2010_10_anschlaege

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€ 3,80 (Ö) € 4,80 (D) sfr 9,00

l l an.schläge das feministische monatsmagazin. oktober 2010

Good Night, Daddy’s Pride!

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Schnupperabo (3 Hefte): 10 / 12* Euro Jahresabo (10 Hefte): 35 (ermäßigt 29) / 45* Euro

Unterstützungsabo (10 Hefte): 43 * gültig für Europa, w

eitere Auslandspreise

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Infos und Bestellungen unter abo@anschlaege.at oder auf www.anschlaege.at

Sorglose Väter Bad Daddies und die Obsorge-Debatte Queer with(out) Borders Asylpolitiken in der Festung Europa Peaches Mit der ganzen Kraft eines Musicals Plus: Mindestlohn für Pflegekräfte >> Straßenstrich in Wien >> Feminizide in Oaxaca >> Nicht-normative Kinderbücher >> Bettelverbot >> Pornos für Frauen >> und vieles mehr

an.schläge Nr. 10/10, 24. Jahrgang, € 3,80 (Ö) € 4,80 (D) sfr 9,00 , ISSN 1993-3002, P.b.b. Erscheinungsort Wien, Verlagspostamt 1010 Wien, envoi à taxe réduite, GZ 02Z031419 M


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an.schläge Politik 06 >>>

an.riss politik

08 >>>

Fürsorglich, warmherzig und ausgebeutet Pflegekräfte aus Osteuropa bekommen in Deutschland noch immer keinen Mindestlohn

10 >>>

Straßenstrich ohne Straße Das Sieben-Punkte-Programm der Stadt Wien schützt AnrainerInnen statt SexarbeiterInnen

12 >>> 14 >>>

Ein staatliches Verbrechen Interview: Die Anwältin Yesica Sánchez Maya spricht über die Feminizide in Oaxaca an.riss international

Thema: Queer with(out) Borders 17 >>>

Rosa gestempelt Wie sieht der Flüchtlingsschutz für Queer Refugees in der „Festung Europa” aus?

20 >>>

S.O.S Queer Die „Einheit Europas” wird durch einen sexuellen Rettungsdiskurs gestärkt

22 >>>

Keine Sackgasse Interview: Mahshad Torkan über das Doku-Drama „Cul de Sac” mit Kiana Firouz

Gesellschaft 24 >>>

an.riss arbeit wissenschaft

26 >>>

Alternatives Begehren Worin sich der Frauenporno von der Mainstream-Pornografie unterscheidet

28 >>>

Sorglose Väter Die Väterrechtler kämpfen weiterhin erbittert um mehr Einfluss

Kultur 34 >>>

Neue Tonlagen Interview: Peaches feiert Jubiläum und nützt dazu die Kraft eines Musicals

36 >>>

Neue Bilderbuchfamilien Der NoNo-Verlag aus Berlin veröffentlicht nicht-normative Kinderliteratur

an.sage: Nachhilfe für Privilegierte sprechblase: Sager des Monats plusminus: Renten-Ringen vs. Renten-Riegel an.frage: Happy Birthday, Milena! medienmix: Denkwerkstatt, The Real L Word, Alley Cat an.sprüche: Pro & Pro Betteln an.lesen: Jennifer Haigh, Carolin Schairer, Davide Cali/Sonja Bougaeva, Posy Simmonds, Susie Orbach, Vera Schwarz an.klang: Christiane Rösinger, Stella, We Love, Zazie von einem anderen Stern an.sehen: Fast Sex an.künden: Termine & Tipps

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Kolumnen

an.riss kultur

Rubriken

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neuland zeitausgleich heimspiel lebenslauf lesbennest bonustrack: clara luzia katzenpost zappho des monats

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editorial Nach vielen Jahren hat unsere Kollegin Svenja Häfner den Entschluss gefasst, sich neu zu orientieren – leider bedeutet das auch, dass sie unser Team verlässt. Svenja hat bei den an.schlägen als Autorin begonnen und sich bald auch im Redaktionskollektiv engagiert. Als die Stelle der Buchhalterin frei wurde, nahm sie die Herausforderung an und steuerte das an.schläge-Schiff um jede finanztechnische Klippe und durch jeden organisatorischen Sturm. Dass sie nun mit Anfang September von Bord gegangen ist, löst Traurigkeit an Deck aus, denn wir verlieren nicht nur eine gute Buchhalterin, sondern auch eine kluge, verlässliche und herzliche Kollegin. Verena Stern, die im Frühling als Praktikantin zu den an.schlägen kam und seither zu einer geschätzten Autorin wurde, übernimmt nun die Stelle als Buchhalterin. Wir wünschen Svenja alles Gute auf ihrem neuen Weg und heißen Verena herzlich im Büroteam willkommen!

an.schläge werden gefördert von:

Feminist Superheroines Rosa Louise Parks (1913–2005), Pionierin der Bürgerrechtsbewegung in den USA. In den 1940ern arbeitete sie als Sekretärin bei der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP). Am 1. Dezember 1955 wurde Rosa Parks verhaftet, weil sie sich weigerte, ihren Sitzplatz im Bus für einen Weißen freizumachen, wie es die damalige „Rassentrennung“ in Montgomery, Alabama vorsah. Dieser Akt zivilen Ungehorsams mündete in den „Montgomery Bus Boycott“, der von Martin Luther King angeführt wurde und später die Aufhebung der „Racial Segregation“ innerhalb der öffentlichen Verkehrsmittel nach sich zog. Illustration: Lina Walde

impressum Herausgeberinnen und Verlegerinnen: CheckArt, Verein für feministische Medien und Politik. A-1030 Wien, Untere Weißgerberstr. 41, T. 01/920 16 76, e-mail: redaktion@anschlaege.at, office@anschlaege.at, www.anschlaege.at l Koordinierende Redakteurinnen: Sylvia Köchl, office@anschlaege.at, T.01/920 16 78, Vina Yun, redaktion@anschlaege.at, T. 01/920 16 76 Buchhaltung, Abos: Verena Stern, buchhaltung@anschlaege.at, abo@anschlaege.at l Termine, Tipps: Nadine Kegele, termine@anschlaege.at l Inserate: Michèle Thoma, mi.thoma@chello.at l Redaktion: Bettina Enzenhofer/be, Svenja Häfner/svh, Andrea Heinz/han, Sylvia Köchl/sylk, Silke Pixner/pix, Fiona Sara Schmidt/fis, Verena Stern/vers, Lea Susemichel/les, Irmi Wutscher/

trude, Vina Yun/viyu l Praktikum: Anita Weidhofer/atina l Texte: Eva Bahl, Mirjam Bromundt/mij, Kendra Eckhorst, Sonja Eismann, Denice Fredriksson, Judith Götz, Silke Graf, Beate Hammond, Ana Hoffner, Gabi Horak/GaH, Kathrin Ivancsits/kaiv, Nadine Kegele/nad, Verena Kuckenberger, Katharina Ludwig, Clara Luzia, Mieze Medusa, Birgit MeinhardSchiebel, Alexandra Siebenhofer, Bettina Surtmann, Marion Thuswald, Verena Turcsanyi l Layoutkonzept & Layout: Lisa Bolyos l Coverillustration: Lisa Max l Cartoons & Illustrationen: Paula

Bolyos, Nadine Kappacher, Lisa Max, Bianca Tschaikner, Lina Walde, Zappho l Fotos: an.schläge-Archiv, Agnes Achola, Carla Bobadilla, Kevin Collins, Drifting Falling, Emma Dilemma/

photocase.com, Petja Dimitrova, http://greys-anatomy-online.com, Nilbar Güres, Philippe Leroyer, Mobilefilm/Thimfilm, Daniel Pasho, polyfilm Verleih, Hansel Sato, scott_flickr,

Carleton Torpin, Doro Tuch, XL Recordings l Homepage: Mirjam Bromundt, www.anschlaege.at l Druck: H.R.G. Druckerei © an.schläge: Titel, Vorspann und Zwischentitel von der Redaktion.

Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht der Auffassung der Redaktion entsprechen. Kürzungen vorbehalten. l ISSN 1993-3002

04 l an.schläge Oktober 2010


an.sage

Nachhilfe für Privilegierte Ein Kommentar von Bettina Enzenhofer

Andrea S. ist Lehrerin an einer Wiener HTL. Bis zum Ende des vergangenen Schuljahres war sie ihren Arbeitskolleg_innen noch als Walter S. bekannt. Dann outete sie sich in einem Brief an den Schuldirektor: Sie wolle künftig ihrem „innersten Wesen Ausdruck verleihen” und im neuen Schuljahr als Frau erscheinen. Das empörte den Obmann des Elternvereins: Dietmar Doubek forderte, dass Andrea S. vom Dienst freigestellt werden sollte, „solange die Auswirkungen auf die Schüler, die ja selbst noch ihre Identität suchen, nicht geklärt sind”. Mit dem Phänomen der Transidentität an sich hätte der Elternverein aber „überhaupt kein Problem”. Eine von der Schule als „Expertin” hinzugezogene Ärztin und Psychotherapeutin meinte: „Diese Konfrontation ist eine tief greifende basische Identitätsfragestellung, sie ist verwirrend, kann aber auch traumatisierend wirken. Dazu kommt, dass Lehrer Führungsverantwortliche mit Vorbildwirkung sind. Eine professionelle Begleitung ist unabdingbar.” Der Direktor der Schule betrachtete den „Fall” als „sensibel” und wollte sich vor dem Entscheid des Bildungsministeriums dazu nicht weiter äußern. Im Ministerium zeigte man sich jedoch wenig beeindruckt von der Aufregung über die transidente Lehrerin: Es käme auf die Qualifikation der Lehrkraft an, nicht auf deren äußeres Erscheinungsbild, hieß es. Man gab das OK für Andrea S. – wenngleich mit der Einschränkung, dass „begleitende Maßnahmen” an der Schule notwendig seien. Geplant sind eine Informationsveranstaltung, eine „Service-Telefonnummer” für Schüler_innen und Lehrer_innen und die Thematisierung von Transsexualität im Unterricht. Für den Elternverein und den Direktor ist die Welt wieder in Ordnung. Auch wenn einige Medien versuchten, die Debatte weiter zu pushen – der öffentliche Sturm der Entrüstung blieb weitgehend aus. Oder ging in eine unerwartete Richtung: „Es ist unerträglich, wenn jemand aufgrund seiner Hautfarbe, seines Geschlechts und/oder seiner sexuellen Orientierung diskriminiert und an der Ausübung seines Berufes gehindert wird! Ich

möchte, dass mein Sohn die beste Ausbildung erhält, und zwar von kompetenten, engagierten Lehrerinnen und Lehrern, die ihren Beruf mögen und gerne Wissen und Fertigkeiten vermitteln”, schrieb etwa eine Elternvertreterin an die Schuldirektion. Die Schulsprecherin der HTL meinte: „Es ist gut, wenn man aufklärt – wer es noch nicht weiß. Aber man sollte kein großes Trara darum machen.” Auch in den einschlägigen Internetforen herrschte überraschenderweise mehr Toleranz und Wohlwollen, als man dies sonst gewohnt ist. Sollen wir uns nun ausnahmsweise über österreichische Zustände freuen? – Wohl eher nicht. Entgegen mehrerer Urteile von Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshof missachtete etwa das Innenministerium konsequent, dass der Operationszwang für Transsexuelle rechtswidrig ist, so auch beim Antrag von Michaela P. Im Februar hob der Verwaltungsgerichtshof den diesbezüglichen Bescheid des Innenministeriums auf, seither dürfen Transsexuelle endlich unter bestimmten Auflagen, jedoch auch ohne genitalverändernde Operation, ihren Personenstand ändern. Besonders ärgerlich ist aber auch das Unwissen diverser Journalist_innen, selbst in „seriösen” Tageszeitungen. Eine kurze Nachhilfestunde: Transsexualität hängt nicht mit der sexuellen Orientierung zusammen. Transsexualität ist auch nicht mit Intersexualität gleichzusetzen. Transsexuelle Menschen sind keine Transvestiten. Und transsexuelle Menschen wollen keine Geschlechtsumwandlung, sondern eine Anpassung ihres Geschlechts. Was hier also sichtbar wird: Privilegierte Menschen, deren Stimmen gehört werden, finden es nicht der Mühe wert, sich zu informieren. Aufklärung ist also notwendig – offenbar jedoch vor allem außerhalb der Schulen, denn die Schüler_innen der Wiener HTL haben mit dem „neuen” Geschlecht ihrer Lehrerin kein Problem. l

Oktober 2010 an.schläge l 05


an.riss politik jubiläumsfest 25 Jahre LEFÖ

österreichische volkspartei Zu viele Quotenmänner

Seit einem Vierteljahrhundert bietet der Wiener Verein LEFÖ Beratung, Bildung und Begleitung für Migrantinnen. Das Angebot ist vielfältig: LEFÖ ist vor allem Beratungsstelle für lateinamerikanische Einwanderinnen, die dabei unterstützt werden sollen, ihre Rechte als Frauen und Migrantinnen in der österreichischen Gesellschaft autonom und selbstständig durchzusetzen. Neben Bildungsangeboten und Öffentlichkeits- und Vernetzungsarbeit hat LEFÖ mit TAMPEP auch ein Programm mit Beratung und aufsuchender Gesundheitsprävention für Migrantinnen in der Sexarbeit und ist außerdem Interventionsstelle für Betroffene von Frauenhandel. Das runde Jubiläum wird nun kräftig gefeiert: Am 1. Oktober steigt das „stimm.Fest” mit Live-Musik, Visuals, LEFÖ-Herstories, Festreden, Mitternachtseinlage und Buffet. Das Motto des Festes ist ein Statement für politische Partizipation: „ich STIMMe mit” – eine STIMMe, ein STIMMrecht, MitbeSTIMMung. Auch wir gratulieren zum Geburtstag! GaH

Maria Rauch-Kallat ist am 8. September als Vorsitzende der ÖVP-Frauen zurückgetreten, ihre Nachfolgerin ist Dorothea Schittenhelm. Diese kündigte an, sie wolle sich in der ÖVP-Fraktion im Nationalrat um eine 50:50-Quote bemühen, denn dort gebe es „zu viele Quotenmänner”. Rauch-Kallat hatte den Chefinnen-Posten zwölf Jahre lang bekleidet und war von 2003 bis 2007 Frauenministerin der schwarz-blauen Regierung. trude http://diestandard.at

grundeinkommen Unternimm das jetzt! Sicherer Job, sicheres Einkommen, Zukunftspläne statt Zukunftsängste – für immer mehr Menschen ist das kaum mehr vorstellbar. Anlässlich der Verhandlung der Petition zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens am 8. November ist in Berlin für den 6. November eine Großdemo geplant, mit der ein Zeichen „für Freude, Fülle, gemeinsamen Wohlstand” gesetzt werden soll. han www.unternimm-das-jetzt.de

mädchengesundheit Girls Guide

LEFÖ, 1050 Wien, Kettenbrückengasse 15/4, T.: 01/581 18 81, office@lefoe.at, www.lefoe.at

Das Grazer Frauengesundheitszentrum hat im August das Projekt „Mädchengesundheit Steiermark” ins Leben gerufen. Ein Ergebnis ist der „Girls Guide” – ein Plan, der mädchenspezifische Gesundheitsangebote in vier steirischen Bezirken aufzeigt. Es besteht nämlich Handlungsbedarf: Mehr als die Hälfte der steirischen Buben gibt einen ausgezeichneten Gesundheitszustand an, bei den Mädchen sind es jedoch nur 37 Prozent, heißt es im steirischen Kinder- und Jugendgesundheitsbericht. atina

„stimm.Fest” am 1.10., ab 19.30, 1040 Wien, Ost Klub, Schwarzenbergplatz 10, UKB 10 Euro

Der Girls Guide interaktiv auf www.fgz.co.at/Girls-Guide.594.0.html

 Macht es dir was aus, wenn ich mein Shirt „

ausziehe?“

Trevor, Brad und Ryan sind heiß. Auf Damenbinden. Im jüngsten Werbespot der Marke Stayfree (hierzulande: Carefree) fürs kanadische Fernsehen treffen wir jeweils einen der drei „Traumtypen“ (häuslich, kinderlieb, liebt Mutti) zum privaten Date. Und plötzlich stehen sie da, mit nacktem, durchtrainiertem Oberkörper und präsentieren uns die schier unglaubliche Saugkraft der „Stayfree Ultra Thin Pad“. „Ich hasse Feuchtigkeit“, sagt Ryan. Uns bleibt angesichts dieses „menströsen“ SoftpornoSettings aber ohnedies die Spucke weg. viyu

06 l an.schläge Oktober 2010

plus

Ringen um Rente (±)

Riegel vor Rente (–)

Die französische Regierung will gegen Unternehmen vorgehen, die Frauen bei der Bezahlung diskriminieren. Unterscheiden sich die Gehälter der weiblichen Angestellten von ihren Kollegen um mehr als ein Prozent, gibt’s für die Firma eine Geldstrafe. Gute Idee – wäre sie nicht Teil der Pensionsreform, die Präsident Sarkozy trotz massiver Proteste von Gewerkschaften und Opposition noch im Herbst durchboxen will. So sollen u.a. das gesetzliche Renteneintrittsalter von 60 auf 62 Jahre angehoben und die Beitragsdauer verlängert werden. viyu

Annemarie Aufreiter, die langjährige Lebensgefährtin der im Februar verstorbenen Ex-Frauenministerin Johanna Dohnal, erhält keine Hinterbliebenenrente. Ein entsprechender Antrag der Witwe wurde kürzlich im Ministerrat abgelehnt: Sie sei nicht die erforderlichen drei Jahre „verheiratet” gewesen. Eine dürftige Erklärung, denn das hiesige Gesetz zur Eingetragenen Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare trat erst mit 1. Jänner 2010 in Kraft – Aufreiter und Dohnal ließen sich als eines der ersten Paare in Österreich „verpartnern”. viyu


an.frage sexistische werbung Schluss mit Sex sells Am 18. Oktober lädt Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek zu einer Fachtagung zum Thema „Sexismus in der Werbung” ein. Dabei sollen vor allem Modi zur Umsetzung des von ihr mehrfach eingeforderten Verbots sexistischer Werbung diskutiert werden. Internationale Referentinnen werden in Vorträgen ihre Herangehensweisen präsentieren. Anschließend findet eine Podiumsdiskussion statt, u.a. mit Ina Freudenschuss und Elisabeth Holzleithner. HeinischHosek wie auch Judith Schwendtner, Frauensprecherin der Grünen, forderten bereits im Februar (anlässlich eines sexistischen Werbevideos für das Bundesheer) entsprechende Maßnahmen – nun bahnt sich die Umsetzung an. vers 18.10., 10–17.00, Kongresssaal des Bundeskanzleramts, 1010 Wien, Ballhausplatz 2, Anmeldung bis 11.10. unter martina.janich@bka.gv.at

aktionswoche Still Loving Activism Von 22. bis 31. Oktober finden in ganz Österreich die Aktionswochen gegen Repression („Still Loving Activism”) statt. Ziel der Veranstaltungen ist es, dem repressiven Klima in Österreich (Stichwort Hausdurchsuchung beim Verein Kaleidoskop und zweimonatige U-Haft für vier AktivistInnen wegen des berüchtigten Mafia-Paragrafen) etwas entgegenzusetzen und zu zeigen, dass man/frau sich weder einschüchtern lässt, noch in nächster Zeit nichts anderes mehr zu tun hat, als Anwält-Innen zu organisieren und für die Rechtshilfe Spenden zu sammeln. pix Infos zu den Vorbereitungstreffen oder Veranstaltungsideen an lovingactivism@riseup.net

solidarität Rettet das Amerlinghaus! Das Amerlinghaus im siebenten Wiener Gemeindebezirk, bekannt als Anlaufstelle für soziale Initiativen, Kulturprojekte und politische Gruppen, muss möglicherweise bald schließen. Der Grund: Es fehlt an Geld – die Subventionen wurden seit Jahren nicht mehr der Inflation angepasst. Solidarisch kann man_frau sich mit einem Mail an Bürgermeister Michael Häupl, einer Unterschrift der Online-Petition oder finanziell mit der Beteiligung an einem Überbrückungskredit zeigen. Sollte die Rettung nicht gelingen, dann wäre das das Ende einer 35-jährigen Geschichte. 1975, als das „Spittelbergviertel” des siebenten Bezirks noch überwiegend von (migrantischen) Arbeiter_innen bewohnt wurde, machte eine Gruppe von Aktivist_innen gegen den drohenden Abriss der alten Biedermeier-Häuser mobil und besetzte kurzzeitig das leer stehende Geburtshaus des Dichters Friedrich Amerling. Nach erfolgreichen Verhandlungen mit der Stadt wurde das Amerlinghaus 1978 als Kultur- und Kommunikationszentrum eröffnet. Das Spittelbergviertel veränderte sich in den folgenden Jahrzehnten komplett. Es wurde so gründlich saniert, dass es schließlich zu einem Musterbeispiel der Gentrifizierung, also der Verbürgerlichung, in Wien wurde. Trotz aller Kritik am Projekt Amerlinghaus (z.B. es habe seine Ansprüche an selbstverwaltete und kritische Kulturarbeit quasi verkauft) wäre sein Ende doch ein herber Verlust, denn es gibt nicht viele Orte in Wien, in denen linke Gruppen kostenlos Räume benutzen können. Oder direkt dort unterkommen, wie etwa das „zentrum exil”, das Literatur- und Kunstschaffen der österreichischen Minderheiten, vor allem der Roma, fördert und u.a. eine permanente Ausstellung der Gemälde von Ceija Stojka zeigt. sylk/be Online-Petition: www.petitiononline.at/petition/amerlinghaus-muss-bleiben-/12, weitere

Happy Birthday, Milena! Der Milena Verlag feiert heuer sein 30-jähriges Bestehen. Anita Weidhofer sprach mit Verlagsleiterin Vanessa Wieser über die Neuorientierung des ehemals exklusiven Frauenverlages, das „Naserl” für Themen und die Repräsentation von Frauen im deutschsprachigen Verlagswesen. Der Milena Verlag besteht nun seit 30 Jahren. Was ist das „Erfolgsrezept“ für einen Verlag? Nach welchen Kriterien werden Manuskripte ausgewählt und herausgegeben? Das Erfolgsrezept wüsste ich selbst gern. Geduld, Kontinuität und Interesse für die Vielfalt der Literaturbranche sind sehr wichtig, ebenso ein Naserl für Themen, die gerade interessant sind, und eine gute Einschätzung dessen, was Leute gerne lesen wollen. In zwei Wochen etwa erscheint bei Milena wieder einmal ein Sachbuch über die besten Bergsteigerinnen der Welt (Gerlinde Kaltenbrunner, Nives Meroi, Edurne Pasaben, Oh Eun-Sun u.a.), das sich dem Thema Frauenbergsteigen und dem Wettlauf um die 14 Achttausender auf feministische Weise nähert. Ich hoffe, wir können dem zur gleichen Zeit erscheinenden Buch über Frauenbergsteigen des Machos Reinhold Messner damit etwas Fundiertes entgegensetzen. Milena unterhält derzeit acht verschiedene Reihen, für jede gelten andere „Aufnahme”-Kriterien. Unsere Bücher haben jedenfalls gemeinsam, dass sie hin- und nicht wegschauen. Unser Motto lautet „Heftige Bücher für heftige Menschen”. Abgehoben oder langweilig ist bei uns kein Buch. In den 1970ern und -80ern gründeten sich Frauenverlage, die sich als aktiver Teil der Zweiten Frauenbewegung verstanden. 2007 haben Sie den Verlag neu strukturiert und beschränken sich nicht mehr auf feministische und frauenspezifische Themen. Müssen sich „Frauenverlage“ verändern, um heute überleben zu können? Ungern möchte ich diese heikle Frage für andere Verlage beantworten. Ich denke, es ist allgemein besser, nicht zu stagnieren, denn alles andere verändert sich ja auch. Milena stand mit dem damaligen „Frauen exklusiv”-Konzept vor dem Aus. Ich nahm all meinen Mut zusammen, den Verlag weiterzuführen (später kam ein prächtiges Team dazu) – nun kann sich jede selbst ein Bild davon machen, wohin das geführt hat. Milena wurde als Verlag für Literatinnen gegründet, die gegenüber ihren männlichen Kollegen unterrepräsentiert waren. Werden Frauen im Literatur- und Verlagswesen heute noch benachteiligt? Im letzten Jahr gab es dazu einen Artikel in den an.schlägen, der diese Frage bejahte (Ausgabe 09/2009). Der Literaturbetrieb ist genauso wie alle anderen Betriebe und Branchen auch ein Spiegel der Gesellschaft. In den Verlagen sind Frauen auf jeden Fall eher überrepräsentiert, in den Chefetagen schaut es wie üblich anders aus.

Infos: www.amerlinghaus.at, T. 01/523 64 75. Zur Geschichte des Amerlinghauses siehe auch: www.grundrisse.net/grundrisse08/8bewgungen.htm

www.milena-verlag.at

Oktober 2010 an.schläge l 07


pflegearbeit

Fürsorglich, warmherzig und ausgebeutet In der häuslichen Pflege arbeiten vorwiegend Frauen aus Osteuropa zu Niedriglöhnen. Auch der gesetzlich eingeführte Mindestlohn in Deutschland ändert an ihrer Situation nichts. Von Kendra Eckhorst

Foto: Emma Dilemma/photocase

Sie heißen „gute-wesen.de”, „ost-profi. de” oder „deutsche-seniorenbetreuung. de” und vermitteln per Mausklick osteuropäische, zumeist polnische Pflegeund Haushaltskräfte für die häusliche Pflege. Diese Pflegeagenturen preisen die osteuropäischen Frauen nicht nur als kostengünstiger an, sondern auch als geeigneter als deutsche Pflegekräfte, wie es etwa auf „gute-wesen.de” formuliert wird: „Sie können sich auch besser um Sie kümmern, weil sie mit Ihnen unter einem Dach wohnen. Es liegt in ihrer Natur, fürsorglich, warmherzig und liebevoll zu sein.” Schnell und unbürokratisch. Die Frage, wie Pflege bzw. Care-work organisiert werden kann, taucht immer häufiger in den politischen und medialen Diskussionen in Deutschland auf. Pflegenotstand und Fachkräftemangel werden beklagt, auf das Problem wird häufig mit kurzfristigen Lösungen reagiert, wie es etwa die jüngste Forderung des „Arbeitgeberverbands Pflege” nach einer Greencard zeigte. Schnell und unbürokratisch sollen damit Engpässe durch osteuropäische Pflegekräfte behoben werden. In der häuslichen Pflege ist das kein Novum, für viele Pflegebedürftige geradezu der einzige Weg, sich eine bezahlbare und individuelle Rund-umdie-Uhr-Pflege leisten zu können. Pflegeagenturen ebenso wie die Agentur für Arbeit vermitteln in Kooperation mit osteuropäischen Unternehmen Pfle08 l an.schläge Oktober 2010

gekräfte. Angestellt und sozialversichert oder als Selbstständige arbeiten sie im Rahmen des Arbeitnehmerentsendegesetzes für maximal zwölf Monate in deutschen Haushalten. Neben Pflegeheimen und ambulanten Pflegediensten hat sich hier ein Markt für häusliche Pflegedienstleistungen etabliert, der mittels ungeregelter Arbeitszeiten, vager rechtlicher Bestimmungen und Niedriglöhnen floriert. Nach Schätzungen der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di arbeiten in der häuslichen Pflege 115.000 Menschen aus Osteuropa. Ein zumeist weibliches Pflegepersonal, für das der Mindestlohn in der Pflegebranche, der im August eingeführt wurde, nicht gilt. „Pflegekraft“ vs. „Haushaltshilfe“. „Landläufig als Pflegekräfte bezeichnet, sind sie gemäß der Verordnung aber keine echten”, sagt eine Sprecherin des Ministeriums für Arbeit und Soziales, die nicht namentlich genannt werden will. Auch das im letzten Jahr im April verabschiedete Arbeitnehmerentsendegesetz, das Mindestarbeitsbedingungen auch beim Pflegemindestlohn per Rechtsverordnung festhält, hilft nicht weiter. So gilt der flächendeckende Tarifvertrag, den die Pflegekommission unter Beteiligung von ArbeitgeberInnen, ArbeitnehmerInnen, Kirchen- und GewerkschaftsvertreterInnen ausgehandelt hat, für Beschäftigte in der stationären und

ambulanten Pflege, die auch „Grundpflege” nach dem Sozialgesetzbuch 11, also dem Pflegeversicherungsgesetz, ableisten. Darunter fallen Kämmen, Waschen oder Hilfe beim Blase-Entleeren – Tätigkeiten, die ebenso von den Vermittlungsagenturen angeboten und von den osteuropäischen Pflegekräften ausgeführt werden. Dennoch fallen sie aus dem gesetzlichen Mindestlohn heraus, der Untergrenzen für Stundenlöhne von 8,50 Euro im Westen und 7,50 Euro im Osten Deutschlands festschreibt. Ein Grund dafür ist, dass „keine der Personen hier pflegen darf”, erklärt Arben Coli, Geschäftsführer der Vermittlungsfirma „Deutsche Seniorenbetreuung”. Die Ausbildungen werden nämlich bis jetzt nicht anerkannt. Warum auf den Internetseiten der Vermittlungsagenturen trotzdem „Pflegekräfte” versprochen werden, erklärt ein Hinweis bei „ost-profi.de”. Demnach werden dort Begriffe wie „Pflegekräfte” oder „Pflegedienst” nur deshalb verwendet, damit Suchmaschinen die Website auch finden – sie würden aber nicht die „Tätigkeitsbereiche polnischer Dienstleister” beschreiben. Hingegen wird gerne mit den Erfahrungen der oft durchaus qualifizierten PflegerInnen geworben. Ihre Qualifikation wirkt sich aber nicht in einer angemessenen Bezahlung aus, denn sie werden kurzerhand zu „Betreuungskräften” oder „Haushaltshilfen” dequalifiziert.


