/Bubu Dujmic, DVIDSHUB/flickr, Peter von Felbert, Andre Günther/photocase, Uve Haußig, http://thegenderblenderblog. fildes.wordpress.com, Jenzig71/photocase, Rotraud Kern, Roberta Lima, Annabel Mehran, Lance McCord/flickr, Mobilefilm, Jovan Mrvaljevic, Milija Paivcevic, www.pepper-

minta.ch, Steve Rhodes/flickr, Showtime, Stéfan/flickr, Tin Angel Records, Verein Wiener Jugendzentren, Women on Waves/Mrova, Tricky Women, 106313/photocase l Homepage:

Mirjam Bromundt, www.anschlaege.at l Druck: H.R.G. Druckerei © an.schläge: Titel, Vorspann und Zwischentitel von der Redaktion. Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht der Auffassung der Redaktion entsprechen. Kürzungen vorbehalten. l ISSN 1993-3002

04 l an.schläge Mai 2010


an.sage

Q & A Relaunch Die an.schläge-Redaktion steht Rede und Antwort.

Q. Huch, bin ich hier überhaupt richtig? Die Zeitschrift, die ich kenne, sah bisher ganz anders aus. A. Willkommen bei den neuen an.schlägen! Stimmt, wir haben unser Outfit gewechselt – aber wir sind immer noch das feministische Monatsmagazin mit Berichten aus Politik, Gesellschaft, Arbeit, Wissenschaft und Kultur. Q. Und warum habt ihr jetzt am Layout herumgeschraubt? A. Es war einfach mal wieder Zeit für eine neues Gewand! Wir haben ja auch nicht alles revidiert – zum Beispiel der bekannte Titelschriftzug, der vor zehn Jahren von Martha Stutteregger eigens für die an.schläge gestaltet wurde, ist geblieben. Q. Hilfe, meine Lieblingsrubrik ist verschwunden! Was ist passiert? A. Keine Sorge, alles ist noch da – wir haben nur manches umbenannt: Aus „wyber.space” wurde „medienmix”, der „an.spruch” hat seinen Namen in „an.sage” geändert, und unser Pro & Kontra-Format (bisher „an.sage”) heißt nunmehr „an.sprüche”. Wo vorher „an.riss Österreich” stand, findet sich jetzt „an.riss politik” – hier wird es zukünftig Kurzmeldungen nicht nur aus Österreich, sondern auch aus Deutschland und der Schweiz geben. Brandneu sind einige Kolumnen, die abwechselnd von verschiedenen Autorinnen bespielt werden: „zeitausgleich” widmet sich Fragen dies- und jenseits der Arbeitswelt, „lebenslauf” berichtet vom Älterwerden und die Cartoon-Kolumne „zappho des monats” enthüllt, dass Lesben einander im Bett nie die Haare kämmen. Übrigens: Ab Juni dürfen wir lokale Musikprominenz in unseren Reihen begrüßen, wenn Mieze Medusa und Clara Luzia als Kolumnistinnen das an.schläge-Team verstärken werden. Q. Warum ist plötzlich das Inhaltsverzeichnis viel länger, die Zeitschrift aber nicht dicker? A. Was bislang aus Platzgründen leider nicht möglich war, holen wir jetzt nach: Ab sofort sind sämtliche Artikel der jeweiligen Ausgabe im Inhaltsverzeichnis aufgelistet. Wurde auch höchste Zeit! Q. Wer steckt hinter dem neuen Aussehen der an.schläge? A. Lisa Bolyos hat mit dieser Ausgabe das Layout übernommen – kein leichter Job, denn es brauchte viele Treffen, Klausuren und einen Crash-Kurs in Sachen Typografie, bis sich das Redaktionskollektiv auf eine Richtung einigen konnte. Mittlerweile lieben wir Bell Gothic, Creampuff, Library Gothic und Bullpen Italic – so heißen die wichtigsten Schrif-

ten in unserem neuen Repertoire. Überzeugt hat uns auch die flexiblere Seitengestaltung, die nun erlaubt, Bildbeiträge unterschiedlich zu platzieren.

Q. Zeichnet ihr jetzt eure Bilder selbst? A. Mit der Relaunch-Ausgabe haben wir neue Illustratorinnen an Bord geholt: In Zukunft werden Lina Walde, Nadine Kappacher und Bianca Tschaikner (ab Juni) mit ihren tollen Grafiken ausgewählte Kolumnen und Rubriken regelmäßig schmücken. Q. Was wurde aus „In 80 Pickerln um die Welt”? Ich habe genau mitgezählt – das waren noch gar keine achtzig Aufkleber! A. Drei Jahre lang wurden die an.schläge-Aufkleber in der ganzen Welt „verpickt”. Jetzt ist noch genau ein Pickerl übrig, das in der Redaktion gehütet wird wie ein Schatz. Zeit also für eine neue Serie: „Feminist Superheroines” (siehe Seite 4). Q. Apropos Superheldin: Wer ist denn diese süße Figur mit Augenmaske, Pony und Exhibitionistinnen-Cape (siehe oben und Seite 48)? A. Schuld ist Lina Walde, unsere superengagierte Grafik-Praktikantin aus Kassel, die für uns die „Superheldin” erfunden hat. In Zukunft wird die charmante Kostümträgerin an.schlägePlakate, Postkarten, Taschen und einiges mehr zieren und die Botschaft in die Welt tragen: Feminism will save us all! Q. Bedeutet Relaunch auch, dass die an.schläge teurer werden? A. Nein, der Preis für Einzelheft und Abo bleibt unverändert (Abo-Preisliste siehe Seite 46). Q. Umso besser – mir gefallen die neuen an.schläge so gut, ich brauche sofort ein Abo! Was muss ich dafür tun? A. Eine E-Mail an abo@anschlaege.at, und schon landet die nächste Ausgabe in deinem Postkasten. Übrigens: Wer bis zum 30. Juni ein Jahresabo bestellt, erhält ein dufte AboGeschenk! Q. Gibt’s auch eine Party zum Relaunch? A. Am 4. Juni feiern wir im Wiener fluc am Praterstern. Die Plattenteller werden von den Tanzflächen-Expert_innen des feministisch-queeren DJ-Kollektivs Quote bedient, durch den Abend samt mitternächtlicher Tombola-Show führt „lesbennest”Star Denice Fredriksson. Kommt und feiert mit uns! Q. Wohin jetzt mit Lob und Kritik? A. Schreib uns einfach: redaktion@anschlaege.at. l

Mai 2010 an.schläge l 05


an.riss politik Reporterinnen, Baustellenparty und was noch?” Jetzt schon gibt es jeden Freitag von 15.00 bis 20.00 Uhr die offene Ideenwerkstatt im Mädchencafé-Büro im Musischen Zentrum. Mädchen und junge Frauen von zehn bis 18 Jahren können einfach vorbeikommen. trude/sylk Kontakte für Interessierte: maedchencafe@jugendzentren.at, T. 0676/897 060 308 oder über http://de.netlog.com/mc_1070, Mädchencafé-Büro im Musischen Zentrum: 1080 Wien, Zeltgasse 7

notstandshilfe Frauenarmut minus „Partnereinkommen“

Foto: Verein Wiener Jugendzentren

mädchencafé Schinkensemmel und Schokoeis Derzeit ist im siebten Bezirk Wiens erstes Mädchencafé in Planung. Die zukünftigen Nutzerinnen sollen schon bei der Lokalsuche, Planung und Gestaltung dabei sein und mitentscheiden können. Daher werden Mädchen gesucht, die in Wien Neubau wohnen, in die Schule gehen oder dort ihre Freizeit verbringen, und die sich bei diesem Projekt gerne engagieren möchten. Geplant wird das Mädchencafé von Caro und Birgit von den Wiener Jugendzentren. An die zukünftigen Nutzerinnen und jene, die gleich in das Projekt einsteigen wollen, haben sie einige Fragen: „Was wollt ihr in so einem Mädchencafé tun – Freundinnen treffen, plaudern, Musik hören, was trinken und was noch? Was braucht so ein Mädchencafé, um gemütlich zu sein und gut zu funktionieren – knallrote Sessel oder zartlila Sofas, Schinkensemmel oder Schokoeis ...? Was fällt euch ein, vor der Eröffnung schon zu tun – Fotoshooting im 7. Bezirk, rasende

 „

hört es, meine ihr seht es: Konservative Frauen sind schlauer „Ihr

linken Freundinnen, als ihr,

und sie sind

schärfer.“

Gewitzt (+)

Sarah Palin weiß: Wenn schon Frauen in der Politik, dann geile. Intelligenz allein reicht nämlich nicht, wenn frau nach oben will. Palin verfolgte einst selbst eine Karriere als „Beauty Queen“, bevor sie in die Politik ging und im letzten US-Präsidentschaftswahlkampf Negativschlagzeilen machte. Mit ihrer Ansage auf einer Kundgebung des rechtskonservativen „Tea Party Movement“ in Boston beweist Palin einmal mehr, warum das Frauenbild der Neo-Cons ewig gestrig bleiben wird. leka

06 l an.schläge Mai 2010

85 Prozent der abgelehnten Anträge auf Notstandshilfe – das Überbrückungsgeld nach dem Arbeitslosengeld – in Österreich betreffen Frauen. Der Grund: Bei der Berechnung auf Anspruch wird auch das Einkommen des/der Partner_in einbezogen. Übersteigt dieses gewisse Freigrenzen, wird die Notstandshilfe gekürzt oder überhaupt gestrichen. Frauen betrifft diese Regelung wesentlich öfter, da die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen in Österreich sehr hoch sind. Die Einrechnung eines „Partnereinkommens” wird übrigens selbst dann vorgenommen, wenn gegenüber dem/der Partner_in gar keine Unterhaltspflicht besteht. Die Grüne Frauensprecherin Judith Schwentner, die diese Zusammenhänge kürzlich thematisierte, führte dafür ein aktuelles Beispiel an: Eine alleinerziehende Frau zog aus Geldmangel zu einem Freund, der nicht der Vater ihrer Tochter ist. Dennoch wurde sein Einkommen einberechnet und verminderte ihre Notstandshilfe auf gerade einmal 180 Euro im Monat. trude/sylk diestandard.at, apa, www.gruene.at/frauen

leitfaden Gewalt trifft Armut Frauen, die in ihrer Beziehung Gewalt erleben, gehören zu den am stärksten armutsgefährdeten Bevölkerungsgruppen. Wie aus der im März veröffentlichten Gewaltstatistik für Österreich hervorgeht, verfügt ein

plus

Einer der wenigen deutschen Kabarettistinnen haben wir es nun zu verdanken, dass auch das Thema „Abtreibung” Einzug ins deutsche Kabarett hält: Anny Hartmann nimmt in ihrer Show „Schwamm drüber” die deutsche Abtreibungspolitik genauer unter die Lupe und lässt Herrn Singhammer und die katholische Kirche in einem ziemlich schlechten Licht dastehen. Auch andere feministische Themen wie Schlankheitswahn oder Prostitution verpackt sie auf humorvolle Art und Weise. Klasse! leka

Verschwitzt (–) Geht es nach „Durst”, dem StudentInnenmagazin der Wiener Stadtzeitung „Der Falter”, sieht das Binnen-I „einfach scheiße aus. Und man kann es auch nicht wirklich konsequent durchhalten. (...) Deshalb verwenden wir geschlechtsneutrale Formen, wo immer es geht. Ansonsten setzen wir auf die Intelligenz und das Sprachgefühl der Frauen.” Bleibt festzustellen: Flüssigkeitsmangel wirkt sich negativ auf die Denkleistung aus. Wir spendieren gerne einen Drink und empfehlen: Zurück ins Gender-Seminar! viyu


an.frage Viertel aller Frauen, die in den österreichischen Frauenhäusern Schutz suchen, über kein eigenes Einkommen. Denn oft haben die Frauen aufgrund der erlebten Gewalt ihren Job verloren, gleichzeitig bedeutet für die Frauen die Trennung vom Gewalttäter auch ein Leben alleine (oft mit Kindern) und eine massive Verschlechterung ihrer finanziellen Situation. Zusammen mit der Statistik haben die Autonomen Österreichischen Frauenhäuser (AÖF) einen Leitfaden zur gesundheitlichen Versorgung gewaltbetroffener Frauen herausgebracht. Dieser richtet sich vor allem an Ärzt_innen, Hebammen und Krankenpflegekräfte – denn sie spielen eine zentrale Rolle bei der Früherkennung häuslicher Gewalt. Sowohl Leitfaden als auch Gewaltstatistik stehen auf der Seite der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser zum Download bereit. trude Autonome Österreichische Frauenhäuser: www.aoef.at

antidiskriminierung „Rasse“ aus dem Grundgesetz Das in Berlin ansässige Deutsche Institut für Menschenrechte (DIM) hat dem Gesetzgeber empfohlen, den Begriff „Rasse” aus dem Diskriminierungsverbot in Artikel 3 des Grundgesetzes zu streichen. Stattdessen wird das „Verbot ,rassistischer’ Benachteiligung oder Bevorzugung” gefordert. Anlässlich der Veröffentlichung des Positionspapiers „Ein Grundgesetz ohne Rasse” Mitte April erklärte Institutsdirektorin Beate Rudolf: „Eine Änderung des Grundgesetzes wäre ein wichtiges Signal, um die scheinbare Akzeptanz von Rassekonzeptionen zu beenden.” Jede Theorie, die auf die Existenz unterschiedlicher Rassen abstelle, sei in sich rassistisch. Das Europäische Parlament habe sich bereits gegen den Begriff „Rasse” in Gesetzestexten der Europäischen Union ausgesprochen, und einige europäische Länder hätten ebenfalls schon in ihrem nationalen Recht von dem Begriff „Rasse” Abstand genommen. „Ein solcher Schritt ist in Deutschland längst überfällig”, so Rudolf. viyu www.institut-fuer-menschenrechte.de

tirol Nullbudget für feministische Einrichtungen Nachdem das Autonome FrauenLesbenZentrum (AFLZ) in Innsbruck bereits vor einem Jahr von der Schließung bedroht war (siehe an.schläge 07-08/2009), wurde nun erneut vier feministischen Einrichtungen in der Tiroler Hauptstadt das Budget gestrichen bzw. gekürzt: Neben dem AFLZ ist auch ArchFem, das interdisziplinäre Archiv für Feministische Dokumentation, das Filmprojekt kinovi[sie]on, das ausschließlich Filme von Regisseurinnen featuret, und die Frauenbibliothek AEP betroffen. Ohne öffentliche Förderungen sind all diese Einrichtungen von der Schließung bedroht. In einem offenen Brief an Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek und mit einem Protestmarsch durch Innsbruck machten sie auf ihre prekäre Lage aufmerksam und beklagten das Unverständnis der zuständigen Landesrätin Patrizia Zoller-Frischauf. Diese soll zur Budgetkürzung gemeint haben: „Frauenliteratur ist sicher ganz wichtig. Sie kann aber auch in anderen Büchereien stehen. Und Veranstaltungen, wo die Einkommensschere bejammert wird, nützen nichts. Es geht darum, dort anzusetzen, wo man etwas verändern kann.” trude www.frauenlesbenzentrum.at, www.leokino.at/kinovisieon/kinovisieon.php, www.archfem.at, AEP – Arbeitskreis Emanzipation und Partnerschaft: http://aep.at

Freiräume

für Feminismus

Von 21.-23. Mai findet in Klagenfurt/Celovec die FrauenFrühlingsUni (FFU) statt. Seit den 1970ern wird mit der FFU ein Raum für Frauen und Trans*frauen geschaffen, der einen Austausch unabhängig von Bildungsgrad und Alter ermöglicht. Mittlerweile wird die FFU jährlich in einer anderen österreichischen Universitätsstadt organisiert. Verena Stern interviewte das aktuelle Organisator_innen-Kollektiv. Welche Themenschwerpunkte erwarten die Teilnehmer_innen der FFU 2010? Die für heuer geplante Themenachse lautet „Frauen – Wege – Utopie”. Allerdings sind bisher noch relativ wenige Vorschläge für Workshops zu Utopie eingelangt. Dafür bieten wir sonst einiges: von Frigga Haug bis Feminismus in Ungarn, von Hexenverbrennung bis Frauenbewegungen in Lateinamerika. Da es sich um einen offenen Raum handelt, können jedoch bis zum letzten Tag neue Ideen für Workshops eingebracht werden. Weiters gibt es an allen drei Tagen Ausstellungen von Künstler_innen aus Slowenien, Ungarn und Deutschland, am Freitag findet eine Podiumsdiskussion zum Thema „Wer schön sein will, muss leiden?! Schöpferischer Selbstentwurf oder Normierung des Körpers?” statt, und am Samstag wird ein großes Frauenfest gefeiert. Wie sahen die Vorbereitungen aus? Die Arbeit im Kollektiv hat bemerkenswert gut funktioniert. Jeder Beschluss wurde konsensual angenommen, außerdem gab es immer Protokolle (inklusive Einspruchsmöglichkeit), die auch an weitere Interessierte per E-Mail weitergeleitet wurden, um Transparenz zu wahren. Die Organisation generell war – Kollektiv und Basisdemokratie zum Trotz – sehr effizient, obwohl viele verschiedene Biografien von Frauen aufeinander trafen: Es waren Künstler_innen, hauptsächlich Studierende sowie berufstätige Student_innen und studierende Mütter beteiligt. Wie steht ihr zur Frage des „Women Only“? Nach langen Debatten haben wir uns gegen ein generelles „Women Only” entschieden. Uns war wichtig, dass die Konzeption und die administrative wie inhaltliche Organisation durch Frauen erfolgte. Alle Workshopleiter_innen können aber selbstverständlich selbst entscheiden, wie sie das handhaben wollen. Abgesehen davon sind Männer als Teilnehmende und Mithelfende herzlich willkommen. Was macht die FFU so einzigartig? Vermutlich hat jede, die an der FFU teilnimmt, eine eigene Definition von Feminismus. Doch trotz verschiedener Zugänge ist es eine Bewegung, die sich nicht auseinanderdividieren lässt. Die FFU kann als Teil feministischer Bildung betrachtet werden, als Freiraum nicht vereinnahmbarer, autonomer Frauen. Student_innen können die Reisekosten als Refundierung bei der ÖH beantragen, freie Übernachtungsmöglichkeiten werden geboten. Programm und Infos auf: http://ffuni.blogsport.de/2010

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undokumentierte arbeit

Lohn ohne Zettel  Undokumentierte Arbeit von MigrantInnen  dokumentieren und deren Rechte einfordern –   die deutsche Dienstleistungsgewerkschaft ver.di  hat sich für illegalisierte Arbeitende geöffnet.  Von Katharina Ludwig

Foto: Andre Günther/photocase

Illegalisierter Aufenthalt heißt isoliert arbeiten im Graubereich. So lautete lange der Schluss, wenn es um die Arbeitssituation von MigrantInnen ging. Doch auch Menschen ohne Papiere haben klare Rechte, was ihre Arbeit betrifft – und sie können diese auch einklagen. In Deutschland wurden während der letzten zwei Jahre in Hamburg, Berlin und zuletzt auch in München Beratungsstellen für Arbeitende ohne Papiere gegründet, in Kooperation zwischen der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und migrantischen sowie antirassistischen Organisationen. Wer zum Beispiel für geleistete Arbeit nicht den vereinbarten Lohn bekommt, bei Überstunden leer ausgeht oder nach einem Unfall keine ärztliche Versorgung erhält, kann sich bei diesen Stellen zweimal im Monat Unterstützung holen. Mit Stundenliste und SMS vor’s Gericht. Die Erstberatung bei Problemen mit ArbeitgeberInnen ist kostenlos, auch für Nicht-GewerkschafterInnen. Als erstes gehe es darum, überhaupt zu wissen, dass man Rechte besitzt, erzählt Conny Roth vom „Arbeitskreis undokumentierte Arbeit” bei ver.di , der die Beratung in Berlin organisiert. 08 l an.schläge Mai 2010

Dann werde erklärt, wie man Belege über das Arbeitsverhältnis sammeln kann, um diese Rechte auch wahrzunehmen: Das können selbst geschriebene Stundenzettel sein, Fotos vom Arbeitsplatz, Aufträge in Form von SMS oder Klebezetteln, wie sie Haushaltskräfte häufig bekommen. Das Dokumentieren der undokumentierten Arbeit ist also Programm. Weiters empfiehlt das Beratungsteam, zu Einstellungsgesprächen einen Zeugen/eine Zeugin mitzunehmen und dem Chef bzw. der Chefin generell möglichst wenig Persönliches zu erzählen. Dadurch mache man sich bei Problemen weniger angreifbar. Stellt sich im Zuge der Beratung heraus, dass Ansprüche wie Lohnnachzahlungen geltend gemacht werden können, kann der/die Betroffene ver.di beitreten und mit gewerkschaftlicher Rückendeckung aktiv werden. Das Neue daran: Es geht auch ohne Aufenthaltsberechtigung, ohne Meldeschein und ohne Bankkonto, denn den monatlichen Mindestbeitrag von 2,50 Euro kann man auch bar bezahlen. Die erste ver.di-Gewerkschafterin ohne Papiere war Ana S. Die Kolumbianerin hatte nach abgelaufener Au-PairBeschäftigung bei einer Hamburger

Familie weiter Hausarbeit geleistet, für einen Euro pro Stunde bei 24-StundenBereitschaft. Die Dokumentation „Mit einem Lächeln auf den Lippen. Eine Hausarbeiterin ohne Papiere zieht vors Arbeitsgericht” von Anne Frisius erzählt von Ana S.’ Arbeitskampf. Mit dem kostenlosen Rechtsbeistand von ver.di erreichte die Frau schließlich in einem Vergleich die Nachzahlung von Löhnen. Signalwirkung und Meldepflicht. „Die Kosten sind keine Hürde”, meint Conny Roth von ver.di. „Die eigentliche Hürde ist, den rechtlichen Weg überhaupt zu beschreiten – aus Angst, den Arbeitsplatz ganz zu verlieren oder dass der illegale Aufenthalt aufgedeckt werden könnte.” Denn die ArbeitsrichterInnen agieren selbst in einem Graubereich. Nach deutschem Aufenthaltsgesetz müssen öffentliche Stellen die Ausländerbehörden informieren, wenn sie von einem „illegalen” Aufenthalt erfahren. RichterInnen steht es aber frei, den Aufenthaltsstatus im Verfahren überhaupt zu prüfen. So leitete die Richterin im Fall Ana S. die Akten weiter. Den Aufenthalt von MigrantInnen in Deutschland während des Lohnstreits nicht zu gefährden, hat für ver.di Priorität. Garantie gibt es


undokumentierte arbeit aber keine. In den meisten bekannten Gerichtsfällen war der illegale Aufenthalt laut Roth aber nicht Thema. „Da ging es darum herauszufinden, ob es ein Arbeitsverhältnis gab, welcher Lohn vereinbart wurde und ob es Lohnrückstände gibt.” Meistens einigt man sich beim ersten Gerichtstermin, der sogenannten Güteverhandlung, einvernehmlich mit einem Vergleich. KlägerInnen müssen dabei nicht selbst anwesend sein und riskieren damit nicht, während des Gerichtstermins von der Polizei aufgegriffen zu werden. Kontrollen direkt bei der Beratungsstelle sind in Berlin bislang nicht vorgekommen. „Letztendliche Sicherheit gibt es nicht”, meint Roth. „Aber es gäbe ein ziemlich großes Medienecho, wenn Leute von ver.di abgefangen würden. Ich halte das für sehr unwahrscheinlich.”

und Beratungsstellen voraus. Jahre, in denen sich Gewerkschaften mehr um den „Schutz” des nationalen Arbeitsmarktes vor „Schwarzarbeit” als um die Rechte von undokumentierten ArbeiterInnen kümmerten, in denen es „Schwarzarbeiter-Telefone” gab, um illegale Beschäftigung und damit illegal Beschäftigte zu melden, und in denen GewerkschafterInnen teilweise Polizeirazzien begleiteten. Auch heute noch argumentieren andere Gewerkschaften, illegale Beschäftigung mache die Löhne kaputt und würde inländische Arbeitsplätze besetzen. Die Gewerkschaft „Nahrung-GenussGaststätten” hat noch vor drei Jahren unter anderem mit dem Bundesministerium für Finanzen ein „Bündnis gegen Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung in der Fleischwirtschaft”

Auch Menschen ohne Papiere haben klare Rechte, was ihre Arbeit betrifft – und sie können diese auch einklagen. Die Gerichtsverhandlungen haben für die hauptberufliche Mediatorin vor allem „Signalwirkung für ArbeitgeberInnen, dass illegal Beschäftigte nicht grenzenlos ausbeutbar sind. Die ArbeitgeberInnen bekommen Grenzen gesteckt und merken, dass sie mit ihren Beschäftigten ohne Papiere nicht machen können, was sie wollen.” In vielen Fällen muss es dafür gar nicht bis zum Gericht gehen, es reicht eine offizielle Lohnforderung, verfasst vom ver.diRechtssekretär, mit offiziellem Briefpapier. Wenn ArbeitgeberInnen merken, dass das Gegenüber seine/ihre Rechte kennt und eine Gewerkschaft mit rund 2,1 Millionen Mitgliedern hinter sich hat, hinterlässt das oft schon wirksamen Eindruck. Fünf Minuten und fünf Jahre. Ein Stück Papier für mehr Arbeitssicherheit – obwohl so einfach, hat die Öffnung einer der größten internationalen Gewerkschaften für undokumentierte Arbeitsformen lange auf sich warten lassen. Ihr gingen Jahre der Bündnisarbeit zwischen Flüchtlings- und MigrantInnenorganisationen, antirassistischen und feministischen Gruppen, einzelnen Gewerkschaftsmitgliedern

geschlossen. Die Industriegewerkschaft „Bauen-Agrar-Umwelt” forderte diesen April zusätzliches Personal für die „Finanzkontrolle Schwarzarbeit”, um Mindestlöhne zu kontrollieren – und illegale Beschäftigung zu bekämpfen. Für antirassistische Initiativen wie „respect” und „kanak attak berlin” steht dahinter eine nationalistische und rassistische Vorstellung „einer neuen Form der ,Schmutzkonkurrenz’”, die „einer Gruppe von Menschen ein Vorrecht auf einen Arbeitsplatz gegenüber einer anderen einräumt”. So formulierten es die Initiativen 2003 – im selben Jahr, als sich eine der AktivistInnen beim ver.di-Bundeskongress fünf Minuten Rederecht erkämpfte und forderte, auch die Interessen von illegalisierten ArbeiterInnen zu vertreten. Ver. di-Vorsitzender Frank Bsirske sprach sich daraufhin noch am Kongress für die Legalisierung von Arbeitskräften aus, die in Deutschland mit prekärem Status oder ohne Aufenthaltspapiere arbeiten. „Ich halte es für richtig, dass wir uns als Gewerkschaften dieses Themas annehmen. Ich kann mir eine Legalisierung vorstellen”, erklärte er, betonte aber auch, dass zuerst eine intensive Diskussion dazu notwendig sei.

Fünf Jahre später, 2008, nahm MigrAr, die erste Beratungsstelle für Arbeitende ohne Papiere in Hamburg, die Arbeit auf. Besondere Branchen, beschränkte Ressourcen. Dass es auch bei ver.di noch Unsicherheiten im Umgang mit undokumentierter Arbeit gibt, zeigt die strukturelle Einbindung der Beratungsstellen. Diese sind angesiedelt im „Fachbereich 13 – Besondere Dienstleistungen”, gemeinsam mit Zeitarbeit, Callcentern, Prostitution und allem, was nicht in andere Fachbereiche passt. Dabei kommen die Anfragen an den „Arbeitskreis undokumentierte Arbeit” aus ziemlich alltäglichen Branchen: von Hausarbeiterinnen und Zeitungslieferern, aus Gastronomie, Hotellerie und Reinigung oder aus Fitnessstudios. Ver.di stellt die Räume und Bürotechnik und gegebenenfalls die AnwältInnen zur Verfügung. Die Beratung selbst ist – wie auch die anderen ver.di-Beratungen, etwa für Lohnsteuer oder SeniorInnen – ehrenamtlich organisiert. Der Pool aus rund zwanzig MitarbeiterInnen speist sich aus antirassistischen Initiativen wie „respect”, der medizinischen Flüchtlingshilfe oder „FelS” („Für eine linke Strömung”). Das öffentliche Interesse an ihrer Arbeit sei so groß, erzählt Roth, dass für viele Anfragen und zusätzliche politische Arbeit keine Ressourcen bleiben. „Es gibt zwar einen bezahlten Rechtssekretär, der für uns zuständig ist, aber der hat auch noch viele andere Aufgabengebiete. Darum ist ein Ziel von uns eine feste Stelle, die die Beratung gewährleistet.” Zu tun bleibt noch einiges – die Liste der möglichen Forderungen ist lang: etwa die bundesweite Aufhebung der Meldepflicht für Sozialämter, Krankenhäuser und Schulen, die Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen und nicht zuletzt der kostenlose und anonyme Zugang zum Krankensystem. l

Katharina Ludwig schreibt als freie Journalistin in Berlin, aktuell zu den Schwerpunkten Arbeit/Soziales.

