November 2013 an.schläge

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Das feministische Magazin. November 2013

Critical Whiteness – Kritisches Weißsein Neue Bündnisse für eine antirassistische Praxis  Der große Tabubruch  Über die Anfänge der Frauenhausbewegung in Österreich   Rebel Girl   Auf den Spuren der Popjournalistin Tine Plesch    Plus: Scheinselbstständige im Arbeitskampf >> 30 Jahre STICHWORT >> Sex im Internet >> Meek’s Cutoff >> und vieles mehr


Thema

Politik

32

06

an.riss politik Kurzmeldungen

14

Thema: Critical Whiteness – Kritisches Weißsein

08

Der große Tabubruch Vor 35 Jahren entstand die Frauenhausbewegung – und das erste Frauenhaus in Österreich

15

34 Im Spiegel der Geschichte Wer Rassismus bekämpfen will, muss auch in die Vergangenheit blicken

18 10

Richtungsweisendes Urteil Wer als Scheinselbstständige auf Anstellung klagt, braucht einen langen Atem

Vom Schauen und Sehen Im weißen Mainstream ist die Schwarze Perspektive kaum repräsentiert

20

„Kritisches Weißsein ist eine Überlebensstrategie“ Interview: Peggy Piesche über weiße Herrschaftsansprüche und Schwarze Wissensarchive

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an.riss international Kurzmeldungen

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24

36

an.riss arbeit wissenschaft Kurzmeldungen

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an.riss kultur Kurzmeldungen

Lust auf Knopfdruck Wie verändert das Internet die Sexualitäten von Frauen?

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Spuren hinterlassen Interview: Evi Herzing über Tine Plesch und das „feministische Versprechen“ im Pop

Stück für Stück Interview: Margit Hauser über 30 Jahre Frauen- und Lesbengeschichte im STICHWORT

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an.lesen: Das Rebellische im Pop „Rebel Girl“ versammelt zentrale Texte der Popjournalistin Tine Plesch

an.sprüche: Mehr als ein Trend #SolidarityIsForWhiteWomen und #SchauHin: Alltagsrassismus im Visier Die Normalität entnormalisieren Interview: Lann Hornscheidt benennt weiße Privilegien und ihre konkreten Effekte

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Situierte Kritik Antirassistische Feminismen: Gemeinsame Kämpfe, vielfältige Identitäten

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Das Problem mit „Critical Whiteness“ Weiße müssen zuhören und als Verbündete agieren

Kultur

Gesellschaft

an.schläge r: im Dezembe

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an.lesen: Buchrezensionen im Kurzformat

45

an.klang: Dunkle Seiten Soundexperimente, HipHop-Beats und Postpunk-Gitarren

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an.sehen: Öde Wildnis „Meek’s Cutoff“ ist ein Anti-Western aus weiblicher Perspektive

Horror! Horror!


november 2013 Kolumnen 11 neuland Wehret den Anfängen 32 zeitausgleich Ninetofive 35 heimspiel Müder Sonntag 39 lebenslauf Weil Frau nicht darf, aber soll 41 lesbennest The show must go on and on

Rubriken 04

Feminist Superheroines Ingrid Draxl, Andrea Krakora

Kommentare 05

07 an.frage Damenwahl 13 medienmix Selbstironisch, Sichtbar, Sendungsbewusst 47 an.künden Termintipps 47

Zu Gast bei … Nawel Louerrad

44 bonustrack Zeitdilatation

49

Das illustrierte Werbe-Wäh

49 positionswechsel I have the time of my life!

49 Pin-Ups Off the Rokket

an.sage: Mehr Perspektiven Nur Karrieremöglichkeiten für Mütter zu fordern greift zu kurz

06 sprechblase „Ahhhhhhhhhhhhhhh!“ 06 plusminus Mini, Maxi 23

an.sprüche: Mehr als Trend #SolidarityIsForWhiteWomen und #SchauHin: Alltagsrassismus im Visier

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editorial

Wir sind schwer begeistert: An unserer Umfrage haben schon jetzt mehr Leser_innen teilgenommen, als wir uns je erträumt hätten. Danke allen, die mitgemacht haben! Die Auswertung liegt allerdings noch vor uns – ein Sum-up der Ergebnisse gibt’s demnächst hier. Ein Hinweis in eigener Sache: Die „Katzenpost“-Kolumne macht Pause. Während der nächsten Monate begleitet uns stattdessen „Zu Gast bei …“ der Berliner Comic-Autorin und Illustratorin Paula Bulling. Sie hat zu unserer großen Freude auch den aktuellen Schwerpunkt illustriert. Und falls euch das Heft diesmal dicker vorkommt als sonst: Ihr liegt da ganz richtig. Für unser Thema „Critical Whiteness/Kritisches Weißsein“schenken wir euch nämlich ein paar zusätzliche Seiten. So viel Platz für Feminismus muss sein! eure an.schläge 1983, n.schlägae Walde a n te s r der e n Lin Cover pfunden vo m n ache

Feminist Superheroines Die 1980er-Jahre waren eine Zeit des Unmuts und des Aufstands, aber auch der Courage und Tatkraft. Damals entstanden in Österreich u.a. die Frauenhausbewegung ebenso wie die HOSI (Homosexuellen Inititative). Viele engagierte Feminist_innen wollten die männerdominierte Gesellschaft verändern. 1982 trafen sich zwei Frauen im Wiener Café Museum mit der Idee, eine Zeitschrift von Frauen für Frauen herauszugeben. ANDREA KRAKORA (*1961) und INGRID DRAXL (*1957, geb. Lengheim) verdanken wir unsere geliebten an.schläge! „Der Ärger über eine präpotente, männerdominierte Medienlandschaft war damals riesengroß bei mir, und der Wunsch, eine eigene feministische Zeitung zu gründen, wurde immer stärker“, erinnert sich Krakora. Draxl wollte „ausprobieren, was möglich ist. Mit Frauen zusammenarbeiten, diskutieren, handeln“. Die an.schläge sollten „feministisches Bewusstsein unter die Leute bringen, die Gesellschaft mitgestalten und verändern“. Der Name der Zeitschrift speist sich aus verschiedenen Assoziationen: etwa die Anschläge einer Schreibmaschine, auf der die ersten Ausgaben entstanden, der (symbolische) Anschlag auf das Patriarchat oder auch eine Bekanntmachung, die „angeschlagen“ wird. Der Punkt im Titel sollte bewusst irritieren – als Sinn-

bild der Störung patriarchaler Normalität. Erste Subventionen kamen von der damaligen Staatssekretärin Johanna Dohnal, „ohne sie hätte es keine an.schläge gegeben“, sagt Draxl. Nach ihrer Zeit als an.schläge-Redakteurin lebte Ingrid Draxl längere Zeit in Hamburg, wo sie ihren Bachelor in Geschichte machte. 2005 kehrte sie nach Österreich zurück. Andrea Krakora ist als (Kurz-)Filmemacherin und Schriftstellerin tätig und unterrichtet Deutsch als Fremd-/Zweitsprache. Beide verbindet bis heute eine tiefe Freundschaft und eine ideenreiche Zusammenarbeit. Über die Jahre waren unzählige Frauen an den an.schläge beteiligt und haben das Medium durch ihre Ideen und ihr (oft unbezahltes) Engagement am Leben gehalten. Ihnen gebührt ebenso Dank wie Andrea Krakora und Ingrid Draxl für die Gründung der an.schläge, die bis heute als Informationsnetzwerk und diskursive Plattform in den medialen „Malestream“ intervenieren. den Illustration: Lina Walde http://linawalde.tumblr.com http://evaundeva.blogspot.com

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Korrektur: Michaela Maywald l Layout: Mirjam Bromundt l Cover & Backcover: Lina Walde l Cartoons & Illustrationen: Paula Bolyos, Yori Gagarim, Nadine Kappacher, Fotos: an.schläge-Archiv, Peggy Adam/avant-Verlag, Bettina Enzenhofer, Rodrigo Fernandez/Wikimedia, FFBIZ, FILMDELIGHTS,

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von der Redaktion. Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht der Auffassung der Redaktion entsprechen. Kürzungen vorbehalten. l ISSN 1993-3002

04 l an.schläge November 2013


an.sage

Mehr Perspektiven Ein Kommentar von Lea Susemichel

Arbeiten mit Kindern

Nachts mehrmals von einem weinenden Säugling geweckt werden. Trotzdem in Allerherrgottsfrüh aufstehen müssen. Sich selbst, das Baby und vielleicht auch noch größere Kinder waschen, anziehen und für alle das Frühstück zubereiten müssen. Danach in die Krippe, anschließend in die Arbeit hetzen. Einen langen Arbeitstag absolvieren, unterbrochen von der arbeitsrechtlich zugesicherten Pause fürs Muttermilchabpumpen, die oftmals auf dem Klo oder in irgendeiner Abstellkammer zugebracht wird. Am Abend nach dem Zubettbringen der Kinder noch ein paar schnelle Mails und die nötigsten Handgriffe im Haushalt erledigen. Das ist die exemplarische Schilderung des Alltags einer berufstätigen Mutter in Frankreich, wie sie sich derzeit in Medien wie „Eltern“ oder „Die Zeit“ findet. Sie soll deutlich machen: Das – gerade auch von FeministInnen – so hochgelobte französische Modell, wonach Frauen häufig direkt nach dem Mutterschutz wieder (Vollzeit) arbeiten gehen, hat seine Schattenseiten. Nun ist die mediale Skandalisierung arbeitender Mütter von kleinen Kindern oder gar Neugeborenen natürlich nichts Neues (man denke etwa an die Aufregung um die spanische Verteidigungsministerin, als diese schon kurz nach der Geburt wieder zurück in die Regierung ging). Neu ist ebensowenig, dass man sich dabei vor allem über die frühkindliche Fremdbetreuung empört und diese reflexartig für traumatische Entfremdung, spätere Verhaltensauffälligkeiten und psychische Störungen verantwortlich macht. Altbekannt ist des Weiteren, dass auch in Frankreich vor allem von konservativer und rechtsreaktionärer Seite der Ruf nach einer Refamiliarisierung kommt, gegen den etwa die feministische Philosophin Elisabeth Badinter seit Jahren anschreibt. Auch die erwähnten Artikel haben den tränendrüsigen Te-

nor, dass hier das Kindeswohl auf dem Spiel stünde. Doch daneben geht es darin auch explizit um die Frauen. Dass diese selbst ihre Situation als in höchstem Maße belastend und überfordernd erleben, sollten auch FeministInnen auf neue Weise zum Thema machen. Denn das Problem mütterlicher Mehrfachbelastung und die sogenannte Vereinbarkeitsfrage lassen sich auch durch die beste gesellschaftliche Infrastruktur, wie beispielsweise qualitätsvolle Kinderbetreuung (die zweifellos unabdingbar ist), alleine nicht lösen, wenn sich bei der Arbeitsteilung und den Arbeitsverhältnissen nicht insgesamt etwas ändert. Zunächst bei der Aufgabenteilung zwischen den Eltern: Väter kommen in den Berichten bezeichnenderweise so gut wie nicht vor. Bei der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder ist männliches Engagement auch in Frankreich marginal. Darüber hinaus muss unbedingt auch die gesellschaftliche Arbeitsteilung problematisiert werden, denn diese ist nicht nur nicht geschlechtergerecht, sondern generell höchst ungleich verteilt. Auch wenn es in Frankreich nicht mehr wie früher die Ammen auf dem Land sind, zu denen die Kinder wohlhabender Frauen in den ersten Lebensmonaten oder sogar -jahren gegeben wurden – von der Schwarzen Nanny über das lateinamerikanische Au-Pair-Mädchen bis zur mies bezahlten und gesellschaftlich gering geschätzten Tagesmutter oder Kindergartenpädagogin überzeugt in puncto Gerechtigkeit keines der gegenwärtigen Modelle. Und ganz grundsätzlich gilt: Aus einer privilegierten Position, bei der Arbeit bestenfalls auch mit Selbstverwirklichung zu tun hat, tönt auch der Wunsch nach einem erfüllenden Berufsleben gleich viel selbstverständlicher. Wer hingegen in anstrengender und ausbeuterischer Abhängigkeit arbeitet, erlebt bloßes Hausfrau- und Muttersein unter Umständen sogar als willkommene Phase relativer Autonomie und Selbstbestimmtheit. FeministInnen sollten es also nicht bei der bloßen Forderung nach Karrieremöglichkeiten für Mütter (die selbstverständlich ebenfalls unabdingbar sind) belassen, und sie sollten Emanzipation nicht mit neoliberaler Leistungsbereitschaft verwechseln. Wichtig sind stattdessen feministische Utopien zur Neuorganisation von Arbeit und Leben, wie sie etwa Frigga Haug mit ihrer Vier-in-einem-Perspektive entwickelt hat, in der neben Lohnarbeit zum Beispiel auch Beziehungsund Bildungsarbeit berücksichtigt wird. Denn es muss dem Feminismus immer ums Ganze gehen. Um das gute Leben für alle.   l November 2013 an.schläge l 05


an.riss politik

© Richard Thomas/123rf.com

obdach-/wohnungslosigkeit Tageszentren für Frauen Mitte September hat im sechsten Wiener Gemeindebezirk ein neues Tageszentrum für obdach- und wohnungslose Frauen eröffnet: Ester ist ein Schutz- und Ruheraum von Frauen für Frauen. Das Zentrum bietet an fünf Tagen in der Woche Platz für bis zu sechzig Frauen und stellt Verpflegung, Sanitärräume, Kleidung und Beratung durch Sozialarbeiterinnen bereit. Dabei ist es egal, ob die betroffenen Frauen akut obdachlos sind oder in „verdeckter Wohnungslosigkeit“ leben, also etwa bei wechselnden Bekannten unterkommen oder eine Gewaltbeziehung nicht beenden, weil sie sonst wohnungslos werden. Ein weiteres Tageszentrum für wohnungslose bzw. von Wohnungslosigkeit bedrohte Frauen in Wien feierte im August sein bereits zehnjähriges Bestehen. Das FrauenWohnZimmer im zweiten Bezirk wird von der Caritas betrieben und bietet neben der Unterstützung im Alltag ebenfalls Beratung und Schutz vor Diskriminierung sowie vor psychischen und physischen Übergriffen. Zu Beginn betreute das FrauenWohnZimmer täglich 25 bis 35 Frauen. Im Vorjahr wurden bereits durchschnittlich 45 Besucherinnen pro Tag gezählt.  GaH www.wiederwohnen.at/tageszentren/ester, www.caritas-wien.at/hilfe-einrichtungen/menschen-in-not/wohnungslos/tageszentren/frauenwohnzimmer

„Ahhhhhhhhhhhhhhh!“

Eine begehbare, kreischende und lachende Vagina sorgte von Johannesburg aus für internationales Medienecho und heftige Diskussion in Südafrika. In einem ehemaligen Frauengefängnis installierte die Künstlerin Reshma Chhiba mit „Zwei sprechende Yonis“ einen zwölf Meter langen plüschigen Tunnel. Die Künstlerin wollte mit der Installation auf die hohe Vergewaltigungsrate aufmerksam machen und gegen die Geschichte des Frauengefängnisses aufbegehren, in dem u.a. Kämpferinnen gegen die Apartheid einsaßen.  fis 06 l an.schläge November 2013

In Berlin hat die europaweit erste Klinik für Opfer von weiblicher Genitalverstümmelung/-beschneidung (FGM/C) eröffnet. Sie steht unter der Schirmherrschaft von Waris Dirie, die seit der Veröffentlichung ihrer aufrüttelnden Autobiografie 1998 gegen FGM/C kämpft, u.a. viele Jahre als UN-Sonderbotschafterin. Psychologische und medizinische Beratung für Betroffene von FGM/C ist mittlerweile in einigen europäischen Ländern institutionalisiert. Neben Frankreich und Italien gibt es auch in Österreich seit 2009 eine Spezialambulanz in der Wiener Rudolfstiftung. Hier haben Frauen auch die Möglichkeit, sich operativ behandeln zu lassen. Bei der „De-Fibulation“ werden die verstümmelten/beschnittenen Geschlechtsteile so gut wie möglich wiederhergestellt. Seit Eröffnung der Wiener Spezialambulanz wurden hier 28 Mädchen und Frauen operiert. Laut Schätzungen von NGOs leben in Österreich mehr als 2.000 von FGM/C betroffene Frauen. Die De-Fibulation wird von den Krankenkassen bezahlt.  GaH

jubiläum 30 Jahre Kofra Im November feiert das Kommunikationszentrum für Frauen zur Arbeitsund Lebenssituation sein dreißigjähriges Bestehen. Kofra wurde 1982 als Selbsthilfeprojekt für und von Frauen in München gegründet. Heute organisiert das Zentrum zahlreiche Beratungen, Vorträge, Workshops und eine Reihe von (Arbeits-)Gruppen zu Schwerpunktthemen – etwa den Arbeitskreis „Frauen aktiv gegen sexuelle Gewalt“ und die „Aktionsgruppe frauengerechte Sprache“. Bei Kofra können Frauen jederzeit selbst Gruppen initiieren und selbstständig oder angeleitet arbeiten. Teil des Kommunikationszentrums sind auch ein Café, eine feministische Bibliothek und die zweimonatlich erscheinende Schwerpunktzeitschrift

plus

Mini (+)

Maxi (–)

In Frankreich sind Schönheitswettbewerbe wie „Mini Miss“ für 9- bis 12-Jährige bald Vergangenheit. Der Senat will solche Wahlen unter Anwendung des Gleichstellungsgesetzes verbieten. Für Jungen gibt es derartige Wettbewerbe nicht. „Wir wollen unsere Töchter nicht vom jüngsten Alter an glauben machen, dass sie nur wegen ihres Aussehens etwas wert sind“, sagte Chantal Jouanno, Zentrumspolitikerin und Initiatorin des Verbots. Zukünftig drohen Geld- und Haftstrafen für die Ausrichtung solcher Veranstaltungen.  fis

Tine Wittler, bekannt als TV-Deko-Fee aus „Einsatz in 4 Wänden“, hat einen Kinofilm gedreht. Für „Wer schön sein will, muss reisen“ besuchte sie Mauretanien, wo dicke Frauen traditionell als schön gelten. Sie unterzog sich einen Tag lang der Praxis der „Leblouh“, einer Form der Zwangsernährung von Frauen, trug bunte Gewänder und spazierte durch das „unbekannte Wüstenland“. Kritiker_innen bemängeln die unpolitische Herangehensweise und das Verschweigen von Menschenrechtsverletzungen im Land.  fis

Quellen: http://diestandard.at, http://parlament.gv.at, www.frauenrat.de

fgm/c De-Fibulation auf Krankenschein


an.frage „Kofra“. Finanziert wird all dies durch Zuschüsse vom Sozialreferat München und von Beiträgen der Mitfrauen sowie Eigenleistungen.  GaH www.kofra.de

wahlen 2013 Sag mir, wo die Frauen sind … Nach der Bundestagswahl in Deutschland werden zukünftig 229 Frauen im Parlament sitzen, das entspricht bei insgesamt 630 Abgeordneten einem Frauenanteil von 36,3 Prozent – so viel wie noch nie. Die Grünen und die Linke ziehen mit einer Frauenmehrheit ein, aber auch die SPD hat erstmals ihre interne Mindestquote von vierzig Prozent überschritten. Die Frauenquote der siegreichen CDU beträgt demgegenüber nur 24 Prozent. In Österreich wird nach der Nationalratswahl der Frauenanteil unter den 183 Abgeordneten nur geringfügig über den derzeitigen 28 Prozent liegen. „Men only?“, fragt der Österreichische Frauenring in einer aktuellen Aussendung und kritisiert zudem, dass im Wahlkampf Frauenthemen fast gänzlich gefehlt haben. Der Frauenring fordert, dass in den Regierungsverhandlungen Frauenpolitik explizit zum Thema gemacht wird, Gender Mainstreaming und Gender Budgeting Berücksichtigung finden und auch NGOs und ExpertInnen in den Verhandlungen gehört werden sollen. Außerdem brauche es ein eigenständiges Frauenministerium mit ausreichend finanziellen Ressourcen. Wenig zuversichtlich stimmt das kürzlich präsentierte Verhandlungsteam für die Regierungsverhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP: Gerade einmal vier der 26 VerhandlerInnen sind Frauen – der niedrigste Frauenanteil in diesem Jahrtausend.  GaH

deutschland Privatwirtschaft: Schleppende Gleichstellung Die deutsche Bundesregierung hat im Herbst die fünfte „Bilanz Chancengleichheit“ vorgelegt. 2001 wurde zwischen der Bundesregierung und Spitzenverbänden der Wirtschaft die freiwillige Vereinbarung „Zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft“ geschlossen. Der Bericht, der die Fortschritte in diesem Bereich dokumentieren soll, trägt in seiner aktuellen Ausgabe den Titel „Chancengleichheit auf einem guten Weg“. Der Deutsche Frauenrat sieht das hingegen anders: Die wenigen Verbesserungen würden nur beweisen, dass freiwillige Vereinbarungen nicht schnell genug zum Ziel führen. Etwa beim Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Hier steht der gleichbleibend hohen Erwerbsquote von Vätern (über achtzig Prozent) eine Erwerbsquote von Müttern mit Kindern unter drei Jahren von 32 Prozent gegenüber, diese steigt mit dem Alter der Kinder auf maximal 73 Prozent. Auch die stark steigende Teilzeitquote bei Müttern sei problematisch, so der Deutsche Frauenrat: „Eine an den Bedürfnissen und Notwendigkeiten von Müttern orientierte Vereinbarkeit von Beruf und Familie sieht anders aus.“ Nur sehr kleine Fortschritte zeigen sich auch beim Thema Frauen in Führungspositionen: Von 2000 bis 2011 gab es einen Zuwachs von 27,1 auf 30,4 Prozent, wobei die meisten Frauen in Führungspositionen in kleinen Betrieben mit bis zu zehn Beschäftigten zu finden sind. Der Frauenanteil in Aufsichtsräten liegt gerade einmal bei 13 Prozent. Der Deutsche Frauenrat fordert gesetzliche Regelungen für die Gleichstellung in der Privatwirtschaft und eine gesetzlich verankerte Frauenquote für deren Spitzengremien.  GaH

Emanzipatorische Bündnisse Die „Damenwahl“ formierte sich erstmals vor der steirischen Landtagswahl 2010 und war danach sowohl bei der Grazer Gemeinderatswahl 2012 als auch bei der diesjährigen Nationalratswahl aktiv. Hinter der Initiative steht eine Vielzahl von Frauen aus unterschiedlichen Bereichen, die die Auffassung teilen, dass frauenpolitische Themen in den Wahlkämpfen zu wenig bis gar nicht präsent sind. Mit ihrem „Monitoring“ der Wahlprogramme möchten sie Wähler_innen eine Orientierungshilfe geben. Denise Beer sprach mit Margit Jansenberger, Unabhängige Frauenbeauftragte der Stadt Graz und Mitinitiatorin der „Damenwahl“. Welche Forderungen stellt „Damenwahl“, und wie wurden diese von den Parteien im Nationalratswahlkampf aufgenommen? „Damenwahl“ lässt sich nicht auf ein, zwei Forderungen reduzieren. Das würde den unterschiedlichen Lebensumständen von Frauen, ihren daraus resultierenden unterschiedlichen Interessen, Schwierigkeiten und Anforderungen nicht gerecht werden. Alle Parteien, alle Politikbereiche sind verantwortlich, um hier entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. Um eine emanzipatorische Frauenpolitik voranzutreiben, braucht es Bündnisse unter den Frauen – und mit Männern, denen dies auch ein Anliegen über die Parteigrenzen hinweg ist. Dass einzelne Parteien einzelne Punkte aufnehmen, wird nicht reichen. Wir brauchen eine Kohärenz der Politiken.

Welche frauenpolitischen Fort- bzw. Rückschritte lassen sich unter der rot-schwarzen Regierung von 2008 bis 2013 feststellen?

Budgeting als haushaltspolitische Staatszielbestimmung in der Verfassung, erste Maßnahmen hin zur Gehaltstransparenz wurden gesetzt, oder das neue zweite Gewaltschutzgesetz wurde beschlossen. Gleichzeitig haben antifeministische Männerrechtler an Einfluss gewonnen – hier vor allem bei der Debatte um die gemeinsame Obsorge. Und Migrantinnen warten noch immer auf eine soziale (Mindest-)Absicherung und auf soziale Rechte unabhängig von Aufenthaltstitel und Familienstand.

Warum hat Frauenpolitik im Nationalratswahlkampf keine Rolle gespielt? Weil die Themenhierarchie männlich dominierte Gremien bestimmen – und da haben es die toughesten Frauen in den eigenen Reihen schwer. Und man glaubt, mit dem Thema „Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben“ sei Frauenpolitik abgehakt. www.damenwahl.co.at

Es läuft parallel: da Fortschritt, da Rückschritt und dort Stillstand. So steht jetzt etwa Gender November 2013 an.schläge l 07


frauenhäuser

Der große Tabubruch Im November feiern in Österreich die Frauenhäuser ihr 35-jähriges, der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser sein 25-jähriges Bestehen. Gabi Horak-Böck* nimmt das Jubiläum zum Anlass, um von den Anfängen der Frauenhausbewegung zu berichten.

Flugblatt von 1978, aus der Gründungszeit des ersten Frauenhauses in Österreich Foto: Verein AÖF

In London begann alles mit einem Abbruchhaus. Als eine Frau ihre blauen Flecken zeigte, wurde der autonome Frauentreffpunkt spontan zum Zufluchtsort umfunktioniert. Daraus entwickelte sich 1971 das erste Frauenhaus in Europa. Ähnlich ging es 1974 in Amsterdam zu, als engagierte Frauen ein Haus besetzten und den Betrieb des ersten Frauenhauses zunächst ausschließlich aus Spenden finanzierten. In Österreich arbeitete eine Gruppe von Studentinnen der Sozialakademie ebenfalls an der Realisierung von Frauenhäusern, wollte dabei jedoch die Politik von Anfang an mit ins Boot holen: Sie erarbeiteten ein Konzept, das vom Start weg eine öffentliche Finanzierung vorsah. Ein schwieriges Unterfangen, war doch Gewalt gegen Frauen ein großes Tabu, das erst gebrochen werden musste.