pflegearbeit Dequalifiziert und schlecht bezahlt. Trotz abgeschlossener Ausbildungen verdienen viele der Frauen aus Osteuropa zwar mehr als in ihrem Herkunftsland, aber nur 25 bis 50 Prozent einer in Deutschland ansässigen Pflegekraft. Allerdings müssen die Ausbildungen spätestens ab Mai 2011 anerkannt werden, da dann die Arbeitnehmerfreizügigkeit z.B. für Polen in Kraft tritt, die eine Gleichbehandlung der ArbeitnehmerInnen in der EU vorschreibt, entsprechend den geltenden Arbeitsgesetzen und Entlohnungen im Arbeitsland. Einen weiteren Grund für den Ausschluss vom Pflegemindestlohn stellen die fließenden Tätigkeitsbereiche dar, die von Hauswirtschaft über geselliges Beisammensein bis hin zu klassischen Pflegetätigkeiten reichen. Es werden aber überwiegend nicht messbare Pflegetätigkeiten und zählbare Handgriffe

aushandeln müssen. Der Spielraum kann als gering eingeschätzt werden. Je nach Anforderungen und Sprachkenntnissen liegt der monatliche Verdienst für 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche zwischen 1.300 bis 2.500 Euro brutto. Selbstständige bekommen nur unwesentlich mehr. Den Vorwurf der modernen Sklaverei kennt Marco Jahrke, Geschäftsführer von „pflegeagentur24.de”, und nennt es lieber eine Grauzone, in der Bereitschafts-, Arbeits- und Freizeit nicht klar getrennt seien. „Klipp und klar sagen die Damen aus Polen, dass sie keine 60 Stunden die Woche arbeiten”, so Jahrke. Auf „deutsche-seniorenbetreuung. de” wird es klarer formuliert: „Die Arbeitszeit/Freizeit können Sie individuell mit den Betreuungskräften vereinbaren. Die Betreuungskräfte sind in der Regel selbstständig beziehungsweise freiberuf-

Neben Pflegeheimen und ambulanten Pflegediensten hat sich ein Markt für häusliche Pflegedienstleistungen etabliert, der mittels ungeregelter Arbeitszeiten, vager rechtlicher Bestimmungen und Niedriglöhnen floriert. geleistet, vielmehr richten sich die Arbeitsanforderungen an den Bedürfnissen des/der Pflegebedürftigen aus – ähnlich dem Berufsbild der persönlichen AssistentInnen. In der Pflegekommission regten sich allerdings maximale Widerstände gegen eine Vermischung dieser Arbeitsprofile. Doch auch wenn die osteuropäischen ArbeitnehmerInnen nicht dequalifiziert werden und überwiegend Pflegetätigkeiten ausüben würden, wäre es dennoch schwierig, den Mindestlohn bei den osteuropäischen Unternehmen durchzusetzen. Bis jetzt gebe es keine Erfahrungen, sagt Jürgen Wörner, der bei ver.di in der Tarifkoordination sitzt, wie mit dieser Rechtsverordnung im Ausland umzugehen sei. Moderne Sklaverei. Aber auch hier haben die Vermittlungsagenturen vorgesorgt und setzen verstärkt auf selbstständige Pflegekräfte, die eigenverantwortlich die Zumutbarkeit von Arbeitsanforderungen, die Einhaltung der Arbeitszeiten und auch ihr Gehalt

lich tätig und unterliegen somit keiner gesetzlichen Arbeitszeitbestimmung. Bei entsendetem, angestelltem Personal gilt das Arbeitszeitgesetz des Staates, in welchem die Tätigkeit ausgeführt wird.” Möglichkeiten der Kontrolle gibt es kaum. Erschwerend kommt hinzu, dass die Pflege in den eigenen vier Wänden, die das Mitwohnen der Pflegekraft einschließt, eine ständige Ansprechbarkeit derselben suggeriert. Schluss mit der Ausbeutung? Diese schwierige Arbeitssituation in der häuslichen Pflege und ein wenig transparenter Vermittlungsmarkt ruft Initiativen auf den Plan, die für bessere Arbeitsbedingungen eintreten und zumindest Verhaltensregeln festlegen wollen. Wie beispielsweise das Projekt „Fair Care” der Diakonie Württemberg, das der 24Stunden-Betreuung durch eine Person eine Absage erteilt. Oder der Bundesverband Europäischer Betreuungs- und Pflegekräfte e.V., der sich Anfang dieses Jahres gründete, um rechtliche Lücken zu schließen und verantwortbare

Arbeitsverhältnisse zu etablieren, wie es Christian Bohl, Pressesprecher des Vereins, formuliert. Auch er favorisiert das Modell der selbstständigen Pflegekräfte, die über ihren Arbeitseinsatz und ihr Gehalt selbst verhandeln und auch Arbeitsanweisungen ablehnen können. Ob das – jenseits des Problems der Scheinselbstständigkeit – zu geregelten Arbeitszeiten und einer angemessenen Bezahlung führt, sei dahingestellt. Als ausbeuterisch bezeichnet Gabriele Feld-Fritz, Gewerkschaftssekretärin für den Bereich Altenpflege bei ver.di, weite Teile der häuslichen Pflege und vermutet „eine Polin im Keller jedes dritten Haushalts”. Ob die Arbeitnehmerfreizügigkeit an dieser Situation etwas ändern wird, lässt sie offen. Schließlich wird auch der kürzlich eingeführte Mindestlohn schon jetzt von einigen Pflegediensten umgangen, wie Jürgen Wörner feststellt. Zulagen, Zeit- und Verpflegungszuschläge werden einfach in den Grundlohn integriert, um so die geforderte Lohnuntergrenze zu erreichen. Auch die aktuelle Forderung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die den Pflegenotstand mit der zwangsweisen Umschulung von Arbeitslosen zu Pflegefachkräften beheben will, ist keine Antwort mit Perspektive. Stattdessen sollte über die Gleichstellung von Qualifizierungen, eine angemessene Bezahlung für diesen harten Job und gesellschaftliche Anerkennung diskutiert werden – gleich, ob die PflegerInnen aus Warszawa, Sofia oder Buxtehude kommen. l

Kendra Eckhorst ist freie Journalistin und Soziologin und schreibt über Arbeitswelten, Feminismus und Musik.

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sexarbeit

Straßenstrich ohne Straße Mit einem Sieben-Punkte-Programm will die Stadt Wien die Situation der Straßenprostitution in stark frequentierten Gegenden wie dem 15. Wiener Gemeindebezirk verbessern. Die Frage ist allerdings: Für wen? Von Gabi Horak und Bettina Surtmann

Foto: Kevin Collins

Verein LEFÖ – Beratung, Bildung und Begleitung für Migrantinnen, www.lefoe.at SOPHIE mobil Hotline: 0676/88 666 222 (Mo–Fr 10–17.00) http://de.sophie.or.at

10 l an.schläge Oktober 2010

Sie kann seit zehn Tagen wieder schlafen. „Das Glück strahlt aus ihren Augen”, berichtet Gabriele Schön in ihrem WeblogEintrag vom 21. August über die Befindlichkeit einer ihrer NachbarInnen. „Die permanenten Polizeikontrollen sorgen schon seit Wochen für immer spärlicher werdenden Freierverkehr”, beschreibt Schön die aktuelle Situation in ihrem Wohngrätzel. Sie ist Aktivistin der „Bürgerplattform Felberstraße”, die gegen den Straßenstrich mobilisiert und sich für die Einhaltung der sog. Schutzzonen im 15. Wiener Gemeindebezirk Rudolfsheim-Fünfhaus einsetzt. Geht es nach den AnrainerInnen, soll bei Verstößen gegen die Schutzzonen-Regelung mehr als „nur eine Verwaltungsstrafe” her. Genauer wurde das bisher nicht definiert. Die Vorgeschichte: Ende Mai stellte die Stadt Wien ein Sieben-PunkteProgramm vor, das neben Streetwork, einer Hotline, Studien und verstärkten Polizeikontrollen auch einen Feldversuch umfasst: Zwei abgelegene Straßenzüge im 15. Bezirk wurden explizit für die Straßenprostitution vorgesehen, die Felberstraße mit ihren vielen Schutzzonen hingegen zur Tabu-Zone erklärt. Dort, wo früher bis zu 200 Frauen arbeiteten, steht nun kaum mehr eine. Und die AnrainerInnen sind glücklich. Strafe statt Schutz. Für die betroffenen Sexarbeiterinnen – mehrheitlich Migrantinnen – bedeuten häufige

Polizeikontrollen und Strafen hingegen vor allem eines: Stress. Ihre ohnehin prekäre Arbeitssituation wird dadurch nicht besser. „Die Sexarbeiterinnen lehnen das Arbeiten auf der Wienzeile und beim Technischen Museum ab. Die Gegend ist schlecht beleuchtet, es gibt kein Café, keine Infrastruktur wie

zügen an der Wienzeile und hinter dem Technischen Museum sind die Sexarbeiterinnen aber auch nicht. Wo genau all die Frauen hin sind, die sich bisher am Straßenstrich tummelten, weiß niemand so genau. Vermutlich arbeiten sie nun häufiger in Bordellen, in Wohnungen oder im Untergrund. „Dabei raten wir den Frauen

Dem – höchst subjektiven – Bedürfnis der AnrainerInnen nach „Ruhe und Ordnung“ wurde vorerst nachgekommen. Ihnen die Situation der Sexarbeiterinnen zu vermitteln, ist hingegen wesentlich schwieriger. Sanitäranlagen, kein Stundenhotel in der Nähe. Und der Gefahr, in ein Auto einzusteigen und weiter weg in ein Hotel zu fahren, wollen sie sich nicht aussetzen.” Die Mitarbeiterinnen des Vereins LEFÖ üben scharfe Kritik am Sieben-Punkte-Programm der Stadt und speziell am Feldversuch im 15. Bezirk. Durch die massive Polizeipräsenz fühlten sich die Sexarbeiterinnen weder gestärkt noch geschützt: „Sie werden ständig kontrolliert und mit hohen Strafen belegt.” Durch die zahlreichen Morde an Sexarbeiterinnen in den vergangenen Monaten seien die Frauen zusätzlich verunsichert – und bestärkt darin, in kein Auto zu steigen. In den für sie „reservierten” Straßen-

immer sich abzusprechen, auf der Straße aufeinander aufzupassen – das ist durch diese Verdrängung nicht mehr möglich”, erklärt Renate Blum von LEFÖ. Alle Pflichten, weniger Rechte. Dem – höchst subjektiven – Bedürfnis der AnrainerInnen nach „Ruhe und Ordnung” wurde durch den Feldversuch, der noch bis Ende November 2010 läuft, vorerst nachgekommen. Ihnen die Situation der Sexarbeiterinnen zu vermitteln, ist hingegen wesentlich schwieriger. Im Rahmen des Sieben-Punkte-Programms wurde die Beratungsstelle SOPHIE von der Stadt Wien mit dem Beschwerdeund Konfliktmanagement beauftragt. Die Streetworkerinnen von SOPHIE


mobil sind bis zu sechs Stunden täglich auf der Straße, um bei den AnrainerInnen für Verständnis zu werben, zu informieren und zu deeskalieren. Außerdem gibt es eine Hotline und wöchentliche Sprechstunden in den betroffenen Bezirken. Doch nicht nur bei den AnrainerInnen herrscht viel Unwissenheit, was z.B. die Arbeitsbedingungen von SexarbeiterInnen in Österreich betrifft. Prostitution ist in Österreich grundsätzlich erlaubt, in den westlichen Bundesländern nur in Bordellen, in anderen wie auch in Wien ist die Anbahnung zu bestimmten Zeiten und Bedingungen auch auf der Straße erlaubt. In der Bundeshauptstadt gelten etwa rund um Schulen, Spielplätze, Pflegeanstalten und Kirchen sog. Schutzzonen. SexarbeiterInnen müssen jede Woche zur Gesundenuntersuchung und alle drei Monate zum AIDS-Test. Die Verwaltungsstrafen für fehlende Untersuchungen oder die Anbahnung in Schutzzonen betragen in Wien bis zu 2.000 Euro (in anderen Bundesländern bis zu 14.500 Euro). SexarbeiterInnen haben keine Möglichkeit, in einem Angestelltenverhältnis oder als freie DienstnehmerInnen zu arbeiten: Sie gelten als „Neue Selbstständige” mit allen Pflichten wie andere Selbstständige auch. Sie müssen sich beim Finanzamt melden und Steuern zahlen. Die gleichen Rechte genießen sie aber nicht. Klassiker „Sittenwidrigkeit“. Bekommen SexarbeiterInnen für geleistete Dienste nicht die vereinbarte Bezahlung, können sie diese nicht einklagen, denn ihre Tätigkeit gilt laut Urteil des Obersten Gerichtshofes immer noch als „sittenwidrig” – und „sittenwidrige Verträge” besitzen keine Gültigkeit. Monika Vana, Stadträtin und Frauensprecherin der Grünen Wien: „So lange Sexarbeit nicht endlich von der Sittenwidrigkeit entkoppelt und als Beruf anerkannt wird, so lange besteht die große Gefahr der Ausbeutung von SexarbeiterInnen. Wer mehr Sicherheit in der Rotlichtszene will, muss zuerst den SexarbeiterInnen mehr Rechte einräumen.” Die Wiener ÖVP möchte die Prostitution jedoch ganz von der Straße wegbekommen und in Bordelle verlagern. „Ohne ausdrückliche behördliche Genehmigung soll die Ausübung von Prostitution in Wien hinkünftig nicht mehr möglich sein”, meint Sicherheitssprecher Wolfgang Ulm. Das ist aller-

neuland

dings mindestens ebenso realitätsfremd wie die Forderung vieler AnrainerInnen, den Straßenstrich zu verbieten. Eva van Rahden, Leiterin der Beratungsstelle SOPHIE erklärte in einem Interview mit wienweb.at: „Dann würde es einen illegalen Straßenstrich geben, den man nicht mehr steuern kann.” Prostitutionsgesetz neu. Die Wiener SPÖ, allen voran Frauenstadträtin Sandra Frauenberger, ist mit NGOs und Opposition auf einer Linie, was die notwendige Abschaffung der Sittenwidrigkeit betrifft. Auf Bundesebene ist zumindest Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek im Boot, trotzdem ist Sexarbeit ein heißes Eisen, an dem sich niemand die Finger verbrennen will. Der nächste Schritt ist für Stadträtin Frauenberger eine Novelle des Wiener Prostitutionsgesetzes im nächsten Jahr. Die Erfahrungen des Pilotprojekts im Rahmen des Sieben-Punkte-Programms sollen dabei eine wesentliche Rolle spielen. Angedachte Änderungen sind einerseits die Meldepflicht für Bordelle und rechtliche Maßnahmen gegen Freier, die in Schutzzonen anbahnen. Andererseits macht sich Frauenberger für eine Kondom-Pflicht stark: „Auch wenn ich dafür Spott geerntet habe: Zum Schutze der Frauen wünsche ich mir ein Verbot des Anbietens von Unsafer Sex. Freilich ist mir klar, dass das schwer kontrollierbar ist. Es geht mir da eben auch um Bewusstseinsbildung und darum, dass sich die Frauen auf ein Gesetz berufen können, wenn sie ungeschützten Verkehr ablehnen.” Von einer geplanten Gesetzesnovelle haben die Mitarbeiterinnen im Verein LEFÖ erst durch die Medien erfahren. Sie sind grundsätzlich gegen eine Bestrafung von Freiern und fordern stattdessen mehr Schutz und Sicherheit für SexarbeiterInnen sowie eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen: „Jede polizeiliche Maßnahme sollte letztendlich eine Gewaltprävention für SexarbeiterInnen sein.” l Gabi Horak ist freie Journalistin und wohnt ganz in der Nähe der Felberstraße in Wien 15 – mit Mann und Kind und bisher völlig unbelästigt. Mag. Bettina Surtmann studierte Politikwissenschaft und Gender Studies in Wien und ist koordinierende Redakteurin der Österreichischen Pflegezeitschrift.

entdeckungen im alltag

Beate Hammond

Venus aus Afrika Vor 200 Jahren, im Jahre 1810, wird eine junge Afrikanerin, cirka 20 Jahre alt, von Kapstadt nach London verschifft. Sie stammt aus Südafrika, wo sie als Sklavin bei einer holländischen Familie auf einer Farm gelebt hat. Dort wurde sie Sara Baartman genannt, ihr afrikanischer Name ist bis heute unbekannt. Ihr ausladendes Gesäß fiel dem Schiffsarzt Alexander Dunlop aus England auf, als er auf der Farm zu Besuch war, und er sah in Sara eine Geldquelle. Sie reisen 1810 nach London, wo Sara ab September nur in einem dünnen hautfarbenen Kleid als „Hottentotten-Venus” aus dem „Inneren von Afrika” zur Schau gestellt wird. Sie singt, spielt auf einem Saiteninstrument und dreht sich im Kreis. Gegen Geld kann man ihr dabei nicht nur zuschauen, sondern sie auch anfassen. Eine Organisation, die sich für die Abschaffung des Sklavenhandels einsetzt, geht gerichtlich gegen das entwürdigende Schauspiel vor. Vergebens. Der anberaumte Prozess scheitert, angeblich, weil Baartman beteuerte, sich freiwillig in England aufzuhalten. Sie soll auch gut verdient haben, zumindest wurde ihr die Hälfte der Profite versprochen. Vier Jahre später tritt sie in Paris auf, wo sich auch namhafte Wissenschaftler an ihrem Anblick ergötzen, pardon, ihre Anatomie wissenschaftlich erforschen. 1815 stirbt sie, erst Mitte 20, angeblich an einer Lungenentzündung. Die tatsächliche Todesursache ist unbekannt, aber schon beim Prozess in England hat sie über die zu dünne Kleidung geklagt. Doch auch die Totenruhe wird ihr versagt: Ihr Skelett, Gehirn und ihre Genitalien waren noch bis 1974 in einem Pariser Museum ausgestellt, danach in den Archiven verwahrt. Als der südafrikanische Präsident Nelson Mandela eine Rückgabe der sterblichen Überreste forderte, dauerte es volle acht Jahre, bis ein entsprechendes Gesetz dies erlaubte, denn die Stücke galten in Frankreich als „Nationalerbe”. Im Jahr 2002 wurden ihre Überreste nach Südafrika überführt und dort bestattet. Beate Hammond macht ihre Entdeckungen in Wien.

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feminizid

Ein staatliches Verbrechen

Die frauenrechtliche Situation im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca ist von staatlicher Gewalt und der Rücknahme von Abtreibungsrechten geprägt. Die feministische Anwältin Yesica Sánchez Maya erläutert im Gespräch mit Eva Bahl, warum insbesondere die Feminizide straflos bleiben.

an.schläge: Wie sieht die aktuelle

1 Während des Aufstands der SNTE musste Ruiz aus seinem Amtssitz in der Hauptstadt Oaxaca de Juárez flüchten. Die Aufständischen erklärten, ihre Proteste erst dann zu beenden, wenn Ruiz zurücktrete. Das lehnte dieser jedoch ab. Das Tauziehen ist bis heute nicht beendet. 2 Peace Watch Switzerland: En Oaxaca no se respeta el Derecho a Defender los Derechos Humanos, www.peacewatch.ch/ download/Chiapas/091014_ BOLETIN-DEFENSORES_ PWS-web.pdf 3 „Ley Estatal de Acceso a una Vida Libre de Violencia para las Mujeres” 4 In Ciudad Juárez an der Grenze zu den USA hat man 1993 noch vor anderen Bundesstaaten begonnen, das Verschwindenlassen von Frauen und Frauenmorde systematisch zu dokumentieren. Zwischen 1993 und 2007 wurden in der Stadt fast 400 Frauen ermordet aufgefunden, weitere 400– 600 gelten als vermisst, die Dunkelziffer dürfte jedoch wesentlich höher liegen.

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menschenrechtliche Situation in Oaxaca aus? Yesica Sánchez Maya: Seit der ehemalige Gouverneur von Oaxaca, Ulises Ruiz, 2006 einen Protest der Lehrergewerkschaft SNTE gewaltsam niederschlagen ließ und dabei drei Menschen starben, herrscht ein Konflikt um die Straflosigkeit staatlicher Gewaltakte.1 Es gibt noch immer sehr viele willkürliche Festnahmen und Folter, die nie verfolgt werden. Zwei Organisationen haben Klagen eingereicht und fordern Wiedergutmachung wegen der Vorfälle von 2006. Aber der Staatsapparat wird weder die Klagen noch die Schadensersatzforderungen durchgehen lassen. Wir befinden uns in einer Situation, wo rechtliche Mittel nicht greifen, es herrscht Repression, und Menschenrechtsverteidiger_innen werden verfolgt. Den einzigen aktuellen Lagebericht zur Verfolgung und Schikanierung von Menschenrechtsverteidiger_innen hat Peace Watch herausgebracht.2 Wie hängt diese Situation der Straflosigkeit und der Verfolgung von Menschenrechtsverteidiger_innen mit dem Feminizid zusammen? Es herrscht eine extreme institutionelle Gewalt gegen Frauen. Täglich werden Frauen ermordet, und niemand wird dafür zur Rechenschaft gezogen. Am 28. Februar 2009 ist zwar in Oaxaca ein Gesetz für das Recht der Frauen auf ein gewaltfreies Leben3 verabschiedet worden, aber die entsprechende

Am „Tag der Toten” in Oaxaca de Juárez, 2. November 2008, Foto: scott_flickr

Ausführungsbestimmung ist noch nicht beschlossen. Und ohne sie funktioniert ein Gesetz nicht. Seit 2004 werden die Morde an Frauen in Oaxaca dokumentiert. Marcela Lagarde war damals verantwortlich für die „Kommission für die Untersuchung des Feminizids in der mexikanischen Republik und die diesbezügliche Rechtsprechung” und leitete eine Untersuchung auf nationaler Ebene. In dieser Untersuchung lag Oaxaca landesweit an erster Stelle bei der Ermordung von Frauen, abgesehen von Ciudad Juárez4. Juárez ist eine Ausnahmeerscheinung, und die Dramatik der Situationen dort ist nicht vergleichbar. Als Marcela Lagarde den Bericht übergab, betonte sie jedoch, dass in Oaxaca definitiv von Feminizid gesprochen werden muss.

Wie definiert ihr von der Frauenrechtsorganisation „Consorcio para el Dialogo Parlamentario y Equidad Oaxaca“ Feminizid?

Wir begreifen Feminizid als die Gesamtheit von frauenfeindlichen Umständen und Vorfällen. Das schließt Menschenrechtsverletzungen ein sowie alles, was Frauen in ihrer Sicherheit beeinträchtigt, ihr Leben gefährdet und im Tod einiger von ihnen gipfelt. Feminizid geschieht, weil die zuständigen Autoritäten nachlässig und fahrlässig sind oder mit den Gewalttätern unter einer Decke stecken. Es wird auch institutionelle Gewalt ausgeübt, wenn der Zugang zur Justiz behindert und somit zur Straflosigkeit beigetragen wird. Feminizid bringt einen Bruch des Rechtsstaates mit sich, da der Staat nicht fähig ist, den Frauen ihre Sicherheit und ihr Recht auf Leben zu gewährleisten. Er versagt darin, im Rahmen des Gesetzes zu handeln und es durchzusetzen, Gerechtigkeit zu suchen und der Gewalt gegen Frauen vorzubeugen, um diese Gewalt zu beenden. Feminizid ist also ein staatliches Verbrechen.


feminizid Was wären denn wichtige Schritte in Richtung mehr Rechtssicherheit für Frauen? Das ganze System muss verändert werden. Beamt_innen und Richter_innen müssen sensibilisiert werden, es muss Programme geben, die Opfern von Gewalt beistehen, es muss die entsprechenden Gesetze, Institutionen und die Finanzierung dafür geben. Es geschieht zu häufig, dass Richter_innen von den Frauen Beweise verlangen, dass sie geschlagen worden sind, oder dass Frauen sich nicht scheiden lassen dürfen, weil sie das Verschulden nicht nachweisen können. Die Aussage der Frau muss ausreichen. Wir sagen: In Oaxaca ist es sehr gefährlich, eine Frau zu sein. Denn überall können sie dir etwas antun. Und selbst wenn du eine Anzeige aufgeben willst, kann es dir passieren, dass es letztlich du bist, die verhört wird.

personelle Ausstattung, um das Thema der Gewalt an Frauen tatsächlich anzugehen.

Weil du gerade die medizinische Beratung angesprochen hast: Im Distrikt Mexiko City ist ja der Schwangerschaftsabbruch straffrei geworden. Wie sieht es in den anderen Bundesstaaten aus? Vor zwei Jahren ist in Mexiko City die Entscheidung getroffen worden, dass Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Schwangerschaftswoche straffrei bleiben sollen. Es dann zwar eine heftige Kontroverse, aber letztlich überwogen die Befürworter_innen des Rechts auf Selbstbestimmung. Aber was tut die Rechte? Die hat sich eine Strategie ausgedacht, die dazu führte, dass in allen Bundesstaaten Gesetzesinitiativen eingereicht wurden, die das Leben „ab dem Moment der Empfäng-

„Die Einschränkung des Rechts auf Entscheidungsfreiheit über den eigenen Körper gehört für uns auch zu den Phänomenen, die den Feminizid ausmachen.“ Das neue Gesetz in Oaxaca sieht aber auch spezielle Beratungsstellen vor. Gibt es sie schon? Ja, zum Beispiel die Beratungsstelle für Opfer von familiärer Gewalt – aber diese Stellen funktionieren nicht. Wir haben in Oaxaca auch eine Staatsanwaltschaft, die auf Verbrechen an Frauen spezialisiert ist. Aber wenn du deren Räume betrittst, kriegst du Mitleid. Die haben ein kleines Häuschen, ohne Internet, die Angestellten arbeiten im Stehen und haben zu wenige Computer. Und in der medizinischen Beratung haben sie nicht einmal die „Pille danach”. Die Situation ist katastrophal. Die verschiedenen Anlaufstellen schicken Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind, trotzdem dorthin. Diese Sonderstaatsanwaltschaft scheint also lediglich den Zweck zu erfüllen, dass der Staat sein Gewissen ein wenig entlastet. Sie hatte zudem zwei Jahre lang eine Leiterin, die nicht einmal das Konzept der geschlechterspezifischen Gewalt kannte, und letztes Jahr ist zwar eine neue Leitung gekommen, die sehr kompetent ist, aber ihr fehlt die ökonomische und

nis” schützen sollen. Im Parlament von Oaxaca ist ein solcher Gesetzesvorschlag am 9. September 2009 angenommen worden. Das Schlimmste daran ist, dass sie sogar das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in Fällen von Vergewaltigung, Missbildung des Fötus oder Lebensgefahr für die Mutter abgeschafft haben. Daraus ergibt sich die Logik, dass eine Frau, die nach einer Vergewaltigung abtreibt, eine Kriminelle ist und ins Gefängnis gehört. Oaxaca war der 16. Bundesstaat, der für diese Reform gestimmt hat. Wenn die Hälfte aller Bundesstaaten für eine Reform stimmt – und das ist nun der Fall –, wird auch die Bundesverfassung reformiert. Sie versuchen also, auf diesem Weg die Entwicklung für eine freie Entscheidung, die in Mexiko City stattgefunden hat, wieder rückgängig zu machen. Und wenn die Rechte ihr Ziel erreicht, den 4. Artikel der Verfassung zu modifizieren – das ist der, in dem es um die Familie und das Recht auf Entscheidungsfreiheit geht, ob und wie viele Kinder jemand haben möchte –,

dann bedeutet das einen tatsächlichen Rückschritt. Die Einschränkung des Rechts auf Entscheidungsfreiheit über den eigenen Körper gehört für uns auch zu den Phänomenen, die den Feminizid ausmachen.