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Allianzen für Selbstbestimmung  Strategien zur EU-weiten Legalisierung von Abtreibung zu entwickeln  ist das Ziel einer Vernetzung von Pro-Choice-Aktivistinnen  aus Irland, Polen und Deutschland. Die Aktivistin und Filmemacherin  Sarah Diehl beschreibt den internationalen Stand der Dinge. Weltweit sind jedes Jahr etwa achtzig Millionen Frauen ungewollt schwanger, etwa die Hälfte von ihnen lässt eine Abtreibung vornehmen. Laut WHO stirbt weltweit alle sieben Minuten eine Frau an den Folgen eines illegalisierten Schwangerschaftsabbruchs. Weitere fünf Millionen Frauen leiden an daraus folgenden Verletzungen oder Infektionen, manchmal ein Leben lang. So dramatisch diese Zahlen sind, noch dramatischer ist die Erkenntnis, dass es sehr leicht wäre, dies durch eine Legalisierung zu verhindern. Auch die gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen sind weitreichend: 220.000 Kinder werden jedes Jahr zu Waisen, weil ihre Mütter an unsicheren Abtreibungen sterben. Gerade in Ländern, wo sich vor allem Frauen um die Erziehung und Versorgung der Kinder kümmern, hat das dramatische Folgen für die gesamte Lebensplanung, Eigenständigkeit und Produktivität dieser Familien. Auch die Belastungen der Gesundheitssysteme aufgrund unsicherer Abtreibungen sind enorm. Foto: Women on Waves/Mrova

Links: europeanprochoicenetwork.wordpress.com http://reclaimfeminism.blogsport.de www.abortion-democracy.de www.youtube.com/watch?v=IEoFPN3mR1Y

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Probleme in der (Arzt-)Praxis. Allerdings reicht eine Legalisierung allein oft nicht aus. In vielen Ländern werden auch vorhandene Gesetze, die den Abbruch unter bestimmten Umständen – wie Gesundheitsrisiken, Vergewaltigung oder Inzest – straffrei stellen, nicht eingehalten. Ein Grund dafür ist, dass ÄrztInnen und Krankenhauspersonal eine direkte Zielscheibe für organisierte AbtreibungsgegnerInnen darstellen, da sie letztendlich jene Instanz sind, die entscheidet, ob Frauen tatsächlich Zugang zu Abtreibungen bekommen. Viele

ÄrztInnen haben Angst um ihren Ruf – und der Ruf, „Babys zu töten”, wie AbtreibungsgegnerInnen das nennen, ist dabei wirkungsmächtiger als der Ruf, sich für Frauenrechte einzusetzen. Oft wird in der Ausbildung zum/zur GynäkologIn Abtreibung auch gar nicht thematisiert, weder als medizinisches noch als soziales Problem. Das mangelnde Bewusstsein der ÄrztInnen in der Auseinandersetzung mit dem Thema hat den von Konservativen erwünschten tabuisierenden Effekt, und ÄrztInnen zeigen trotz ihrer medizinischen Ausbildung oft eine erschreckend einseitige Perspektive auf das Thema. Darüber hinaus sprechen sich viele ÄrztInnen offiziell gegen eine Legalisierung aus, da sie somit horrende Summen für Abtreibungen fordern können, die sie heimlich in ihren Praxen anbieten. Kleine Schritte vor und zurück. Seit der Internationalen Konferenz für Bevölkerung und Entwicklung in Kairo 1994, die zum ersten Mal reproduktive Rechte von Frauen anerkannte, gab es leider viele Rückschritte. Die Konferenz hatte zwar Abtreibung als Mittel der Familienplanung ausgeschlossen, jedoch wurde festgehalten, dass jeder Mensch Zugang zu Instrumenten und Dienstleistungen der Familienplanung erhalten können soll. Die USA haben jedoch seit Kairo AbtreibungsgegnerInnen in Schlüsselpositionen der UNO gewählt und nicht nur mit der Streichung der finanziellen Unterstützung für NGOs, die zum Thema Abtreibung arbeiten, sondern auch mit „Aufklärungsprogrammen”, die ausschließlich Abstinenz propagieren, großen Schaden angerichtet.


Diese ideologischen Verschiebungen zeigen auch in anderen Ländern Wirkung: Im März beschloss zum Beispiel die kanadische Regierung nicht nur, dass die staatliche Entwicklungshilfe das Thema Abtreibungen aussparen muss, es wurden sogar alle Gelder für Sexualaufklärung und Verhütung gestrichen. Eine positive Entwicklung brachte 2005 die Verabschiedung des sogenannten Maputo-Protokolls der Afrikanischen Union. Darin wird immerhin der Zugang zu Abtreibungen in Fällen von Vergewaltigung und Inzest und bei Gesundheitsproblemen der Frau befürwortet. Das Protokoll wurde seither von 25

beginnt. Damit wären alle Formen von Abtreibungen auf einen Schlag illegal und die Resolutionen der UNO, der EU und der Afrikanischen Union irrelevant. In der Dominikanischen Republik wurde dies im Januar 2010 tatsächlich durchgesetzt. Vernetzung stärken. Aber auch innerhalb der EU gibt es immer noch Länder, in denen Abbrüche illegal sind. In Polen finden jedes Jahr etwa 200.000 illegale Abtreibungen statt, während jeden Tag durchschnittlich 17 Frauen aus Irland für eine Abtreibung nach England reisen müssen.

In Polen finden jedes Jahr etwa 200.000 illegale Abtreibungen statt, während jeden Tag durchschnittlich 17 Frauen aus Irland für eine Abtreibung nach England reisen müssen. afrikanischen Staaten ratifiziert – gegen den Protest der katholischen Kirche. AbtreibungsgegnerInnen wie Human Life International hatten mit dem Argument dagegen mobilisiert, dass es sich dabei um den rassistisch motivierten westlichen Plan handle, die afrikanische Bevölkerung zu dezimieren. Päpstliche Diplomatie. Die katholische Kirche setzt ihre Macht und die Angst der PolitikerInnen vor Stimmenverlust sehr gezielt ein, wenn diese bei der Mobilisierung gegen Abtreibung nicht mitmachen. So kam es unter anderem zum Komplettverbot in Nicaragua und zur Rekriminalisierung in Polen. Papst Benedikt XVI. versucht sehr effektiv, auf internationaler Ebene mit PolitikerInnen zusammenzuarbeiten, die helfen können, seine Vorstellungen umzusetzen – wie etwa 2009, als unter Beteiligung hochkarätiger PolitikerInnen zum fünften Mal der Weltkongress der Familien in Amsterdam stattfand. Dort wurde das Thema Abtreibung von der Kirche eindeutig zu dem Zweck instrumentalisiert, die Selbstbestimmung von Frauen allgemein zu diskreditieren. Aber es geht noch weiter: In vielen Ländern mobilisiert die katholische Kirche sogar für Verfassungsänderungen, mit denen festgelegt werden soll, dass das Leben bei der Empfängnis

Es gab bereits Versuche, das Verbot beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzufechten: 2005 verklagte Alicja Tysiac den polnischen Staat, derzeit findet in Irland ein Prozess statt, in dem drei Frauen gegen das betreffende Gesetz klagen. Am 2. April 2010 trafen sich in Berlin irische, deutsche und polnische ProChoice-Aktivistinnen, um kollektiv Strategien dafür zu entwickeln, Abtreibung innerhalb der EU zu legalisieren und frei zugänglich zu machen. Eines der Resultate ist der Blog europeanprochoicenetwork.wordpress.com – damit wird in Zukunft der Informationsaustausch zwischen den oft isolierten Pro-ChoiceOrganisationen in den einzelnen Ländern vereinfacht, und auch gemeinsame Aktivitäten gegen die an Einfluss gewinnenden AbtreibungsgegnerInnen können leichter geplant werden. l

Sarah Diehl ist Autorin und Filmemacherin in Berlin und arbeitet zum Thema Frauenrechte und Abtreibung in Politik, Gesetzen, Medien und Medizin weltweit.

neuland entdeckungen im alltag

Beate Hammond

Spiegelangst

Neulich passte ich auf ein Baby auf – es war ein sechs Monate altes Mädchen. Eigentlich ein liebes Mädchen, nur interessiert das an einem Sonntag um sechs Uhr früh wenige. Das Mädchen war bereits seit einer Stunde wach, verständlich, denn die Sonne war ja auch schon aufgegangen. Ihre Eltern waren an der Aufgabe gescheitert, es wieder zum Schlafen zu bringen. Das Mädchen wollte spielen. Ich bot mich als Aufpasserin an. Schließlich war ich ebenfalls wach geworden, nicht mehr müde und hatte ein spannendes Buch dabei. Was kann schon passieren, dachte ich? Babys im Alter zwischen drei und neun Monaten bewegen sich nur sehr unbeholfen, können meist weder schnell krabbeln noch laufen. Solange sie in Sichtweite ist, kann ich getrost mein Buch lesen, dachte ich. Sie wird mich schon nicht stören, war ich überzeugt. Dies stellte sich nach ein paar Minuten als kolossale Fehleinschätzung heraus. Das Mädchen wollte nämlich permanente Aufmerksamkeit, und wenn sie diese länger als circa zehn Sekunden nicht bekam, weinte sie – erst leise, dann lauter. Außerdem war sie äußerst wählerisch. Mehr als fünf Minuten lang interessierte sie gar nichts. Ihre Rassel war ihr bald langweilig. Ihr Stoffhase ebenso. Nur mein Buch fand sie immerhin so anziehend, dass sie bald auf einer Seite herumkaute, was mich gar nicht entzückte. Durch Zufall entdeckte ich etwas, was sie dauerhaft zu fesseln verstand – ihr eigenes Spiegelbild. Ich hielt sie vor einen Spiegel, und sie war fasziniert von dem sechsmonatigen Baby, das ihr entgegenschaute. Das Baby, das lächelte, wenn sie lächelte, das winkte, wenn sie winkte, das gähnte, wenn sie gähnte. Sie konnte ihr Abbild gar nicht oft genug sehen. Wir Erwachsenen sind da ganz anders. Spiegel sind nicht mehr unsere Freunde, sie sind eher wie alte Bekannte, die man mit Absicht aus den Augen verloren hat. Je mehr Jahre vergehen, um so weniger schauen wird uns ins eigene Gesicht. Das Leben hat uns gezeichnet, und das nicht immer sehr schmeichelhaft.

Beate Hammond macht ihre Entdeckungen in Wien.

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gesundheitspolitik

The American Way of Health  Ist die Gesundheitsreform in den USA tatsächlich der  große Erfolg, als der sie gefeiert wird? Vor allem Feministinnen kritisieren den „Faustischen Pakt”, den  Präsident Obama mit AbtreibungsgegerInnen – auch  aus dem eigenen politischen Lager – eingegangen ist.  Von Sylvia Köchl

Quellen: www.thedailybeast.com www.thenation.com www.msmagazine.com http://msmagazine.com/blog www.feministing.com http://maedchenmannschaft.net

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„Ich bin froh, dass das Gesetz zur Gesundheitsversorgung verabschiedet wurde”, schreibt die US-amerikanische Journalistin Dana Goldstein im OnlineMagazin „The Daily Beast”. „Es wäre auch seltsam, von der Zahl von 31 Millionen unversicherter Menschen, die nun Zugang zu einer leistbaren Krankenversicherung haben werden, nicht berührt zu sein. Aber wir sollten uns dennoch klar machen, dass das Gesetz zulasten der reproduktiven Rechte armer Frauen geht.” Die Wahl von Barack Obama zum Präsidenten der USA hatte bei feministischen Organisationen große Hoffnungen geweckt, denn in seinem Wahlkampf hatte er versprochen, das sogenannte Hyde Amendment aus dem Jahr 1976 abzuschaffen. Demzufolge dürfen keine Bundesmittel von Medicaid (das Gesundheitsfürsorgeprogramm, das von den jeweiligen Bundesstaaten und der Bundesregierung paritätisch finanziert wird) für die Refundierung der Kosten von Abtreibungen mittelloser Frauen

Foto: http://thegenderblenderblog.files.wordpress.com

verwendet werden. Ausnahmeregelungen gibt es nur in 17 Bundesstaaten, in denen die Kosten bei medizinisch notwendigen Schwangerschaftsabbrüchen von Medicaid übernommen werden. Eben jenes Hyde Amendment war nun Gegenstand des Deals, der die Verabschiedung des Gesetzes, das von Präsident Obama am 23. März 2010 unterzeichnet wurde, erst möglich machte: In einem „Faustischen Pakt” (Goldstein), mit republikanischen, aber auch demokratischen AbtreibungsgegnerInnen unter den Abgeordneten, sicherte Obama zu, das Hyde Amendment per Erlass in das neue Gesetz aufzunehmen. Weiterhin keine Wahl. Obwohl bislang nur etwa 13 Prozent aller Abtreibungen über Versicherungen verrechnet werden, sei die Meinung weit verbreitet, so Goldstein, dass abtreibungswillige Frauen auch immer eine bekommen. Doch diese Schlussfolgerung ist falsch: Eine Studie aus dem Jahr 1999 über die Situation armer Frauen in North Carolina fand heraus, dass ein Drittel dieser Frauen Schwangerschaften nur deshalb ausgetragen hatte, weil Medicaid nicht bezahlte. Eine Abtreibung kostet zwischen 350 und 1.000 Dollar, das entspricht einigen Monatsmieten oder auch den Lebensmitteleinkäufen mehrerer

Monate. „Damit kommen die Kosten einem Abtreibungsverbot gleich”, meint Goldstein. Das Resultat dieser Notlage, den Schwangerschaftsabbruch nicht bezahlen zu können, ist ein weiteres Kind, dessen Versorgung sich Frauen aus der ArbeiterInnenklasse wiederum kaum leisten können, von einer guten Ausbildung ganz zu schweigen. Die aktuelle Rekordarbeitslosigkeit tut hier ihr Übriges. „Das ist also die Art von ,Wahl’, die wir in Amerika heute haben”, beklagt Goldstein, „auf jene beschränkt, die es sich leisten können.” Die Aussichten, diese Situation zu verändern, sind laut Goldstein düster. Die DemokratInnen waren bislang die wichtigsten Verbündeten im Kampf für reproduktive Rechte. Diese Allianz aus Teilen der Partei, feministischen Organisationen und anderen progressiven Gruppen ist allerdings durch die Entscheidung, den erwähnten Kompromiss einzugehen, zerbrochen. Hoffen auf neue Mehrheiten. Auch die Journalistin Sharon Lerner berichtet in ihrem Hintergrundartikel über das Zustandekommen der Gesundheitsreform in der linken Wochenzeitung „The Nation” von den Hoffnungen, die „nach den dunklen Jahren der Bush-Regierung” in Obama gesetzt wurden. Die Pro-Choice-Bewegung, die sich durch


gesundheitspolitik Obamas Wahlsieg politisch gestärkt und durch die demokratischen Mehrheiten in beiden parlamentarischen Häusern (Repräsentantenhaus und Senat) auch sicher fühlte, habe mit diesem Gesetz eine durchaus unerwartete und enttäuschende Niederlage erlitten. Gerade die Abschaffung des Hyde Amendment sei als langfristiges Ziel durch den Regierungswechsel in den Bereich des Machbaren gerückt, nun müssten völlig neue Strategien entworfen werden, um das grundsätzlich von allen progressiven Seiten begrüßte neue Gesetz wieder abzuändern.

entstanden ist. Dies ist zumindest die Hoffnung von feministischen LobbyOrganisationen. Der Abstinenz-Deal. Abgesehen von diesem Pakt mit den AbtreibungsgegnerInnen liegt der erfolgreichen Verabschiedung des Gesetzes aber noch ein anderer Deal zugrunde. 250 Millionen Dollar jährlich gehen nämlich für die nächsten fünf Jahre an die sogenannte Abstinence-only Education. Geld aus diesem Fonds erhalten Bildungsprogramme, die laut Definition des Gesundheitsministeriums lehren, „dass sexuelle

„Wir sollten uns klar machen, dass das Gesetz zur Gesundheitsreform zulasten der reproduktiven Rechte armer Frauen geht.“ (Dana Goldstein) Wichtig dabei ist laut Lerner die Einsicht, dass eine demokratische Mehrheit nicht gleichbedeutend mit einer ProChoice-Mehrheit ist. Die demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus etwa sei weitgehend durch die Entscheidung der Partei gewonnen worden, sozialkonservative KandidatInnen und darunter auch AbtreibungsgegnerInnen aufzustellen. Die Pro-Choice-Lobbyarbeit kann sich also nicht mehr nur auf die demokratischen Abgeordneten konzentrieren oder sich wie bisher auf die Grundsatzfrage „für oder gegen Abtreibung” versteifen, sondern muss nun bei den anstehenden Mid-term Elections (Parlamentswahlen in der Mitte der vierjährigen Amtszeit des Präsidenten) auch dort ansetzen, wo WählerInnen etwa für gewisse rechtsstaatliche Argumente zugänglich sind. Da könnte argumentiert werden, dass es im Kontext des neuen Gesetzes doch ungerecht sei, wenn für eine legale medizinische Prozedur, die eine Abtreibung ja ist, keine Versicherungsleistung in Anspruch genommen werden darf. Die betroffenen Frauen selbst könnten durch die Gesundheitsreform ermutigt werden, für ihre reproduktiven Rechte einzustehen. Wenn viele von ihnen nun erstmals Zugang zu einer Krankenversicherung haben, wird ihnen auch die Ungerechtigkeit auffallen, die durch die Ausklammerung der Abtreibungskosten

Abstinenz der einzige sichere Weg ist, um unerwünschte Schwangerschaften und sexuell übertragbare Krankheiten zu vermeiden”. Weiters müssen die Programme verbreiten, dass Sex vor der Ehe „schlimme psychologische und physiologische Auswirkungen” habe. Beinahe lächerlich wirkt dagegen die Dotierung der Sex Education, die zwar ebenfalls Abstinenz predigt, zugleich aber über Verhütung informiert: 75 Millionen Dollar pro Jahr. Die besonders hohe Rate an TeenagerSchwangerschaften in den USA, die die Wirkungslosigkeit, ja Gefährlichkeit solcher Abstinenz-Programme belegt, wird dadurch wohl kaum sinken. Verbesserter Gesundheitsschutz. Dennoch bringt die Gesundheitsreform, die in den nächsten vier Jahren schrittweise umgesetzt wird, auch zahlreiche Verbesserungen für Frauen, die Jessica Stites im Blog des feministischen „Ms. Magazine” auflistet. Da Verhütungsmittel von den Versicherungsleistungen gedeckt sind, werden in Zukunft Millionen mehr Frauen Zugang zur Familienplanung erhalten. Daneben betreffen die wichtigsten Neuerungen die Praktiken der privaten Versicherungskonzerne. Für Frauen, die sich bisher nur billige private Versicherungen leisten konnten, war zum Beispiel die Schwangerschaftsvorsorge

nicht enthalten. Diese aber auch andere Leistungen wie Krebsabstrich und Mammografie müssen zukünftig Teil eines Basispakets für Frauen sein – und zwar ohne Zuzahlungen. Das sogenannte Gender Rating, das fast fünfzig Prozent der Versicherungen praktizieren, wird damit verboten. Frauen dürfen für dieselbe Versicherungsleistung also nicht mehr höhere Prämien verrechnet werden als Männern. Das Gender Rating wurde unter anderem damit berechnet, dass Geburten mit Kaiserschnitt, Gewalterfahrungen in der Familie oder Vergewaltigungen als „Vorerkrankungen” eingestuft wurden. Harte Dollars. Unter den zahlreichen Online-Postings zu den hier zitierten Artikeln liefert eine Leserin ein weiteres mögliches Argument für den zukünftigen Kampf gegen das Hyde Amendment: „Wisst ihr, dass Bundesmittel für Viagra und Penis-Implantate vergeben werden? Dann sollten alle diese religiösen Fanatiker mal auf die Kirche hören, die Sex ja nur für Fortpflanzungszwecke erlaubt! Wenn diese alten Männer also nur so Sex haben wollen, will ich ihnen mit meinem Steuergeld nicht dabei behilflich sein. Keine Abtreibungsdollars für mich? Dann auch keine ,harten’ Dollars für sie!” Bemerkenswert ist, dass in den USA die Frage der Bezahlung von Schwangerschaftsabbrüchen durch Medicaid respektive die Krankenkassen ein politisches Thema ist. Das Problem, dass Abtreibungen teuer und damit beileibe nicht für alle Frauen zugänglich sind, existiert aber auch in vielen anderen Ländern – so auch in Österreich, wo das Thema im hiesigen öffentlichen Diskurs jedoch kaum angesprochen werden kann. l

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an.riss international irak Adé, Frauenquote 1.815 Frauen kandidierten für die diesjährigen irakischen Parlamentswahlen im März, 82 davon wurden direkt als Abgeordnete gewählt – das sind 21 Frauen mehr als die durch die Verfassung festgelegte 25-Prozent-Quote. Nirgendwo sonst im Nahen Osten sitzen so viele Frauen im Abgeordnetenhaus wie in Bagdad, der Frauenanteil ist sogar höher als der im Kongress in Washington. Trotz dieses positiven Ergebnisses soll die seit 2005 in der Verfassung verankerte Quotenregelung mit den nächsten Wahlen abgeschafft werden, folglich werden dann keine Sitze mehr für Frauen reserviert. Die Politikerinnen sind darüber uneins: So fordert etwa die sunnitische Abgeordnete Maisun Wählerin in Nasiriyah, Irak. Foto: DVIDSHUB/flickr al-Damludschi zusammen mit einer Reihe von Parlamentarierinnen die Ausweitung der Frauenquote auf weitere Bereiche des irakischen festung europa Staates. Im Gegensatz dazu meint die konservative Politikerin Marah Dublin II kippen! al-Duri, die der Partei des schiitischen Geistlichen Muktada al-Sadr angehört: „Für die letzte Wahl war die Quote sehr wichtig, um Frauen Vor kurzem sind zwei Publikationen erschienen, die sich kritisch mit der überhaupt die Chance zu geben, in der Politik eine Rolle zu spielen. Aber herrschenden Migrationspolitik der EU und der Abschiebepraxis aus der in Zukunft sollte die Quote abgeschafft werden. Frauen sollten sich unter „Festung Europa” auseinandersetzen. den gleichen Bedingungen zur Wahl stellen wie Männer, denn sie haben Die Online-Publikation über das NoBorder-Camp auf Lesvos im Sommer ihre politische Kompetenz bereits unter Beweis gestellt.” 2009 wurde von transact!, einem antirassistischen Bündnis diverser Trotz der aktuell starken Frauenbesetzung im Parlament fürchtet die Initiativen und einzelner Aktivist_innen aus ganz Europa, herausgegeirakische Wahlleiterin Hamida al-Husseini, dass Frauen zukünftig kaum ben. Lesvos ist nicht nur zentrales Eingangstor für tausende Flüchtlinge noch eine Chance haben, ohne Mindestquote in der vorherrschenden und Migrant_innen, die nach Europa wollen – durch das Dublin IIpatriarchalischen Gesellschaft gewählt zu werden. claude Abkommen der EU, das die Zuständigkeiten der einzelnen Mitgliedswww.taz.de, www.dw-world.de, www.aknews.com staaten in Asylfragen regelt, werden auch zahlreiche Flüchtlinge nach Griechenland rückgeführt. Die Proteste der NoBorder-Aktivist_innen richteten sich u.a. gegen das dort angesiedelte geschlossene Aufnahmelager Pagani, das sich zwei Kilometer außerhalb der Hauptstadt Mitilini australien befindet und auch aufgrund seiner inhumanen Aufenthaltsbedingungen Gender Trouble: Zwei Schritte vor, drei zurück bereits vielfach von und Asyl- und Menschenrechtsorganisationen kritisiert wurde. Im März beanspruchte der australische Bundesstaat New South Wales Der Reader versammelt Zeugnisse von Migrant_innen und Flüchtlinfür sich, die Bezeichnung „not specified” hinsichtlich der individuellen gen, die hier landen, sowie Erlebnisberichte und Reflexionen aus dem Geschlechtszugehörigkeit in seinen amtlichen Dokumenten zuzulassen. NoBorder-Camp. Australien wäre damit das erste Land der Welt gewesen, das auf die Ebenfalls frei zum Download ist die Kampagnen-Zeitung „Über die traditionelle „male/female”-Klassifizierung verzichtet. Grenze”, herausgegeben vom antirassistischen Netzwerk „Welcome to Den Antrag auf ein „non specified gender” stellte der_die 48-jährige Europe”: „Wir haben eine Zeitung erstellt, die die Problematik der Dub- Norrie May-Welby. Nach einer male-to-female-Geschlechtsanpassung lin II-Regulation anhand der Situation in Griechenland darstellt. Ebenso und jahrelanger medizinischer Behandlung entschloss sich May-Welby, beleuchtet werden jedoch das Sterben im Mittelmeer, Einzelschicksale auf eine lebenslange Hormontherapie zu verzichten und eine geschlechtsund Ausblicke auf 2010.” viyu neutrale Identität anzunehmen. Im Jänner 2010 konnten ÄrztInnen Infopoint During NoBorder Lesvos 2009, http://lesvos09.antira.info/files/2010/03/ Norrie May-Welbys Geschlecht nicht mehr mit Sicherheit bestimmen, Infopoint.pdf, Print-Broschüren erhältlich unter transact@so36.net. Über die Grenze, was mit der Ausstellung eines Dokuments mit dem Geschlechtsmerkmal http://dublin2.info/zeitung, Printausgabe erhältlich unter kampagne@dublin2.info „unspezifiziert” amtlich bestätigt wurde – eine Lösung, die auch den

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an.riss international Empfehlungen der australischen Menschenrechtskommission von 2009 über die Rechte von sex- und genderdiversen Personen entsprochen hätte. Nur drei Wochen nach Bekanntwerden der Causa und einem gewaltigen Medienansturm bekam die zuständige Behörde kalte Füße und zog die Bestätigung als „von Rechtswegen ungültig” zurück. Norrie May-Welby legte indes Beschwerde bei der Australian Human Rights Commission ein. Gegenüber dem britischen Online-Magazin „Pink News” erklärte May-Welby: „Mein Anliegen ist nicht, als ,geschlechtslos’ anerkannt zu werden. Vielmehr geht es mir darum, dass der Staat würdigt, dass simple Geschlechtsbezeichnungen wie ,männlich’ oder ,weiblich’ meiner Person nicht gerecht werden.” viyu www.pinknews.co.uk, http://may-welby.blogspot.com, www.ggg.at

eu/spanien Schutz vor häuslicher Gewalt Mit dem Vorschlag, ein Observatorium zur Bekämpfung und Prävention von Gewalt gegen Frauen einzurichten, verfolgt die spanische EU-Ratspräsidentschaft ihr Ziel, die Position von Frauen in Europa zu stärken. Unterstützung erhält der Entwurf von zwölf der 27 Mitgliedsstaaten. Österreich befürwortet diese Form des Opferschutzes nicht, da es sich lediglich auf straf-, jedoch nicht auf zivilrechtliche und polizeiliche Maßnahmen erstrecke, so Wolfgang Bogensberger vom Justizministerium in einer Diskussionsrunde des österreichischen Informationsbüros des Europäischen Parlaments zum Thema. Das geplante EU-weite Netzwerk soll Daten über Misshandlungen von Frauen sammeln und austauschen, um einen einheitlichen Gesetzesrahmen in Europa zu gewähren und Frauen über die Landesgrenzen hinaus schützen zu können. Dies war bisher aufgrund unterschiedlicher Rechtssysteme kaum möglich. Die stellvertretende spanische Regierungschefin María Teresa Fernández de la Vega dazu: „Die Zahlen von häuslicher Gewalt gegen Frauen sind