* Mitarbeit: Denise Beer, Irmi Wutscher

08 l an.schläge November 2013

Grundprinzip: Autonomie. Hier wie dort gab es seitens der Politik Zweifel an der grundsätzlichen Notwendigkeit eines Frauenhauses. Häusliche Gewalt wurde – besonders in konservativen Kreisen –, wenn überhaupt, als individuelles Problem wahrgenommen. Es

ist den feministischen Aktivistinnen der Frauenbewegung bzw. Frauenhausbewegung und ihrem unermüdlichen Engagement zu verdanken, dass in den 1970er-Jahren beim Thema Gewalt gegen Frauen endlich ein gesellschaftlicher und politischer Handlungsbedarf eingestanden wurde. Dennoch, politische Mitstreiterinnen fanden sich zu Beginn nur vereinzelt ein, etwa mit Johanna Dohnal, damals SP-Gemeinderätin in Wien. Das erste Frauenhaus in Österreich wurde 1978 in Wien eröffnet. Vorausgegangen waren mühsame Verhandlungen mit der Politik, in denen es nicht nur um Finanzierungsfragen ging, sondern auch um Form und Anspruch des Frauenhauses. Denn an einigen Grundprinzipien der Frauenhausbewegung wollten die Aktivistinnen unbedingt festhalten: allen voran am Prinzip der Autonomie. Die Häuser und ihre Mitarbeiterinnen sollten unabhängig von Parteien, den Kirchen und anderen Institutionen arbeiten können. Diese Autonomie in Konzept und Arbeitsweise war für die Politik genauso schwer zu schlucken wie das feministische Grundprinzip des Empowerments von

Frauen. Das besonders von der ÖVP in Wien angestrebte „Mutter-Kind-Heim“ war so ziemlich das Gegenteil davon. Rosa Logar, eine der Frauenhaus-Gründerinnen, erinnert sich, dass es sehr wichtig war, „kein Heim aufzumachen, wo die Frauen wieder entmündigt werden“, sondern ein Kollektiv zu bilden.1 Alle im Frauenhaus wohnenden Frauen sollten mitreden und mitentscheiden dürfen – die Gewalt gegen sie hatte sie lange genug ohnmächtig gemacht. Auch Irmtraud Karlsson, Mitgründerin und Geschäftsführerin des ersten Frauenhauses, erinnert sich: „Überall stieß das Konzept des Frauenhauses zunächst auf Mißtrauen und Ablehnung. Man stellte sich eher ein Heim vor.“ Die Finanzierung sei in allen Bundesländern schwierig gewesen. „Die Durchsetzung der Frauenhäuser war in Österreich eine eminent politische Angelegenheit. Sie entstanden im Spannungsfeld von Autonomie und Parteipolitik, von Frauenbewegung und Parteifrauen.“2 Kollektiv oder Organisationseinheit? Im November 1978 eröffnete das erste Frauenhaus in Wien mit fünf angestell-


frauenhäuser ten Mitarbeiterinnen. Entsprechend dem feministischen Selbstverständnis der 1970er-Jahre wurden alle Entscheidungen im Kollektiv getroffen, keine der Mitarbeiterinnen hatte eine Leitungsfunktion. Doch mit dem Wachsen der Häuser, dem Ausdifferenzieren der Angebote und einer zunehmenden Zahl an Bewohnerinnen mit unterschiedlichen Bedürfnissen mussten die Teams auch ihre Arbeitsweise anders strukturieren. Die Gründerinnen sehen diese Entwicklungen im Rückblick durchaus positiv, denn kollektive Entscheidungen in stundenlangen Teamsitzungen zu fällen, wurde immer schwieriger.1 Zumal die Zeit dann für die Betreuung der Bewohnerinnen fehlte. So gab es bald Leiterinnen, Teams für verschiedene Aufgaben und, mit der Gründung des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) zehn Jahre nach dem ersten Frauenhaus, auch eine Organisationseinheit, die sich fortan um Öffentlichkeitsarbeit sowie die Koordination und Verbreitung von Information kümmerte. Überfüllte Frauenhäuser. Und was war aus der Befürchtung bzw. Prophezeiung geworden, dass ein Frauenhaus gar nicht gebraucht werde? Zwei Monate nach seiner Eröffnung, kurz vor Weihnachten 1978, beherbergte das Wiener Frauenhaus bereits 72 Frauen und Kinder; zusätzliche Matratzen wurden ausgelegt, um allen einen Schlafplatz zur Verfügung zu stellen. Danach ging es etwas schneller. 1980 öffnete das zweite Frauenhaus in Wien, das ebenfalls schon nach kurzer Zeit überfüllt war. Und auch in den anderen Bundesländern fanden sich Frauengruppen, die Frauenhäuser in ihren Landeshauptstädten erkämpften. Die Verhandlungen gestalteten sich durchgehend schwierig, überall waren die politischen Kräfte anders verwoben, es mussten so manche Zugeständnisse gemacht werden. So wurden in Wien wie auch in Linz Politikerinnen für den Vorstand eingesetzt. Das hatte Vorund Nachteile: Finanzierungszusagen wurden so einfacher, doch die Angst vor Autonomieverlust war groß. In Wien gelang der Spagat von Beginn an recht gut, und das Frauenhausteam konnte unabhängig vom Vorstand ar-

beiten. In Linz gab es viele Probleme, einmal wechselte der Vorstand sogar das gesamte Betreuungsteam aus. Alles andere als leicht war der Kampf ums Frauenhaus auch in Tirol, doch die Mühe zahlte sich aus: Das Tiroler Frauenhaus war „bezüglich seiner Vereinskonstruktion zum Muster der Autonomie in Österreich geworden“, schrieb Sylvia Löw 1988 im Reader des AÖF anlässlich seines zehnjährigen Jubiläums. Keine finanzielle Absicherung. 35 Jahre später werden Feminismus, Autonomie und Empowerment immer noch großgeschrieben. Selbstverständlich waren aber die Strukturen in über drei Jahrzehnten einem Wandel unterzogen. „Die Frauen“ gibt es nicht mehr, schutzsuchende Frauen kommen mit unterschiedlichen spezifischen Bedürfnissen ins Frauenhaus – mit und ohne Kinder, mit und ohne Migrationshintergrund, mit und ohne akute(n) psychische(n) Probleme(n). Heute existieren österreichweit dreißig Frauenhäuser und Notwohnungen, nicht alle sind im Netzwerk AÖF. Die Finanzierung ist Ländersache, entsprechend ungleich ist die Absicherung.

entspricht das Angebot nach wie vor nicht: Demnach soll pro 10.000 EinwohnerInnen ein Frauenhausplatz zur Verfügung stehen. In Österreich wären das 834 Plätze, tatsächlich gibt es derzeit 759. Die Steiermark hat als großes Bundesland nur zwei Frauenhäuser, auch das Wald- und Mühlviertel zählen zu den unterversorgten Regionen. Gewaltschutzgesetz. Trotz der Versorgungslücken: Es ist ein Verdienst der Frauenhausbewegung, diese Zufluchtsorte für Frauen überhaupt geschaffen zu haben. Und auf einen anderen Erfolg kann sie ebenso stolz sein: das Österreichische Gewaltschutzgesetz. „Das war das erste Gesetz, an dem Frauenorganisationen und Feministinnen mitwirken konnten“, erzählt Rösslhumer. Auf Initiative der damaligen Frauenministerin Johanna Dohnal und in enger Zusammenarbeit mit Innenminister Caspar Einem wurde Mitte der 1990er eine interministerielle Arbeitsgruppe mit Frauenhausmitarbeiterinnen, PolizistInnen und RichterInnen eingesetzt. Die Polizei wollte endlich eine Handhabe gegen Gewalttäter haben und war von Anfang an sehr engagiert. „Die Justiz war

Alle im Frauenhaus wohnenden Frauen sollten mitreden und mitentscheiden dürfen – die Gewalt gegen sie hatte sie lange genug ohnmächtig gemacht. Vorreiter sind Oberösterreich und das Burgenland, wo die Finanzierung der Frauenhäuser im Sozialhilfegesetz festgeschrieben ist. „Das hätten wir gerne in jedem Bundesland“, sagt AÖF-Geschäftsführerin Maria Rösslhumer im an.schläge-Interview. „Die gesetzliche Absicherung für alle Frauenhäuser ist bis heute nicht gelungen.“ In Wien sei die Situation mit unbefristeten Subventionsverträgen nicht schlecht, auch in Kärnten gebe es zumindest Fünf-Jahresverträge. „Es gibt aber auch immer wieder prekäre Situationen wie etwa 2010, als Landeshauptfrau Burgstaller in Salzburg versucht hat, ein Frauenhaus zu schließen“, so Rösslhumer. Der immer noch gültigen Empfehlung des Europäischen Parlaments von 1987

nicht so kooperativ“, sagt Rösslhumer, „nach wie vor ist die Justiz noch nicht bereit, Gewalttäter zur Verantwortung zu ziehen.“ Im Mai 1997 trat das Bundesgesetz zum Schutz vor Gewalt in der Familie in Kraft. Die wesentlichsten Elemente: Täter können polizeilich von der Wohnung weggewiesen werden, Frauen können eine einstweilige Verfügung beantragen, und Interventionsstellen unterstützen die Opfer bei allen Anträgen und Behördengängen. Das Gewaltschutzgesetz gilt in Europa als vorbildhaft. Es wurde immer wieder verbessert, „aber ausreichend ist es noch immer nicht“, sagt Maria Rösslhumer. Es gibt also immer noch viel zu tun.  l

1  „Ein Blick Zurück. Die Anfänge der Frauenhausbewegung in Österreich“, DVD (AT 2005) 2  Irmtraud Karlsson: Ein gebrochenes Tabu. Frauenhäuser in Österreich, Deuticke 1988 Autonome Österreichische Frauenhäuser: www.aoef.at

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scheinselbstständige

Richtungsweisendes Urteil Vier ehemalige AbfallberaterInnen haben auf Anstellung bei der Stadt Wien geklagt und gewonnen. Ihr Ziel haben sie trotzdem nicht erreicht. Was bedeutet das für andere Scheinselbstständige in Österreich? Von Irmi Wutscher

Dieser Text erscheint in leicht veränderter Fassung auch auf http://fm4.orf.at 1  Alle Namen von der Redaktion geändert. 2  Blog der Initiative Abfallberatung: http://abfallberatung.blogspot.co.at 3  Wiener Magistratsabteilung 48 für Abfallwirtschaft, Straßenreinigung und Fuhrpark, www.wien. gv.at/umwelt/ma48 4  Für das Forschungsprojekt „Rückabwicklung von Scheinselbständigkeit. Arbeitsvertragliche, sozialversicherungsrechtliche und steuerrechtliche Aspekte“ hat Manuela Kohl den Theodor-Körner-Preis der Arbeiterkammer erhalten. 5 Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft

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„Ab 1. November bin ich bei der Stadt Wien angestellt“, sagt Verena1 von der Initiative Abfallberatung2. „Ich werde händisch ausgefüllte Formulare in den Computer übertragen, auf ‚Drucken‘ gehen und das Dokument verschicken. Das mache ich dreißig Stunden die Woche.“ Verena ist eine jener ehemaligen AbfallberaterInnen, die sich gegen unfaire Behandlung durch ihre Arbeitgeberin, die Stadt Wien, wehren. Jahrelang haben die AbfallberaterInnen auf Werkvertragsbasis telefonisch Fragen zu Mülltrennung beantwortet, in Schulen und Kindergärten Aufklärungsarbeit geleistet und Vorträge zu Müllvermeidung gehalten. Dann sollte die Abteilung der MA483 von dreißig auf zehn Personen gekürzt und die verbleibenden zehn ArbeitnehmerInnen zu vergleichsweise schlechteren Bedingungen angestellt werden. Bis auf einige wenige, die diese Verträge angenommen haben, haben die AbfallberaterInnen daraufhin beschlossen, auf Anstellung zu klagen. Das war im Juli 2012. Mittlerweile liegen seit 1. August 2013 Urteile in zwei Fällen vor, in zwei weiteren hat die Stadt Wien Einsicht gezeigt. Das Gericht hat festgestellt, dass bei den Klagenden ein aufrechtes Dienstverhältnis zur Stadt Wien bestanden hat. Versetzt und herabgestuft. „Bei mir ist es wie bei meinen KollegInnen“, erzählt Ulli. „Wir sind in andere Abteilungen versetzt worden. Wir waren sehr überrascht, dass wir nicht weiter als AbfallberaterInnen arbeiten.“ Das ist deshalb möglich, weil es bei der Stadt Wien eine Vertragsbedienstetenordnung gibt, laut der Angestellte jederzeit einer anderen Abteilung zugeteilt werden können. Aber auch sonst passen die neuen Tätigkeiten nicht zu dem Profil, das die

AbfallberaterInnen mitbringen. „Ich bin als Arbeiterin eingestuft, dabei bin ich Akademikerin“, sagt Ulli. „Laut Gehaltsschema habe ich nicht einmal Matura-Niveau!“ Dementsprechend niedrig ist auch das Einkommen, ca. 1.000 Euro im Monat verdient sie – auch deswegen, weil ihr eine 30-Stunden-Anstellung zugewiesen wurde. Die nunmehr angestellten Ex-AbfallberaterInnen werden erneut gerichtlich gegen die Stadt Wien vorgehen, diesmal in Form einer Leistungsklage. „Da wollen wir feststellen: Wie viel haben wir gearbeitet, wie viel steht uns zu, von der Einstufung, von unserer Ausbildung her.“ Pikant ist, dass eine öffentliche Dienstgeberin – noch dazu eine sozialdemokratisch ausgerichtete – derart mit ihren MitarbeiterInnen umspringt. Die Mitglieder der Initiative Abfallberatung vermuten, dass es für große Institutionen leichter ist, sich so etwas zu erlauben, als für Privatunternehmen:

oder RechtsberaterInnen der Gewerkschaft kennen sich oft schlecht aus und raten von der Klage ab. Das hat auch Manuela Kohl erlebt. Sie war bei einer Forschungseinrichtung tätig, nicht angestellt, und wollte ihre Ansprüche einklagen. „Ich habe ein halbes Jahr nach Prozessbeginn festgestellt, dass das nicht so einfach ist“, erzählt sie. „Ich habe dann Jus studiert und bin ein halbes Jahr vor dem Urteil mit dem Studium fertig geworden.“ Hätte Manuela Kohl sich nicht selbst in die Materie eingearbeitet, wäre sie im Prozess übervorteilt worden, sagt sie. „Ich glaube, die meisten einigen sich mit Vergleich, weil das alles so komplex ist. Mein Richter hat eineinhalb Jahre lang auf einen Vergleich gedrängt. Ich habe immer dagegengehalten und gesagt, ich will das durchziehen.“ Mittlerweile schreibt Manuela Kohl ihre Dissertation zum Thema „Rückabwicklung von Scheinselbstständigkeit“4. Die Arbeit soll Wissen bündeln:

Umgehungsverträge nehmen immer mehr zu. Dass man wie die AbfallberaterInnen auf eine Anstellung klagt, ist aber unüblich. „Da sitzt der große Apparat der Stadt Wien, die ihre Finger überall drin haben, in den Institutionen, in der Gewerkschaft, in der Gebietskrankenkasse und anderen Sozialversicherungsträgern. Und die schauen, dass sie das aussitzen“, sagt eine Unterstützerin. „Wir wollen zeigen, dass man dagegen vorgehen kann, dass es Gesetze gibt, und dass Gerichte dem Gesetz entsprechend Urteile fällen.“ Drängen auf Vergleich. Wenn es überhaupt zu einem Urteil kommt. Denn viele, die klagen, müssen feststellen: RichterInnen, AnwältInnen

„Einerseits als Handbuch, in dem alle Prozesse niedergeschrieben werden. Andererseits gibt es auch einige Unklarheiten, zum Beispiel Unterschiede im Steuerrecht und im Sozialversicherungsrecht. Den Grund dafür herauszufinden, ist der wissenschaftliche Anteil der Arbeit.“ Manuela Kohl möchte auch erheben, wie viele Menschen in Österreich überhaupt bei Scheinselbstständigkeit klagen und wie die Erfolgsaussichten aussehen. Bisher gibt es keine Zahlen, am Arbeitsgericht werden Streitigkeiten nicht nach Themengebiet erfasst. Auch die Sozialversicherung verfügt


alltägliche grenzerfahrungen

Gilda-Nancy Horvath

Wehret den Anfängen © Ute Hölzl

über keine Statistik. „Ich habe mit der SVA5 jetzt vereinbart, dass sie mir Zahlen sammeln. Auch mit der Arbeiterkammer möchte ich sprechen, ob sie zukünftig dokumentieren wollen, in welchen Angelegenheiten die Menschen zu ihnen kommen. Momentan kann man nur Vermutungen anstellen.“ Nur ein erster Schritt. Die Arbeiterkammer war es auch, die die Initiative Abfallberatung unterstützt hat. Diese hat viel Eigeninitiative bewiesen: 15 Monate lang haben dreißig Ex-AbfallberaterInnen und eine Handvoll UnterstützerInnen daran gearbeitet, dass es zu diesem ersten Urteil gekommen ist. Die Mitglieder der Initiative haben mit Telefonieren, Eingaben machen, Texte schreiben etc. teilweise fünfzehn bis zwanzig Stunden pro Woche aufgewendet, erzählt Verena: „Welche Energien notwendig sind, um einfach nur Recht zu bekommen, das ist absurd! Und jetzt stellt sich heraus, das ist nur ein erster Schritt!“ Die neuen Verträge mit der Stadt Wien sind unbefristet. Verena vermutet, dass die Stadt darauf setzt, dass die unzufriedenen Ex-AbfallberaterInnen freiwillig kündigen. „Für mich ist die Frage: Wann habe ich gewonnen?

Wie lange muss ich noch händisch ausgefüllte Formulare in den Computer übertragen? Wenn ich freiwillig gehe – hat dann die Stadt Wien gewonnen?“ Vorbildwirkung. Umgehungsverträge nehmen jedenfalls immer mehr zu. Dass man wie die AbfallberaterInnen auf eine Anstellung klagt, ist aber eher unüblich, meint Manuela Kohl: „Es besteht ja das Risiko, dass das Arbeitsverhältnis dann zerrüttet ist.“ Die meisten Klagenden würden sich eher nachträglich entgangene Sozialversicherungsbeiträge oder Feiertags- und Urlaubsentgelte zurückholen. Manuela Kohl hofft, dass ihre Arbeit zu mehr Wissen beiträgt. Und zu mehr Mut: „Ich hätte gerne, dass sich mehr Leute wehren. Bei mir in der Forschungsabteilung gab es eine zweite Scheinselbstständige, die hat nichts unternommen. Das finde ich schade, denn die DienstgeberInnen setzen darauf, dass sie damit durchkommen!“ Auch die AbfallberaterInnen kämpfen nicht nur für sich selbst, wie Ulli sagt: „Die Arbeiterkammer spricht von einem richtungsweisenden Urteil für alle Scheinselbstständigen in Österreich. Das ist schon schön!“  l

Die Wahlen sind geschlagen. Mit 20,5 Prozent aller Stimmen und über drei Prozent dazugewonnenen Stimmen durfte sich die FPÖ als Wahlsieger des Abends sehen. Von einem „blauen Wunder“ wurde gesprochen, von einer „neuen Arbeiterpartei“. Für mich waren die Tage darauf das wahre Wunder. Die SPÖ, die im Wahlkampf immer betonte, niemals eine Koalition mit der FPÖ bilden zu wollen, wurde weich. Innerhalb der Partei brodelte es, und Strache argumentierte, dass man mit allen Nationalratsparteien reden müsste. Was mich nachdenklich macht, ist nicht, dass die SPÖ darüber nachdenkt (und sei es nur aus taktischen Gründen), mit den Blauen zu sprechen – sondern dass sie damit ein wichtiges Versprechen gebrochen hat, das mit der Bewältigung der österreichischen Vergangenheit zusammenhängt. Solange die FPÖ sich nicht von ihrer Historie distanziert und eindeutig eine antifaschistische Position einnimmt, solange sollte man mit dieser Partei auch nicht sprechen. Mit einer Sache hat Strache allerdings Recht: Wenn über zwanzig Prozent der österreichischen WählerInnenschaft ihre Stimme für etwas abgeben, darf man das nicht ignorieren. Für diese WählerInnen ist die Distanzierung zum nationalsozialistischen Gedankengut offensichtlich weniger wichtig als ihr Frust über die aktuellen politischen Zustände. Rechnen wir noch die Stimmen vom Team Stronach hinzu – immerhin fast sechs Prozent –, zeigt sich, welch großer Ärger in der Bevölkerung herrscht. Jeder Laie kann sehen, dass es in Österreich fruchtbaren Boden für rechtsradikales Gedankengut gibt. Es ist ein Fehler, zugunsten taktischer Spielereien so wichtige Prinzipien wie den Antifaschismus infrage zu stellen. Es ist ein Fehler, in einem Land, das seine Vergangenheit noch nicht aufgearbeitet hat, zu vergessen, warum dem so ist. Es wird Zeit zu erkennen, dass es für ein „Wehret den Anfängen“ bereits zu spät ist. Aber wenn wir nichts tun, stehen wir bereits am Anfang vom Ende. Gilda-Nancy Horvath (30) ist eine in Wien geborene LovaraRomni und seit sieben Jahren in der ORF-Volksgruppenredaktion tätig. Als Expertin und Aktivistin berät sie europaweit zahlreiche Projekte, Vereine und Institutionen. Illustration: Nadine Kappacher

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an.riss international sie gratis. Charon Asetoyer, Direktorin der Native American Women’s Health Education Resource, fordert aber noch etwas anderes: „Indigene sollen wie alle amerikanischen Frauen die Pille danach ohne Alterslimit erhalten.“ Zudem fehle es bislang an einer schriftlichen Regelung des IHS über die Vergabe der Pille. Ein einfacher Zugang zum Präparat danach ist für indigene Frauen auch in Anbetracht der hohen Vergewaltigungsrate besonders wichtig: Eine von drei wird in ihrem Leben Opfer eines sexuellen Übergriffes.  cn

www.oct26driving.com

saudi-arabien Fahrverbot für Frauen abschaffen Weibliche Mitglieder des Schura-Rats stellten Anfang Oktober erstmals einen offiziellen Antrag, das Fahrverbot für Frauen in Saudi-Arabien aufzuheben. Als weltweit einziges Land verbietet das Königreich SaudiArabien Frauen das Autofahren. Dabei ist das Fahrverbot weder gesetzlich noch in der Scharia verankert – Frauen erhalten schlicht keine Fahrerlaubnis von den Behörden. Ratsmitglied Latifa Shaalan betonte, der Antrag stehe in keinem Zusammenhang mit dem kürzlich abgehaltenen Aktionstag gegen das Verbot. Aktivistinnen riefen Frauen dazu auf, sich am 26. Oktober hinter das Steuer zu setzen. Sie sammelten außerdem mit der OnlineKampagne „26. Oktober, Frauen fahren“ Unterschriften für die Aufhebung des Fahrverbots. Bis zum an.schläge-Redaktionsschluss lagen 15.969 Unterschriften vor. Manchen Geistlichen und Konservativen stößt eine Fahrerlaubnis für Frauen aber noch immer sauer auf. Einer von ihnen warnte vor Kampagnenstart mit der dubiosen Behauptung, Autofahren wirke sich negativ auf die Eierstöcke aus und führe zu gesundheitlichen Problemen bei späteren Kinder.­  cn Petition: www.oct26driving.com

usa Pille danach für indigene Frauen Indigene Frauen über siebzehn Jahren sollen die Pille danach ab sofort in allen Einrichtungen des Indian Health Service (IHS) rezeptfrei und ohne ärztliche Rücksprache erhalten. Das IHS, das kostenlose medizinische Versorgungssystem für Indigene Nordamerikas und Alaskas, wurde zuvor von Frauenrechtsgruppen kritisiert: Denn obwohl in den USA die Pille danach seit April 2013 ohne Rezept zugänglich ist, verlangten IHS-Einrichtungen weiterhin Rezepte von den Frauen. Für diese mussten indigene Frauen bislang die öffentlichen Notfallambulanzen aufsuchen, wo aber aufgrund der langen Wartezeiten oft die 72 Stunden nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr, innerhalb derer die Einnahme der Pille empfohlen wird, überschritten wurden. Ein weiterer Kritikpunkt der Frauenrechtsgruppen: In IHS-Einrichtungen fehlen oft angeschlossene Apotheken. Doch selbst wenn Apotheken vorhanden sind, haben sie diese Art der Notfallverhütung häufig gar nicht vorrätig. In öffentlichen Apotheken aber müssten indigene Frauen fünfzig Dollar für die Pille danach bezahlen, in IHS-geführten Apotheken erhalten sie 12 l an.schläge November 2013

frankreich Kampagne gegen Abtreibungslügen Mit dem Launch einer eigenen Website informiert die französische Regierung seit Ende September klar und sachlich rund um das Thema Abtreibung. Das Gesundheits- und das Frauenministerium treten damit gegen die im Internet kursierenden, einseitigen und verzerrenden AntiAbtreibungs-Seiten auf. „Die Verbreitung von falschen Informationen zum Thema Abtreibung widerspricht dem Recht der Frauen auf freie Wahl“, verlautbarten die beiden Ministerien in einem gemeinsamen Statement. Dem vorangegangen war ein Bericht im Auftrag des Frauenministeriums, der darauf hinwies, dass Pro-Life-Seiten mit irreführenden Informationen zu Abtreibungsmethoden die Ängste der Frauen schüren. Außerdem werden – nicht nur in Frankreich – bei Google-Suchabfragen zu Stichworten wie Schwangerschaftsabbruch solche Seiten oft an erster Stelle gelistet. In Frankreich darf eine Frau dem geltenden Recht nach bis zur zwölften Schwangerschaftswoche abtreiben, seit April 2012 übernimmt der Staat dafür die Kosten.  cn www.ivg.gouf.fr

eu Alarmierende Pensionslücke In den EU-Mitgliedsstaaten erhalten Frauen deutlich weniger Pension als Männer – laut einer Studie der EU-Kommission beträgt der Gender Pension Gap im Durchschnitt 39 Prozent. Damit ist er mehr als doppelt so groß wie der Gender Pay Gap, der im EU-Schnitt bei 16 Prozent liegt. Laut Studie macht der Pensionsunterschied zwischen den Geschlechtern in 17 der 27 EU-Staaten etwa dreißig Prozent aus. Am gravierendsten ist er mit 47 bzw. 44 Prozent in Luxemburg und Deutschland. Estland und die Slowakei haben mit vier bzw. acht Prozent das niedrigste Pensionsgefälle. Die StudienautorInnen weisen darauf hin, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Gender Pension Gap und dem Gender Pay Gap gibt. Sie kommen außerdem zu dem Ergebnis, dass bei alleinstehenden Frauen gegenüber (alleinstehenden) Männern der Pensionsunterschied am geringsten (17 Prozent), bei verheirateten Frauen jedoch am größten (54 Prozent) ist. Am niedrigsten fällt der Gender Pension Gap auch im öffentlichen Sektor aus. Hier liegen die Werte im sehr niedrigen (16 Prozent) oder sogar negativen Bereich (minus fünfzig Prozent). Am höchsten fällt die Pensionslücke bei Selbstständigen aus: Die Differenzen liegen EU-weit zwischen 25 und 54 Prozent. Die Studie zeigt ebenso, dass die Pension durchschnittlich umso geringer


an.riss international ist, je mehr Kinder eine Frau hat, bei Vätern hingegen fällt der Faktor „Kinder“ weniger ins Gewicht. Angesichts dieser Zahlen fordern die ExpertInnen von der Politik zukünftig eine verstärkte Wachsamkeit gegenüber dem geschlechtsspezifischen Pensionsgefälle und verlangen, das Thema auf die politische Agenda zu setzen. Sie schlagen daher vor, einen jährlichen statistischen Indikator für den Gender Pension Gap zu entwickeln, der die Komplexität der vorhandenen Daten adäquat erfasst.  cn

lament verhandeln. Demnach sollen alle Fruchtbarkeitskliniken registriert und von einer Aufsichtsbehörde beobachtet werden. Das Alter der Leihmütter soll zukünftig zwischen 21 und 35 Jahren liegen (derzeit: 18 Jahre), zudem sollen sie Anspruch auf eine Versicherung und einen notariell beglaubigten Vertrag haben. Bereits jetzt hat die Regierung restriktive Maßnahmen gesetzt und schließt seit Juli homosexuelle Paare oder Einzelpersonen vom Zugang zur Leihmutterschaft aus.  cn

Studie (PDF): http://bit.ly/19EHpOU

kuwait „Homosexuellen-Detektor“ für MigrantInnen

indien Leihmütter besser absichern In Indien gibt es laut einer UN-Studie aus dem Jahr 2012 insgesamt 3.000 Leihmutterschaftskliniken. In den letzten Jahrzehnten kamen jährlich Tausende unfruchtbare oder gleichgeschlechtliche Paare aus den USA, Großbritannien, Australien und Japan. Sie bezahlen an Agenturen zwischen 25.000 und 30.000 Dollar, um die Dienste einer Leihmutter in Anspruch nehmen zu können. Diese verdient pro Geburt nur 6.500 Dollar. Den Kliniken bleibt mit dem Rest eine ansehnliche Summe. Frauenrechtsgruppen weisen derzeit wieder verstärkt auf die ausbeuterischen Bedingungen für Leihmütter hin, die oft aus ärmsten Verhältnissen stammen. Laut einer von der indischen Regierung in Auftrag gegebenen Untersuchung fehlt es neben klaren Lohnregelungen auch an ordentlichen vertraglich fixierten Absicherungen der Leihmütter. Deshalb will die Regierung 2014 ein Leihmutterschaftsgesetz im Par-

Laut der Lokalzeitung „Al Rai“ plant das Gesundheitsministerium in Kuwait Tests für MigrantInnen, um ihre sexuelle Orientierung zu ermitteln. Medizinische Routineuntersuchungen sind in Kuwait bei einem längeren Aufenthalt verpflichtend – geht es nach Yussuf Mindkar, dem Direktor für öffentliche Gesundheit im Gesundheitsministerium, sollen sie nun auch feststellen, ob ZuwanderInnen homosexuell sind. Wie diese mehr als fragwürdigen Tests ablaufen sollen, gaben die Behörden bislang nicht bekannt. Wie Mindkar in einem Interview mit „Al Rai“ erklärte, soll Schwulen und Lesben bei einem positiven Testergebnis die Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung nicht nur in Kuwait, sondern auch in allen Mitgliedsstaaten des Golf-Kooperationsrats verwehrt werden. Homosexuelle Handlungen zwischen Männern sind in allen Golfstaaten (Bahrain, Saudi-Arabien, die Vereinigte Arabischen Emirate, Oman und Katar) gesetzlich verboten und werden mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft oder teilweise sogar unter Todesstrafe gestellt.  cn

Quellen: www.thelocal.fr, www.pinknews.co.at, www.queer.de, www.feministing.com, www.feminist.org, www.frauenrat.de, http://diestandard.at, www.taz.de

medien Selbstironisch Wie man Hollywood im Rollstuhl erobert, zeigt My Gimpy Life. Die Online-Comedyserie basiert auf den Erfahrungen von Hauptdarstellerin Teal Sherer und ihrer Fassungslosigkeit, wie Menschen ihr seit einem Unfall begegnen. In den witzigen Mini-Episoden geht es z.B. um den Konkurrenzkampf beim Diversity-Casting oder das Sherer entgegengebrachte Mitleid einer feministischen Theatergruppe. Eine zweite Staffel ist in der Mache, die bislang fünf gedrehten Folgen gibt es auf http://mygimpylife.com.   fis

Sichtbar Geschichten und Erfahrungen von LGBTI* sammelt die Nürnberger Zeichnerin Schradi in ihrem Projekt Ach so ist das?! Daraus macht sie biografische Comic-Reportagen über die Hürden im Alltag von Menschen jenseits der Norm – weil Nicht-Sichtbarkeit Nährboden für Diskriminierung schafft. Dafür gab es Fördermittel, um eine PosterAusstellung und pädagogisches Material zu konzipieren. Die Ausstellung mit Geschichten zu Coming-Out, Regenbogenfamilien und vielem mehr ist auf http://achsoistdas.com zu erwerben.  fis

Sendungsbewusst Das Radiomagazin der Initiative Minderheiten sucht neue Mitstreiter_innen: Radio Stimme braucht Menschen, die in der Sendereihe aus „queerfeministischer, antirassistischer, netzpolitischer, sozialökologischer, solidarökonomischer, radikalutopischer Perspektive“ kritisch über Minderheiten, Mehrheiten und Machtverhältnisse berichten wollen. Die Sendung wird zweimal monatlich auf den Freien Radios ausgestrahlt. Infoabend am 8.11. in Wien: http://radiostimme.at. fis

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thema: critical whiteness

Critical Whiteness – Kritisches Weißsein Seit einigen Jahren erhalten CriticalWhiteness-Konzepte in den Debatten der antirassistischen Linken zunehmende Aufmerksamkeit. Die aktuellen Auseinandersetzungen rund um die Critical Whiteness Studies bzw. Kritische Weißseinsforschung haben die an.schläge schon einmal aufgegriffen (siehe Ausgabe 02/2013). In diesem Schwerpunkt, der in Kooperation mit dem Online-Magazin migrazine.at entstanden ist, holen wir ein Stück weiter aus und gehen der Frage nach: Welche Bedeutung hat Critical Whiteness/Kritisches Weißsein – oftmals als elitärer

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akademischer Diskurs kritisiert – für die antirassistische Praxis? Die unterschiedlichen Positionierungen zu dieser Frage spiegeln sich nicht zuletzt auch in den Begriffsverwendungen und Schreibweisen der Beiträge (zum Beispiel Schwarz, weiß, Weißsein oder weiß-sein). Über Begrifflichkeiten wurde auch in der Vorbereitung zum Schwerpunkt in unseren Redaktionen diskutiert: Welche Entwicklungsgeschichte legt der englischsprachige Terminus Critical Whiteness nahe, und handelt es sich bei der aus den USA stammenden Forschungsrichtung

tatsächlich um etwas Neues? Macht Kritisches Weißsein die hiesigen antirassistischen Kämpfe von Schwarzen Menschen und People of Color sichtbar? Alle Texte im Schwerpunkt sind – zum Teil in ungekürzten Langfassungen und neben weiteren Online-Beiträgen – auch auf www.migrazine.at zu lesen. Illustrationen: Paula Bulling, lebt in Berlin und arbeitet hauptsächlich als Comiczeichnerin und Illustratorin. Von ihr ist die Graphic Novel „Im Land der Frühaufsteher“ (2012) im avant-Verlag erschienen. www.paulabulling.net


thema: kritisches weißsein

Im Spiegel der Geschichte Rassismus ist historisch gewachsen. Weißsein war sein Motor. Die Kritische Weißseinsforschung muss das rassistische Wissensarchiv herausfordern. Von Susan Arndt1

Kein anderes System der Unterdrückung einer Kultur durch eine andere hat strukturell wie diskursiv eine dermaßen tiefgreifende, nachhaltige und global weitreichende Agenda erschaffen wie der Rassismus. Rassismus ist eine in Europa historisch gewachsene Ideologie und Machtstruktur, die die Kategorie „Rasse“ aus dem Tier- und Pflanzenreich auf Menschen übertrug. Aus einer willkürlichen Auswahl bestimmter körperlicher Kategorien wurden Bündel geschnürt, diesen bestimmte Eigenschaften zugeschrieben und die auf diese Weise hergestellten Unterschiede verallgemeinert und hierarchisiert. Diese „Rassen“-Klassifikation von Menschen folgte dem europäischen Streben, koloniale Verbrechen an Millionen von Menschen zu rechtfertigen. Sie wurden als nicht-weiß und damit als unterlegen – dem Weißsein und zugleich auch dem Menschsein unterlegen – positioniert. Weiße haben sich mittels des Rassismus die Welt passförmig gemacht, um sie zu beherrschen. Rassismus ist daher white supremacy, eine weiße Herrschaftsform. Unsichtbar herrschen. „Rassen gibt es nicht“, schreibt die feministische Soziologin Collette Guillaumin, „und doch töten sie.“2 Der Glaube, dass es „Rassen“ gebe, der Rassismus also, ist bis heute präsent. Shankar Raman hält es für notwendig, einen Kampf um die Bedeutung von „Rasse“ zu führen, um sich diesen Begriff aus antirassistischer Sicht anzueignen. Deswegen schlägt der deutsche Literaturwissenschaftler eine doppelte Denkbewegung vor: weg von „Rasse“ als biologischem Konstrukt hin zu Rasse als sozialer Position. Raman bezeichnet diese Denkbewegung als „racial turn“. Sie schließt ein, Rasse als kritische Wissenskategorie zu etablieren.3 Für mich beinhaltet der „racial turn“ zudem einen gewichtigen Perspekti-

venwechsel in der Rassismusforschung. Ihm hat Toni Morrison 1992 mit ihrem Buch „Playing in the Dark“ Gehör verschafft. Die afroamerikanische Literaturnobelpreisträgerin weist darauf hin, dass Rassismus-Analysen im weißen akademischen Mainstream die Tendenz haben, allein über Schwarze und People of Color zu sprechen. Dabei entstehe schnell der Eindruck, Rassismus sei allein eine Angelegenheit von Schwarzen – Weiße seien diesbezüglich „neutral“, so als hätten sie damit nichts zu tun. Sich nicht im System des Rassismus verorten zu müssen, sei jedoch ein Privileg, das der Rassismus nur Weißen gebe – eine Option, die People of Color nicht leben können. Wenn Weißsein ignoriert oder für das eigene Leben als nicht relevant eingestuft wird, werden zugleich auch die sozialen Positionen, Privilegien, Hegemonien und Rhetoriken verleugnet, die daran gebunden sind. Weißsein behält dadurch seinen Status als universaler, „unmarkierter Markierer“4 und „unsichtbar herrschende Normalität“5 bei.