Was könnt ihr von „Concorcio“ jetzt noch dagegen tun? Eine der letzten Möglichkeiten wäre gewesen, die Gesetzesinitiative für verfassungswidrig zu erklären. Aber das hätte vom Präsidenten der staatlichen Menschenrechtskommission ausgehen müssen und der ist ja nicht unabhängig, sondern wurde vom Gouverneur eingesetzt. Der sagte nur, dass die Reform keineswegs die Rechte von Frauen einschränken würde und dass wir da etwas falsch verstanden hätten … Wir haben dann eine Demonstration organisiert und trugen das Foto einer Frau bei uns, die nach einer schlecht durchgeführten Abtreibung gestorben war. Unsere Botschaft an den Präsidenten der Kommission war, dass er von nun an verantwortlich sein würde für solche heimlich durchgeführten, gefährlichen Abtreibungen. Außerdem haben wir in Oaxaca über 140 Verfassungsbeschwerden gegen diese Reform eingelegt. Derzeit warten wir auf den Richterspruch. l

Yesica Sánchez Maya ist Rechtsanwältin und leitet die juristische Abteilung der Frauenrechtsorganisation „Consorcio para el Dialogo Parlamentario y Equidad Oaxaca“. Weitere Informationen auf www.consorciooaxaca.org.mx oder per E-Mail an theres@consorciooaxaca.org.mx (auf Deutsch möglich). Eva Bahl ist Mitarbeiterin des Ökumenischen Büros für Frieden und Gerechtigkeit e.V. in München. www.oeku-buero.de

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an.riss international drücken”, erläutert einer der (anonym agierenden) „Hevjin”-Initiatoren die Gründungsgeschichte der Publikation, die in einigen Buchhandlungen und Cafés in Diyarbakır kostenlos aufliegt und auch im Internet zu finden ist (www.hevjin.org). Immer wieder wurde der Gruppe seitens der türkischen LGBT-Community mit Misstrauen begegnet, da sie explizit kurdisch ist. Der doppelten Diskriminierung zum Trotz zeigen sich die „Hevjin”-Initiator_innen als „Minderheit in der Minderheit” optimistisch: Noch heuer soll die Zeitschrift die Auflage von 2.000 Exemplaren überschreiten. viyu www.queer-news.at, www.queer.de, http://eurasianet.org

gedächtnisarbeit Workshop: Lesben im „Dritten Reich“ Demo von Roma in Paris. „Rafles” sind Massenverhaftungen einer Gruppe von Menschen bei Polizeirazzien, historisch bezogen auf den Holocaust, aber auch auf den französischen Krieg in Algerien und auf das Vorgehen gegen Sans Papiers. Foto: Philippe Leroyer

frankreich Deportationsgrund: Roma Frankreichs gezielte Abschiebung von Roma (siehe Artikel in an.schläge 09/2010), die seit August dieses Jahres Schlagzeilen macht, stößt auf immer heftigere Kritik. Für Empörung sorgt nunmehr ein internes Rundschreiben des Innenministeriums, das Mitte September publik wurde. Es belegt, was Immigrationsminister Eric Besson bislang stets dementiert hat: Die Ausweisungen richten sich sehr wohl ganz gezielt gegen die „Ethnie” der Roma. Im Wortlaut erhielt die Polizei Anweisung, „hauptsächlich Roma-Lager zu schleifen” und „den Bau neuer illegaler Lager der Roma zu verhindern”. Französische Menschenrechtsverbände identifizieren diese Maßnahmen als Verstoß gegen die Verfassung. „Das Rundschreiben zielt auf eine Gruppe ab, die allein durch ihre Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft charakterisiert ist”, erklärt Stéphane Maugendre, Vorsitzender von Gisti („Informations- und Unterstützungsgruppe von ImmigrantInnen”), gegenüber der Tageszeitung „Der Standard”. EU-Justizkommissarin Viviane Reding kündigte eine Klage gegen das Vorgehen der französischen Regierung an. In seiner Reaktion darauf bestreitet Besson weiterhin, eine kollektive Ausweisung von Roma anzustreben und beteuert, nichts vom betreffenden Dokument gewusst zu haben. Innenminister Brice Hortefeux hat bereits ein neues Rundschreiben herausgegeben, das sich nicht konkret auf Roma bezieht. Es werde allerdings nicht ausreichen, wenn Frankreich „nur die Worte ändert, nicht aber die Taten”, so Viviane Reding. atina http://derstandard.at

türkei Willkommen, Hevjin! Vor Kurzem feierte das erste kurdische LGBT-Magazin der Türkei seine Premiere: „Hevjin” („Gemeinsamkeit”). Die Zeitschrift wurde von einer LGBT-Gruppe in der südostanatolischen Stadt Diyarbakır gegründet, die sich vor drei Jahren zusammenfand. „In der Türkei leben rund 15 Millionen Kurden und Kurdinnen. Jeder zehnte Mensch ist homosexuell, aber wo sind die schwulen und lesbischen Kurd_innen? Wir wollten herausfinden, wie Menschen in dieser Kultur ihre Sexualität aus14 l an.schläge Oktober 2010

„Homophobie, Devianz und weibliche Homosexualität im Nationalsozialismus” ist das Thema eines Workshops, der vom 8.–10. Oktober in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück stattfindet. Die Veranstaltung, die zusammen mit dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) organisiert wurde, trägt dabei den gegenwärtigen Stand der Forschung über „Lesben im Dritten Reich” zusammen: Obwohl weibliche Homosexualität unter dem NS-Regime kein Straftatbestand war (mit Ausnahme von Österreich und dem „Protektorat Böhmen und Mähren”), wurden zahllose Frauen aufgrund ihres sexuell und sozial devianten Verhaltens verfolgt und inhaftiert – als „Volksschädlinge”, „Asoziale” und „Prostituierte”, aufgrund von „Rassenschande”, „Verkehr mit Fremdvölkischen” oder „Wehrkraftzersetzung”. Während heute nur wenige Quellen der nationalsozialistischen Verfolgungsapparate bekannt sind, die sich mit weiblicher Homosexualität befassen, gibt es eine ganze Reihe von Erinnerungsberichten von Überlebenden über Lesben in NS-Lagern. Der Workshop will aber nicht nur die Verfolgungsgründe von Lesben reflektieren – auch Homophobie innerhalb der Erinnerungsgeschichte von Ravensbrück selbst wird zur Diskussion gestellt. Weitere inhaltliche Schwerpunkte sind die identitätspolitische Besetzung der Geschichte des ehemaligen Frauenkonzentrationslagers sowie die Frage, welche Funktion und Bedeutung der Kategorie Geschlecht im Kontext öffentlichen Gedenkens zukommt. viyu 8.–10.10, Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, 16798 Fürstenberg/Havel, Straße der Nationen 2, Anmeldung und Infos bei Janna Lölke, T. +49/33093/60825 od. volontariat@ ravensbrueck.de, www.ravensbrueck.de

friedenspolitik 10 x 1325 Am 31. Oktober jährt sich zum zehnten Mal die Verabschiedung der UN-Resolution 1325 zu „Frauen-Friede-Sicherheit”. Auf Initiative der damaligen Frauenministerin von Namibia, Netumbo Nandi-Ndaitwah, und mithilfe der Lobbyarbeit zahlreicher feministischer Organisationen wurde die Resolution im Jahr 2000 vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einstimmig verabschiedet. Damit wurde zum ersten Mal in der Geschichte der UNO ein völkerrechtlich bindender Beschluss gefasst, der die bedeutsame Rolle von Frauen in Fragen von Krieg und Frieden anerkennt. Mit der Resolution fordert der Sicherheitsrat die UN-Mitgliedstaaten u.a. dazu auf, Kriegsverbrechen gegen Frauen zu verfolgen, Frauen und Mädchen in Kriegssituationen besser zu schützen und diese verstärkt in die Friedensverhandlungen und den Wiederaufbau in Post-Konflikt-Situa-


an.riss international tionen einzubeziehen. Jedoch konnte die Resolution bisher keine eigene institutionelle Kraft im UN-System und in der internationalen Staatengemeinschaft entfalten, wie zahlreiche NGOs kritisieren. Anlässlich des 10-Jahres-Jubiläums laden CARE und die Austrian Development Association (ADA) am 19. Oktober zum Festakt ins Wiener Radiokulturhaus, am 20. Oktober folgt die Konferenz „Women’s Participation and Leadership in Conflict Situations and Peace Building” in der Diplomatischen Akademie Wien. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt auf der Rolle von Frauen bei Konfliktprävention, Konfliktlösung und Friedensbildung. Die Konferenz will u.a. Empfehlungen für die Förderung von Frauen in Friedens- und Sicherheitsfragen vorbringen. Unter den prominenten ReferentInnen: Lesley Abdela, eine der führenden ExpertInnen im Bereich Gender & Post-Konflikte und vielfach ausgezeichnete Journalistin aus Großbritannien, sowie Ruth Ojiambo Ochieng, Vorsitzende von „Isis – Womens Cross Cultural Exchange” in Uganda. atina Festakt: 19.10., 19.30, RadioKulturhaus, Großer Sendesaal, 1040 Wien, Argentinierstraße 30a, Anmeldung unter sabrine.boehm@care.at; Konferenz: 20.10., 8.30–17.00, Diplomatische Akademie, 1040 Wien, Favoritenstr. 15a, Anmeldung unter seewald@vidc.org http://gunda-werner-institut.de, www.msmagazine.com, www.entwicklung.at

eu Grenzenlose Trennung Laut Deutschem Frauenrat betrifft mehr als jede zehnte Scheidung in der EU eine binationale Ehe. 2007 gab es in den 27 EU-Mitgliedstaaten mehr als eine Million Scheidungen; davon hatten 140.000 (13 Prozent) einen national gemischten Hintergrund. Bislang galt bei einer solchen Scheidung das Prinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst”: Die Scheidung verlief nach der Rechtsprechung jenes Landes, in dem zuerst ein Gericht angerufen wurde. Eine neue Regelung soll nun Ehepaare mit unterschiedlicher Staatsangehörigkeit selbst entscheiden lassen, nach welchem Landesrecht sie sich scheiden lassen wollen. Kommt es dies-

bezüglich zu keiner Einigung, verfügen die Gerichte über gemeinsame Anknüpfungspunkte, um das anwendbare nationale Recht zu bestimmen. Betroffene Ehepaare sollen so mehr Rechtssicherheit erhalten. Derzeit schließen sich 14 Mitgliedstaaten der neuen Verordnung an, darunter auch Österreich. Seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon steht es den 14 Staaten frei, das neue Scheidungsrecht auch im Alleingang anzuwenden, falls keine Einigung aller Mitgliedstaaten möglich ist. atina www.frauenrat.de, http://derstandard.at

niederlande Homosexualität in Schulbüchern „Mama und Mama gehen ins Kino. Wie viel kostet eine Eintrittskarte, wenn sie gemeinsam 15 Euro bezahlen müssen?” So oder so ähnlich werden bald Rechenaufgaben für Kinder in den Niederlanden lauten. Der Bürgermeister von Amsterdam forderte kürzlich die Schulen auf, das Thema Homosexualität endlich als Selbstverständlichkeit zu behandeln. Diesen Vorschlag griff der große Schulbuchverlag Noordhoff Uitgevers auf: Zukünftig soll die gesellschaftliche Realität von nicht-heteronormativen Familien in Mathematik- und anderen Lehrbüchern angemessen widergespiegelt werden. „Lehrbücher sind immer mit unserem Alltag verbunden”, erklärte dazu Frans Grijzenhout, der Direktor des Verlags. „Wenn es in Lesebüchern zum Beispiel um den Familienurlaub geht, sieht man auf Zeichnungen Kinder mit Vater und Mutter. Das geht doch auch anders.” COC Nederland, die Niederländische Vereinigung für die Integration von Homosexualität, begrüßt dieses Vorhaben: Gerade in der letzten Zeit sei in den Niederlanden weniger Toleranz gegenüber Homosexuellen zu beobachten, umso notwendiger sei es, dass „Männer-Paare und FrauenPaare als etwas ganz Normales dargestellt sein werden”. be www.ftd.de, www.ggg.at, www.spiegel.de

medienmix Genderstudien Der noch nicht einmal ein Jahr alte Blog http://denkwerkstatt.wordpress.com behandelt zeitkritisch, akademisch und gut lesbar Gender Studies, Feminismus und Popkultur. Alle paar Tage finden sich hier neue Links, theoretische Überlegungen, politische Beiträge (in erster Linie zum Thema Österreich), Veranstaltungstipps, Gewinnspiele und spannende Interviews zu Männlichkeitsforschung, Film und Frauenpolitik. Den Blog gibt es auch auf Facebook. We like! fis

In echt „Wir sind die Ladys, auf denen ,The L Word’ basiert”, sind sich die Protagonistinnen aus The Real L Word sicher. Nach dem Vorbild der populären Hochglanz-TV-Serie zeigen uns die Produzent_innen nun „richtige” Lesben – so authentisch, wie das in einer US-amerikanischen Reality-Show eben möglich ist. Ob die Sendung im deutschsprachigen Fernsehen ausgestrahlt wird, bleibt abzuwarten, die erste Staffel aus Downtown L.A. ist bereits als DVD zu haben. fis

Lahmes Miau Was 2008 als Examensarbeit ersponnen und danach als innovatives Projekt in Eigenregie geführt und vertrieben wurde, ist seit Mai in Großauflage aus dem Hause des Zeitschriftengiganten Burda zu haben: Alley Cat, das Erotikmagazin für Frauen. Hier ist Sex vor allem eines: Lifestyle. Das Layout ist sehr pink und ebenso wenig fantasievoll wie die Fotos antörnend. Gute Zeitschriften zum Thema werden wohl weiterhin nur in Mini-Auflagen produziert. fis Oktober 2010 an.schläge l 15


thema: asylpolitik

Queer with(out) Borders

Nachhilfe

Seit den 1990er-Jahren schotten sich die europäischen Staaten mit immer restriktiveren Asyl- und Fremdengesetzen gegen Zuwander_innen ab. Auch in der von der SPÖ-ÖVP-Koalition vorgestellten Maßnahme der Flüchtlingshaft („Mitwirkungspflicht”) für Asylsuchende und im jüngsten Anschlag auf ein Asylheim in Graz manifestieren sich einmal mehr staatlicher Rassismus und rechte Hetze. Dieser Themenschwerpunkt ist „Queer Refugees” gewidmet – Flüchtlingen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und/oder geschlechtlichen Identität Gewalt erfahren haben oder solche fürchten müssen. In einem Gemeinschaftsprojekt mit migrazine.at, dem Online-Magazin von maiz, untersuchen die an.schläge die Situation von LGBTIFlüchtlingen vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Asylpolitiken in Europa: Vina Yun hat die Asylverfahren in Österreich, Deutschland und der Schweiz hinsichtlich des Flüchtlingsschutzes für LGBTIs durchleuchtet.

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örden

für Asylbeh

Sie und Verena Stern interviewten Mahshad Torkan, die Co-Regisseurin des Films „Cul de Sac” über die iranische lesbische Aktivistin Kiana Firouz, der im Oktober in Leipzig vorgeführt wird. Die Ambivalenzen des „sexuellen Rettungsdiskurses” von Queers in einem „vereinten Europa” diskutiert Ana Hoffner. Auf migrazine.at analysiert Sabine Jansen in ihrem Beitrag die Asylpolitik in den Niederlanden in Bezug auf LGBTs. Die aktuelle Asylgesetzgebung in Österreich ist Thema des Interviews, das Cristiane Tasinato mit der Deserteurs- und Flüchtlingsberatung Wien geführt hat. Petra Sußner diskutiert die heteronormativen Implikationen des sog. Familienverfahrens im österreichischen Asylrecht. Die von Judith Butler ausgelöste Diskussion über Homorassismus und -nationalismus rund um den diesjährigen Berliner CSD fasst Katharina Ludwig zusammen. Sie sprach außerdem mit LesMigraS, dem Antidiskriminierungsbereich der Lesbenbera-

tung Berlin, über seine aktuelle Kampagne. María do Mar Castro Varela und Encarnación Gutierrez Rodríguez reflektieren „Queer Politics” im Exil und in der Migration. Das detaillierte Inhaltsverzeichnis und sämtliche Texte zum Schwerpunkt sind online abrufbar auf www.anschlaege.at und www.migrazine.at. Anlass dieses Themenschwerpunkts ist der Bleiberechtstag am 10. Oktober. Weiterhin lautet die Forderung: Bleibeund Bewegungsrecht für alle, hier und jetzt!


thema: asylpolitik

Rosa gestempelt Wie sieht der Flüchtlingsschutz für Queer Refugees in der „Festung Europa” aus? Vina Yun hat sich die Asylpolitiken in Österreich, Deutschland und der Schweiz näher angesehen. Weltweit werden laut ILGA, dem internationalen Dachverband der LGBTIOrganisationen (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender & Intersex), einvernehmliche homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen in 80 Ländern mit Gefängnis geahndet, in fünf davon steht auf Homosexualität die Todesstrafe.1 In vielen außereuropäischen Staaten stammen solche Gesetze noch aus der Kolonialzeit – so auch in Uganda, wo „Geschlechtsverkehr gegen die Natur” mit bis zu 14 Jahren Haft bestraft wird.2 Letzten Herbst wurde dort die „AntiHomosexuality Bill” ins Parlament eingebracht, die u.a. die Todesstrafe für „schwere Homosexualität” vorsieht. Heftige Proteste aus der ganzen Welt führten dazu, dass das Gesetz bisher nicht beschlossen wurde. Gegendruck kam dabei nicht nur von LGBTI- und Menschenrechtsorganisationen, sondern u.a. auch vom EU-Parlament oder dem Entwicklungsausschuss im deutschen Bundestag, der in einer überfraktionellen Erklärung die Regierung Ugandas öffentlich kritisierte. In einem Interview erklärte FDP-Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel: „Wir haben in einem Gespräch mit dem ugandischen Botschafter deutlich gemacht, dass wir Folgen für die Entwicklungszusammenarbeit nicht ausschließen, wenn der Gesetzentwurf in der derzeitigen Form verabschiedet wird.”3 Immer wieder wird mit politischen Statements, eindringlichen Medienberichten, Soli-Kundgebungen und Petitionen auf homophobe Diskriminierung und Verfolgung außerhalb „des Westens” aufmerksam gemacht. Die massiven Hürden für Queer Refugees und andere Flüchtlinge, die deshalb Aufnahme in der EU suchen, werden hingegen weitaus seltener skandalisiert. Gewalt gegen LGBTIs auf globaler Ebene entgegenzutreten würde allerdings auch bedeuten, die eigenen Grenzen für jene aufzumachen, die aufgrund ihrer sexuellen bzw. geschlechtlichen Identität Repression erfahren.

Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte. Prinzipiell sind lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Flüchtlinge denselben juristischen Verfahren und Bedingungen unterworfen wie andere Flüchtlinge, die in einem Schengen/Dublin-Staat um Asyl ansuchen.4 Die rechtlichen Rahmenbedingungen des Flüchtlingsschutzes sind in der EU im Wesentlichen in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) sowie in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) festgelegt, die sich als rechtsverbindliche Instrumente quasi überlagern. Artikel 1 der GFK definiert einen Flüchtling als „Person, die sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt oder in dem sie ihren ständigen Wohnsitz hat, und die wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer

Nicht selten stammen die Informationen über die Situation im Herkunftsland, die die Behörden im Asylverfahren heranziehen, zudem aus Dokumenten, die der Verfolgerstaat selbst verfasst hat. „Verfolgung” bedeutet in diesem Zusammenhang immer eine schwerwiegende Bedrohung gegen „Leib und Leben”. Häufig werden Asylanträge abgelehnt, weil die Benachteiligungen nicht „schwer genug” sind, um in den Augen der Behörden als Verfolgung zu gelten. Für jene, die ihr homosexuelles Begehren geheim gehalten haben oder eine Hetero-Scheinehe eingehen, um Repressionen zu entkommen, wird der Nachweis der „unmittelbar drohenden Verfolgungshandlung”, wie es in der Jurist_innen-Sprache heißt, damit zur beinahe unlösbaren Aufgabe. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Gerichte die Verheimlichung der sexuellen

Gewalt gegen LGBTIs auf globaler Ebene entgegenzutreten würde auch bedeuten, die eigenen Grenzen für jene aufzumachen, die aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität Repression erfahren. bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung hat”. Flüchtling ist, wer den Schutz des Herkunftsstaates nicht in Anspruch nehmen oder aus Furcht vor Verfolgung nicht dorthin zurückkehren kann. Die Flüchtlingsdefinition im Sinne der GFK zu erfüllen, ist oft mit Hürden verbunden: In der Regel muss der_die Asylsuchende beweisen, dass sich die Verfolgung konkret gegen ihn_sie richtet und der Herkunftsstaat nicht Willens oder nicht in der Lage ist, ihn_sie zu schützen. „Oft ist das Problem, dass es zwar Gesetze zum Schutz gibt, diese aber nicht exekutiert werden, was schwer nachzuweisen ist”, erklärt Petra Sußner, die jahrelang als Rechtsberaterin im Asyl- und Fremdenbereich tätig war.

Identität zum Teil für zumutbar halten – das Recht, Homosexualität öffentlich zu leben, wird demnach nicht anerkannt. „Normale“ Diskriminierung. Infolge des engen Gewaltbegriffs ergeben sich aber auch andere Schwierigkeiten. In vielen Ländern mit einer homophoben Gesetzgebung gelten Homosexualität bzw. homosexuelle Handlungen als Verstoß gegen öffentliche Sitten und Moral. Strafrechtliche Sanktionen gegen LGBTIs stellen zwar laut UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) sehr wohl einen Asylgrund dar – allerdings wird diese Richtlinie nicht von allen Behörden und Gerichten auch umgesetzt. „Hier sind wir immer im Problembereich, weil die ,normale’ Diskriminierung nicht genügt, um Asyl

1 Stand 2009. Siehe dazu auch die Studie „StateSponsored Homophobia”, http://old.ilga.org/Statehomophobia/ILGA_State_Sponsored_Homophobia_2010.pdf 2 Human Rights Watch zufolge sind mehr als die Hälfte der weltweit existierenden „Sodomie”-Gesetze, die einvernehmlichen gleichgeschlechtlichen Sex unter Strafe stellen, ein Relikt aus der britischen Kolonialzeit. www.hrw.org/en/news/2008/ 12/17/sodomy-laws-showsurvival-colonial-injustice 3 www.queer.de/detail. php?article_id=12227 4 Die Dublin-II-Verordnung regelt die Zuständigkeit unter den EU-Staaten (inkl. Norwegen, Island, Schweiz) für ein Asylverfahren. Praktisch wirkt sich die Verordnung so aus, dass Flüchtlinge immer nur in dem Land einen Asylantrag stellen können, über das sie als erstes in die EU eingereist sind. Mit dem Schengen-Abkommen wurden die Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen der Mitgliedsstaaten schrittweise abgebaut und die Außengrenzen zu den sog. Drittstaaten (Länder, die weder der EU noch dem EWR angehören, außer der Schweiz) verstärkt.

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thema: asylpolitik zu bekommen”, erläutert Angelika Eisterer vom Lila Tipp, der Lesbenberatung der Rosa Lila Villa. „Wenn du als Schwuler nicht studieren darfst oder keinen Job bekommst oder überall angespuckt wirst, dann ist das im asylrechtlichen Sinne ,okay’. Solange sie dich nicht einsperren, dich mit dem Messer attackieren oder dir Gliedmaßen abhacken, reicht das noch nicht aus, um als politischer Flüchtling anerkannt zu werden.” Asylsuchenden, die nicht als „Flüchtlinge” nach der GFK gelten, kann der sog. subsidiäre Schutz gewährt werden. Der wesentliche Unterschied zur Anerkennung als „Flüchtling” ist, dass für den susidiären Schutz keine individu-

Nachhilfe für Asylbehörden

elle Verfolgung vorliegen muss. Droht Asylsuchenden bei der Rückkehr ins Herkunftsland ein „ernsthafter Schaden” (wie z.B. Folter, lebensbedrohliche Situationen wie ein plötzlicher Bürger_innenkrieg oder unzureichende medizinische Versorgung), können sie als subsidiär Schutzberechtigte aufgenommen werden. Mit diesem „alternativen” Flüchtlingsstatus sind allerdings unterschiedliche rechtliche und soziale Konsequenzen verbunden.

5 www.unhcr.at/navigationoben/presse/einzelansicht/ browse/8/article/31/euasylrichtlinie-wird-wirksam. html?PHPSESSID=e112 acf90cedbbba3e5b12ff3b b9d969

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Soziale Gruppe. Im Zuge der EUweiten Harmonisierung der Asylkriterien wurde 2004 die sog. Qualifikationsrichtlinie verabschiedet, um die Entscheidungspraxis der Mitgliedsstaaten stärker zu vereinheitlichen. Die Richtlinie legt die Mindeststandards für die „Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft” fest und besagt u.a., „dass Verfolgung aufgrund des Geschlechts als Asylgrund gelten kann. Darüber hinaus bekräftigt sie, dass Schutzbedürftige

Asyl erhalten können, unabhängig davon, ob sie von Staaten, Milizen oder anderen nichtstaatlichen Akteuren verfolgt werden. Damit wird eine jahrzehntelange Kontroverse in Europa beendet”, so der UNHCR.5 Der Aspekt der nicht-staatlichen Verfolgung ist u.a. für Lesben relevant, da Verfolgung gegen sie – wie generell bei Frauen – häufig im „privaten” Bereich stattfindet, etwa durch Familienangehörige, Arbeitskolleg_innen oder Nachbarn. Während der Ausverhandlung der Richtlinie setzten sich LGBTI-Organisationen wie ILGA dafür ein, dass sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität ausdrücklich als eigenständige Verfolgungsgründe aufgenommen werden. Das ist nicht gelungen – doch zumindest spricht die Richtlinie über den Verfolgungsgrund wegen „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe”: „[A]ls eine soziale Gruppe [kann] auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Ausrichtung gründet.” „Geschlecht” und „sexuelle Orientierung” sind in der GFK nicht explizit erwähnt. Theoretisch können sich LGBTI-Flüchtlinge auch hier auf den Begriff der „sozialen Gruppe” in Artikel 1 beziehen. „Es gibt nicht den Asylgrund ,Homosexualität’”, erklärt dazu Angelika Eisterer, die selbst lange Zeit als Flüchtlingsberaterin tätig war. „In der österreichischen Judikatur gilt es aber mittlerweile als eindeutig, dass Homosexuelle unter die Kategorie ,soziale Gruppe’ fallen. Das wird nicht mehr infrage gestellt.” Identitäts-Stempel. Auch wenn sich die Qualifikationsrichtlinie beim Flüchtlingsschutz für Queer Refugees hätte klarer positionieren können – zumindest für Deutschland scheint sie doch eher Vorteile gebracht zu haben, meint Andreas Schwantner, Mitglied der Fachkommission Asyl der Deutschen Sektion von Amnesty International (AI). Bis dahin orientierte sich die Rechtssprechung nämlich an einer Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts von 1988: Homosexuelle seien keine „soziale Gruppe” – asylrelevant sei nur die „unentrinnbare schicksalhafte Festlegung auf homosexuelles Verhalten bzw. Triebbefriedigung, bei welcher der Betreffende außerstande sei, eine gleichgeschlechtliche Betätigung zu unterlassen”.

Seit dem deutschen Aufenthaltsgesetz 2005 und der EU-Qualifikationsrichtlinie ist der – etwa durch psychiatrische Gutachten zu erbringende – Nachweis der „irreversiblen Homosexualität” weitgehend überholt. Allerdings: „LGBT-Personen bilden nur dann eine ,soziale Gruppe’, wenn die Homosexualität ,identitätsprägend’ ist”, wirft Andreas Schwanter kritisch ein. „Damit spielt in der Praxis die Frage der identitären Prägung und somit der Glaubhaftigkeitsbeweis noch immer eine Rolle.” Doch wie beweist mensch seine Homobzw. Bisexualität? Etwa indem Mitarbeiter_innen von LGBTI-Einrichtungen als Expert_innen und Sachverständige herangezogen werden. Für Angelika Eisterer eine absurde Situation, die noch dazu zu fragwürdigen Kompliz_innenschaften mit dem Gesetzgeber führt: „Die Behörden wollen sozusagen ein Zertifikat – nach dem Motto, wenn die Person lesbisch oder schwul ist, gibt’s einen Stempel und damit Asyl. Das zeigt, dass es überhaupt keine Sensibilität für das Thema gibt.” Mit den asylrechtlichen Bestimmungen wird das homosexuelle Begehren als singuläres, identitäres Merkmal konstruiert, das sich in eine lineare Erzählung von Flucht einfügen soll. Bei anderen Fluchtgründen (z.B. eine bestimmte Religionszugehörigkeit) wird kaum eine solche Beweisführung gefordert. Karin Schönpflug, ebenfalls im Lila Tipp aktiv, spitzt es zu: „Wenn ich behaupte, Kommunistin zu sein, es aber möglicherweise gar nicht bin – werde ich dann etwa zur KPÖ geschickt, um bestätigt zu bekommen, dass ich auch wirklich Marx gelesen habe?” „Vorreiter“ Österreich? Grundsätzliche Kritik am österreichischen Asylsystem, wie sie vom Lila Tipp formuliert wird, ist für viele Lesben und Schwule mit EU-Pass weitaus weniger selbstverständlich. So meinte etwa die Homosexuelle Initiative Wien (HOSI): „Natürlich sind die Staaten nicht verpflichtet, allen, die behaupten, homosexuell zu sein, oder denjenigen, die tatsächlich homosexuell sind und behaupten, deswegen verfolgt zu werden, automatisch und ohne Einzelfallprüfung Asyl zu gewähren.” Nicht ohne Stolz hebt die HOSI in ihrer Presseaussendung zum Weltflüchtlingstag am 15. Juni hervor: „Österreich


thema: asylpolitik ist auf diesem Gebiet sogar international Vorreiter gewesen und hat bereits in den Erläuterungen zum Asylgesetz 1991 – als eines der ersten Länder der Welt – Homosexuelle explizit als Angehörige einer bestimmten sozialen Gruppe […] anerkannt.”6 Die Vorbildwirkung der österreichischen Asylpolitik als solche darf allerdings bezweifelt werden – schließlich zählt die hiesige Asylgesetzgebung zu den restriktivsten in ganz Europa. Das Lob der HOSI für das österreichische Innenministerium verkennt, dass das Recht auf Asyl seit den 1990ern (mit punktuellen Ausnahmen) immer stärker beschnitten wird. „Früher waren die Agenden Asyl und Migration im Wirtschaftsressort angesiedelt, jetzt sind sie ein ,Sicherheitsproblem’ und dem Innenministerium unterstellt. Das zeigt ganz deutlich den Paradigmenwechsel”, so Eisterer. Die ständigen Änderungen des Asylgesetzes seit 1997 haben außerdem dazu geführt, dass das Asylverfahren extrem kompliziert und damit auch kaum mehr an eine breite Öffentlichkeit kommunizierbar ist. „Mit dem gesamten Komplex des Asyl- und Fremdenrechts kennen sich in Österreich vielleicht nur noch eine Handvoll Menschen aus”, kommentiert Petra Sußer. „Zerstückelt schlucken es die Leute leichter, die NGOs, die ständig Kritik üben, werden zermürbt, der Widerstand wird schwächer. Das ist durchaus ein politisches Spiel.” Asylgrund: Homosexuell. Auch in der Schweiz, die auf ihre „humanitäre Tradition” besonders stolz ist, ist die Zustimmung zu Verschärfungen im Asyl- und Ausländerrecht stark gestiegen. Hinter der ständigen Rede über „effektive und faire Asylverfahren”, „die Verhinderung von Missbrauch” und „schwarze Schafe” steht jedoch – wie auch im österreichischen politischen Diskurs zu beobachten ist – die fortschreitende Aushöhlung des Asylrechts. „Es gibt fast keine richtigen AsylwerberInnen mehr”, erklärt die grüne Politikerin Katharina Prelicz-Huber im Gepräch, „in diesem System betreiben quasi alle Missbrauch.” Im Juni 2009 brachte Prelicz-Huber einen Antrag im Schweizer Nationalrat ein, um den Flüchtlingsbegriff im Schweizer Asylgesetz zu erweitern:

„… und den Fluchtgründen im Zusammenhang mit der sexuellen Orientierung und/oder Identität ist Rechnung zu tragen.” Die Motion wurde im März dieses Jahres mit 125 zu 64 Stimmen abgelehnt. „Ich werde sicher wieder nachstoßen”, meint Prelicz-Huber und verweist auf die Aufnahme der „frauenspezifischen Fluchtgründe” in das Schweizer Asylgesetz von 1998, dem auch ein zäher Kampf vorangegangen ist: „Es hat viel Lobbyarbeit und mehrere Anläufe gebraucht”, erinnert sie sich. Die Praxis zeige aber, dass es seitdem für weibliche Flüchtlinge deutlich einfacher geworden ist, ihr Recht auf Asyl einzufordern. Eine Strategie, die auch Juristin Petra Sußner unterstützt: „Eine explizite Formulierung im Gesetzestext allein löst das Problem nicht, solange im Umfeld noch immer Homophobie herrscht. Aber mit einem solchen institutionellen Rückhalt besitzt man eine andere Autorität. Würde das Gesetz deklariert von sexueller Ausrichtung sprechen, wären Jurist_innen viel eher gezwungen, sich mit der Bedeutung und Auslegung des Begriffs zu befassen, womit er – langsam, aber sicher – auch in den breiten Rechtsdiskurs vordringen könnte.” Im Sinne der Bewusstseinsbildung wäre die explizite Nennung von Homosexualität als möglicher Asylgrund auch für Angelika Eisterer und Karin Schönpflug vom Lila Tipp sinnvoll: „Das Problem ist ja, dass Beamte überhaupt nicht an diese Möglichkeit denken – Lesbischsein oder Schwulsein gibt es einfach nicht.” Auch „in Hinblick auf Fragen von Transgender und Intersexuellen – und die unterschiedliche Handhabung in den EU-Ländern – wäre eine Präzisierung wünschenswert”, ergänzt AI-Aktivist Andreas Schwantner. Zwangs-Outing. Grundsätzlich sollte die derzeitige Formulierung ausreichen, um Queer Refugees als Flüchtlinge bzw. subsidiär Schutzberechtigte anzuerkennen. Aber: „Die wenigsten geben Homosexualität als Asylgrund an. Diese Leute kommen aus Ländern, wo sie aufgrund ihrer Sexualität massiv verfolgt werden – da stell ich mich in einem fremden Land nicht als erstes ganz selbstbewusst hin vor einen männlichen und möglicherweise homophoben Beamten und sage: Jetzt steh ich dazu,

dass ich schwul oder lesbisch bin”, erklärt Angelika Eisterer die Schwierigkeiten bei einer ersten Einvernahme. Nicht nur LGBTIs, auch von sexueller Gewalt betroffenen Personen wie z.B. vergewaltigten Frauen ergeht es ähnlich. Darüber hinaus ist offen, ob sich die Flüchtlinge selbst auch als „schwul”, „lesbisch” oder „queer” bezeichnen würden. Andreas Schwantner teilt Eisterers Beobachtung. „In vielen Herkunftsländern wird das Thema Homosexualität tabuisiert, die Betroffenen gelten als ‚nicht normal’. Ein Outing vor fremden Behörden-MitarbeiterInnen stellt eine immense Barriere dar. Noch problematischer ist dies bei hinzukommender Traumatisierung wegen Verfolgungshandlungen im Herkunftsland. Bei der Anhörung werden meist männliche Dolmetscher aus den Herkunftsländern hinzugezogen. Viele Flüchtlinge sind vor diesen gehemmt, ihre – intime – sexuelle Orientierung zu schildern.” Bedingt sind die wenigen bekannten Fälle von LGBTI-Flüchtlingen aber auch durch die Form und den Ablauf des Asylverfahrens – etwa weil die Angaben des_der Asylsuchenden aus der ersten Anhörung am meisten wiegen und das spätere Vorbringen von Fluchtgründen wenig Chancen auf Anerkennung durch

Nachhilfe für Asylbehörden

die Asylbehörden hat. „Damit sind wir aber überhaupt bei der Frage: Ist dieses Asylverfahren das, was Flüchtlinge – egal ob homosexuell oder nicht – brauchen? Kann es diese Menschen schützen?”, fragt Angelika Eisterer. „Bei Verfahrensdauern von zehn Jahren und mehr, die eine Partizipation an der Gesellschaft einfach nur hemmen, ist die Antwort eindeutig: Nein.”