Leute machen Kleider lautet der Untertitel des DIY-Magazins CUT, und genau darum geht’s: Seit einem Jahr können wir uns an einem 150 Seiten starken Magazin für Schneider_innen und solche, die es noch werden wollen, erfreuen. Im Heft gibt’s Schnitte, Nähanleitungen, Modestrecken, Porträts und vieles mehr. Freund_innen reißen sich bereits um die restlos ausverkaufte erste Ausgabe, die nur mehr auf Ebay erhältlich ist. CUT erscheint zweimal jährlich und ist im gut sortierten Zeitschriftenhandel oder im Abo erhältlich: www.cut-magazine.com. be

nicht bekannt, sie sind versteckt. Wir müssen die bestehende Informationslücke schließen.” Trotz des 2004 in Spanien verabschiedeten Gesetzes „Ley Integral”, das neben physischem Schutz, finanzieller und sozialer Unterstützung auch den kostenlosen juristischen Beistand sowie den Einsatz von dafür eigens abgestellten Richtern, den „Juzgados de Violencia sobre la Mujer”, garantiert, bezeichnet Amnesty International die dortige Situation der Frau weiterhin als besorgniserregend. nita www.aoef.at, www.europarl.at, www.eu2010.es, www.boe.es, www.es.amnesty.org

eu-vergleich Frauenarmut in Zahlen Rund 80 Millionen Menschen in der EU sind von Armut bedroht, bei Frauen liegt die Quote sogar um zwei Prozentpunkte höher als bei Männern, folglich bei 17 Prozent. Die wesentlichen Ursachen sind altbekannt, aber nicht minder brisant: Einkommensdiskriminierung sowie eine überproportional hohe Beschäftigungszahl in „atypischen” Berufen und schlecht entlohnenden Branchen. In Österreich liegt die „Gender Pay Gap”-Quote, die Einkommensunterschiede anhand des durchschnittlichen Bruttostundenverdienstes von Frauen und Männern misst, neben Estland und Tschechien am höchsten (25,5 Prozent). Besonders bedroht von Armut sind Alleinerzieherinnen, ältere Frauen und Migrantinnen. Konkret leben 21 Prozent der Frauen über 65 Jahren in der EU in Armut, 33 Prozent der Alleinerzieherinnen sind armutsgefährdet. Innerhalb einer Familie sind Frauen oftmals stärker betroffen als ihre Männer oder Kinder. Neben der Sensibilisierungsarbeit will die EU im „Europäischen Jahr der Armutsbekämpfung” dazu beitragen, den gesellschaftlichen Konsens für die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung zu stärken. claude

medienmix www.armutskonferenz.at, www.againstpovertyeu10.at

Queer Norden Das 2008 gegründete „Nordic Queer Journal” trikster.net überzeugt nicht nur mit seinem charmanten Titel: In der aktuellen vierten Ausgabe des elektronischen Magazins aus Norwegen geht’s unter anderem um die politischen Kämpfe der Trans*bewegung in Dänemark, das Verhältnis zwischen Queer-Theorie und -Aktivismus und um den aktuellen lesbischen BabyBoom. Wer den Norwegisch-Kurs verpasst hat, kann aufatmen: Etwa die Hälfte der Artikel ist in englischer Sprache verfasst. Schickes Styling und Blog inbegriffen. viyu

Radio-Einstieg Der Freie Radiosender in Wien ORANGE 94.0 bietet zwischen 22. Mai und 1. Juni wieder einen neuen Grundkurs mit Fokus auf queer-feministische Radioarbeit in Inhalt und Form an. Die Kursteilnehmer_innen können mit queer-feministischen Radio-Expert_innen anhand praktischer Übungen eigene Umsetzungskonzepte erarbeiten und schließlich gleich selbst on air gehen. Anmeldungen werden bis 13. Mai auf http://o94.at/workshops/register entgegengenommen. Die Kurskosten betragen 25 Euro. claude Mai 2010 an.schläge l 15


thema: filmarbeit

81 : 1

Jessica Hausner während der Regiearbeiten zu „Lourdes”. Foto: Uve Haußig

Unter welchen Bedingungen arbeiten weibliche Filmschaffende in Österreich?   Andrea Heinz* befragte eine Reihe von Filmemacherinnen und erfuhr: Wo es mehr Geld,  Förderungen und Anerkennung gibt, haben Männerbünde das Sagen. Mittlerweile wissen es alle: Kathryn Bigelow hat heuer den Regie-Oscar gewonnen. Was bei weitem nicht alle wissen, ist, dass es ganze 81 Jahre gedauert hat, bis eine Frau den Oscar für die „Beste Regie” bekam. Vor Bigelows Nominierung wurden seit

so merkt die österreichische Regisseurin Sabine Derflinger kritisch an, gebe es keinen Pressebericht, „in dem nicht erwähnt wird, wie sagenhaft gut und schön sie mit ihren 58 Jahren bei der Oscar Verleihung ausgesehen hat.” Eine Frau als „beste Regisseurin” –

„Frauen sind medial unterrepräsentiert. Nach wie vor sind sie Ausnahmen und sollen froh sein, überhaupt erwähnt zu werden. “ (Jessica Hausner, Regisseurin)

* Mitarbeit: Alexandra Fugger 1 Aus: „Zur sozialen Lage der Künstler und Künstlerinnen in Österreich”. Hg. vom BM:UKK, Wien 2008 2 „Daten zum österreichischen Film”. Hg. vom Österreichischen Filminstitut, Wien 2002

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1929 gerade einmal drei Frauen für den „Goldjungen” in dieser Kategorie vorgeschlagen. Während diese Information von (fast) allen Medien links liegen gelassen wurde, gab es hingegen kaum einen Bericht, der unerwähnt ließ, dass Frau Bigelow in früherer Zeit (und wohl gemerkt gerade einmal zwei Jahre lang) mit US-Regisseur James Cameron verheiratet war und er mit seinem Blockbuster „Avatar” ihre größte Konkurrenz darstellte. Daneben,

damit wussten offenbar die wenigsten BerichterstatterInnen umzugehen. Dass Bigelows Geschlecht in diesem Zusammenhang eine solche Hürde darstellt, ist aber kein Wunder. In Österreich beispielsweise sind gerade einmal 35,2 Prozent der Filmschaffenden weiblich.1 Insgesamt sind hierzulande zwischen 700 und 1.400 FilmemacherInnen aktiv, die wiederum einen jährlichen Gesamtumsatz von 130 Millionen Euro unter sich aufteilen.2

Konventionell, aber preisfähig. „Zunächst habe ich mich sehr gefreut, dass erstmals eine Frau den RegieOscar bekommen hat”, sagt die Wiener Regisseurin Jessica Hausner. „Und als bester Film obendrein. Es ist erstaunlich, dass das bisher noch nie der Fall war.” Nachdem sie den Film dann gesehen hatte, fand sie ihn jedoch „leider sehr konventionell und ,männlich’: Der Film folgt dem klassischen Genre des Heldendramas – ein Genre, das von Männern erfunden und perfektioniert wurde. Kathryn Bigelow bedient sich hier ohne irgendeiner Subversion oder Erneuerung dieses Genres, und das mit US-amerikanischen Soldaten im Irak als Helden. Das ist klassisch und politisch sehr fragwürdig. Enttäuschend. Die früheren Filme von Bigelow waren eigenwilliger. Aber dadurch anscheinend eben nicht preisfähig.” Und dennoch ist der Preis ein Stück mehr Sichtbarkeit für Filmemacherinnen. „Jeder Preis für eine Filmschaffende, der in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, verändert ein kleines


thema: filmarbeit bisschen – denn erst wenn Frauen aus dem Schatten treten, werde sie eben auch entsprechend wahrgenommen. Der Oscar ist sicher der Filmpreis mit der größten Breitenwirkung. Und je mehr Frauen diesen Preis gewinnen, umso mehr sickert durch, dass hervorragende Leistungen in dieser Branche eben auch von Frauen vollbracht werden”, stellt Produzentin Gabriele Kranzelbinder fest. Sabine Derflinger hat infolge des Oscar bereits „eine zusätzliche Kraft für uns Filmfrauen” festgestellt: „Wir vernetzen und beflügeln uns jetzt stärker.” Mainstream = Manstream. Kathryn Bigelow und ihr Oscar-Gewinn haben ein helles Licht auf filmemachende

beeinflusst von der männlich geprägten Filmsprache. „Inwieweit man überhaupt von einer männlichen oder weiblichen Filmsprache reden kann, ist fraglich. Aber man kann nicht leugnen, dass bestimmte Aspekte der Darstellung von Männern und Frauen eben doch geschlechtsspezifisch sind. Gerade in der Darstellung von Frauen in Filmen entwerfen Regisseurinnen andere Bilder als männliche. Und diese wiederum sind manchmal noch ungewohnt und fremd. Daher stoßen sie auf Skepsis, mehr als herkömmliche Rollenbilder.” In der Kunst könne man sich eben schnell auf den vermeintlich „persönlichen Geschmack” zurückziehen, meinte auch Barbara Albert bei der Podiumsdiskussion „Gender Trouble. Frauen im

„Dort wo mehr Geld ist, findet man weniger Frauen, ein Faktum, das sich nicht nur auf die Filmbranche beschränkt.“ (Astrid Heubrandtner, Kamerafrau) Frauen geworfen. Es gibt sie zu Genüge, jedoch fehlt es ihnen an Sichtbarkeit. „Gehen Sie auf die Straße und fragen Sie nach einer österreichischen Regisseurin. Ratlosigkeit wird sich breitmachen und manche werden entschuldigend den Namen Haneke murmeln”, so die Filmwissenschafterin Brigitte Mayr vom Verein „SYNEMA, Gesellschaft für Film und Medien”. Zusammen mit Sabine Perthold organisiert sie die ganzjährige Veranstaltungsreihe „FRAUEN. ARBEIT. FILM.”, die der aktuellen Situation von filmschaffenden Frauen wie Regisseurinnen, Drehbuchautorinnen, Cutterinnen, Schauspielerinnen, Tonmeisterinnen, Filmmusikerinnen, Kostümbildnerinnen, Kamerafrauen und Produzentinnen und deren Arbeitsbedingungen auf den Grund geht.3 „Frauen”, so meint auch Jessica Hausner, „sind medial unterrepräsentiert. Nach wie vor sind sie Ausnahmen und sollen froh sein, überhaupt erwähnt zu werden. Männer sind selbstverständlicher ernst zu nehmende Filmregisseure. Wenn mal eine Frau in einer Auswahl mit dabei ist oder gar einen Preis gewinnt, ist das ungewöhnlich. Es ist nicht ,normal’.” Die Wahrnehmung und vor allem die Art der Wahrnehmung, so glaubt Hausner, werden zusätzlich

Filmgeschäft – eine Bestandsaufnahme” auf der diesjährigen Diagonale, dem Festival des österreichischen Films, das jährlich in Graz stattfindet.4 Auch wenn der scheinbar subjektive Geschmack tatsächlich Gewöhnung ist und sich am schnöden Mainstream orientiert. Und Mainstream, so stellt Sabine Perthold treffend fest, ist eben immer auch Manstream. Schiefe Repräsentationslage. Ähnliches konstatiert Paul Poet, Obmann des österreichischen Regie-Verbands: „Ein großes Manko sind vor allem Medienberichterstattung und Öffentlichkeitsrezeption, mehr noch als inhärente Ungleichgewichte in der Branche, mit der Folgewirkung, dass ,weibliche Themen’ – vertreten im Spielfilmbereich etwa durch Albert, Hausner, Schweiger, Derflinger, Dusl und andere – trotz internationaler Erfolge nach wie vor ein Rand- oder Nischen-Kino darstellen.” Die Leiterin der Filmabteilung des Bundesministeriums für Unterreicht, Kunst und Kultur (BM:UKK), Barbara Fränzen, sieht ebenso wie Poet in diesem Bereich einen Problemherd: „Auch in der Filmkritik müssen weibliche Aspekte stärker berücksichtigt bzw. Filmprogramme und Programmierun-

gen diesbezüglich genauer analysiert werden.” Erst kürzlich etwa wies die Filmkritikerin Isabella Reicher in einer Rezension in der Tageszeitung „Der Standard” darauf hin, dass Frauen im Programm „Deutschland in der Nacht” des Filmmuseums überhaupt keinen Platz gefunden hätten: „Ab Mitte der 60er Jahre ging in der BRD eine ungewöhnliche große Zahl an Filmemacherinnen an die Arbeit, deutsche Realität abzuklopfen, und schlug dabei auch ästhetisch interessante Wege ein. Davon ist in der Schau, die alleine ,Wahlkampf 1932’, ein eindringliches Zeitdokument der Avantgardefilmerin Ella BergmannMichel, und zwei Arbeiten von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub (aner-) kennt, rein gar nichts zu sehen.”5 Quote für die Gremien. Doch nicht nur mangelnde mediale Repräsentation ist schuld daran, dass die vielen Filmemacherinnen hierzulande kaum sichtbar sind. „Frauen neigen oft dazu, sich freiwillig in die zweite Reihe zu stellen. Sie übernehmen ungern Funktionen in Interessenvertretungen oder Verbänden. Gleichzeitig wird von diversen Entscheidungsträgern zu wenig Bedacht darauf genommen, bestimmte Gremien oder Jurys mit ausreichend Frauen zu besetzen”, stellt Gabriele Kranzelbinder fest. Was die Verbände betrifft, hat sich die Situation zwar gebessert, wie Astrid Heubrandtner vom Kameraverband anmerkt. Hier haben„innerhalb der letzten zwei Jahre einige Kamerafrauen die Präsidentschaft in den nationalen Kameraverbänden von Frankreich, Großbritannien, Portugal, Norwegen und Österreich übernommen”. Auch, so ergänzt Barbara Fränzen vom BM:UKK, „gibt es in der gesamten Kunstsektion mittlerweile ein entsprechendes Bewusstsein, sodass in den 14 Beiräten der einzelnen Sparten mit insgesamt 74 Mitgliedern eine Aufteilung von 47 Frauen und 27 Männern gegeben ist.” Tatsache bleibt jedoch, dass in den zahlreichen Filmverbänden in Österreich Männer meist deutlich in der Überzahl sind: Im Drehbuchverband etwa stehen 59 Autoren 24 Autorinnen gegenüber – weniger als die Hälfte. Über die Gründe kann Sandra Bohle vom Verband nur spekulieren: „Während des Studiums an der Filmakademie ist das Verhältnis

3 FRAUEN. ARBEIT. FILM. Nächster Termin am 18.5., mehr Infos auf www. frauenarbeitfilm.at oder unter synema@chello.at 4 Mit Barbara Albert (Filmemacherin, Produzentin coop99), Maria Anna Kollmann (Dachverband der Filmschaffenden), Katharina Mückstein (Filmemacherin), Kathrin Resetarits (Filmemacherin, Schauspielerin), Eva Testor (Kamerafrau, Produzentin mobilefilm), Cordula Thym (Filmemacherin). Moderation: Andrea Braidt (Filmwissenschafterin). Zum Nachhören unter www. diagonale.at/fetcharticle. php?puzzle&page=9547 5 http://derstandard. at/1267132124226/ Eine-Filmgeschichte-aufNebenwegen

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thema: filmarbeit etwa 50:50. Unsere Branche ist sehr kompetitiv, die Entscheidungsträger in den maßgebenden Positionen sind ausschließlich männlich, man traut den Frauen weniger zu oder lässt sie nicht ran.” Wie etwa beim Kameraverband Österreich, der gerade einmal vier Prozent Frauen unter seinen Mitgliedern zählt. „Kamera ist nach wie vor ein sehr männerdominierter Beruf”, erklärt dessen Verbandsobfrau Astrid Heubrandtner.

„Komplizierte Technik“. Einzig beim Verband für Film- und Videoschnitt gestalten sich die Verhältnisse anders als üblich: 34 Prozent Männer sind es im bisherigen Jahr 2010, 2000 waren es gar nur neun Prozent. Aber: „Man kann sagen, dass es, bedingt durch eine rasante technische Entwicklung mit komplizierten Schnittsystemen, den Trend gibt, dass sich verstärkt Männer für den früher fast ausschließlich von

„Wo Festivaldirektorinnen bestimmen, Journalistinnen schreiben und Frauen in Entscheidungsjurys sitzen, steigt der Anteil der Filme, die von Frauen gemacht wurden.“ (Sabine Derflinger, Regisseurin) Who is Who? Barbara Albert Regie- und Drehbuchstudium in Wien. Filmografie (Auswahl): „Die Frucht deines Leibes” (1996), „Böse Zellen” (2003) und „Fallen” (2005). Ihr bekanntestes Werk ist der mit zahlreichen Preisen gekrönte Film „Nordrand” (1999). Gemeinsam mit Martin Gschlacht und Antonin Svoboda gründeten Jessica Hausner und Barbara Albert die Produktionsfirma coop99. www.coop99.at

„Das ist tief verwurzelt, allein im normalen Sprachgebrauch wird oft automatisch der Begriff ,Kameramann’ verwendet.” In der bereits erwähnten DiagonaleDiskussion wurde unter anderem über

Frauen ausgeübten Beruf interessieren”, meint Maria Anna Kollmann vom Dachverband der österreichischen Filmschaffenden. „Kameras, die zu schwer sind für Frauen, Technik, die zu kompliziert ist – alles

Sandra Bohle ist Geschäftsführerin des Drehbuchverbands Österreich sowie des Drehbuchforums Wien. www.drehbuchverband.at, www.drehbuchforum.at Sabine Derflinger Studium an der Wiener Filmakademie (Buch & Dramaturgie). Seit 2007 Jurymitglied im Beirat des Österreichischen Filminstituts. Filme (Auswahl): „Vollgas” (2001), „42plus” (2007), „Eine von 8” (2008). Aktueller Film: „Zwischen Tag und Nacht” (2009). http://sabine.derflinger.org Jessica Hausner Studium der Regie an der Filmakademie Wien. Ihr Diplomfilm „Interview” gewann den Prix du Jury der Cinefondation beim Filmfestival in Cannes 1999. Zwei Jahre später wurde ihr Film „Lovely Rita” ebenfalls in Cannes präsentiert. Derzeit im Kino: „Lourdes” (2009).

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Sabine Derflinger bei der Arbeit an „Zwischen Tag und Nacht”. Foto: Mobilefilm

die Einführung von Frauenquoten im geförderten Filmbereich debattiert. Die Diskutantinnen kamen überein, dass die Erfüllung einer Quote oft gar nicht möglich sei – denn aus Angst, nicht „gut genug” zu sein, würden Frauen ihre Arbeiten bei vielen Bewerben teils gar nicht erst einreichen. Statt einer allgemeinen Quotenregelung, der ohnehin viele weibliche Filmschaffende skeptisch gegenüber stehen, geht der Wunsch hin zu einer Quote für Entscheidungsgremien und Jurys, die Förderungen vergeben.

klassische, unsinnige Vorurteile, die nicht so schnell auszurotten sind”, kommentiert Kamerafrau Astrid Heubrandtner. Die Technik werde missbraucht, um Frauen fern zu halten. Das Weitertragen solcher Vorurteile mag auch Mitschuld daran haben, dass filmschaffende Frauen sich selbst wiederholt unsichtbar machen. Nicht mal mehr einen Liter Milch. Förderungen sind eine wichtige Stütze für FilmemacherInnen. Denn, wie es im

Info-Blatt des Österreichischen Filminstituts heißt: „Die Eigenproduktion von Kinofilmen ist ohne Förderungsmittel europaweit nicht mehr möglich, da die Erlöse aus allen Verwertungen die Kosten der Herstellung nicht annähernd abdecken.” Erschwerend kommt hinzu, dass mehr Frauen im Dokumentar- als im Spielfilmbereich arbeiten. Astrid Heubrandtner erläutert: „Dokus haben geringere Budgets. Dort wo mehr Geld ist, findet man weniger Frauen, ein Faktum, das sich nicht nur auf die Filmbranche beschränkt.” Die ökonomische Lage, so Gabriele Kranzelbinder, sei in vielen Fällen „desaströs”. „Als Regisseurin vom Filmemachen zu leben, kann sehr schwierig sein. Ich habe Zeiten hinter mir, da konnte ich mir plötzlich nicht mal mehr einen Liter Milch kaufen, weil alle Karten gesperrt waren”, erinnert sich auch Sabine Derflinger. Nicht zuletzt setzt sich diese Prekarität bis ins Private fort. Denn der Beruf der Regisseurin oder Kamerafrau mit den dazu gehörigen, höchst unterschiedlich gewichteten Arbeitszeiten und Arbeitsauslastungen lässt sich schlecht mit traditionellen Familien- und Partnerschaftsmodellen vereinbaren. Und auch positive Förderbescheide sind noch keine Überlebensgarantie. Sabine Derflinger merkt hier an: „Von geförderten Filmen als Regisseurin zu leben, ist selten möglich. Wichtig sind Einkünfte aus Fernsehen, Werbung, Lehrtätigkeiten. Da gibt’s aber weniger Zugang für Frauen. Was die höchstbezahlten Lehrtätigkeiten der ProfessorInnen betrifft, gilt nach wie vor der Ausschluss, weil Männerbünde das Land regieren.” Akademischer Aufstieg? Barbara Albert hat derzeit einen Lehrauftrag für Regie an der Filmakademie in Wien. Damit befindet sie sich im Mittelbau. Auf dieser Ebene gibt es einige Frauen, unter anderem auch Sandra Bohle in der Klasse „Buch und Dramaturgie”. Bei den Professuren findet sich aber gerade mal eine Frau, die Gastprofessorin Helga Bähr (für „Produktion”). Ansonsten sind alle sieben Professuren männlich besetzt. Aufgrund vieler Professoren, die in Pension gehen, stehen momentan zahlreiche Ausschreibungen an. Die Mehrheit in der Auswahlkom-


thema: filmarbeit

Barbara Albert bei den Dreharbeiten zu „Fallen”. Foto: Nick Albert

mission jedoch, so Sandra Bohle, ist wiederum männlich. „Das ist auch gar nicht anders zu besetzen, angesichts der fehlenden Mitarbeiterinnen.”

wussten Entscheidungen beruht, aber es ist klar ablesbar.” – „Frauen bekommen weniger hochdotierte Budgets. Frauen müssen sich länger beweisen. Frauen

„Man traut Frauen tendenziell weniger zu, was auch bei der Förderungspolitik deutlich wird – z.B. bekommen sie als Regisseurinnen niedrigere Budgets.“ (Gabriele Kranzelbinder, Produzentin) Förderungs-Spießrutenlauf. Was die Filmförderungen betrifft, so werden die Entscheidungen hier hauptsächlich und teilweise sogar ausschließlich von Männern getroffen. Wie Jessica Hausner anmerkt: Eigene Weltsicht und Sehgewohnheiten haben auch Einfluss darauf, was man schlussendlich für „wertvoll” hält, was man fördert – oder eben nicht. „Was man filmisch ,gut’ oder ,schlecht’ empfindet, hängt stark mit Sehgewohnheiten und Vorbildern zusammen – ich halte diese Prägung des Zuschauers für entscheidend. Und hier geht es gar nicht um Geschlechterdifferenz, sondern überhaupt darum, dass ungewohnte Darstellungen und Inhalte zunächst auf verminderte Akzeptanz stoßen.” Gabriele Kranzelbinder hat ebenfalls die Erfahrung gemacht, dass „man Frauen weniger zutraut, was auch bei der Förderungspolitik deutlich wird – zum Beispiel bekommen sie als Regisseurinnen niedrigere Budgets. Ich unterstelle keinesfalls, dass das auf be-

bekommen weniger Vertrauensvorschuss, auch nicht von anderen Frauen”, fasst es Sabine Derflinger zusammen. „Trotzdem ist es so, dass langfristig und nachgewiesener Maßen nur über die Einhaltung der Frauenquoten in den Gremien der Anteil der geförderten Projekte von Frauen steigt.”

 & te m l o i f u q

Besetzung in diversen Gremien (Stand: 2010)

Österreichisches Filminstitut: Aufsichtsrat: 11 stimmberechtigte Mitglieder, davon 0 Frauen. Ohne Stimmrecht: 4 Personen, davon 1 Mann, 3 Frauen. Projektkommission: 12 Personen, davon 7 Männer, 5 Frauen Filmfonds Wien: Kuratorium: 8 Personen, davon 6 Männer, 2 Frauen. Jury: 4 Personen, davon 2 Männer, 2 Frauen. Beirat „Innovative Filmförderung“: 5 Personen, davon 2 Männer, 3 Frauen.

Um hier nicht nur genauere Einblicke zu bekommen, sondern auch um festzustellen, wo man mit Verbesserungen ansetzen kann, führte das BM:UKK vor einigen Monaten auf Bundesebene das sogenannte Gender Budgeting ein. Einzelne Förderstellen werden nun analysiert, um herauszufinden, wie das Personal, die Aufsichtsgremien, die Gehaltsschemata etc. zusammengesetzt sind. In der Folge, so Barbara Fränzen von der Abteilung Film, sollen dann Empfehlungen abgegeben werden. Bereits jetzt wurden für den fünfköpfigen Beirat der „Innovativen Filmförderung” des BM:UKK gezielt drei Frauen als Mitglieder nominiert. Frauen sollen so, ebenso wie durch vermehrte bzw. andersartige Repräsentation gefördert und sichtbar gemacht werden. Denn im filmischen Umfeld Frauen zu fördern, heißt, die Filmemacherinnen selbst zu fördern: „Wo Festivaldirektorinnen bestimmen, Journalistinnen schreiben und Frauen in Entscheidungsjurys sitzen, steigt der Anteil der Filme, die von Frauen gemacht wurden”, sagt Sabine Derflinger. Vielleicht erfüllen sich so ja auch bald die Forderungen von Brigitte Mayr und Sabine Perthold: „Für die kommenden 82 Jahre FilmFRAUEN als Preisträgerinnen. Und eventuell ein kleines Re-Design des Goldmännchens.” l

Förderungen (aus dem Kunstbericht des BM:UKK 2008) Filmabteilung BM:UKK: Drehbuch: 10 Förderungen, davon Frauen: 4 (6/4), entspricht 2/3 Männer, 1/3 Frauen. Projektentwicklung: 34, davon Frauen: 11, gemischt: 2 (21/13), entspricht 62% Männer, 33% Frauen (6% gemischt). Herstellung: 66, Frauen: 21, gemischt: 2 (66/43), entspricht 65% Männer, 32% Frauen (3% gemischt). Österreichisches Filminstitut: Projektentwicklung: 24, Frauen: 3, gemischt: 4 (17/7), 12% Frauen (ca. 30% Frauen und gemischt). Herstellung Kinofilm: 17, Frauen: 2, gemischt: 3 (12/5), 12% Frauen (ca. 30% Frauen und gemischt).

Quelle: Dachverband der österreichischen Filmschaffenden (Maria Anna Kollmann)

Astrid Heubrandtner ist Obfrau des Österreichischen Verbands der Kameraleute, SchwenkerInnen, KameraassistentInnen und ColoristInnen. Sie ist Kamerafrau und stand u.a. bei „Eine von 8” (Regie: Sabine Derflinger) hinter der Kamera. www.aacamera.org Maria Anna Kollmann ist Geschäftsführerin des Dachverbands österreichischer Filmschaffender. www.filmschaffende.at Gabriele Kranzelbinder ist Geschäftsführerin der KGP Gabriele Kranzelbinder Production, zusammen mit Marie Tappero und Elisabeth Chobel-Spanoudis. Produzierte Filme (Auswahl): „Dust” (2009), „Muezzin” (2009), „Universal Love” (2008). www.kgp.co.at Brigitte Mayr ist wissenschaftliche Leiterin von „SYNEMA – Gesellschaft für Film und Medien”, einer interdisziplinären Schnittstelle zur Vermittlung zwischen Theorie und Praxis der audiovisuellen Medien. Derzeit Konzeption und Organisation der Veranstaltungsreihe „FRAUEN.ARBEIT.FILM”, gemeinsam mit der Theaterwissenschaftlerin Sabine Perthold. www.synema.at www.frauenarbeitfilm.at Paul Poet ist Obmann des Verbands FilmRegie Österreich. www.directors.at

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thema: filmarbeit

No Oscar for Old Men Das Internationale Frauenfilmfestival Dortmund | Köln (IFFF) präsentiert nicht nur aktuelle Arbeiten von weiblichen Filmschaffenden, sondern versteht sich auch als Forum für den Austausch und die Weiterbildung für Frauen aus allen Bereichen der Filmproduktion. Gertraud Eiter sprach mit Festivalleiterin Silke J. Räbiger über die Arbeitsbedingungen für Frauen in der europäischen Filmbranche. Foto: aism/photocase

an.schläge: Gibt es Zahlen, wie viele Frauen in Deutschland eine Filmhochschule absolvieren und wie viele Filme hier jährlich von Frauen realisiert werden?

Das Internationale Frauenfilmfestival Dortmund | Köln findet in jährlich wechselndem Rhythmus in den Städten Köln und Dortmund statt, heuer vom 14.-18. April 2010 in Köln. www.frauenfilmfestival.eu

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Silke J. Räbiger: Grundsätzlich haben Frauen in der Bundesrepublik gute Ausbildungsbedingungen, vor allem wenn dabei an die Bereiche Regie, Drehbuch, Ausstattung, Kostüm oder Produktion gedacht wird. Leichte Zuwächse gibt es in der Ausbildung von Bildgestalterinnen, wenig Erfreuliches gibt es hingegen von den Filmkomponistinnen zu berichten. Traditionell geringer ist die Ausbildungsrate bei technischen Berufen wie etwa Ton, Schnitt oder in der gesamten Postproduktion. Allerdings liegen hier keine konkreten Zahlen vor, ebenso wie zu den von Frauen realisierten Filmen. Alle mir bekannten Zahlen sind ca. zehn Jahre alt.