Weißsein als kritische Wissenskategorie. Vor diesem Hintergrund ist das Ignorieren von „Hautfarben“, so paradox das klingen mag, also keine Lösung. Der Rassismus kategorisiert, markiert und positioniert – unter anderem mithilfe von „Hautfarben“ – Menschen als Diskriminierte, Fremdmarkierte und Entmachtete oder eben als Diskriminierende, Markierende und Privilegierte des Rassismus. Das passiert zumeist unabhängig vom individuellen Wollen und losgelöst davon, ob jemand Rassismus befürwortet oder ablehnt. Es geht hierbei nicht um Schuldzuschreibungen, sondern vielmehr darum, anzuerkennen, dass Rassismus (analog zum Patriarchat in Bezug auf Geschlechterkonzeptionen) ein komplexes Netzwerk an Strukturen und Wissen

hervorgebracht hat, das uns – im globalen Maßstab – sozialisiert und prägt. Dabei ist Wissen in meiner Lesart nicht absolut, wahr und unveränderbar, sondern historisch gewachsen, von Macht geformt sowie dynamisch und subjektiv. Das Gewordensein, das gegenwärtige Wissen und das künftige Wirken von Weißsein als sozialer Position im Rassismus stehen im Zentrum der Kritischen Weißseinsforschung. Weißsein wird hier, und zwar innerhalb von Rasse als Analysekategorie und komplementär zu Schwarzsein, zur kritischen Wissenskategorie. Sie findet Anwendung in der Analyse gesellschaftlicher und politischer Prozesse sowie deren sprachlicher, fiktionaler wie medialer Repräsentation. Im Kern geht es um die Frage: Wie haben Weißsein im Besonderen und Rassismus im Allgemeinen der europäischen Versklavung afrikanischer Menschen und dem Kolonialismus als ideologisches Schwert und Schild gedient? Wie haben Rassismus und sein Kerntheorem Weißsein im Kolonialismus und darüber hinaus die Welt geprägt – diskursiv und strukturell, in Vergangenheit, Gegenwart und für die Zukunft? Wie können diese Diskurse und Strukturen benannt, herausgefordert und gewendet werden? Einige dieser Fragen möchte ich im Folgenden an ausgewählten historischen Fallbeispielen diskutieren und dadurch das Gewordensein der Kategorie „Rasse“exemplarisch aufzeigen. Antike Bilder von versklavten Menschen. Als im ausgehenden 16. Jahrhundert das Konzept der „Rassen“ aus dem Tier- und Pflanzenreich auf Menschen übertragen wurde, geschah dies in Rückgriff auf Theoreme, die bereits in der Antike ihre Anfänge nahmen. Um Abgrenzungsprozesse zu legitimieren, und im Kontext von Eroberungskriegen und Sklaverei, kam es

1  Der Artikel basiert auf Forschungsergebnissen, die dargestellt sind in: Susan Arndt: Die 101 wichtigsten Fragen. Rassismus. C.H. Beck 2012, sowie: Susan Arndt: LiteraturWelten. Transkulturelle Anglistik und der „Racial Turn“, Antrittsvorlesung an der Universität Bayreuth am 24. Oktober 2012, http:// vimeo.com/66145276 2  Colette Guillaumin: Sexe, race et pratique du pouvoir. Côté-femmes 1992, S. 7 3  Shankar Raman: The Racial Turn: „Race“, Postkolonialität, Literaturwissenschaft. In: Miltos Pechlivanos, Stefan Rieger u.a. (Hg.): Einführung in die Literaturwissenschaft. Metzler 1995, S. 241–255 4  Vgl. Ruth Frankenberg (Hrsg.): Displacing Whiteness. Essays in Social and Cultural Criticism. Duke University 1997, S. 1–10 5  Ursula Wachendorfer: Weiß-Sein in Deutschland. Zur Unsichtbarkeit einer herrschenden Normalität. In: Susan Arndt (Hrsg.): AfrikaBilder. Studien zu Rassismus in Deutschland. Unrast 2001, S. 87–101

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thema: critical whiteness im vierten und fünften Jahrhundert vor Christus zur Konstruktion einer kulturellen Differenz zwischen „Griechen“ und „Nicht-Griechen“, von Ersteren zumeist als „Barbaren“ bezeichnet. Um Kulturen geopolitisch zu verorten und zu hierarchisieren, spielten KlimaTheorien6 eine entscheidende Rolle. Es ist dieses Paradigma, das die erste bekannte Theorie der Sklaverei rahmt, entwickelt im 4. Jh. v. Chr. von Aristoteles in seinem Werk „Politeia“. Aristoteles war als Lehrer und Politikberater Alexanders des Großen bestrebt, dessen Eroberungszüge sowie die griechische Ausgrenzungspraxis gegenüber den „Anderen“ philosophisch zu untermauern. So argumentiert er

und tugendsam konzipiert, Schwarz als Farbe des Hässlichen, Bösen und Unheils. Bereits im 15. und 16. Jahrhundert, als die europäische Versklavung und Verschleppung von Afrikaner*innen irreversibel strukturelle Gestalt und Gewalt annahm, war diese Farbsymbolik gängig (denken wir etwa nur an Michelangelo, da Vinci oder Raphael). Parallel zur Ästhetik zeitgenössischer Malerei formierte sich auch in Poesie und Dramatik ein literarischer Hype um diese Farbsymbolik und ihre Kolonialrhetorik. Besonders interessant ist dabei, dass Weißsein prominent auch über Seide, Perlen, Elfenbein, Silber, Diamanten und Marmor als kostbar in-

Rassismus ist white supremacy, eine weiße Herrschaftsform. etwa, dass Sklaverei naturgegeben und gerecht sei und Griech*innen dazu auserwählt seien, Nicht-Griech*innen zu versklaven. Zwar war „Hautfarbe“ in diesem Zusammenhang nicht der primäre Marker von Differenz, doch schieden sich „Freie“ und „Barbaren“ eben auch an der Grenzziehung. Das in der griechischen Antike akkumulierte Wissen – dass körperliche Unterschiede soziale, mentale und religiöse transportieren und Herrschaft und Sklaverei legitimieren – stellte die theoretische Basis bereit, um in den nachfolgenden Jahrhunderten die Idee von „Rasse“ zu formen und zum Instrumentarium der Klassifizierung von Menschen zu machen.

6  Etwa die These, das heiße Klima habe Haar und Hirn von Schwarzen Menschen ausgetrocknet und sie seien deswegen mental und kulturell unterlegen. 7  Arthur de Gobineau: Essai sur l’inégalité des races humaines. Éditions Pierre Belfond 1967 (1853–55) 8  Houston Stewart Chamberlain: Die Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. Bruckmann 1899

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Koloniale Farbsymbolik. Mit dem Erstarken des Christentums erhielten die antiken Vorstellungen neue Bedeutung und Gewichtigkeit. Dabei kam es zwischen der christlichen Farbsymbolik und Theoremen von „Hautfarbe“ zu komplexen Synergieeffekten. In der christlichen Religion gilt Weiß als Farbe des Göttlichen, des Himmlischen und seiner Transparenz, von Unschuld und Jungfräulichkeit. Schwarz verkörpert dagegen das Monströse des Teufels und die Untiefen der Hölle – und damit Sünde und Schande, Ungehorsam und Schuld. Analog dazu wird Weiß auch allgemein als schön, rein

szeniert wird. Es werden also figurativ ausgerechnet jene Ressourcen aufgerufen, die die kolonialen Ambitionen Englands und ihrer Legitimationsphilosophie um das Weißsein wesentlich motivierten. Auf diese Weise ideologisch gerüstet, blühte die Sklaverei im 17. Jahrhundert auf und trug im 18. Jahrhundert volle Früchte. Sie ermöglichte die Industrielle Revolution und Europas Moderne, die im europäischen Wettlauf münden sollte, die Welt zu kolonisieren. Vermessung des Körpers. Als immer mehr Zweifel an den seit der Antike gültigen Klima-Theorien und an „Hautfarbe“ als überzeugendem Träger von „Rassentheorien“ aufkamen, nahmen weiße Wissenschaftler*innen des 18. Jahrhunderts zunehmend andere angebliche Merkmale in den Blick. Dazu vermaßen sie zunächst Körperteile wie etwa den Schädel oder das Skelett, aber auch Sexualorgane. Noch heute lagern Relikte dieser biologistischen Forschungen in ethnologischen Museen und Krankenhäusern in Europa. Das hysterische Bemühen, „Rassen“ als Fakt und die Überlegenheit der Weißen wissenschaftlich zu postulieren, fand in der Aufklärung einen Höhepunkt und prägte das Weltbild von Philosophen wie David Hume, Voltaire

und Immanuel Kant. Die „Rassentheoretiker“ drangen, dem allgemeinen Wissenschaftstrend ihrer Zeit folgend, nun immer tiefer in den Körper hinein: Bald dominierten auch „innere Merkmale“ wie Blut und Gene die Theorien. Mit der Hinwendung zur Vererbung innerer Dispositionen kam es zu einem Anstieg identifizierbarer „Rassen“ auf mehr als hundert. Diese stetig wachsende Anzahl vermeintlicher „Rassen“ zeigt letztlich nur eines deutlich: Eindeutige Grenzziehungen lassen sich weder ermitteln noch begründen. Ideologieprodukt „Arier“. Im 19. Jahrhundert propagierte der Sozialdarwinismus in einer Aneignung des Darwin’schen „survival of the fittest“, dass es legitim sei, jene auszurotten, die sich historisch als unterlegen erwiesen hätten. Die Eugenik und andere Theorien, auf die sich später der Nationalsozialismus stützte, nahmen in dieser Zeit ihre Anfänge. Dazu gehören auch Arthur de Gobineaus apokalyptische Überlegungen, dass sich „höhere“ gegen „niedere Rassen“ zur Wehr setzen müssten und „die weiße Rasse“ unwiderbringlich durch andere „Rassen“ verdorben worden sei. Das einzige Potenzial sah er lediglich in der „arischen Rasse“, einem reinen Ideologieprodukt, das Gobineau in England und Norddeutschland verortete.7 Nirgendwo erfuhren Gobineaus Buch und sein „Arier-Mythos“ ab Ende des 19. Jahrhunderts eine solch starke Rezeption wie in Deutschland. Doch niemand hat ebendort den rassistischen „Arier-Mythos“ als Chauvinismus- und Unterdrückungsideologie so wirkungsmächtig verbreitet wie Houston Stewart Chamberlain. Das Hauptziel seines 1899 erschienenen Pamphlets „Die Grundlagen des XIX. Jahrhunderts“ war es, den „Ariern“ ihren Platz in der Gegenwart und Zukunft zu verschaffen, den sie seiner Meinung nach als „Herrenrasse“ verdienten.8 Historische Kontinuitäten. Parallel zu dieser Radikalisierung des Rassismus tritt auch der Kolonialismus in seine imperiale Phase über. Die europäische Gier nach Gütern wie Elfenbein, Gummi, Diamanten und


thema: kritisches weißsein Gold, aber auch nach neuem Territorium, unterwarf Millionen von Menschen in Afrika, Australien sowie Teilen Asiens Ausbeutung, Folter und Genozid. Vom Rassismus flankiert wurden diese Gräueltaten als Recht und Pflicht zur Zivilisation verkauft. Abgepuffert durch die rassistische Rhetorik blieben koloniale Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Europa vergleichsweise unbeachtet. Rassismus wütete weiter, nicht nur in den Kolonien. In Deutschland mordete er in genozidaler Singularität Millionen von Juden und Jüdinnen sowie Hunderttausende von Sinti und Roma. Als die alliierten Armeen das NSRegime besiegten, kämpften in ihnen Hunderttausende von Schwarzen Menschen. Die Siegermächte verweigerten ihnen dafür nicht nur die gebührende Anerkennung. Zeitgleich wurde in den Kolonien und über den Nationalsozialismus hinaus diktatorisch weiter geherrscht. Aimé Césaire klagte nicht zuletzt

deswegen bereits in den 1950er-Jahren eine Erinnerungsarbeit ein, die die Kontinuität von Kolonialismus und Nationalsozialismus reflektiert.9 Das steht in der öffentlichen Erinnerungsarbeit bis heute aus.

Rassismus verlernen. Das NichtWahrnehmen von Rassismus stellt einen aktiven Prozess des Verleugnens dar, der durch das weiße Privileg, sich mit Rassismus nicht auseinandersetzen zu müssen, gleichermaßen ermöglicht

Das in der griechischen Antike akkumulierte Wissen stellte die theoretische Basis bereit, um in den nachfolgenden Jahrhunderten die Idee von „Rasse“ zu formen. Ganz Europa, insbesondere Deutschland, versank im Angesicht der Shoah in Angst und Scham vor Rassismus. Wer konnte, sprach nicht über Rassismus. Doch auch jene Länder, die den Nationalsozialismus zerschlagen hatten, waren davon nicht ausgenommen, wie etwa die „Jim Crow“-Gesetzgebung in den USA oder das Fortleben von britischem und französischem Kolonialismus zeigen.

wie abgesichert wird. Dabei ist es auch keineswegs ausreichend, sich als antirassistisch zu positionieren. Dem Willen, sich Rassismus zu widersetzen, müssen Handlungen folgen, die wissen, worum es geht: Wissen darüber, wie Rassismus entstanden ist, wie er wirkt und auf welche Weise er unterwandert werden kann. Zu verstehen, wie Rassismus historisch gewachsen ist, ist eine bewährte Methode, um Rassismus im Jetzt beim Namen nennen zu können und ihm eine schwere Zukunft zu bescheren. Wer Rassismus in die Schranken weisen möchte, muss zunächst lernen, was der Rassismus mit uns allen angerichtet hat. In einem zweiten Schritt wird es darum gehen, feste Glaubensgrundsätze aufzugeben (auch den, schon immer antirassistisch gewesen zu sein), bereits Gelebtes selbstkritisch zu überprüfen (auch wenn es noch so gut und antirassistisch gemeint war) und Gelerntes zu verlernen (auch wenn es noch so unschuldig aussieht). In allem, was wir wissen, steckt ein Stück rassistische Wissensgeschichte. Ob Medien, Schulbücher, Straßennamen, Lebensmittel oder Gesetze: Rassismus hat sich überall eingenistet. Dies sind aber auch die Orte, von denen aus Rassismus in Sackgassen getrieben werden kann: neue Curricula oder lernwillige Lehrer*innen, geschulte Journalist*innen oder fragende Wissenschaftler*innen, wissbegierige Poliker*innen oder Theolog*innen – es gibt keinen Ort, an dem die Kritische Weißseinsforschung nicht dem Rassismus widersprechen müsste.  l Susan Arndt ist Professorin für Englische Literaturwissenschaft und Anglophone Literaturen an der Universität Bayreuth.

9  Aimé Césaire: Discours sur le colonialisme. Editions Présence Africaine 1955

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thema: critical whiteness

Vom Schauen und Sehen Schwarze Literatur und Theorieproduktion als Chance für die weiße Mehrheitsgesellschaft. Von Sharon Dodua Otoo

„Mein Projekt ist ein Bemühen darum, den kritischen Blick vom rassischen Objekt zum rassischen Subjekt zu wenden; von den Beschriebenen und Imaginierten zu den Beschreibenden und Imaginierenden; von den Dienenden zu den Bedienten.“ (Toni Morrison1)

1  Toni Morrison: Im Dunkeln spielen. Weiße Kultur und literarische Imagination. Rowohlt 1995 2  bell hooks: Representing Whiteness in the Black Imagination. In: Lawrence Grossberg et al.: Cultural Studies. Routledge 1992, S. 338–342 3  Peggy Piesche: Das Ding mit dem Subjekt, oder: Wem gehört die Kritische Weißseinsforschung?. In: Maureen Maisha Eggers u.a.: Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland, Unrast Verlag 2009 (2. Auflage), S.14–17

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Was passiert, wenn du etwas anschaust? Vielleicht schaust du ohne böse Absicht, gänzlich unschuldig, aus reinem Interesse oder sogar aus Verwunderung. Manchmal hast du einen ausfragenden Blick – um einen bereits verfestigten Glaubenssatz zu bestätigen oder zu verwerfen. Es könnte sein, dass du etwas aus Angst anschaust, vielleicht sogar aus Empörung. Was passiert dann? Bist du Teil einer dominanten Gruppe, erscheint deine Perspektive als allgemeingültig. Allerdings: Wenn Angehörige deiner Gruppe einen Gegenstand anschauen, schaffen oder bestätigen sie eine bestimmte Perspektive darauf, die nicht neutral ist. Allein die Tatsache, dass eine Person etwas anschaut, stellt ein Objekt, das angeschaut oder beobachtet wird, (erneut) her. Wenn viele Personen, die sich als Teil der dominanten Gruppe verstehen, denselben Gegenstand anschauen, wird ein dominanter Blick auf dieses Objekt hergestellt. Dieser dominante Blick wird verschiedentlich kommuniziert und reproduziert. Er gehört zum allgemeinen Kultur- und Gedankengut einer Gesellschaft. In der Summe gewinnen diese

Den Blick umkehren. In einer rassiBlicke oder Perspektiven eine hartnäfizierten Gesellschaft dominiert der ckige Legitimität, und im Verlauf der Bildung eines „Wir“ scheinen die Geweiße männliche Blick auf ein imagischichten über „die“ authentischer, als niertes Schwarzes Objekt. Die Praxis deren eigene Erzählungen jemals sein dieses Blickes umzukehren und das werden. Jedoch sind die Informationen, weiße Subjekt in den Fokus zu nehmen, die du durch das „Schauen“ erhältst, ist die Hauptaufgabe der Kritischen lückenhaft, weil diese Kommunikation Weißseinsforschung (Critical Whitenur in eine Richtung läuft. „Schauen“ ness Studies). Eines der bedeutendsund „Sehen“ sind nicht gleich. ten Werke in diesem Zusammenhang Bist du Teil einer marginalisierten ist „Playing in the Dark“ (1992, dt. Gruppe, funktioniert es anders. Du bist „Im Dunkeln spielen“, 1995) von Toni von Anfang an angehalten, zwei PerMorrison. Es wird oft behauptet, dass spektiven im Blick zu haben: die der sich die Critical Whiteness Studies erst dominanten Gruppe und die der eigeinfolge der Schwarzen Bürgerrechtsnen Gruppe. Die Fähigkeit, diese zwei bewegungen entwickelten. Schwarze Blicke zu beherrschen, ist wesentlich, Personen in den USA haben weiße in manchen Situationen sogar überleMenschen aber immer schon genau bensnotwendig. Für die Angehörigen beobachtet.2 Diese Beobachtungen deiner Gruppe ist der Blick auf sich waren lediglich nicht Teil von weißem selbst irritiert durch die (Des)InforWissen bzw. nicht für weiße Personen mationen vonseiten der dominanten zugänglich. Gruppe. Der Blick auf die dominante Die frühesten Schwarzen BürgerrechtGruppe hingegen ist genau, präzise ler_innen (unter anderem Ida B. Wells, und informiert durch tägliche InterakFrederick Douglass und Sojourner tionen mit der Mehrheitsgesellschaft: Truth) haben ihr Wissen über WeißEs wird tatsächlich gesehen. Hier ist sein schon im 19. Jahrhundert schriftwenig Spielraum für Fehler. Sollte der lich überliefert. Versklavte AfrikaBlick falsche Informationen liefern, ner_innen teilten ihre Beobachtungen hat allein das marginalisierte Subjekt (mündlich) noch früher miteinander. die Konsequenzen zu tragen. In der Tatsächlich gehört der Soziologe und Mehrheitsgesellschaft leiden Angehöri- Philosoph W.E.B. Du Bois mit seinem ge der dominanten Gruppe selten unter bahnbrechenden Buch „The Souls den Konsequenzen für den mangelof Black Folk“ (1903) zu den Grünhaften Blick. Im Gegenteil – alle, die der_innen der Kritischen WeißseinsLoyalität zeigen, werden belohnt. Sie, forschung in den USA. Ebenfalls haben die versuchen, kritischer zu schauen, Schwarze Personen und sonstige Peopwerden ebenfalls marginalisiert. le of Color im deutschen Kontext stets


thema: kritisches weißsein

ihre eigene Perspektive auf Weißsein gehabt. So schreibt Peggy Piesche im Sammelband „Mythen, Masken und Subjekte“ (einem Werk von 2005 , das erstmalig einen umfassenden Überblick über den Stand der Kritischen Weißseinsforschung in Deutschland bot3): „Die Analysekategorie Weißsein wurde nicht zuletzt auch im Kontext Schwarzer Hegemonialkritik gebildet und ist ebenso Teil einer tradierten Schwarzen Überlebensstrategie wie auch Schwarzer politischer Bewegungen. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland ist damit keineswegs ein rein akademisches Feld, sondern auch die alltägliche Reflexion Schwarzen Lebens in einem hegemonialen weißen Setting.“ Schwarzes Wissen. Die aktuelle Diskussion in Deutschland um Kritische Weißseinsforschung und ihre Relevanz für den antirassistischen Widerstand verkennt die Tatsache, dass es – lange bevor es so genannt wurde – Kritische Weißseinsforschung hierzulande bereits gegeben hat. Einmal mehr handelt es sich hier um ein Ausblenden von Schwarzem Wissen, Schwarzer Theorieproduktion und Schwarzer Literatur, mit dem Zweck, eine Konstruktion von Weißsein zu stabilisieren. Wie dies genau passiert, analysiert Toni Morrison in ihrem Buch „Im Dunkeln spielen“ für den US-amerikanischen Kontext. Auf nur rund hundert Seiten beschreibt Morrison, wie sich

die weiße amerikanische Literatur der Präsenz Schwarzer Personen oder vielmehr (weil es nicht um reale Schwarze Personen geht, sondern um eine imaginäre Reproduktion von ihnen) des „Afrikanismus“ bedient, um bestimmte Fragen wie Freiheit, Macht oder Unschuld zum Thema zu machen. Anhand mehrerer Beispiele aus weißen Klassikern der Literatur gelingt es Morri-

Hoffmann (1845), Kurzgeschichten wie „Die Probe“ von Herbert Malecha (1954) oder Romane wie „Die weiße Massai“ von Corinne Hofmann (1998). In all diesen Werken wird die Überlegenheit des weißen Subjektes hervorgehoben, durch ein mangelhaftes, bemitleidenswertes oder sogar furchterregendes Schwarzes Objekt. Was sagen solche Kulturproduktionen über die (konstruierte) deutsche Nation aus? Was sagen Repräsentationen von weißen Menschen aus, die nur deshalb funktionieren, weil andere dadurch erniedrigt und gedemütigt werden? Laut Morrison haben Autor_innen die Fähigkeit, sich Begebenheiten oder Lebensweisen vorzustellen, die sie nicht aus eigener Erfahrung kennen; sie können das Fremde vertraulich machen und das Bekannte mystifizieren. Ihre Rolle in der Bildung der kulturellen Identität einer Nation ist zentral. Dadurch wird Literatur zu einem wichtigen Ort der kritischen Auseinandersetzung mit Weißsein, „Race“ und Rassifizierung. Hier liegt eine Chance für die weiße Mehrheitsgesellschaft. Dadurch, dass sie bisher die Expertise von Schwarzen Autor_innen nur wenig wahrge-

Ohne versklavte Menschen konnten sich weiße Menschen nicht als frei vorstellen. Ohne wilde, unzivilisierte Schwarze konnten sie sich nicht als kultiviert, zivilisiert präsentieren. son zu demonstrieren, dass die Konstruktion der Vereinigten Staaten als Nation unmittelbar geknüpft ist an die Auseinandersetzung mit „Race“. Ohne versklavte Menschen beispielsweise konnten sich weiße Menschen nicht als frei vorstellen. Ohne wilde, unzivilisierte Schwarze konnten sie sich nicht als kultiviert, zivilisiert präsentieren. Das Problem mit dem „Struwwelpeter“. In der deutschsprachigen Literaturlandschaft funktioniert die Konstruktion vom Weißsein ähnlich: Mit wenigen Ausnahmen werden entweder Schwarze Personen gänzlich ausgeblendet oder tauchen nur in einer passiven Rolle auf. Wir denken an die Schwarze Präsenz in Kinderbüchern wie „Struwwelpeter“ von Heinrich

nommen hat, weiß sie wenig über die Auswirkungen rassistischen Denkens, Sprechens und Handelns auf Menschen in Deutschland. Sie bleibt deshalb, um Morrisons Metapher zu benutzen, im Dunkeln. Es fehlt im weißen Mainstream eine starke Repräsentation der Schwarzen Perspektive – eine Perspektive, die ermöglichen könnte, dass Angehörige einer dominanten Gruppe nicht nur schauen, sondern endlich tatsächlich sehen.  l Sharon Dodua Otoo ist Schwarze Britin, Mutter, Autorin und Herausgeberin der englischsprachigen Buchreihe „Witnessed“ im Verlag edition assemblage. Ihre erste Novelle „the things, i am thinking, while smiling politely“ (2012) erschien kürzlich auf deutsch „die dinge, die ich denke, während ich höflich lächle“ ebenfalls bei edition assemblage.