6 www.hosiwien.at/hosiwien-unterstuetzt-demozum-weltfluechtlingstag

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thema: asylpolitik

Quellen: www.asyl.at www.aufenthaltstitel.de http://conventions.coe.int http://derstandard.at www.deserteursberatung.at http://gayrights.change.org www.hrw.org http://igkultur.at/kulturrisse www.ilga-europe.org www.lglf.de/ilga-europa www.menschenrechte-jetzt.at www.proasyl.de www.queeramnesty.ch www.unhcr.at www.uno-fluechtlingshilfe.de www.villa.at/lilatip

Allianzen schmieden. Ende August präsentierte die Initiative „menschenrechte.jetzt”, ein Zusammenschluss von 270 österreichischen NGOs, die Ergebnisse einer Studie zum Thema „Menschenrechte in Österreich”. Demnach halten nur 24 Prozent der Befragten das Recht auf Asyl für „besonders wichtig”, lediglich 20 Prozent sind der Meinung, dass Migrant_innen und Asylwerber_ innen „besonderen Schutz” brauchen, bei Homosexuellen sinkt der Wert sogar auf acht Prozent.

Diskriminierung, so Angelika Eisterer und Karin Schönpflug vom Lila Tipp, produziert aber auch Spaltungen innerhalb der betreffenden Communitys. „Als hier in der Rosa Lila Villa Übergriffe von migrantischen Jugendlichen stattgefunden haben, haben wir uns sehr gut überlegen müssen, wie die Gewaltprävention anzulegen ist, um nicht ein falsches Bild von guten österreichischen Lesben und Schwulen und bösen ausländischen Jugendlichen zu zeichnen”, erzählt Karin Schönpflug.

Die gegenseitige Bestärkung in erneuerten Bündnissen, die das „Ganze” – rassistische Migrationspolitiken, der Abbau von sozialen Rechten, die Privatisierungen von öffentlichen Gütern – im Blick haben, das wünscht sich Katharina Prelicz-Huber. Rechte nicht nur für „authentische” LGBTI-Flüchtlinge, sondern ein Bleibe- und Bewegungsrecht für alle Zuwander_innen einzufordern, könnte ein erster Schritt in diese Richtung sein. l Glossar zu zentralen Begriffen von Asylrecht und -praxis auf www.anschlaege.at

S.O.S Queer Immer häufiger verbindet sich die Rede über die „Einheit Europas” mit dem sexuellen Rettungsdiskurs von Queers außerhalb des „Westens”. Doch Queerness ist mehr als eine Frage der Sexualität. Von Ana Hoffner

Nachhilfe für Asylbehörden

„Liebe verdient Respekt!” lautete der Titel einer Plakatkampagne gegen Homophobie, die 2009 von Courage, der Beratungsstelle für gleichgeschlechtliche und transGender Lebensweisen, im öffentlichen Raum sowie in Schulen, Jugendzentren und Jugendeinrichtungen umgesetzt wurde. Die Kampagne wurde von der MA 17, der Abteilung für Integrations- und Diversitätsangelegenheiten der Stadt Wien, mitfinanziert und sollte dazu beitragen, Strategien gegen Homophobie und Intoleranz zu entwickeln – vor allem in migrantischen Communitys. Der relativ platte und unübersehbare Rassismus der Plakate äußerte sich sowohl auf sprachlicher als auch auf visueller Ebene. Dass Liebe Respekt verdient, war auf Serbisch/ Kroatisch/Bosnisch und Türkisch vor dem Hintergrund sich küssender Paare zu lesen, deren geschlechtliche und eth20 l an.schläge Oktober 2010

nische Zugehörigkeit mehr als sorgfältig ausgesucht wurde, um ein liebevolles (sprich christliches) Miteinander trotz/ wegen Differenzen zu suggerieren. Neue Komplizenschaften. Die Plakatkampagne steht für die Interessenspolitik von LGBT-Einrichtungen, die aus den identitätspolitischen Kämpfen lesbischwuler Bewegungen der 1970er und -80er Jahre hervorgegangen sind und die für den Einschluss und die Anerkennung in bereits vorhandenen gesellschaftlichen Strukturen gekämpft haben. In der Gegenwart sind manche dieser Ziele tatsächlich erreicht worden (siehe Eingetragene Partnerschaft), sodass es auch nicht verwundert, wenn der Leiter einer Beratungsstelle für gleichgeschlechtliche Lebensweisen auch die Funktion eines Gutachters für das österreichische Asylamt übernehmen

kann und auch tatsächlich übernimmt. Zwar gilt Homosexualität in Österreich nicht als expliziter Asylgrund – Asylsuchende, die sich outen, werden aber trotzdem auf der Grundlage einer essenzialistischen Zuschreibung „betreut”. Oder auch nicht, wie die Abschiebung von Cletus B., dem Trainer des österreichisch-afrikanischen Fußballvereins FC Sans Papiers, im Mai 2010 zeigt. Was zunächst absurd erscheinen mag, ist tatsächlich Realität: Sexualpolitische Kontexte, die noch bis vor Kurzem in ihrer Selbstbezeichnung als aktivistisch, widerständig oder kritisch auftraten, verbinden sich nun systematisch mit der staatlich geregelten rassistischen Abschiebepraxis. Genau aus diesem Grund ist es notwendig, eindimensionaler Politik des Einschlusses, der Integration und Normalisierung von Differenz erneut


thema: asylpolitik eine Absage zu erteilen. Stattdessen gilt es danach zu fragen, wie Sexualitäten im Nationalstaat, vor allem aber in einem gegenwärtigen Europa, das passenderweise zunehmend als Festung/Gefängnis/Panoptikum bezeichnet werden muss, hervorgebracht bzw. unmöglich gemacht werden. Solche Untersuchungen, die sich der Wechselwirkung jener Prozesse, die Körper

für den Zugang zu anderen Territorien, Ressourcen und Körpern mit dem Ziel, homogene, durch eine kapitaltragende Mittelschicht stabilisierte Nationalstaaten als Kolonialmächte herzustellen. Wenn also symbolische Einschlüsse in die Nation für ausgewählte „Andere” (Lesben und Schwule in der HomoEhe, Migrant_innen zweiter Genera-

Sexualpolitische Kontexte, die noch bis vor Kurzem in ihrer Selbstbezeichnung als aktivistisch, widerständig oder kritisch auftraten, verbinden sich nun systematisch mit der staatlich geregelten rassistischen Abschiebepraxis. und Raum herstellen, widmen, gehören zu einem historisch tradierten Wissen von Women/Queers/Trans of Color und queeren Migrant_innen, das kontinuierlich ausgelöscht werden muss, um einen sexistischen, rassistischen, homophoben und transphoben Status Quo aufrechtzuerhalten. Was nicht heißt, dass diese unsichtbar wären. Ganz im Gegenteil – so zeigt etwa „Liebe verdient Respekt!”, wie Women/Queers/Trans of Color und queere Migrant_innen instrumentalisiert werden, um nationale Gesellschaften als tolerant, demokratisch und liberal erscheinen zu lassen. Europa United. Ihre Darstellung wird gebraucht, weil Österreich gegenwärtig seine heterosexuelle und auf Blut und Boden basierende nationalstaatliche Imagination zugunsten einer scheinbaren Öffnung für sexuelle Vielfalt und Multikulturalität aufgeben muss. Das geschieht vor allem vor dem Hintergrund eines Diskurses der europäischen Vereinheitlichung, der nicht mehr auf binären Aufteilungen in Ost und West, Homo und Hetero etc. sondern auf einem ideologischen Europa-Begriff der Zusammengehörigkeit und des familiären Miteinander basiert. Dass es ein geografisch, kulturell oder gar ökonomisch einheitliches Europa nie gegeben hat, muss kontinuierlich geleugnet werden, um eine Verbindung von Europa mit Zivilisierungsgedanken, Kolonialismus und imperialistischer Expansionspolitik zu verdecken. Europa steht in erster Linie

tion durch Verleihung der Staatsbürgerschaft etc.) zugelassen werden, so geschieht dies aufgrund einer kapitalistischen Forderung nach Erneuerung eines Bürgertums, das sämtliche Ausschließungsmechanismen, die seit der österreichischen Kolonialzeit wirksam sind, bekräftigten soll. Zu Akteur_innen einer nationalstaatlich gesteuerten Politik der Umerziehung/ Belehrung/Aufklärung werden neue Vertreter_innen eines nationalen Bürgertums, denen aus eben diesem Grund ein Zuwachs an Rechten zugestanden wird. So wird Homosexualität Teil eines eurozentristischen kolonialen Projektes und dazu benutzt, eine sexuelle Überlegenheit zu formulieren, mit deren Hilfe ganze Bevölkerungen pathologisiert und ausgewiesen werden können. Der sexuell „emanzipierte” Westen konstituiert sich dadurch erneut durch den homophoben Osten, der in der Anwesenheit von Migrant_innen auch im Inneren des geschützten Nationalstaates erscheint und korrigiert und ausgesondert werden muss. Sexueller Rettungsdiskurs. Die Wissensproduktion über die zu kolonisierenden Bevölkerungen ist nicht nur dann wirksam, wenn in einer Plakatkampagne Homophobie zur Angelegenheit von Migrant_innen gemacht wird, sondern auch, wenn über Homophobie im Osten berichtet wird (wobei Osten zu einer beweglichen Größe wird und nach Bedarf seine Position verändern kann).

2008 wurden Gewaltausschreitungen bei LGBT-Veranstaltungen in osteuropäischen Hauptstädten quer durch alle Medien thematisiert. Interessant ist hierbei das Zusammenfallen progressiver antirassistischer, teils auch lesbischwuler oder queerer Berichterstattung mit neoliberal-konservativen. Das Vokabular der kolonialen Moderne, das hilflose Opfer übermächtigen Tätern gegenüberstellt, sowie der Einsatz von „native informers”, die glaubhaft an Ort und Stelle berichten, taucht dabei – unabhängig von der politischen Ausrichtung – in fast allen Medien auf. Ebenso finden sich Solidaritätsaufrufe, die einen sexuellen Rettungsdiskurs nahtlos in selbstlegitimierte aktivistische Formen übersetzen, in Zusammenhängen, die eine Unterscheidung zwischen lesbischwul und queer obsolet machen. Das Zusammenfallen so unterschiedlicher politischer Positionen lässt darauf schließen, dass ein breiter gesamtgesellschaftlicher Konsens über einen neokolonialen Diskurs herrscht. Subalterne Stimmen, die zwar kontinuierlich artikuliert, aber nicht gehört werden dürfen, erscheinen punktuell in der Öffentlichkeit, um gleich wieder zum Verschwinden gebracht zu werden, etwa wenn Judith Butler auf die Organisationsformen von Women/Queers/ Trans of Color und queeren Migrant_innen verweist und die öffentliche Aufmerksamkeit sich kurze Zeit auf eben diese Positionen stürzt. Dass Perversion und Abnormalität mehr als eine Frage der Sexualität sind, zeigt hingegen ein Transparent auf der Fassade der Rosa Lila Villa, auf dem „Abartige gegen Abschiebung” zu lesen ist. Es positioniert sich gegen FrontexAbschiebungen, die auch vom Flughafen Wien Schwechat aus EUropäische Grenzen definieren. l

Ana Hoffner ex-Prvulovic ist Performancekünstler_in und arbeitet in den Bereichen queerer und migrantischer/ postkolonialer Politiken.

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thema: asylpolitik

Keine Sackgasse Basierend auf den Erfahrungen der iranischen LGBTAktivistin und Filmemacherin Kiana Firouz entstand das Doku-Drama „Cul de Sac”, in dem Firouz sich selbst spielt. Verena Stern und Vina Yun sprachen mit der Co-Regisseurin des Films, Mahshad Torkan*, über die Queer Community im iranischen Untergrund und die öffentliche Asyl-Debatte in Großbritannien, die der Film auslöste. Nachhilfe für Asylbehörden

an.schläge: Was bedeutet es für queere

* Übersetzung aus dem Englischen: Verena Stern. Das ungekürzte Originalinterview gibt es auf www.migrazine.at „Cul de Sac” (Iran 2010), Regie: Ramin GoudarziNejad & Mahshad Torkan www.culdesacmovie.com Die Leipziger Frauenbibliothek MONAliesA und die Kinobar „Prager Frühling” präsentieren „Cul de Sac” am 13.10. , 19.00 Uhr im Rahmen des Leipziger Lesbentreffens (13.–17.10.). Mit anschließendem Gespräch und Diskussion. http://monaliesa.leipzigerinnen.de, www.kinobarleipzig.de

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oder lesbische Frauen heutzutage im Iran zu leben? Mahshad Torkan: Homosexuelle im Iran werden ausgepeitscht, gehängt oder gesteinigt, wenn sie erwischt werden. Das ist das Resultat sowohl von Ignoranz als auch der dominierenden religiösen Mentalität. Homosexualität gilt als Geisteskrankheit, unmoralisches Benehmen oder Sünde, die harte Strafen nach sich ziehen muss. Für Lesben und Schwulen bedeutet das ein (Über-) Leben in permanenter Angst. Für Lesben ist es ungleich schwerer, da sie auch Frauen sind, die als zweitklassige Staatsbürgerinnen im Vergleich mit Männern ein geringeres Ansehen genießen. Lesben müssen ihre wahre sexuelle Orientierung verheimlichen und ihr Leben im Verborgenen fristen – das oft in einer Zwangsehe endet. Als Homosexuelle haben sie keine Rechte, und laut dem iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad existieren sie nicht einmal. Ist es der iranischen Queer Community trotzdem noch irgendwie möglich, im Untergrund zu arbeiten? Ich als gebildete Frau, die fast ihr ganzes Leben im Iran verbracht hat, hatte keine Ahnung, ob es so etwas wie eine „Community” oder ein Zentrum gab, wo man sich treffen kann. Es gibt vielleicht ein paar Gerüchte, aber Fakt ist, dass Queers ihre Informationen geheimhalten müssen, um zu überleben. Ich habe zum ersten Mal von Kiana gehört, als sie noch Studentin im Iran war. Sie schloss sich einem UntergrundNetzwerk von Lesben an, die sich

regelmäßig trafen, um ihre Probleme zu diskutieren. Es gibt ein paar Parks und Coffee-Shops, in denen sich Queers treffen, doch sollte die Sicherheitspolizei das herausfinden, hätte das verheerende Folgen. Es gibt es ein paar queere Organisationen, die hauptsächlich außerhalb des Iran stationiert sind. Die aktivste davon ist die von Arsham Parsi gegründete IRQR (Iranian Railroad for Queer Refugees) in Toronto. Dann gibt es noch Online-Magazine wie „Hamjense-man” und „Neda”, die ausdrücklich auf die Situation von iranischen Queers fokussieren. Alle diese Organisationen und Magazine werden von zwei bis drei Leuten gemacht, die keine Unterstützung bekommen und um ihre Existenz kämpfen müssen.

Kiana Firouz suchte in Großbritannien um Asyl an, ihr Antrag wurde jedoch abgelehnt. Daraufhin erreichten tausende Protestbriefe die Regierung, und es gab es eine Petition gegen ihre drohende Abschiebung. Wie sieht ihre momentane Situation aus? Nach den zwei Ablehnungen ihres Asylantrags ist ihre jetzige Aufenthaltserlaubnis („leave to remain”) ein großer Erfolg für uns. Ich initiierte die Petition gegen ihre Abschiebung, die mit über 45.000 Unterschriften in nur einem Monat zur größten internationalen Kampagne für ein LGBT-Asylverfahren wurde. Aus meiner Sicht war die Tatsache, dass Kiana das Risiko in Kauf nahm, sich in „Cul de Sac” selbst zu spielen, der mutigste und wichtigste Teil der Arbeit am

Film. „Cul de Sac” ist einzigartig. Noch nie gab es davor eine Lesbe aus dem Iran als Hauptdarstellerin, die damit die Chance bekommt, ihre Existenz hinauszuschreien. Wir sind sehr stolz, einen solchen Film gemacht zu haben.

Im Juli urteilte der Oberste Gerichtshof, dass homosexuelle Flüchtlinge nicht in das Herkunftsland abgeschoben werden dürfen, wenn ihnen Verfolgung droht, und dass der Zwang, die sexuelle Orientierung zu verheimlichen, die Persönlichkeitsrechte verletzt. Hat „Cul de Sac” möglicherweise zu diesem Erkenntnis beigetragen? Tatsächlich hat sich vor uns noch kein_e iranische_r Regisseur_in an das Thema herangewagt. Eines der Ziele war es, mit dem Film die internationale LGBTCommunity zu mobilisieren, um jene zu unterstützen, die weniger Chancen haben, für ihre Bürger_innenrechte zu kämpfen. Aufmerksamkeit erhielt der Film auch von Seiten der Presse, wie der „Times”, dem „Guardian” und vielen anderen. Diese breite Rezeption und der Umstand, dass der Film auf einer wahren Geschichte beruht, hatten einen unleugbaren Einfluss auf diese Wende im Asylrecht in Großbritannien. Martin Fletcher von der „Times” drückte es so aus: „Kiana Firouz’ case is a test of the sincerity of Britain’s new government. The Conservative Party promised in its equalities manifesto to ,change the rules so that gay people fleeing persecution were granted asylum’.” l


an.sprüche

Wer hält hier die Hand auf? In Österreich wird immer vehementer gegen Bettler_innen vorgegangen. Marion Thuswald von der BettelLobbyWien zeigt den Zynismus, der in diesen Gesetzen steckt, auf. Alexandra Siebenhofer von „Radio Stimme” sieht in ihnen den (rassistischen) Wunsch nach einer „Gated Community” Österreich.

Illustration: Bianka Tschaikner

Ist Betteln in Wien erlaubt oder verboten? Die Antwort auf diese einfach scheinende Frage ist ganz und gar nicht einfach. Warum? Im Wiener LandesSicherheitsgesetz von 1993 ist aufdringliches, aggressives und organisiertes Betteln verboten. Seit 2008 gilt auch das Betteln von und mit Minderjährigen als strafbare Handlung, und mit Juni 2010 trat das Verbot des sog. gewerbsmäßigen Bettelns in Kraft. Ein allgemeines Bettelverbot wie in Tirol oder Salzburg gibt es in Wien jedoch nicht, wie die SPÖ betont. Aber … Wenn Bettler_innen als störend empfunden werden und die Polizei – etwa von Geschäftsleuten – zum Handeln aufgefordert wird, braucht sie dazu gesetzliche Grundlagen. Die Wiener PolizeibeamtInnen haben für die Vertreibung und Bestrafung von Bettler_innen in den vergangen Jahren die Straßenverkehrsordnung oder die Gewerbeordnung herangezogen oder das Landes-Sicherheitsgesetz sehr breit ausgelegt: Im Sitzen die Hand auszustrecken und „bitte bitte” zu sagen, gilt bereits als aggressiv; wer zu dritt betteln geht – und sei es mit der eigenen Schwester und Mutter – wird wegen „Organisiertheit” bestraft. Das Verbot des gewerbsmäßigen Bettelns macht das Bestrafen nun noch einfacher. Es wirkt wie ein allgemeines Bettelverbot, denn gebettelt wird eben, um sich dadurch ein Einkommen zu verschaffen ... SPÖ-Politiker_innen betonen, dass das Gesetz zum Schutz vor Ausbeutung durch Hintermänner dienen soll. Diese Argumentation ist zynisch: Es braucht keine Bettelverbote, um gegen Menschenhandel, Nötigung oder Ähnliches vorzugehen, so es dies im Zusammenhang mit Betteln geben sollte – dagegen gibt es in Österreich bereits Gesetze. Die Bettelverbote treffen und strafen jene, die sie zu schützen vorgeben. Zudem werden sie rassistisch vor allem gegen „ausländisch aussehende” Menschen angewandt. Was gilt es zu tun? Klagen gegen die Verbote unterstützen, die Mafia-Mythen dekonstruieren, gegen die Plakataktion der Wirtschaftskammer („Gut gemeinte Spenden vor Supermärkten und in Einkaufsstraßen können ungewollt gewerbsmäßiges Betteln fördern”) und andere Hetzkampagnen protestieren, solidarisch handeln, den öffentlichen Raum als Raum für alle einfordern – menschenwürdige Lebensbedingungen für alle schaffen.

Betteln wurde in den letzten Jahren wesentlich erleichtert: Spenden können von der Steuer abgeschrieben werden und Parteien dürfen wieder geheim halten, wessen Almosen sie finanziert. Auch gewerbsmäßig, im öffentlichen Raum und sogar mit Kindern dürfen Parteien und Organisationen betteln. Wer aber nicht im Dienst einer angemeldeten Organisation um Spenden bittet, muss das isoliert, alleine und aus reinem Freizeitvergnügen tun. Diese Verbote haben sich nur in geringem Ausmaß an schnorrenden Obdachlosen, wankenden Süchtigen und hungernden Zirkuspferden entzündet. Armut war im Wohlstandsland Österreich ein Minderheitenphänomen. Wo ihr mit schnieken Bahnhofsneubauten und privaten Sicherheitsdiensten nicht beizukommen war, konnte ihr Anblick im öffentlichen Raum gerade noch geduldet werden. Erst die Erkenntnis, dass Armut eine Mehrheit betrifft, sobald die Grenzen Österreichs nicht mehr die Grenzen der Welt sind, brachte den Ruf nach Bettelverboten. „Roma”-Bettler_innen aus dem ehemaligen Ostblock waren die Vorhut des Massenelends, mit dem sich der mediale Diskurs überfordert sah. Blöder Mauerfall aber auch. Wär doch das Land eine einzige bewachte Wohnhausanlage. Bettelverbote sind Teil der „Gated Community” Österreich. Drinnen herrscht das mondäne Leben, draußen das Elend – Quelle des Gestankes, ordinärer Anblicke und kostengünstiger Dienstleistungen. Die „Gated Comunity” verdient hervorragend als „Drehscheibe zum Osten”, während Bürger_innen der neuen EU-Mitgliedsländer noch bis Frühjahr 2011 auf freien Zugang zum Arbeitsmarkt warten müssen. Wie bei allen „Gated Communities” wird so getan, als dienten die errichteten Barrieren keineswegs der moralischen Abwehr, sondern alleine dem Schutz vor elendiger Kriminalität. So suggeriert der Anblick bewaffneter Sicherheitsleute Schutz, jener von unbewaffneten Bettlerinnen Bedrohung – dies absurderweise, weil sie im Verdacht stehen, Opfer Krimineller zu sein. Gemeint ist damit immer: die Mafia. Praktisch nie Menschen wie der Chef der Deutschen Telekom, René Obermann. Gegen ihn wird seit Kurzem wegen des Verdachts der Bestechung und der Beihilfe zur Bestechung bei verschiedenen DT-Tochtergesellschaften in Osteuropa ermittelt. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Marion Thuswald ist Bildungswissenschaftlerin und Mitarbeiterin der BettelLobbyWien. http://bettellobbywien.wordpress.com

Alexandra Siebenhofer ist ehrenamtliche Redakteurin bei „Radio Stimme“, der Sendung der Initiative Minderheiten auf Radio Orange. http://o94.at/programs/radio_stimme

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zeitausgleich arbeitsfragen in allen

lebenslagen

Text: Mieze Medusa, Illustration: Nadine Kappacher

Zimmer mit alles Ersetzt ein Laptop den „room of one’s own”, den eine Frau neben Geld zum Schreiben braucht, Frau Woolf? Ich hab ein Zimmer (das Schlafzimmer, das Zimmer für alles außer Bügeln), mein auchschreibender Lebensmensch hat ein Zimmer (das Wohnzimmer, das Zimmer für alles außer Kochen), gemeinsam haben wir also zwei Zimmer, und das mit der Summe, die mehr ist als die Summe ihrer Teile, stimmt: Es gibt einen Gang. In meinem (Zimmer, für die, die den roten Faden jetzt schon verloren haben) steht ein Schreibtisch, aber an dem sitz ich irgendwie nie. Und irgendwie ähnelt der (Schreibtisch, an dem die roten Fäden zusammenlaufen sollten) dem Schreibtisch meiner Mutter, der sich im Kindheitshaus in einem Eck versteckt und auf dem sich unerledigte Briefe, ungelesene Bücher und ungebügelte Wäsche stapeln, aber immer nur kurz. Auf meinem (Schreibtisch, der mit den roten Fäden und dem Wirrwarr) stapeln sich unbezahlte Rechnungen, ungelesene Bücher, ungehörte CDs, ungewischter Staub und unverwirklichte Ideen. Alles halt, abgesehen von Bügelwäsche und Dokumenten. Das eine habe ich nicht, die anderen bewahre ich vor dem Verschwinden, indem ich sie nicht auf den Schreibtisch lege. Meine Mutter, Ehre, wem Ehre gebührt, ist im Stapelbearbeiten und Staubwischen effizienter. Aber, Frau Woolf, brauch ich wirklich so ein Zimmer mit Schreibtisch, wenn ich Weltliteraturzugehörigkeit erreichen oder überhaupt was zu Papier bringen will? Ich hab doch meinen Laptop. Der hat einen Desk, dessen Top öfter bereinigt wird, der Papierkorb wird regelmäßiger entleert und die Schubladen sind aufgeräumt. Er hat einen Undo-Button, er hat eine Rechtschreibkontrolle, er hat Musik, er hat ein drahtloses Fenster in den großen Hinterhof der Welt. Ich mag die Verfremdungsvorschläge meiner automatischen Open-Office-Tipphilfe, die der Microsoft-Variante an Kreativität haushoch überlegen ist. Ich mag die Schneckenhäuslichkeit meines Laptops, ich trag einfach alles mit mir rum, bis ich Kreuzweh hab, dann setz ich mich in die Nähe einer Steckdose und trink Kaffee. Ersetzt also ein Laptop das eigene Zimmer, Frau Woolf, oder geht’s ums Daheimbleiben und Stillsitzen? Ihre Meinung ist mir wichtig, ich wär gern wie Sie, nur halt: in eigenen Worten. Mieze Medusa liebt Literatur, Rap und Poetry Slam und lebt ihr Leben danach. www.miezemedusa.com Nadine Kappacher gibt es da www.salon-nadine.at und dort http://meerweh. tumblr.com