Wie schätzen Sie die Förderbedingungen von Frauen in der Filmbranche

in Deutschland ein? In Frankreich beispielsweise stehen mehr öffentliche Gelder für Filmförderung zur Verfügung als in Deutschland oder Österreich. Inwieweit profitieren davon auch weibliche Filmschaffende? Überall da, wo mehr Geld zu verteilen ist, profitieren auch Frauen davon. Ob sich das auch positiv auf die Vergabe der „großen” Budgets bei Spiel- oder Fernsehfilmprojekten für die Frauen niederschlägt, wage ich aber zu bezweifeln.

Welche Gegebenheiten sind für eine Karriere als Filmemacherin besonders hinderlich bzw. förderlich? Hinderlich ist mit Sicherheit die scheinbare Unvereinbarkeit von Kindererziehung und Berufsausübung, was ja nicht nur das Filmemachen betrifft. Hier schlägt aber die besondere zeitliche Belastung der Frauen während eines Drehs zu Buche – daher auch unsere

Podiumsdiskussion „Der Dreh mit dem Kind” beim diesjährigen Festival. In Deutschland sind vor allem individuelle Lösungen gefragt, Frankreich scheint da einen anderen Umgang mit berufstätigen Müttern zu pflegen. Förderlich für Frauen sind offenbar ihre Fähigkeit zum „Multitasking” und ihre Teamfähigkeit, was auch die große Zahl an Produzentinnen, Agentinnen oder Redakteurinnen nahelegt.

In welchen Berufsgruppen innerhalb der Filmbranche orten Sie die größten Unterschiede, was die Arbeitsbedingungen angeht? Die gravierendsten Unterschiede gibt es meines Wissens bei der Bildgestaltung und der Filmkomposition, ich überblicke aber nicht alle Professionen. Nach wie vor gilt auch in diesen Berufen, dass Frauen schlechter bezahlt werden. Wir vom IFFF fragen nach, was für die Frauen in den unterschiedlichsten Filmprofessionen wichtig ist, und versuchen


thema: filmarbeit dementsprechend, Diskussionen auf dem Festival zu führen oder Weiterbildung anzubieten. 2005 haben wir begonnen, zu speziellen Fragen in den Bereichen Produktion, Recht, Filmmusik etc. Informationsveranstaltungen, Workshops und Werkstattgespräche anzubieten. Wir haben auch versucht, parallel zu den Schwerpunktthemen des Festivals zu arbeiten, zum Beispiel 2007 zum Thema Filmmusikkomposition oder 2008 zum Vergleich der Produktionsbedingungen in China und Deutschland. Erst seit dem letzten Jahr sind diese Angebote unabhängig von der thematischen Ausrichtung des Festivals gestaltet, so dass

genauso gut drauf wie Männer. Aber, um das bekannte Beispiel mal wieder zu bemühen: Nach 81 Jahren ging der erste Regie-Oscar an eine Frau – und zwar für einen gut gemachten, spannenden Kriegsfilm.1 Das ist doch ein ziemlich männerdominiertes Genre, und selbst diese Regisseurin ist den Menschen kaum bekannt. Auch andere Oscar-Preisträgerinnen wie Caroline Link2, Marleen Gorris3 oder Andrea Arnold4 kennen nur wenige. Diese Unsichtbarkeit auf Dauer zu durchbrechen, die breite Palette des weiblichen Filmschaffens präsent zu halten, ihre Themen, ihre Leistungen, und der große

„Wir haben immer noch eine stark ausgeprägte Dominanz männlicher Protagonisten im Filmgeschäft und damit auch eine seit Beginn der Filmkultur bestehende männliche Sicht- und Rezeptionsweise.“ wir noch keine belastbaren Erkenntnisse haben, ob wir damit wirklich die Bedürfnisse der filmschaffenden Frauen bedienen. Daneben sind wir auch in der Filmbildung aktiv: Schulfilmprogramme, Film-Workshops für junge Frauen, eine internationale Ringvorlesung und Ähnliches. Eine systematische Analyse kann das Festival aber nicht leisten, das ist eher eine wissenschaftliche Aufgabe.

Wie werden diese Angebote angenommen? Sind die Teilnehmerinnen eher professionelle Frauen in Filmberufen oder Studentinnen? Diejenigen, die teilgenommen haben, waren durchaus begeistert. Das Verhältnis von berufstätigen Frauen und Studentinnen war etwa zwei Drittel zu einem Drittel.

Warum braucht es denn heute überhaupt noch ein Frauenfilmfestival? Wir haben immer noch eine stark ausgeprägte Dominanz männlicher Protagonisten im Filmgeschäft und damit auch eine seit Beginn der Filmkultur bestehende männliche Sicht- und Rezeptionsweise. Es geht hier weniger um Handwerk – das haben viele Frauen

Spaß, den es macht, diese Filme anzuschauen – darum geht es nicht zuletzt bei einem Frauenfilmfestival. Noch zwei aktuelle herausragende Filmbeispiele möchte ich nennen: „Na Putu” von Jasmila Žbanic´ und „Nothing Personal” von Urzula Antoniak.

Sieht bzw. definiert sich das IFFF als feministisch? Dazu fällt mir eine Gegenfrage ein: Wie wird Feminismus heute definiert? Eine grundsätzliche feministische Ausrichtung ergibt sich bei einem Frauenfilmfestival ja fast von selbst, zum Beispiel durch eingeladene feministische Filmwissenschaftlerinnen oder die Themen, die in den Filmen behandelt werden, vor allem wenn sie nicht aus den reichen Industrienationen kommen. Unsere diesjährige Debatte „Der Dreh mit dem Kind” ist auch so eine klassische feministische Diskussion. Feministische Positionen zu vertreten ist nicht das Hauptanliegen des Festivals, aber sie werden selbstverständlich formuliert. Es ist nach wie vor mühsam, ein Frauenfilmfestival zu organisieren, denn man bekommt schnell das Gefühl vermittelt, nur ein Frauenfilmfestival zu sein. Das manifestiert sich manchmal in weniger Geld, als es vergleichbare Festivals

akquirieren können, und hat beispielsweise auch immer mit der geringen Bekanntheit der Filmemacher_innen zu tun. Frei nach dem Motto: Kennt ja eh keiner. Auf jeden Fall ist man immer im Rechfertigungsdruck.

1973 fand in Deutschland das „1. Internationale Frauenseminar” statt – eine Plattform für Austausch und Vernetzung von weiblichen Filmschaffenden, initiiert und organisiert von Filmemacherinnen. Welche Netzwerke von und für im Filmbereich tätige Frauen existieren heute in Deutschland? In den 1990er Jahren gab es noch die European Coordination of Film Festivals, dort hatten die Frauenfilmfestivals Europas eine Untergruppe. Ende der 90er fand das erste Treffen der Frauenfilmfestivals in Europa in Dortmund statt und danach kleinere Treffen in lockerer Reihenfolge in Köln oder Créteil. Heute lädt das Frauenfilmfestival in Créteil regelmäßig zu internationalen Festivaltreffen ein. Die Filmschaffenden selbst haben neben den „klassischen” Berufsverbänden eher lokale Netzwerke wie beispielsweise die Golden Feminists in Berlin oder LaDoc, das Dokumentarfilmnetzwerk für Frauen in Köln.

Sind Veränderungen in der Partizipation weiblicher Filmschaffender in den letzten Jahrzehnten erkennbar? Wo liegt nach wie vor dringender Handlungsbedarf? Insgesamt hat sich die Zahl der Studierenden und auch die Zahl der filmschaffenden Frauen in allen Bereichen etwas erhöht. Eine wichtige Aufgabe besteht für mich allerdings noch immer in der Erhöhung der Anzahl der weiblichen Lehrenden und jener Frauen, die in den Hochschulen verantwortliche Positionen einnehmen. Sie haben nach wie vor eine wichtige Vorbildfunktion.

Silke J. Räbiger war von 1992-2006 Leiterin des Frauenfilmfestivals „femme totale“, seit 2007 leitet sie das Internationale Frauenfilmfestival Dortmund | Köln. Gertraud Eiter arbeitete mehrere Jahre beim Internationalen Film Festival Innsbruck mit. Sie ist Mitinitiatorin, Kuratorin und Organisatorin des feministischen Kinoprojekts „kinovi[sie]on“.

1 Für „The Hurt Locker” erhielt Kathryn Bigelow den diesjährigen Oscar für „Beste Regie” und „Bester Film”. 2 Die deutsche Regisseurin Caroline Link erhielt 2003 für ihren Film „Nirgendwo in Afrika” den Oscar für den „Besten fremdsprachigen Film”. 3 Marleen Gorris wurde 1996 für „Antonias Welt” mit dem Oscar in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film” ausgezeichnet. 4 Andrea Arnold, britische Regisseurin und Schauspielerin, erhielt für ihren Kurzfilm „WASP” 2005 den Oscar.

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an.sprüche

Rosa Periode Macht Rosa Mädchen dumm? Eine neue britische Bewegung namens „Pink stinks” behauptet genau das. Gabi Horak jedenfalls möchte ihre Tochter vor einer „rosa Konditionierung” bewahren, während Michèle Thoma sicher ist, dass die rosa Periode spurlos an den „Prinzessinnen” vorbeigeht. Lillifee vs. Pink Panther, Zeichnung: Claudia Amsler

„So ein lieber Bub, wie alt ist er denn?” Ich kann diese Frage nicht mehr hören. Ja, sie ist süß, und nein, sie ist kein Bub. Egal, ob es die blaue Jacke ist, die braune Haube, die grüne Hose – jede andere Farbe als die typischen Mädchenfarben machen aus meinem Kind zunächst einmal einen Buben. Von dieser Norm Abweichendes muss schon eindeutig gekennzeichnet sein: zuckerlrosa und blasslila. Warum ich diesen Einheitslook abstoßend finde, hat mehrere Gründe. Zunächst einmal mag ich die Farbe schlicht und einfach nicht. Meine Lieblingsfarbe ist Himmelblau. Und für mein Kind besorg ich am liebsten, was ich selber auch mag. So weit, so logisch. Nur trägt sie vor allem Kleidung und spielt sie vor allem mit Sachen, die wir geschenkt bekommen. Ist eh super, kommt uns billiger. Auch wenn die meisten Verwandten von meiner Abneigung wissen: Ein rosa Leiberl da („weil’s einfach so süß ist”) und ein lila Prinzessinnenbild dort („weil’s das nicht ohne gegeben hat”) lassen sich nicht vermeiden. Es ist ja auch schwer: Bei vielen notwendigen Dingen von Flascherl bis Latzerl gibt es genau zwei Farben zur Auswahl. Ganz abgesehen von persönlichen Neigungen finde ich die exzessive rosa Kennzeichnung weiblicher Nachkommen auch gesellschaftspolitisch sehr bedenklich! Sie ist meiner Meinung nach mit dem Ziel der Gleichberechtigung in allen Lebenslagen nicht vereinbar. Vereinfacht und zusammengefasst: Diese rosa Konditionierung in den Kinderzimmern reduziert die Welt der Mädchen großteils auf Puppenkram, in weiterer Folge auf ein fürsorgliches Gemüt und die Mutterrolle, auf ebenso typische Mädchenberufe – sie bereitet den Weg für verminderte Chancen im Leben. Das klingt vielleicht übertrieben, aber ist so ähnlich wie mit der Sprache: Die nur-männliche Schreibweise tut an sich nicht weh. Aber Sprache schafft Realität, ist Symbol und Legitimation für Diskriminierungen. Und wenn ich mir für meine Tochter was wünsche, dann, dass sie alles sein darf, was sie will – nicht nur blau angezogen.

Es waren einmal zwei Prinzessinnen. Sie waren verwunschen und mussten auf dem Land leben. Einschichtig, inmitten von Krähen, Kühen, ein paar einsilbigen Bauern. Es gab keinen Fernseher. Es gab keine Barbies. Dafür gab es gesunden Gatsch, klobige Holzautos, Bäuerinnen in Gummistiefeln. Dafür gab es kratzige Wollpullover in schönen Erdfarben. Wenn die Landmädchen, die in Wahrheit Prinzessinnen waren, in die kleine Stadt kamen, in das Schuhgeschäft, in den Spielzeugladen, stürzten sie sich auf rosa Schühchen mit rosa Maschen. Sie stürzten sich auf Plastikpuppen in rosa Röckchen, mit rosa Söckchen. Irgendwann waren die Prinzessinnen keine Prinzessinnen mehr. Sie waren alles Mögliche und Unmögliche, aber keine Prinzessinnen. Sie trugen keine rosa Schuhe mehr und nur noch äußerst selten rosa Gewänder. Ihre Brüder waren keine Prinzen. Rosa war ihnen ziemlich wurscht. Später fanden sie Rosa blöd, peinlich, mega-peinlich. Rosarot tapeziertes Zimmer im grauen Winter in schwarzer Dezembernacht. Oase der Friedlichkeit. Ich erinnere mich an US-Oldies in Baby-Pink. An den Rosenquarz meiner Schwiegermutter: gut fürs Herz. Regrediere ich? Wenn regredieren so schön ist, dann regrediere ich eben! Rudolf Steiner empfiehlt Kinder(nicht Mädchen-)zimmer in Rosa. Altertümliche Sanftmut in unserer rabiaten Welt: sicher gut für einen neuen Menschen. Für einen alten ebenfalls. Und zwischendurch Retraite in Rosa für alle, die vorwiegend rot und schwarz sehen und sich grün und blau ärgern! Rosa für Rosenkranz! Die Konsumdiktatorinnen Lillifee und Hello Kitty herrschen in falscher Sanftmut über Séraphine und Sophie. Natürlich erfasst den weiblichen Elternteil in intellektuellem Schwarz das große Grauen im Königreich Rosarien. Natürlich möchte die bewusste Mutti diese perfiden Tyranninnen verbannen. Natürlich möchte sie Cassiopeia und Friederike befreien, ihnen die rosa Brille herunterreißen. Mütter in Schwarz: Keep cool! Eines Tages verlassen Sidonie und Aloysia das rosa Reich. Freiwillig! Das Leben ist bunt.

Gabi Horak ist Journalistin und Mutter einer neun Monate alten Tochter.

Michèle Thoma ist Schriftstellerin und Mutter von zwei Töchtern und zwei Söhnen zwischen 17 und 28 Jahren.

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zeitausgleich arbeitsfragen in allen

lebenslagen

webpage Kampagnenstart für „Pille danach“ Mit 1.1.2010 wurde ein Anliegen vieler Frauen umgesetzt: Eines jener Medikamente, die als „Pille danach” bezeichnet werden, das Produkt „Vikela”, gibt es nun rezeptfrei in allen österreichischen Apotheken – auch für Jugendliche. Denn abgesehen von einer relativ hohen Hemmschwelle war das Warten auf eine nächste offene Ordination ein Problem, sollte doch die Einnahme der „Pille danach” bestenfalls innerhalb der folgenden zwölf Stunden nach einem ungeschützten Geschlechtsverkehr erfolgen. Jene Wirkstoffe, die noch nach bis zu fünf Tagen wirken, bleiben rezeptpflichtig. Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek begrüßt die Informationskampagne zur „Notfallpille” von Gesundheitsminister Alois Stöger. Vom Berufsverband österreichischer GynäkologInnen wird jedoch kritisiert, dass eine Wirkung von „Vikela” bis zu 72 Stunden danach versprochen wird – es seien seriöserweise nämlich nur 24 Stunden. vers/sylk www.notfallpille.at

Text: Irmi Wutscher, Illustration: Nadine Kappacher

Selbstständig „Das musst dir alles aufschreiben, Mädchen!”, sagt die Steuerberaterin und tippt mit ihren in Grellorangeglitzer lackierten Fingernägeln vorwurfsvoll auf die Zettel, die ich in einer Ringmappe mit der hoheitsvollen Aufschrift „Steuer ’09” angesammelt habe. Hab ich aber nicht. Also nicht ausreichend. Und jetzt sitze ich zwischen Zetteln, Rechnungen und Ausdrucken und soll mein Arbeitsjahr 2009 irgendwie in eine Struktur bringen, die auch dem Finanzamt logisch, stringent und geordnet erscheint. Eine Honorarnote hier, ein paar Anstellungstage da, dazwischen ein kleiner Werkvertrag. Ich weiß nicht, was ich verdient habe, in welche Steuerklasse ich falle und was wie wo abschreibbar ist. Kurz überlege ich, das mit dem Arbeiten einfach wieder sein zu lassen. Und dann, immer wütender, male ich mir aus, wie ich einen dieser neoliberalen Think-Tanks anzünde. Ich bin nämlich ihr Produkt. Das, was diese Wirtschaftsheinis so gerne „Neue Selbstständige” nennen und wir unter dem schönen Namen „Prekariat” kennen. Ich habe sie durchlaufen, die typische Arbeitsbiografie der Nullerjahre: Für kein Geld Praktikum abgedient. Dann mal in Büchern bezahlt worden. Für einige Monate war ich mal angestellt, wurde aber – wollt ihr raten? – durch einen Praktikanten ersetzt, der für mein Zehn-Wochenstunden-Gehalt vierzig gearbeitet hat. Als Absolventin eines geisteswissenschaftlichen Studiums durfte ich dafür ein AMS-Arbeitstraining genießen. Und hab mich anschließend durch die Tiefen des Boulevards und die Höhen des ORF-Zentrums gekämpft. So habe ich im Laufe der Jahre in den Medien so weit Fuß gefasst, dass ich mich „freie Journalistin” nennen kann. Das klingt schick und ist auf Hipster-Parties ein gutes Mittel, das Gegenüber zu beeindrucken. Das war’s dann aber schon wieder mit der Lässigkeit. Denn unter der glänzenden Oberfläche heißt das: um Geschichten kämpfen, monatlich zittern, ob genug Geld hereingekommen ist, oder nicht mehr zwischen Arbeits- und Freizeit unterscheiden können. Das ist der bittere Nachgeschmack der angeblich so süßen Freiheit. Irmi Wutscher hat viele Jobs und arbeitet eigentlich immer. Nadine Kappacher gibt es da www.salon-nadine.at und dort http://meerweh.tumblr.com

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arbeitsstudie Endstation Teilzeit Eine von Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek im März präsentierte Studie, in der die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Teilzeitarbeit untersucht wurden, bringt wenig überraschende Ergebnisse: Ungefähr achtzig Prozent der Teilzeitarbeitenden sind Frauen. Knapp die Hälfte entscheidet sich wegen Betreuungspflichten bewusst für diesen Kompromiss. Anders betrachtet: Die Mehrheit der Frauen zwischen dreißig und 45 Jahren arbeitet Teilzeit – dabei wäre eine von fünf Frauen gerne für vierzig Wochenstunden beschäftigt. Die männlichen Kollegen treten zu Beginn oder am Ende ihrer Karriere etwas kürzer, um eine Aus- oder Weiterbildung zu absolvieren – nur drei Prozent gaben Kinderbetreuung als Grund für die Teilzeitstelle an. Die Entlohnung der Teilzeitarbeit fällt bis zu einem Drittel schlechter aus als jene für Vollbeschäftigte. Strategien zur Veränderung der bestehenden Situation wären das bereits realisierte einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld, das Väter die Karenz appetitlicher gestaltet, sowie die geforderte Lohntransparenz und die Informationspflicht für Betriebe, damit Teilzeitarbeiterinnen von Vollzeitstellen erfahren, bevor diese ausgeschrieben werden. Außerdem sollen mit den sechzig Millionen Euro, die durch den Alleinverdienerabsetzbetrag kinderloser AlleinverdienerInnen eingenommen werden, die Neuanschaffung von Kinderbetreuungsplätzen finanziert werden. miak www.diestandard.at, www.ots.at

antisexismus Bildet Banden, Schwestern! Eine neue Studie der beiden Psychologinnen Stephenie Chaudoir und Diane Quinn, beide an der University of Connecticut tätig, ergab, dass sich Frauen, die sexistische Übergriffe von Männern an anderen Frauen wahrnahmen, mit den betroffenen Frauen solidarisierten. Die Forscherinnen fanden heraus, dass nicht Individualität, sondern Solidarität im Vordergrund stand – zumindest für den Moment, denn ob dieses Gefühl der Schwesterlichkeit anhielt oder nicht, wurde nicht untersucht. Dabei ist offenbar nicht immer klar, was bereits unter Sexismus einzuordnen ist: So kam es laut Studie immer wieder vor, dass objektiv sexistische


an.riss arbeit wissenschaft Handlungen nicht als solche erkannt wurden, was vor allem von den eigenen Erfahrungen abhängt. Chaudoir und Quinn erforschten in ihrer Studie jedoch auch, dass Frauen, die Sexismus an anderen beobachteten, Männer im Allgemeinen negativ betrachteten und auch wütend und zornig auf sie reagierten. In diesem Sinne: Smash Sexism! vers

zum Trotz können Frauen Reifen wechseln, Vergaser reparieren und Gebrauchtwagen verkaufen. Schön, dass sie es in der „Señorita Maria” tun. Aber schade, dass es anscheinend immer noch geschützte Werkstätten braucht. kaiv www.zeit.de

www.diestandard.at, www.springerlink.com

ringvorlesung Queer-Theorie in Tübingen

gehaltstest Ungerechte Bezahlung sichtbar machen

jeweils donnerstags, 20 Uhr c.t., 72074 Tübingen, HS 22, Kupferbau, Universität Tübin-

Die deutschen Gleichstellungsexpertinnen Karin Tondorf und Andrea Jochmann-Döll haben einen Test entwickelt, der auf Geschlecht gegründete ungleiche Bezahlung sicht- und messbar macht. Im Internet findet sich eine Testversion des „Entgeltgleichheits-Checks”, gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung. Zielgruppe sind sowohl die Firmen selbst als auch ArbeitnehmerInnen oder Angehörige des Betriebsrats. Die Aufschlüsselung des Gehalts in mehrere Komponenten erleichtert das Aufspüren der Ursachen, die zur Diskriminierung beitragen. Das Programm arbeitet auf Grundlage der deutschen Gesetzgebung. Nach wie vor liegt der Lohn von Frauen in Deutschland 23 Prozent und in Österreich 25 Prozent unter dem der Männer. fis

gen, Hölderlinstraße 5, www.uni-tuebingen.de/studium-generale

www.eg-check.de

Am Studium Generale in Tübingen können alle Interessierten – egal ob studierend oder nicht – ohne Anmeldung teilnehmen. Ein Highlight in diesem Sommersemester: die Ringvorlesung „Queere Theoriebildung heute: Grundlagen und aktuelle Forschungsfelder”. Organisiert von der queeren Hochschulgruppe gibt es noch bis Mitte Juli einige Donnerstagabende mit queeren Themen: So spricht beispielsweise Heinz-Jürgen Voß über die Dekonstruktion von Geschlecht aus einer biologischen Perspektive, Schamma Schahadat über queere Texte aus dem Osten und Dorothee Kimmich über die Anfänge von Michel Foucault. be

frauenförderung Wer hält sich an die Quote? In Linz wurde im März das Amt des Kulturdirektors vergeben; zur Auswahl standen zwei Frauen und ein Mann. Die Jury, bis auf eine Expertin allesamt Männer, entschieden sich für den BewerbER. Die Überraschung hält sich in Grenzen, die Empörung ob des wiederholten Quotenbetrugs bleibt. Ursula Kolar und ihre Kolleginnen vom feministischen Netzwerk FIFTITU% in Oberösterreich reagierten erneut mit einem offenen Brief, der sich in erster Linie an die Politik richtet und daran erinnert, dass laut Frauenförderplan der Stadt Linz bei der Neubesetzung von Stellen die Frauenquote bei vierzig Prozent liegen soll. Aus diesem Grund hätte eine der Bewerberinnen Kulturdirektorin werden müssen – vorausgesetzt der Verstoß gegen die Quotenregelung hätte nennenswerte Sanktionen als Konsequenz gehabt. „Beschämend genug ist, dass es sich dabei um eine Frauenquote von vierzig Prozent handelt – die zu erfüllen ist. Wie wäre es mit einer Männerquote von maximal vierzig Prozent auf allen Ebenen?”, fragen die Vertreterinnen von FIFTITU%. miak www.diestandard.at, www.fiftitu.at

frauenberuf „Alles hübsche Frauen“ im Autohaus Strahlend lächelnd, in roten Jacken – die Mechanikerinnen genauso wie die Verkäuferinnen – hübsch drapiert vor einem sportlichen Kleinwagen. Fräulein-Power mit der Lizenz zum Schrauben – so präsentiert sich „Señorita Maria” auf ihrer Website. Nördlich von Berlin steht es, Deutschlands erstes und einziges Frauen-Autohaus. Clevere Geschäftsidee oder der tatsächliche Anspruch, in eine Männerdomäne vorzudringen? Maria Erker wollte mit der Gründung vor allem ihrem Vater, einem Autohändler, beweisen, dass auch Frauen in der Lage sind, ein Autohaus zu führen. Das Interesse der Öffentlichkeit ist groß, das der KundInnen zumindest zufriedenstellend. Immerhin „alles hübsche Frauen hier”, wie ein Kunde „Der Zeit” gegenüber zugab. Kein Zweifel, allen Klischees

Männer, möge das Staubtuch mit euch sein! Foto: Stéfan/flickr

hausarbeit Gerechtigkeit im Vergleich Typischerweise erledigen in einem Frau/Mann-Haushalt Frauen mehr Hausarbeit. Wie gerecht sie dies empfinden, erforschten nun zwei österreichische Psychologen. Aus den Ergebnissen: Die ungleiche Aufteilung wird vor allem dann nicht als solche wahrgenommen, wenn sich Frauen diesbezüglich mit anderen vergleichen. Ihnen scheint es dann nämlich, als würden andere Frauen genauso viel Hausarbeit erledigen und dass sich andere Männer viel weniger als der eigene Mann an der Hausarbeit beteiligen. Somit erscheint die eigene ungerechte Aufteilung gewöhnlich und akzeptierbar. Wer die Aufteilung nur innerhalb der eigenen Beziehung hinterfragt, ist hingegen weniger zufrieden. Studienautor Bernhard Riederer: „Die Vergleiche mit anderen können dazu beitragen, dass ein positives Bild der Beziehung bestehen bleibt.” Eventuell ist es dann aber doch besser, sich nicht mit anderen zu vergleichen, sondern eine ungleiche Aufteilung wahrzunehmen und dagegenzusteuern. be www.events.sbg.ac.at/oegp2010/Abstractband.pdf, www.diestandard.at

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forum wissenschaft

Feminism kills!  Quentin Tarantino schuf mit den Protagonistinnen seines Films „Death Proof” Frauenfiguren, die sich ihres sexistischen Umfelds bewusst sind – und sich dagegen wehren. Verena Stern analysiert das Subversionspotenzial und die Möglichkeit der (feministischen) Anrufungen von Frauen im Werk des US-Regisseurs.