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thema: critical whiteness

„Kritisches Weißsein ist eine Überlebensstrategie“ Für Schwarze Menschen hat Kritische Weißseinsforschung eine lange Tradition. Rafaela Siegenthaler sprach mit Peggy Piesche über den Import von US-amerikanischen Debatten, die Akademisierung von Weißseins-Diskursen und weiße Herrschaftsansprüche.

an.schläge: In deutschsprachigen Diskursen ist die Verwendung des englischsprachigen Begriffs „Critical Whiteness Studies“ üblich. Im Sammelband „Mythen, Masken und Subjekte“, den Sie mit herausgegeben haben, wird dennoch die Bezeichnung Kritische Weißseinsforschung verwendet – warum? Peggy Piesche: Als wir angefangen haben, an dem Buch zu arbeiten, war das eine lange Diskussion für uns. Es ging dabei nicht bloß um eine Stilfrage, sondern um Überlegungen zur Rezep-

kann tatsächlich von einem Import gesprochen werden, wenn es um Kritische Weißseinsforschung im deutschsprachigen Raum geht? Man kann sich sprachlich natürlich leichter distanzieren mit der Behauptung: „Ja, Critical Whiteness Studies sind wichtig, aber der transatlantische Sklavenhandel hat ja mit uns nicht wirklich viel zu tun.“ Das ist schon mal die erste falsche Aussage. Auf dieser Grundlage spricht man dann davon, dass sich die Critical Whiteness Studies zwar im englischsprachigen

„Es sind nie Schwarze Menschen, die definieren dürfen, was Rassismus ist, die Definitionsmacht liegt immer bei weißen Menschen.“ tion. Critical Whiteness wurde in den späten 1990ern und frühen 2000ern in – durchaus kritischen – kulturwissenschaftlichen Disziplinen in deutschsprachigen Ländern gerne rezipiert. Aber, wie Sie schon sagen, immer mit der sprachlichen Referenz auf das Englische. Dahinter verbirgt sich die Vorannahme, dass wir uns mit etwas beschäftigen, das spannend, interessant und wichtig ist, was aber nicht auf unseren Kontext zutrifft. Man beschäftigte sich vor allem mit dem US-amerikanischen Raum. Allerdings wurde nicht wirklich verstanden, dass die dringendsten Aussagen und fundamentalen Zusammenhänge im Kritischen Weißsein – mit gewissen Einschränkungen – auch in der deutschen Gesellschaft verankert sind.

Es ist immer wieder die Rede von einem „Import“ der Critical Whiteness Studies aus den USA. Inwiefern 20 l an.schläge November 2013

Raum entwickelt haben, aber, nachdem bestimmte Machtverhältnisse auch für uns gelten, wir uns diese zunächst in den USA sehr gut anschauen sollten und danach die Erkenntnisse in „unsere“ Gesellschaft importieren. Das geht erstens von historisch falschen Prämissen aus, zweitens schreibt es die Entmächtigung von Schwarzen Menschen und People of Color weiter fort. Auf diese Weise wird völlig ignoriert, dass Menschen, die hier Rassismus ausgesetzt sind, in ihrem alltäglichen Leben Widerstände dagegen aufbauen und sich vernetzen. Damit sind die Grundlagen geschaffen, die Kritisches Weißsein auch in dieser Gesellschaft verankern. Denn Kritische Weißseinsforschung re-fokussiert das Machtverhältnis und legt den Finger vor allem auf die Prozesse der Markierung durch eine weiße Perspektive. Mit dem Buch „Mythen, Masken und Subjekte“ wollten wir aufzeigen, dass

es sich eben nicht um einen BegriffsImport handelt. Denn da, wo Schwarze Menschen in einer mehrheitlich weißen Gesellschaft leben, wird Kritisches Weißsein bereits praktiziert.

An welche Kämpfe Schwarzer Menschen und People of Color knüpft die Kritische Weißseinsforschung in Deutschland an? Sind diese Verbindungen zu den Kämpfen noch sichtbar? Ja, das glaube ich schon. Ich bin da ja auch eine ungebrochene Optimistin [lacht]. Man sieht, dass immer mehr Schwarze Stimmen ermächtigt sind – sich ermächtigt fühlen. Sie fühlen sich vor allem auch deshalb ermächtigt, weil sie auf ein Archiv Schwarzen Wissens zurückgreifen. Und das als Wissen zu erkennen und einzufordern, ist schon eine Seite von Kritischem Weißsein: Es prägt die Definitionsmacht von Weißsein sowie des herrschafts-dominanten Wissens. Wir haben im Prinzip auch nichts Neues erfunden. All das hat in einem Schwarzen kollektiven Leben lange Tradition. Das ist es, was Schwarzes Überleben in einer weißen Gesellschaft bedeutet. Ich würde sagen, da hat unser Buch sicherlich etwas dazu beigetragen und Anstöße gegeben. Auch in Österreich hat zum Beispiel Araba Evelyn Johnston-Arthur – um dieselbe Zeit herum, als wir den Band herausgegeben haben – in die inhaltlich selbe Richtung gearbeitet. Kritisches Weißsein ist in Österreich genauso aktuell wie in Deutschland. Hier wie dort brauchte es keine weiße Hebamme, um es in diese Länder zu hieven. Es gibt die Tendenz, beispielsweise Diskurse aus den USA schablonenhaft zu übernehmen und anzuwenden.


thema: kritisches weißsein

Dadurch gehen nicht zuletzt Arbeiten wie etwa von Araba Evelyn JohnstonArthur oder anderen Schwarzen Theoretiker*innen zur Problematik des Weißseins in Österreich ganz einfach unter. Es werden so Spuren verwischt … Genau. Das ist eine Strategie von Weißsein im Allgemeinen, da müssen wir sehr gut aufpassen. In dieser Überlegung, dass wir von Weißsein, von Rasse und nicht von Race sprechen, geht es nicht um eine sprachliche Ästhetik. Es geht darum, diese Strategien, diese verzwickten Dynamiken aufzubrechen. Und es geht darum zu

zeigen: People of Color und Schwarze Menschen leben hier, sie kommen kollektiv zusammen und tauschen sich aus – so entsteht ein Archiv von Schwarzem Wissen. Das ist der Anfang von Kritischer Weißseinsforschung.

Inwiefern werden die Critical Whiteness Studies als akademische Disziplin aus Schwarzer Perspektive problematisiert? Als wir vor zehn Jahren mit unserem Buch angefangen haben, hat das weiße Critical-Whiteness-Forscher*innen sehr verstört. Wir sind Argumenten begegnet wie: „Wir brauchen keine

Schwarzen, die uns erklären, was Kritisches Weißsein ist.“ Das ist ein absoluter Herrschaftsanspruch. Es wird nicht verstanden, wie sehr Weißsein in

„Für Weiße geht es darum zu verstehen, was es heißt, auf einmal nicht im Zentrum zu stehen.“ solchen Machtprozessen mit eingebettet ist. Und auch weiße Frauen stecken in diesen Machtprozessen mit drin. Das ist das eine. Das andere ist die damit

1  Araba Evelyn JohnstonArthur: „Weiß-heit“. In: Araba Evelyn JohnstonArthur, Ljubomir Bratic, Andreas Görg: Historisierung als Strategie. Positionen – Macht – Kritik. Eine Publikation im Rahmen des antirassistischen Archivs, BUM – Büro für ungewöhnliche Maßnahmen. Wien 2004, S. 10–11

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thema: critical whiteness entmächtigte Perspektive: Es sind ja nie Schwarze Menschen, die definieren dürfen, was Rassismus ist, sondern die Definitionsmacht liegt immer bei weißen Menschen. Es geht also um die Ermächtigung einer Schwarzen Perspektive. Theorie-bewusste, informierte und aktivistisch bewegte weiße Menschen sind zwar gerne bereit, sich kritisch mit Weißsein auseinanderzusetzen – aber eben nur solange sie weiterhin die Markierer*innen sind.

Araba Evelyn Johnston-Arthur benennt dieses Phänomen in ihrem Artikel „Weiß-heit“1 als „neue Nische am Intellektuellenmarkt“. Ja, sie hat das sehr schön ausgedrückt. Mit diesen neuen Nischen wird der Sauerstoff für Schwarze Perspektiven wieder aus dem Raum genommen. Weiße Menschen sehen sich dann schnell mal in Reibung mit uns. Aber das ist nicht unser Anliegen. Es geht darum, etwas für uns zu machen. Und das ist eben etwas, das das Weißsein zutiefst nicht gewohnt ist, nämlich dass es nicht bedient wird, egal, ob positiv oder negativ. Das wollen wir einfach nicht mehr mitmachen. Welches Potenzial hat die Kritische Weißseinsforschung für die antirassistische Arbeit von Weißen? Die Kritische Weißseinsforschung ist in erster Linie – wie schon gesagt – für die Selbstermächtigung der Schwarzen Community sowie für die nachfolgenden Generationen gedacht. Es ist toll, wenn wir jetzt, zehn Jahre später, auf das Buch blicken und sehen, was alles in den Schwarzen Communitys entstanden ist, auch im Hinblick auf transnationale Vernetzungen. Das ist total super! Und das ist auch der wichtigste Aspekt. In weißen Zusammenhängen ist es hingegen wichtig zu verstehen, dass sie sich durchaus mit sich selbst beschäftigen können, aber ohne uns dabei zu zerreiben. Und dass es wie gesagt keine Bewegung gegen sie, sondern für uns ist. Für Weiße geht es darum zu begreifen, was es heißt, auf einmal nicht im Zentrum zu stehen, auch wenn man daran gewöhnt ist, immer adressiert zu werden, und auch durch diesen Schmerz zu gehen. Wir haben aber genausowenig davon, wenn sich Weiße 22 l an.schläge November 2013

schuldbewusst und schamhaft ihrer Geschichte annehmen und sagen, dass alles ganz furchtbar war bzw. ist. Denn damit bleiben die Dynamiken und Strategien der Macht aufrechterhalten.

te, es wäre nicht wichtig. Deshalb denke ich, dass es auf jeden Fall stärkend wirkt, dass sich Kritisches Weißsein in den akademischen Diskursen etabliert. Es ist auch wichtig zu sehen, dass Akti-

„Da, wo Schwarze Menschen in einer mehrheitlich weißen Gesellschaft leben, wird Kritisches Weißsein bereits praktiziert.“ Die Kritische Weißseinsforschung etabliert sich zu einer akademischen Disziplin. Sehen Sie darin eine Schwächung des Schwarzen Wissensarchivs? Als Akademikerin finde ich natürlich, dass es damit sehr wohl gestärkt wird. Sie haben ganz Recht, die Kritische Weißseinsforschung ist schon sehr akademisch. Aber Kritisches Weißsein an sich ist keine akademische Disziplin, sondern für Schwarze Menschen eine Überlebensstrategie. Für sie war es immer schon wichtig, vor allem durch das Kollektiv ein Archiv von Wissen aufzubauen und weiterzugeben. Und damit auch für nachfolgende Generationen die Möglichkeit zu schaffen zu leben und zu überleben. Ich glaube, der Grund, warum die Kritische Weißseinsforschung anfangs in der Akademie verankert wurde und von dort aus in den deutschsprachigen Raum kam, hat damit zu tun, wie sich Wissen bildet und was von der Mehrheitsgesellschaft als Wissen anerkannt wird. Am machtvollsten wird Wissen in der Schule bzw. an der Universität zelebriert. Wir alle gehen ja hier durch diese Bildungsprozesse: Wir bekommen Kinderbücher vorgelesen, wir gehen alle zur Schule, wir versuchen zu studieren. Es ist ein hartes Leben, wenn man ständig mit einem Archiv von Wissen konfrontiert wird, das nichts mit der eigenen Lebenswelt zu tun hat und zudem negativ auf einen selbst referenziert. Wir waren nicht die Ersten, die gesagt haben: Da muss es doch was anderes geben! Wir alle kennen das, die einzigen in einem Seminar zu sein, die versuchten, eine Hausarbeit zu irgendeinem relevanten Thema zu schreiben, und wie das dann nicht als Thema anerkannt wurde, weil jemand behaupte-

vismus und akademisches Arbeiten für uns oft zusammenhängen. Ich kann gar nicht nur Akademikerin sein, ich bin gleichzeitig immer auch Aktivistin. Zu sagen, die Kritische Weißseinsforschung sei eine abgehobene Debatte, die nichts mit uns zu tun hat, ist ein sehr privilegierter Standpunkt aus einer weißen Perspektive. Aber auch Schwarze Menschen, die nicht in der Akademie sind, können nicht einfach sagen, Kritisches Weißsein habe nichts mit ihnen zu tun. Rassismus hat was mit ihnen zu tun, Fremdbestimmung hat was mit ihnen zu tun. Und sich daraus zu befreien, hat auch etwas mit ihnen zu tun. In Deutschland hatten wir gerade diese extrem intensive und interessante Diskussion zu Rassismus in Kinderbüchern. Das war keine akademische Debatte. Das waren Familien, das waren Kinder, die gesagt haben: „Uns reicht’s! Das wollen wir nicht mehr lesen!“ Weil Kritisches Weißsein aus der Akademie heraustritt und immer mehr auch in andere Diskurse eindringt, war es möglich, sich mit solchen Aktionen selbst zu ermächtigen.  l Peggy Piesche, Schwarze deutsche Literatur- und Kulturwissenschaftlerin, publizierte zu Rassifizierung von Schwarzen Images, Kolonialgeschichte und kollektiver Erinnerung. Piesche ist u.a. Mitherausgeberin des Sammelbandes „Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland“ (2005) sowie Herausgeberin des Buches „Euer Schweigen schützt euch nicht. Audre Lorde und die Schwarze Frauenbewegung in Deutschland“ (2012). Rafaela Siegenthaler arbeitet derzeit an ihrer Masterarbeit zum Thema „Antirassistisch-feministische Geschichtserzählung aus Schwarzer Perspektive“ am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien.


an.sprüche

Mehr als ein Trend Unter den Hashtags #SolidarityIsForWhiteWomen und #SchauHin wird (Alltags-) Rassismus angeprangert. Was können solche Tweets bewirken? Mikki Kendall und Hengameh Yaghoobifarah erzählen von ihren Erfahrungen.

#SolidarityIsForWhiteWomen war das Kürzel für ein viel größeres Problem innerhalb des Feminismus. Der Twitter-Hashtag begann als Reaktion auf die Probleme, die einige US-feminists of color mit Hugo Schwyzer hatten.1 Obwohl er regelmäßig women of color angriff, wurde er von Weißen Feministinnen unterstützt. Das Grundproblem lässt sich aber nicht auf diesen jüngsten Vorfall reduzieren: Im Fokus des westlichen Mainstream-Feminismus liegen meist die Lebensrealitäten von Weißen Frauen der Mittel- und Oberschicht. Dieser Fokus bewirkt, dass vorgeblich feministische Organisationen die Anliegen von Ärmeren und women of color ignorieren. Jene Bewegung, die von sich behauptet, sich für alle Frauen einzusetzen, ignoriert also die Probleme von women of color, weil sie Weiße Frauen nicht betreffen. Der moderne Feminismus hatte von Beginn an ein Problem mit race. Seine Entstehung wird Weißen Frauen zugerechnet, obwohl feministische Prinzipien auf traditionellen Rechten der Irokesinnen beruhen. Bis vor Kurzem haben diese keine Anerkennung dafür bekommen. Um erfolgreich zu sein, muss der Feminismus aber die Anliegen aller Frauen widerspiegeln. Die Tweets mit dem Hashtag #SolidarityIsForWhiteWomen sprachen unterschiedlichste Themen an: etwa, dass Native American women von sexualisierten Übergriffen durch Weiße Männer stärker betroffen sind, ebenso wie Probleme, mit denen sich arme Mütter in der Rezession konfrontiert sehen. Viele Tweets befassten sich mit Fragen von race und Klasse in feministischen Organisationen. Anfänglich berichteten die Mainstream-Medien nicht über den Hashtag, aber als er in mehreren Ländern aufgegriffen wurde, reagierten unterschiedlichste Webseiten darauf. Manche kontaktierten mich direkt, andere nicht, aber alle sprachen über die Probleme, die der Hashtag aufzeigte. Und das war das Beste, das passieren hätte können. Mikki Kendall (auf Twitter: @karnythia) initiierte #SolidarityIsForWhiteWomen und ist Autorin, Aktivistin und Gründerin von www.hoodfeminism.com. Übersetzung aus dem Englischen: Susanne Kimm. Anmerkung der Übersetzerin: Da sich der Kommentar auf den US-amerikanischen Kontext bezieht, wurden Begriffe wie women of color und race im Original belassen.

Sie fragen dich nach deiner Herkunft, lachen dich wegen deines Namens aus, machen sich über den Akzent deiner Eltern lustig, wollen deine Haare anfassen, verwenden schamlos das N-Wort. Sie, das sind nicht nur Neo-Nazis. Sie stehen nicht am rechten Rand, sondern in der Mitte der Gesellschaft. Sie gehen mit dir zur Schule, zur Uni, zur Arbeit, sie sind Lehrkräfte und Arbeitgeber_innen. Alltagsrassismus ist kein Mythos, sondern deutschsprachige Realität. Wer aufgrund der Hautfarbe oder des Namens nicht ins Bild passt, wird täglich mit Diskriminierung und Othering konfrontiert. Darüber gesprochen wird bereits lange, zahlreiche Blogs und Tweets über Erlebnisse wurden schon verfasst. Ende letzten Jahres startete auch in den deutschen Mainstream-Medien eine Debatte über Antirassismus, ausgelöst durch Kritik an rassistischen Begriffen in Kinderbüchern. Anfang September fand in Berlin die Veranstaltung „Sexismus und Rassismus ab_bloggen“ der Friedrich-Ebert-Stiftung statt. Neben Netzfeminismus wurde auch über Antirassismus gesprochen, auf dem Podest standen Kübra Gümüs¸ay, Sabine Mohamed und Jamie Schearer. Spätestens hier wurde klar, dass ein einheitlicher Hashtag wie bei #Aufschrei nötig ist. Nach einer Diskussion auf Twitter über den Namen des Hashtags startete am Nachmittag des 6. Septembers #SchauHin. Meine gesamte Timeline und ich selbst zogen mit. Sichtbar wurden dabei nicht nur die Quantität alltagsrassistischer Konfrontationen, sondern auch ihre unterschiedlichen Formen, die Rolle von Machtverhältnissen und die Reaktion der Unterdrückenden auf Kritik. Trolls lassen sich im Internet kaum vermeiden, ignorante Erwiderungen über „umgekehrten Rassismus“ leider ebenso wenig. #SchauHin ist mehr als ein Twitter-Trend. Schließlich ist Alltagsrassismus on- und offline relevant. Auf der dazugehörigen Facebook-Seite werden Artikel, Erlebnisse und Debatten diesbezüglich geteilt. Hengameh Yaghoobifarah ist Studentin und freie Autorin. Sie bloggt auf TeaRiffic und twittert unter @sassyheng.

1  Siehe dazu z.B. http://bit.ly/1cATLuv

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thema: critical whiteness

Die Normalität entnormalisieren

Wie lassen sich „weiße“ Privilegien und Normen benennen? Vina Yun sprach mit Lann Hornscheidt, Professx für Gender Studies und Sprachanalyse in Berlin, über die Möglichkeiten antirassistischen sprachlichen Handelns.

Langfassung des Interviews auf www.migrazine.at 1  Lann Hornscheidt: feministische w_orte. ein lern-, denk- und handlungsbuch zu sprache und diskriminierung, gender studies und feministischer linguistik, Brandes & Apsel 2012 2  Siehe Interview mit Vassilis Tsianos in „Jungle World“, 32/2012, http:// jungle-world.com/artikel/2012/32/46024.html

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an.schläge: In der Auseinandersetzung mit „Weißsein“ geht es immer wieder auch um antirassistische Sprachkritik. Dabei werden zum Beispiel politische Selbstbezeichnungen minoritärer Gruppen wie etwa People of Color in den Vordergrund gerückt. Wie lässt sich jedoch „Weißsein“ – als das Nicht-Benannte, Unsichtbare – thematisieren? Lann Hornscheidt: Weiß-sein ist nur für Personen mit weißen Privilegien wie mich unsichtbar. Für Personen, die rassistisch diskriminiert sind, ist Weißsein hingegen kontinuierlich Thema. Hätten Schwarze Personen und People of Color mehr Raum in öffentlichen Diskursen, so wäre es überhaupt keine Frage, ob eine privilegierte weiße Position unbenannt wäre. Die antirassistischen Selbstbezeichnungen, die Sie ansprechen, sind vor allem Positionierungen von Personen, die durch Rassismus diskriminiert sind und sich damit kritisch auseinandergesetzt haben. Weiß ist aber, im Gegensatz zu Benennungen wie Schwarz und People of Color, keine politische empowernde Selbstbezeichnung, sondern die konkrete Benennung einer privilegierten Positionierung. Weiße Positionierungen und Normalitäten lassen sich in weiß dominierten Diskursen dadurch wahrnehmbar machen, indem sie benannt werden. Ich würde allerdings nicht von weiß-sein sprechen, sondern von weißen Privilegien und ihren konkreten Effekten. Der Ausdruck weiß-sein essenzialisiert, ebenso wie es der Begriff SchwarzSein tut. Ich halte es für wichtig, für jede Situation immer wieder neu zu schauen, wie dort Privilegien wirken, und dies konkret zu benennen. Einem Text oder einer Äußerung eine allge-

meine Aussage voranzustellen wie „Ich schreibe diesen Text aus einer weißen Perspektive“ halte ich für wenig sinnvoll, sondern für eine weitere Form, sich gerade nicht mit eigenen Privilegien in Bezug auf Rassismus auseinanderzusetzen. Es ist lediglich eine äußerliche „Entschuldung“, ohne konkret darüber nachzudenken, was Privilegien auf welchen Ebenen alles bedeuten – und was sie tun!

Sie erklären, dass es bei Interventionen in sprachliche Diskriminierungen nicht einfach um die „veränderung einer norm, sondern um die aneignung sprachlicher handlungsfähigkeit“1 geht. Was bedeutet sprachliches Handeln, und wie ist dieses durch „Weißsein“ geprägt? Es geht nicht nur darum, was ich sage, sondern auch, wie dieses „ich“ positioniert ist: Welchen Positionen wird zugehört, wer wird als Expertx angesehen, wer als Opfer, Betroffene, als zu emotional, zu aggressiv, und welche rassistischen Normen liegen diesen Bewertungen zugrunde? Sprachliches Handeln bedeutet also nicht nur, das zu verändern, was ich sage, sondern zu reflektieren, wie ich positioniert bin in Bezug auf strukturelle Diskriminierung. Es bedeutet, darüber nachzudenken, welche Konsequenzen es hat, was ich wo wie sagen und schreiben kann, und inwiefern ich Gehör finde, ernst genommen werde – oder eben nicht. Darüber hinaus meine ich mit der Aneignung von Handlungsfähigkeit aber auch, dass ich Sprache als etwas wahrnehme, das ich aktiv gestalten und mir auf diese Weise vielleicht auch (wieder) aneignen kann. Indem ich als weiß privilegierte Person Schwarzen Personen als Expertx zu

welchen Themen auch immer zuhöre, schaffe ich auch neue Wahrnehmungen und handle sprachlich anders, wenn ich mich auf ihre Aussagen beziehe. Wenn ich als weiß privilegierte Professx nicht die Stimmen von Schwarzen Personen, die diskriminiert sind, als Forschungsobjekt vereinnahme, sondern als Expertx zitiere, sie als Hauptredn_erinnen auf Konferenzen fordere, handle ich sprachlich. Wenn ich zum Beispiel Gedichte von antirassistischen Aktivistx wie Audre Lorde, Pat Parker, Chrystos und May Ayim in meinen wissenschaftlichen Texten als zentrale Publikationen zu Sprache und Diskriminierung zitiere, verändere ich Genre-Vorstellungen und fordere den Standpunkt, dass Gedichte nicht wissenschaftlich seien, heraus – und handle also sprachlich. So kritisiere ich weiße Normen, ent-normalisiere sie.

Kritische Stimmen meinen, Critical Whiteness habe wenig mit den realen antirassistischen Kämpfen zu tun und bediene nur einen „transnationalen Dialog zwischen akademischen Subkulturen“2. Sind Critical Whiteness Studies ein Elitendiskurs? Es gibt eine starke universitäre Tradition, nur andere akademische Stimmen zu zitieren, politisch-aktivistische Stimmen hingegen höchstens als Forschungsmaterial zu begreifen und nicht weiter auszudifferenzieren. Und immer weniger wird mein akademisches Arbeiten als Teil von politisch-aktivistischen Kämpfen verstanden; es wird höchstens auf Kämpfe an der Universität begrenzt, zum Beispiel für Quotierungen oder für eine Antidiskriminierungsstelle. Aber was darüber hinaus? Mache ich Workshops in autonomen Zusammenhängen, interveniere ich in


thema: kritisches weißsein

der U-Bahn in rassistische Situationen? Inwiefern reflektiere ich alles das in meinem akademischen Arbeiten, wie häufig frage ich diejenigen, die durch Rassismus diskriminiert sind, wozu sie welche Analysen brauchen? Ich nehme auch eine immer stärkere Abspaltung von akademischen Wissensproduktionen zu Antirassismus und politischen antirassistischen Kämpfen wahr. Critical Whiteness Studies sind – so wenig sie auch institutionalisiert sind – wenig verankert in sozialen und politischen Bewegungen, und es geht hier kaum darum, akademische Wissensproduktion vor allem als Dialog mit antirassistischen Gruppen zu verstehen.

An den Universitäten im angloamerikanischen Raum spricht man von Critical Race Studies, im deutschsprachigen Raum ist hingegen fast immer von Critical Whiteness Studies die Rede. Hat man hier zu sehr die Frage der eigenen weißen Privilegiertheit im Blick, anstatt darüber zu reden, wie die eigenen sozialen Beziehungen durch Rassismus geformt werden? Die Frage impliziert bereits, dass die entscheidenden Positionen an deutschsprachigen Universitäten von weiß privilegierten Personen besetzt sind, re_produziert also eine weiße Norm – und dies ist tatsächlich der Fall: Schwarze Personen und People of Color als Professx sind weiterhin die absolute Ausnahme an deutschen Hochschulen, Critical Race Studies ist so gut wie überhaupt nicht institutionalisiert. Und das wiederum hat alles weitreichende Konsequenzen für positionierte antirassistische Wissensbildungen, für mögliche Vorbildfunktionen von Schwarzen Professx an der Universität, Genealogisierungen von

antirassistischen Wissensbildungen usw. Die Frage beinhaltet aber auch etwas anderes: dass Critical Whiteness Studies ein Unterfangen von weiß privilegierten Personen seien. Das ist aber definitiv nicht der Fall: Critical

der in Forschungen mehr oder weniger berücksichtigt werden – etwa Gender/Geschlecht und Race. Ich gehe in meiner Forschung hingegen von einem konstruktivistischen Interdependenzverständnis aus, das bei strukturellen

„Ich würde nicht von weiß-sein sprechen, sondern von weißen Privilegien und ihren konkreten Effekten.“ Whiteness Studies sind von Schwarzen Personen und People of Color etabliert worden3, die sich mit der weißen Normsetzung beschäftigt haben und beschäftigen. Als solches ist Critical Whiteness ein wichtiger theoretischer und analytischer Teil von Critical Race Studies, aber vor allem ein Teil und ganz klar aus einer Schwarzen und People-of-Color-Perspektive! Eine Fokussierung auf weiße Normen unabhängig von dieser sozialen Positionierung der Forschenden und dieser Genealogie kann dazu führen, dass wiederum weiße Positionierungen und weiß-sein im Mittelpunkt stehen und Schwarze Menschen und People of Color erneut marginalisiert werden.

In den deutschsprachigen Gender Studies hat sich während des letzten Jahrzehnts das Konzept der Intersektionalität durchgesetzt. Welche Rolle spielt „Weißsein“ in den Diskursen zu Intersektionalität? Diese Frage kann ich nicht umfassend beantworten, ich benenne hier daher nur einige Punkte: Ich trenne zwischen Intersektionalitäts- und Interdependenz-Ansätzen. Erstere gehen häufig von sozialen Kategorien aus, die additiv zueinander und miteinan-

Diskriminierungen ansetzt und nicht bei sozialen Kategorien: Es geht also um Sexismus – oder eher Genderismus – statt um Geschlecht, um Rassismus statt um Race oder Rassifizierungen. Setze ich so an, geht es beispielsweise auch um Kriminalisierungen, Gewaltverhältnisse, juristische und medizinische Diskriminierungen oder prekäre Arbeitsverhältnisse. Was heißt das jetzt für mich, in der unglaublich privilegierten Position Professx zu sein, was ich unter anderem auch durch meine weißen Privilegien habe werden können? Für mich bedeutet das: all dies weiter kritisch zu reflektieren, zu versuchen, immer wieder neue Formen zu finden, um interdependente Diskriminierungen wahrzunehmen und politisch zu bekämpfen, akademische Wissensbildungen zu re-politisieren, zu überlegen, für wex ich das mache und zu wex ich mit dem, was ich tue, eigentlich spreche.  l Lann Hornscheidt ist Professx für Gender Studies und Sprachanalyse an der Humboldt-Universität zu Berlin und aktiv in dem Zusammenschluss xart splitta (www.xartsplitta.net), der interdependente trans_x_enden Interventionen in strukturelle Diskriminierungen durchführt, schafft, organisiert, vermittelt.