24 l an.schläge Oktober 2010

antidiskriminierung Bewerbung anonym Fünf Unternehmen in Deutschland und Kristina Köhlers Bundesfamilienministerium wagen ab sofort einen Test: die anonyme Bewerbung. „Bei anonymisierten Lebensläufen steht die Qualifikation der Bewerberin oder des Bewerbers im Mittelpunkt”, so Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle der Bundesregierung und Initiatorin des Projekts. In den Personalabteilungen der Deutschen Post, der Deutschen Telekom, bei L’Oréal, Mydays und Procter & Gamble soll einzig die Qualifikation zählen – in den USA ist dieses Verfahren längst Standard. Ein ausländisch klingender Name, Alter und die Anzahl der Kinder sollen nicht mehr über die Einladung zum Bewerbungsgespräch entscheiden und Diskriminierung verhindern. Kritik kommt vom Arbeitgeberverband und dem Verband der Familienunternehmer (sic!). Allerdings zeigen gerade deren Argumente die Notwendigkeit von Instrumenten zur Antidiskriminierung: Ein gezieltes Einladen sei nicht mehr möglich, in den Unternehmen sei man schon weiter und setze gezielt auf Bewerber_innen, die für Diversität sorgen – was ganz so klingt, als fehlten Jobsuchenden aus dieser Gruppe die Qualifikationen, um sich anonym durchzusetzen. Die Testphase läuft ein Jahr und wird wissenschaftlich begleitet. fis www.sueddeutsche.de, http://maedchenmannschaft.net

forschungsförderung Gender-Kriterien bei Projektanträgen Um den Gender-Gap in der Forschungslandschaft zu verkleinern, werden künftig Gender-Kriterien bei Einreichungen von Anträgen bei der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) zwingend sein. Dies verkündete Doris Bures, Ministerin für Verkehr, Innovation und Technologie, die im Rahmen der Technologiegespräche in Alpbach ihr neu entwickeltes „Humanressourcenpaket” präsentierte. Von Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek als großen Erfolg für Forscherinnen kolportiert, beinhaltet das Paket mehrere gendersensible Faktoren, die bei einer Projekteinreichung zu beachten sind. Konkret geht es um den Gegenstand des Projekts, das Forschungsteam sowie die Arbeitsbedingungen der Antragsteller_innen. Zunächst gelten die Gender-Kriterien für alle 1.200 Basisprojekte, ab 2011 wird auf weitere FFG-Bereiche ausgeweitet. Seit August steht Student_innen und Neo-Forscher_innen zudem eine neue Jobbörse zur Verfügung. Diese soll u.a. Stellenangebote, Praktika und Dissertationsmöglichkeiten, aber auch Ausschreibungen für Wiedereinsteiger_innen nach der Karenz für Interessierte sammeln. vers www.diestandard.at; FFG-Jobbörse: www.ffg.at/content.php?cid=1145

zeitverwendungsstudie Hausarbeit ist Frauensache ... … zu diesem traurigen Resümee kommt die jüngste Zeitverwendungsstudie (s. auch Sprechblase in an.schläge 09/2010). Der Anteil der Männer, die sich an der unbezahlten Hausarbeit beteiligen, ist im Vergleich zur letzten Zeitverwendungsstudie von 1992 zwar gestiegen, doch den Großteil der Hausarbeit verrichten nach wie vor Frauen: Zwei Drittel der unbezahlten Arbeit werden von Frauen erledigt, daran hat sich auch in den letzten 18 Jahren wenig verändert. In den Details überraschen die Ergebnisse kaum: Frauen verwenden mehr Zeit für Kochen, Putzen, Waschen, Hand- oder Gartenarbeit, die


an.riss arbeit wissenschaft Männer liegen bei Tätigkeiten wie Heizen oder Reparaturen vorne. Auch in puncto Kinderbetreuung bestätigen die Studienergebnisse eine klassische Rollenverteilung: Männer spielen mit den Kindern, Frauen übernehmen Versorgung, Beaufsichtigung oder Begleitung. Übrigens: Bei der Versorgung von kranken Erwachsenen oder Hilfestellungen für „gesunde” Erwachsene – Arbeiten, die traditionell Frauen zugewiesen werden – waren die Fallzahlen der Männer so gering, dass sie gar nicht erst ausgewiesen wurden. Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek kritisiert, dass sich Männer „nur die Rosinen herauspicken”. Projekte zur Bewusstseinsbildung seien deshalb unbedingt notwendig. Die Zeitverwendungsstudie wurde von der Statistik Austria im Auftrag der Frauenministerin von März 2008 bis April 2009 durchgeführt und ist (nach 1981 und 1992) die dritte Erhebung dieser Art. be www.diestandard.at; Download der Studie: www.frauen.bka.gv.at/site/7232/default.aspx

Ärztinnen und Profilerinnen, die sich über ihren Beruf definieren. Die Frauen in den deutschen Serien sind zwar auch berufstätig, stehen aber vor allem mit ihren Beziehungen im Vordergrund.” Vorgestellt wurde die Studie bei der Berliner Konferenz „Don’t think it’s only entertainment”, die vom Projekt „MINTiFF” der TU-Berlin veranstaltet wurde. Dieses Projekt beschäftigt sich mit der Frage, welche Chancen Spielfilme und Fernsehserien bieten, um das Desinteresse junger Frauen an naturwissenschaftlich-technischen Berufen aufzubrechen und die sog. MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik)-Fächer attraktiver zu machen. Durch die TU-Studie wurden frühere Ergebnisse britischer und USamerikanischer Untersuchungen bestätigt, denen zufolge Frauen in naturwissenschaftlichen Studiengängen ihre Berufswahl häufig aufgrund weiblicher Vorbilder in amerikanischen TV-Serien trafen. Basierend auf diesen Studien wurden auf der Konferenz Maßnahmen zur Förderung von MINT-Entertainment-Education-Qualität vorgestellt und aufgezeigt, welche Herausforderungen und Aufgaben sich daraus für Wissenschaftsorganisationen, Ausbildung und Förderpolitik ergeben. pix www.mintiff-konferenz.de

sexismus Verbale Belästigung belastet

Foto: http://greysanatomyfan.com

entertainment Mit Cristina Yang Medizin studieren Eine aktuelle Studie der TU-Berlin zeigt, dass US-amerikanische Fernsehserien wie „Dr. House”, „Grey’s Anatomy” und „CSI” das Interesse junger Frauen an technischen und naturwissenschaftlichen Berufen fördern. Außerdem, so die Ergebnisse, würde durch solche Serien auch das weibliche Selbstverständnis in diesem Arbeitsfeld gefördert. Deutsche TV-Serien hingegen wie „Sachsenklinik”, „Marienhof” oder „Verbotene Liebe” bringen keinen solchen Effekt hervor. Den Grund dafür sieht Studienleiterin Marion Esch in der unterschiedlichen Darstellung von Geschlechterrollen: „In den amerikanischen Serien gibt es toughe

„Na, bist du so frustriert, weil es am Wochenende im Bett nicht geklappt hat?”, fragt der Arbeitskollege. Ein blöder Kommentar, vielleicht witzig gemeint, „nur” ein verbaler Übergriff. Doch die Folgen können weitreichend sein: Ekel, Wut, Entwürdigung. Später vielleicht Schlaf- oder Essstörungen, Magenschmerzen, Konzentrationsschwäche, depressive Verstimmungen. Von einem „Leistungsabfall aufgrund physischer und emotionaler Probleme” sprachen auch die weiblichen Opfer von Belästigung, die innerhalb der Studie zu „Gender Harrassment” von Emily Leskinen, Lilia Cortina und Dana Kabat von der University of Michigan befragt wurden. Analysiert wurden Umfragedaten von Frauen, die im US-amerikanischen Militärdienst und in Gerichtsbehörden, also männlich dominierten Umgebungen, tätig sind. Ergebnis: 90 Prozent der Befragten leiden unter sexistischem Verhalten. Bei neun von zehn Frauen, die angaben, sich am Arbeitsplatz von Männern belästigt zu fühlen, gab es keine sexuelle Komponente. Eine unbedingte Forderung der Studienautorinnen ist daher, die Definitionen von männlicher Belästigung neu zu überdenken. Es muss kein unerwünschter sexueller Annäherungsversuch sein – Beleidigung, Ablehnung und Erniedrigung sind ebenso belastend. kaiv www.diestandard.at; Studienergebnisse auf www.springerlink.com/content/d0200k6tk661lj66/fulltext.pdf

Wissenschaftskalender & Calls for Papers ✪ Ringvorlesung „Eine von Fünf – Gesundheit und Gewalt im sozialen Nahraum“, Wien, ab 21. Oktober www.meduniwien.ac.at/orgs/index.php?id=1384 ✪ Konferenz „Space RE:solutions. Intervention and Research in Visual Culture“, Wien, 21.–23. Oktober, www.kunst.tuwien.ac.at/conference.htm ✪ Kongress „Das flexible Geschlecht“, Berlin, 28.–30. Oktober, www.bpb.de/veranstaltungen/8CT3BB,0,_Das_flexible_Geschlecht.html ✪ Konferenz „AUTO.MOBIL.KRISE – Die linke internationale Autokonferenz“, Stuttgart, 28.–30. Oktober www.auto-mobil-krise.de/files/2010/08/Programmflyer-Auto.Mobil_.Krise-WEB-Version.pdf ✪ Workshop „Vermarktlichung von Gefühlen“, Wien, 8. Oktober, www.birgitsauer.org/Aktuelles.php ✪ „Import – Export – Transport: Queer Theory, Queer Critique and Activism in Motion“, bis 1. November www.univie.ac.at/gender/fileadmin/user_upload/gender/Veranstaltungen/CfP_queerconference2011.pdf ✪ „Exploring contested terrains of LGBT public activism in Eastern Europe“, bis 15. Oktober, www.sextures.net/calls Oktober 2010 an.schläge l 25


forum wissenschaft

Alternatives Begehren Der Frauenporno ist die Vorzeigeversion des Pornofilms. Er schafft es mühe- und zensurlos auf die Titelseiten von Frauenzeitschriften und vertritt dort sein Image als ästhetisches Gegenstück zum männlichen Schmuddelporno. Worin genau er sich nun von der Mainstream-Pornografie unterscheidet, hat Verena Kuckenberger zusammengefasst.

Foto: Carleton Torpin

1 Frauenpornos werden an dieser Stelle als pornografische Filme verstanden, die heterosexuelle Frauen zur Zielgruppe haben. Es ist notwendig, diese Einschränkung vorzunehmen, da die untersuchten Filme spezifisch für Frauen mit primär heterosexuellem Begehren produziert wurden. 2 Mainstream-Pornografie wird hier nach Corinna Rückert definiert als „(audio-)visuelle Produkte, die als Massenkonsumartikel größtenteils in kostengünstigen Produktionen [und von] männlichen Produzenten hergestellt” werden.

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Seit in den 1980er-Jahren erstmals die Idee aufkam, Pornofilme zu produzieren, die vor allem Frauen ansprechen sollten, hat sich auf diesem Gebiet einiges getan. Neben unabhängigen PornoProduzentInnen haben inzwischen auch große Produktionsfirmen das weibliche Publikum als unerschlossenen Markt entdeckt und während der letzten Jahre verstärkt an Pornofilmen für heterosexuelle Frauen oder auch „paartauglichen” Pornos gearbeitet. Und es gibt zahlreiche Internetseiten, auf denen diese Pornos vertrieben oder besondere Empfehlungen für Frauen ausgesprochen werden. In diesem aufblühenden, jungen Genre haben sich aber derart unterschiedliche Produkte entwickelt, dass es angebracht scheint zu hinterfragen, ob und wie in diesen „Frauenpornos”1 gezeigt wird, „was Frauen wollen”, bzw. wodurch sie sich von MainstreamPornografie2 unterscheiden. Eindeutig überbelichtet. Der durchschnittliche Mainstream-Hardcorefilm besitzt laut den MedienwissenschaftlerInnen Werner Faulstich und Linda Williams folgende Eigenschaften:

Pornografie kommt direkt zur Sache und zeichnet sich durch seine Konkretheit aus. Es gibt kein elaboriertes Vorspiel, keine langen Spannungsentwicklungen. Die Figuren sind anonym und austauschbar, haben keine persönlichen, individualisierenden Merkmale und sind auf ihre sexuelle Funktion reduziert. Das Setting ist auf das Nötigste beschränkt. Die formale Story, sofern vorhanden, dient nur als lose Verknüpfung von Positionen und Praktiken und wird meist bei einer kurzen Einleitungssequenz belassen. Die Repräsentation von Wirklichkeit wird über eine möglichst naturalistische und dokumentarische Darstellungsweise erzielt. Dieses Prinzip der maximalen Sichtbarkeit manifestiert sich konkret z.B. in Großaufnahmen von Teilen des Körpers, die anderen Einstellungen vorgezogen werden, der Überbelichtung der Geschlechtsteile, der bevorzugten Auswahl von Stellungen, die die Körper und Geschlechtsorgane am deutlichsten zeigen sowie Konventionen wie die Serie der sexuellen „Nummern”, die geschoben werden, oder der extern ejakulierende Penis. Die externe Ejakulation, auch als „money shot” bezeichnet, ist quasi ein unverzichtbarer Bestandteil eines Hardcore-Films. Zumeist markiert er das Ende einer Sequenz, womit auch ein klarer Hinweis auf den intendierten männlichen Rezipienten geliefert wird. Außerdem weisen diese Filme eine bestimmte Strukturiertheit auf – die sexuelle Handlung wird in einer Form hervorgehoben, dass die Aufmerksamkeit auf sie gesteuert wird. Kontrolliertes Stöhnen. Klischeehafte Darstellungen, Rohheit, Primitivität, aber auch schlechte Beleuchtung und billige Produktion münden nicht selten

in einer Ästhetik des Hässlichen. Daneben sollen permanentes Schreien, Stöhnen, Stammeln oder explizite Artikulation („Ich bin ja so geil!”) extreme Wollust, Einverständnis und ständige Willigkeit der Frau signalisieren. Das Prinzip der maximalen Sichtbarkeit versagt allerdings bei der Darstellung weiblicher Lust bzw. beim entsprechenden Geständnis derselben – dem weiblichen Orgasmus. Die Problematik, diesen unmissverständlich darzustellen, wird in den meisten Pornofilmen durch den Diskurs der Wollust kompensiert. Der weibliche Höhepunkt an sich wird hingegen eher selten inszeniert. Letztlich richtet sich der MainstreamPorno an einen männlichen Betrachter. Die Aufmerksamkeit liegt klar auf dem weiblichen Körper, während der Mann kaum zum Objekt der Szene wird. Er ist das handelnde Subjekt, der aktive Part, mit dem man sich identifizieren möchte. Seine Erregung bildet den Anfang, sein Orgasmus das Ende einer Szene. Zum Äußersten getrieben wird die männliche Perspektive in „Point of view”- oder „Control”-Pornos, bei denen die Kamera völlig die Perspektive des männlichen Blicks einnimmt. Alternativ vögeln. Der Frauenporno und Frauenpornografie generell müssen in einem größeren Kontext gesehen werden als in bloßer Abgrenzung zur Mainstream-Pornografie. Denn neben diesem Genre haben sich auch andere Zugänge zu Pornografie entwickelt, die ich unter dem Begriff „alternative Pornografie” zusammenfassen möchte. Dazu gehören Produktionen, die sich etwa unter den Labels „queer porn”, „altporn”, „feminist porn”, „post porn”, „fair porn” etc. einordnen lassen und teilweise auch abseits des kommerzi-


forum wissenschaft ellen Kontexts angesiedelt sind. Der Frauenporno kann also als eine von vielen Ausprägungen von alternativer Pornografie verstanden werden. Was die Besonderheiten und Eigenschaften der Frauenpornos betrifft, herrscht Einigkeit – wissenschaftliche Texte, Porno-Produzentinnen, kommerzielle Medien, Studienergebnisse und Porno-Filmpreise wiederholen im Prinzip die immer gleichen Charakteristika, die vor allem den Unterschied zum Mainstream-Porno betonen sollen. Der Konkretheit entgegengesetzt, soll der Frauenporno nicht allein die sexuelle Handlung zum Thema haben, sondern diese in einen narrativen Zusammenhang einbetten. Durch eine ausgebaute Rahmenhandlung werden so auch die Figuren entanonymisiert. Auch die Wirklichkeitsrepräsentanz äußert sich im Frauenporno auf eine

gesetzt, die auch Wert auf qualitativ hochwertigen Ton und/oder Musik legen, stimmige Beleuchtung einsetzen, bessere Schnitttechniken und kreative Settings verwenden. Frauenpornos beinhalten keine Gewalt oder Rohheit, propagieren eine sexpositive Grundeinstellung und versuchen Klischees und stereotype Darstellungen zu vermeiden, weswegen der Frauenporno oft als „weichere, saubere” Version des Pornofilms bezeichnet wird. Der Diskurs der Wollust wird abgelöst von der grundsätzlichen Betonung der weiblichen Lust, die nicht durch unrealistische Schreiattacken, sondern möglichst glaubhaft zum Ausdruck kommen soll. Auch der Herausforderung des „Zeigens” eines weiblichen Orgasmus darf sich der Frauenporno stellen. Weiters werden vermehrt Praktiken wie Cunnilingus eingesetzt und damit

Im Frauenporno „steht“ der erigierte Penis nicht im Mittelpunkt der Szene und kann auch – ein absolutes Tabu im Mainstream-Porno – in schlaffem Zustand gezeigt werden. andere Weise als im Mainstream-Porno. Dezidiert werden nämlich häufige Großaufnahmen und die externe Ejakulation vermieden. Im Umgang der DarstellerInnen miteinander und in deren Auswahl wird hingegen großer Wert auf Natürlichkeit gelegt. Beim Zeigen der sexuellen Handlung wird also nicht mehr nach maximaler Sichtbarkeit gestrebt – was den Rest betrifft, werden aber realistische Szenarien bevorzugt, so ist etwa auch Safer Sex erwünscht. Weicher, schlaffer, sauberer. Die Strukturiertheit im Frauenporno zeichnet sich durch mehr Abwechslung, einfallsreiche Praktiken und kreative Kameraführung aus. Filme, die explizit auf bestimmte Praktiken fokussieren – wie etwa Analsex (der im Frauenporno aber ohnehin eher als unerwünscht gilt) – gibt es kaum. Beginn und Schluss sind nicht so klar festgelegt wie beim MainstreamPorno. Dadurch soll die Rezeption nicht zu stark gesteuert werden, sondern Raum für eigene Fantasie und Auswahlmöglichkeiten bleiben. Der Ästhetik des Hässlichen werden aufwendigere Produktionen entgegen-

die Lust der Frau stärker ins Zentrum gesetzt, vermieden werden in diesem Zusammenhang hingegen Gruppenszenen mit mehreren Frauen, die den Mann „verwöhnen”. Der erigierte Penis „steht” nicht im Mittelpunkt der Szene und kann auch – ein absolutes Tabu im Mainstream-Porno – in schlaffem Zustand gezeigt werden. Schließlich soll ein individualisierter, aktiverer Frauenpart eine stärkere Identifikationseinladung für weibliche Zuseherinnen gewährleisten und somit dem männlichen Blick die Möglichkeit eines weiblichen Blicks zur Seite stellen. Im Film „Eyes Of Desire” von Candida Royalle wird weibliche Schaulust sogar explizit zum Thema.

litativ hochwertiger, so bemüht, jede Spielart, die nicht „wohnzimmertauglich” erscheint, zu vermeiden, dass er kaum mehr „porno” ist. Positiv daran ist aber, dass der Porno so auch sein Tabu verliert – für Frauen, für die es nach wie vor als weit weniger akzeptabel gilt, Pornografie zu konsumieren, durchaus eine Möglichkeit der Annäherung. Was sich dann so den Weg von der Titelseite der „Wienerin” auf die Wohnzimmercouch bahnt, muss jedoch nicht unbedingt der natürlich schöne, spermafreie Sauberporno sein. Denn abseits dieser theoretischen Einigkeit gibt es einen explodierenden Markt, der sich nur teilweise an diesen „Kriterien” orientiert. Das Etikett „Frauenporno” gilt zwar als Synonym für „bessere” Pornografie, da sie gewissen Regeln folgen soll – was dann jedoch in dem jeweiligen Produkt umgesetzt wird, ist völlig unterschiedlich. Das stört aber nicht, denn Frauen suchen eben nicht unbedingt den perfekten „Frauenporno”. Vielmehr suchen Menschen, die gerne Pornos sehen, Pornos, die sie gerne sehen. Durch die Entwicklung von alternativer Pornografie wird die Bandbreite an Pornografie jedenfalls deutlich erweitert und bietet mehr Variation, in der sich ein vielfältiges Publikum wiederfinden kann – ganz ohne Etiketten. l

Verena Kuckenberger verfasste ihre Masterarbeit zum Thema „Der Frauenporno – Alternatives Begehren und emanzipierte Lust? Konzeption und Rezeption des Frauenpornos“ für das Interdisziplinäre Studium der Geschlechterforschung an der Universität Graz.

Spermafreies Wohnzimmer. Als Gegenpol zum „Männerporno” scheint der Frauenporno also ein stimmiges Konzept zu sein. Bei näherer Betrachtung kann man sich aber kaum des Eindrucks erwehren, dass diese Unterschiede so komplementär sind, dass ihnen eine gewisse Konstruiertheit anhaftet. Der Frauenporno wird als derart „anders” dargestellt, so viel sauberer und quaOktober 2010 an.schläge l 27


väterfront

Sorglose Väter

In Deutschland wurden die Rechte von Vätern kürzlich erneut ausgeweitet. Doch auch hierzulande kämpfen die Väterrechtler erbittert um mehr Einfluss. Haben sie das verdient? Von Lea Susemichel

Illustration: Lisa Max

Obsorge für ein Kind – das bedeutet für die volle Windel und die Gute-NachtGeschichte zuständig zu sein, ebenso wie für die Wahl der Schule und die Zustimmung zur Mandeloperation. Juristisch gesehen ist die Obsorge „die Pflege und Erziehung eines Kindes”, sie regelt seine gesetzliche Vertretung und die Verwaltung seines Vermögens. Bei verheirateten Paaren obliegt die Obsorge für ein gemeinsames Kind im Regelfall beiden Elternteilen. Dass dies bei unverheirateten und geschiedenen Eltern nicht der Fall ist, sorgt in Österreich nun für Diskussionen. Nicht nur zwischen den Koalitionspartnern der Regierung wird debattiert, auch die sogenannten Väterrechtler – organisiert in der österreichischen Männerpartei oder in Gruppen wie „Väter ohne Rechte” 28 l an.schläge Oktober 2010

und „Vaterverbot.at” – beteiligen sich erwartungsgemäß äußerst rege an der öffentlichen Auseinandersetzung über eine Reform des Familienrechts. Ade Vetorecht. Angeheizt wurde die Debatte u.a. durch ein Urteil des Bun-

in Österreich nur dann die gemeinsame oder alleinige Obsorge (in Deutschland Sorgerecht genannt) beantragen, wenn die Mutter kein Veto dagegen einlegte, ist dieser Antrag nun auch gegen deren Willen möglich. Gestützt wird dieses Urteil durch den Europäischen Gerichts-

Der Feminismus habe gesiegt, die „Frauenlobby“ die Zügel inzwischen allerorts fest im Griff und Männer stehen längst mit dem Rücken zur Wand, so die Kernthese der äußerst umtriebigen „Maskulinisten“. desverfassungsgerichts in Deutschland, das Anfang August die Rechte lediger Väter stärkte. Konnten diese bisher wie

hof für Menschenrechte, der bereits Ende letzten Jahres – nach der Beschwerde eines Vaters – befand, dass das Ein-


heim spiel

leben mit kindern spruchsrecht der unverheirateten Mutter gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoße. Für verheiratete Paare, die sich scheiden lassen und gemeinsame Kinder haben, galt schon vorher, dass das gemeinsame Sorgerecht grundsätzlich aufrechtbleibt und nicht mehr durch den Einspruch eines Erziehungsberechtigten alleine verhindert werden kann. Die geteilte rechtliche Verantwortung für das Kind kann vom Gericht auch ohne beiderseitige Einwilligung beschlossen werden. Anders in Österreich. Die Obsorge für Kinder unverheirateter Paare bekommt hier automatisch die Mutter. Eine gemeinsame Sorge nach einer Scheidung muss einvernehmlich beschlossen werden. Können sich die Eltern nicht einigen, bei wem das Kind hauptsächlich wohnen wird, entscheidet das Gericht darüber, wer obsorgeberechtigt ist. Hallo Väterlobby! Einen Vorstoß für eine Änderung nach deutschem Modell kam von Justizministerin Claudia Bandion-Ortner (ÖVP), die sich im Vorfeld einer parlamentarischen Enquete zum Thema Familienrecht für einen Automatismus bei der geteilten Obsorge für Scheidungskinder aussprach. „Die gemeinsame Obsorge wirkt deeskalierend und sorgt für eine bessere Gesprächsbasis zwischen den Eltern”, so das Argument von Bandion-Ortner. Eine Einschätzung, die Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) nicht teilt: Harmonie ließe sich nicht per Gesetz verordnen, gab die Frauenministerin auf besagter Enquete Ende Juni zu Bedenken und spricht sich auch weiterhin gegen eine automatische gemeinsame Obsorge aus. Eine Haltung, die ihr prompt eine Rücktrittsforderung vonseiten der Männerpartei einbrachte. Männerpartei-Gründer Oliver Peter Hoffmann wirft Heinisch-Hosek „Diskriminierung der Väter” vor und scheut sich nicht, die wirtschaftliche Benachteiligung von Frauen in eben dieser rechtlichen Praxis zu verwurzeln: „Die durch das Gesetz erzwungene einseitige Rollenaufteilung ist der einzige nachweisbare Grund für die Einkommensunterschiede der Geschlechter.” Ansonsten beschränkt sich der Beitrag von Hoffmann und anderen Väterrechtlern auf den so larmoyant wie aggressiv

erhobenen Vorwurf, Männer im Allgemeinen und Väter im Besonderen seien die wahren Opfer dieser Gesellschaft (vgl. an.schläge 10/09). Der Feminismus habe gesiegt, die „Frauenlobby” die Zügel inzwischen allerorts fest im Griff und Männer stehen längst mit dem Rücken zur Wand, so die Kernthese der in den USA und in vielen europäischen Ländern äußerst umtriebigen „Maskulinisten”. Besonders arm dran seien dabei die Väter, wie hierzulande auch FPÖ und BZÖ nicht müde werden zu beklagen. Zu bloßen Erzeugern degradiert und als Unterhaltszahler geschröpft, würden sie von den Müttern daran gehindert, sich „gleichberechtigt” um ihre Kinder zu kümmern. Dass es in Österreich weiterhin nur lausige fünf Prozent aller Väter sind, die in Karenz gehen (und der überwiegende Teil dieser Kindergeldbezieher darüber hinaus die kürzestmögliche Variante wählt), liegt laut Hoffmann keineswegs an deren mangelndem Willen und Engagement. Einzig die rechtlichen Rahmenbedingungen seien dafür verantwortlich zu machen. Sonntagsväter. Angesichts der nackten Zahlen ist von gutem Willen und engagierter Erziehungsarbeit der Väter allerdings nach wie vor wenig zu bemerken. Sowohl in Deutschland als auch in Österreich sind weiterhin rund 90 Prozent aller Alleinerziehenden weiblich. Obwohl inzwischen bald ein Drittel aller Kinder in nichtehelichen Partnerschaften zur Welt kommt und eine gemeinsame Obsorge problemlos beantragt werden kann, tut das de facto nur ein verschwindend geringer Anteil aller ledigen Väter. Auch eine unlängst vom österreichischen Frauenministerium präsentierte Studie untermauert die These vom „neuen treusorgenden Vater” keineswegs. Im Gegenteil: Noch immer werden zwei Drittel der unbezahlten Haus- und Erziehungsarbeit von Frauen geleistet, bei den von Männern übernommenen Arbeiten im Haushalt handelt es sich außerdem meist um die weitaus bequemeren. Sprich: Männer kochen und gehen einkaufen, Frauen putzen und bügeln. Das Gleiche gilt für die Erziehungsarbeit. Zwar verbringen Väter heute deutlich mehr Zeit mit

Verena Turcsanyi

Zwischen zwei Welten Lesbische Mütter – gibt es die überhaupt? Diese provokante Frage ist durchaus berechtigt, denn nach wie vor wird Mutterschaft als etwas sehr Heterosexuelles wahrgenommen und Bilder davon, wie lesbische Familien funktionieren (können), sind rar. Zur Zeit meines Coming-outs gab es nur selten Lesben mit Kindern und wenn sie doch welche hatten, waren diese gewöhnlich aus früheren Beziehungen mit Männern. Damals hatte ich noch keinen Kinderwunsch, also beschäftigte mich die Frage auch herzlich wenig. Es war ein Randthema, und das war mir recht so. In der Zwischenzeit ist sehr viel passiert: Die Zahl der Kinder, die – abseits von heterosexuellen Beziehungen – durch Samenspenden entstanden sind, wächst (und manche davon sind schon Teenager!). Immer mehr lesbische und schwule Paare wählen den Weg, den auch ich mir ausgesucht habe: Sie werden Pflegeeltern. Aber gibt es in der Community überhaupt Platz für diese Lebensform? Mir kommt vor, dass sich in anderen Ländern wie in den USA schon viel mehr getan hat – dort gibt es weitaus mehr Gruppen, Netzwerke etc., während hier in Österreich das Ganze erst langsam ins Rollen kommt. So bleibt mir der Weg, den ich nicht unbedingt gehen wollte: Babyschwimmen, Elterntreff & Co. zu besuchen und mich dort auch immer ein bisschen als Außenseiterin zu fühlen. Versuche, meine lesbischen Freundinnen zum Elternsein zu motivieren, waren bisher nicht erfolgreich – aber wer weiß? Da könnte sich in den nächsten Jahren noch einiges verändern. Im Vorbereitungskurs für Pflegeeltern war knapp die Hälfte der TeilnehmerInnen lesbisch bzw. schwul, und in Zukunft wird diese Zahl sicher noch steigen. Früher gab es für mich „Wir” (die Lesben) und „Ihr” (die heterosexuellen Eltern) – aber jetzt? Zwischen zwei Welten pendelnd, so würde ich meinen derzeitigen Zustand beschreiben. Meine Zugehörigkeit muss ich jetzt mal neu definieren – lesbische Mütter, denen es ähnlich geht, können sich gern bei mir melden! Verena Turcsanyi ist lesbische Pflegemutter, die das Wort „Regenbogenfamilie“ nicht mag.