Foto: Steve Rhodes/flickr

Quentin Tarantino ist ein Meister des Twists: Er verwendet bewusst Stereotype, um diese im Laufe der Handlung zu persiflieren. Die weiblichen Figuren in seinen Filmen kommen allerdings erst seit einigen Jahren gut weg. Zunächst gänzlich frauenlos („Reservoir Dogs”, 1992), darf in „Pulp Fiction” (1994) bereits Uma Thurman mit John Travolta twisten. Erst mit „Jackie Brown” (1997) lässt er Pam Grier einen Part übernehmen, der ursprünglich für einen (weißen) Mann geschrieben wurde. Reichlich Kritik erntete Tarantino wiederholt für seine gewaltvollen Szenen. Besonders bei „Death Proof” (2007) erweisen sie sich jedoch – als Ausdruck von Emanzipation gelesen – als durchaus spannend und produktiv. Tarantino kann in vielen Fällen eine feministische Einstellung respektive eine feministische Intention abgesprochen werden, doch gerade in „Death Proof” entwickeln seine Figuren in dieser Hinsicht ungeahnte Kräfte. Kino wirkt. Schon immer war das Kino nicht nur Ort der Zerstreuung, sondern auch Projektionsfläche normierender Vorstellungen in Bezug auf Lebensführungen: Aufgrund kapitalistischer und neoliberaler Prägungen ist es auch für unsere Art zu arbeiten, zu leben, zu lieben sowie unsere Freizeit zu gestalten von Bedeutung. Im Film

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können gesellschaftliche Umbrüche im Laufe der Jahrzehnte als mögliches Ausdrucksmittel der jeweils aktuellen Diskurse beleuchtet und herausgehoben werden, eine Filmanalyse kann somit der exemplarischen Veranschaulichung dienen. Dass Film insbesondere zu Beginn kein Medium war, das ernst genommen wurde, spiegelt sich auch in der langen Geschichte seiner Anerkennung im soziologischen Kontext. Die britischen Cultural Studies nahmen ihre Anfänge in der Anfechtung des Verständnisses von Kultur als literarische Hochkultur, also der English Studies (die ihre nationale Identitätsstiftung nicht verfehlten). Der Bildungselite wurde eine Kultur der Arbeiter_innen entgegengestellt, die sich mit den Interessen und Auswirkungen einer nicht bürgerlich-elitären Kultur theoretisch auseinandersetzen wollte – also mit einer Populärkultur. Die Entwicklung der Massenindustrialisierung und (Massen-)Medialisierung von populärkulturellen Produkten war Theodor W. Adorno ein Dorn im Auge, da seiner Meinung nach „die Massen” der Kulturindustrie völlig ausgeliefert seien. Folgt man den Überlegungen Foucaults, dass Macht nicht von einem Souverän ausgeht, sondern vektoriell von überall in alle Richtungen verläuft, ist jedoch nicht anzunehmen, dass Kulturindustrie alleinige Macht ausübt und

Rezipient_innen nichts anderes übrig bleibt, als diese anzunehmen. Auch Walter Benjamin kommt zu dem Schluss, dass Kunst, wenngleich sie durch ihre Reproduzierbarkeit zum/r Rezipienten/in kommt und nicht mehr umgekehrt (oder vielleicht gerade deshalb), ein subversives Element innewohnt. Subversion und Persiflierung. (Populär-)Kultur(-Industrie) ist also ein Aspekt in einem komplexen, ineinandergreifenden System. Gerade dadurch kristallisieren sich möglicherweise subversive Elemente heraus. Judith Butler betrachtet einzelne Akte der Subversion, die sie in „Gender Trouble” durch das Beispiel der Travestie verdeutlicht, als Möglichkeit, den (re-)produktiven Charakter von Macht- und Geschlechterverhältnissen zu untergraben und diese dabei lustvoll zu persiflieren. Denn letztlich werden Geschlechter und deren Rollen diskursiv konstruiert, sodass ihnen jede „Naturhaftigkeit” abgesprochen werden muss. Zentral in Butlers Konzept ist, dass es sich um ein instabiles System handelt, das sich durch die Ein- und Fortschreibung seiner Normen selbst reproduziert. Das inkludiert jedoch auch die Möglichkeit einer Destabilisierung, eines Unterlaufens dieses Systems. Dies macht die Relevanz selbstbestimmter, subversiver Akte deutlich, auch dann, wenn diese in


forum wissenschaft Form von Anrufungen als Performanzen, also Darstellungen, medial vermittelt sind. Männliche Hegemonie. „Death Proof” erzählt in zwei verschiedenen Erzählsträngen von zwei Gruppen von Frauen. Unterbrochen werden die beiden Darstellungen durch eine Splatter-Szene, in der die einzige männliche Hauptrolle das Leben der Freundinnen der ersten Geschichte durch einen absichtlich durchgeführten Zusammenprall seines Autos mit dem der Frauen auslöscht. Stuntman Mike ist dabei als Allegorie für eine diachrone hegemoniale Männlichkeit zu verstehen. Allerdings sind auch Merkmale „realer” männlicher Herrschaft direkt am Film ablesbar: So wird Kurt Russell, der Stuntman Mike mimt, als erster in den Eingangscredits des Films erwähnt, ebenso ist er der rote Faden der Geschichte, um den sich der Plot entspinnt.

der Frauen mit Stuntman Mike in der ersten Gruppe, deutet dennoch diesmal nichts auf eine Auflösung bestehender Geschlechterkategorien hin. In der Performance von „Death Proof” lassen sich keine queeren oder subversiven Elemente finden. Sowohl äußerlich wie aus dem Kontext erschließbar bleiben Frauen Frauen und Männer Männer. Sie kleiden sich jeweils körperbetont und leben jene heteronormative Matrix, die sich in theoretischer Auseinandersetzung zu zerstören lohnen würde. Gerade hier ergibt sich eine Schwachstelle von Quentin Tarantino: Zwar präsentiert er eine Vision von emanzipierten, kampfbereiten Frauen, dennoch gelingt es ihm nicht, die Welt der Zwangsheterosexualität dabei zu verlassen. Auch der Körper entspricht in beiden Gruppen den gesellschaftlich normierten Vorgaben, der neoliberal geformte Körper als „Visitenkarte” trifft auf alle Frauen im Film zu. Die zweite Frauen-

Tarantino kann in vielen Fällen eine feministische Einstellung respektive eine feministische Intention abgesprochen werden, doch gerade in „Death Proof“ entwickeln seine Figuren in dieser Hinsicht ungeahnte Kräfte. Mike kann als verhärteter, aber sichtbar vernarbter und somit auch verletzter Charakter betrachtet werden. Darin manifestiert sich die Theorie Butlers, dass Systeme auch instabil sind und es um die Frage von Definitionsmacht hegemonialer Kämpfe um Machtverschiebungen geht. Genau diese These stellen die Frauen der zweiten Gruppe unter Beweis, wenn sie sich nach dem Angriff einer personifizierten strukturellen Männlichkeit zur Wehr setzen und sich einem Kampf stellen. Darin werden Parameter, die in der Darstellung der ersten Gruppe aufgezeigt wurden, dahingehend verschoben, als sie umkämpft werden und damit neue Versionen und Visionen, wie mit jener Männlichkeit umgegangen werden kann, aufzeigen und anbieten. Hetero-Matrix. Auch wenn dieser Kampf ein gänzlich anderes Ende präsentiert als das Aufeinandertreffen

gruppe versteht es, diese Visitenkarte trotz der Ausblendung struktureller Machtverhältnisse als selbstbestimmt und damit auch als Mittel zur Verteidigung gegen (strukturelle) Männlichkeit einzusetzen. Am Ende steht daher nicht der Tod der Angegriffenen, sondern der des Angreifers. Zwar bedeutet dies keine heuristische Befreiung von männlichen Strukturen, aber doch die unmittelbare Befreiung von einem auf die Spitze getriebenen, allegorisch konzipierten Ausdruck männlicher Herrschaft.

waltigung thematisiert werden. Das Argument einer Protagonistin, sie wolle in den Waschkeller – der in ihrem Wohnhaus ein bedrohlicher Ort ist – gehen können, wann immer sie es möchte und ihr Recht im Notfall auch mit einer Waffe durchsetzen, verweist auf die bewusste (Wieder-)Aneignung von Räumen, die von anderen gemieden werden, und somit auf das Aufbrechen einer Struktur, die die Bewegungsfreiheit von Frauen einengt. Insofern kann auch der Schluss von „Death Proof” als Aufforderung Banden zu bilden gelesen werden, mit denen durch Solidarisierung und permanentem Kampf einer strukturellen Männlichkeit Einhalt geboten werden kann. Trotz emanzipatorischen Handelns seiner weiblichen Figuren verzichtet Tarantino nicht auf eine mit ausreichend SexAppeal versehene Filmästhetik aus den 1970er Jahren, um diese im Vorspann vorzustellen. Die Situierung des Films in den Siebzigern wird auch in der Skizzierung der Geschlechterrollen deutlich, die zwar ein progressives Frauenbild zeichnet, letztlich aber über die Festschreibung einer heteronormativen Matrix nicht hinauskommt. l

Verena Stern verfasste 2010 ihre Diplomarbeit zum Thema „BODIES THAT SPLATTER. Politikwissenschaftliche Interpretationen emanzipatorischer Momente im populärkulturellen Film – feministische Anrufungen, Performativität und Körper in Quentin Tarantinos Death Proof“ am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.

Antisexistisch? Am Ende des Films wird damit ein klares Zeichen gegen machoide Männlichkeit gesetzt, indem sie von Frauen eindeutig zerstört wird. Beachtenswert am Konzept des Films ist somit, dass es sich dabei nicht um eine klassische Opferdarstellung von Frauen handelt, sondern Gegenwehr zu Sexismus und potenzieller Verge-

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attentäterinnen

verniedlicht, vermonstert Mit den jüngsten Selbstmordanschlägen in der Moskauer U-Bahn, die Ende März Russland erschütterten, sind Frauen als Terroristinnen wieder verstärkt ins Licht der Medien gerückt. Auf der Suche nach Erklärungen wird das Privatleben der Täterinnen durchleuchtet, während der politische Konflikt im Kaukasus dekontextualisiert wird, erklärt die Politikwissenschaftlerin Claudia Brunner. Ein Interview von Vina Yun

Foto: Lance McCord/flickr

an.schläge: Das Auftauchen von Selbstmordattentäterinnen wird meist als historische Neuheit diskutiert. Ist „weiblicher Terrorismus” tatsächlich ein neues Phänomen oder hat sich die Wahrnehmung und Definition von „Terror” verschoben?

1 Brown, Wendy 2006: Regulating Aversion. Tolerance in the Age of Identity and Empire. Princeton: Princeton University Press. Audiolink zum Buch auf http://philosophybites. com/2008/11/wendy-brownon-tolerance.html

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Claudia Brunner: Es stimmt, dass Selbstmordattentate von Frauen in der heute auftretenden Form ein relativ junges Phänomen sind – allerdings auch nicht viel jünger als Selbstmordattentate überhaupt. Vorausgesetzt, dass wir dieselbe Definition verwenden, was ein Selbstmordattentat ist. Der nachrichtenwirksame Wert eines solchen Anschlages wird allerdings durch den Faktor „Weiblichkeit” verstärkt: Physische Gewalttätigkeit passt noch immer nicht so recht in die vergeschlechtlichte Dichotomie von „Krieg/Gewalttätigkeit” und „Frieden/Gewaltlosigkeit”. Dieser Gegensatz ist – aus wissenssoziologischer Sicht betrachtet – allerdings schon Teil des Problems, nämlich wie legitimierte als auch nicht legitimierte politische Gewalt wahrgenommen und verhandelt wird. Von „männlichem” oder „weiblichem” Terrorismus zu sprechen, ist auf einer anderen Ebene

problematisch, weil man damit nicht nur die AkteurInnen bezeichnet, sondern das Phänomen an sich.

In der Berichterstattung über die jüngsten Selbstmordanschläge in Russland fällt auf, dass bei den Täterinnen vor allem persönliche Motive aufgezählt werden, zum Beispiel Rache für den getöteten Partner oder Familienmitglieder. Wie typisch ist diese mediale Darstellung von weiblichen „suicide bombers”? Sehr typisch. Sie zieht sich durch unser mediales, wissenschaftliches und Alltagswissen über alle Konflikte, in denen Frauen gewaltvoll die politische Arena betreten. Diese Personalisierung, Individualisierung und Privatisierung von Gründen und Motiven ist dabei nicht nur auf Selbstmordattentate beschränkt. In allen Fällen trägt die Definition von „privat” versus „politisch” zu diesem Verständnis bei. Wenn eine Frau zu extremer Gewalt greift und dies vielleicht auch deshalb tut, weil Teile ihrer Familie durch vorangegangene kriegerische oder antiterroristische Gewalt ums Leben gekommen sind, dann kann man meines

Erachtens nicht mehr von ausschließlich „persönlichen” oder „privaten” Motiven sprechen. Wenn diese Erklärung in den Vordergrund gerückt wird – und das ist meist bei Frauen der Fall –, dient das vor allem der historischen und politischen Dekontextualisierung des Konflikts, in den diese Anschläge eingebettet sind. Gewalttätige Frauen sind offensichtlich schwerer „auszuhalten” als Männer, die dieselben Taten verüben. Ihre Rückbindung an die Privatsphäre schließt sie – sei es durch Verniedlichung oder durch Vermonsterung – aus dem Raum des Öffentlichen, des Politischen, des Legitimen und Rationalen wieder aus.

Die Selbstmordattentäterinnen aus dem Kaukasus-Gebiet werden wiederholt als „Schwarze Witwen” benannt – eine Bezeichnung aus dem Tierreich, wie sie bei männlichen Tätern nicht zu finden ist … Diese Bezeichnung, die meines Wissens in russischen Medien erstmals formuliert wurde, beinhaltet eine zweifache Problematik. Zum einen verweist sie bereits auf die angesprochene Rückbindung der Frauen an ihre Privatsphäre, die in erster Linie sexualisierte


heim spiel

leben mit kindern Konturen aufweist. Zum anderen sorgt ein Tiername für einen Aspekt der Entmenschlichung, der die Vorstufe zur legitimierten „Auslöschung” und physischen Vernichtung der Betreffenden darstellt – sowohl Putin als auch Medwedjew, aber auch zahlreiche andere Terrorismus-BekämpferInnen, verwenden immer wieder diese Bezeichnung, ohne dafür kritisiert zu werden.

Bemerkenswert ist auch, dass im Zusammenhang mit Selbstmordattentäterinnen immer wieder von „rückständigen Traditionen” wie Blutrache, religiösem Zwang und archaischen Geschlechterverhältnissen die Rede ist. Umgekehrt wird im „War on Terror”Diskurs unter anderem die Befreiung der „unterdrückten Frau” im Islam propagiert. Es ist eine Kulturalisierung von politischen Konflikten festzustellen, die in zwei Richtungen funktioniert. Die US-amerikanische Theoretikerin Wendy Brown hat dies mit dem treffenden Satz „We have culture, but

kümmert bzw. manche Fragenkomplexe zu solchen macht. Das sind zumeist Männer und nur vereinzelt Frauen, die sich jedoch nicht als Feministinnen bezeichnen würden. Dann gibt es Feministinnen, die zu Terrorismus und politischer Gewalt arbeiten, aber nicht im engeren Sinne Teil der Terrorismusforschung sind. Viele von ihnen vertreten differenzfeministische Positionen und einen unpräzisen Gender-Begriff, was vom Mainstream der Terrorismusforschung leichter rezipiert und an dominante Zugänge anschlussfähig gemacht werden kann. Auch das ist problematisch und endet oft wiederum in der Krieg-und-Frieden-Dichtomie. Da Terrorismusforschung insgesamt ein politiknahes, äußerst genderresistentes und maskulinisiertes Feld darstellt, ist eine feministische Verortung darin nur sehr schwer möglich. Aus meiner Sicht kann eine feministische Terrorismusforschung schon allein aufgrund eines notwendigerweise weiten Gewaltbegriffs, der auch strukturelle Gewalt miteinschließt, nicht am Gegenstand „Terrorismus” stehenbleiben.

„Da Terrorismusforschung insgesamt ein politiknahes, äußerst genderresistentes und maskulinisiertes Feld darstellt, ist eine feministische Verortung darin nur sehr schwer möglich.“ culture has them”1 in einem anderen Zusammenhang sehr gut zum Ausdruck gebracht. Während die einen also über eine „gute”, das heißt westliche, Kultur verfügen und diese intentional und wohltätig einsetzen können, kommen dieser Logik nach „die anderen” über eine traditionsgebundene, archaische Variante von Kultur erst gar nicht hinaus und bleiben in ihr passiv verhaftet. Frauen dienen dabei als Grenzsteine zwischen den so abgesteckten Zonen des Kulturellen und des Politischen.

Gibt es denn so etwas wie eine „feministische Terrorismusforschung”, und inwiefern unterscheidet sich diese von der Mainstream-Forschung? Es gibt Terrorismusforschung, die sich um sogenannte „Frauenfragen”

Sie muss sich vielmehr den Prämissen und Möglichkeitsbedingungen widmen, auf deren Basis politische Gewalt nicht nur ausgeübt, sondern auch definiert, beforscht und bekämpft wird. Dann ist sie aber keine Terrorismusforschung im engeren Sinne mehr – und will vermutlich auch keine sein. l

Claudia Brunner ist Politologin und Universitätsassistentin am Zentrum für Friedensforschung und -pädagogik der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

Sonja Eismann

Goldige Tyrannen Wieso habe ich ein Kind bekommen? Diese Frage muss man sich heute, wo die gesellschaftliche Quasi-Zwangsverpflichtung zur Reproduktion glücklicherweise weitestgehend aufgehoben ist, als einigermaßen rational denkender Mensch zwangsläufig stellen. Eigentlich spricht alles dagegen, zumal als Frau. Das fängt an mit einer beschwerlichen Schwangerschaft, in der man dauernd müde ist und kotzen muss, geht weiter mit den horrenden Schmerzen bei der Geburt und mündet in die neue Identität als „Mutter”, mit der nichts mehr so ist wie zuvor: Fast keine Zeit mehr für sich, denn externe Betreuung gibt es, zumindest hierzulande, nicht für die ganz Kleinen, arbeiten kann man nur mehr, wenn das Baby mal schläft oder der Partner Dienst hat, und von Vorstellungen der Selbstverwirklichung à la Lesen, Kunst konsumieren oder abends ausgehen, wenn man gerade Lust darauf hat, kann man sich sowieso verabschieden – das meiste davon setzt langwierige Planungen von Babysitting oder Absprachen in der Beziehung voraus. Ist es mit dem Boyfriend aus, was durchaus vorkommen soll, hat man statistisch gesehen als Frau sowieso die Arschkarte, weil man sich von da an mehr oder weniger alleine kümmert. Es gibt also eigentlich nur noch weitgehend emotionale Gründe, warum man überhaupt so einen goldigen Tyrannen in die Welt setzen sollte. Bei mir war es, vermutlich wenig einzigartig, der Partner, in den man sich unsterblich verliebt hat und mit dem man sich auf einmal alles vorstellen konnte und wollte. Aber auch das: die drängende Ahnung, dass Elternschaft nicht heißen muss, dass Mutti zu Hause bleibt und stillt und Vati arbeiten geht und die Kohle ranschafft und abends auch mal Eiapopeia macht; dass man selbst weiter arbeiten und in (idealistischen) Projekten aktiv bleiben kann und trotzdem das Kind nicht vernachlässigt, und dass man vor allem nicht zu einer überbesorgten Bio-Monster-Mutti mutiert, die entsetzt aufschreit, wenn das Baby mal in zehn Metern Entfernung von einem eingeschalteten Fernseher liegt oder etwa im falschen Tragegerät ausgeführt wird. Darum – wie schwierig das ist und wie viel Spaß das macht – wird es mir in Zukunft gehen. Sonja Eismann, 37, lebt mit ihrem Freund Pascal und ihrer Tochter Hannah (nicht mal ein Jahr alt) in Wien und interessiert sich immer noch für Popkultur. Was auch besser ist, schließlich ist sie Mitherausgeberin von „Missy Magazine. Popkultur für Frauen“.

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feminismus 2.0

We ❤ digital Life  Wohin geht queer-feministische Netzkultur im Web 2.0?  Bloggerin Svenja Schröder gibt Antworten.

Foto: 106313/photocase

1 www.genderblog.de 2 http://maedchenblog. blogsport.de 3 www.maedchenmannschaft.net 4 www.zeitrafferin.de 5 www.antjeschrupp.com 6 www.iheartdigitallife.de 7 www.genderwiki.de/ genderplanet

30 l an.schläge Mai 2010

Das Internet war schon immer ein seltsamer Ort. Wurde es früher noch als Raum unbegrenzter Möglichkeiten gepriesen, so hängt heutzutage eine riesige Ernüchterung im Raum, denn das Internet hat viele seiner vermeintlichen Versprechungen nicht gehalten: Grenzenlose Freiheiten, totale Anonymität oder unerschöpfliche Geldquellen – all das gibt es erwiesenermaßen im Web nicht bzw. nur mit Einschränkungen. Die diesjährige Blogger_innen-Konferenz re:publica, die vom 14.-16. April 2010 in Berlin stattfand, wählte das prägnante Motto „nowHERE”. „nowHERE” spielt mit der Idee des Internets als Raum, denn im Netz kann man sowohl zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle sein („now here” – „jetzt hier”) als auch fürchterlich verloren gehen („nowhere” – „nirgendwo”). Auf der re:publica 2009 fiel auf, dass die meisten großen Panels vornehmlich von Männern besetzt waren und es nur wenige Referentinnen gab. Eine Neuigkeit ist das nicht, denn auch die deutschen Blogger-Charts werden von Männern dominiert. Äußerst selten findet sich eine Frau in den oberen

Charträngen wieder. So wurden immer mehr Stimmen laut, die sich für eine verstärkte weibliche Präsenz auf der re:publica aussprachen. Den Stein ins Rollen brachte unter anderem eine der rein weiblich besetzten und feministischen Veranstaltungen namens „Feministische Netzkultur”, die von den Bloggerinnen der Mädchenmannschaft bestritten wurde. Mit steigender Popularität des Web 2.0 ist die Anzahl an queer-feministischen Autor_innen und somit auch queerfeministischen Inhalten kontinuierlich gestiegen. Im deutschsprachigen Raum haben sich vor allem Gemeinschaftsblogs hervorgetan: Der Genderblog1 wurde 2005 ins Leben gerufen, kurz darauf ging 2006 der Mädchenblog2 an den Start, 2007 folgte die Mädchenmannschaft3. All diese Blogs funktionieren nicht zuletzt aufgrund des Prinzips „Gemeinsam sind wir stark”. Trotzdem sollten hier auch einige sehr erfolgreiche Einzelblogs wie jene von Julia Seeliger4, Antje Schrupp5 oder Kathrin Ganz6 erwähnt werden. Eine gute Übersicht findet sich auf Genderplanet.7 Die Mädchenmannschaft stellte auf der

letztjährigen re:publica ihre liebsten feministischen Blogs vor und rief zu mehr Vernetzung untereinander auf. Kurz darauf wurde die Facebook-Gruppe „Girls on Web Society” gegründet, in der mit Erfolg zahlreiche feministische Veranstaltungen für die re:publica 2010 vorbereitet wurden. Zwischen Stylingtipps und Antifeministen. Besonders für Feminist_innen ist das Internet manchmal zum Haare raufen: Zwischen all den Stylingtipps, Diätkuren und Babythemen fühlen sich viele verloren und fehl am Platz. Machen sie dann den Mund auf und äußern Feministisches, müssen sie mit einem Ansturm von Antifeministen rechnen, denn die gibt es im Internet wie Sand am Meer. Meistens folgen einem feministischen Online-Artikel mehr sexistische Hate-Postings als konstruktive Kommentare, und Redakteur_innen müssen sich überlegen, ob sie permanent löschen oder moderieren wollen. Nicht selten lassen sich Autor_ innen durch solche Angriffe entmutigen und werfen schnell das virtuelle Handtuch.


feminismus 2.0 Dass die Berichterstattung über feministische Themen mitunter kräftezehrend und mühselig sein kann, ist eine der Hürden, die neue Autor_innen überwinden müssen, wenn sie sich mit ihren ersten queer-feministischen Themen an die Blog-Öffentlichkeit wagen. Denn trotz einiger Ausnahmen wie Mailinglisten oder geschlossenen Communitys ist das Internet ein öffentlicher Raum, und was im realen Leben nicht optimal läuft, pflanzt sich auch im Internet fort. Will man der Frage auf den Grund gehen, warum im Internet keine friedvolle Koexistenz für alle herrscht, muss man sich die Geschichte des Internets anschauen. Generation Web 2.0. Es begann im Jahre 1969: Das ARPANET ging als Vorläufer unseres heutigen Internets

Ein genauerer Blick auf die ersten User_innen des Internets zeigt folgende Gruppen: Akademiker_innen, Hacker_innen, Unternehmer_innen. All diese Gruppen sind männlich dominiert, und damit wird klar: Männer machten das Internet. Dies ist auch eine These des spanischen Soziologen Manuel Castells8, der sich 2002 mit „Frauen in der Netzwerkgesellschaft” auseinandersetzte. Castells analysierte, dass es eine Geschlechterteilung beim Gebrauch des Internets gibt, und stellte die Frage, ob dies ein Indikator für einen verwurzelten Sexismus im Internet sei. Ebenso erkannte er, dass sexistische Aggression das Netz durchzieht und das Netz kein abgetrennter Raum, sondern „real life” ist: Dinge, die sich im Netz ereignen, sind also reales Leben.

Besonders für Feminist_innen ist das Internet manchmal zum Haare raufen: Zwischen all den Stylingtipps, Diätkuren und Babythemen fühlen sich viele verloren und fehl am Platz. online. Diese im Auftrag des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums entwickelte Technologie verband die Computerrechner von verschiedenen amerikanischen Universitäten, die für das Department of Defense forschten. Durch die technologischen Entwicklungen der folgenden Jahrzehnte und die günstiger werdenden Kleincomputer wurde das Netz immer mehr ausgeweitet. 1989 präsentierte der Internetpionier Tim Berners-Lee das HypertextProtokoll HTML und legte damit den Baustein für das heutige Internet. 1990 wurde das Internet für die kommerzielle Nutzung freigegeben, nur vier Jahre später überstieg die Anzahl der kommerziellen Nutzer_innen die der akademischen User_innen. Um die Jahrtausendwende wurden Unmengen neuer Internet-Firmen im sogenannten Dotcom-Boom gegründet, die kurze Zeit später größtenteils Bankrott gingen – die Blase platzte. 2005 prägte Tim O‘Reilly einen neuen Begriff: Er sprach vom „Internet als Plattform” und dem „Web 2.0”, wie wir es heute kennen.

Vernetzung on/offline. Dass auch 2010 nach wie vor antifeministische Tendezen im Internet grassieren, steht außer Frage. Durch die Öffnung des Internets kamen auch Rechtskonservative, Maskulinisten und andere reaktionäre Kräfte ins Netz, die fleißig gegen Feminist_innen wettern. Auch der aktuelle Trend, im Netz unter richtigem Namen mit richtiger Identität aufzutreten anstatt mit einem Pseudonym wie noch vor zehn Jahren, macht Einzelpersonen zur Zielscheibe von Angriffen. Was kann dagegen getan werden? Manuel Castells etwa betont die Chance des Internets, praktische Hilfe und Solidarität von anderen Feminist_innen zu holen. Dem kann nur zugestimmt werden, denn was schon immer half, sollte auch im Internet fortgeführt werden – Banden bilden, vernetzen, sich gegenseitig Solidarität aussprechen und vor allen Dingen: gemeinsam Lärm machen! Vernetzung im Internet mag kein vollwertiger Ersatz für eine richtige Demo auf der Straße sein, aber es lassen sich wertvolle Kontakte knüpfen, die im Offline-Leben fortgesetzt und gefestigt werden können.

Feministische Netzkritik revisited. Neben all den Problemen und Risiken bringt die aktuelle Debatte um feministische Netzkultur also auch viele Chancen mit sich: So kann eine feministische Öffentlichkeit geschaffen werden, die durch Berichterstattungen und Interventionen Einfluss nehmen und meinungsbildend wirken kann. Diskussion und Austausch werden auf einem niederschwelligen Level ermöglicht, auch für Interessierte, die noch nicht viel Erfahrung mit feministischen Inhalten haben. Der Feminismus kann durch feministische Netzarbeit also „unter die Leute gebracht” werden. Oft dienen jedoch feministische Medien nicht nur dem Austausch, sondern zeigen auch einfach: „Du bist nicht allein mit deiner Meinung/deiner Wut/deinen Anliegen!” So wurde auch dieses Jahr auf der re:publica wieder über feministische Netzkultur diskutiert, mittlerweile jedoch mit anderen Fragestellungen. Schließlich: Die ersten Vernetzungsschritte sind getan, es wurden vermehrt weibliche Vortragende auf die re:publica gebracht – doch wie geht es nun weiter? Spannend ist die Frage, ob Schritte in Richtung Kampagnenfähigkeit oder weiterer Organisation getätigt werden können. Auch die Diskussion darüber, wie feministische Inhalte sichtbarer gemacht und stärker in die traditionellen Medien wie Fernsehen oder Radio gebracht werden können, bleibt aktuell. Interessant ist weiterhin auch die Frage nach einer kritischen Betrachtung der eigenen, mehrheitsdeutschen Szene und ihrer mangelnden Diversität. Nicht zuletzt sollte die junge Blogger_innen-Szene überlegen, mit welchen Problemen die frühen Netzfeminist_innen zu kämpfen hatten und welche Lösungsstrategien damals diskutiert wurden. Denn auch dies sollte angestrebt werden: ein Grenzen überspannender Dialog mit Netzfeminist_innen aller Strömungen, um gemeinsam stark aufzutreten. l Svenja Schröder ist Forscherin mit den Schwerpunkten Web 2.0, Netzkultur und Kommunikation/Kollaboration. In ihrer Freizeit organisiert sie queer-feministische Events und ist Bloggerin beim Mädchenblog.

8 Castells, Manuel (2002): Frauen in der Netzwerkgesellschaft: Fragen an den Feminismus. In: HeinrichBöll-Stiftung/Feministisches Institut (Hg.): feminist_ spaces – Frauen im Netz. Diskurse – Communities – Visionen. Königstein/Taunus. S .147-160.