3  Die erste umfassende Publikation zu Critical Whiteness Studies im deutschsprachigen Raum wurde federführend von drei Schwarzen Antirassistinnen herausgegeben, zusammen mit einer weißen Forscherin: Maureen Maisha Eggers, Grada Kilomba, Peggy Piesche, Susan Arndt (Hg.innen): Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland, Unrast Verlag 2005

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thema: critical whiteness

Situierte Kritik Antirassistische Feminismen haben Geschichte. Der Blick zurück kann helfen, kritische Perspektiven auf die aktuellen Debatten über Critical Whiteness zu entwickeln. Von Stefanie Mayer

1  Brigitte Fuchs/Gabriele Habinger (Hg.innen): Rassismen & Feminismen. Differenzen, Machtverhältnisse und Solidarität zwischen Frauen, Promedia 1994 2  Zitiert nach an.schläge 12/1994–1/1995, S. 12–13

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In der kritischen Reflexion von Weißsein sind für mich vor allem zwei Aspekte antirassistischer Theorie und Praxis wichtig: Erstens, dass Rassismus grundsätzlich als Problem der Rassist_innen zu analysieren ist und nicht als eines derjenigen, die diskriminiert werden. Zweitens, dass eine Beschäftigung mit gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen nicht von der Positionierung der Schreibenden in eben diesen Verhältnissen losgelöst werden kann. Ich selbst stehe in vielerlei Hinsicht auf der privilegierten Seite, was es mir unter anderem erlaubt, mir Zeit zu nehmen, um in einem akademischen Rahmen über Ethnisierung, Rassismus und Identitätskonstruktionen nachzudenken. Zu den wichtigsten Erkenntnissen dieser Auseinandersetzung gehört die Erkenntnis, dass so manche aktuellen Debatten in feministischen und antirassistischen Kontexten profitieren könnten, würden sie sich stärker mit ihrer eigenen Vergangenheit auseinandersetzen – das gilt nicht zuletzt für Diskussionen über Critical Whiteness. Widersprüchlicher Protest. Soweit mir bekannt ist, lässt sich die erste

explizite Thematisierung von Weißsein in Österreich auf das Jahr 1994 datieren, als die in den USA forschende Soziologin Ruth Frankenberg bei einem Symposion der ARGE Wiener Ethnologinnen zum Thema „Weiße Frauen, Feminismus und die Herausforderung des Antirassismus“ sprach. Dieses Symposium und der zwei Jahre später erschienene Sammelband1 können hinsichtlich der prominenten Referentinnen/Autorinnen und der behandelten Themen (unter anderem der spezifische Rassismus gegen Roma sowie postkoloniale Machtverhältnisse) als Meilenstein der feministischen Auseinandersetzung mit rassistischen Herrschaftsverhältnissen in Österreich gelten. Gleichzeitig lassen sich anhand der damals rund um die Veranstaltung aufbrechenden Konflikte einige bis heute relevante Problemstellungen aufzeigen: Eine Gruppe von fünf Frauen aus dem Umfeld der Frauenhetz protestierte mit weiß bzw. schwarz geschminkten Gesichtern gegen das akademische Format der Veranstaltung und die Hierarchisierung von „wissendem“ Podium und „schweigend schlucken-

dem“ Publikum, die als Widerspruch zu den Inhalten verstanden wurde. Schon damals blieb die gewählte Protestform aufgrund ihrer an Praktiken des „Blackface“ erinnernden Schwarz/ Weiß-Symbolik nicht unwidersprochen – unangenehm bekannt erscheint aber auch die Abwehrreaktion der Proponentinnen des Protests, die sich darauf beriefen, „hauptsächlich von nicht-weißen Frauen“ Zuspruch für ihre Aktion erhalten zu haben.2 Zwar ließ sich der Protest als Widerstand gegen die Schaffung und Bestätigung eines Machtverhältnisses entlang der Achse „Bildung“ (ihrerseits eng mit Klasse, aber auch mit Ethnisierung/ Rassisierung verschränkt) und gegen hierarchische Kommunikationsstrukturen lesen. Doch bediente sich dieser Widerstand einer rassistisch aufgeladenen Symbolik und bestätigte damit eben jenes Verhältnis von Privilegierung und Diskriminierung, dessen kritische Hinterfragung im Zentrum der angegriffenen akademischen Diskurse stand. Verstrickt in rassistische Diskurse. Vergleichbare Problematiken von


thema: kritisches weißsein unterschiedlich ineinandergreifenden Herrschaftsverhältnissen lassen sich auch heute beobachten. Antirassistische Debatten in feministischen Zusammenhängen – und gerade jene, die sich auf Konzepte von Critical Whiteness beziehen – erfordern häufig Vertrautheit mit komplexen akademischen Ansätzen und dem entsprechenden Vokabular. Sie können damit selbst Herrschaftseffekte erzeugen und all jene, die nicht auf dem neuesten Stand der Theorieentwicklung sind, zum Schweigen bringen. Dagegen lässt sich mit Recht einwenden, dass es alles andere als verkehrt ist, wenn rassistisch Privilegierte in antirassistischen Debatten mal still zuhören – paradoxerweise kann jedoch gerade die Aneignung von antirassistischem und Critical-Whiteness-Wissen hier gegenteilige Effekte erzeugen. Denn wer das „richtige“ Sprechen beherrscht, erscheint als nicht-rassistisch und kann gerade deshalb munter drauflosschwadronieren. Wenn sich dann noch eine andere weiße Person – etwa durch die Verwendung rassistischer Ausdrücke (oder auch nur veralteter; siehe etwa die Diskussion um die Verwendung des Begriffs „Geflüchtete_r“ anstatt „Flüchtling“) – dafür anbietet, mit einem Maximum an moralischer Entrüstung zurechtgewiesen zu werden, verwandelt sich das kritische Denkwerkzeug in ein Mittel zur Sicherung eigener Machtansprüche. Daraus ist nun nicht zu schließen, dass wir die Kritik an rassistischer Sprache und unreflektierter weißer Normalität als bloßes Herrschaftsinstrument betrachten und ad acta legen sollten. Notwendig ist vielmehr eine Abkehr von moralischer Empörung zugunsten der Erkenntnis, dass die Verstrickung in rassistische Diskurse, Denkmuster und Strukturen auch vor Antirassist_innen nicht Halt macht. Wo sie sichtbar und hörbar wird, ist politische Kritik nötig – nicht aber die Herabwürdigung der einzelnen Sprechenden zum Zweck der Aufwertung des eigenen antirassistische(re)n Selbst. Kritische Selbstpositionierung. Der Rückblick auf die Debatten um Rassismen in weißen feministischen Kontexten in den 1990er-Jahren – die schon

damals vor allem den Interventionen der Migrantinnen- und Schwarzen Frauenbewegung zu verdanken waren – ist auch heute noch interessant; besonders in Bezug auf die umstrittene

(potenziell endlose) Erweiterung der Liste aufzuzählender Eigenschaften, sondern darum, deren Bedeutung in der jeweiligen Situation zu hinterfragen.

Antirassistische Debatten in feministischen Kontexten erfordern häufig Vertrautheit mit komplexen akademischen Ansätzen. Frage, welche Bedeutung „Identität“ für eine antirassistische Praxis besitzt. Es scheint weitgehend in Vergessenheit geraten zu sein, dass feministische Aktivistinnen schon damals versuchten, das Verhältnis zwischen der eigenen gesellschaftlichen Positionierung und möglichen politischen Positionen zu reflektieren – nicht zuletzt in Form von Selbstpositionierungen, die politischen Statements vorangestellt wurden und die die bekannten gesellschaftlichen Herrschaftsachsen durchbuchstabierten („Ich bin eine weiße, christlich sozialisierte, heterosexuelle Frau aus der Mittelschicht …“). Entgegen der eigentlichen Intention entwickelten sich diese Aufzählungen häufig zur folgenlosen Pflichtübung, weil sie ohne Einfluss auf das politische Denken blieben. Dagegen möchte ich ein konkreteres Verständnis von Positionierung vorschlagen, das nicht an scheinbar stabilen Identitäten ansetzt, sondern versucht, die Bedingungen des eigenen politischen Denkens und Handelns zu reflektieren. Weniger hochtrabend formuliert bedeutet das, sich zu fragen, welchen Einfluss die eigenen Lebensumstände und die Kontexte, in denen politisch gehandelt wird, auf Form und Inhalt dieser Politik haben. Ohne Zweifel ist in einer rassistisch und sexistisch strukturierten Klassengesellschaft die Positionierung in Herrschaftsverhältnissen von Ethnisierung bzw. Rassifizierung, Geschlecht und Klasse (fast) immer relevant. Dennoch können in bestimmten Kontexten andere Fragen – etwa jene nach Kinderlosigkeit/Elternschaft, dem (nicht-) akademischen Background oder nach Erwerbsarbeit(slosigkeit) und Prekarisierung – einen höheren Stellenwert erhalten. Dabei geht es nicht um eine

Weder lassen sich individuelle politische Interessen unmittelbar aus sozialen Positionierungen ableiten, noch stellt Politik eine Sphäre abgehobener Ideale ohne Bezug zur eigenen Lebenssituation dar. Der Raum, der sich zwischen diesen beiden Sackgassen auftut, ist genau jener, in dem wir agieren, gemeinsam Ziele formulieren und Strategien entwickeln können. Koalitionen unter Verschiedenen. Eine selbstreflexive Herangehensweise in dem hier skizzierten Sinn erscheint mir nicht zuletzt Voraussetzung für Bündnispolitiken und Koalitionen zwischen unterschiedlich positionierten Aktivist_innen zu sein. Eine interessante Denkmöglichkeit hat an dieser Stelle Anna Carastathis3 (mit Bezug auf Kimberley Crenshaw, die bereits den Intersektionalitätsbegriff prägte) entwickelt: Ihr Verständnis von „Identität“, als immer schon vielfältig, als eine Art Koalition unterschiedlicher Positionen innerhalb jeder/s Einzelnen, lässt den Gegensatz von Identitätspolitik und Dekonstruktion links liegen. Auf einer solchen Basis sind unsere vielfältigen Identitäten immer schon Basis möglicher Koalitionen, in denen sie freilich nie aufgehen können. Jene Bruchstücke, die uns zu Ähnlichen machen, sind in einem solchen Verständnis Ausgangspunkt für die Entwicklung gemeinsamer Kämpfe, in denen auch unsere Verschiedenheiten Platz finden können.  l Stefanie Mayer lohnarbeitet als Politikwissenschaftlerin, schreibt an ihrer Dissertation und bewegt sich in unterschiedlichen autonomen und (queer-)feministischen Kontexten in Wien. Sie nimmt sich zu wenig Zeit für politischen Aktivismus und hat deshalb ein schlechtes Gewissen.

3  Anna Carastathis: Identity Categories as Potential Coalitions. In: Signs, 38, 2013, S. 941–965

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thema: critical whiteness

Das Problem mit „Critical Whiteness“ Wenn weiße Aktivist_innen antirassistische Theorie von ihrer sozialen Praxis trennen, ist Gefahr im Verzug. Von Melanie Bee*

* Übersetzung aus dem Englischen mit Unterstützung von Barak. 1  Ich habe schon an früherer Stelle über die eigentümliche Entwicklung des Begriffs Critical Whiteness im deutschsprachigen Kontext geschrieben: http:// bit.ly/QMNe4v. Die englischsprachige Fassung gibt es auf meinem Blog: http:// ami-go-home.tumblr.com 2  Siehe etwa den Kommentar zum kürzlichen „Meltdown“ der „Verbündeten“ Tim Wise und Hugo Schwyzer auf Twitter und Facebook, auch als Blogpost von Mia McKenzie: http:// bit.ly/19TssEQ 3  Andrea Smith: The Problem with „Privilege“, http://bit.ly/19pgLWW

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Der Begriff Critical Whiteness entstammt der akademischen Industrie. Er kommt aus der Sparte eines universitären Feldes, das in den USA Ethnic Studies und in Europa oftmals Postcolonial Studies heißt. Warum gerade Critical Whiteness im deutschsprachigen Raum zum heißen Scheinanglizismus avancierte, während dieser Titel unter US-Aktivist_innen relativ unbekannt ist, kann ich nicht sagen. Bemerkenswert ist, dass dieser akademische Begriff der erste war, der nach Deutschland gelangte, um die Kritik des Weißseins zu fassen – und nicht Bezeichnungen, die in der antirassistischen Praxis der USA üblicher sind (wie etwa white privilege, white supremacy oder accountability) und die zugleich die Rolle von Weißen in antirassistischen Kämpfen beschreiben.1 Ähnlich fragwürdig ist die Tendenz in Deutschland, die Genealogie von Critical Whiteness und der Intersektionalitätstheorie in den USA zu verorten und im Zuge dessen die akademischen Texte von Toni Morrison und Kimberlé W. Crenshaw als Ursprungsquelle zu würdigen, jedoch zum Beispiel den Aktivismus des Combahee River Collective, von W.E.B. DuBois oder John Brown außer Acht zu lassen. Akademische Fächer wie die Ethnic Studies sind aus sozialen Bewegungen heraus entstanden und werden von diesen gestützt – ihre Methoden wurden jedoch zu großen Teilen nicht in den deutschsprachigen Kontext mittransportiert. Mit anderen Worten: Etwas fehlt. Weißsein im Rampenlicht. Im deutschsprachigen Raum ist Critical Whiteness über die akademische Disziplin hinausgewachsen und stellt heute eine grundsätzliche politische Auseinandersetzung unter Weißen mit ihren Privilegien dar. Doch warum ist

gerade Critical Whiteness in einigen Kreisen zu einem Synonym für antirassistische Arbeit geworden, während in den USA die Diskussionen über weiße Privilegien bloß als Teilaspekt der antirassistischen Praxis betrachtet werden? Ermächtigung, Transformation und Selbstbestimmung von und für people of color, die im Zentrum der Bewegung gegen Rassismus positioniert sein sollten, werden jedoch links liegen

Wettbewerb der Unterdrückten. In letzter Zeit haben einige kritische Stimmen, unter ihnen die indigene Akademikerin und Aktivistin Andrea Smith, die in den USA populären Diskurse um Verbündete und Privilegien infrage gestellt.2 So kritisiert Smith etwa in ihrem jüngsten Artikel, dass die typische Workshop-Übung, bei der die Teilnehmer_innen aufgefordert werden, ihre Privilegien aufzulisten, als Form der

Nutzen weiße Menschen Critical Whiteness, um sich abermals ins Rampenlicht zu stellen? gelassen, sobald der Reflexionsprozess weißer Menschen ganz oben auf der Prioritätenliste steht. Nutzen weiße Menschen Critical Whiteness, um sich abermals ins Rampenlicht zu stellen? Mit dem antirassistischen TheorieImport aus den USA hat auch ein Beziehungsbruch zwischen Theorie und Praxis stattgefunden. In den Staaten erlangten noch die zuvor von der weißen Hegemonie zum Verstummen gebrachten Erfahrungen wieder eine Stimme. In Deutschland dreht sich nun alles wieder um das Weißsein. Die Sprache, die ich in den US-amerikanischen social-justice-Bewegungen erlernt habe, um über meine Rolle als weiße Person in der antirassistischen Arbeit zu sprechen, ist die Sprache der allies, der Verbündeten. Sie hören people of color zu und lernen von ihnen, über ihre eigenen Privilegien nachzudenken und Aktionen in verantwortungsvoller Weise gegenüber den Gemeinschaften of color zu unternehmen. Dafür ist die Reflexion der eigenen Privilegien (nicht nur in Bezug auf Rassismus, sondern in ihrer Gesamtheit, intersektional gesehen) zwar ein wesentlicher, jedoch nur ein Schritt.

Beichte fungiert. Deren Authentizität wird dabei von den weniger privilegierten Personen im Raum abgewogen, die dann über Vergebung oder Verurteilung richten und die Schuldgefühle der anderen erleichtern sollen. „In Wahrheit haben diese individuellen Beichten nicht zu irgendwelchen politischen Projekten geführt, um die Dominanzstrukturen, die ihre Privilegien ermöglichen, abzubauen. Vielmehr wurde die Beichte selbst zum politischen Projekt. […] Demzufolge war das Ziel nicht mehr, Unterdrückung tatsächlich zu beenden, sondern so unterdrückt wie möglich zu sein. Diese Rituale ersetzten oft den Aufbau politischer Bewegungen mit der Beichte.“3 Zu Recht weist Smith darauf hin, dass dies Unterdrückungsmuster eher verstärkt anstatt beseitigt: Auf diese Weise werden people of color instrumentalisiert, damit weiße Menschen ihre eigene Selbstreflexivität inszenieren können. Diese klaustrophobische Nabelschau ist oft in Gender-Studies-Seminaren und „sicheren Räumen“ innerhalb der linken Szene zu beobachten, wie auch die laut Selbstbeschreibung „unsichtbare, melancholisch hetero­sexuelle Cis-


thema: kritisches weißsein Deutsche mit Migrationshintergrund“ Ays¸e K. Arslanog˘lu feststellt.4 Wenn die Reflexion über Privilegien nicht mit politischen Aktionen verbunden ist, ist das Ziel nicht mehr soziale Veränderung, sondern die Bildung und Aufrechterhaltung von „guten“ Subjekten, die miteinander um den Status des_der „Reinsten“ und von Herrschaft „Befreitesten“ konkurrieren. Dabei wird der Fokus von sozialen Strukturen auf Individuen, von transformativer auf moralische Politik verlegt. Community Organizing. Vieles von dem, was ich von Menschen of color, insbesondere den womanists und Feminist_innen of color über Bündnisarbeit gelernt habe, macht nur im Kontext politischer Organisierung und Mobilisierung Sinn. Wenn ich allein in meinem Zimmer Audre Lorde lese,

wüsste ich nicht, wie das In-den-Hintergrund-Treten und das Schaffen von Räumen für die Stimmen von Menschen of color aussehen soll. Oder wem kann ich meine Privilegien solidarisch und verantwortlich anbieten, wenn ich im Seminarraum mit unbekannten Menschen zusammensitze?

scheinen politische Bündnisse hingegen umgekehrt zu laufen. Einige Linke neigen dazu, zuerst Bücher zu lesen und Texte zu schreiben und erst danach jene „Interventionsorte“ auszusuchen, an denen die prekäre Situation von Menschen of color zur Schaubühne für ihre eigenen politi-

Weiße: Tretet zurück, gebt nicht den Ton an und hört zu. Als Verbündete, seid „Megafone und nicht Mikrofone“. In den Staaten gibt es die Tradition des community organizing (Gemeinschaften politisch organisieren), in dessen Rahmen Menschen aufgrund konkreter gemeinsamer Probleme zusammenkommen und von dieser Basis aus ihre Analyse entwerfen. In Deutschland

schen Experimente wird. Ich habe viele linke Aktivist_innen erlebt, die einfach nicht in der Lage sind, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die nicht exakt ihre politischen Positionen teilen – sie erkennen nicht, wie ihre eigene ansozialisierte Verortung

4  Ays¸e K. Arslanog˘lu: „Stolz und Vorurteil. Markierungspolitik in den Gender Studies und Anderswo“ in „outside the box – Zeitschrift für feministische Gesellschaftskritik“, 2/2010, http://bit. ly/19Z3tWT (PDF)

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thema: critical whiteness

5  Der säkulare Verdacht innerhalb der Linken, der Formen der Spiritualität oft als „Esoterik“ interpretiert, erschwert die Möglichkeiten, Beziehungen mit religiösen Gemeinschaften aufzubauen. Für aktuelle US-Diskussionen über die Verbindung von Spiritualität und social justice siehe: „Out of the Spiritual Closet: Organizers Transforming the Practice of Social Justice“ des Movement Strategy Center, http://bit. ly/1gV9Jjz 6 http://bit.ly/12PQbEp 7  Diese „Tipps“ basieren auf einer Reihe von Texten über Verbündete, die ich durch die Jahre gelesen habe. Siehe z.B. http://bit. ly/19ijzrv für Ressourcen und Gruppen wie Catalyst Project und The People’s Institute for Survival and Beyond. 8  Siehe http://asylstrikeberlin.wordpress.com und http://kottiundco.net. 9  Dieser tolle Spruch stammt vom Crunk Feminist Collective: http://bit. ly/1gVa2Lb 10  Für eine Erklärung des Begriffes siehe Kristen Zimmerman vom Movement Strategy Center: http://bit. ly/15yma2q 11  Diese Fragen basieren auf dem Artikel „Assessing Organizational Racism“ (2001) des Western States Center. Eine deutschsprachige Übersetzung findet sich hier: http://bit. ly/16n8P7T. Für ausführlichere „Anti-Racism Organizational Development Tools“ siehe http:// racialequitytools.org sowie „Dismantling Racism: A Resource Book“ (2003) des Western States Center, http://bit.ly/W6LGjq.

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(inklusive race) ihre politische Position von Vornherein formt. Außerdem scheinen viele Linke enttäuscht zu sein, wenn sich andere Gemeinschaften nicht der Radikalität ihrer Positionen anpassen. Sie sehen nicht, dass sie als privilegierte Menschen oft nicht um das Gewinnen kämpfen müssen, da sie es sich leisten können zu verlieren. Es mag einfacher sein, Strategien für allmähliche konkrete Veränderungen in der Realpolitik als „reformistisch“ zu bezeichnen, wenn dein Überleben nicht von Veränderungen von Politik und Gesetzen abhängt und du mit radikalen Positionen weniger riskierst als Menschen of color. All dies macht es schwieriger, Beziehungen aufzubauen, und Weiße bleiben isoliert in ihren Gemeinschaften.

die auf Liebe und Respekt basieren, nicht nur auf einem politisch korrekten Lexikon und Rhetorik.“6

Zurücktreten und zuhören. Es geht hier nicht darum, dass weiße Menschen loslaufen und alibihalber Schwarze oder jüdische Freund_innen finden, sondern dass sie die Beziehungen, die es schon gibt, neu bewerten und vertiefen. Wenn weiße Menschen denken, sie unterhalten keine Beziehungen zu Menschen of color, brauchen sie sich nur in ihren Kiezen umschauen: Nachbar_innen, Arbeitskolleg_innen, Mitstudent_innen, Stammkund_innen und Angestellte in der Bäckerei, in der Bar oder in der Apotheke. Weiße: Tretet zurück, gebt nicht den Ton an und hört zu. Kultiviert authentische, nachhaltige Beziehungen. Erwartet nicht, dass Authentische Beziehungen. Die Erpeople of color euch in Sachen Rassifahrungen von jüdischen Freund_innen mus erziehen oder sie unbedingt über haben mir gezeigt, dass sich deutsche Rassismus sprechen wollen.7 Findet Aktivist_innen, die sich gegen Antiseandere gemeinsame Interessen, um die mitismus engagieren, primär um die ihr kollektive Aktionen bauen könnt – Beseitigung des Faschismus kümbeispielsweise sind Miete und Gentrifimern. Jedoch bauen sie in den meisten zierung Themen, die sich anbieten, um Fällen keine relevanten Beziehungen Nachbar_innen zusammenzubringen, mit jüdischen Gemeinschaften und die einander sonst nur „Hallo“ im Individuen auf, Räume für Formen Treppenhaus sagen. Und anstatt sich des jüdischen kulturellen Lebens und am US-Diskurs zu orientieren, hebt die Ausdrucks begrüßen sie hingegen oft Brillanz antirassistischer Aktivist_inauf eine exotisierende Weise – oder nen, Denker_innen und Schriftsteller_ gar nicht.5 In sehr vielen Bildern, die innen of color in Deutschland hervor die antifaschistische Zerstörung der – zwei der aufregendsten Projekte Nazis inszenieren, wird der verhasste in Berlin werden von people of color weiße Nazi dargestellt, aber selten geführt, der Refugee Strike und Kotti die Vorstellung einer authentischen & Co.8 Als Verbündete, seid „Megafone Gemeinschaft zwischen Menschen of und nicht Mikrofone“.9 color und weißen Menschen. Ich bin Es geht nicht um individuelle Empathie, zynisch genug geworden zu verdächtisondern um eine radical connection10, gen, dass solche Antifa-Aktionen nicht die Gemeinschaften aufbaut, die sysvon Solidarität, sondern vom eigenen tematische Veränderungen bewirken Trauma, von Schmerz, Schuld und Hass können. Daher müssen weiße, deutsch gegenüber der deutschen Geschichte dominierte Organisationen auch Beangetrieben werden. Wie die queere ziehungen als Verbündete bilden und afro-feministische Bloggerin Spektra das Vertrauen zu Gemeinschaften of schreibt: „Wenn Menschen für mich color verdienen. Wie schon viele zuvor kämpfen, will ich, dass sie es tun, weil eingefordert haben, ist es – auch um sie mich als Individuum mögen – oder ein Kollektiv von „Verschiedenen“ zu als jemanden, der sie an eine andere schaffen anstatt nach „herzeigbaren“ Person erinnert, die sie gern haben –, Individuen Ausschau zu halten – wichnicht bloß aus einem abstrakten, theotig, dass Gruppen systematisch reflekretischen Konzept heraus. Mir wäre es tieren, auf welche Weise ihre organilieber, wenn die ,weißen Verbündeten‘, satorischen Kulturen und Normen weiß die ,hetero Verbündeten‘, die ,männliund deutsch begründet sind: chen Feministen‘ der Welt die Arbeit • Werden eure Plena nur auf leisten, echte Beziehungen aufzubauen, Deutsch gehalten?

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Trefft ihr euch zu ungünstigen Zeiten für Menschen, die arbeiten? Bietet ihr Kinderbetreuung bei Plenas und Veranstaltungen an? Haben Menschen mit mehr Zeitkapazitäten (aufgrund von Sozialleistungen oder anderer finanzieller Unterstützung) in der Organisation und in den Entscheidungsprozessen mehr Macht als andere? Reflektieren die Bilder und die Sprache in Artikeln und auf Plakaten, das Essen und die Musik bei Veranstaltungen, die Art und Weise der Kommunikation die gelebten Realitäten, Kulturen und Ästhetiken von nicht-weißen Gemeinschaften? Trefft ihr euch in weiß dominierten Räumen? Organisiert ihr viele Demonstrationen, die zu Überwachung und polizeilicher Gewalt führen und somit größere Risiken für trans, weibliche, queere, behinderte, alte, junge, rassifizierte und illegalisierte Menschen bergen? Seid ihr mit Organisationen, die von people of color geführt sind, vernetzt und in Bündnissen? Unterstützt ihr ihre Projekte und Kampagnen? Sucht ihr Input und Beratung von solchen Organisationen für eure Strategie- und Entscheidungsprozesse? Wenn eure Gruppe internationale Solidarität oder außenpolitische Themen (zum Beispiel Nahost) behandelt, überlegt ihr, auf welche Weise Menschen of color in ihrem Umfeld direkt von solchen Themen betroffen sind? Sind ihre Stimmen in euren Diskussionen eingebracht? Entwickelt ihr Methoden, um verantwortlich zu sein (Feedback und Kritik zu erhalten, um sich im Dialog zu engagieren) gegenüber Gemeinschaften, die von den Themen eures politischen Engagements am meisten betroffen sind?11  l

In ihrer Arbeit an der Uni, im Klassenraum und mit transformative justice erkundet Melanie Bee (www.transformativejustice.eu, http://ami-go-home.tumblr. com) Visionen von kollektiver Verantwortung für Privilegien und Unterdrückung.



arbeitsfragen in allen

lebenslagen

© National Cancer Institute/Wikimedia

brustkrebs Aufschub für Screening-Programm

Irmi Wutscher

Ninetofive Ich erinnere mich: Es war vor ein paar Jahren. Da spricht der Arbeitsminister anlässlich Ausbildungspflicht und „verschwundener“ Jugendlicher (also solche, die weder in Ausbildung sind noch arbeiten) davon, dass man diesen Jugendlichen Disziplin beibringen müsse. Und dass die halt auch lernen müssten, jeden Tag um sechs oder sieben aufzustehen, um einen Job zu behalten. Kollege B und ich stellen dazu grinsend fest, dass wir mit unseren 32 respektive vierzig Jahren noch immer nicht in der Lage sind, täglich um eine bestimmte Uhrzeit irgendwo geschnäuzt und gekampelt auf der Matte zu stehen. Wir coolen Hunde der arbeitszeitlichen Selbstbestimmung, wir Unkonventionellen. 9-to-5-Job, das ist ein Synonym für einen fremdbestimmten, eher durchschnittlichen bis langweiligen Job. Ein 9-to-5-Trottel (in Österreich vielleicht eher: einE 8-bis-16-Uhr-BeamtIn), sowas wollte man früher nicht werden – wie beige-grau-unsexy, wie nervtötend! Bei jungen Menschen, die gerade jetzt kurz vor ihrem Eintritt in die Arbeitswelt stehen, ist das anders. Jugendliche haben sehr klare Wünsche an die zukünftige Arbeitswelt, erklärt mir Jugendkulturforscherin Beate Großegger in einem Interview. Sie wollen fixe Arbeitszeiten und eine klare Trennung von Arbeit und Freizeit. Keine Lust auf Überstunden, keine Lust auf Herumflexibilisieren. Die jungen Menschen wollen die Zeit haben, sich FreundInnen und eventuell sogar der Familie zu widmen. Und sie haben bei ihren Eltern gesehen, dass das oft untergeht. Man kann die Einstellung auch so zusammenfassen: Arbeit ist nicht alles. Ein fast schon frivoler Anspruch in der Leistungsgesellschaft. Vielleicht haben sich die jungen Menschen vom neoliberalen Leistungszwang emanzipiert. Vielleicht sehen sie aber nur, wie ihnen die Felle davonschwimmen: Angenehme oder einfache Zeiten erwarten sie in ihrem Arbeitsleben nicht. Angeblich hat das „europäische“ Modell der niedrigen Arbeitszeit im globalen Wettbewerb bald ausgedient. Düstere Aussichten. Irmi Wutscher steht meistens zwischen acht und neun Uhr auf, manchmal auch schon um sieben. Manchmal gar nicht. Illustration: Nadine Kappacher

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Am 1. Oktober, dem Internationalen Brustkrebstag, hätte in Österreich ein Screening-Programm zur Brustkrebs-Früherkennung von Frauen starten sollen. Ab diesem Zeitpunkt wären alle 45- bis 69-jährigen Frauen (etwa 1,5 Millionen) alle zwei Jahre zur Mammografie eingeladen worden, was die bisher notwendige Überweisung seitens eines_einer Gynäkolog_in ersetzt hätte. Ein Honorarstreit zwischen Kassen und Ärzt_innen in der Steiermak und in Wien verzögert nun den Start des Screenings bis mindestens Jänner 2014. Allerdings ist das breite Brustkrebs-Screening-Programm nach wie vor umstritten: Denn die Anzahl der falschen positiven Befunde ist hoch – nur eine von zehn Frauen, deren Mammografie auffällig ist, hat tatsächlich Brustkrebs. Wenn also durch das Screening insgesamt mehr Frauen eine Mammografie vornehmen lassen, werden insgesamt auch mehr Frauen falsch-positive Befunde erhalten und unnötig verunsichert. Jedoch erhöht sich auch der Anteil der Frauen, deren Tumor früh erkannt wird. Wichtig ist, dass sich Frauen vor einer Mammografie gut und umfassend über mögliche Konsequenzen informieren, wie Frauengesundheitszentren immer wieder betonen. Brustkrebs ist nach wie vor die häufigste Krebsart bei Frauen: In Österreich erkranken jedes Jahr 5.000 Frauen, jährlich sterben hierzulande 1.600 Frauen an Brustkrebs.  be

workshopreihe Unterstützung für Student_innen Du bist Student_in an der Uni Wien und fragst dich des öfteren, wie du dominanten Redner_innen in Seminaren begegnen kannst, oder welche Position du als Frau* oder Trans*-Person im Wissenschaftsbetrieb hast bzw. haben kannst? Die Workshopreihe „Power Up!“, organisiert vom Frauen*förderbeirat der Uni Wien, bietet in den nächsten Semestern kostenlose Seminare und Fortbildungen an. Denn Frauen* und Trans*Personen sind nach wie vor in ihrem Studienalltag mit Benachteiligungen und ungleicher Chancenverteilung konfrontiert. In den Veranstaltungen werden einerseits Frauen* und trans*-identifizierte Menschen in ihrem Studium unterstützt. Andererseits geht es auch um die Reflexion von Geschlecht und anderen Differenzkategorien. „Power Up!“ bietet Support beim Schreiben und Präsentieren, Austausch zu queer-feministischen Themen und Reflexion und Empowerment für Alternativen im diskriminierenden Alltag. Die Workshopreihe, die im vergangenen Semester gestartet hat, läuft noch bis zum Wintersemester 2014. Ein Einstieg ist also jederzeit möglich. Die Workshops im November lie-


an.riss arbeit wissenschaft fern bspw. Handwerkszeug für selbstbewusstes Kommunizieren oder Wissen über Klassismus und die oft subtile Wirkung der sozialen Herkunft. Alle Veranstaltungen sind barrierefrei zugänglich, eine Übersetzung in österreichische Gebärdensprache ist bei Bedarf möglich.  stan http://gleichbehandlung.univie.ac.at/workshopreihe