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väterfront ihren Kindern als noch vor 20 Jahren, aber bevorzugt auf dem Spielplatz und vor Publikum. Tätigkeiten wie Füttern, Wickeln und unsichtbare Alltagsaufgaben, die wenig soziale Anerkennung versprechen, bleiben in weiblicher Hand (siehe auch die Kurzmeldung auf S.24).

Aufteilung der Erziehungsaufgaben zu erreichen, bräuchte es einen gesetzlich verankerten, klaren Kriterienkatalog, mit dessen Hilfe sich feststellen ließe, ob ein Vater tatsächlich Verantwortung für sein Kind übernommen hat und willens ist, das auch weiterhin zu tun.

Sorgerrecht vs. Sorgepflicht. Diese Bilanz ist es auch, die für Kritik am neuen Sorgerechtsurteil in Deutschland sorgt. Mit der Übernahme väterlicher Verantwortung hapere es nämlich gewaltig, wie Edith Schwab, Vorsitzende des Verbandes der Alleinerziehenden in Deutschland, beklagt.1 Und das nicht nur in bestehenden Partnerschaften – auch

Gesucht: Partnerschaftsvertrag. Auch Frauenministerin Heinisch-Hosek will eine rechtliche Besserstellung von Vätern an die Bedingung knüpfen, dass diese mehr Pflichten übernehmen. Denn „so lange die Mutter keinerlei Rechte gegenüber dem ledigen Vater hat, ist es auch gut, dass die Mutter die alleinige Obsorge hat”, findet die Frauenministe-

Macht und Kontrolle. Dass deren Beweggründe nicht selten Gewalterfahrungen sind, daran erinnern die Gewaltschutzeinrichtungen: „Frauen, die sich dagegen entscheiden, haben gute Gründe!” Auch die österreichischen Frauenhäuser sehen keinen Anlass für eine Änderung der bestehenden Regelung. „Solange Gewalt an Frauen und Kindern in der Familie und in der Beziehung bei der Scheidung wenig bis gar nicht berücksichtigt wird, sehen wir keinen Grund für eine Neuregelung”, meint Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser in einer Presseaussendung.

Illustration: Lisa Max

1 „tageszeitung” vom 6.8.2010: „Alleinerziehenden-Anwältin über Sorgerecht: ‚Gleiche Rechte, gleiche Pflichten’”, www.taz.de/1/politik/ deutschland/artikel/1/gleiche-rechte-gleiche-pflichten

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nach einer Trennung hält sich der Erziehungseifer der meisten Väter in engen Grenzen. Laut Statistik bricht jeder zweite Vater die Beziehung zum Kind nach spätestens zwei Jahren vollständig ab, jeder dritte verweigert die Unterhaltszahlungen. Schwab fordert deshalb, dass Sorgerecht und Sorgepflicht gesetzlich miteinander verknüpft werden. „Die Väter können natürlich die gleichen Rechte haben, dann müssen sie aber auch die gleichen Pflichten übernehmen. Sorgerecht und Sorgepflicht müsste eigentlich ein Synonym sein, aber das ist es nach unserem Gesetz nicht. Die Betreuung und Sorge für das Kind liegt nach wie vor bei den Müttern, die Väter gehen am Wochenenden mit den Kindern in den Zoo, weil sie gesetzlich nicht zu mehr verpflichtet sind. So etwas ist kontraproduktiv und hat mit Gleichberechtigung überhaupt nichts zu tun.” Um tatsächlich eine gleichberechtigte

rin. Aus diesem Grund will sie sich für ein „umfassendes neues Familienrecht” einsetzen und einen „Partnerschaftsvertrag” einführen. Darin sollen Regeln für einen gegenseitigen Beistand – etwa im Krankheitsfall – sowie für geteilte Investitionen und gemeinsames Vermögen geschaffen werden. Außerdem sollen Paare festlegen, ob sie im Fall einer Trennung wechselseitige Unterhaltszahlungen leisten wollen oder nicht. „Wer das vereinbart, soll in aufrechter Partnerschaft wie Ehepaare eine automatische gemeinsame Obsorge für die Kinder bekommen”, so der Vorschlag von Heinisch-Hosek. Bei der gültigen Obsorgeregelung nach Scheidungen sieht die Ministerin hingegen keinen Handlungsbedarf. Die Hälfte der Scheidungspaare entscheide sich ohnehin einvernehmlich für eine gemeinsame Lösung. Bei Frauen, die sich dagegen aussprechen, geschehe das nicht grundlos.

Die Erfahrungen der Frauenhausmitarbeiterinnen hätten gezeigt, dass bei einer gemeinsamen Obsorge die Gewalt kein Ende nimmt. Gewalttätigen Vätern gehe es oft nicht um das Wohl der Kinder, sondern häufig um die Fortsetzung der Kontrolle und Machtausübung über die Ex-Partnerin und die Kinder, so Rösslhumer weiter. Kinder seien direkt oder indirekt immer mitbetroffen bei Gewalt in der Beziehung. „Noch immer wird der Zusammenhang, dass Gewalt an Frauen/Müttern auch Gewalt an Kindern darstellt, nicht entsprechend ernst genommen, kritisiert Birgit Thaler-Haag, die Geschäftsführerin des Salzburger Frauenhauses. Doch „in Fällen von häuslicher Gewalt schadet eine gemeinsame Obsorge dem Wohl der Kinder”. Dass Trennungen und Scheidungen von einem gewalttätigen Partner besonders schwierig sind, weiß auch Monika Pinterits von der Kinder- und


väterfront Jugendanwaltschaft Wien. Auch sie übt scharfe Kritik an der gängigen Praxis, selbst erwiesenermaßen gewalttätigen Vätern Rechte wie etwa das begleitete Besuchsrecht einzuräumen. Ihrer Meinung nach sollte die Diskussion über eine gemeinsame Obsorge über „kinderrechtliche Aspekte” geführt werden und nicht die Rechte der Erwachsenen in den Vordergrund stellen.

durch Geldentzug noch mehr zu strafen, müssten sie Unterstützung bekommen, wenn der Kontakt mit dem gewalttätigen Ex-Partner schwierig und gefährlich ist”, fordert etwa Rösslhumer. Real nicht optimal. Rückendeckung bekommen die GegnerInnen der generellen gemeinsamen Obsorge nun durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs. Dieser

Angesichts der nackten Zahlen ist von gutem Willen und engagierter Erziehungsarbeit der Väter allerdings nach wie vor wenig zu bemerken. Sowohl in Deutschland als auch in Österreich sind weiterhin rund 90 Prozent aller Alleinerziehenden weiblich. Schlichtungsstellen statt Sanktionen. „Das Kindeswohl muss immer an oberster Stelle stehen”, verlangt auch die Familiensprecherin der Grünen, Daniela Musiol, und erneuert deshalb die grüne Forderung nach außergerichtlichen Schlichtungsstellen. „Während Trennungen stehen die Beteiligten immer wieder vor schwer lösbaren Konflikten. Gerade in diesen heiklen Lebenssituationen ist es von besonderer Bedeutung, dass Eltern Unterstützung bekommen, um eine tragfähige und nachhaltige Lösung zu finden.” Zustimmung findet der Vorschlag zur Einrichtung solcher Schlichtungsstellen nicht nur von der Kinder- und Jugendanwaltschaft, auch die österreichischen FamilienrichterInnen sind dafür. Deren Vorsitzende Doris TäubelWeinreich sorgt aber gleichzeitig mit einer Idee für Aufregung, die bei den Väterrechtlern großen Anklang finden dürfte: Unterhaltszahlungen sollten künftig an die Einhaltung der Besuchsregelung gebunden werden, so ihr Vorstoß. Wird einem Vater der Kontakt mit seinem Kind verweigert, soll dieser auch weniger Unterhalt zahlen müssen. In der Praxis komme es weitaus häufiger vor, dass Väter zwar Besuchskontakte haben, aber monatelang keinen Unterhalt zahlen, halten die Frauenhäusern dagegen, und erinnern daran, dass von dieser Sanktionsmöglichkeit außerdem auch Frauen betroffen wären, die von ihren Partnern misshandelt wurden. „Statt diese Frauen

hat keine Bedenken gegenüber der aktuellen Praxis und betrachtet die derzeit geltende Regelung bei unverheirateten Eltern als verfassungskonform. Die Männerpartei will deshalb den Gang zum Verfassungsgerichtshof prüfen. Anstatt für mehr Rechte erst einmal für ein besseres Modell gelebter Vaterschaft zu kämpfen, kommt für Oliver Peter Hoffmann hingegen nicht infrage: „Die optimale Gestaltung der Vaterschaft ist wirklich das geringste

Problem für die Tausenden österreichischen Väter, die ihre Kinder aufgrund staatlicher Willkür jahrelang nur von einzelnen Zeilen auf ihren Kontoauszügen kennen.” In Österreich dauerte es übrigens bis 1975, bis unverheiratete Frauen überhaupt die Vormundschaft für ihre Kinder übernehmen konnten. Fehlte bei nichtehelichen Kindern der Vater als rechtlicher Vormund, übernahm der Staat bis zur Volljährigkeit diese Rolle. In Deutschland war man mit Einführung des „Nichtehelichengesetzes” 1970 ein wenig früher dran. Doch bis dahin war auch dort das Jugendamt der offizielle Amtsvormund aller Kinder lediger Mütter gewesen. Dass Mütter angesichts der Haltung von Väterrechtlern wie Hoffmann und in Anbetracht der realen Arbeitsteilung diese wichtige emanzipatorische Errungenschaft nicht leichtfertig wieder verlieren wollen, lässt sich ihnen beileibe nicht verdenken. l

d y Basics: Väterrechtler Die Männerbewegung entstand Anfang der 1970er-Jahre in badd Europa und war zu Beginn ein dezidiert profeministisches, a antisexistisches Projekt. Machistische Männlichkeitsmodelle d sollten mithilfe theoretischer und selbsthilfetherapeutischer Arbeit überwunden und neue männliche Identitäten entwickelt werden. Doch schon in den 1990ern hatten sich sogenannte mythopoetische und maskulinistische Gruppierungen gebildet, denen es um die Erneuerung einer verloren geglaubten „authentischen Männlichkeit“ ging. Frauenbewegung und Feminismus hingegen wurden von den Männerrechtlern zum Feindbild erklärt. Männer und nicht Frauen seien inzwischen die wahren Opfer von Diskriminierung, benachteiligt in der Schule, aufgrund der Wehrdienstpflicht und des höheren Pensionsantrittsalters. Diese These vertreten auch die Väterrechtler, die sich insbesondere vom geltenden Familienrecht benachteiligt fühlen. Mit Ausnahme einiger moderaterer Strömungen agitieren die Väterrechtler aggressiv antifeministisch und hetzen in einschlägigen Internetforen und Blogs gegen „machthungrige“ und „raffgierige“ Mütter. Spektakuläre Aktionen wie die Besteigung des Buckingham-Palastes durch ein als Batman verkleidetes Mitglied der Organisation „Fathers 4 Justice“, regelmäßige Demonstrationen oder der deutsche Kinofilm „Der entsorgte Vater“ (2008) sicherten der Väterlobby und ihren reaktionären Forderungen in den vergangenen Jahren eine zunehmende Präsenz in den Medien. Was nicht folgenlos blieb – wie jetzt etwa die aktuellen Debatten um die Änderungen im Familienrecht in Österreich und Deutschland zeigen. les

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an.riss kultur film I Out Of Work

polyfilm-Verleih

anime Ein Fisch namens Ponyo Filmheldinnen muss man feiern, wie sie fallen. Zum Beispiel Ponyo, den Goldfisch, der sich in ein Mädchen verwandelt. Nach seiner Premiere in Japan vor zwei Jahren hält der Animationsfilm für (wieder einmal) Jung und Alt nun auch in den deutschsprachigen Kinos Einkehr. „Ponyo – Das große Abenteuer am Meer” („Gake no ue no Ponyo”), der neueste Wurf des Oscar prämierten Anime-Regisseurs Hayao Miyazaki, hat wie die Vorgängerfilme „Chihiros Reise ins Zauberland” und „Das wandelnde Schloss” ganz schön viel mit Magie zu tun: Das Fischmädchen Ponyo büchst mithilfe ihrer Zauberkräfte aus dem Wasser aus und lernt in der Überwasserwelt den Fischerjungen Sosuke kennen. Doch Ponyos Vater ist so sauer auf sie, dass er das Gleichgewicht der Elemente durcheinanderbringt, und der entfesselte Ozean bedroht Sosukes Dorf. Wird Ponyo ins Meer zurückkehren, um das Dorf zu retten? nad/sylk „Ponyo – Das große Abenteuer am Meer“ (Japan 2008), österreichischer Kinostart: 22.10., im Filmhauskino Spittelberg, 1070 Wien, Spittelberggasse 3, T. 01/522 48 16, www.ponyo-film.de

posterkunst The Feminist Poster Project Genug von sexistischen und frauenfeindlichen Plakaten im öffentlichen Raum hatte die Initiatorin der Website Feministposterproject, eine Online-Plattform für feministische Plakate, Postkarten und Stickers. Diese werden für nicht-kommerzielle Zecke zum Download angeboten und warten auf Verbreitung durch fleißige Interessierte. Zum einen entsteht so nach und nach ein inspirierendes Archiv der bereits veröffentlichten Publikationen, zum anderen wird ein Netzwerk geschaffen, das sich der Produktion und Verbreitung feministischer Bilder und Messages widmet. „I would like to see a change in our environments and a change in people’s minds”, erklärt die Initiatorin Loseluna. Auch der D.I.Y.Gedanke spielt dabei eine wichtige Rolle: Wie mache ich ein Plakat? Welche Techniken gibt es? Und wie produziere ich meinen eigenen Kleister? Wichtige Fragen für Hobby-Poster-Künstlerinnen, die hier ebenfalls beantwortet werden. mij http://feministposterproject.wordpress.com, Beiträge an loseluna@yahoo.co.uk

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Helmut und Sieglinde sind über 50. Kein gutes Alter für die Jobsuche. Mathias, Martin und Atafa sind noch jung – und finden erst gar keinen Einstieg in die Arbeitswelt. Wer arbeitet und zum Bruttosozialprodukt beiträgt, gilt der Gesellschaft als vollwertiger Mensch und BürgerIn. Wer das nicht tun kann oder darf, verliert dementsprechend an Wert. Zum Zwecke der Wertsteigerung muss daher im Jobcenter „die Performance” dieser Menschen „verbessert werden”. Bedarf es noch mehr Worte? Angela Summereders Dokumentarfilm „Jobcenter” (A 2009) beobachtet kühl und lässt sich nur selten zu einer Kommentierung hinreißen. Die Bilder sprechen ohnehin Bände. Menschen, die sich selbst keinen Wert mehr geben und in vorauseilendem Gehorsam auf Hilfe und Anerkennung warten. Geschleust durch Türen und Formulare. Fragen werden mehr gestellt als beantwortet: Wird hier überhaupt geholfen? Und wem eigentlich? han „Jobcenter“ (A 2009), ab 24.9. im Filmhauskino Spittelberg, 1070 Wien, Spittelberggasse 3, T. 01/522 48 16, www.stadtkinowien.at

film II Flugstunde Twentieth Century Fox schmeißt Romantisches auf den Heimkinomarkt: Ein „dramatisches Biopic” über eine „schillernde US-Ikone”, zu allem Überfluss auch noch „voll ungezähmter Leidenschaft”. In den Hauptrollen: Hilary Swank, Richard Gere und Ewan McGregor. Solide HollywoodMassenware? Nicht ganz. Denn „Amelia” handelt von „einer einzigartigen Frau und Fliegerin”. Und das stimmt in diesem Fall tatsächlich. Amelia Earhart überquerte als erster Mensch nach Charles Lindbergh den Atlantik. Ihrem langjährigen Verehrer George P. Putnam legte die überzeugte Feministin 1931 (!) zur Heirat einen Ehevertrag auf den Tisch, nachdem er sechs Mal um ihre Hand angehalten hatte. Mit knapp 40 Jahren wollte Earhart schließlich die Erde am Äquator umrunden. Im letzten Viertel der Strecke jedoch ging die Funkverbindung zu ihr verloren, sie und ihr Navigator gelten seither als verschollen. Die von der indisch-amerikanischen Regisseurin Mira Nair in Szene gesetzte Filmbiografie widmet sich zwar v.a. Earharts Liebesleben und einer angeblichen Affäre mit einem jungen Flieger. Doch auch ihr dramatischer „letzter Flug” wird nicht vergessen. han „Amelia“ (USA 2009) erscheint am 22.10. auf DVD. www.ameliaearhart.com

ausstellung I Schöne politische Kunst „I decided to try art because it was the only way to be a worker and an intellectual at the same time”, sagt Monica Bonvicini. 1965 in Venedig geboren, führte sie der Versuch „Kunst” nach Berlin an die Universität der Künste Berlin und an das California Institute of the Arts. Seit 2003 ist sie Professorin für Skulptur und performative Kunst an der Akademie der bildenden Künste Wien. Noch bis 14. November läuft ihre Ausstellung


„Both Ends” in der Kunsthalle Fridericianum in Kassel. Bonvicini fragt nach Gender- und Machtverhältnissen: Räume und Gebäude sind für sie niemals neutral, sondern transportieren immer Ideologien und gesellschaftliche Hierachien, sind politisch und sexualisiert. In der Kunsthalle Fridericianum werden konzeptuelle Arbeiten ebenso wie skulpturale Werke und raumgreifende Installationen präsentiert. han

lebenslauf auch feministinnen altern

Bis 14.11., Monica Bonvicini: Both Ends. Kunsthalle Fridericianum, 34117 Kassel, Friedrichsplatz 18, T. +49/561 707 27 20, www.fridericianum-kassel.de

ausstellung II Die „Neue Frau“ im Bild Marianne Breslauer hat gerne selbstbewusste, emanzipierte Frauen – oder, um es mit dem damaligen Klischee zu sagen: die „Neue Frau” – fotografiert, wie zum Beispiel Annemarie Schwarzenbach. Auch Marianne Breslauer selbst war eine dieser Frauen. Sie war neugierig und in den 1920ern, den aufstrebenden Zwischenkriegsjahren, ohne finanzielle Sorgen. Sie reiste viel und gerne, nach Italien, Spanien, Palästina, blieb länger in Paris. Sie fotografierte Clochards und SchaustellerInnen, arbeitete lieber auf der Straße als im Atelier. Gleich nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 bekam sie aufgrund ihrer jüdischen Herkunft erste Probleme, durfte ihre Reportagen nicht mehr veröffentlichen. 1936 sah sie sich durch die zunehmende Repression gezwungen, Deutschland zu verlassen und übersiedelte zunächst in die Niederlande. 1939 musste sie dort erneut vor den Nazis flüchten und ging in die Schweiz. Das Medium Fotografie erklärte sie nun für sich selbst als ausgereizt und widmete sich bis zu ihrem Tod 2001 dem Kunsthandel. Die Ausstellung in der Berlinischen Galerie ist die erste umfassende Retrospektive ihres Werks. Unter den rund 130 Exponaten sind u.a. bisher unbekannte Originalabzüge sowie Neuabzüge von Originalnegativen aus Breslauers Nachlass zu sehen. han/sylk Bis 1.11., Marianne Breslauer. Unbeachtete Momente – Fotografien 1927–1936. Berlinische Galerie. Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, 10969 Berlin, Alte Jakobstraße 124–128, T. +49/30/789 02 600, www.berlinischegalerie.de

ausstellung III Künstlerinnen unterwegs In der künstlerischen Ausbildung ist das Geschlechter-Gleichgewicht weitgehend erreicht. Im Berufsalltag erfahren Künstlerinnen jedoch immer noch diverse Diskriminierungen. Grund genug, um mit der Ausstellung „Kultura” das Bewusstsein für die „weibliche Position” in der Kunst zu stärken. In der Grazer Galerie Kon-temporär waren im Sommer Werke von Einzelkünstlerinnen und Gruppen mit SteiermarkBezug wie u.a. Norbertine Bresslern-Roth, Lisa D., Veronika Dreier, Lisa Söll, Erika Thümmel, Eva Ursprung, Eva & Co, IntAkt und W.A.S. sowie Filmporträts von Maria Lassnig oder Carmen Herrera zu sehen. Der Bogen der Arbeiten spannt sich von den zaghaften Anfängen feministischer künstlerischer Artikulationen über kompromisslose frauenpolitische Statements bis hin zu den verspielt-sinnlichen Zugängen der jüngeren Künstlerinnen-Generation. Nun geht „Kultura” auf Tour: Sie wird an weiteren Kulturorten der Steiermark zu sehen sein und dort auch regionale Positionen präsentieren. Die nächste Ausstellungseröffnung ist am 21.10. im Haus der Frauen in St. Johann bei Herberstein. han „Kultura – Weibliche Positionen“, www.kulturservice.steiermark.at/cms/ziel/52905234/DE/

Birgit Meinhard-Schiebel

Lauter Mutter Teresas? Mutter Teresa war bekannt für ihre ManagerInnenqualitäten. Sie wäre sonst im Einsatz für arme und kranke Menschen nicht so alt geworden. Dass die jetzige Generation 50+ nicht gerade sorglos lebt, weiß diese selbst am besten. Wenn die Jahre des angeblich normalen Lebens (Ausbildung, Job, Kids durch Dick und Dünn bringen) vorbei sind, scheint Licht am Ende des Tunnels zu strahlen. Endlich ein Stück Freiheit! Doch die nächste Falle lauert für viele Frauen schon um die Ecke. Wenn Angehörige, Eltern, PartnerInnen, FreundInnen plötzlich oder schleichend Pflege brauchen, ist es mit der Freiheit auch schon wieder vorbei. 80 Prozent der Menschen, die Pflege und Betreuung brauchen, leben daheim. Und werden von ihren fast immer weiblichen Angehörigen umsorgt. Viele verschwinden damit immer mehr aus dem öffentlichen Leben, versuchen so gut es geht, mit den herrschenden Zuständen fertigzuwerden. Organisieren im besten Fall professionelle Hilfe zur kleinen Entlastung, eignen sich Spezialwissen an, buttern vom eigenen Geld oft genug dazu – und verzichten auf vieles. Manchmal auf das eigene Leben. Das alles in einem Gesundheitswesen, das sich mit diesen kostenlosen Pflegekräften jährlich Milliarden erspart. Aber Frauen 50+ sind kein gratis Pflegedienst. Sie haben Jahrzehnte hindurch dem Staat mehr als genug Arbeit abgenommen. Ihnen jetzt auch noch die späte Zukunft zu stehlen, ist grob fahrlässig und gegen jedes Menschenrecht. Die aus dem Boden sprießenden Initiativen zur Unterstützung pflegender Angehöriger wissen nur zu gut, dass es nicht ums Gnadenbrot für die pflegenden Angehörigen geht, sondern um harte politische Forderungen. Um Rechte und nicht nur Pflichten. Wie Frauen es allerdings schaffen sollen, in dieser Situation sich auch noch selbst gegen die herrschenden Zustände zur Wehr zu setzen und zugleich zu pflegen, wird die Zukunft zeigen. Wenn sie dann noch zum Widerstand in der Lage und nicht selbst zum Pflegefall geworden sind. Birgit Meinhard-Schiebel ist u.a. Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger, www.ig-pflege.at

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best of rockoper

Neue Tonlagen

Peaches Christ Superstar featuring Chilly Gonzales, März 2010, Foto: Doro Tuch

Peaches feiert zehn Jahre Peaches – und singt zum Jubiläum ein Musical über sich selbst. Katharina Ludwig* sprach mit der kanadisch-deutschen Künstlerin über „Peaches Christ Superstar” und die Frauen mit lila Haar.

* Mitarbeit: Vina Yun „Peaches does herself – von und mit Peaches” läuft von 28. bis 31. Oktober im Hebbel am Ufer in Berlin. www.hebbel-am-ufer.de

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Am Anfang war eine pinke Hotpant. Viel mehr war auf dem Cover von „The Teaches of Peaches” (2000), dem Debütalbum von Merill Beth Nisker, nicht zu sehen. Seitdem hat uns die ehemalige Volksschullehrerin aus Toronto und Wahlberlinerin schon so manche Lektion erteilt: Mit sexpliziten Lyrics und klebrigen Groovebox-Beats rückte Peaches die Perspektive zurecht, zeigte uns dann in breitbeiniger Rock’n’RollPose, wo es im „Fatherfucker”-Diskurs langgeht, und machte fette Haarbüsche (im Gesicht und anderswo) zum feministischen Ausgeh-Outfit. Dass Peaches danach ausgerechnet zu fetten CockRock-Gitarren griff um klarzustellen,

wer hier der Hengst ist, und zugleich den shakenden Dildo als den wahren Phallus in Szene setzte, darf ruhig als dekonstruktivistische Attacke auf den medialen Malestream interpretiert werden. Zuletzt hat sich Peaches mit „I Feel Cream” (2009) stärker Dance-orientierten Sounds zugewandt: Jetzt findet die Verhandlung weiblicher Selbstbehauptung – als Wesensmerkmal von Artikulationsfreiheit im Allgemeinen – unter der Disco-Kugel statt. Ende Oktober feiert die „Grande Dame der Elektro-Musik” (Missy Magazine) mit dem Jukebox-Musical „Peaches Does Herself” am Berliner Theater

„Hebbel am Ufer” das zehnjährige Jubiläum ihres Debütalbums. Angekündigt haben sich neben ihrer Backing-Band Sweet Machine auch Musikfreundinnen wie Sandy Kane und die Jolly Goods. Dabei wird Peaches – à la Musical-Shows wie „Mamma Mia!” über ABBA oder „We will Rock You” über Queen – aus 24 Songs ihrer bisherigen vier Alben eine Show über ihren eigenen Mythos stricken. „Du musst zuerst Hardcore machen, um dann auch emotional sein zu können”, hat Peaches bei einem Interview einmal gesagt. „Denn wenn du zuerst emotional bist, glaubt dir niemand mehr deinen Hardcore.”


best of rockoper an.schläge: Diesen Frühling hattest du deine erste Musical-Performance mit „Peaches Christ Superstar“. Dabei singst du alle Rollen von „Jesus Christ Superstar“: Jesus, Maria, die Römer, die Juden – lediglich am Klavier begleitet von deinem langjährigen Musikerfreund Gonzales. Was hat es mit diesem 70er-Jahre-Musical auf sich? Peaches: Seit ich 15 Jahre alt war, habe ich eine Aufnahme von „Jesus Christ Superstar”. Ich hörte sie viel und sang dazu, performte das ganze Stück in meinem Zimmer. Später war dann die Idee für diese Show immer in meinem Hinterkopf, gleichzeitig fragte ich mich aber auch, ob das denn überhaupt eine gute Idee sei. Als das „Hebbel am Ufer” mich dann fragte, ob ich für sie ein Stück produzieren will, kam es einfach aus meinem Mund: „Oh, okay,

gebrochen. Wie wichtig ist es in der Musik, sich gegenseitig und selbst immer wieder zu überbieten? Dieses Spiel läuft definitiv immer, aber nicht ohne Grund. Ich würde nie sagen: „Okay, jetzt möchte ich für 17 Tage Springschnurspringen.” Manchmal finde ich es einfach schwerer, nur die Hälfte anstatt einfach alles zu geben. Nur die Hälfte zu geben, ist mehr Anstrengung für mich. In einer Peaches-Show verlasse ich mich sehr darauf, nicht nur mit meiner Stimme, sondern auch mit meiner Einstellung und mit meinem Körper zu unterhalten. Das ist eine bewusste Wahl. Das ist etwas für das Musik-Publikum, das Rock-Publikum – diese Welt, in der es mir wichtig ist, sehr körperlich und zugleich voller Posen zu sein. Lediglich zwei oder drei Lieder von meinen vier Alben sind emotionale Songs. Bei einem Musical muss ich

„Ab einem bestimmten Punkt kann man sich der Kraft eines Musicals, die sich vor einer entfaltet und eine zum Lächeln bringt, nicht entziehen. Dann ist es gut. In seiner ganzen Lächerlichkeit.“ ich möchte ‚Jesus Christ Superstar’ als One-woman-Show machen!” Ich dachte, sie würden sich haha-hehe-jaja schieflachen, aber sie sagten „okay!” und fanden es großartig. Nachdem ich es also mal ausgesprochen hatte, musste ich es machen. Ein anderer Grund, warum ich diese Show machen wollte, ist, dass so viele Leute – insbesondere „ernste” KünstlerInnen – Musicals so hassen. Sie denken, Musicals seien cheesy und schlaky und blablabla …. Man sagt ja auch, Musicals seien was für diese Frauen mit den lila Haaren. Ich bin mit Musicals aufgewachsen, und ja, sie sind cheesy und schlaky. Aber ab einem bestimmten Punkt kann man sich der Kraft eines ganzen Musicals, die sich vor einer entfaltet und eine zum Lächeln bringt, nicht entziehen. Dann ist es gut. In seiner ganzen Lächerlichkeit.

Du hast gesagt, dich reizt auch die stimmliche Herausforderung. Gonzales hat ja unlängst den GuinnessWeltrekord im Lange-Klavier-Spielen

versuchen, dieses Emotionale wieder reinzubringen, und Tonlagen verwenden, die ich vorher nie verwendet habe. Vermutlich werde ich diese emotionale Form des Singens aus dieser Produktion für Peaches mitnehmen.

Emotional, aber ohne große Worte … Ja, bei meiner Musical-Performance gibt es kein Sprechen zwischen den Stücken. Das ist wirklich gut. Alles wird durch Musik, Liedtexte und Gefühle vermittelt. Ich wollte sehen, ob ich die Bedeutung des Stücks in einer sehr puren Form ausdrücken kann. Und zwar nicht nur die religiöse Bedeutung über Jesus Christ Superstar – ich persönlich denke eher schamanistisch –, sondern die Geschichte einer Person mit guten Absichten und einer guten Idee, die die Leute auffordert, für sich selbst einzutreten. Ich denke, darum geht es in Wirklichkeit. Das passiert in sozialen und politischen Situationen, in Familien, erweiterten Familien, in Beziehungen jeder Art. Es ist einfach eine grundlegend menschliche Geschichte.