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an.riss kultur film Greller Film für Angsthasen

Foto: www.pepperminta.ch

musikfestival Neu und elektronisch Um die Vielfalt der Wiener Komponistinnen-Szene angemessen sichtbar zu machen, riefen Gina Matiello und Pia Palme 2007 das Festival „e_may” ins Leben. An zwei Abenden werden dieses Jahr sechs Werke uraufgeführt, darunter Auftragsarbeiten von Katharina Klement, Pia Palme, Sophie Reyer, Marianna Tscharkwiani, Judith Unterpertinger und Joanna Wozny. Olga Neuwirth, die in diesem Jahr als erste Komponistin den Großen Österreichischen Staatspreis erhielt (siehe an.schläge 03/2010), wird mit der Aufführung der Komposition „Settori” (UA 1999) gratuliert. Interpretiert werden die Stücke vom Ensemble PHACE | CONTEMPORARY MUSIC sowie den Komponistinnen selbst. „e_may” besticht durch neue und individuelle Kompositions- und Improvisationsansätze irgendwo zwischen neuer und elektronischer Musik, Videokunst, bildender Kunst und Literatur. Klingt gut! han e_may 2010. Festival neuer und elektronischer Musik, 28.–29.5., KosmosTheater, 1070 Wien, Siebensterngasse 42, T. 01/523 12 26, www.kosmostheater.at

queer festival Ideologie des edlen Leibes Auf dem schmalen Grat zwischen seriösem Diskurs und trashigem Politainment bewegt sich mühelos das von Graz nach Wien übersiedelte Festival „queerograd”. „Ausgestattet mit der Ideologie des edlen Leibes” diskutiert es Identität(en), Geschlecht(er) und Gesellschaft(en). Aber keine „lesbisch-schwule Wellness-Oase” darf die/der BesucherIn sich erhoffen, schwullesbische Bilder werden hier auch unbequem hinterfragt. Eine der Fragen: Gibt es einen Zusammenhang zwischen männlicher Homosexualität und faschistischer Tendenz? Man denke nur an Jörg Haiders „Buberlpartie” und erschaudere. Drei Tage lang bietet das Festival amüsante und anstrengende Praxis, Lecture-Performances wechseln sich ab mit DJ-Lines, und auch die Sadomaso-Schmuddelecke „Club Homohölle” darf nicht fehlen. Na dann: Viel Spaß! han

Der Effekt ist erstaunlich. Frau sieht plötzlich anders – als ob sie von einer Reise im Farbkarussell auf die Erde zurückgekehrt wäre. Nach dem Film „Pepperminta” von Pipilotti Rist kommt frau mit Mühe die Stiegen im Kino hoch und spürt draußen noch lange Zeit grelle Nacheffekte: Farbflecken im Sonnenschein, Dachdecker auf einem roten Ziegeldach – sind die nun echt oder nicht? „Von meiner Großmutter weiß ich, wie wir mit Farben hypnotisieren können”, sagt die orangehaarige Pippi Langstrumpf für Erwachsene im Film. „Wir haben Zäpfchen im Auge, für blau und rot, so können wir die Angst besiegen.” Um den Kampf gegen die Angst und die durch sie ausgelöste Handlungsunfähigkeit geht es auf der Reise mit einem autistischen Dicken, einer wunderschönen Mannfrau („Ist Mann und Frau nicht das Gleiche?”) und einer eleganten alten Dame – viel mehr Inhalt ist nicht. Ein afrikanischer Koch mischt mit und rührt um: „Das ist alles alles, alles verboten” und „Wir behandeln dich wie ein rohes Ei.” Ein Film für die Augen und ihre Zäpfchen, für die Libido und nicht die Ratio. Wie schon Arnulf Rainer sagte: „Ich kann nichts machen, ich sehe Farben.” Rote Erdbeeren, bemalte Schnecken, Kressesalat – die Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist erweitert das Farbspektrum mit Gegenständen, die die kindliche Sinneslust wiederbeleben sollen. Auch mit den harmlosen Nacktszenen ein schöner Märchenfilm für erwachsene Mädchen. „Ich geh’ jetzt Sterne kontrollieren und den Himmel ficken”, sagt die alte Dame, als sie stirbt. Aber keine Angst: Es passiert nichts. kek Kinostart in Österreich: 30. April, www.pepperminta.ch

tanzperformance Spitzen Tanz Das „Fleisch” im Ballet will Doris Uhlich in ihrer Performance „Spitze” finden. Sie seziert und tranchiert den Tanz, bis er in allen Fasern vor ihr liegt: die Hierarchien, die Illusionen, die Körperbilder. Mit dreißig Jahren erlernt die österreichische Künstlerin den Spitzentanz und trifft in ihrem Stück unter anderem auf Susanne Kirnbauer, einst erste Solotänzerin der Wiener Staatsoper. Der wird dann einiges abverlangt: „Frau Uhlich, wenn ich gewusst hätte, dass ich mit Ihnen arbeite, hätte ich die letzten 22 Jahre trainiert!” In ihrem Stück „mehr als genug”, das demnächst in Brüssel, Leipzig und Heilbronn zu sehen ist, hinterfragt Uhlich, die von JournalistInnen gerne mal als „korpulent” tituliert wird, den Körper als Markenzeichen. Wer oder was ist schön – und warum? In live geführten Telefonaten fragt sie Menschen, die nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen: Warum wollen wir individuell sein – und lassen uns doch normieren? han 1.5., 20.30, More than enough. Les Halles de Schaerbeek, 1030 Schaerbeek, Rue Royale Ste Marie 22b; 7.5., 20.00, SPITZE, LOFFT, Verein zur Förderung des Leipziger OFF-

queerograd. Ausgestattet mit der Ideologie des edlen Leibes, 27.–29.5., brut im Konzerthaus,

Theaters e.V., 04177 Leipzig, Lindenauer Markt 21; 14.5., 21.30, SPITZE, Tanz!, Theater

1030 Wien, Lothringerstraße 20, T. 01/587 87 74, www.brut-wien.at

Heilbronn, 74072 Heilbronn, Berliner Platz 1, www.dorisuhlich.at

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independent shorts Tribute to Miranda Pennell

lebenslauf auch feministinnen altern

Bereits zum siebten Mal findet heuer in Wien das größte österreichische Kurzfilm-Festival statt: die Vienna Independent Shorts. Von 27. Mai bis 2. Juni gibt es ausreichend Programm, inklusive einer Femmage an die britische Choreografin und Filmemacherin Miranda Pennell am 30. Mai im Metro Kino. Das Publikum wird dabei von Gerald Weber von sixpackfilm und Wiktoria Pelzer von den Vienna Independent Shorts durch das 70-minütige Programm begleitet. Dieses fokussiert auf die besonderen Bewegungs- und Ausdrucksformen der studierten zeitgenössischen Tänzerin, die sich mit ihrer Kreativität im Umgang mit Tanz und Performance einen Namen machte. Gezeigt werden unter anderem Ausschnitte aus ihrem Film „Magnetic North” (2003) (Posieren), „Human Radio” (2002) (Amateurtanz) und „Fisticuffs” (2004) (Prügeleien zwischen Bargästen). Miranda Pennell selbst wird bei der Filmvorführung anwesend sein und im Anschluss daran für Fragen bereitstehen. vers Tribute to Miranda Pennell, 30.5, 20.00, Metro Kino, 1010 Wien, Johannesgasse 4a, http://viennashorts.com

Christine Hartmann

buchpräsentation Geschlechtliche Differenzen Sexuelle Differenz oder doch Dekonstruktion der Zweigeschlechtlichkeit? Oft wird der französischen Philosophin und Psychoanalytikerin Luce Irigaray vorgeworfen, sie rede der normativen Zweigeschlechtlichkeit das Wort. Im Gespräch mit Birge Krondorfer stellt die Autorin Tove Soiland von der Universität Zürich ihre Publikation „Luce Irigarays Denken der sexuellen Differenz. Eine Dritte Position im Streit zwischen Lacan und den Historisten” vor. Und zeigt, dass der außergewöhnlich klarsinnigen, leider viel zu selten gelesenen Irigaray und ihrem wendigen Denken so schnell nicht beizukommen ist. Im Zentrum der BuchVernissage wird die Kontroverse stehen: zwischen der Dekonstruktion der Zweigeschlechtlichkeit und dem Bemühen, die sexuelle Differenz zu allererst einmal überhaupt zu denken. han Zum Denken der Sexuellen Differenz. Buch-Präsentation, 19.5., 19.00, Depot, 1070 Wien, Breite Gasse 3; Tove Soiland: Luce Irigarays Denken der sexuellen Differenz. Eine Dritte Position im Streit zwischen Lacan und den Historisten. Turia + Kant 2010, 40 Euro

eu-film Film- und Medienkonferenz in XXL Das Forum „EU XXL”, ein Netzwerk heimischer und europäischer Filmschaffender, trifft sich von 4. bis 7. Mai in Wien, um Rahmenbedingungen und Arbeitsweisen im Bereich Filmarbeit zu besprechen. Dort können individuelle Positionen zur Arbeit rund um den Film eingebracht und im Rahmen eines gemeinsamen Forderungskatalogs diskutiert werden, der den verantwortlichen Behörden der EU, insbesondere der Europäischen Kommission, vorgelegt werden soll. Am 8. Mai, wenn die Konferenz nach Krems weiterzieht, ist es dann soweit: Die europäischen Filmleute können ihre Ergebnisse vereint äußern und mit VertreterInnen des Europäischen Parlaments, der Europäischen Kommission und dem Europäischen Rat erörtern. Der diesjährige Schwerpunkt von „EU XXL” gilt übrigens den Kameraleuten. Mitreden und sich an Arbeitsgruppen beteiligen können aber alle, die sich für die Produktion des Mediums Film interessieren. vers Weitere Informationen auf http://euxxl.indeed.at

Platz frei in Bus und Gesellschaft Initiiert wurde ich im Autobus an einem nasskalten Dezembertag des letzten Jahres. An einer der Haltestellen setzten sich ein Mädchen, ein kleiner Bub (der, unmittelbar nachdem er den Sitz erklettert und sich zurecht geruckelt hatte, den Daumen in den Mund steckte und mich nicht mehr aus den Augen ließ) und die dazugehörige Mutter – vermutlich in meinem Alter minus 15 – auf die freien Plätze rund um mich. Die nächste Viertelstunde Busfahren wurde mir durch den unaufhörlich fließenden Erzählstrom des Mädchens verkürzt, die mich über alle Verwandtschaftsverhältnisse ihrer Patchwork-Familie aufzuklären bemüht war: über die Herkunft der Väter, die praktisch gelebten oder sich derzeit in Auflösung befindlichen Verbindungen zum jeweils vaterschaftlich und muttertechnisch zugehörigen Kind und etliche weitere recht private Dinge. Ich wollte der Frau neben mir versichern, dass ihre Lebensgestaltung mich nur mäßig interessierte und mich zudem überhaupt nichts anginge, weshalb mich dieser Einblick keinesfalls in die Nähe ablehnender Emotionen, nicht einmal in die Nähe irgendeiner Emotion brächte, aber da war keine Lücke im freien Monolog. Und dann stiegen sie aus, alle drei, aber knapp vorher, an der offenen Bustür drehte sich der Bub noch mal um, nahm seinen Daumen aus dem Mund und strahlte mich an: „OMA”. Das war’s. Seine Einschätzung meiner gesellschaftlichen Position, die ihn also offensichtlich die ganze Zeit in Anspruch genommen hatte, war abgeschlossen. Seine Zuordnung verwandelte mich in das, was ich vermutlich bin und meist noch nicht sehe: in ein grauhaariges, faltenreiches Weib. Auch gut! Ach übrigens, wie war das eigentlich genau mit der Definitionsmacht? Und wie ist das eigentlich mit den sich in Veränderung befindlichen Familienstrukturen, von denen mir das Mädchen so farbig Bericht erstattet hatte – wirken die sich denn überhaupt nicht auf gesellschaftliche Rollenzuschreibungen aus? Oder hatte mich der Zwerg soeben in seine Familie aufgenommen? Christine Hartmann, Jg. ’53, lebt und arbeitet hauptsächlich in Bregenz und wundert sich je länger, umso mehr. www.prozesswissen.at

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bildende kunst

Look ...

Am 1. April feierte die Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs (VBKÖ) ihr hundertjähriges Bestehen. Rudolfine Lackner, derzeitige Präsidentin der VBKÖ, erinnert sich an die turbulente Vereinsgeschichte, Elke Auer und Esther Straganz, die die VBKÖ erst vor wenigen Jahren für sich entdeckt haben, gratulieren.

Link: www.vbkoe.org

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Das 100-Jahre-Jubiläum der VBKÖ verweist auf die seit Jahrhunderten weltweit agierenden frauenbewegten und feministischen Aktivismen in der Kunst, die Widerstand gegen den Ausschluss von Frauen und Künstlerinnen aus den Institutionen leisten. Ihr seit jeher internationales Ausstellungsprogramm wurde von Pionierinnen wie etwa Olga Brand-Krieghammer (erste VBKÖ-Präsidentin), Marie Egner, Rosa Mayreder, Tina Blau, Olga WisingerFlorian, Helene Funke, Käthe Kollwitz, Sofonisba Anguissola, Angelika Kaufmann oder Berthe Morisot geprägt. 1912 mietete die VBKÖ Räumlichkeiten in einem Dachgeschoss in der Wiener Innenstadt an, um von nun an ungehindert und gänzlich selbstbestimmt an der Verbesserung der „wirtschaftlichen und künstlerischen Verhältnisse von Künstlerinnen” zu arbeiten. Zu ihren ersten politischen Erfolgen zählen unter anderem, dass (Staats-)Preise auch an Künstlerinnen ergingen, dass Jurien mit Künstlerinnen besetzt wurden und dass ab 1920 auch Studentinnen Zugang zur Akademie der bildenden Künste in Wien hatten.

Frühe Kämpfe. Im Verlauf der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelten sich ausgehend vom zunehmend „etablierten” Programm der VBKÖ aber auch kollektive Dynamiken, die zwar einerseits zu Abspaltungen einzelner Künstlerinnengruppierungen (1919 Freie Vereinigung, 1926 Wiener Frauenkunst), andererseits aber auch zu starken Profilierungen diskursiver, die Diskussion um eine „weibliche Ästhetik” in den 1970er Jahren antizipierender Positionen führten. 1938 wurde die VBKÖ im Gegensatz zur nunmehr aufgelösten Wiener Frauenkunst „freigestellt”. Das bedeutete, dass sie nach der Implementierung nationalsozialistischer Vorgaben in ihre Vereinsagenden (Statuten- und Namensänderung, Arisierung ihrer Mitgliederinnen etc.) in Form von Ausstellungsorganisationen weiterhin aktiv sein konnte, sollte bzw. wollte. Neue Aufbrüche. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam es aufgrund des historischen Bruchs durch die NS-Zeit verstärkt zum Vergessen allen revolutionären und emanzipatorischen Potenzials der ersten künstlerischen

Frauenbewegung Österreichs. Die sich durch Namen wie VALIE EXPORT oder IntAkt (Internationale Aktionsgemeinschaft, gegründet 1977) in den 1970ern andernorts formierende Neue Frauenbewegung setzte nahezu ohne Wissen um ihre pionierinnenhaften Vorläuferinnen ein. Ein Relaunch der VBKÖ in den 1990er Jahren hatte neben einer kritischen inhaltlichen Aufarbeitung ihrer Geschichte auch den neuerlichen Aufbau eines zeitgenössischen Kunstund Atelierprogramms in den historischen Vereinsräumlichkeiten zur Folge. Nach wie vor stehen die Förderung der Interessen von Künstlerinnen sowie die Auseinandersetzung mit performativen queeren Identitätspolitiken, Feminismus und Gesellschaft im Zentrum des aktuellen Arbeitsansatzes. Dies wird von international agierenden KünstlerInnen, TheoretikerInnen und KuratorInnen in unterschiedlichen Ausstellungs- und Projektformaten, Publikations- und Forschungsprojekten realisiert. l Rudolfine Lackner, Fotografin und Kunsthistorikerin, ist seit 1998 Präsidentin der VBKÖ.


bildende kunst

... a hidden ballroom!

Hinter einer der vielen aufwändig hergerichteten Fassaden auf der Wiener Kärntnerstraße schwebt erhaben ein kleines feines Plateau – die Räumlichkeiten der Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs, die am 1. April 2010 ihren unglaublichen 100. Geburtstag feierte. Das brandneue Board der Vereinigung tanzte dem Anlass entsprechend mit Freund_innen und Symphatisant_innen in einer rauschenden, goldenen Ballnacht einer vielversprechenden Zukunft entgegen. Am 1. April 1910 als produktive und emanzipierte Antwort auf den kategori-

Unterm goldenen Schild. Wir betraten dieses Plateau zum ersten Mal im Mai 2007: Einer lose ausgesprochenen Einladung folgend fanden wir uns vor einer Tür, über der seit Anmietung der Räumlichkeiten in der Maysedergasse im Jahr 1912 ein eindrucksvolles goldenes Schild mit der Aufschrift „Vereinigung bildender Künstlerinnen” hängt. Wir waren damals auf der Suche nach einem Raum zum Lesen, Denken, Diskutieren und Arbeiten und standen dann an einem Nachmittag in diesem unglaublich hellen, klaren und großzügigen Raum, an dem irgendwie alles

„Doch durstig stets die Kunst, nach Freiheit bar Geschlecht. Daran sollst du erinnern und deshalb sollst du stehn, noch hundert weitre Jahre. Oh, VBKÖ!“ (Refrain aus der noch unveröffentlichten Hymne zum 100. Geburtstag der VBKÖ von Eva Jantschitsch) schen Ausschluss von Künstlerinnen aus allen Künstlervereinen in Selbstorganisation gegründet, bot sie vielen Frauen eine erste Möglichkeit, ihre Arbeiten zu zeigen und zu verkaufen. Die VBKÖ machte schon mit ihrer allerersten Ausstellung unter dem Titel „Die Kunst der Frau”, die 1910/11 Werke von internationalen, historischen und zeitgenössischen Künstlerinnen in der Secession versammelte, von sich reden. Heute ist die VBKÖ Archiv, Museum, Galerie, Atelier, Küche, Ballraum und Wunschmaschine, in deren Rahmen auf mehreren Ebenen daran gearbeitet wird, feministische Geschichte als Gegenwart zu verhandeln.

richtig war. Wir wussten sofort, dass wir genau hier sein und etwas machen wollten. Dieser Raum, diese Vereinigung war wie gemacht für uns. Dear Anus. Wir verstehen die VBKÖ heute vor allem auch als kulturelle Produzentin, eine historisch aufgeladene Organisation, die sich nicht auf Erhalten und Bewahren beschränkt, sondern ein künstlerisch-politisches Handlungsfeld bietet, das zum Entdecken, Erfinden und Experimentieren auffordert. Die geradlinigen, unaufgeregten Räume sind Atelier, Labor, Bühne oder White Cube, je nachdem, wonach einer gerade ist. 2008 veranstalteten wir hier gemein-

sam mit Eva Egermann und Julia Wieger das emanzipatorische Sprecher_innenforum „PostProloClub”, im selben Jahr organisierten und kuratierten wir in derselben Konstellation die erste Wiener Arschloch-Ausstellung „Dear Anus”. Ausgehend von Beatriz Preciados’ Buch „Kontrasexuelles Manifest” versammelten wir 19 künstlerische Positionen, die herrschende binäre, heteronormative soziale Blaupausen infrage stellten. Preciados’ Manifest ruft zur Deterritorialisierung klassischer erogener Zonen auf und feiert alternativ den nicht reproduktiv besetzten, radikaldemokratischen Anus, den jeder Körper hat. Die Ausstellung setzte genau hier, an diesem dekonstruktiven Potenzial an – und brachte der VBKÖ unter anderem eine parlamentarische Anfrage der FPÖ ein. Aber, viel ernstzunehmender und wichtiger, versammelte sie zahlreiche unterschiedliche Queer Theory-affine wie -ferne Menschen in den geografisch und historisch prominenten Räumen. Wir wünschen der Vereinigung bildender Künstlerinnen hundert und weitere, schöne, wilde und laute Jahre, in denen sie in ihrem „hidden ballroom” und darüber hinaus die Verhältnisse zum Tanzen bringt! l Elke Auer und Esther Straganz studierten an der Universität für angewandte Kunst, arbeiten mit und über Monster und sind seit 2010 Mitglieder der VBKÖ.

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alterslust

Reif für die freie Liebe

Foto: Edition a/Bubu Dujmic

Die 79-jährige Autorin Elfriede Vavrik hat mit „Nacktbadestrand”  einen autobiografischen Bestseller über die Lust im Alter geschrieben.  Michèle Thoma traf Elfriede Vavrik zum Gespräch über Liebe, Sex  und andere Perversionen. Am Anfang war die Schlaflosigkeit. Am Anfang war ein Herr Doktor mit einem überraschend „naturmedizinischen” Tipp: Suchen Sie sich einen Mann! Elfriede Vavrik ist 79, Buchhändlerin und gerade in Pension gegangen. Sie ist Mutter von drei Söhnen, zweimal geschieden und von Männern eigentlich geheilt. Und das schon sehr, sehr lange: vierzig Jahre ohne Sex! Vavrik befolgt den ärztlichen Ratschlag und inseriert im „Bazar”. Lustvolle Zeiten brechen an: Liebeskandidaten präsentieren sich, Vavrik entdeckt nach einem beinahe nonnenhaften Leben in sich die große Liebende. Nach etlichen (S)Experimenten konzentriert sie sich auf ein paar Männer, mit denen sie erfüllenden Sex hat und eine Freundschaft pflegt. Elfriede Vavrik genießt und schweigt nicht. Sie veröffentlicht ihre Erlebnisse in dem Buch „Nacktbadestrand”, das rasch zum Bestseller wird, ist Gast in deutschen Talkshows und wird im Boulevard und im Feuilleton besprochen. Ein skurriles Phänomen? Lustgreisin oder Sex-Oma, wie die österreichische Frauenzeitschrift „Madonna” abwertend schreibt? Elfriede Vavrik ist eine Frau, die macht, worauf sie Lust hat. Eine Frau, die darüber schreibt – und zwar gut. 36 l an.schläge Mai 2010

an.schläge: Meine Tochter, Mitte zwanzig, findet es nicht besonders exotisch, dass ältere Frauen Sex haben. Elfriede Vavrik: Großartig, dass sie diese Einstellung hat!

Vollkommen überflüssig findet sie es hingegen, dies an die große Glocke zu hängen. Sie meint, das Buch werde be-

dann das Buch las, imponierten mir die Nüchternheit, der Witz, auch eine gewisse Zärtlichkeit den Männern gegenüber. Sie mögen Männer und verstehen sie – vielleicht auch, weil Sie drei Söhne haben? Das stimmt. Ich interessiere mich auch für meine Freunde und gebe ihnen Ratschläge, auch was ihre Ehen und Beziehungen anbelangt.

„Ich will richtigen Sex. Achtzigjährige Männer kriegen nichts mehr zustande! Bei den meisten wird es ab fünfzig schon schwierig.“ geistert von älteren Frauen – wie ihrer Mutter – gekauft, die sich dann darüber freuen, dass „noch was geht”. Ja, natürlich geht noch was! Die älteren Frauen glauben alle, sie sind nichts wert. Das stimmt doch überhaupt nicht. Das sind Erfahrungen, die Junge gar nicht haben können. Aber ich werde auch von jungen Mädchen angestrahlt.

Als ich von Ihnen hörte, sah ich eine Invasion von Gehwagerl-Greisinnen, die kokett das Röckchen lüpfen. Ich hatte einen männlich-satirischen Blick. Als ich

Eine Beziehung wollen Sie aber bewusst nicht. Nein – ich will nur verheiratete Männer oder Männer mit Freundinnen. Ich will nicht, dass die Männer zu anhänglich werden. Ich habe mich jetzt von einem Mann getrennt, weil er seine Freundin verlassen hat.

Sie schreiben, dass „es schwabbelt” bei älteren Männern. Sie wirken auf Sie abstoßend. Interessieren Sie sich deshalb oder aus anderen Gründen für jüngere Männer?


Ich will richtigen Sex. Achtzigjährige kriegen nichts mehr zustande! Bei den meisten wird es ab fünfzig schon schwierig. Ganz junge Männer suche ich aber auch nicht – dabei werde ich oft von ihnen kontaktiert.

Eine Freundin, die nur „über” Sie gelesen hat, urteilte oder vorurteilte, Sie würden Wegwerfsex praktizieren … Wegwerfsex?! Was für ein Wort! Natürlich habe ich mir die Männer ausgesucht, aber ich habe mich mit ihnen unterhalten, geschaut, ob sie mir sympathisch sind. Ich habe niemanden weggeworfen! Ich rede sehr viel mit den Männern, mit denen ich Sex habe. Das Reden ist mir sehr wichtig.

In Ihrer Kollektion gab es einen Mörder, einen Fäkalfetischisten, ein Musterenkelkind. Sind es vorwiegend Männer mit sogenannten perversen Neigungen oder solche, die sonst keine Chance bei Frauen haben und daher zu älteren Frauen gehen? Überhaupt nicht. Man kann nicht von Perversion reden, eher von einer Vorliebe.

Wenn Frauen den richtigen Sexualpartner haben, neigen sie doch oft dazu, sich zu verlieben. Dann sollten sie sich sofort einen zweiten anschaffen! Liebe und Sex, das sind zwei Paar Schuhe. Wenn es zusammenfällt, ist es ein Lotto-Zwölfer! Männer sind nicht monogam – Frauen heute auch nicht mehr.

Große Liebe – glauben Sie nicht daran? Große Liebe ist kein Blödsinn. Mir ist sie nicht begegnet. Aber dass zwei Menschen gleich intensiv lieben, gibt es wahrscheinlich nicht. Einer kommt immer zum Handkuss. Ich will mich nicht zu sehr verlieben. Ich will nicht abhängig werden, leiden. Die Liebe soll mir gut tun.

Die Angst, alt und abstoßend zu sein, scheint Ihnen fremd – und das in einer Welt, in der schon Teenies in Panik geraten, weil ihr Körper nicht einem Bild entspricht, das sie für ideal halten. Alt und hässlich? Ich finde mich jetzt viel, viel schöner als früher. Ich war so

ein dünnes Ding! Und den Männern ist dieses Perfekte ja überhaupt nicht wichtig, die schauen ja gar nicht so auf jedes Detail. Das bilden sich die Frauen ein.

lesbennest the faboulous life of a queer femme in action

Auffällig ist, dass Frauen im Buch oder in Ihren Interviews nicht vorkommen. Gab es nie Vertraute, Freundinnen? Nie! Schon als Mädchen nicht. Ich war immer die Allerletzte unter den Mädchen, so dürr wie ich war, überhaupt nicht schön. Die wollten ja die Burschen anlocken, mit so einer wie mir ging das nicht. Später hatte ich einfach keine Zeit für Freundschaften. Das Einmischen mochte ich auch nicht. Ich war Geschäftsfrau, dann Alleinerzieherin.

Auch keine Freundschaften mit Sandkastenmuttis? Meine Kinder hatte ich nebenbei – für all das war keine Zeit!

Sie haben sehr selbstbestimmt gelebt. Sie haben sich zwei Mal scheiden lassen, nicht gerade üblich in Ihrer Generation, haben bis vor kurzem Ihr Geschäft geführt. Ihr Buch war nicht als feministisches Manifest gedacht, Sie haben es eigentlich für Männer geschrieben. Was bedeutet für Sie Feminismus? Ich habe was gegen Gleichberechtigung. Ich habe es gern, wenn der Mann ein Mann bleibt und die Frau eine Frau, nicht nur im Bett – außer der Mann steht in der Küche und kocht gut!

Aber ohne Gleichberechtigung hätten Sie niemals so ein Buch schreiben können! Das stimmt! Ich wäre gesteinigt worden. Also, für Gehalt in gleicher Höhe bin ich natürlich schon!

Sie leben und lieben so gut, so viel, so intensiv wie möglich. Sie genießen Sex mit auserwählten Männern im Bewusstsein, dass es keine endgültige Bindung geben wird. Sie scheinen reif für die freie Liebe zu sein. Ihr Buch ist letztendlich ein weises Buch. Danke! Ich kann jetzt auch wieder schlafen. l

denice

Reality bites

I have bad taste. I love checking out www.awfulplasticsurgery. com regularly to watch the new sad Hollywood botoxed train wrecks, and I go to the gym only to get to read the new horrible ”Seitenblicke” or ”InStyle” magazine. I can’t stop reading all the mean gossip, and still I know that what I’m doing is terribly wrong. Because if there wouldn’t be people like me reading this shit, they wouldn’t write it. And there is this one very bad place where one can find the absolute parade of bad plastic surgery gone awfully wrong and where people really get exposed and used for entertainment value: reality soaps. Jesus effing Christ, I have seen some bad stuff, but this … I am the queen of ”Fremdschämen”, and normally when I get embarrassed watching something on TV, I can always tell myself: ”Don’t worry, it. Is. Just. A. Show.” But when it is not? When these are real people making asses of themselves? For real?! I have seen Tila Tequila finding true bisexual love, Paris Hilton finding her new best friend forever! I enjoyed the best trash people show ”I Love Money”, where contestants from the very classy shows ”Rock of Love”, ”I Love NY” and ”Flavor of Love” were intriguing and showing the world just how great the American school system works! The last show I watched was ”Celebrity Rehab”, which is exactly what it sounds like. ”Celebrities” (for example the omnipresent Brigitte Nielsen) who need to sober up. And when I sat there in front of my laptop screen watching the actor who had a smaller role in ”Grease” puke his guts out I felt that I hit rock bottom way more than him. Because I was actually watching him doing all this. After that shameful wake-up call there have been no reality soaps for me, and when I read gossip then only the ”Gala” which is a little bit less nasty than the others. Until now … Because get this: Ilene Chaiken (yes, Mama ”L Word”) has produced a new show for Showtime. It is called ”Real L Word” … no joke. After watching the trailer for the show that will start in June, I am telling you people, this is gonna get nasty! I can’t wait! Denice drinks too much Bourbon, smokes too many cigarrettes and has a sweet tooth for butches and bois. Her motto: “All is good as long as you have the right outfit.” Foto: Jenzig71/photocase

Michèle Thoma ist Schriftstellerin.