Quellen: http://derstandard.at, http://diestandard.at, http://oe1.orf.at, www.fgz.co.at, www.bka.gv.at

intersex Kinderrechte stärken 78 zu 13 Stimmen (und 15 Enthaltungen) – mit diesem Ergebnis beschloss der Europarat in Straßburg Anfang Oktober eine Resolution zum Kinderrecht auf körperliche Unversehrtheit. Darin geht es um unterschiedlichste körperliche Eingriffe, denen Kinder unterworfen sein können: Von der weiblichen Genitalverstümmelung/-beschneidung und der Beschneidung von Burschen aus religiösen Gründen über Piercings bis hin zu Genitaloperationen an intersexuellen Kindern – „Kinder sollen vor jeder Form von Gewalt beschützt werden“, wie es in der Resolution heißt. Intersexuellen-Selbstorganisationen wie ILGA-Europe, OII-Europe oder Zwischengeschlecht.org begrüßen die Resolution: Damit würden die Mitgliedsstaaten des Europarates explizit dazu aufgefordert sicherzustellen, dass niemand in der (frühen) Kindheit unnötigen medizinischen oder chirurgischen Eingriffen ausgesetzt ist. Die körperliche Unversehrtheit, Autonomie und Selbstbestimmung der betroffenen Kinder soll garantiert werden, die Familien sollen adäquate Unterstützung bekommen, heißt es in der Resolution des Europarats.  be www.intersexualite.de, www.ilga-europe.org, http://oiieurope.org, http://blog.zwischengeschlecht.info Resolution: http://bit.ly/18BiXNp

gender pay gap Weiterer Anstieg von Teilzeitstellen Teilzeitbeschäftigungen nehmen in Österreich und Deutschland weiterhin zu – insbesondere bei Frauen. Wie eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt, stieg der Anteil der Teilzeitbeschäftigten in Deutschland zwischen 2006 und 2011 um 25 Prozent; 5,7 Millionen Menschen arbeiteten im Juni 2011 in Teilzeit. Bei den Neuein-

stellungen im Jahr 2012 gingen in Deutschland 78 Prozent der Teilzeitstellen an Frauen, bei der „kleinen Teilzeit“ (Wochenarbeitszeit unter zwanzig Stunden) waren es sogar 85 Prozent. Auch aus Österreich gibt es hierzu aktuelle Zahlen: Laut Statistik Austria verdienen Teilzeitbeschäftigte pro Stunde im Mittel um 24,2 Prozent weniger als Vollzeitbeschäftigte. Diese Verdienstnachteile betreffen Frauen ebenso wie Männer, Frauen stellen jedoch 84 Prozent der österreichischen Teilzeitbeschäftigten. Die Daten belegen zudem einen weiteren Anstieg: Im zweiten Quartal 2013 gab es ein Plus von 28.300 Teilzeitbeschäftigten und ein Minus von 46.900 Vollzeitkräften. 45,6 Prozent der weiblichen Erwerbstätigen arbeiten in Österreich bereits in Teilzeit, bei den Männern sind es lediglich 9,6 Prozent.  the IAB-Studie: http://doku.iab.de/kurzber/2013/kb1913.pdf

studie Der Digital Gap ist weiblich Ein aktueller UN-Bericht der Broadband Commission for Digital Development bestätigt einen massiven Gender Gap in puncto Internetzugang: Weltweit sind rund 200 Millionen weniger Frauen online als Männer – Tendenz steigend. „Mehr als zwanzig Jahre nach Einführung des Internet haben zwei Drittel der weltweiten Bevölkerung immer noch keinen Zugang zum Netz, Frauen machen dabei einen großen Anteil aus“, heißt es im Bericht „Doubling Digital Opportunities: Enhancing the Inclusion of Women & Girls in the Information Society“. In den OECD-Ländern ist der Digital Gap zwischen Frauen und Männern noch vergleichsweise gering, größer wird er im globalen Süden, wo die Nutzung von Computern und anderen teuren technischen Geräten für Männer reserviert ist. In den Ländern der Subsahara sind laut UN-Bericht etwa nur halb so viele Frauen online wie Männer. Somit haben Frauen laut Bericht nicht nur Nachteile hinsichtlich des Zugangs zu Information und Wissen – in einer Zeit, in der der OnlineHandel immer relevanter wird, geraten sie zudem ins ökonomische Hintertreffen. Der Report weist auch auf einen weiteren Aspekt hin: Ist für Frauen der Zugang zu Kommunikationstechnologien erschwert, können sie weniger Kompetenzen im Umgang mit diesen erwerben. Genau diese werden aber in vielen besser bezahlten Jobs verlangt.  pix Studie: http://bit.ly/1bxCMZE (PDF)

Veranstaltungen •  Intersex Solidarity Day, 8.11., Salzburg, www.hosi.or.at/events/9551/intersex-solidarity-day • Tagung „Familienpolitiken. Wie wollen wir leben und arbeiten?“, 14.11., Frankfurt am Main, www.gffz.de/1_3.html •  Veranstaltung „Angela Davis Reading Group“, 14.–15.11., Frankfurt am Main, www.frcps.uni-frankfurt.de/?page_id=2617 • Tagung „Was brauchen muslimische Schülerinnen für ein gelingendes Leben?“, 15.11., Wien, www.efeu.or.at/seiten/download/folderefeutagung.pdf

•  Inter*Tagung, 15.–17.11., Berlin, www.intertagung.de •  2. Frankfurter ProstitutionsTage, 22.–24.11., Frankfurt am Main, www.donacarmen.de/?p=413#more-413 •  Interdisziplinäre Konferenz „Armut. Gender-Perspektiven ihrer Bewältigung in Geschichte und Gegenwart“, 28.–29.11., Dresden, http://bit.ly/Hf6l57 •  1. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Geschlechterforschung „Konstrukt Geschlecht disziplinär/interdisziplinär/transdisziplinär. Ergebnisse, Herausforderungen und Perspektiven“, 5.–7.12., Wien, www.oeggf.at/cms/index.php/jahrestagungen.html

•  Symposium „Kultur- und Religionswissenschaftliche Reflexionen zu religiösen Phänomenen und ihre geschlechterkritischen Be/Deutungen“, 15.–17.11., Wien, www.frauenhetz.at

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sex im netz

Lust auf Knopfdruck Facebook, Parship, Chatroulette: Wie verändert das Internet die Sexualitäten von Frauen? Kerstin Pirker fasst die Ergebnisse ihrer Studie über Neue Medien und sexuelle Selbstbestimmung zusammen.

© Frauengesundheitszentrum Graz

1  z.B. André Aude/Silja Matthiesen: Mädchen und Selbstbefriedigung. Geschlechterunterschiede in Verbreitung, Frequenz und Einstellungen zur Masturbation. In: FORUM Sexualaufklärung und Familienplanung, 3. Köln 2013 2  An meiner Studie nahmen 34 Frauen aus Graz im Alter zwischen 16 und 54 Jahren teil. 23 leben laut Selbstbeschreibung heterosexuell, vier queer, sieben lesbisch.

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Seit rund zwanzig Jahren begleitet das Internet den Lebens-, Arbeits- und Kommunikationsalltag von Frauen und Männern – Tendenz steigend. Auch in puncto partnerschaftliche Beziehungen hat das Netz an Bedeutung gewonnen: Jedes dritte heterosexuelle Paar lernt sich heute via Internet kennen. Dahinter stehen auch enorme finanzielle Einnahmen für die AnbieterInnen, der virtuelle Flirt bei eDarling oder Parship ist ein konstant wachsendes Millionengeschäft. Neue Medien werden aber nicht nur für den Online-Flirt genutzt, sie üben auch einen Einfluss auf das sexuelle Leben von Frauen und Mädchen aus, die mittlerweile 48 Prozent der Internet-NutzerInnen ausmachen. Bekanntermaßen war Pornografie ein zentraler Antriebsmotor bei der Entwicklung des kommerziellen Internet. In Mainstream-Pornos, die die (zum Teil kostenlosen) Plattformen im Netz dominieren, treten Frauen überwiegend als Objekte – und nicht etwa als sexuell selbstbestimmte Subjekte – auf. Die Internetnutzung von Frauen erfolgt in einem gesellschaftlichen Klima, das durch ein markant negativeres Körpergefühl von Mädchen im Vergleich zu Burschen geprägt ist. Mädchen sind deutlich zurückhaltender und ablehnender gegenüber ihrem eigenen Körper, wie beispielsweise Studien zur Masturbation aufzeigen.1 Dafür dominieren

Frauen beim Thema sexuelle Lustlosigkeit. Auch nach vierzig Jahren Frauengesundheitsbewegung stellen so wichtige Aspekte wie das eigene Körperempfinden oder der Umgang mit dem eigenen Körper ein Tabu dar. On- und offline. Mittels eines Interviewleitfadens habe ich untersucht2, ob und wie das Internet die Selbstbestimmung im Sexualleben von Frauen fördert, ihr Verhaltensrepertoire erweitert und ihre Lust steigert. Was tun Frauen im Internet, wenn es um ihre Lust geht? Welche Auswirkungen hat das auf ihre Offline-Sexualität? Und bestehen dabei Unterschiede zwischen lesbischen und heterosexuellen Frauen? Alle von mir befragten Frauen, die das Netz offensiv und gerne nutzen, hatten bereits Erfahrung mit Single- oder PartnerInnenbörsen, viele besuchten Sexbörsen (wie zum Beispiel www. poppen.de), sehr viele waren schon in Sex-Chats. Unter ihnen bloggen einige zum Thema Sex oder schreiben pornografische Storys/Fanfiction, manche kaufen bei Online-Sexshops ein. Zwei Drittel der befragten Frauen nutzen pornografische Seiten: ein Drittel zur Masturbation und gemeinsam mit dem (männlichen) Partner, ein Teil davon hat selbst produzierte Filme ins Netz gestellt. Das zweite Drittel ist mit dem Angebot der großteils heterosexu-

ellen Pornografie und den sexistischen Inhalten zwar unzufrieden, nutzt sie aber dennoch. Ein weiteres Drittel lehnt Pornografie im Internet ausdrücklich ab. Nahezu alle Frauen haben angegeben, im realen Leben ein- oder mehrmals sexualisierte Gewalt erfahren zu haben, zwei Drittel von ihnen auch im Internet (durch verbale Belästigung und Fotos). Zum Beispiel erzählten einige Frauen, dass Chatpartner das Beenden des Kontakts nicht akzeptiert hätten. Übergriffe im Netz werden allerdings anders als offline wahrgenommen: „Wenn es einmal passiert, denke ich ‚Idiot‘. Wenn er dann nicht aufhört, fühle ich mich belästigt.“ Erschütternd ist auch, dass nur drei der 34 Frauen angaben, sich selbst schön zu finden. Dies kann als eine unmittelbare Reaktion der Teilnehmerinnen auf die stetig strenger werdenden Körpernormen interpretiert werden. Chat-Fantasien. Hinsichtlich On- und Offline-Sexualität zeigt sich in der Studie, dass Internetkontakt nicht automatisch zu schnellem realem Sexualkontakt führt. Die Kontaktaufnahme wird zwar erleichtert, hat aber auf den PartnerInnensex an sich wenig Einfluss. Gemeinsam erlebte Sinnlichkeit im Sinne von körperlich gefühlter Erfahrung verliert offenbar an Bedeutung: „Chatten ist weniger anstrengend


als ein One-Night-Stand, du musst keinen Orgasmus vortäuschen“, heißt es da, oder: „Es spielt sich alles im Kopf ab, der Körper steht im Hintergrund.“ Aus frauengesundheitlicher Sicht eine ernüchternde Bilanz. Die reale Welt hat Auswirkungen auf die virtuelle und umgekehrt, und wer im realen Leben sexuell selbstbewusst ist, wird es auch im Internet sein. „Was immer dasselbe bleibt, sind dein Kopf, deine Fantasien“, erzählt eine der Befragten. „Diese hast du, egal ob du im Internetkontakt bist oder im körperlich-sinnlichen Erleben. Fantasien habe ich, wenn ich mit meinem Freund schlafe, ich kann dieselben aber auch einsetzen und Erregung spüren, wenn ich mit jemandem in einem Chatroom Sex habe.“ Im Netz werden die abgebildeten Körper zur Norm, die im realen Leben hergestellt wird. Diese Entkörperung geht Hand in Hand mit medizintechnologischen Entwicklungen wie zum Beispiel „Schönheitsoperationen“, mit denen eine Designer-Vagina hergestellt wird.

deutlich leichter geworden, die Community und damit auch Partnerinnen zu finden, und das vor allem unabhängig vom realen Wohnort. Sexuelles Selbstbewusstsein. Tendenziell sind die meisten befragten Frauen dem Internet gegenüber positiv eingestellt, sehen klare Vorteile und nutzen diese. Das heißt jedoch nicht, dass sie unkritisch alles gutheißen würden. Viele äußern Sorge gegenüber jungen Mädchen, die ohne entsprechende Medienkompetenz die Folgen ihrer Netzaktivitäten nicht abschätzen könnten. Junge Frauen (35–) sind eher netzorientiert als ältere, die Internetnutzung ist für sie selbstverständlich und positiv besetzt. Ältere Frauen (35+) sind eher partnerInnenorientiert als jüngere, die Suche im Internet ist häufig schambesetzt. Deutlich wird in meiner Untersuchung auch, dass eine positive weibliche Körperrealität, etwa die positive Besetzung der eigenen Sexualorgane, reale wohlwollende Körpererfahrungen braucht, ein sinnliches Gegenüber. Die reale Beziehungsebene

„Chatten ist weniger anstrengend als ein One-Night-Stand, du musst keinen Orgasmus vortäuschen.“ Zugleich gibt es auch eine Abenteuerlust, im weiten Internet geschützte Intimität zu erleben („Viele sind geil drauf, private Details im Netz auszutauschen“). Informationen sind durch das Internet leichter zugänglich, das bringt Veränderungen vor allem für Jugendliche. Ob das Internet ein geschütztes Lernfeld darstellt, sei dahingestellt, viele Frauen benennen jedoch gerade diesen Aspekt als positiv: „Meine Gefühle beim Chatten erlebe ich allein. Es passiert etwas, aber mein Gegenüber merkt nichts davon.“ Fast alle Frauen genießen die neuen Kontaktformen im Internet, denn „ich kann mich neu erfinden, Teile von mir verleugnen.“ Lesbische und queere Frauen haben außerdem eher Vorteile als heterosexuelle. Das entspricht sowohl ihrer Selbsteinschätzung als auch der Zuschreibung durch andere Frauen. Es ist

bleibt ein unverzichtbares Lernfeld für Frauen und Männer. So bleibt es ein Ziel der Frauengesundheitsbewegung, die Körperrealitäten von Frauen zu verbessern. Das erreichen wir durch umfassende Aufklärung über die Klitoris, Lust und Orgasmus, durch eine wertschätzende Sprache über weibliche Lust, durch bessere sexuelle Kommunikation. Das sind die Voraussetzungen für sexuelles Selbstbewusstsein von Frauen – on- und offline. Wie eine meiner Interviewpartnerinnen festhält: „Es ist klar, worum es im Netz geht, ich kann schneller zur Sache kommen. Allerdings: Wenn ich weiß, was ich will, kann ich das auch face to face umsetzen.“  l Kerstin Pirker ist Sexualpädagogin und Sozialwissenschaftlerin im Frauengesundheitszentrum in Graz.

leben mit kindern

Elsa Hohlwein

Müder Sonntag Seit September geht unsere Ältere in die Schule, und die Übermüdung, die wegen schlafloser Babynächte vier Jahre lang Dauerzustand war, ist wieder in unsere Körper hineingekrochen. Die Wochentage beginnen um 6.30 Uhr mit Weckerläuten und einem Kind, das einem mit geschlossenen Augen ein „Ich hasse die Schule, ich will schlafen“ entgegenwimmert. Glücklicherweise wechselt dieser Zustand, sobald uns auf der Straße Hunderte andere völlig übermüdete Kinder auf dem Schulweg begegnen. Diese kollektive Müdigkeit transformiert sich dann in kollektives Geplapper. Und somit vollzieht sich der erste Anpassungsschritt gen Funktionieren am Arbeitsplatz. Der Schulstart brachte mit sich, dass ich zwei Therapiestunden damit verschwendete, über die Außenwahrnehmung unserer lesbischen Familiensituation zu sprechen. Bereits am ersten Schultag fragte mich im überfüllten Klassenraum voller aufgeregter Kinder mit Riesenschultüten eine Mutter im Detail über unsere Familienverhältnisse aus: Wo denn der Vater sei und aus welchem Land er komme und wie und was. Selbst als ich mich weggedreht hatte, hörten die Fragen noch lange nicht auf. Die vier Jahre Montessori-Kindergarten, wo den Kindern überlassen wurde, was sie basteln, bauen oder spielen wollen, sind mit einem Schlag vorbei: Nun werden schablonisierte Igel nach Hause gebracht, in die Kinder gleich lange Fäden als Stachel einziehen sollten, oder die Mädchen fädeln Holzketten auf, während die Buben hobeln. Wir haben unsere Ältere gefragt, ob sie es toll findet, wenn im Kunstunterricht die Gruppen nach Geschlecht getrennt werden. Ihre Antwort: „Hey Mami, kannst du aufhören … das nervt voll, wenn du so was sagst.“ Glücklicherweise fand sie es aber dann doch „doof“, als wir ihr erzählten, dass Mädchen früher gar nicht in die Schule gehen durften: „Echt unfair! Frechheit! Urgemein!“ Elsa Hohlwein lebt mit Freundin und zwei Kindern in Graz. Sie findet öffentliche Schulen trotz allem spitze. Illustration: Nadine Kappacher

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30 jahre stichwort

Stück für Stück Das Frauen- und Lesbenbewegungsarchiv STICHWORT feiert sein 30-jähriges Jubiläum. Warum es wichtig ist, jedes noch so kleine Flugblatt aufzuheben, erfuhr Svenja Häfner von Margit Hauser.

an.schläge: Es fällt auf, dass in diesem Jahr viele feministische Projekte dreißig Jahre alt werden. Wie lässt sich das erklären? Margit Hauser: Die Ausdifferenzierung der Frauenbewegung hat in Österreich Anfang der 1980er-Jahre eingesetzt. Forderungen etwa nach Frauenhäusern, Frauenarchiven oder autonomen Medien wurden in Form von Projekten umgesetzt. Viele dieser damals gegründeten Gruppen bestehen heute noch, aus manchen anderen Phasen existieren im Vergleich nicht mehr so viele. Wie haben sich die Arbeitsbedingungen von STICHWORT in den dreißig Jahren verändert? Ich überblicke nur 25 der dreißig Jahre. Es war ein Auf und Ab. Anfangs war es schwierig, von offizieller Seite wahrgenommen zu werden . Es gibt hier einen Unterschied zu vergleichbaren Einrichtungen in Deutschland, wo es für den Anfang durchaus eine Anschubfinanzierung gegeben hat. Wir haben klein begonnen und machen bis heute nur kleine Schritte. Ab 1990 lief es tendenziell besser. Wir haben 36 l an.schläge November 2013

uns einen gewissen Status erarbeitet, sowohl innerhalb der Frauenbewegung als auch gegenüber den Geld gebenden Stellen. In den 1990ern wurde erstmals eine fixe Anstellung möglich und damit auch eine zunehmende Professionalisierung.

Welche politischen Ziele wurden damals verfolgt, welche verfolgt STICHWORT heute? Es gibt einen grundsätzlichen Ansatz als feministisches Archiv, der gleich geblieben ist. Und das ist gut so. Von Anfang bis etwa Mitte der 1990erJahre waren wir vorrangig ein Informationspool und Hinterzimmer für die Neue Frauenbewegung. So wurde etwa ein aktuelles Flugblatt archiviert, und die Informationen wurden gleich wieder hergenommen, um die nächste Aktion zu planen. Also ad hoc archiviert und ad hoc auch wieder genutzt. Als Informationspool verstehen wir uns im Prinzip immer noch, aber was ab etwa 2000 noch dazugekommen und stärker geworden ist, ist die historiografische Nutzung. Die Frauenbewegung, die in die Jahre gekommen ist, wird als historische Bewegung in der Gesellschaft

wahrgenommen und ist damit auch Forschungsgegenstand.

Welche Bedeutung hat der Erhalt von Geschichte für die Frauenbewegung? Welches kritische Geschichtsverständnis steckt dahinter? Es ist ein Anspruch der Frauenarchive, die tradierte Geschichtsschreibung zu korrigieren und die weißen Flecken auf der Landkarte zu füllen. Frauenbewegungsgeschichte kann nicht in herkömmlichen Archiven – in Archiven, die Teil des Staates sind – adäquat archiviert werden. Viel Wissen über die Erste Frauenbewegung war zu Beginn der Neuen Frauenbewegung verschüttet – diese Erkenntnis führte schon bald Anfang der Siebzigerjahre zur Gründung von Frauenarchiven. Wenn wir unsere Bewegung nicht dokumentieren, dann tut es niemand. Und ich würde aus heutiger Sicht sagen: Mit unbequemen sozialen Bewegungen kann man unterschiedlich umgehen. Die Frauenbewegung wurde lächerlich gemacht und totgeschwiegen. Die Medien haben im besten Fall auf einige wenige Themen und Personen fokussiert. Und es ist heute erkenn-


30 jahre stichwort bar, dass sie mit ihrem Verschweigen und Totreden ganze Arbeit geleistet haben. Das Totreden setzte offensichtlich bereits unmittelbar nach Beginn der Frauenbewegung ein. Das Wissen über Frauenbewegung, Frauenpolitik, frauenpolitisches Handeln hat sich im gesellschaftlichen Bewusstsein nicht verankert, und wenn, dann oft nicht positiv. In Österreich meines Erachtens sogar noch weniger als in Deutschland. Und darum ist es extrem wichtig, dass es eine authentische Überlieferung davon gibt. Eine, die möglichst viel einschließt und nicht schon vorher entscheidet, was für eine spätere Zeit wichtig wird.

Nach welchen Kriterien sammelt bzw. archiviert ihr? STICHWORT dokumentiert die autonome Frauen- und Lesbenbewegung mit Schwerpunkt Österreich. Relevant für uns ist im Prinzip alles: alle Arten von Dokumenten zur Neuen Frauenund Lesbenbewegung. Wir haben einen relativ offenen Begriff, was ein Archiv ist, und das teilen wir auch mit anderen Archiven zur Frauenbewegung. Institutionelle Frauenpolitik dokumentieren wir nur am Rande. Das Archiv dokumentiert die Frauenbewegung entlang von Gruppen, und zwar allen Arten von Initiativen: von der dreitägigen Aktionsgruppe bis zum langjährigen Dachverband. Mit unserem verzahnten Erfassungs- und Erschließungssystem von Archiv und Bibliothek gewährleisten wir bestmögliche Auffindbarkeit von Dokumenten. Egal ob eine Frauengruppe ein Flugblatt gemacht, ein Buch produziert, ein Video gedreht, uns eine Fotosammlung überlassen hat oder ob es Zeitungsmeldungen sind. Die von uns praktizierte Erschließungstechnik ist sehr speziell und geht in Tiefe und Detailliertheit meines Wissens über die Systeme anderer feministischer Archive noch ein Stück hinaus. Wie kommt ihr an die Materialien, und wo gibt es Lücken? Wir schreiben die existierenden Frauengruppen in Österreich in größeren regelmäßigen Abständen immer wieder an. Wir erklären, was wir tun, warum wir es tun, warum es wichtig ist, und dass sie uns ihr Material schi-

cken sollen. Das klappt teilweise sehr gut, teilweise muss man immer wieder nachhaken. Wir erhalten das Material aber auch durch Schenkungen und Überlassungen, von Privatfrauen oder ehemaligen Mitarbeiterinnen, die es noch zu Hause haben und loswerden wollen. Diese Art der Einwerbung ist für Archive relativ ungewöhnlich, dass wir das Material Stück für Stück aus verschiedener Hand bekommen und es erst hier zu einem Bestand zusammenführen. Ein Thema der Zukunft sind Nachlässe von Aktivistinnen der Frauenbewegung. Wir konnten in den vergangenen Jahrzehnten ein gewisses Vertrauen innerhalb der Frauenbewegung aufbauen.

tiert sein. Oft gibt es politische Gründe hinter dem Scheitern, oder der Staat plant institutionell etwas Ähnliches zu machen. Es ist wichtig, auch das nachvollziehbar zu machen. In der Bibliothek versuchen wir durch die Sammlungspolitik auch die Entwicklung der Debatten und Theorien, die unterschiedlichen Ansätze sichtbar zu machen. Sowohl Frauenbewegungsliteratur als auch Theorie – reinzuholen, was es alles an Debatten gab und gibt.

Welche Bedeutung hat das Archiv im digitalen Zeitalter? Vor welchen Herausforderungen steht ihr? Das ist eine sehr schwierige Frage, mit

„Wenn wir unsere Bewegung nicht dokumentieren, dann tut es niemand.“ Aber auch wie wir physisch politisch mit dem Material umgehen, spielt eine wichtige Rolle, wenn sich Frauen entscheiden, uns Material zu übergeben – und nicht einem staatlichen oder einem gemischten Archiv. Für viele Überlasserinnen ist es sehr wichtig, dass wir uns als politisches Projekt der Frauenbewegung verstehen und ein Frauenraum sind. Auch die Professionalisierung spielt eine Rolle: dass sich langfristig eine Person, in dem Fall ich, um die Sachen kümmert und sie über Jahre im Blick behalten kann. Manche Übergaben haben ein Vorlaufzeit von zehn Jahren – und irgendwann fährt plötzlich das Auto vor und die Kartons werden ausgeladen. Und Vernetzung innerhalb der feministischen Szenen und möglichst quer durch ist wichtig – dazu braucht es das ganze Team bei STICHWORT. Wichtig ist auch, den Frauen zu kommunizieren, dass das, was sie zu Hause sammeln, überhaupt des Aufhebens wert ist. Oft sagen Frauen: „Ich habe ja nichts Großartiges gemacht“ oder „ich war nur Teil von …“. Vor allem bei Projekten, die nicht lange bestanden haben, stellt sich die Frage: Hatte das eine Bedeutung? Uns ist es auch wichtig, das Scheitern zu dokumentieren. Auch Gruppen, die jahrelang gekämpft und vergeblich Konzepte eingebracht haben, sollten dokumen-

der wir uns gemeinsam mit anderen Frauenarchiven auseinandersetzen. Es gibt einige feministische Archive, die zum Beispiel auch digitale Artikel elektronisch archivieren und anbieten. Aber das Netz abgrasen und diese Online-Dokumente abspeichern, das können wir nicht leisten. Wir würden es aber nehmen, wenn uns das jemand abgespeichert gibt. Man muss die Digitalisate auch ständig weiter migrieren, sodass sie auch in vierzig, fünfzig Jahren und danach noch gelesen werden können. Das ist ein Ressourcenproblem. Alternative Archive haben immer wieder die Forderung an die nationalen Bibliotheken gerichtet, das zu tun. Die Österreichische Nationalbibliothek tut das ja auch schon. Aber es passiert dabei genau dasselbe, was sonst auch passiert: Es wird eine Auswahl nach Relevanz gemacht. Und was in dieser Auswahl drin ist, ist wieder eine Frage des Blicks darauf.  l Margit Hauser ist langjährige Mitarbeiterin und Geschäftsführerin von STICHWORT. Svenja Häfner ist Unterrichtende, Finanzfrau, Mutter, und gelegentlich auch Schreiberin für die an.schläge.