Du spielst auf der Bühne viele Rollen – männlich, weiblich und alles dazwischen. Auf die häufige Frage, ob du dich als Feministin siehst, antwortest du oft, dass dich vielmehr ein Humanismus treibt. Ja. Viele Leute denken wirklich, dass Peaches von Sex besessen ist. Der Grund dafür, mich über Sex auszudrücken war aber so überhaupt nicht, als sexy bekannt zu werden. Es ging darum, sich selbst auszudrücken. Ich weiß, das klingt nach Hippie, aber wenn sich Menschen die Zeit nehmen würden, sie selbst zu werden, hätten sie weniger Hass für andere, die sie vielleicht nicht verstehen. Du bist bis zu deinem 13. Geburtstag den halben Tag in die englischsprachige, den halben Tag in die hebräische Schule gegangen. Spielt das in deinem heutigen Leben in Berlin noch eine Rolle … oder vielleicht gerade in Berlin? Es ist wichtig, hier zu sein und jüdische Menschen hierher zu bringen. Genauso wichtig ist, dass People of Color in Berlin leben. Es dreht sich alles um Sichtbarkeit, um Auseinandersetzung und ein andauerndes Verständnis für einander. Das ist einer der bittersten Orte für JüdInnen, und ich werde nicht davor zurückschrecken. Ich habe mein zweites Album „Fatherfucker” genannt, weil mich das Wort „Motherfucker” irgendwann verrückt gemacht hat. Darauf gibt es das Stück „I’m The Kinda”, ein Song mit vielen jüdischen Referenzen. Ich will eine direkte, unmittelbare Reaktion. Das interessiert mich sehr. Für mich ist es hingegen nicht so interessant, Leuten persönliche Dinge über mich zu erzählen, was wirklich passiert ist und wie Peaches wirklich begonnen hat. Es gab schwere Vorfälle, von denen niemand weiß. Ich wollte diese Sachen nicht verwenden, weil ich nie wollte, dass Leute mir deswegen zuhören oder sich deswegen für mich interessieren. Genauso gilt: Ja, ich bin jüdisch, aber ich will nicht, dass das das Einzige ist, was ich bin. Das heißt nicht, dass ich zurückschrecken würde, wenn mich jemand fragen sollte, Teil einer jüdischen Produktion zu sein. Das wäre großartig. Eben weil ich all das andere schon gemacht habe. l Oktober 2010 an.schläge l 35


kinderliteratur

Neue Bilderbuchfamilien Der neu gegründete NoNo-Verlag aus Berlin widmet sich der Veröffentlichung nicht-normativer Kinderliteratur. Vina Yun blätterte sich durch das erste Buch aus dem Verlagsprogramm.

„Unsa Haus” NoNo Verlag 2010 14,90 Euro http://nono-verlag.de

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Alex will LKW-Fahrerin werden. Dani möchte, wenn er erwachsen ist, ein eigenes Ballett-Studio betreiben. Liam träumt von einem Wissenschaftslabor mit lauter verrückten Maschinen, während Fatma ganz hoch hinaus will – als Astronautin. Fredi hingegen kann sich noch nicht so richtig festlegen – egal, denn: „Das Wichtigste ist doch, dass wir alle zusammen bleiben.” Die fünfköpfige Kinder-Gang steht im Mittelpunkt von „Unsa Haus”, der ersten Publikation des NoNo-Verlags aus Berlin, der sich mit seinem Programm „nicht-normativen Kinderbüchern, Sachbüchern und Ratgebern” widmet: „Unser Ziel ist, mit unseren Büchern zu trans* und gender_queer Lücken zu schließen, die der MainstreamBüchermarkt offen lässt”, heißt es im Verlagsprofil. „Unsa Haus” besteht aus sechs illustrierten Geschichten und richtet sich nicht nur, aber vor allem an kleine Menschen zwischen fünf und neun Jahren. „Dieses Buch will Kinder ermutigen, Umgebungen zu finden, in denen sie so sein können, wie sie sind, anstatt sich auf eine Weise anzupassen, die ihrem Selbst widerspricht. Darum nimmt es utopisch vorweg, was es anstrebt: die

selbstverständliche Wertschätzung unterschiedlicher Lebensentwürfe, Hintergründe und Identitäten”, so die Verlagsbeschreibung zum Buch. Papa Hase & Papa Hase. Die Idee für „Unsa Haus” kam vor zwei Jahren, als Rita Macedo und Ben Böttger im Sommerurlaub zufällig ein Kinderbuch in die Hände fiel: „Da bringt Mama-Hase dem kleinen kranken Häschen einen Tee ans Bett. Süß, dachten wir, aber noch schöner wäre doch, wenn Papa-Hase auch mal den Tee bringt. Oder noch besser: zwei Papa-Hasen!”, erinnert sich Ben Böttger. Zurück in Berlin wurde die „Schnapsidee” in die Tat umgesetzt: Im Rahmen des von Macedo und Böttger gegründeten „Anti-Discrimination Future Project” wurde ein Konzept für nicht-normative Kinderliteratur entworfen. Im Laufe der Zeit – in der etliche Ideen für Geschichten gewälzt, Online-Zeichenkurse für Mangas absolviert, Collagen erstellt, Finanzanträge geschrieben und das Konzept überarbeitet wurden – kamen neue Teammitglieder und Unterstützer_innen dazu. Innerhalb nur eines Jahres entstand so ein komplettes Kinderbuch:

„Unsa Haus” ist in drei verschiedenen Sprachen erschienen (Deutsch, Englisch und Portugiesisch) und wird unter einer Creative-Commons-Lizenz vertrieben. Das Buch wurde kostenlos an KiTas, Schulen und andere Bildungseinrichtungen verteilt, auch im Internet steht es gratis zum Download zur Verfügung. Mein, dein, unsa Haus. „Unsa Haus” ist das Ergebnis eines kollektiven und experimentellen Prozesses – im intensiven Austausch mit Freund_innen und anderen Menschen, die selbst „Ideen für nichtnormative Buchprojekte in der Schublade, im Kopf oder in Arbeit hatten” wurden die Geschichten nach und nach entwickelt und in Kindertagesstätten und zu Hause „Test” gelesen. „Wir bekamen dann direktes Feedback, was die Kinder und die Erwachsenen jeweils dazu meinten. Manche haben auch konkrete Vorschläge gemacht, z.B. für einzelne Formulierungen im Text, die wir in die zweite überarbeitete Auflage eingearbeitet haben”, beschreiben Schneider und Böttger die Entstehungsgeschichte des Kinderbuchs. Auch Kindertagesstätten und Schulen wurden mit einem Fragebogen angeschrieben – reagiert hat allerdings kaum jemand.


Gerade im Bereich der Bildungsarbeit, so das Verlagsteam, fehle es aber an Büchern und anderen Medien, die eine möglichst große Bandbreite von Optionen in Bezug auf Identitäten, Lebensentwürfe, Hintergründe und Orientierungen als gleichwertige Hintergrundnormalität abbilden: Auch homosexuelle und trans* Kinder und Jugendliche, Kinder mit Migrationshintergrund und Children of Colour sollten sich in der Medienrealität als selbstverständlichen Teil der deutschen Gesellschaft wiederfinden können. „Leider wird dies sowohl in Bezug auf Kinderbücher und andere Bildungsmaterialien als auch auf die Inhalte und Werte, die in KiTas und Schulen in Deutschland vermittelt werden, bislang nicht eingelöst.” Unmittelbare Vorbilder für „Unsa Haus” gibt es nicht – eher wurde es von

Neue Freund_innen. Das Lob und zahlreiche Anfragen bestärken die Betreiber_innen des NoNo-Verlags, ihre Arbeit fortzusetzen: „Am meisten haben wir uns gefreut zu hören, dass es Kinder gibt, die das Buch mit ins Bett nehmen, sich mit den Figuren identifizieren oder mit diesen befreundet sind. Nicht zuletzt war das positive Feedback auch der ausschlaggebende Grund dafür, dass wir auf die Idee gekommen sind, selbst einen nicht-normativen Verlag zu gründen und zu versuchen, mehr Bücher dieser Art zu veröffentlichen. Offensichtlich haben diese nicht nur uns vorher gefehlt.” Derzeit finanziert sich der Verlag über das Team selbst und private Kredite. Durch den Verkauf der Bücher hoffen die Verlagsbetreiber_innen aber, dass neben Geld für Druckkosten und Büro langfristig auch etwas für den Lebensunterhalt übrig bleibt.

„Da bringt Mama-Hase dem kleinen kranken Häschen einen Tee ans Bett. Süß, dachten wir, aber noch schöner wäre doch, wenn Papa-Hase auch mal den Tee bringt. Oder noch besser: zwei Papa-Hasen!“ Negativbeispielen „inspiriert”, wie Ina Schneider und Ben Böttger erzählen. „Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass die meisten deutschsprachigen Kinderbücher ihre Geschichten in einem Setting ansiedeln, das nur sehr eingeschränkte Familiensituationen und Geschlechterrollen zeigt. In der Regel wird die harmonische Beziehung eines heterosexuellen (Ehe-)Paars mit ein oder zwei Kindern und traditionellen Rollenverteilungen dargestellt. Zudem gehören die dargestellten Figuren meist dem weißen deutschen Mittelstand an, haben keinen Migrationshintergrund und entsprechen körperlichen Normen. Wenn überhaupt, dann werden andere Lebensentwürfe und Identitäten meist in einer Weise dargestellt, die sich auf ihre vorgebliche ‚Andersartigkeit’ konzentriert. Im Zuge der Arbeit am Projekt und jetzt als Verlag haben wir uns aber auch andere Kinderbücher angeschaut und z.B. festgestellt, dass es auf Englisch und Schwedisch schon einige nicht-normative Kinderbücher gibt. ”

Und wie wird es weitergehen? Im Oktober erscheint der 16-seitige Fotokalender „Transmasculinities 2011 – Pictures from beyond the Malestream” mit Porträtbildern von Menschen, die sich entlang des trans*männlichen Spektrums definieren, fotografiert von Finn Ballard. Schneider und Böttger: „Außerdem arbeiten wir gerade an einem Coming-out-Buch, das sich an das Umfeld von genderqueeren und Trans*-Menschen richtet. Eine Art Erste Hilfe für Menschen, die mit einem Trans*Coming-Out konfrontiert sind und nicht wissen, wie sie sich (nicht) verhalten sollen – oder vielmehr eine Erste Hilfe für Menschen, die bei ihrem Coming-out etwas haben wollen, das sie ihrem Umfeld zum Lesen in die Hand drücken können.” l

lesbennest

the fabulous life of a queer femme in action

denice

Oh, Cry Me a Fucking River

I’m having a crisis. An existential crisis. I refuse to believe that it is simply an age-thing, you know, getting close to 35, and what the fuck have I done with my life so far?! I am slowly starting to realize that I will never be the big star that I promised myself I would become. I can’t shake the feeling of letting down that little nine-year-old girl with the Madonna-posters. What happened to all the plans? I can tell you: I’ve postponed them until ”next week” for so many years that I’m now sitting here with 1.400 weeks of great artistic ideas on how to conquer the world, and all it does is making me oh so tired. I think that the thing that scares me the most is that I never had a plan B. No ”real job” plan, no university, no babies. And I’m not really sure about what my plan A actually was. Singer? I never want to rehearse, I don’t work well in groups/ with other people and I am too lazy to learn how to play the guitar/piano/program on my laptop really well. I actually don’t even sing that great. Stand-up comedian? And again: too lazy to write my show. Just want to improvise with a bourbon in my hand. That doesn’t really sell tickets. Writer? I’m too damn lazy to actually take my time to sit down and write. Even though I know how happy it makes me. And I always drink too much while writing. Actress? I can’t stand other actors. Or directors. Or producers. Or people in general. So there we have the problem. I’m a lazy antisocial alcoholic. Like all other struggling artists. I just need to get a fan base then. People who will admire me for my lifestyle. And pay me money for keeping it up. I could arrange a ”performance” once a week in a bar where I sit on a stage, glass in one hand and cigarette in the other, telling my fans about another week of big plans that I’m never going to do anything about. It would maybe be inspirational …? Hmmm … I think I just found my plan A. I just wonder if I will get any groupies? Denice needs a new reason to live. To book her depressing one-whinywoman show, please contact the an.schläge-Redaktion.

Oktober 2010 an.schläge l 37


an.lesen

„Kulturterrain Österreich“

Carla Bobadilla: „Caja Chica”. Fotound Textstrecke zum kapitalistischsexualisierten Blick auf Lateinamerika. Carla Bobadilla präsentiert neben weiteren auf den (neo-)kolonialistischen Warenhandel bezogenen Werken auch „With Me”: Sie beschilderte eine Unterführung in Wien mit Fotoplakaten von sich selbst, um sich diesen als bedrohlich empfundenen Ort anzueignen. www.carlabobadilla.at

„Migrationsskizzen” ist eine künstlerische Auseinandersetzung in Buch-Form, die weder „EthnoKunst” macht, noch sich dem Kunstmarkt unter dem Mehrwert-Label „migrantisch/exotisch” anbiedert. Von Sylvia Köchl

Petja Dimitrova: „Blue Card for Keti!” Transkribiertes Video-Interview mit der Migrantin Keti, deren Geschichte 20 Jahre umfasst und die hier entlang einer „Timeline” gelesen wird, die die kontinuierliche Verschärfung des österreichischen „Fremdenrechts”, den politischmedialen Diskurs über Migration und konkrete Repressionen ebenso beinhaltet wie Stationen der migrantischen Selbstorganisation und Allianzenbildung mit anderen Gruppen. Zehn Collagen versammeln visuelle Elemente dieser Geschichte. www.petjadimitrova.net

Programmatisch ist dem Buch ein Zitat von bell hooks vorangestellt, in dem es heißt: „Entkolonisierung als politischer Prozess ist immer der Kampf, sich selbst zu definieren – im Widerstand gegen Beherrschung und darüber hinaus.” Zur Werkpräsentation der vier Künstlerinnen Agnes Achola, Carla Bobadilla, Nilbar Güres¸ und Petja Dimitrova kommen Texte, die verschiedene Kontexte und mögliche Rezeptionen dieser Arbeiten vorschlagen bzw. theoretische Überlegungen hinzufügen, die die „Migrationsskizzen” weiter politisieren. Die Texte sind Bestandteil des Buchkonzepts und halten sich nicht wie im üblichen Kunst-Buch mit der „richtigen” Einordnung in eine Ästhetik oder Kunstströmung auf, die nur dazu dient, sich auf Kunstmärkten zu positionieren. Ganz im Gegenteil positioniert sich das Buch als eigenständig, selbstbestimmt und selbstreflexiv innerhalb des umkämpften Terrains der „Kultur”, wie Luisa Ziaja schreibt. Ziaja verortet die vier künstlerischen Positionen in einem politischen Handlungsraum, den sie durch drei Bedingungen definiert: ein Verständnis von Kultur als Ort von Praktiken der Selbst-Repräsentation, künstlerisches Schaffen von MigrantInnen 38 l an.schläge Oktober 2010

Agnes Achola: „Leftovers”. Skulptur aus SecondHand-Kleidung (Die „westliche Wohltätigkeit” in Form von Second-Hand-Kleidergeschenken zerstört afrikanische Textilproduktionen.) Agnes Achola präsentiert weiters eine Kompilation ihres Films „She Tries To Break Free” und ihrer Video-Performance „Gomirndl” mit dem Essay „The Fact Of Blackness” von Frantz Fanon, der mit ihren Anmerkungen und Unterstreichungen versehen ist.

als integraler Bestandteil der kulturellen Praxis einer Gesellschaft und die Präsentation migrantischer Positionen als Reaktion auf den hegemonialen rassistischen Blick. Doch der Untertitel des Buches „postkoloniale Verstrickungen, antirassistische Baustellen” deutet schon an, womit sich die Künstlerinnen/ Herausgeberinnen herumgeschlagen haben: mit übergestülpten Identitäten, Fremdzuschreibungen, Zuweisungen an genau bestimmte Plätze („EthnoKunst” plus „Frauen-Kunst”) und Dequalifizierungen, die sich besonders gern auf angeblich mangelnde Sprachkenntnisse stützen. „Wer sprechen darf, ist in dem von Machtverhältnissen durchlöcherten Migrationsdiskurs durch eine rigide Tautologie geregelt: Sprechen kann, wer sprechen kann.” (Radostina Patulova) Die wohlwollende Rede von der angeblich universell verständlichen Sprache der Kunst, die doch nur versucht, jegliche Kunstproduktion zu entpolitisieren, indem sie sie auf die Ebene einer marktkompatiblen „Gefühlsproduktion” herunterzieht („Dieses Bild spricht mich an, das möchte ich mir übers Sofa hängen”), wird in diesem Buch laut übertönt. Die hier präsen-

Nilbar Güres¸: „Unknown Sports – Public Space”. Eine von mehreren Performances, die türkische Öffentlichkeiten provozieren sollten: Sie entledigte sich auf mehreren Plätzen in Istanbul eines Brautkleids, um danach als Boxerin durch die Straßen zu ziehen. Ihre weiteren hier präsentierten Werke beschäftigen sich ebenso mit dem Clash von feministischen und religiösen Diskursen, aber auch mit Erfahrungen von Rassismus/Sexismus im österreichischen Alltag. www.nilbargures.com

tierten kritischen, radikalen, nachdenklichen, fordernden Bilder und Projekte stellen „Zuschreibungsdiktate” (María do Mar Castro Varela) infrage und eignen sich nicht nur eine selbstbestimmte „Nische” an, sondern gleich das ganze „Kulturterrain Österreich” – wenn auch das Projekt der (migrantischen) Selbstdefinition innerhalb dieses umkämpften Terrains, das mit Rassismen und Sexismen durchsetzt ist, die oftmals auch von mehrheitsösterreichischen Kulturszenen reproduziert werden, wahrscheinlich nie abgeschlossen sein wird. l

Agnes Achola, Carla Bobadilla, Petja Dimitrova, Nilbar Güre¸s, Stefania Del Sordo (Hginnen): Migrationsskizzen. postkoloniale Verstrickungen, antirassistische Baustellen. Sketches of Migration. Postcolonial Enmeshments, Antiracist Construction Work. Mit Texten von Luisa Ziaja, Radostina Patulova, María do Mar Castro Varela und Fatih Aydogdu. Zweisprachig Englisch/Deutsch, Farbdruck. Löcker 2010, 24,80 Euro


an.lesen Sprachlos l Jeden Sommer

Marie wie? l Sarah, 20 Jahre

fährt Familie McKotch ins alte Captain’s House auf Cape Cod. Die Kinder sind noch Kinder, die Eltern noch verheiratet. 23 Jahre später ist alles anders: Viele Brüche müssen passiert sein, neue familiäre Konstellationen haben sich ergeben. Eine mögliche Erklärung für die Trennung der Eltern: die Diagnose, die ihrer Tochter Gwen gestellt wurde. Denn Gwen hat das sogenannte Turner-Syndrom, eine Form einer Störung der Geschlechtsentwicklung, bei der die Betroffenen z.B. ihr Leben lang klein bleiben, nicht in die Pubertät kommen und unfruchtbar sind. Jennifer Haigh erzählt die Geschichte einer Familie, die es nicht schafft, miteinander über das zu sprechen, was ihnen wirklich wichtig ist. Vorhandene Ängste bleiben unausgesprochen. Und dass Gwen mit ihrer Diagnose ganz gut leben kann, ist für die anderen Familienmitglieder schwer zu verstehen. Haigh wendet sich in einzelnen Kapiteln jedem Familienmitglied für sich zu – Frank, Paulette, Scott, Billy und Gwen werden in ihren eigenen Lebensumfeldern geschildert. Zu kämpfen – sei es mit dem Job, der Sexualität oder der Einsamkeit – haben alle. Und allen Befürchtungen zum Trotz schafft gerade Gwen es, mit ihrer Situation sehr gut klarzukommen – sie ist es, die wirklich auftauchen kann. Bettina Enzenhofer

alt und Studentin, ist anfangs von Marie, der neuen Mitarbeiterin ihres Vaters, der sie Wien zeigen soll, wenig begeistert. Marie ist einfach merkwürdig: meist schweigsam, dann wieder sehr direkt, oft zickig und fast immer verkrampft. Sarah lernt die Andersartigkeit von Marie jedoch bald zu schätzen und schließlich sogar zu lieben. Doch Marie leidet am Asperger-Syndrom, einer Form des Autismus, die es den Betroffenen schwer macht, mit anderen Menschen zu kommunizieren oder sich gar in sie hineinzuversetzen. Sarah steht somit vor mehreren Hürden: Sie muss sich als lesbisch outen und zudem lernen, eine Beziehung mit einer Person zu führen, die sich selbst für beziehungsunfähig hält. Caroline Scheirer erzählt in „Marie anderswie” bemerkenswert unsentimental und unverkitscht die Geschichte einer ebenso leidenschaftlichen wie komplizierten Liebe. Marie wird als eine Frau dargestellt, die sich ihrer Handicaps bewusst ist und gelernt hat, damit umzugehen. Im Großen und Ganzen werden die beiden Frauen als Menschen gezeichnet, die sich auf gleicher Augenhöhe begegnen – ein Umstand, der die LeserInnen über die teilweise vorhersehbaren Erzählstränge und die oft zu bemüht jugendliche Sprache hinwegsehen lässt. Silke Pixner

Jennifer Haigh: Auftauchen Droemer 2010, 19,95 Euro

Carolin Schairer: Marie anderswie, Ulrike Helmer Verlag 2010, 20,60 Euro

Super-Wanda! l

Wenn Wanda mittwochs zum Schwimmunterricht geht, stellt sie sich immer ganz hinten als Letzte an. Sie hasst schwimmen. Beim Sprung ins Wasser macht sie riesige Fontänen, und die anderen Mädchen im Kurs spotten: „Wanda Walfisch dick und rund, Wanda Walfisch hundert Pfund!” Doch der Schwimmlehrer zeigt der Außenseiterin einen Trick: „Wenn du leicht sein willst, denk Feder”, rät er dem Mädchen im grün-orangefarbenen Oma-Badeanzug. Die Kraft der Gedanken – es funktioniert! Schon bald meistert Wanda die kniffligsten Situationen: Wenn sie abends am Heimweg von einem Fremden belästigt wird, denkt Wanda: Riese! Und starrt dem Mann direkt in die Augen, sodass er verstummt. Im Bett stellt sie sich vor: Igel im Bau – und schläft schon bald tief und fest. Und Wanda denkt immer weiter: Känguru,

Hase, Sonnenschein. Am nächsten Mittwoch taucht Wanda elegant ins Wasser, als Rakete, Delfin oder Surfbrett. Doch eine Herausforderung wartet noch auf die kleine Heldin: der Sprungturm … Der Schweizer Autor Davide Cali und die russische Illustratorin Sonja Bougaeva haben ein kluges, witziges und obendrein äußerst sehenswertes Kinderbuch geschaffen, das schlichtweg begeistert – empfohlen für Wandas und NichtWandas ab fünf Jahren. Vina Yun Davide Cali, Sonja Bougaeva: Wanda Walfisch Atlantis 2010, 15,40 Euro

Provinz fatal l Stone-

field: Eine englische Idylle mit weiten, saftigen Wiesen, herrschaftlichen Häusern und einem von Beth Hardiman geführten Refugium für angesehene Literaten und solche, die es noch werden wollen. Hierher kommen sie, um ihren Sommer in Ruhe dem Schreiben zu widmen, kulinarisch bestens von der Hausherrin versorgt und beim Abendessen charmant unterhalten vom erfolgreichen Schriftsteller und Ehemann Nicholas Hardiman. Doch als die bezaubernde Tamara Drewe, eine Journalistin in London und Erbin des Nachbarhauses auftaucht, entsteht Unruhe … Was auf den ersten Blick ein wenig wie eine Rosamunde-Pilcher-Geschichte anmutet, entfaltet bei näherem Hinsehen doch erstaunliche Tiefe, was vor allem Posy Simmonds Liebe zum Detail geschuldet ist. Ihre HeldInnen sind vielschichtig, menschlich, fehlerhaft. Eitelkeiten und Langeweile, Selbstaufopferung und sexuelle Getriebenheit ergeben in Summe eher eine satirische Darstellung der englischen Mittelklasse als Pilcher’schen WeichzeichnerSchmus. Die 1945 in Berkshire geborene Posy Simmonds zeichnet bereits seit den frühen Siebzigern für die englische Presse und darf sich sogar „Member of the British Empire” nennen. „Tamara Drewe” entstand – wie schon davor „Gemma Bovery” – als wöchentlicher ComicStrip in der Zeitung „The Guardian” und wurde erst später in Buchform veröffentlicht. Nun hat sich der wunderbare Comicverlag Reprodukt um die gelungene Übersetzung ins Deutsche gekümmert. Silke Graf Posy Simmonds: Tamara Drewe Reprodukt 2010, 20,60 Euro Oktober 2010 an.schläge l 39


an.lesen Instabile Körper l Susie

Orbach, Psychoanalytikerin und Feministin, beschäftigt sich seit Jahren mit der Selbstwahrnehmung von Körpern und Essverhalten. So auch in ihrem neuen Buch: Orbach vertritt die These, dass das Körpererlebnis massiv durch unser soziales Umfeld geprägt wird. Ein instabiles Körpergefühl bei wichtigen Bezugspersonen oder ein inadäquates Behandeln unserer körperlichen Bedürfnisse schlage sich in unterschiedlichsten Ausprägungen unseres eigenen Körpergefühls nieder, eine unsichere Körperlichkeit übertrage sich von einer Generation an die nächste. Orbach schildert Fälle aus ihrer Praxis: Menschen mit schweren Essstörungen, dem Gefühl, Gliedmaßen als nicht zugehörig zu erleben, Sexualstörungen etc. Mediale Bilderfluten manipulierter Körper, die Schönheitschirurgie sowie die Nahrungsmittel- und Pharmaindustrie tun ihr übriges, um das Gefühl zu verstärken, der eigene Körper müsse korrigiert werden. Für Orbach sind das allerdings nicht ausschließlich Symptome der Psyche – vielmehr Symptome des Körpers selbst, der seine Bedürfnisse zum Ausdruck bringen wolle.

Orbachs Schilderungen haben stellenweise wenig Neuigkeitswert, sind an anderen Stellen – etwa wenn sie konkrete Fälle aus ihrer Praxis beschreibt – interessant, und letztlich bieten sie auch eine Perspektive: Wir müssen wieder lernen, unsere Körper so, wie sie sind, zu genießen – anstatt sie kontrollieren und disziplinieren zu wollen. Bettina Enzenhofer Susie Orbach: Bodies. Schlachtfelder der Schönheit Arche 2010, 18,40 Euro

Kommunistische Omas l

„Meine roten Großmütter” von Vera Schwarz sind Frauen, die von 1945 bis 1968 in der Kommunistischen Partei Österreichs aktiv waren. Die Studie setzt sich mit den Bedingungen politischer Aktivität von Frauen innerhalb der KPÖ auseinander. Dabei steht der Bruch innerhalb der Partei nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 im Vordergrund, der in den nächsten drei Jahren zum Verlust eines Drittels der Mitglie-

der führte, die entweder ausgeschlossen wurden oder aufgrund der für sie nicht mehr tragbaren Positionen die Partei verließen. Nach einer ausführlichen Darstellung der Geschichte des Konflikts geht Schwarz auch der Frage nach, was aus den ausgetretenen/ausgeschiedenen Menschen bzw. ihrem politischen Engagement wurde. Dafür zieht sie Interviews mit fünf Frauen heran: Ilse M. Aschner, Hannah Fischer, Lisa Markstein, Maria Verber und Maria Zottel. Anhand ihrer Lebensgeschichten verdeutlicht Schwarz, dass „es auch nach dem Bruch weiterhin politische Betätigung der ausgeschiedenen ehemaligen KPÖlerinnen gab, weil das Bedürfnis nach politischem Engagement in ihren Biografien verwurzelt ist”. Das Buch ist daher nicht nur wegen der außergewöhnlichen Lebensgeschichten sowie der Geschichte der Frauen innerhalb der KPÖ spannend, sondern auch weil Themen wie die dreifache Unsichtbarkeit der Aktivistinnen als Frauen, Kommunistinnen und später als Ex-Parteiangehörige angesprochen werden. Judith Götz Vera Schwarz: Meine roten Großmütter Peter Lang Verlag 2010, 28,60 Euro

! t s s e r t s n e h c a m s s e Sich Str

bonustrack: Clara Luzia

Mein Kollege Max sagt, es könne mir guttun darüber zu schreiben, wie unnötig es ist, sich selbst Stress zu machen, bevor dieser – oder besser: der Grund dafür – überhaupt aufkommt. Er sagt das deshalb, weil ich gerade mitten in solch einer Stressproduktionsphase stecke: Eine Tour steht an, danach beginnen die Aufnahmen für das neue Album, und sowohl Tour als auch Album werden mit Liedern bespielt, die der Band teilweise noch kaum bis gar nicht bekannt sind. Das macht mir Stress. Und während ich eben finde, dass dieser Stress angebracht ist und ich mich deshalb auch um ihn kümmern kann, meint Max, der Zeitpunkt zu entscheiden, ob jetzt Stress angesagt ist oder nicht, der käme erst. Das macht mir noch mehr Stress. Wenn der wahre Zeitpunkt überhaupt erst kommt, in welcher Phase befinde ich mich denn dann jetzt? Kommt also alles noch viel schlimmer? Und wenn das Schlimmere gekommen ist, muss ich dann entscheiden, ob jetzt Stress angebracht ist, weil notwendig, oder ob noch im-

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mer kein Grund besteht, den Gang höherzuschalten? Wie soll ich denn in so einer Hochdrucksituation noch entscheidungsfähig sein? Insofern bleibe ich dabei: Ich stresse mich jetzt, wo ich mich noch frei von Entscheidungszwang in Ruhe stressen kann. So sind mir auch die unglaublich erleichternden Momente sicher, in denen ich erkenne, dass sich – wie Max so gerne sagt – ohnehin alles in Wohlgefallen auflöst.