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an.lesen

„Vor dem Tod verlieren die Wörter ihren Sinn“ Anna Mitgutsch leistet in ihrem neuen Roman Trauerarbeit nach jüdischen Regeln. Deren Protagonistin erzählt von metaphernloser Einsamkeit und der Suche nach dem gerissenen Faden. Von Verena Stern

Zwei Menschen – in love. Zu eigenständig, zu eigensinnig, ihre Bedürfnisse in Kompromisse zu verwandeln. Und doch: ein ganzes Leben ohne einander, unvorstellbar. Also doch Kompromisse, gefolgt von Abschieden und Trennungen, „weil wir nicht mit der Hartnäckigkeit unserer Sehnsüchte und Leidenschaften gerechnet hatten, mit unseren Grausamkeiten, unseren Ängsten und unserem Egoismus.” Aber nie für immer. Bis dass der Tod euch scheidet – und der ist ewig. Oder auch nicht, je nachdem. Doch wie damit umgehen, wenn man selbst die Person ist, die zurückbleibt? Wie damit leben? Wie leben? Als gäbe es „kein Leben mehr, das außerhalb seines Todes läge”. Es gibt also nicht nur das Leben und den Tod, sondern noch eine Zwischenstufe: einem geliebten Menschen in den Tod folgen und dennoch das eigene Leben nicht loslassen wollen, können: Folge mir, ich werde mich nicht umdrehen und dich für immer verlieren. Und doch, so scheint es, ist die Umkehr unumgänglich, als wäre dies die einzige Möglichkeit einer Vergewisserung der Existenz dieses Menschen (des „Lebensmenschen” wäre man fast versucht zu sagen, hätte der Begriff nicht einen gewissen blau-braunen Anstrich bekommen). Die Gedanken und Erinnerungen an ihn aufrechterhalten, aber auch die Bilder und Wahrheiten eines gemeinsamen Lebens. Vom Tod kann man sich kein Bild machen, dafür gibt es keine Metaphern. Nur „kollektive Bilder, die für Erfahrungen bereitstehen, für die wir keine Worte haben”. Die 1948 in Linz geborene Schriftstellerin Anna Mitgutsch studierte in

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Salzburg Germanistik und Anglistik. Nach zahlreichen Auslandsaufenthalten in England, Südkorea und den USA lebt sie wieder in Linz. Ihr aktueller Roman „Bis du wiederkommst” ist das einfühlsame Porträt einer Frau, die mit dem Tod ihres Ex-Mannes und langjährigen Lebenspartners konfrontiert ist. Die Zerrissenheit, die darauf folgt, wäre eigentlich nicht in Worte zu fassen. Doch Anna Mitgutsch ist eine Sprachkünstlerin, die jede noch so kleine Feinheit aus einer Situation heraus- und zu Papier bringen kann. Die tiefe Trauer gerät an manchen Stellen an den Abgrund des schmalen Grats zwischen berührter Beklommenheit und Kitsch. An anderen Stellen jedoch werden die Leser_innen von den Sätzen der Autorin mit unendlich vielen Adjektiven durch die Geschichte getragen, was das Lesen des Buches trotz des Themas zum Genuss macht. Die Protagonistin ist um die sechzig Jahre alt, und ihr letzter Besuch in Boston war durchzogen von der Idee eines Neuanfangs mit Jerome, ihrem Ex-Mann. Beflügelt von dem Glück, den Neuanfänge auslösen, fliegt sie zurück nach Österreich, um an ihrem Zweitwohnsitz alles für den Umzug in die USA vorzubereiten. Doch dazu kommt es nicht, und was nun folgt, ist eine „Anatomie der Trauer”. Sie versucht, einem Ariadne-Faden gleich, die letzten Stunden in Jeromes Leben aufzurollen, um zu verstehen, wann der Faden gerissen ist und wann der Tod schneller und stärker war als das Leben. Die Erzählerin ist somit in Gespräche und Gedanken, die in ihrem Kopf

Foto: Peter von Felbert

stattfinden, vertieft, sodass sie die Schiwa, die siebentägige Trauerzeit gemäß des jüdischen Rituals, als Eindringen in ihre eigene Welt empfindet, in der sie täglich mit Jerome redet, um die Sehnsucht nach ihm aussprechen zu können. Zumal seine Verwandten von ihr, der Ex-Frau, die ihn vor langer Zeit nach zwanzigjähriger Ehe, verlassen hat, offenkundig nicht begeistert sind, sie sprechen ihr sogar das Recht zu trauern ab. Doch der Roman hält sich nicht mit Plattitüden auf, weder solchen, die einer idealisierten Norm entsprechende Beziehungen fordern, noch solchen, die nach einem schnellen Abschütteln der Trauer zugunsten einer Rückkehr in ein „produktives” Leben verlangen. Anna Mitgutsch denkt und schreibt zwischen den Zeilen – und so liest sich auch ihre Geschichte. l

Anna Mitgutsch: Wenn du wiederkommst Luchterhand 2010, 20,60 Euro (A)


an.lesen Einsames Bambi l Die

türkische Autorin Peri˘ han Magden ist Kolumnistin der linksliberalen Zeitung „Radikal”. Ihre bisherigen Romane wie „Zwei Mädchen – Istanbul-Story” sind Bestseller und in zahlreiche Sprachen übersetzt worden. Wie ein Strudel funktioniert ihre neueste Geschichte, eine symbiotische Beziehung zwischen Mutter und Tochter, die isoliert von der Außenwelt durch die Welt hetzen. Wie ein Krimi lesen sich die ersten Kapitel: Die zentrale Frage ist, wovor diese gequälte Mutter flüchtet. Die Stimmung kippt aber in die Erforschung der pathologischen Komplizenschaft der beiden Frauen, ihre „Mondeinheit”, wie sie es nennen. Als Gebetbuch dient ihnen jahrelang die Erzählung von Bambi, doch anders als das kleine Reh darf die Erzählerin keine Freundschaften schließen. Die klare, kindliche Erzählweise wird durch Beobachtungen von Angestellten der Hotels, in denen sie absteigen, ergänzt: Sie können die Augen nicht von der bildschönen Tochter und der kosmopolitischen und immer wieder in tiefe Depressionen verfallenden Mutter lassen. Doch genauso wenig wie diese Beobachter kann die Leserin die Geschichte entschlüsseln, jede Hoffnung auf restlose Aufklärung wird enttäuscht. Das erhöht allerdings nur den Ansporn, sich nochmals in diesem sehr besonderen Roman auf Spurensuche zu begeben. Fiona Sara Schmidt ˘ Perihan Magden: Wovor wir fliehen. Suhrkamp 2010, 12,90 Euro (D)

Im Lurchstadium l

Dieses Buch kann frau mittlerweile nicht mehr unbeeinflusst lesen – erst der Hype um das RomanDebüt der 17-jährigen Helene Hegemann, dann die Plagiatsvorwürfe. In der vierten Auflage von „Axolotl Roadkill” sind Quellennachweis und Danksagung angefügt. Auf das Buch muss frau sich einlassen. Die 16jährige Mifti lässt sich durch ein Leben treiben, das sich zwischen Drogenräuschen, Schulverweigerung und Ängsten bewegt. Der Unterschied zwischen Miftis realem Leben und ihren Albträumen ist dabei oft nicht mehr erkennbar.

Stellenweise nervt der Roman, stellenweise macht er Spaß. Nervig ist vor allem die betont „arge” Sprache, der sich Hegemann bedient: Im Buch wird vulgär miteinander kommuniziert, die Handelnden kotzen, ficken und konsumieren jede Droge. Ebenso mühsam ist die auffallende Reflektiertheit der jugendlichen Protagonistin: Mifti kann alles analysieren, klingt in ihrer Altklugheit wie eine erwachsene Frau nach zehn Jahren Psychotherapie. Doch dann gibt es immer wieder diese besonderen, anderen Momente, die spüren lassen, dass Hegemanns Erstlingswerk mehr ist: schöne, ungezwungene Wortspiele, Selbstironie („Ich stelle mich so weit wie möglich von dem Heroin entfernt in irgendeine Ecke. Keine schlechte Restintelligenz, die mich zu dieser Entscheidung führt.”) und ein zynisches Betrachten der ach so alternativen Umwelt, in der sich Mifti bewegt. Von dem dreijährigen Äneas, der nicht zum Yoga will, ist zu lesen, oder davon: „Ich … laufe durch eine irgendeinem alternativen Elternmagazin entrissene Maisonettewohnung, die auf den ersten Blick als etwas zuzuordnen ist, das 5.000 Euro Nettoeinkommen voraussetzt.” Nach diesem gelungenen Debüt ist von Helene Hegemann sicher noch einiges zu erwarten. Bettina Enzenhofer Helene Hegemann: Axolotl Roadkill Ullstein Verlag 2010, 14,95 Euro (D)

Selbst-Strategien l „Im

Tagebuch äußere ich mich nicht nur freimütiger, als ich es einem Menschen gegenüber je tun könnte, sondern ich erschaffe mich selbst”, schreibt Susan Sontag im ersten der drei Bände mit ihren privaten Aufzeichnungen, der nun auf Deutsch erscheint. Sontags Sohn hat sich trotz Gewissensbisse für die Veröffentlichung entschieden – er wisse ja, wo die Tagebücher sind, war sein einziger Anhaltspunkt. Die vom 14. bis zum dreißigsten Lebensjahr reichenden Notizen, Romanideen und Reflexionen sind einerseits die intime Zurschaustellung der berühmtesten US-amerikanischen Intellektuellen, andererseits als Bildungsroman zu lesen. Bereits mit 16 beginnt sie ihre Universitätskarriere, heiratet mit 19 ihren Professor, wird Mutter und flüchtet nach Paris, wo sie ihr Lesbischsein entdeckt. Das Buch endet mit der

Veröffentlichung ihres ersten Romans „Der Wohltäter”. Endlose Leselisten wechseln sich ab mit Analysen ihrer selbstzerstörerischen Liebesbeziehungen und alltäglichen Ermahnungen („UNBEDINGT jeden 2. Abend duschen”). Filme werden genauso knapp zusammengefasst und beurteilt wie Abendunterhaltungen mit heute legendären Künstler_innen. Anrührend und sehr poetisch ist die dreißig Seiten lange Aufzählung von Kindheitserinnerungen der 1933 geborenen Autorin. Leider bleibt die Auswahl bruchstückhaft und unbefriedigend, ein Kommentar über die jeweilige Lebensund Arbeitssituation gäbe einen spannende Autobiografie ab. Nur für Fans oder solche, die wie Susan Sontag selbst, das Schnüffeln in Tagebüchern lieben. Fiona Sara Schmidt Susan Sontag: Wiedergeboren. Tagebücher 1947-1963 Hanser Verlag 2010, 24,90 Euro (D)

Bebilderte Depression l „Aber am Ende war

alles nur geträumt. Ich lebte noch immer. Da hatte ich mich wohl zu früh gefreut.” Immy lebt in einer großen Depression. Zuhause ist sie einsam, in der Arbeit unglücklich. Schmerz, eine hässliche Welt, Heulkrämpfe. Ihr Kaffee heißt Depresso, ein doppelter geht aufs Haus. Immy kommt irgendwie durchs Leben, aus ihrer Depression heraus aber nicht. Genauso wie Immys Gedanken sind auch die dazugehörigen Bilder: dunkel und trist. Mimi Welldirty hat ein Bilderbuch für Erwachsene geschrieben und gezeichnet. Das Ergebnis ist gelungen, wenn ihm auch an manchen Stellen ein bisschen mehr Subtilität nicht geschadet hätte: Dass Make-up nämlich nicht zur Lösung der eigenen Probleme beiträgt, muss einer nicht mehr gesagt werden. Und auch von der Notwendigkeit der emotionalen Annahme des kleinen Kindes in einer haben wir doch schon gehört. Von solchen Details abgesehen ist Welldirtys erstes Buch aber schön zu lesen und anzusehen. Und auch das Ende stimmt versöhnlich. Bettina Enzenhofer Mimi Welldirty: Immy and the City: Depresso to go. Die traurigste Geschichte der Welt Atrium-Verlag 2010, 14,90 Euro (D) Mai 2010 an.schläge l 39


an.lesen Kalt & einsam im Sarg l

Josefine hält sich die Ohren zu und verdrückt sich auf ihren Stein im Schilf. Sie hat mal wieder Ärger mit ihrer Mutter. Dabei kümmert sie sich eh schon um ihre jüngste Schwester, spielt mit ihr „das kälteste Land”, in dem sie die Prinzessin vom Spielhäuschen und Freja ihr Hund ist. Dass sie mit Wendla nicht spielen kann, ist ja nicht ihre Schuld. Mit ihr gibt es immer nur Geschrei. Doch ihre Mutter hält immer zu ihren jüngeren Geschwistern. Die Welt ist so ungerecht. Keiner hat sie lieb. Niemand würde um sie trauern, wenn sie tot wäre. Im See spiegelt sich ein schöner weißer Sarg zwischen dunklen Grabsteinen auf dem Friedhof. Josefine sieht sich selber kalt und einsam im Sarg liegen, „tot wie der ausgetrocknete Frosch am Teich, steif wie der überfahrene Fuchs auf der Landstraße, bald von Würmern zerfressen wie der verrottete Apfel im alten Märchenbuch”. Alle Versöhnungsversuche seitens ihrer Familie werden ignoriert. Doch ihr Selbstmitleid hält nicht lange an, möchte sie doch viel lieber wieder bei ihrer Familie sein und mit ihren Geschwistern spielen. Und in ihrer Situation spricht ja auch nichts gegen ein gut inszeniertes Beerdigungsspiel, bei dem neben den Kindern auch die Stofftiere so richtig traurig sein dürfen. Auf leicht makabere, doch erfrischend unkonventionelle Art und Weise lässt Tove Appelgren in ihrer Geschichte die Schrecken der familiären Alltagstragödien verblassen. Mein Tipp: ab und an beim Lesen eine Pause einlegen und sich von den mit vielen kleinen Details gespickten Illustrationen überraschen lassen. Svenja Häfner Tove Appelgren: Keiner hat mich lieb, findet Josefine. Illustriert von Salla Savolainen Verlag Friedrich Oetinger 2010, 12,95 Euro (D)

40 l an.schläge Mai 2010

Feministischer Parcours l

„Rasse“ reloaded l

Wird die feministische Theoriebildung mit dem Beginn der Zweiten Frauenbewegung zusammengedacht, lässt sich konstatieren, dass seit den 1970ern die Hälfte der Zeit mit der Einführung des Konstruktionsparadigmas und der Auseinandersetzung mit dem Begriff „Gender” verbracht wurde. Es lässt sich also durchaus von einer Hegemonie einer bestimmten Form (inhaltlich, methodisch, modisch) sprechen, wie Geschlecht und dessen Verhältnisse erkenntnistheoretisch und empirisch wahrzunehmen sind. Nun scheint es, als hätte diese Phase des (De-)Konstruktivismus ihren Zenit erreicht, denn zunehmend werden auch die Grenzen, also die Partikularität dieses Konzepts, diskutiert. Hier setzt Tove Soiland an, indem sie eine im deutschsprachigen Raum geschmähte Denkerin ins Zentrum ihrer Analysen stellt.Dabei ist Luce Irigarays Ausgangspunkt auch jener von beispielsweise Judith Butler, mit der sie über Strecken hinweg in eine Art Dialog gesetzt wird: Für beide sind Sprache und Geschlecht intrinsisch aneinander gekoppelt, nur die Frage ist, „was genau unter dieser Formel zu verstehen sei”. Beide Autorinnen rekurrieren auf die psychoanalytische Geschlechtertheorie von Lacan, die neben einem Rekurs auf Foucault als Dreh- und Angelpunktes fungiert, allerdings mit unterschiedlichen Exegesen. Soiland arbeitet zur Rezeptionsgeschichte von Irigaray (was gleichzeitig einen aufschlussreichen Parcours durch feministische Theorien darstellt), deren kritische Interpretation der (französischen) Psychoanalyse mitsamt deren Phallizismus ein anderes Modell der Geschlechter zu denken erlaubt. Dieses Buch ist ein besonderes Angebot, die unterschiedlichen feministischen Ansätze wieder ins Gespräch zu bringen. Birge Krondorfer

Eigentlich haben sogar die Naturwissenschaften längst erklärt, dass die Einteilung der Menschen in „Rassen” falsch ist. Eigentlich – denn die Lebenswissenschaften (Biologie, Medizin, Genetik usw.) operieren immer noch bzw. wieder verstärkt mit dem Konzept von „Rasse”. Entstanden ist der vorliegende Reader, nachdem Studierende an der Humboldt-Universität Berlin 2005 in einem gemeinsamen Seminar der Gender Studies, Biologie und Philosophie eine äußerst unerfreuliche Begegnung mit einem klassischen „Rasse”-Apologeten in Gestalt eines Biologie-Professors hatten. Die daraufhin gegründete „AG gegen Rassismus in den Lebenswissenschaften” fand rasch heraus, dass „heute in verschiedenen Disziplinen unter dem Leitbild genetischer Bestimmbarkeit erneute Zugriffe auf ,Rasse’ stattfinden und rassifizierte genetische Modelle als ,natürliche Gegebenheiten’ konstitutiert werden”. So wird gerade in der Genetik ungeheuer viel Energie (und Geld) darauf verwendet, „Rassenmerkmale” in der DNA aufzufinden. Sinn und Zweck dieser Anstrengungen sind durchwegs von Marktinteressen getrieben (etwa die Herstellung von Medikamenten für bestimmte rassifizierte Bevölkerungsgruppen), sie sind aber immer auch Teil eines rassistischen Diskurses, der gegen die „Gleichmacherei” anzukämpft. Das Buch legt die Methoden und Intentionen dieser Naturwissenschaft frei, verknüpft diese Erkenntnisse mit postkolonialen und feministischen Diskursen und belegt anhand von konkreten Beispielen die Virulenz von neuen „Rasse”-Konzepten. Ein bestürzendes Buch, aber ein wertvolles Werkzeug zur Schärfung der Wahrnehmung „objektiver” Naturwissenschaften. Sylvia Köchl

Tove Soiland: Luce Irigarays Denken der sexuellen Differenz. Eine Dritte Position im Streit zwischen Lacan und den Historisten Turia + Kant 2010, 40 Euro (A)

AG gegen Rassismus in den Lebenswissenschaften (Hg.): Gemachte Differenz. Kontinuitäten biologischer „Rasse“-Konzepte unrast-Verlag 2009, 19,80 Euro (A)


an.klang

Tauwetter forever Neue Töne im Wonnemonat Mai – gehört von Silke Graf und Vina Yun.

Baby Dee nicht mehr im Bärenkostüm. Foto: Tin Angel Records

Baby Dee hat in ihrem Leben schon einiges gemacht: Als Touristenattraktion verdiente sie ihr Geld in New Yorks Central Park im Bärenkostüm an der Harfe, leitete einen Kirchenchor oder stutzte gefährlich hohe Bäume als „Baumkletterin”. Irgendwann dazwischen wechselte sie das Geschlecht von Mann zu Frau und begann nach einer Begegnung mit Antony Hegarty, Platten aufzunehmen. Eine davon, A Book of Songs for Anne Marie (Drag City/Tin Angel/Hoanzl) wurde jetzt neu überarbeitet, erweitert und wiederveröffentlicht. Produziert und arrangiert hat das zeitlose Kleinod Maxim Moston von Antony & The Johnsons. Zu hören sind Balladen, meist nur von Klavier oder Harfe begleitet, die unter die Haut gehen. Auf andere Weise intensiv ist das neue Album von Lali Puna, die nach längerer Schaffens- und Babypause von Valerie Trebeljahr Our Inventions (Morr Music/Hoanzl) veröffentlicht haben. Lali Puna werden gerne dem Indietronic-Genre zugeordnet und stehen anderen Weilheimer Bands wie The Notwist, Ms. John Soda, Console und dem Tied & Tickled Trio personell und klanglich sehr nahe. Die neuen Songs kommen etwas poppiger daher, haben den speziellen warmen, träumerischen Elektro-Sound von großen Vorgängern wie „Faking the Books” (2004) aber beibehalten: Musik, die sich nicht sofort erschließt, sondern etwas Zeit und Geduld braucht – um sich dann auf ewig in die Gehörgänge zu graben.

Einer der schönsten Geheimtipps der letzten Jahre, Tender Forever, hat ihr drittes Album No Snare (K Records/ Cargo) veröffentlicht. Melanie Valera wurde 1977 in einem Kaff im Südwesten Frankreichs geboren. Nach der Zwischenstation Bordeaux fand sie in Olympia, Washington neue Freund_innen und Kollaborateur_innen wie The Blow oder Anna Oxygen. Tender Forever steht für Songs voller Zärtlichkeit, ohne Angst davor, sich großen Gefühlen anzunähern: Verlust, Herzensangelegenheiten, Fragen nach der eigenen Identität, verpackt in komplexe, knusprige Kompositionen. Weniger subtil, dafür mit OhrwurmGarantie arbeiten seit neuestem Goldfrapp: Für Head First (Mute/ EMI) kramte Will Gregory seine alten Analog-Synthesizer heraus und schuf mit seiner Kollegin Alison Goldfrapp ein äußerst songbetontes Album – einige Melodien muten regelrecht Abba-esk an –, das mit seinen EightiesRetro-Anleihen an Olivia Newton-Johns & Electric Light Orchestras „Xanadu”, Van Halen und Erasure gemahnt: kitschig, romantisch naiv und mit jeder Menge glossy Charts-Appeal. Die Frage, warum das Duo gerade jetzt, wo doch die Achtziger schon wieder durchgekaut sind, die Discokugellichter schwirren lässt, ist jedoch wieder schnell vergessen, wenn alle auf der Tanzfläche mitsingen: „Oh oh oh – I got a rocket …!”

Ganz andere Töne schlägt Karin Fisslthaler alias Cherry Sunkist in ihrer Musik an. Nicht ohne Grund waren Le Tigre mit ihrer Verbindung von RiotGrrrl-Punk und Elektronik ein wesentliches Vorbild der Musik- und Videokünstlerin aus Linz, die ihre Zelte nunmehr in Wien aufgeschlagen hat. Mittels Laptop, Gitarre, Synthies, Drumcomputer und Gesang arbeitet Fisslthaler schon seit 2004 an einem Entwurf, der Pop, Songwriting und experimentelle Elektronik miteinander verbindet und von einem kritisch-feministischen Bewusstsein zeugt. Ihre vor kurzem erschienene selbstbetitelte EP (Comfortzone/Trost) präsentiert drei neue Songs und unter anderem zwei feine Remixe von Sarah „Steak” Bogner und Horace. Wie sehr haben wir nach diesem langen Winter auf wärmere Temperaturen gewartet! Wiens regierende PoetrySlammerin Mieze Medusa und ihre kreativen Partner Tenderboy (Sampler, Production) und DJ SMI (Cuts & Scratches) haben den Frühling mit ihrem neuesten Album bereits vorweggenommen: Tauwetter (!records/Trost), das sind 14 Tracks mit „kellertiefen Bässen”, „überirdischen Lyrics” und charmanten Gästen (Violetta Parisini, Didi Bruckmayr und Willi Landl). „HipHop für Backpacker? Elektronische Musik links von der Mitte mit Rap? DIY Eigensinn? Lyrik für den Club?”, fragen die Sieger des Protestsongcontests von 2007 kokett. Ja, all das und noch einiges mehr: Wir sind Fan! l

Links: www.babydee.org www.lalipuna.de www.krecs.com/tenderforever www.goldfrapp.com www.feedbackanddisaster. net/cherrysunkist www.miezemedusa.com

Mai 2010 an.schläge l 41


an.sehen

Ein Herz für Junkies

Silke Graf wird high auf die TV-Serie „Nurse Jackie”.

Foto: Showtime

„Ach, sie ist doch nur eine Krankenschwester!”, meint der fesche Doktor Cooper im „All Saints”Hospital zum neuen Objekt seiner Begierde, als er von „nur Krankenschwester” Jackie wieder einmal auf Versäumnisse seiner Pflichten aufmerksam gemacht wird. Doch Jackie Peyton ist nicht umsonst das Zentrum der dunklen Komödie „Nurse Jackie”, deren zweite Staffel auf dem US-Fernsehsender Showtime vor kurzem gestartet ist. Sie hat es faustdick hinter den Ohren! „Tratschen ist nicht mein Ding. Still und gemein: Das sind meine Leute”, erklärt sie sich der 42 l an.schläge Mai 2010

quirligen Jung-Krankenschwester Zoey, die gerne Panda-Ohrringe trägt und in Jackie eine Heilige sieht. Diese kümmert sich liebevoll um die Patient_innen der Notaufnahme, tröstet, wo menschliche Wärme gebraucht wird, kämpft, wo andere längst aufgegeben hätten. Täuschen mit Heiligenschein. Was Zoey und (fast) alle anderen aber nicht wissen: Jackies Lieblingsbeschäftigung auf der Damentoilette ist es, sich eine Linie des Amphetamins Adderall in die Nase zu ziehen und ihren Kaffee mit dem zu Hause liebevoll in Zuckerpäckchen

verpackten Medikament Seconal zu süßen („Es fährt ein wie ein Blitzschlag, was nur ein Problem ist, wenn man Angst vor Blitzen hat, was bei mir nicht der Fall ist”). Für die Beschaffung dieser Substanzen schläft sie regelmäßig mit dem Krankenhausapotheker, der natürlich in sie verknallt ist. Jackie ist eine liebevolle Täuscherin, eine (Schein-)Heilige mit großen blauen Augen und praktischem, kurzem blonden Haar. Sie beherrscht ihren Job und weiß, was sie braucht, um diesen gut zu machen: Drogen, Sex und halblegale Tricks. Vögeln in der Mittagspause. Wunderbar verkörpert wird Jackie von der Golden-Globe-Gewinnerin Edie Falco („Die Sopranos”), deren trockene und unsentimentale Darstellung einer Krankenschwester, Ehefrau und Mutter die alte Dichotomie von Heiliger und Hure gehörig durcheinanderwirbelt. Jackie und die anderen weiblichen Hauptfiguren in der Serie sind eher seltene Ausnahmen in der aktuellen Serienlandschaft. Sie sind nicht mehr die Jüngsten, nicht die Dünnsten und definitiv nicht auf den Kopf gefallen. Sieht man von Charakteren wie Tara Gregson aus der US-Serie „United States Of Tara” – eine verheiratete Mutter mit zwei Kindern, die unter einer dissoziativen Identitätsstörung leidet – ab, sind die schwierigen, schrägen Hauptfiguren mit dem Herz am rechten Fleck sonst eher Männern vorbehalten (wie etwa der hinkende Dr. House). Umso erfrischender ist die von Liz Brixius, Linda Wallem und Evan Dunsky produzierte Serie, deren Heldin Jackie in der immergleichen, langweiligen blauen Krankenhauskluft steckt, selten etwas anderes als bequeme Turnschuhe trägt und dennoch in der Mittagspause den Pharmazeuten vögelt, während zu Hause der Traum-Ehemann wartet.