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an.riss kultur Die 82-jährige Schriftstellerin wird ihre Auszeichnung aus gesundheitlichen Gründen nicht persönlich bei der Verleihungszeremonie am 10. Dezember in Stockholm entgegennehmen können. Munro hatte erst im Juni angekündigt, nicht mehr zu schreiben. Sie ist erst die 13. Frau unter den bisher über hundert von der Nobelstiftung ausgezeichneten Autor_innen. Munros Reaktion: „Kann das sein? Das ist ja unglaublich! Das macht mich noch glücklicher, dass ich diesen Preis bekommen habe. Für uns als Frauen.“  fis

ausstellung I Politische Zeitdokumente Filmstill aus: Monika Treut „Verführung. Die grausame Frau“ (1985)

filmpreis Feministische Austern In Berlin wurde am 19. Oktober zum dritten Mal der „PorYes-Award“, der feministische Pornofilmpreis Europas verliehen. Wie immer geht der Award an „Pornos mit feministischem Anspruch, die positiv, realistisch und bewusst Lust zugänglich machen“. Prämiert wurden diesmal die Avantgardistin Monika Treut, die als Vorreiterin mit „Die Jungfrauenmaschine“ und „Female Misbehavior“ die Bandbreite sexueller Identitäten vermittelte, die Schweizer Filmemacherin Cleo Uebelmann für den ersten lesbischen S/M-Film „Mano Destra“ von 1985, die Medienkünstlerin Shu Lea Cheang für ihre Umsetzung des Science-Fiction-Pornogenres sowie die junge queere Vertreterin Lola Clavo für ihre Darstellung weiblicher Sexualität. Ein Sonderpreis ging an die Schirmherrin und Ikone des feministischen Pornos, Ula Stöckl. Erstmalig erhielt auch ein Mann die Auster: Joseph Kramer, Pionier der Genitalmassage, der auch mit Annie Sprinkle zusammenarbeitete, steht mit seinen Filmen für ganzheitliche Sexualität und Spiritualität. Den Publikumspreis erhielten Monika Treut für „Verführung. Die grausame Frau" und Joseph Kramer für "Anal Massage for Lovers“. Der „PorYesAward“ wurde von der Sex-Aktivistin und Kommunikationswissenschaftlerin Laura Méritt und dem Netzwerk Freudenfluss initiiert und wird seit 2009 alle zwei Jahre vergeben.  fis www.poryes.de

literaturnobelpreis Meisterin der Short Story: Alice Munro Der diesjährige Nobelpreis für Literatur geht an die kanadische Autorin Alice Munro. Die Grande Dame der kurzen Form schrieb bereits als Schülerin und publizierte nach einem aus Geldmangel abgebrochenen Journalismus-Studium 1968 ihren ersten Band mit Kurzgeschichten; zwölf weitere und ein Roman, „Lives of Girls and Women“ (dt. „Kleine Aussichten. Ein Roman von Mädchen und Frauen“), folgten. Mit der Auszeichnung wird auch die moderne nordamerikanische Literatur und die Tradition der Gattung „Short Story“ geehrt. Im Zentrum der Geschichten von Munro, deren Stil häufig mit Tschechow verglichen wird, stehen meist Frauenfiguren und deren Lebensverhältnisse. Ihre Erzählungen sind von einer sehr klaren Sprache gezeichnet, die Darstellung von Ereignissen ist nah an der Realität. Prekarität und politische Verhältnisse spiegeln sich in den Beziehungen ihrer Figuren und den durchkomponierten Dialogen wider. 38 l an.schläge November 2013

Der österreichisch-britischen Fotografin Edith Tudor-Hart (1908–1973) ist derzeit im Wien Museum erstmals eine Einzelausstellung gewidmet. Sie sorgte mit ihrer sozialkritischen Herangehensweise an das Medium Fotografie seit der Zwischenkriegszeit für eindrucksvolle bildnerische Dokumente. Die als Edith Suschitzky Geborene studierte am Bauhaus in Dessau und arbeitete anschließend in ihrer Geburtsstadt Wien als Fotografin. Viele Jahre war die überzeugte Kommunistin auch als sowjetische Agentin tätig. 1933 flüchtete sie mit ihrem Mann Alex Tudor-Hart nach Großbritannien. In den Slums von London entstanden Fotoreportagen, die heute als Ikonen der Arbeiter_innenfotografie gelten. Sie dokumentieren den Alltag der einfachen Bevölkerung während des Zweiten Weltkrieges und die Auswirkungen der Industrialisierung in London und Wales. Ein weiteres Sujet der Fotografin waren Kinder und deren Lebensbedingungen in der Nachkriegszeit. Das Wien Museum präsentiert frühe Aufnahmen von Edith Tudor-Hart zwischen den Weltkriegen sowie eine Auswahl ihrer fotografischen Sozialreportagen, die in Großbritannien entstanden und heute größtenteils zum Bestand der National Galleries of Scotland gehören.  fis bis 12.1., Edith Tudor-Hart: Im Schatten der Diktaturen, Wien Museum, 1040 Wien, Karlsplatz 8, www.wienmuseum.at

ausstellung II Begehbare Bilder „BUT WE LOVED HER“ – der Name der Soloschau von Ursula Mayer geht auf die Schlagzeile zurück, die der Londoner „Independent“ anlässlich der Beisetzung von Margaret Thatcher druckte. Mayer fügt Versatzstücke, Momentaufnahmen aus Filmen, Texte aus Theorie und Alltag und mediale Bilder neu zusammen und rückt die Wahrnehmung der Betrachter_innen in den Mittelpunkt. Theoretischer Hintergrund ist u.a. Patricia MacCormacks Konzept der „Cinesexuality“. Die in Österreich geborene und in London lebende Künstlerin beschäftigt sich insbesondere mit der Frage, wie Realität hergestellt wird, und legt die Konstruktionen und die politische Wirkungsmacht von Bildern offen – Wiederholung und Variation spielen dabei eine wichtige Rolle. Im Wiener 21er Haus entsteht ein „kinematografisches Setting “, eine raumfüllende Installation. Filmmaterial wird dabei mit Objekten, Fotos und Skulpturen kombiniert – so entstehen begehbare Collagen. Einen Kernpunkt der Ausstellung bildet die Trilogie aus den Filmen „GONDA“ (2012), „MEDEA“ (2013) sowie der 16mm-Doppelprojektion „Cinesexual“ (2013), bei denen das Model Valentijn de Hingh und die Musikerin JD Samson mitwirkten.  fis bis 12.1., Ursula Mayer: BUT WE LOVED HER, 21er Haus, 1030 Wien, Arsenalstr. 1, www.21erhaus.at


musik Glamouröse Debütantinnen Welch hübscher Gründungsmythos: Judith Filimónova und Ankathie lernten sich bei einem Seminar zum Thema Frauen und Pop kennen. Sympathisch waren die zwei einander auf Anhieb, empfanden sich doch beide als Grantlerinnen, die gerne Leonard Cohen und Kate Bush hören. Das allererste gemeinsame Konzert wurde noch ohne jegliches Programm oder Proben verabredet und gab die Initialzündung zur Band. Seit 2011 machen Filimónova und Ankathie unter dem Namen Fijuka zusammen Musik. Mit Synthesizer und Bass macht das deutsch-österreichische Duo tanzbaren, melancholischen Pop. Das selbst betitelte, schön dick aufgetragen produzierte Debüt-Album mit toll harmonierenden Stimmen und der Faszination für Glam lässt auf ebenso mitreißende Live-Konzerte hoffen. Die Videoclips, die zum Album erschienen sind, zelebrieren die Achtziger: Bei „Behave (From Now On)“ etwa trifft rhythmische Sportgymnastik auf Disco. Am 7. Dezember (Mikes Werkstatt) und am 11. Dezember (brut) spielen Fijuka in Wien, einer Tour durch die Clubsäle Europas steht nichts mehr im Wege.  fis Fijuka: Fijuka. Seayou Records/Good To Go, www.fijuka.com

ausstellung III Ausgezogen Noch bevor Richard Gerstl und Egon Schiele mit ihren Ganzkörperakten für Aufsehen sorgten, wagte die Malerin Paula Modersohn-Becker (1876– 1907) bereits 1906 ein fast lebensgroßes Selbstporträt ohne Kleidung. Es gilt als erster weiblicher Selbstakt der Kunstgeschichte. Das nach ihr benannte Museum in Bremen zeichnet nun die Geschichte des weiblichen Akts seit Modersohn-Becker und somit auch ein Stück Historie der modernen Kunst nach. Neben Gemälden in ganz unterschiedlichen Stilen sind zahlreiche fotografische Selbstporträts seit dem frühen 20. Jahrhundert und Körperskulpturen, etwa von der Bildhauerin Louise Burgeois, zu sehen. Neu ist, dass eine Ausstellung erstmals den weiblichen Blick auf den eigenen Körper in den Mittelpunkt rückt. Zudem lässt sich anhand der einen Zeitraum von über hundert Jahren umspannenden Selbstporträts auch das veränderte Selbstverständnis der Künstlerinnen ablesen. Zu den präsentierten Arbeiten aus der ganzen Welt gehören u.a. Werke von Marina Abramovic´, Maria Lassnig, Clare Menck, Yoko Ono, Amrita Sher-Gil und Hannah Wilke.  fis bis 2.2., Sie. Selbst. Nackt. Paula Modersohn-Becker und andere Künstlerinnen im Selbstakt, Paula Modersohn-Becker Museum, 28195 Bremen, Böttcherstr. 6–10, www.pmbm.de

Aufrufe •  Rettet das Archiv Frau und Musik! Eine Petition (bis 25.11.) soll die drohende Schließung verhindern, da die Stadt Frankfurt am Main und das Land Hessen planen, Fördergelder drastisch zu kürzen bzw. gänzlich einzustellen. Seit über dreißig Jahren sammelt die einmalige Institution Kompositionen und Werke von Musikerinnen und Komponistinnen weltweit. www.archiv-frau-musik.de •  Für das Internationale Frauenfilmfestival Dortmund/Köln (IFFF) können Filme für die Sektionen „Internationaler Debüt-Spielfilmwettbewerb“, den „Nationalen Wettbewerb für Bildgestalterinnen“ sowie Filmbeiträge aller Genres und Längen für „Panorama“ und „begehrt! – filmlust queer“ eingereicht werden. Fristen: 29.11./10.1./31.1., www.frauenfilmfestival.eu

auch feministinnen altern

Birgit Meinhard-Schiebel

Weil Frau nicht darf, aber soll Frauen dürfen vieles nicht. Sie kommen schon artig auf die Welt. Früher einmal waren sie noch viel artiger und haben erst lernen müssen, dass Artigsein nichts bringt. Dass sie wählen dürfen, ist ein Privileg (und keine Selbstverständlichkeit). Dass sie beim Ausgang der Wahlen den Ausschlag geben könnten, dämmert einigen erst langsam. Männlich dominierte politische Parteien zerbrechen sich ungern den Kopf über sie. Aber sie müssen. Wenn Frauen genug davon haben, nur Stimmvieh zu spielen, gehen sie selbst in die Politik. Dort sitzen die großen Buben in ihrer Sandkiste, seit Jahrhunderten. Und staunen, wenn Frau mitspielen will. Geschlechterparität, wie es sie mittlerweile in manchen Gremien und Parteien gibt, sollen das Problem zumindest im Inneren lösen. Und geschlechtsneutrale festgelegte Redezeiten sind ja schon was. Was aber, wenn Frauen innerhalb ihrer Zeit weniger sagen, weil das, was sie sagen, Inhalt hat, der nicht mehr an Worten braucht? Und Männer auch ohne Inhalt die Zeit voll ausfüllen, weil sie da ist? Politische Arbeit ist eine emotionale Herausforderung. Nichts darf unter die Haut gehen, auch wenn es weh tut, persönlich ist und mitten in den Solarplexus geht. Frauen, die sich dagegen wehren, müssen damit rechnen, als unfähig für das politische Geschäft hingestellt zu werden. Männer gehen auf ein Bier. Wenn Frau sich als unverwundbar und unangreifbar zeigt, wird sie in der Kategorie „bissig“, „verhärmt“, „machtgierig“ etc. eingestuft. Wenn sie kompetent ist und im politischen Betrieb tüchtig, fleißig und erfolgreich, hat sie den Nimbus, sich zu sehr wie ihre männlichen Mitspieler zu verhalten. Frau und besonders Frau in der Politik darf vieles nicht – nicht zu erfolgreich sein, nicht zu wortgewaltig, nicht verwundbar, nicht zu stark, nicht zu schwach, nicht zu klug, nicht zu dumm. Frau soll alles sein und auf jeden Fall perfekt. Für Männer. Birgit Meinhard-Schiebel ist auf Facebook: http://facebook.com/birgit.meinhardschiebel Illustration: Nadine Kappacher :: meerweh :: gibt es da www.salon-nadine.at und dort http://meerweh.tumblr.com.

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popfeminismus

Spuren hinterlassen Der neu erschienene Band „Rebel Girl“ zollt der 2004 verstorbenen Journalistin Tine Plesch Tribut. Freundin und Musikerin/DJ Evi Herzing alias Eve Massacre editierte das Buch mit. Kendra Eckhorst erzählte sie vom „feministischen Versprechen“ im Pop. © Tobias Kühn/eartrumpet

Tine Pleschs Texte zu Feminismus und Popkultur haben bis heute nichts an Relevanz verloren. Auch für den Ventil-Verlag spielte die Journalistin eine zentrale Rolle – etwa bei der Herausgabe der „testcard“-Reihe. Umso näher lag die Idee für den Verlagsmitarbeiter Jonas Engelmann, gemeinsam mit Hans Plesch und Evi Herzing eine Sammlung von Tine Pleschs Texten herauszugeben.

Tine Plesch: Rebel Girl – Popkultur und Feminismus, ediert von Evi Herzing, Hans Plesch und Jonas Engelmann, mit einem Vorwort von Michaela Melián, Ventil Verlag 2013 s. auch Buchrezension auf S. 40

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an.schläge: Tine Plesch war eine sehr aktive Autorin, Journalistin und Moderatorin beim freien „Radio Z“ in Nürnberg. War es einfach, aus der Fülle der Materialien auszuwählen? Evi Herzing: Anfangs war es sehr verzettelt. Die Texte waren in diversen Fanzines, in der „testcard“ oder im „Yot-Infozine“ erschienen. Bernd Distler, ihr damaliger Lebensgefährte, hatte viele Texte und auch einige Radiosendungen und Vorträge in einem Online-Archiv zusammengetragen. Die Radiosendungen konnten wir leider nicht mit aufnehmen, aber ich denke, wir haben ganz gut ausgewählt. Einig waren wir uns alle sofort bei ihrem Text „Gender Trouble – Billy Tipton und ihr Leben als Mann“ über eine Musiker_in, die in den 1930er-Jahren als Mann und Pianist, Saxofonist und Entertainer auf nordamerikanischen Bühnen auftrat. Für mich ist Tine nicht nur die Frau, die über Feminismus geschrieben hat, sondern eine, die einen weiten Blick auf das Feld hatte und Künstlerinnen auch ein Podium gegeben sowie ihre

Geschichten nacherzählt und sichtbar gemacht hat.

Die einzelnen Kapitel sind als Straßenatlas angelegt. So gibt es Vorfahrtsstraßen, in denen die Bezeichnung „Frauenband“ diskutiert wird, oder Seitenstraßen, in denen die Ambivalenz des weiblichen Humors untersucht wird. Warum habt ihr dieses Bild gewählt? Wir saßen vor den kleinen Häufchen von Texten und wollten die Zusammengehörigkeit benennen. Gerade beim Artikel „Trinken, aber gar nicht immer übers Trinken schreiben“ kam uns das Bild des Auswegs, der Ausfahrt in den Sinn, und die weiteren Straßenbezeichnungen für die einzelnen Kapitel folgten. Gänzlich ohne Straßennamen kommt der schöne Einstiegstext „Büste und Büstenhalter“ aus, einer der wenigen persönlichen und humoristischen Texte von Tine. Tine Plesch prangerte die männlich dominierten Geschlechterverhältnisse und sexistischen Rollen in der Popkultur an und schrieb in einer Art Spurensuche nach (feministischen) Künstlerinnen und Musikerinnen gegen diese an. Sind Frauen in den letzten zehn Jahren in diesem Feld selbstverständlicher und präsenter geworden? Einerseits hat sich viel getan: Es ist

einfacher als Frau auf Tour zu gehen, die blöden Sprüche nehmen ab, und es gibt viel mehr selbstbewusste Frauen, aus dem Do-it-yourself-Umfeld ebenso wie im Pop. Andererseits gibt es einen Backlash. Im HipHop kommen Rapperinnen oder Beatbastlerinnen kaum vor, der weiße Indie-Bereich bleibt unangetastet, und auch die Ästhetik geht zurück zu den Mädchen im Kleidchen und mit langen Haaren. Problematisch finde ich diesen Rückwurf auf die schüchterne Heimchenfigur.

Tine Plesch sprach sich für die (Selbst-)Bezeichnung als „Frauenband“ aus, gerade auch, um sie sichtbarer zu machen. Wie hältst du es mit diesem Begriff? Ich kann das Wort nicht ausstehen und wähle lieber Umschreibungen, die weniger auf das Geschlecht reduzieren. Wenn ich eine Info für eine Veranstaltung schreibe und die Musikerin oder die Band feministische Inhalte benennt, nehme ich es auf, wenn es in den Texten oder im Auftreten keine Rolle spielt, ist es mir zu platt. Wie war das in deiner ehemaligen Band The Flamingo Massacres, in der du zusammen mit zwei weiteren Frauen von 1997 bis 2002 gespielt hast? Am Anfang haben wir diese Bezeichnung bewusst nicht mit aufgenommen.


Nachdem allerdings in einer Review von X-Mist, unserem späteren Label, unsere Schlagzeugerin Micha als Mann beschrieben wurde, konnten wir das so nicht stehen lassen. Trotzdem blieb es für uns ein blödes Wort, und wir ließen unsere feministischen Anliegen über die Songtexte einfließen. Mittlerweile arbeite ich lieber mit dem Begriff „queer“.

In ihren Aufsätzen konstatierte Tine Plesch, zu Beginn des 21. Jahrhunderts gebe es noch immer Berührungsängste mit dem Wort Feminismus. Inwiefern gehen heute Feminismus und Popkultur zusammen? Es ist immer noch nur eine kleine Szene, die sich auf den Feminismus bezieht. Bei den Popgrößen entscheiden weiterhin die PR-Be-

auch nach Deutschland und inspirierte eine Vielzahl von Bands. The Flamingo Massacres war für mich eine der Bands, die diesen Funken weitergetragen hat. Danach kamen die Ladyfeste – und dann erst einmal nichts. Wie ist es heute um das Feld bestellt? Ich bin ein bisschen raus aus den DIY-Punk-Kreisen. Aber ich sehe, dass es hierzulande viele Frauen in Konzertgruppen und spannenden DIY-Bands gibt, wie etwa Les Trucs, beißpony oder Ex-Best Friends. Jenseits des DIY-Kontextes gibt es Leute wie Emika mit ihrer düster-basslastigen Elektronik und sich offensiv um Sexualität drehenden Texten. Und es gibt in ein paar Städten wieder mehr Interesse an Theorie, Leute veranstalten neben Konzerten und Partys auch Vorträge, die kritisch

„Pop kann eine Einstiegsdroge sein, um sich mit Feminismus auseinanderzusetzen.“ rater, nach der Formel: „Kann ich oder kostet es mich Fans?“ Ideelles ist bei ihnen schwerlich auszumachen. Ebenso im großen IndieBereich, da dreht sich heutzutage alles schnell um das Marketing. Aber dort wo Feminismus sich im Pop zeigt, gibt es mehr Schattierungen denn je; da dürfte für jede und jeden etwas dabei sein.

Wo kann heute das rebellische und auch feministische Versprechen im Pop liegen? Im Idealfall kann Pop eine Einstiegsdroge sein, um sich mit Feminismus auseinanderzusetzen. Popfeminismus, so kritisch ich ihn lange gesehen habe, kann, weil er spielerischer und bunter herangeht, helfen, den Kopf von uralten Vorurteilen gegen Feminismus freizuwaschen. Feminismus im Pop wird in verschiedenen Szenen ganz unterschiedlich ausgeleuchtet und bietet die verschiedensten Anknüpfungspunkte. Die Riot-Grrrl-Bewegung schwappte in den 1990er-Jahren

das Rebellische im Pop (unter) suchen, und da wird Feminismus auch immer ein Aspekt sein. Heute liegt der Fokus weniger auf dem reinen Frauen-Ding, sondern Feminismus verschmilzt mit queeren Aspekten. Vielleicht ging es einige Jahre lang etwas entpolitisierter zu, aber gerade über die letzten ein, zwei Jahre hinweg regt sich doch wieder etwas. Selbst im bekannteren Pop sind ja mit Leuten wie The Knife, Grimes oder Austra wieder durchaus engagierte Künstlerinnen unterwegs. Ich finde nach wie vor, dass das Rebellische im Pop nicht nur über Texte funktioniert, sondern auch in den Strukturen mitgedacht werden muss, also wie die Szene organisiert ist. Und die DIY-Kultur ist immer noch das emanzipierteste Beispiel dafür.  l Evi Herzing alias Eve Massacre ist Musikerin, DJ, Veranstalterin und Bloggerin. Kendra Eckhorst ist freie Journalistin in Hamburg.

the fabulous life of a queer femme in action

denice

The show must go on and on This will be the last time I write about my book. Promise. Just let me have this one last satisfaction of rolling around in the harvested fruits of my labour, ok? So. I had my big night; the release party of my newborn. I woke up in the morning of the fiesta grande and realised that this was probably the biggest day of my life. So far. I mean, I will never give birth (to a child), I will never win an Oscar/Grammy/Nobel Prize and I sure as hell won’t climb Mount Everest or swim across the English Channel. So a night where I’m presenting my first book and where it’s ALL about me, is big. Huge. Well. If that doesn’t mean pressure … You know the feeling, right? It’s like when you get up in the morning of New Year’s Eve, look at your fancy dress hanging there in the closet and realise that tonight’s the night and you gotta have FUN, goddammit!!! Take that feeling and multiply it by a billion and there you go. Well. The party went fantastic! I stood there on stage looking out at my huge queer family, into all those faces of people I love, and I felt so fucking grateful. My fabulous guests gave a better show than I could ever have dreamt of and I felt like star, totally supernova style. Still, the hangover I had the next morning had nothing to do with alcohol. I woke up and realised that “that was it”. It’s over. My BIG night is over and will never come back. So I started to panic. Did I have enough fun? Did I savour the night to the fullest? Did I appreciate every single second? And it reminded me of my childhood Christmases where I kept the wrapping paper from all the gifts so that I could re-pack the presents and open them up again and again, celebrating Christmas Eve every day until January kicked in with its harsh reality. Oh damnit. I wish I could make people stand there night after night, cheering me on until I’ve sucked out every inch of flavour from that piece of candy that is my life. Are you in? Good! Let’s go! Denice thinks that Groundhog Day isn’t such a bad idea. Especially when it’s all about her. Illustration: Nadine Kappacher

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an.lesen

Das Rebellische im Pop Die Popjournalistin Tine Plesch trat stets gegen die männerdominierte Musikszene und den „als Sexyness getarnten Sexismus“ auf. „Rebel Girl“ bündelt ihre zentralen Texte. Von Philippa Schindler

© Bernd Distler

„Zack: Kam der blöde Tod.“ Im November 2004 starb Tine Plesch unerwartet an den Folgen eines septischen Schocks. Mit ihrem Tod ging dem Popjournalismus eine scharfsinnige Stimme verloren. Angetrieben von der Frage, wie sich Frauen – ob als Produzentinnen oder Konsumentinnen – hier verorten können, definierte Tine Plesch die Koordinaten der Poplandschaft neu, unter anderem als Moderatorin beim Nürnberger Freien Radio „Z“, als Journalistin und als Mitherausgeberin des popkritischen Magazins „testcard“. Ihren Beiträgen ist es mit zu verdanken, dass Gender kein weißer Fleck mehr in linksalternativen Medien ist. In „Rebel Girl. Popkultur und Feminismus“ erscheint eine Auswahl von Tine Pleschs Artikeln nun endlich in gebündelter Form. Herausgekommen ist eine Textsammlung, die ihre Wege noch einmal geht – und dabei viel Neues entdeckt.

Tine Plesch: Rebel Girl. Popkultur und Feminismus. Editiert von Evi Herzing, Hans Plesch und Jonas Engelmann Ventil Verlag 2013, 15,40 Euro

42 l an.schläge November 2013

Vorfahrtsstraßen. Popkultur, das war immer schon ein Spiegelbild gesellschaftlicher Zustände, war Tine Plesch überzeugt. Unabänderlich sind die Produktionsweisen der Popindustrie in das patriarchal-kapitalistische Gesellschaftssystem eingebunden. Und was am Ende rauskommt, ist in den allermeisten Fällen männlich codiert. Tine Plesch thematisiert diese Schräglage: Ihrer Ansicht nach können Frauen nur dann im Popbusiness erfolgreich sein, wenn sie mit den Regeln einer normierten Weiblichkeit konform gehen. Ob Madonna, Britney Spears

oder Christina Aguilera – den Chartmusikerinnen ist gemeinsam, dass sie „in halbvergessen geglaubten SexObjekt-Posen“ den heteronormativen, männlichen Voyeurismus bedienen. An der Männerdominanz der Musikszene ändert dann auch die Genre-Bezeichnung „Frauenband“ wenig, mit der explizit auf die Existenz weiblicher Künstlerinnen aufmerksam gemacht werden soll. Denn da sitzen Frauen, so Tine Plesch, „ungefragt und mit den besten Absichten versehen mal wieder am Katzentisch“. Seitenstraßen. Auch die Indie-Musikszene macht es sich mit der Haltung bequem, dass es, solange es den Kapitalismus gibt, eben auch zwangsläufig die Unterdrückung der Frauen gebe. Selbst die als politisch korrekt gefeierten Subkulturszenen, wie Hardcore oder Straight Edge, entpuppen sich bei genauerer Betrachtung als vornehmlich weiße Männerwelt. Diese Kluft zwischen politischem Anspruch und gelebter Realität kritisiert Tine Plesch in vielen ihrer Texte. Sie deutet aber auch auf Verschiebungen – nicht nur im Pop – hin und zeigt auf, dass sexistische Zustände bereits von vielen Künstler_innen angegriffen werden. Mit Witz und Ironie, so analysiert Plesch, machen sich PopsongLyrics über die alte Rollenverteilung lustig: „Für ’ne Frau gut“, singt etwa die Punkband Hans-A-Plast, und als „Pärchenlüge“ bezeichnen die Lassie Singers das heterosexuelle Konzept der Zweierbeziehung. Zum Schreien

komisch sind diese Artikel, in denen die schlagfertige Tine Plesch zeigt: Kritik muss nicht immer humorlos sein. Plesch wendet sich auch so sensiblen Themen wie zum Beispiel Gewalt gegen Frauen in Popsongs zu. Stinksauer nimmt sie dann die Texte deutscher Rapper auseinander und deklariert affirmative Plattenbesprechungen einmal mehr als Ergebnis eines verkommerzialisierten (männlichen) Popjournalismus. Ausfahrten. „Ich will, dass erstmal die Frauen sprechen“, schreibt Tine Plesch. Ihrer Meinung nach muss es mehr Schriftstellerinnen, Journalistinnen, Musikerinnen geben – schlichtweg mehr Frauen, die sich trauen, den Pop für sich mitzugestalten. Ermutigendes Beispiel ist die Autorin Dorothy Parker, deren Werke zwar in keinem literarischen Kanon auftauchen, die aber den US-amerikanischen Männerverein um Hemingway und Fitzgerald mit ihrem spitzzüngigen Humor ganz schön aufgemischt hat. Auch die auf der Riot-Grrrl-Action-Philosophie basierende Idee der Ladyfeste verteidigt Tine Plesch als eine sinnvolle Art der Selbstermächtigung. „Rebel Girl“ holt ins Bewusstsein, dass es – trotz Einheitsbrei und Kommerzialität – „das Rebellische im Pop“ noch immer gibt. Dass wir nicht den Kopf in den Sand stecken dürfen, sondern weitermachen müssen, ganz gleich welchen Geschlechts. In diesem Sinne appelliert Tine Plesch im letzten Satz von „Rebel Girl“: „Dranbleiben.“  l


an.lesen Auf Reisen

l  Was tun mit ungewollten Geschenken? Als Renate, Nele und Trudi zu ihrem Fünfzigsten eine Italienreise im Stile der Achtzigerjahre geschenkt bekommen, hoffen die Freundinnen zunächst noch auf einen Scherz. Doch plötzlich sind die Sachen gepackt, die Route steht fest, und alle drei sitzen mit jeder Menge Proviant im rostroten R4 „Fuchur“. Die selbsternannte „Öko-Karawane“ bahnt sich ihren Weg, und egal ob es um Jugendträume, den Duschraum des Roten Kreuzes oder um junge Männer mit Blumenkränzen geht – es wird alles geteilt, auch die „free hugs“. Wer wissen will, wie man einen Hund ohne Papiere über die Schweizer Grenze schmuggelt und ob Kerne von eingelegten Kirschen nach zwanzig Jahren tatsächlich weich werden, kann sich ein Schmuddelwetter-Wochenende auf der Couch von diesem unterhaltsamen Roman versüßen lassen. Dabei lernt man auch noch etwas über die Frauenbewegung der 1980er-Jahre und wird in Aufbruchstimmung versetzt. Am besten sofort den nächsten Sommerurlaub mit den Freund_innen planen! Das Handy darf aber nicht mitgenommen werden – wir sind ja schließlich in den Achtzigern.  Anja Trittelvitz  Christine Weiner: Drei Frauen im R4 Ullstein Verlag 2013, 15,50 Euro

Lebensläufe

l  Von Rahel Varnhagen bis Nina Hagen: Der Bildband „Berlinerinnen“ stellt eine große Bandbreite an beeindruckenden Persönlichkeiten aus Politik, Kunst und Wissenschaft aus drei Jahrhunderten vor. Selbstverständlich dürfen dabei Prominente wie Rosa Luxemburg, Marlene Dietrich und Christa Wolf nicht fehlen. Dennoch gibt es unter den zwanzig Porträtierten auch weniger bekannte Frauen zu entdecken: etwa die Ärztin Franziska Tiburtius, die Anfang des 20. Jahrhunderts in ihrer „Poliklinik weiblicher Ärzte“ mittellose Frauen behandelte, oder Clara Grunewald, die nach dem Ersten Weltkrieg Montessoris Pädagogik in Deutschland etablierte. Tragisch ist die Geschichte der Pilotin Melli Beese (1886–1925), die sich das Leben nahm, nachdem ihre Fluglizenz nicht verlängert worden war. Sie schrieb: „Fliegen ist notwendig, Leben nicht.“ Viele der porträtierten Frauen sind Kosmopolitinnen, manche besonders eng mit der ehemals geteilten Stadt verbunden, etwa die „Mutter Berlins“, die frühere Oberbürgermeisterin (1947/48) Louise Schroer, bis heute die einzige Politikerin an der

Spitze der Hauptstadt. Faszinierend ist auch die Beschreibung der grotesken Tänze, die Valeska Gert um 1917 aufführte, und wie Charlotte von Mahlsdorf (gebürtig Lothar Berfelde) das Gründerzeitmuseum etablierte und im Keller die Einrichtung der berühmten Ostberliner Kneipe „Mulackritze“ wieder aufbaute. Einziges Manko: Die Porträts der Berlinerinnen sind durchwegs als Lebensläufe von der Geburt bis zum Tod gestaltet, Platz für Kontroversen und Exkurse bleibt kaum. Dafür bietet das Buch spannende Begegnungen sowie zahlreiche Illustrationen und kolorierte Fotografien. Fiona Sara Schmidt Martha Wilhelm: Berlinerinnen. 20 Frauen, die die Stadt bewegten Elsengold Verlag 2013, 20,60 Euro

Queerstory

l  Queer bezeichnet nicht nur ein Begehren. Queer ist auch das kritische Bewusstsein und das widerständige Handeln gegen Normen und Zwänge – auf dass eine Lücke entstehe, ein Platz für neue Möglichkeiten. Ihn anzureichern und zu füllen hat sich Herausgeberin Marie-Christina Latsch mit „Mind The Gap“ zur Aufgabe gemacht. Herausgekommen ist eine bis ins Kleinste durchdachte Collage, die uns durch 143 Jahre queerer Geschichte führt. Und weil die ja bekanntlich von Menschen gemacht wird, setzt sich das Buch zu einem großen Teil aus Biografien zusammen: Von Gertrude Stein bis Kathleen Hanna, auf diesem Walk of Fame der queeren Stars und Sternchen bleibt kaum ein Name unbesprochen. Blogtexte, Lyrics und intime Gedanken über den eigenen Queer-Begriff verschönern die Seiten. Am Ende des Bandes ist die queere Geschichte dann auch im Hier und Jetzt angekommen: Sookee rappt noch schnell ein Lied runter, und beim Weglegen des Buches spüren wir noch das Gewicht eines wirklich aufrichtigen und klugen Beitrags in unseren Händen.  Philippa Schindler

treibt mit dem kleinen Mädchen bösen Schabernack. Kaugummi ins Haar spucken inklusive. Es ist zum Fürchten – oder eher zum Sterben, wie Kira meint. Erst als ihr die Idee kommt, das Wild auf ein Blatt Papier zu bannen – sicher eingesperrt in einem mit Kugelschreiber gemalten Marmeladenglas –, findet das ungeheuerliche Auflauern ein plötzliches Ende. Alles prima. Vorerst. Denn auch ohne Wild kriegt Kira Stress, etwa mit den Pausenbrot klauenden Jungs Max und Oliver vom Kindergarten. Wie praktisch wäre jetzt so ein Wild mit Schreckfaktor – und tatsächlich: Das Wild ist zu Diensten, bleckt seine Zähne, und die Buben laufen. Und es handelt sich dabei nicht um ein „Scharfzahnhamsterkätzchen“, wie die Jungs zunächst angenommen haben. Die Schweizer Autorin Viola Rohner und die polnisch-deutsche Illustratorin Dorota Wünsch haben ein flottes Bilderbuch geschaffen, das vom Ängste-Überwinden und Starkwerden erzählt. Und die Geschichte endet nicht einfach damit, sich monstermäßig Respekt verschafft zu haben: Kira schließt letztlich mit den beiden Jungs Freundschaft – und so hat die Bezwingung der Angst auch den Weg für neue Bande frei gemacht.  Vina Yun Viola Rohner, Dorota Wünsch: Das Wild im Marmeladenglas Peter Hammer Verlag 2013, 15,40 Euro

Marie-Christina Latsch (Hg.): _ Mind The Gap. Einblicke in die Geschichte und Gegenwart queerer (Lebens)Welten Unrast Verlag 2013, 20,40 Euro

Scharfzahnhamsterpupklein  l  Der Weg zum

Kindergarten ist für Kira ein Spießrutenlauf. Immer wenn sie das Waldstück durchquert, hockt das Wild in den Bäumen und November 2013 an.schläge l 43


an.lesen Gratwanderung

bonustrack: Electric Indigo

l  Es fällt schwer, Ruth Klügers Texte zu lesen, ohne an das Vernichtungslager Auschwitz zu denken. Aber ist es nicht recht verkürzend, einen Menschen und seine literarischen Beiträge auf die Grausamkeiten zu reduzieren, die er_sie erfahren hat? In ihrem neuen Lyrikband „Zerreißproben“ kommentiert Klüger eine Auswahl ihrer eigenen Gedichte, zwei davon hatte sie während und kurz nach ihrer Internierung in Auschwitz verfasst. Dabei gelingt es Klüger, das universelle interpretatorische Potenzial ihrer Lyrik nicht zu untergraben. Sie fügt private Details hinzu, gibt aber nicht Aussage und Bedeutung vor. Klüger, die selbst jahrzehntelang als Hochschullehrerin Gedichte anderer besprochen hat, gibt den Blick auf eine erfahrene, weltoffene und reflektierende Beobachterin des eigenen Wesens frei – oder, in Freud’scher Manier ausgedrückt, einen Blick auf die Konversation zwischen ihrem Ich und Es. In ihrer persönlichen Aufarbeitung der Vergangenheit und deren Wirken in die Gegenwart webt Ruth Klüger geschickt griechische Mythologie, Literaturgeschichte und Volkskunde in ihre

Werke ein. Und wiewohl der Schatten von Auschwitz stets in ihrem Leben präsent sein wird, findet Klüger mit ihren Gedichten einen Weg, sich ihren Erlebnissen zu stellen und gleichzeitig neuen Erfahrungen Raum zu geben.  Denise Beer Ruth Klüger: Zerreißproben. Kommentierte Gedichte Paul Zsolnay Verlag 2013, 15,40 Euro

Machtverhältnisse

l Der Zusammenhang zwischen Geschlecht und Gewalt sorgt seit jeher für kontroverse innerfeministische Debatten. Im Sammelband „Gewalt und Handlungsmacht“ setzen sich die Autor_innen mit den aktuellen queer_feministischen Diskussionen über Gewalt, Gewaltbegriffe und Handlungsmacht/Agency auseinander und geben Einblick in die verschiedenen Forschungsfelder ihrer wissenschaftlichen Disziplinen bzw. Berufsfelder. Herausgeberin ist das Gender Initiativkolleg der Universität Wien, der Band basiert auf einer Ringvorlesung, die 2011 stattfand. Das erste Kapitel,

„Kritische Perspektiven auf innerfeministische Machtverhältnisse“, stellt dabei einen gut gewählten Einstieg dar. In vier Beiträgen werden Auseinandersetzungen rund um die Intersektionalitätstheorie und analytische Kategorien sowie das (Nicht-)Thematisieren von Rassismus besprochen, wobei auch die eigenen Bedingungen der Wissensproduktion und akademische Strukturen innerhalb des Initiativkollegs thematisiert werden. Die Autor_innen beleuchten zudem Migrationsdiskurse in Politik und Wissenschaft – oder genauer: die Gewalt von Diskursen über Migration und Ländergrenzen – ebenso wie die Konstruktion des „kulturellen Anderen“ im Zusammenhang mit Gewaltverhältnissen und dem (feminisierten) „Opfer“-Begriff. Die einzelnen Beiträge beziehen sich aufeinander, wodurch (produktive) Konflikte und die Komplexität des Themenfeldes sichtbar werden. Brigitte Theißl Gender Initiativkolleg (Hg.): Gewalt und Handlungsmacht. Queer_Feministische Perspektiven Campus 2012, 35,90 Euro

Zeitdilatation

Während ich mich mit dem Schließen von Physik-Bildungslücken beschäftige und lerne, wie Transformatoren und Spulen funktionieren, hat es das Jahr ungeheuer eilig, zu Ende zu gehen. Es war doch eben erst Sommer! Meine interne Zeitmessung gibt an, dass es vor etwa zehn Tagen das letzte Mal so richtig heiß war. Leistung ist verrichtete Arbeit pro Zeiteinheit. Physikalisch gesehen wäre es also korrekt zu behaupten, dass ich seit Ende des Sommers Höchstleistungen vollbracht habe. Immerhin habe ich fast fünfzig Minuten neue Musik erfunden, einen neuen Podcast aufgenommen und mich insgesamt mindestens 15.000 Zeichen lang zum Thema Frauen in der Clubkultur geäußert. Dazu sei mir die leise Randbemerkung gestattet, dass ich diesbezüglich schön langsam eine Pause

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brauche, es hängt mir nämlich grad ein klein wenig zum Hals raus, das Thema. Ich habe versucht, ein paar kluge und recht persönliche Gedanken zum selbstvergessenen, völlig versunkenen Finden und Erzeugen von Klängen niederzuschreiben – auf Englisch, sonst hätte ich das ja gleich hier reinkopieren können, denn der Versuch war erfolgreich. Noch besser ist allerdings die dabei geschaffene Soundscape gelungen (granulare Resynthese von zerbrechenden Gläsern). Ich habe mich befreiend mit Kolleginnen gestritten und ebenso befreiend wieder versöhnt. Daneben ging ich noch meinen üblichen Geschäften nach – auflegen, reisen, ein paar Gigs organisieren und der ganze private Kram. Außerdem steht ein neues Projekt mit der Autorin Olga Flor kurz vor dem Abschluss. Also: Wie war das in dieser knappen Zeit möglich? Irgendein Wert in meiner Gleichung „P = ∆W / ∆t“ stimmt nicht oder hat eine extreme Größe. Habe ich wirklich so ein riesiges „P“? Oder ist doch etwas bei der Feststellung von „t“ schiefgelaufen? Am Ende ist das „W“ kleiner als gedacht? Ein kleines „W“ geht gar nicht. Ich muss etwas vorweisen. Bald, sehr bald! Ich stehe nämlich in der Schuld des Bundesministeriums. Anfang 2014 muss ich Rechenschaft ablegen. Electric Indigo bereitet sich psychisch auf ein Versiegen des Geldregens namens Staatsstipendium vor. Illustration: Lina Walde


an.klang

Dunkle Seiten

Unerwartete Genre-Kombinationen, skizzenhafte Soundexperimente und beherzte Postpunk-Gitarren – Christina Mohr hat sich durch die neuesten Herbstalben gehört.

Die in Melbourne geborene und in Berlin ansässige DJ und Singer-/Songwriterin Justine Electra stellt mit ihren Albumtiteln Genres infrage. Green Disco (Neun Volt Records) kann man sich als zunächst abstraktes, dann aber ganz konkretes Konstrukt vorstellen: Electra liebt synthetische HipHopBeats und Samples, gleichzeitig gibt es aber auch sehr präsente Folk-Elemente und klassische Instrumente wie Klavier und Kalimba, die das Grüne, Organische repräsentieren. Aber vielleicht ist das viel zu kompliziert gedacht und Frau Electra lacht sich über die Interpretationsversuche kaputt. Also nochmal von vorn: „Green Disco“ ist Justine Electras lang erwartetes neues Album nach sieben plattenfreien Jahren, das sie in Eigenregie herausbringt. Jeder Song birgt Überraschungen: „Wild Country Boy“ klingt erstmal fröhlich und naturverbunden, aber wie so oft bei Electra steckt das Dunkle, Böse in den Lyrics. „Nippon Darkness“ wirkt bekannt und ist es auch: eine Coverversion von Bonnie „Prince“ Billys „I See A Darkness“, die schon auf der DVD-Doku über den Techno-Club Tresor zu hören war. Was nochmals unterstreicht: Justine Electras Musik ist elektronisch und folkig und das nie im Widerspruch, sondern in wundervoller, berlinesker, melancholischer Euphorie. Nanna Øland Fabricius alias Oh Land verfolgt einen ähnlichen Ansatz wie Justine Electra, nämlich die Kombination HipHop-beeinflusster Beats mit Popmelodien und fiesen Texten. Allerdings geht die Dänin etwas erfolgsori-

entierter vor als ihre Berliner Kollegin und veröffentlicht alle zwei bis drei Jahre ein neues Album. Wish Bone (Federal Prism Records/WMG) wurde von Dave Sitek (TV on the Radio) produziert und ist im positiven Sinn ein Hochglanzprodukt: Hier stimmen jeder Ton und jedes Detail, der Sound ist klar und transparent, sanfte Popmelodien wie „Cherry on Top“ wechseln sich mit deftigem HipHop ab. Lasst „My Boxer“ mal so richtig laut aus den Boxen laufen und ihr wisst, was ich meine … „Love A Man Dead“ ist tanzbarer R’n’B und eine augenzwinkernde Drohung: „My heart is my only weapon / I can love a man dead“. Wegen ihrer spektakulären Bühnenkostüme wurde Oh Land mit Lady Gaga verglichen – die froh sein könnte, wenn ihr ein so abwechslungsreiches, spannendes Album wie „Wish Bone“ geglückt wäre. Dieses Album ist ein „grower“: Aus den leisen, spröden Klangskulpturen schälen sich peu à peu hypnotisierende Melodien und manchmal eingängiger Elektro heraus wie bei „Dripstone Cave“, shoegaziger Indiepop („Lost Winter“) oder die traurige Folkballade „Glacial Moraine“. Mit ihrer neuen Platte Walk the Distance (Tapete/Indigo) kehrt das Berliner Allroundtalent Clara Hill zu ihren Wurzeln zurück: zum unbefangenen, skizzenhaften Soundexperiment, das nicht unbedingt zum fertigen, leicht konsumierbaren Song führen muss, aber kann. „Herkömmliche“ Instrumente wie Gitarre und Klavier spielen ebenso wichtige Rollen wie Standuhr-Glocken oder

Oh Land © Jeremy Williams

Kinderspielzeug, die Stimme wird als zusätzliches Instrument eingesetzt, mal als Chor geschichtet, dann wieder klar in den Vordergrund gerückt. „Es ist ein sehr persönliches Album, auf dem Hill ihre dunklen, nachdenklichen Seiten zeigt und gar in psychedelische Sphären entführt. Zum Schluss etwas völlig anderes: Talulah Gosh aus Oxford existierten nur zwei Jahre lang (1986–88), begründeten in dieser kurzen Zeit aber ihren Status als die Twee-Band schlechthin. Gosh-Gründerin Amelia Fletcher, die 2012 übrigens den Turner-Preis für eine Videoinstallation erhielt, sorgte mit ihrem hellen, mädchenhaften Gesang und dem beherzten Postpunk-Gitarrenspiel für den charakteristischen Sound; die Texte handelten von Problemen, die Jugendliche halt so haben (falsche Klamotten, falscher Freund, doofe Eltern), und waren natürlich viel schlauer, als die vorgeschützte Niedlichkeit nahelegte. Insgesamt nahmen Talulah Gosh nur 29 Songs auf, die nun erstmals komplett auf dem unverzichtbaren Doppelalbum Was It Just A Dream? (Damaged Goods/Trost) versammelt sind.  l

http://justineelectra.blogspot. de www.ohlandmusic.com www.clarahill.com www.damagedgoods.co.uk

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an.sehen

Öde Wildnis Der Anti-Western „Meek’s Cutoff“ kommt ganz ohne Revolverhelden aus. Stattdessen stehen die von Hollywood vergessenen Frauen des „Wilden Westens“ im Mittelpunkt. Von Brigitte Theißl

© absolut Medien GmbH, www.absolutmedien.de

Oregon, 1845. Inmitten der steinigen Hochebene, fernab von besiedelten Gebieten, bewegt sich ein Treck mit Planwagen und Pferden auf den Horizont zu. Der Wind fegt über den ausgetrockneten Boden, die Gesichter der SiedlerInnen sind von Schmutz bedeckt. Eine Szene, die jedem beliebigen Western entnommen sein könnte, doch Regisseurin Kelly Reichardt stellt schon zu Beginn von „Meek’s Cutoff“ ihre Perspektive auf den „Wilden Westen“ eindrücklich dar. Bei einer Flussüberquerung sind zwei Frauen in langen Kleidern zu sehen, die sich Schritt für Schritt durch das brusthohe Wasser kämpfen, in Körben recken sie angestrengt ihr Hab und Gut in die Höhe. Fast schon dokumentarisch nähert sich Reichardt dem mühseligen Vorankommen der Siedlerfamilien und stellt drei Frauen in den Mittelpunkt – allen voran Emily Thetherow, gespielt von Michelle Williams, die schon in „Wendy und Lucy“ (2008) mit der USamerikanischen Independent-Regisseurin zusammengearbeitet hat. Verloren im Outback. Die Geschichte lässt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen: Drei Siedlerfamilien haben den Trapper Stephen Meek angeheuert, der sie über die Cascade Mountains führen soll. Meek meint eine 46 l an.schläge November 2013

Abkürzung zu kennen und führt den Treck über einen unmarkierten Weg in die Felsenwüste Oregons. Aus versprochenen zwei Wochen werden fünf, die Wasservorräte gehen zur Neige und die SiedlerInnen beginnen, Meek zu misstrauen. Schließlich stoßen sie auf einen indigenen Bewohner, dessen Sprache sie nicht verstehen und auf dessen Ortskenntnis sie – trotz feindseliger Ablehnung – schlussendlich angewiesen sind. Während des gesamten Films wird nur das Nötigste gesprochen, die Ausweglosigkeit und die Skepsis Meek gegenüber ist allein an der Mimik Michelle Williams’ abzulesen: Gemeinsam mit Zoe Kazan und Shirley Henderson liefert sie eine großartige schauspielerische Leistung in dem minimalistisch gehaltenen Western ab. Perspektivenwechsel. Wenn sich die drei Frauen auf einer Anhöhe in der Wüste Oregons versammeln und stumm auf ihre Männer hinunterblicken, die über das Schicksal ihres Trappers entscheiden, wird eine Perspektive eingenommen, die klassischen Hollywood-Western gänzlich fehlt. Die Siedlerinnen werden beim mühseligen Kaffeekochen noch vor dem Sonnenaufgang und beim Wäschewaschen gezeigt, beim Beraten über ihre Lage, die letztendlich von Männern

fremdbestimmt wird. Dabei reicht das Dokumentarische, das Abbilden des beschwerlichen Alltags mitunter bis an die Grenze zur Langeweile. Um Reichardts Anti-Western genießen zu können, muss man sich auf seinen spezifischen Rhythmus und seine Liebe zum Detail einlassen können. Auf der visuellen Ebene gibt es da vielerlei zu entdecken: atemberaubend schöne Landschaftsaufnahmen, die raue Wildnis, die in ihrer Weite zugleich bedrohlich, fast schon apokalyptisch wirkt. Die Stille wird in „Meek’s Cutoff“ lediglich unterbrochen vom Knarren und Knirschen der Wagenräder und meditativer, zumal unheimlicher Filmmusik. Als Emily schließlich zur Waffe greift, um Meek – rein aus rationalem Kalkül – davon abzuhalten, den namenlosen Indigenen zu töten, wird ein politischer Konflikt angedeutet, jedoch nicht weiter ausgeführt. Letztlich fügen sich die subtilen Andeutungen zu einem stimmigen Gesamtbild zusammen. Der Film dekonstruiert den Mythos der männlichen, heldenhaften Eroberung im Hollywood-Western auf eine zurückhaltende Art – mithilfe glanzloser Monotonie.  l „Meek’s Cutoff“ (USA 2010) ist vor Kurzem auf DVD (in der englischsprachigen Originalfassung mit deutschen Untertiteln) beim Peripher Filmverleih erschienen.


an.künden From Eye to Ear

Speak Up Julia Guther, Foto: YOUKI 2013

Foto: Bruno Belcastro/flickr

Slammen für Gewaltfreiheit! Im Rahmen der internationalen Kampagne „16 Tage gegen Gewalt an Frauen und Mädchen“ lädt „Klappe auf!“, ein Zusammenschluss frauenpolitischer Organisationen, zum Poetry Slam. Wer mit selbst verfassten Texten für jeweils maximal fünf Minuten ein Mikro für sich allein beanspruchen will, sollte sich rasch anmelden, die Teilnehmer_innenzahl ist auf zwölf beschränkt. Zuhörer_innen – je mehr, desto schöner – sind natürlich sehr willkommen. 28.11., 19.00: Poetry Slam: A Room Of One’s Own, Lokativ, 1020 Wien, Arnezhoferstr. 12, www.lokativ.at, Anmeldung für Slammer_innen bis 26.11. unter silvia.samhaber@aoef.at

Zu Gast bei ... Nawel Louerrad*

Ein eigenes Plattencover gestalten können Jugendliche auf dem YOUKIFestival, das heuer bereits zum 15. Mal in Wels stattfindet. Das breit gefächerte Programm richtet sich an Nachwuchstalente, die sich für Medien und Film begeistern und in diesem

Bereich tätig sind oder sein wollen. In zahlreichen Workshops und Vorträgen sowie mit einem umfassenden Filmprogramm wird hier Medienund Kulturarbeit auf kreative und unterhaltsame Weise nähergebracht, u.a. durch die Berliner Illustratorin Julia Guther: Sie zeigt, wie Musik auf Papier „gebannt“ wird und so ein kreatives Plattencover entsteht. 19.–23.11.: 24. YOUKI – International Youth Media Festival, Wels, div. Locations, div. Unkostenbeiträge, Infos und Anmeldung auf www.youki.at

Queer durchblicken Die erst vor einem Jahr gegründeten queeren migrantischen Filmtage in Wien sind das europaweit einzige Festival, das sich der Schnittstelle von Migration und queerer Sexualität widmet. Auf dem Programm stehen Filme, die auf unterhaltsame Weise von der Vielfalt migrantischer Queers erzählen, aber auch zu kritischer Reflexion auffordern. Die Themen- und Genrevielfalt reicht von Coming-out und erste Liebe in Polen über HIV und politische Proteste in den USA bis hin zum Kampf der LGBT*-Community in Russland. Empfehlung!

Foto: luckyboo/photocase

4.–8.11.: Zweite queere migrantische Filmtage, Schikaneder, 1040 Wien, Margaretenstr. 24, freier Eintritt, Tickets und weitere Infos auf www.migay.at

Paula Bulling, www.paulabulling.net

* http://nawel-louerrad.blogspot.de

TiPps im November

November 2013 an.schläge l 47


an.künden Genderschmiede Filmreif

Sonja Eismann © Alicia Kassebohm

© Pia Clodi

Flüsterzweieck – das sind Ulrike Haidacher und Antonia Stabinger, die sich als Kabarett-Duo auf diversen Kleinkunstbühnen und bei Radio FM4 einen Namen gemacht haben. Bei ihrer Salzburg-Premiere nehmen sie sich des großen Themas „Liebe“ an – und dabei gängige Klischees von Liebensfilmen auf die Schippe. Weiters auf der Checkliste: Horror, Action, Romantik, Skulpturen und Esel – eine absurde Mischung, auf die sich das Publikum freuen kann!

Der Begriff Gender sorgt bis heute für kontroverse Debatten. Das Festival „Literatur im Herbst“ widmet sich in seiner diesjährigen Ausgabe unter dem Motto „Gender tun und

lassen“ diesem vielfältigen Begriffskomplex von Geschlecht, Identität und Rollenbildern. U.a. werden Oksana Sabuschko und Thomas Meinecke, der in seinem Roman „Tomboy“ Geschlechterrollen und Popkultur literarisch verarbeitet hat, aus ihren Arbeiten lesen. Im Vorfeld des Festivals werden zudem Workshops angeboten, u.a. zu Fashion (mit Sonja Eismann und Lisa D.) und Pornografie (mit Horst Stein und Laura Méritt). 15.–17.11.: Literatur im Herbst – Gender tun und lassen, Theater Odeon, 1020 Wien, Taborstr. 10, Eintritt frei, Infos auf www.alte-schmiede.at

„Neuer“ Feminismus in der Kunst?

7.11., 20.00: Flüsterzweieck – „Wie im Film nur ohne Walter“, ARGEkultur Salzburg, 5020 Salzburg, Ulrike-Geschwandtner-Str. 5, Tickets € 14/€ 12, www.argekultur.at, www.fluesterzweieck.at

Fat Feminism Foto: Bettina Enzenhofer

Gegen Körpernormen, Lookism und Diskriminierung wehrt sich FAT UP, ein queer_feministisches Kollektiv aus Berlin, das aus fetten_dicken Trans*LesbenFrauen besteht. Im Rahmen der jährlichen von der AG

Queer Studies organisierten Ringvorlesung berichten sie von ihrer Arbeit, beleuchten die Verbindungen zwischen Queer-Theorie, Körpernormen und Kapitalismus und stellen vor, wie Fat Empowerment aussehen kann. An weiteren Terminen der Ringvorlesung spricht u.a. Sookee über Männlichkeitsentwürfe im deutschen Rap und Joke Janssen über queere Kinderbücher. 20.11., 19.00: Fat Empowerment – Ringvorlesung AG Queer Studies, Universität Hamburg, Raum 0079, 20146 Hamburg, Von-Melle-Park 5, www.agqueerstudies.de/programm

Nina Hoffmann: Gruppenbild mit Dame, 2011, Courtesy of the artist

Zahlreiche Arbeiten einer nach 1970 geborenen Generation von feministischen Künstler_innen sind in der Gruppenausstellung „Girls Can Tell“ in Bremen zu sehen. Wie sich der Umgang mit feministischen Themensetzungen verändert und feministische Ideen an Selbstverständlichkeit gewonnen haben, lässt sich an den Werken der 13 Künstler_innen ablesen: Mittels Fotografien, Zeichnungen, Skulpturen und Installationen präsentieren sie unterschiedliche Perspektiven auf heutige Geschlechterrollen. bis 2.2.2014: Girls Can Tell, GAK – Gesellschaft für aktuelle Kunst, 28199 Bremen, Teerhof 21, www.gak-bremen.de

48 l an.schläge November 2013


das illustrierte werbe-wäh

eine lady genießt und schreibt

Melanie Letschnig

Emma Goldbitch

I have the time of my life!

pin-ups OFF THE ROKKET. Yori Gagarim

Die werte Redaktion wünscht sich ‘ne Sexkolumne passend zum dreißigsten Geburtstag der an.schläge, und voilà: Here it is. Zufälligerweise bin ich nahezu gleich alt, wenn auch einen Hauch älter, dafür im Vergleich noch keine dreißig Jahre durchgängig feministisch bewegt (sondern ungefähr 25, aber das ist eine andere Geschichte). Frauen über Dreißig haben ja – schenkt man diversen, in der heterosexuellen Medien-Matrix konstruierten Umfragen Glauben – den besten Sex ihres Lebens. Männer hingegen erleben ihre sexuellen Höhepunkte um die Zwanzig, danach geht die Lustkurve steil bergab. Das sei aufgrund der Hormone so, beziehungsweise (meine These), weil Frauen im Patriarchat an die zehn Jahre benötigen, um herauszufinden, was sie sexuell wie genau haben wollen, und weitere fünf, um den Mut aufzubringen, ihren (männlichen) Partnern das auch mitzuteilen. So viel der biologistischen Argumente. Guter Sex ist nicht schwer. Timing, Location und persönliche Befindlichkeit bilden den Rahmen, der Rest ist Fingerspitzengefühl, Einfühlungsvermögen und viel, viel, viel Kommunikation. Wie man tollen Sex hat, kann gelernt werden – es gibt Eltern und/oder FreundInnen, die einer die Liebe zum eigenen Körper trotz gegenteiliger Bemühungen von Kirche, Staat und Kapitalismus beibringen, empowernde SexratgeberInnen, bemühte TherapeutInnen und die unendlichen Weiten des Internet. Und natürlich die an.schläge sowie DIY-Zines, Bücher, Zeitschriften, Riot-Grrrl-Bands und feministische Künstlerinnen, die mit einem klaren Pro-Sex-Standpunkt Millionen Frauen* – mich inklusive – dabei begleitet haben, großartigen Sex zu haben und sich nicht mit dem Mittelmaß zufriedenzugeben. Dreißig Jahre an.schläge stehen für dreißig Jahre feministische Kämpfe. Somit ein HAPPY BIRTHDAY! auch an dieser Stelle – mögen die Sektkorken knallen, Sprüh- und Glitzerregen überall, und mit Pauken und Trompeten in die nächsten dreißig Jahre! (Und als kleine Ergänzung zur Kolumne von letztem Monat: Der Hund schaut weg. Angewidert. Oder eifersüchtig. Wir wissen es nicht.) Emma Goldbitch wollte nie erwachsen werden und findet die Dreißig plus nun doch überhaupt nicht schlimm. Illustration: Nadine Kappacher

November 2013 an.schläge l 49


° ° °° R e c o r d s °° P r e s e n T °°° °^°° ° ° °°° °

PLAIDED PLAYDATE LP / CD / DI (fett028)

TIRANA TALEA 7“ / DI (Fett31) out Next:

Crazy BItch In A Cave

Rear-View Mirror 7“ / DI (Fett033)

JUST FRIENDS AND LOVERS WhAT, COLOUR? LP / DI (fett032)

please check out our New Homepage for Further updates. --> www.fettkakao.com

Internationales Jugend Medien Festival, Wels 19.-23. November 2013 www.youki.at

WORKSHOPS: REGIE: Marialy Rivas, ILLUSTRATION: Julia Guther, FILMKOMPOSITION: Richard Eigner , BANDCOACHING: Veronika Eberhart & Vera Kropf NIGHTLINE: Aloa Input, Morr Music, Christof Kurzmann, Loving.The.Alien, B.Fleischmann, Sex Jams, Zur Hertha, Al Bird Dirt u.a. >RAUSCH<: Tino Hanekamp, Brigitte Marshall u.a.


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AIVERY EP Release: 12. 11. / fluc, Vienna unrec07

MAYR+Ste McCabe SPLIT EP UNRECORDS is a queer-feminist record label, based in Vienna. Its aim is to support experimental/noise/punk/rock music in a queer-feminist context.

Release: 23. 11. / rhiz, Vienna

..Ihr drittes Soloalbum schliesst athmosphärisch nahtlos an seine beiden Vorgänger (Baden-Baden und Los Angeles) an, die Stimmung ist getragen und „filmreif“, melancholisch spannungsvoll und gleichzeitig sehr zurückgelehnt.. DeBug ..Die Musik ist so einfach und raffiniert wie das Cover des Werks.. frieze

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Weitere Infos und Leseproben unter: www.avant-verlag.de an.schläge Nr. 11/ 13, 27. Jahrgang, € 3,80 (Ö)  € 4,80 (D)  sfr 9,00 , ISSN 1993-3002,  P.b.b. Erscheinungsort Wien, Verlagspostamt 1040 Wien, envoi à taxe réduite, GZ 02Z031419 M


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