Der Glamour-Faktor kommt Dank der stets in High-Heels arbeitenden und besten Freundin Doktor O’Hara (Eve Best) übrigens nicht zu kurz. Robin Hood auf Amphetamin. Wie für eine unterhaltende Krankenhaus-TV-Serie unabdingbar, werden auch hier viele Witze aus der Morbidität ekeliger und skurriler Verletzungen gebastelt. Die 30-minütigen Folgen sind von individuellen Patienten-Schicksalen „am schlimmsten Tag ihres Lebens” geprägt. Inmitten all dieser Grauslichkeiten und Dramen ist Jackie ein Robin Hood im Kampf gegen zahlungsunwillige Krankenkassen und gemeine Zuhälter. Während sie großzügig und doch bestimmend die Ambulanz am Laufen hält, werden die Zuseher_innen jedoch nie von dem Gefühl verlassen, einem Junkie – einer tickenden Bombe – bei der Arbeit zuzusehen. Wie geschickt und gewitzt Jackie und ihre Freund_innen die vorbestimmte Explosion immer wieder abwenden, darin besteht der große Reiz von „Nurse Jackie”. Natürlich ist nicht alles perfekt. Manchmal geht der Slapstick etwas zu weit, verliert die Serie ihren Rhythmus, erscheinen die Charaktere dann doch ein wenig zu klischeehaft, wie etwa die Handbewegungen des schwulen Krankenpflegers Mo-Mo (der leider in der zweiten Staffel nicht mehr vorkommt). Nichtsdestotrotz bleibt es ein großes Vergnügen, einer erwachsenen Frau mit Fehlern und Stärken beim Amphetamin geschwängerten Austesten aller möglichen ethischen Grenzen über die Schulter zu schauen. Voraussichtlicher ORF-Start ist im Herbst. l


an.künden Redaktionsschluss Termine 06/10: 11.5.2010 termine@anschlaege.at

tanz fest musik bis 8.5., Krems Donaufestival. Mit Peaches, Cobra Killer, Ssion, Múm, Carla Bozulich’s Evangelista, Alec Empire, Tindersticks, Kria Brekkan u.a. 3500 Krems, T. 02732/90 80 33, www.donaufestival.at 7.-17.5., Wien Jacuzzi. Some days of performance and party WUK, 1090 Wien, Währinger Straße 59, www.wuk.at 8.5., 22.00, Wien Bonnie Li. DJs: Tatjana Sünder und Christina N., im Rahmen von Jacuzzi WUK Foyer, 1090 Wien, Währinger Straße 59, www.wuk.at 15.5., 22.00, Wien Cherry Sunkist, Special guest: Crazy Bitch in a Cave, DJs: Alexandra Augustin (FM4) & Julia Auchsuperwichtig, im Rahmen von Jacuzzi WUK Foyer, 1090 Wien, Währinger Straße 59, www.wuk.at 20.5., 20.00, Wien Marilies Jagsch WUK Foyer, 1090 Wien, Währinger Straße 59, www.wuk.at 28.-29.5., Wien e_may – Festival neuer und elektronischer Musik. U.a. mit Olga Neuwirth KosmosTheater, 1070 Wien, Siebensterngasse 42, T. 01/523 12 26, www.kosmostheater.at

film bis 9.5., Zürich, Frauenfeld 13. Pinkapple, Schwullesbisches Filmfestival, 70 Filme aus 28 Ländern ergeben 6.122 rosa Filmminuten www.pinkapple.ch derzeit Kathryn Bigelow: The Hurt Locker in ausgewählten Kinos 4.-7.5., Wien EU XXL, Forum of European Film, Media and Policy, Konferenz mit dem Jahresschwerpunkt: Kameraleute Top Kino, 1060 Wien, Rahlgasse 1, http://euxxl.indeed.at

30.5., 20.00, Wien Tribute to Miranda Pernell, Metro Kino, im Rahmen von Vienna Independent Shorts, Wiens internationales Kurzfilmfestival, 27. Mai bis 2. Juni 2010, diverse Locations, www.viennashorts.com 4.-14.6., Wien No Wave. New York 1976-84 Filmmuseum, 1010 Wien, Augustinerstraße 1, www.filmmuseum.at

bühne 1.5., 20.30, Brüssel

Doris Uhlich: Mehr als genug/More than enough Halles de Schaerbeek, Brüssel, www.halles.be, www.dorisuhlich.at

bis 1.5., 20.30, Wien

Höllischer Himmel – eine Revue! KosmosTheater, 1070 Wien, Siebensterngasse 42, T. 01/523 12 26, www.kosmostheater.at, jeweils Mi. bis Sa.

6.-14.5., 20.30, Wien

DIE opheliaMASCHINE KosmosTheater, 1070 Wien, Siebensterngasse 42, T. 01/523 12 26, www.kosmostheater.at

7.5., 20.00, Leipzig

Doris Uhlich: Spitze Tanzoffensive 2010, Lofft, Leipzig, www.lofft.de, www.dorisuhlich.at

7.5., 19.30, Wien

„Manche mögen’s Heiles …” – Ein musikalischer Streifzug durch die Kinogeschichte. Mit u.a. Kerstin Heiles Theater Akzent, 1040 Wien, Theresianumgasse 18

10.-12.5., 9.00 od. 10.45, Wien

Kindertheater Schmetterlinge: Valerie und die Gute-Nacht-Schaukel, Text: Mira Lobe, Musik: Erich Meixner, ab 4 Jahren Sargfabrik, 1140 Wien, Goldschlagstraße 169, T. 01/988 98 111, www.sargfabrik.at

Futterknecht WUK Saal, 1090 Wien, Währinger Straße 59, www.wuk.at

AK Bildungszentrum, 6800 Feldkirch, Widnau 2-4. Infos und Anmeldung unter www.femail.at

19., 20.5., 19.00, Salzburg Lisa Hinterreithner / Rotraud Kern / Nils Olger: tree me tree republic, 5020 Salzburg, AntonNeumayr-Platz 2, T. 0662/843 448 24, www.republic.at

5., 6.6., Wien Schreibzeiten: Eine Seminarreihe zum Thema Schreiben Institut Frauensache, 1010 Wien, Dorotheergasse 20/4/8, Informationen auf www.uzahlner.at, Anmeldung unter 0676/48 65 657 oder uzahlner@a1.net, Kosten: 140 Euro

19.5.,22.5., 20.00, Wien Der Fall Esra, nach dem verbotenen Roman von Maxim Biller, Produktion von Angela Richter, Kampnagel Hamburg, Forum Freies Theater Düsseldorf in Kooperation mit GARAGE X, 1010 Wien, Marc Aurel Straße 3/6, www.garage-x.at 28.5., 22.00, Wien Lucy McEvils Late Night Show 3raum-anatomietheater, 1030 Wien, Beatrixgasse 11, T. 0650/323 33 77, www.3raum.or.at

seminar workshop bis 7.5., Wien Recht hat Jede(r). Trainings zum alltäglichen Umgang miteinander für Kinder und Jugendliche zwischen 7 und 15 WUK Museum, 1090 Wien, Währinger Straße 59, www.wuk.at 7.-9.5., Wien Clown-Workshop WUK, 1090 Wien, Währinger Straße 59, mehr unter www.peterspindler.com 18.5., 9-17.00, Wien Selbstlaut. Seminar 3: Täterstrategien – Kann das Wissen darüber sexuelle Gewalt verhindern? Verein Selbstlaut, 1090 Wien, Berggasse 32/4, T. 01/810 90 31, www.selbstlaut.org 19.5., 15-19.00, Wien Workshop: Der weibliche Blick? Eine Geschichte der Wahrnehmung und Interpretation IWK, 1090 Wien, Berggasse 17, T. 01/317 43 42, www.univie.ac.at/iwk

Doris Uhlich: Spitze Tanz! Heilbronn, www.theater-heilbronn.de, www.dorisuhlich.at

21.-23.5., Klagenfurt Autonome Frauen Frühlingsuniversität Johannes Kepler Universität Linz, Stabsabteilung für Gleichstellungspolitik, 4040 Linz, Altenberger Str. 69, T. 070/24 68-1246, www.frauen.jku.at

15.-17.5., 20.00, Wien Where Life has no Value, Paradise sometimes has its Price. Fanni

27.-29.5., 17.-19.6., Feldkirch Kompetenztraining Wissen macht stark und gesund

14.5., 21.30, Heilbronn

8.6., 9-17.00, Wien Selbstlaut. Seminar 4: Im Strudel der Missbrauchsdynamik –die PädagogIn im Spannungsfeld zwischen dem gefühlsverwirrten Kind und dem manipulativen Täter Verein Selbstlaut, 1090 Wien, Berggasse 32/4, T. 01/810 90 31, www.selbstlaut.org 11.6., 10-19.00, 12.6., 10-18.00, Linz Kampfrhetorik für Frauen, Strategien für Frauen in männerdominierten Berufen www.kupfakademie.at/node/407 12.6., 9-17.00, Wien Wege aus der Harmoniefalle – Vom Nein-Sagen und Ich-Sagen Institut Frauensache, 1010 Wien, Dorotheergasse 20/4/8, Anmeldung: T. 0676/312 14 09 oder 0676/521 58 55, office@hhd.at, www.frauensache.at 12.6., 9.30-17.00, Wien Flow im Beruf und im Privatleben Institut Frauensache, 1010 Wien, Dorotheergasse 20/4/8, Anmeldung: T. 0676/312 14 09 oder 0676/521 58 55, office@hhd.at, www.frauensache. at, Kosten: 140 Euro pro Termin

vortrag diskussion bis 22.6., Di, 18-20.00, Wien Obskure Differenzen: Psychoanalyse und Gender Studies? 9. Ringvorlesung im Rahmen des Masterstudiums Gender Studies sowie des Erweiterungscurriculums Gender Studies Hörsaal B, Campus der Universität Wien, Hof 2, 1090 Wien, Spitalgasse 2, www.univie.ac.at/gender bis 30.6., Marburg/Lahn Kinder. Küche. Kämpfe. Kritische Perspektiven auf Pflege- und Haushaltsarbeit im internationalen Kontext, Veranstaltungs- und Filmreihe mit u.a. Helma Lutz, Kathrin Englert und Petra Valentin diverse Veranstaltungsorte, http://care.blogsport.de

3.5., 20.00, Berlin Grenzenlos und unverschämt. May Ayim (3.5.60-9.8.96) Frauenzentrum Schokoladenfabrik e.V., 10997 Berlin, Naunynstraße 72, T. 0049/30/615 29 99, www.schokofabrik.de, frauenzentrum@schokofabrik.de, Treffpunkt: Mariannenstraße 6, III.Etage 4.5., 18.30, Wien Die ArbeiterInnenbewegung und ihr Vereinswesen IWK, 1090 Wien, Berggasse 17, T. 01/317 43 42, www.univie.ac.at/iwk 6.5., 18.00, Zürich Katja Diefenbach (Berlin) u.a.: Politics of Potentiality Shedhalle, Rote Fabrik, 8038 Zürich, Seestraße 395 6.5., 16-19.00, Wien Im Rahmen der Gender-Ringvorlesung „Gender Performance”. Carola Dertnig, Akademie der bildenden Künste Wien: 1, 2, 3, 4 PERFORM, PERFORM, PERFORM Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, 1030 Wien, Antonvon-Webern-Platz 1 6.5., 16-19.00, Wien Im Rahmen der Gender-Ringvorlesung „Gender Performance”. Monika Bernold, Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien: Whiteness und Gender im Film Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, 1030 Wien, Antonvon-Webern-Platz 1 6.5., 19.00, Wien Jour Fixe Bildungstheorie. Citizenship Education, Partizipation und lebenslanges Lernen Depot, 1070 Wien, Breite Gasse 3, www.univie.ac.at/iwk 20.5., 18.30, Wien Vortragsreihe Frauen und Geld: Sparen und Anlegen Institut Frauensache, 1010 Wien, Dorotheergasse 20/4/8, Anmeldung: T. 0676/312 14 09 oder 0676/521 58 55, office@hhd.at, Kosten: 7,24.5., 19.00, Wien Podium 2: Krise und Konkrete Utopien – neue soziokulturelle Projekte FLEISCHEREI, 1070 Wien, Kirchengasse 44, office@experimentaltheater.com, www.experimentaltheater.com 27.5., 19.00, Wien Jour Fixe Bildungstheorie, Citizenship Education, Partizipation und lebenslanges Lernen Depot, 1070 Wien, Breite Gasse 3, www.univie.ac.at/iwk

Mai 2010 an.schläge l 43


an.künden Performance und Party Auf der Suche nach Identität, Schönheit und dem Paradies befinden sich die Wiener Künstlerinnen, die das erstmalig stattfindende „Jacuzzi”-Event im WUK gestalten und auf deren Spurensuche unter anderem auch eine „Monster-Frau” entsteht. Daneben wird gefeiert, zum Beispiel mit der Elektro-Popperin Cherry Sunkist.

Foto: Tricky Women

Wien unter dem Daumennagel

7.-17.5, Jacuzzi, Some Days of Performance & Party, WUK, 1090 Wien, Währinger Straße 59, T. 01/401 21 0, www.wuk.at

Eigene Erfahrungen und Erlebnisse mit, in und um Wien in einem Daumenkinofilm präsentieren – das kann, wer den Workshop bei der japanischen Animationskünstlerin Maya Yonesho im Rahmen von Tricky Women besucht. Die einzigen Voraussetzungen sind Neugier, Leidenschaft – und eine Digital-Kamera.

oben: Crazy Bitch in a Cave Foto: comfortzone unten: Jacuzzi, Solo. Foto: Rotraud Kern

21.-30.5, Information und Anmeldung unter office@trickywomen.at, Kosten: 125 Euro 31.5., 19.00, Wien Nachdrücklich vorbildlich. Auf den Spuren von Pionierinnen und Zukunftsfrauen. Von der Kunst, Frauenpolitikerin zu sein (Expertinnengespräch). Von und mit Petra Unger KosmosTheater, 1070 Wien, Siebensterngasse 42, T. 01/523 12 26, www.kosmostheater.at 10.6., 18.30, Wien Vortragsreihe Frauen und Geld: Absicherung und Vorsorge Institut Frauensache, 1010 Wien, Dorotheergasse 20/4/8, Anmeldung: T. 0676/312 14 09 oder 0676/521 58 55, office@hhd.at, Kosten: 7 Euro 16.6., 18.30, Wien Veronika Zangl: Zur (De-)Konstruktion von Gender in ZeugInnenberichten von Überlebenden des Holocaust IWK, 1090 Wien, Berggasse 17, T. 01/317 43 42, www.univie.ac.at/iwk 23.6., 18.30, Wien Birgit Haehnel: Verhüllte Männlichkeit: Eine ungewohnte Debatte um den Schleier IWK, 1090 Wien, Berggasse 17, T. 01/317 43 42, www.univie.ac.at/iwk

ausstellung bis 16.5., Rom DONNA: Avanguardia femminista negli anni ’70 dalla Sammlung Verbund di Vienna Galleria Nazionale d’Arte Moderna, 00196 Roma, Viale delle Belle Arti 131, T. +39/06 322 981 bis 27.6., Berlin Die Tänzerin Tatjana Barbakoff (1899-1944). Luftbilder aus Händeweiß und Blutrot, Traumgrün und Vogelblau

44 l an.schläge Mai 2010

Zusammen Arbeiten

Das Verborgene Museum. Dokumentation der Kunst von Frauen e.V., 10625 Berlin, Schlüterstraße 70, T. +49/30 313 36 56, www.dasverborgenemuseum.de

Künstlerische Zusammenarbeit ist das Thema der diesjährigen Mitgliederausstellung der IG Bildende Kunst. Nicht der/die Künstler/in steht im Mittelpunkt, sondern Prozess und Ergebnis. Zur Eröffnung übersetzt Julia Kläring eine Performance aus SELBST ÜBERSETZEN.

bis 30.5., Berlin Romy Schneider. Wien – Berlin – Paris. Deutsche Kinematek – Museum für Film und Fernsehen, 10785 Berlin, Filmhaus am Potsdamer Platz, Potsdamer Straße 2, T. +49/30/300 90 30, www.deutsche-kinematek.de, Kosten: 6/4,50/2 Euro bis 16.5., Wien Blickwechsel – Österreichische Fotografie Heute. Roberta Lima, Selina de Beauclair, Nina Rike Springer u.a. Westlicht. Schauplatz für Fotografie, 1070 Wien, Westbahnstraße 40, www.westlicht.com, Di, Mi, Fr 14-19.00, Do 15-21.00, Sa, So, Feiertag 11-19.00, Kosten: 6,50 Euro bis 16.5., Wien Danica Dakic: Role-Taking, RoleMaking Generali Foundation, 1040 Wien, Wiedner Hauptstraße 15, T. 01/504 98 80, http://foundation.generali.at bis 22.5., Wien Feminine Fifties. Die Wirtschaftswunderfrauen Wagner:Werk, Museum Postsparkasse der BAWAG P.S.K., Großer Kassensaal, Georg Coch-Platz 2, 1018 Wien, T. 01/534 53 33 825, www. ottowagner.com, Mo-Fr 9-17.00, Sa 10-17.00, Kosten: 5/3,50 Euro 4.5.-2.6., Wien IDENTITÄT I: Biografie. Mit Conny

Projekt LOVE: Stillleben aus „Zeichenstunde”

Habbel, Liza Nguyen, Friedl Kubelka, Natascha Stellmach u.a. Fotogalerie Wien, WUK, 1090 Wien, Währinger Straße 59, T. 01/408 54 62, www.fotogalerie-wien.at 6.5.-11.6., Wien No More Bad Girls? Kuratiert von Kathrin Becker und Claudia Marion Stemberger. Mit Arahmaiani, Patty Chang, Regina José Galindo u.v.a. Kunsthalle Exnergasse, 1090 Wien, Währingerstraße 59, T. 01/40121-0, www.wuk.at 18.5., 17.00, Wien Vernissage „Kunst & Psyche”, WUK next.level in Kooperation mit unik.at WUK next.level. 1060 Wien, Mariahilferstraße 103/4/61

bis 14.5., Collaborate, Galerie IG Bildende Kunst, 1060 Wien, Gumpendorferstraße 10-12, T. 01/524 09 09, www.igbildendekunst.at

lesung 3.5., 19.00, Wien Meine Welt: Hier war immer schon jetzt. Erzählungen von Felicitas Ferder, Sandra Gugic u.a., Moderation: Angelika Reitzer Alte Schmiede, 1010 Wien, Schönlaterngasse 9, T. 01/512 44 45 74, www.alte-schmiede.at 5.5., 18.30, Wien Einige Gründe für den Ausschluss von Künstlerinnen aus dem kulturellen Gedächtnis. Buchpräsentation mit Sigrid Schmid-Bortenschlager Institut für Wissenschaft und Kunst, IWK, 1090 Wien, Berggasse 17, T. 01/317 43 42, www.univie.ac.at/iwk

5.5., 19.00, Wien Natalja Kljutscharjowa (Moskau): Endstation Russland Alte Schmiede, 1010 Wien, Schönlaterngasse 9, T. 01/512 44 45 74, www.alte-schmiede.at 7.5., 19.30, Wien Leben und Lieben in Palästina. Mit u.a. Sahar Khalifa und Viola Raheb Odeon, 1020 Wien, Taborstraße 10, www.odeon-theater.at 8.5., 20.00, Berlin Lange Buchnacht. Inhalt wird noch bekanntgegeben. Frauenzentrum Schokoladenfabrik e.V., 10997 Berlin, Naunynstraße 72, T. 0049/30/615 29 99, www.schokofabrik.de


an.künden Österreichische Fotografie heute

„Ciao Amore”. Foto: Milija Pavicevic

„Join”. Foto: Jovan Mrvaljevic

„The Rings”. Foto: Roberta Lima

Süß, aber schmutzig Zeitgenössische Kunst aus Montenegro präsentiert die Ausstellung „Sweet, Small, Dirty Things”. Die KünstlerInnen gehen der Frage nach, ob etwas, das klein ist, notgedrungen auch süß und unschuldig sein muss.

Einen aktuellen Querschnitt durch die österreichische Fotografie zeigt die Galerie WestLicht in Wien. Präsentiert werden unter anderem Selina de Beauclair, die pornografische Motive auf Oberflächen und Körper projiziert, und Roberta Lima mit ihren aktionistischen Körperperformances.

bis 16.5., Blickwechsel – Österreichische Fotografie Heute, Galerie WestLicht, 1070 Wien, Westbahnstraße 40, T. 01/522 66 36, info@westlicht.com, www.westlicht.com

Kurzurlaub?

bis 28.5., Sweet, Small, Dirty Things, Galerie ArtPoint, 1010 Wien, Universitätsstraße 5, T. 01/523 87 65 15, www.kulturkontakt.or.at

11.5., 19.00, Wien Petra Corontao: Mein geistiges Eigentum u.a. Galerie Wechselstrom, 1210 Wien, Grundsteingasse 44 11.5., 19.00, Wien Slam Poetry zum Frauenarchivetag, mit Yasmin Hafedh, Mieze Medusa und Nadja Bucher, nur für Frauen (Transgender willkommen), STICHWORT, 1150 Wien, Diefenbachgasse 38, www.stichwort.or.at 12.5., 20.30, Wien Lesung von Michèle Thoma, anschließend Berauschung mit Abtanzmusik und Gratis-Büfett, im Rahmen von SOHO IN OTTAKRING BettelAkademie, 1160 Wien, Grundsteingasse 15, Hofatelier, www.sohoinottakring.at 17.6., 19.00, Wien Friederike Mayröcker liest aus ihrem neuen Prosawerk „Ich bin in der Anstalt”. Literarisches Quartier, 1010 Wien, Schönlaterngasse 9, T. 01/512 44 45 74, www.alte-schmiede.at

aktivitäten Do, 17.30-20.45, Wien SAPPHO – Therapeutische Selbsterfahrungsgruppe für lesbische und bisexuelle Frauen: Das zufriedene les-bi-sche Ich bin Ich Beratungsstelle COURAGE, 1060 Wien, Windmühlgasse 15/1/7, 14-tägig jeweils Do, Kosten: 48 Euro pro Abend, Anmeldung: T. 01/585 69 66, info@courage-beratung.at, www.courage-beratung.at

Viel geboten ist im Mai in Deutschland: Joanna Newsom präsentiert am 16.5. ihr neues, höchst opulentes Album „Have One On Me” in Berlin, die französische Country & FolkEntdeckung The Rodeo gastiert unter anderem am 16.5. in Hamburg. Und Glass Candy und Jessica 6 verirren sich am 20.5. mit ihren Disco-Kugeln nach Würzburg. Zeit für einen Kurztrip also!

6.5., 20.5., 10.6., 19-21.00, Berlin 36 Ladies – Schreib deine eigene Geschichte Frauenzentrum Schokoladenfabrik e.V., 10997 Berlin, Naunynstraße 72, T. +49/30/615 29 99, www.schokofabrik.de 12.5.-16.5., Krk Selbsterfahrungsseminar auf der Insel Krk, Institut Frauensache, 1010 Wien, Dorotheergasse 20/4/8, Anmeldung: T. 0676/312 14 09 oder 0676/521 58 55, weitere Informationen auf www.scheutz.at und unter office@scatach.org 29.-30.5., 10-17.30, Wien Stimmliches Selbstbewusstsein Institut Frauensache, 1010 Wien, Dorotheergasse 20/4/8, Anmeldung: T. 0676/312 14 09 oder 0676/521 58 55, office@hhd.at, Anmeldung erforderlich 13.6., 11.00, Berlin Aus der Türkei – in die Türkei. Führung mit Yelda Özcan in Deutsch und Türkisch Frauenzentrum Schokoladenfabrik e.V., 10997 Berlin, Naunynstraße 72, T. 0049/30/615 29 99, www.schokofabrik.de, Treffpunkt vor dem Amerika Haus, Haredenbergstraße 21 21.-24.5., Hamburg Lesbenfrühlingstreffen (LFT) 2010, Motto „Lesben Leinen Los – zwischen Hamburg und Südafrika“, Seminare, Workshops, Lesungen, Diskussionen, Filme sowie Konzerte und Disco. Anmeldung bis 8.5., Programminfos und Anmeldeformular auf www.lesbenfruehling.de/ hamburg2010

www.dragcity.com www.myspace.com/iamtherodeo www.myspace.com/glasscandy www.myspace.com/jessicasix Joanna Newsom. Foto: Annabel Mehran

radio fixtermine Mo 18-19.00, Wien Khorschid Khanum – Die persischsprachige Frauensendung Orange 94.0 MHz, jeden 1. Mo Mo 19-20.00, Kärnten Frauenstimmen – Glas žena Radio Agora 105.5 MHz (Dobrac), wöchentlich Mo 21-22.00, Schweiz K-Punkt Kalila – Feminine und feministische Themen Kanal K 94.9 MHz (Aargau), Livestream auf http://kanalk.ch, wöchentlich Di 13-14.00, Wien Globale Dialoge – Women on air Orange 94.0 MHz, wöchentlich

Di, 18-19.00, Wien Weibertalk – Sendung des Autonomen FrauenLesbenZentrums Innsbruck Orange 94.0 MHz, jeden 2. Di Di, 21-22.00, Wien female:pressure – Feministisches Magazin zu Musik- und Clubkultur Orange 94.0 MHz, jeden 2. Di Mi 18-18.30, Salzburg Frauenzimmer – Plattform für eine frauenspezifische Information Radiofabrik 107.5 MHz (Salzburg Stadt), wöchentlich Mi 18-19.00, Wien Bauch, Bein, Po – Die Sendung für die ganze Frau Orange 94.0 MHz, jeden 2. Mi Fr 19-20.00, Oberösterreich SPACEfemFM Frauenradio

Radio FRO 105.0 MHz (Linz), jeden 1., 3. u. 4. Fr Sa 18-19.00, Deutschland Rainbow City – Radio für Lesben und Schwule 97.2 MHz (Berlin), Livestream auf www.radiorainbowcity.de, wöchentlich Sa 19.00-20.00, Steiermark Bertas Bücherstunde – Das feministische Literaturmagazin Radio Helsinki 92.6 MHz (Graz), jeden 4. Sa So, 19-20.00, Tirol Weibertalk – Sendung des Autonomen FrauenLesbenZentrums Innsbruck FREIRAD 105.9 MHz (Innsbruck), jeden 1. So

Mai 2010 an.schläge l 45


zappho des monats Vorschau auf die Juni-Ausgabe: thema

PostPornPolitics

Feministisch-queere Porno-Diskurse nach PorNO

tv

an.schläge 24 .5

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In der nächsten an.schlägetv-Sendung wird unter anderem präsentiert: Ruega por nosotros – ein Film über mexikanische Frauen und den Guadalupe-Jungfrau-Kult von Caroline Mieling

an.schläge Abo, bitte!

Schnupperabo (3 Hefte): 10/12* Euro Jahresabo (10 Hefte): 35/ermäßigt 29/45* Euro Unterstützungsabo (10 Hefte): 43/53* Euro * Gültig für Europa, weitere Auslandspreise auf Anfrage. Weitere Infos unter abo@anschlaege.at oder auf www.anschlaege.at.

46 l an.schläge Mai 2010

an.schläge gibt's in folgenden Buchhandlungen: Fachbuchhandlung ÖGB 1010 Kuppitsch 1010 Morawa 1010 Winter 1010 Frick International 1010 tiempo 1010 Facultas 1010 Lhotzkys Literaturbuffet 1020 Buchhandlung polycollege 1050 phil 1060 Südwind 1070 Tabak Trafik Brosenbauch 1070 Riedl 1080 Löwenherz 1090 Südwind 1090 Infoladen Infomaden 1110 Infoladen Treibsand 4040 Kulturverein Waschaecht 4600 Rupertusbuchhandlung 5020 Wagnersche Buchhdlg. 6020 Amazone-Zentrum 6900 Berta – Bücher & Produkte 8020 Hacek-Bücherei 9020 KBuch 9020

Rathausstr. 21 Schottengasse 4 Wollzeile 11 Rathausstr. 18 Schulerstr. 1-3 Johannesgasse 16 Universitätsstr. 7 Taborstraße 28 Reinprechtsdorferstr. 38 Gumpendorferstr. 10-12 Mariahilferstr. 8 Kaiserstr. 96 Alser Str. 39 Berggasse 8 Schwarzspanierstr. 15 Wielandgasse 2-4 Rudolfstr. 17 Dragonenstr. 22 Dreifaltigkeitsgasse 12 Museumstr. 4 Brockmanngasse 15 Siebenundvierzigergasse 27 Paulitschgasse 5/7 Universitätsstr. 90

und auch in vielen Städten in Deutschland. Vollständige Liste der Verkaufsstellen auf:

www.anschlaege.at www.myspace.com/an.schlaege



€ 3,80 (Ö) € 4,80 (D) sfr 9,-

l l an.schläge das feministische monatsmagazin. mai 2010

Filmarbeit      And the Oscar goes to .  .  .     Frauen hinter der Kamera: Filmemachen als Beruf      Lohn ohne Zettel   Solidarität mit undokumentierten Arbeiter_innen     We ❤ digital Life    Queer-feministische Blogs & Banden    Reif für die freie Liebe     Am Nacktbadestrand mit Elfriede Vavrik     Plus: Abtreibungspolitiken weltweit >> FrauenFrühlingsUni >> Tarantinos Geschlechterbilder >>    Moskauer Attentäterinnen >> 100 Jahre VBKÖ >> Nurse Jackie >>  Rosa stinkt? >> und vieles mehr    an.schläge Nr. 5/10, 24. Jahrgang, € 3,80 (Ö) € 4,80 (D) sfr 9,- ISSN 1993-3002, P.b.b. Erscheinungsort Wien, Verlagspostamt 1010 Wien, envoi à taxe réduite, GZ 02Z031419 M


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