Clara Humpel betreibt seit 2006 ihr Plattenlabel Asinella Records (Marilies Jagsch, Luise Pop, Bettina Koester, Clara Luzia, Mika Vember) und macht selbst unter ihren Vornamen Clara Luzia Musik. Illustration: Lina Walde, http://evaundeva.blogspot.com


Mal in Scheiben, mal am Stück Dieser Herbst kann alles – von großartigem Songwriting über moderne Klassik und spätsommerlichen Club-Pop bis zu introspektiver Klavierträumerei. Von Sonja Eismann

Zazie von einem anderen Stern, Foto: Drifting Falling

„Ich muss immer an dich denken, mal in Scheiben, mal am Stück”, singt die größte lebende deutschsprachige Songwriterin, und diese unbeschreibliche Mischung aus schnoddriger Nonchalance und tiefster Depression am Anfang einer Platte, vorgetragen mit diesem schönen süddeutschen Akzent, lässt keinen Zweifel: Hier singt Christiane Rösinger herself, früher bei den unsterblichen Lassie Singers, dann bei den melancholischen Britta, jetzt endlich mit einer Soloplatte am Start. Die heißt, in Anlehnung an Leonard Cohen, Songs of L. and Hate (Staatsakt/Rough Trade), und auch das Titelbild macht klar, dass der männliche Musik-Kanon ordentlich aufgemischt wird: Gemeinsam mit Ja, Paniks Andreas Spechtl, der die Platte mit der in Berlin lebenden Musikerin in schönster Songwriting-Tradition eingespielt hat, wird hier Bob Dylans Cover von „Bringing It All Back Home” nachgestellt. Nur ist Rösinger der Songwriter-Checker im Vordergrund, während Spechtl die laszive Lady in Red im Hintergrund gibt. Das Album ist eine Wundertüte aus beißend ironischen Songs wie „Berlin”, in dem die Berliner Boheme ordentlich durch den Kakao gezogen wird, empathischen MitschreiHymnen wie „Desillusion” und zutiefst verzweifelten (Anti-)Liebessongs wie „Verloren”, in dem mit einem „ver-

bitterten, verknitterten, verzitterten” Gegenüber ausschließlich mit „ver”Attributen abgerechnet wird. Wer sich dieses Jahr nur eine Platte zulegt: Diese muss es sein. Eine weitere interessante deutsche Songwriterin, die sich nach sechsjähriger Auszeit mit einer neuen Platte zurückmeldet, ist Elena Lange von Stella. Die Überraschung auf Fukui (Snowhite/Universal) ist jedoch groß. Dass die Hamburger Gruppe mit jedem Album frappierende Stilhaken schlägt, mit denen sie den KollegInnen meistens weit voraus ist, ist programmatisch. Dass aber die Japanologin Lange jetzt auf fast allen Stücken Japanisch singt und damit, zumindest für ihre deutschsprachigen HörerInnen, keine nachvollziehbaren politischen Aussagen mehr trifft, verwundert zunächst. Dem ästhetischen Genuss tut dies aber keinen Abbruch: Die eleganten, wie moderne Klassik oder zeitgenössische elektroakustische Komposition klingenden Tracks mit viel Klavier und reduzierten Beats sind anders als alles, was derzeit produziert wird – und dabei doch seltsam eingängig. Mit seinem schwelgerischem Clubpop will das Florenzer Duo We Love, das gerade sein erstes, selbstbetiteltes

an.klang

Album (bei Bpitch/Trost) veröffentlicht hat, die Tanzflächen erobern. Giorgia Angiuli und Piero Fragola taten sich erst vor gut einem Jahr als Produktionsteam zusammen, nachdem Giorgia Ellen Alliens Album „Berlinette” geschenkt bekommen hatte. Für die klassische Akustikgitarristin eine Revolution – danach habe sie einen neuen Laptop und eine Soundkarte gekauft und sei bis heute nicht von der Aura elektronischer Musik losgekommen. Wenn man die zehn Stücke auf „We Love” hört, kann man sich kaum vorstellen, dass Giorgia und Piero angeblich stets in romantischen Roboterkostümen auftreten, so wenig überkandidelt wirkt ihre von breiten Synthieflächen und den wimpy Girl-Boy-Vocals umflutete Musik. Zweifelsohne ein spannender Kontrast zum unterkühlten und doch emotionalen Elektropop, der in der Tat an den Sound von Bpitch-Labelchefin Ellen Allien erinnert. Ein neues Musikprojekt namens Zazie von einem anderen Stern, mit einem Debütalbum, das den Titel Regen:Tropfen (Drifting Falling) trägt – das klingt fast zu cute, um es zu ertragen. Die erste Platte von NeoBerlinerin Maike Zazie Matern ist vielleicht soft und verträumt, aber nicht naiv. Das hat sicherlich damit zu tun, dass Matern eine klassische Klavierausbildung absolviert hat, dabei vor allem von Chopin und der französischen Popsängerin Zazie geprägt wurde und so einen experimentell-kompositorischen Ansatz verfolgt, der sie davor bewahrt, langweiliges Popsongwriting zu betreiben. Auf „Regen:Tropfen” finden sich neben unglaublich melancholischem Klavierspiel atmosphärische Soundschnipsel aus Vögelgezwitscher, knarzenden Türen, plätscherndem Wasser und menschlichen Stimmen. Maike Zazie Materns Album, auf dem sie auch selbst singt und sich mit Glockenspiel und synthetischen Sounds begleitet, ist extrem introspektiv – und damit genau das Richtige für verregnete Herbsttage, an denen man sich nur noch unter der Decke verkriechen möchte. l

Links: www.single-generation.de/ pop/christiane_roesinger.htm www.myspace.com/stellaband09 www.myspace.com/welovewelove http://maikezazie.de/bio.html

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an.sehen

Fast Sex

Zwei Studentinnen suchen Abenteuer, Sex und Geld: Regisseurin Sabine Derflinger wirft mit ihrem neuen Kinofilm „Tag und Nacht” einen pessimistischen Blick auf die Arbeit in Escort-Services. Von Andrea Heinz Magdalena Kronschläger (Hanna) und Anna Rot (Lea), Foto: Mobilefilm/Thimfilm

Spätestens seit Romanen wie „Fucking Berlin” scheint Prostitution als Nebenjob fast schon gesellschaftsfähig zu sein. Es werden Bilder erzeugt von selbstbewussten und -bestimmten Frauen, die nicht länger gefühlsduselig, sondern vor allem geschäftstüchtig sind. Auch Hanna und Lea (herausragend in ihren Hauptrollendebüts: Magdalena Kronschläger und Anna Rot), die Protagonistinnen in Sabine Derflingers neuem Kinofilm „Tag und Nacht”, sehen die Sache ganz pragmatisch: Frau verdient in der Sexarbeit mehr als beim Kellnern – und so schlimm wird’s schon nicht sein. Gerade erst vom Land nach Wien gezogen, kommt auch noch ein wenig Neugier und Abenteuerlust dazu. Ein „böses Mädchen” sein – wo sonst kann man das noch? Sie bewerben sich bei Mario (Philipp Hochmair) und seinem EscortService „Tag und Nacht”. Laszive Fotos in billigen Dessous werden geschossen, Fragebögen beantwortet („Lieblingsgetränk?” – „Champagner.”). Am Ende kann man Lea und Hanna aussuchen – „wie eine Pizza Diavolo auf einer Speise42 l an.schläge Oktober 2010

karte”. Unter ihrem Profil auf der Homepage ist ein Button: „Hier geht’s weiter zur Bestellung.” Die schüchterne und immer etwas unsichere Hanna übernimmt den ersten Kunden. Von Abenteuer oder Glamour keine Spur. In der Wohnung des Kunden wartet bereits Sissi (Martina Spitzer), die Ehefrau von Escort-Chef Mario. Halbnackt kriecht sie auf dem Boden und ruft dem dickbäuchigen Kunden mit spitzer Stimme zu: „Ich verstecke mich, du musst mich suchen.” Es gibt Dosenbier. Sissi verschwindet, Hanna bleibt. Die Sex-Szenen sind explizit, nüchtern und beklemmend. Keuchende Männer über an die Decke starrenden Frauen, die sich nur regen, wenn sie einem Kuss ausweichen müssen. Die Kunden leiden an Zwangsstörungen oder Größenwahn und tragen bestenfalls nur Damen-Unterwäsche. Später haben Lea und Hanna einen gemeinsamen Auftrag: Kai (Martin Brambach) bewegt sich in gehobenen Kreisen und zitiert Dostojewski. Lea küsst ihn, Hanna kippt einen Martini, später ziehen

sie Koks-Lines vom Rücken des/der jeweils anderen. Gibt es womöglich doch so etwas wie Spaß und Glanz bei der Arbeit? Vor allem herrschen Machtverhältnisse in diesem Beruf. Der Kunde ist König. „Fick sie mit dem Finger”, befiehlt Kai Hanna. Hanna und Lea sind seit Kindestagen Freundinnen. Lea zuckt zusammen und läuft aus dem Zimmer. Kai wird laut. Er stopft Hanna Geld in den Mund. „Was würdest du für Geld alles tun?” Die Hemmungen der Mädchen sind schon lange gefallen, der Job ist zur Routine geworden. „Hoffentlich kommt der schnell, dann schaff ich’s noch in die Uni”, sagt Hanna in der U-Bahn zu Lea. Hanna küsst ihren neuen Freund Harald (Adrian Topol) im Paternoster des UniGebäudes – das Handy klingelt, ein Kunde, Hanna läuft los. Lea liegt verkatert in der Badewanne und erinnert sich an ihren One-NightStand mit dem alten Bekannten Claus (Manuel Rubey) – das Handy klingelt, ein Kunde, Lea springt sofort auf. Hanna vergeigt eine Kunstgeschichte-Prüfung, Lea fällt bei der Aufnahmeprüfung an

der Schauspielschule durch. Doch Mario braucht „seine” Mädchen, die Geschäfte laufen schlecht. Er ist kein Klischee-Zuhälter mit Pelzmantel und Lamborghini, er ist ein Kleinunternehmer, der das große Geld machen will, sich aber nicht einmal einen Fahrer für seine Angestellten leisten kann. Sabine Derflinger zeigt die Welt des käuflichen Sex sehr genau. Lange hat sie recherchiert und gemeinsam mit ihren Darstellerinnen Escort-Agenturen besucht. Herausgekommen ist ein nüchterner und desillusionierender Blick auf die Escort-Service-Branche. „So wie Fast Food gibt es mittlerweile auch Fast Sex”, sagt Derflinger. Die Gesetze der freien Marktwirtschaft haben auch die Körper erfasst: „Heute muss alles schnell und billig gehen.” l „Tag und Nacht“ (Ö 2010) startet am 8. Oktober in den österreichischen Kinos. www.tagundnacht-derfilm.at


an.künden Redaktionsschluss Termine 11/10: 12.10.2010 termine@anschlaege.at

fest musik 6.10., 20.00, Wien Sophie Hunger, Karten: 24 Euro WUK, Saal, 1090 Wien, Währinger Str. 59, T. 01/401 21-0, www.wuk.at 8.10., 20.00, Wien Lorelei Lee & Erstes Wiener Heimorgelorchester, im Rahmen der Songreiterei, VVK: 13/AK: 15 Euro Bunkerei im Augarten, 1020 Wien, Eingang Obere Augartenstraße 1a, T. 0676/972 43 70, www.bunkerei.at 13.10., 20.00, Wien Goldfrapp, Karten: 30 Euro Gasometer, 1030 Wien, Guglgasse 8, Karten: 32,10 Euro, www.planet.tt ab 1.10., Kassel u.a. Barbara Morgenstern, Tourdaten: 1.10. Kassel, Schlachthof, 2.10. Offenbach, Hafen 2, 7.10., Karlsruhe, Jubez, 22.10. Saabrücken, Sparte 4, 23.10., Aachen, Musikbunker, 29.10. Hamburg, Hafenklang, www.barbaramorgenstern.de

film bis 6.10., Wien Imaginationen des Realen – 10 österreichische Dokumentarfilme. Entstanden zwischen 1979 und 2006, präsentiert von zehn Kurator/innen aus dem In- und Ausland, mit Filmen von Ruth Beckermann, Anja Salomonowitz, Ulrich Seidl u.a. Filmmuseum, 1010 Wien, Augustinerstr. 1, T. 01/533 70 54, www.filmmuseum.at 7.–9.10., 20.00, Wien wien/schnitt/bild – 3 Abende mit Stummfilm und Live-Musik rund um Wien Odeon, 1020 Wien, Taborstr. 10, Kartenreservierung unter T. 01/216 51 27 od. buero@odeon-theater.at, Detailprogramm: www.odeonmusik.at 13.10.–19.10., 20.30, Dornbirn „Einmal mehr als nur reden”, Regie: Anna Katharina Wohlgenannt. Im Februar 1984 bilden 50 ÖsterreicherInnen die Arbeitsbrigade „Februar '34” und brechen auf nach Nicaragua Spielboden, 6850 Dornbirn, Färbergasse 15, T. 05572/219 33, www.spielboden.at

19.–24.10., Hamburg 21. Lesbisch Schwules Filmfestival Hamburg, VVK ab 2.10., Festival-, Party- u. Workshopprogramm auf www.lsf-hamburg.de 28.10., 18.00, Wien „Gegenüberstellung” – Die Konfrontation von Opfern und TäterInnen in Kriegsverbrecherprozessen. Filmvorführung: Interview mit Danuta Brzosko-Medryk, Podiumsgespräch mit Dieter Ambach, Hildegard Schlachter, Frank Höpfl u. Gabriela Mischkowski, Anm. u. Information: T. 01/228 94 69-315 od. info@nachkriegsjustiz.at Bundesministerium für Justiz, Veranstaltungssaal, 1070 Wien, Museumstr. 7

bühne 7. u. 8.10., 20.00, Wien Noche Flamenca, Flamencotanz: Silvia de Paz u. Susana La Gitana Rubia, Gesang: Francisco Contreras, Perkussion: Maria Petrova, Gitarre: Martin Kelner Sargfabrik, Badehaus, 1140 Wien, Goldschlagstr. 169, T. 01/988 98-111, www.sargfabrik.at 9.10., ab 18.00, Wien, Good Night & Good Luck #2 – Tanzu. Performancenacht von Tanzquartier Wien u. brut, mit Milli Bitterli, Magdalena Chowaniec, Stephanie Cumming, Andrea Salzmann/Doris Uhlich, CLUB BURLESQUE BRUTAL u.a., verschiedene Spielstätten, Kosten: 18/erm. 10 Euro brut, 1010 Wien, Karlsplatz 5, T. 01/587 87 74, www.brut-wien.at 13.10.–23.10., 20.30, Wien „Ins Weite schrumpfen” von Katja Hensel, Regie: Barbara Herold, mit Maria Fliri, Ingrid Lang u.a., Premiere: 12.10., 20.30, Aufführungen Di–Sa KosmosTheater, 1070 Wien, Siebensterng. 42, T. 01/523 12 26, www.kosmostheater.at 19.–29.10., Salzburg tanz_house Festival 2010 „Meet again!”, Detailprogramm unter: www.tanzhouse.at u. www.argekultur. at, Ausstellung „Meet again! tanz_ house – Wer ist das?” während des Festivals im Foyer ARGEkultur, 5020 Salzburg, Ulrike-

Gschwandtner-Str. 5, T. 0662/848 784, www.argekultur.at ab 20.10., 20.30, München „Eden Morgens Mittags Abends”, von Chloé Delaume, mit Stefanie von Poser PATHOS transport theater, 80636 München, Dachauer Str. 112d, T. 089/12 11 10 75, www.pathosmuenchen.de ab 20.10., 20.00, Wien „Weißbrotmusik” von Marianna Salzmann, eine Produktion der WIENER WORTSTAETTEN in Kooperation mit Theater Nestroyhof Hamakom, Premiere: 19.10., 20.00, Termine: 20.–23.10., 26.–30.10. Theater Nestroyhof Hamakom, 1020 Wien, Nestroyplatz 1, T. 01/8900 314, www.hamakom.at 28.10.–6.11., 20.30, Wien „Hamlet am Meer”, Performancetheater mit Texten von Heiner Müller, Ingeborg Bachmann u. Tanz- & Soundfragmenten, als Hamlet: Ines Rössl, als Ophelia: Thomas Weilharter, Idee/ Regie: Katharina Vana, Premiere: 27.10. KosmosTheater, 1070 Wien, Siebensterng. 42, T. 01/523 12 26, www.kosmostheater.at 29.10. u. 30.10., 20.30, Wien „Dance”, Choreografie: Lucinda Childs, Europa-Premiere der Wiederaufnahme in neuer Besetzung Tanzquartier Wien, Halle E, 1070 Wien, Museumsplatz 1, T. 01/581 35 91, www.tqw.at

seminar workshop 13.10., 16.30, Graz Studienkreis Postkoloniale Theorien – lesen – treffen – diskutieren, im Rahmen der Reihe „Bildungsfokus: Gender und Globales Lernen”, Kontakt für QuereinsteigerInnen: palaver@frauenservice.org palaverconnected, 8020 Graz, Griesgasse 8, T. 0316/71 60 22, www.frauenservice.at 30.–31.10., 10–17.00, Neunkirchen „Mein Platz in meiner Familie”, Leitung: Gabriele Denk, Kosten: 20–40 Euro nach Selbsteinschätzung, Anm. bis 22.10. Frauenberatungsstelle Freiraum, 2620 Neunkirchen, Wiener Str. 4/9, T. 02635/611 25, www.frauenberatungfreiraum.at, www.gabriele-denk.at 11.11.2010–18.6.2011, an verschiedenen Orten Modularer Lehrgang für Gender Kompetenz, insgesamt 5 Module zu je

2,5 Tagen/20 Einheiten Orte: Bildungshäuser in Graz, Bruck/ Mur, Spital am Phyrn u. Grundlsee, Kosten: gesamter Lehrgang 1.750 Euro, Einzelmodul 350 Euro (ohne USt.), Fördermöglichkeiten auf Rückfrage, Info u. Anm.: Verein Frauenservice Graz, T. 0316/71 60 22-29, genderwerkstaette@genderwerkstaette.at, www.genderwerkstaette.at

vortrag diskussion 8.10., 9–17.00, Wien „Vermarktlichung von Gefühlen”, Vorträge und Diskussionen mit Sighard Neckel, Ulrich Bröckling, Gertraude Krell, Birgit Sauer u.a. Institut für die Wissenschaften vom Menschen, 1090 Wien, Spittelauer Lände 3, Anm. unter katharina.hajek@univie.ac.at, Detailprogramm unter www.birgitsauer.org/Aktuelles.php 8.10., 19.00, Wien Melina Klaus im Gespräch mit Ute Bock u. Karin Klaric (Rechtsberaterin), Café Einfahrt, 1020 Wien, Haidgasse 3, T. 01/94 26 886, www.einfahrt.at 12.10., 18.00, Wien „Welche Bildung braucht die Gesellschaft?” Podiumsgespräch mit Ernst Peter Fischer, Ada Pellert, Ilse Schrittesser u. Hans Sünkel Österreichische Akademie der Wissenschaften, Theatersaal 1, 1010 Wien, Sonnenfelsgasse 19 13.10., 18.30, Wien „Pensionsvorsorge” im Rahmen der Vortragsreihe „Frauen und Geld”, Vortragende: Daniela Orlik, UKB: 7 Euro, Anm. bis 2 Tage vor Vortragstermin bei elke.spitzer@prokonzept. at, T. 01/817 41 44 Institut Frauensache, 1030 Wien, Obere Viaduktgasse 24, T. 01/89 58 440, www.frauensache.at 18.10., 19.00, Wien „Von der Kunst, Künstlerin zu sein”, Expertinnen- u. Publikumsgespräch mit Petra Unger, Zita Breu u. Carla Bobadilla im Rahmen der Reihe „Nachdrücklich vorbildlich. Auf den Spuren von Pionierinnen und Zukunftsfrauen” KosmosTheater, 1070 Wien, Siebensterng. 42, T. 01/523 12 26, www.kosmostheater.at 19.10., ab 8.30, Wien, „Platz für große Töchter” – 12. Österreichischer Journalistinnen-

kongress, Teilnahmekosten: 36 Euro, Workshops, Detailprogramm u. Anm. bis 10.10. unter www.medienfrauen.net Haus der Industrie, 1030 Wien, Schwarzenbergplatz 4 30.10., 19.30, Ebensee „Neues Geld – neue Welt: Eigeninitiative statt Wirtschaftskrise”, mit Tobias Plettenbacher Frauenforum Salzkammergut, 4802 Ebensee, Soleweg 7/3, T. 06133/4136, www.frauenforum-salzkammergut.at 3.11., 10–15.00, Leitring Tagung „Migration – Integration”, Anm. bis 22.10. beim Verein Freiraum, Frauen für Frauen, T. 03452/20 200, www.verein-freiraum.at Retzhof – Bildungshaus des Landes Steiermark, 8430 Leitring, Dorfstraße 17, T. 03452/82788-0, www.retzhof.at

ausstellung bis 11.10., Wien politische.farben – eine abstraktion in 20+16 bildern. Eine Gruppenausstellung anlässlich der Wiener Gemeinderatswahl am 10.10.. Es kandidieren mit ihren Werken: Renate Dorfmeister, Angela Dorrer, Silvia Ehrenreich u.a., Wahl des Lieblingsbildes ab 3.9., Lesungen „texteüberfarben”: 16.9., 20.00, Café Club International, 1160 Wien, Payerg. 14 u. 20.9., 20.00, Osteria Allora, 1200 Wien, Wallensteinplatz 5–6, Ausstellungen ebendort, www. galeriestudio38.at/politische.farben 16. u. 17.10., Niederösterreich NÖ Tage der offenen Ateliers 2010, Ateliers, Galerien, Kunsthandwerkstätten ermöglichen Einblick in Kunst, Design u. Kunsthandwerk, 870 Mitwirkende, 573 Ateliers, 215 Galerien, 90 Kunsthandwerksstätten, Detailprogramm auf www.kulturvernetzung.at bis 22.10., Wien ORTsZEIT: Maria Maier – Fotografie und Malerei ZS art KunstRaum, 1070 Wien, Westbahnstr. 27–29, Mo, Di, Mi, Fr 11–19.00, Do 11–21.00, www.zsart.at bis 22.10., Wien Friedl Kubelka <> Friedl vom Gröller GALERIE RAUM MIT LICHT, 1070 Wien, Kaiserstr. 32, T. 0676/63 62 578, www.raum-mit-licht.at bis 26.10., Hittisau Ich bin Ich: Susi Weigel – Trick-

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an.künden

She-J Ipek Ipekçioglu ist in der Stadt. Die in München geborene Wahlberlinerin mit türkischen Wurzeln und queerer Lebenseinstellung steht demnächst in Wien an den Plattentellern. Gemeinsam mit dem Nomad Sound System lässt – laut dem schwedischen Queer-Magazin QX – „Europas hippster DJ” im Rahmen des „Salam.Orient”-Festivals zu ihrem „Eklektik BerlinIstan” und OrientalFuture-Pop tanzen. Still sitzen ausgeschlossen. Hansel Sato: Österreichische Nachrichtenintervention

No Nation Wie behaupten sich Nicht-EU-StaatsbürgerInnen in einem historisch multiethnischen Lebensraum, dessen aktuelle politische Lage grundlegende Bedingungen wie Aufenthaltsstatus und Lebensrecht immer wieder infrage stellt? Wie werden Ein- und Ausgrenzungsmechanismen sozial, politisch und medial ins Rollen gebracht? Die Ausstellung „Mit uns ist kein (National)Staat zu machen” präsentiert unterschiedliche künstlerische Positionen, die von den Möglichkeiten realpolitischer Interventionen und von dokumentarischen Momenten im Leben von Migrant_innen ausgehen. 1.10.–11.12., Kunstraum Niederösterreich, 1010 Wien, Herrengasse 13, Di–Fr 11–19.00, Sa 11–15.00, Mo, So u. Feiertag geschlossen, www.kunstraum.net filmzeichnerin und Illustratorin (1914–1990) Frauenmuseum, 6952 Hittisau, Platz 501, Do 15–20.00, Fr 14–17.00, Sa u. So 10–12, 14–17.00, T. 05513/620 930, www.frauenmuseum.at 29.10.–6.2., München Tronies – Marlene Dumas und die Alten Meister Haus der Kunst, 80538 München, Prinzregentenstr. 1, Mo–So 10–20.00, Do 10–22.00, T. 089/211 27-115, www.hausderkunst.de bis 31.10., Wien Cosima von Bonin: Tagedieb. Kunstinstallation im öffentlichen Raum Graben, 1010 Wien, Höhe Nr. 17/21

bis 7.11., Wien Retrospektive Tina Modotti – Fotografin und Revolutionärin. Führungen: So u. Feiertag: 15.00, Kontakt Gruppenführungen: katharina. boehm@kunsthauswien.com Kunst Haus Wien, Museum Hundertwasser, 1030 Wien, Untere Weißgerberstr. 13, tgl. 10–19.00, T. 01/712 04 91, www.kunsthauswien.com bis 7.11., Wien Lara Almarcegui Secession, 1010 Wien, Friedrichstr. 12, Di–So 10–18.00, Führungen: Sa 15.00, So 11.00, T. 01/587 53 07, www.secession.at bis 14.11., Maria Gugging mahn – maskulines? Männerbilder

Foto: Daniel Pasho – die Abbildung des Mannes und „Männliches” in der Art Brut galerie gugging, 3400 Maria Gugging, Am Campus 2, T. 02243/87 087 381, www.gugging.org 7.11., Linz Marlen Haushofer: „Ich möchte wissen, wo ich hingekommen bin!” StifterHaus, Adalbert-Stifter-Platz 1, 4020 Linz, T. 0732/77 20-1295, www.stifter-haus.at bis 21.11., Jena Louise Bourgeois: Skulpturen, Zeichnungen und Druckgrafik Städtische Museen Jena, Kunstsammlung, 07743 Jena, Markt 7, Di u. Mi 10–17.00, Do 14–22.00, Sa u. So 11–18.00, T. 03641/4982-65, www.kunstsammlung.jena.de bis 5.12., Wien Frieda Kahlo Retrospektive Bank Austria Kunstforum, 1010 Wien, Freyung 8, Mo–So 10–19.00, Fr 10–21.00, T. 01/537 33 26, www.bankaustria-kunstforum.at bis 12.12., Wien Ana Torf: Album/Tracks B. Führung durch die Ausstellung durch die Kuratorin Sabine Folie am 5.10., Vortrag Mieke Bal 2.12., 19.00 Generali Foundation, 1040 Wien,

Frauengesundheit Im exklusiven Ambiente der Frida-Kahlo-Ausstellung im Kunstforum Wien findet die Buchpräsentation von „Frauengesundheit in Theorie und Praxis. Feministische Perspektiven in den Gesundheitswissenschaften“ statt. Der Band, herausgegeben von der Soziologin Gerlinde Mauerer, vereint unterschiedliche disziplinäre Perspektiven wie feministische Gesundheitsförderung und Public Health, Gesundheits- und Medizinsoziologie, Körpersoziologie und Gender Studies. Die Ausstellung hat am Präsentationsabend bis 21 Uhr geöffnet. 22.10., 18.00, Bank Austria Kunstforum, Tresor, 1010 Wien, Freyung 8, www.bankaustria-kunstforum.at, www.frauenhetz.at, www.transcript-verlag.de 44 l an.schläge Oktober 2010

Nomad Sound System & DJ Ipek, 25.10., 22.00, Ost Klub, 1040 Wien, Schwarzenbergplatz 10, VVK 9/AK 12 Euro, www.ost-klub.at, www.dj-ipek.com Salam.Orient – Musik, Tanz und Poesie aus orientalischen Kulturen, 11.10.–5.11. in Wien und Graz, Festivalprogramm auf www.salam-orient.at Wiedner Haupstr. 15, Di–So, feiertags 11–18.00, Do 11–20.00, T. 01/504 98 80, http://foundation.generali.at bis 13.12., Wien Das Theater mit dem Gender – 10 Jahre KosmosTheater. Jubiläumsausstellung, Konzept und Ausführung: Bettina Frenzel, geöffnet an Spieltagen, ab 90min. vor Vorstellungsbeginn, Eintritt frei KosmosTheater, 1070 Wien, Siebensterng. 42, T. 01/523 12 26, www.kosmostheater.at bis 9.1., Frankfurt/Main Not in Fashion – Mode und Fotografie der 90er Jahre Museum für Moderne Kunst, Adresse, Di 10–18.00, Mi 10–20.00, Do–So 10–18.00, T. 069/212 304 47, www.mmk-frankfurt.de bis 31.1., Wien Sofia Goscinski: Disorders Kunsthalle Wien, photo wall & video wall, 1070 Wien, Museumsplatz 1, tgl. 10–19.00, Do 10–21.00, T. 01/521 89-0, www.kunsthallewien.at bis 13.2., Speyer Amazonen – Geheimnisvolle Kriegerinnen Historisches Museum der Pfalz Speyer, 67346 Speyer, Domplatz 4, T. 06232/13 25 0, www.museum-speyer.de

lesung 15.10., 20.00, Wien SLAM Big Brother. Poetry Slam mit Slammasterin Diana Köhle, Anm. ab 19.00, mitzubringen: 2 selbst verfasste Texte für jew. max. 5 Min. Leseperformance Literaturhaus Wien, 1070 Wien, Zieglergasse 26A, T. 01/526 2044-0, www.literaturhaus.at 20.10., 19.00, Wien Majella Lenzen liest im Rahmen von „Frauen lesen gegen AIDS” Literaturhaus Wien, 1070 Wien, Zieglergasse 26A, T. 01/526 2044-0, www.literaturhaus.at 27.10., 20.15, Wien textstrom Poetry Slam, mit Slammas-

terin Mieze Medusa, Anm. ab 19.30, mitzubringen: 2 selbst verfasste Texte für je max. 5 Min. Leseperformance rhiz, 1080 Wien, Gürtelbogen 37, http://rhiz.org, www.miezemedusa.com 30.10., 20.00, Innsbruck „Leise Töne”, mit Karen-Susan Fessel AEP-Frauenbibliothek, 6020 Innsbruck, Müllerstr. 26, T. 0512/58 36 98, www.aep.at

aktivitäten Do, 18.00, Wien Intuitives Bogenschießen für Frauen, mit Andrea Bibl Zentrum Exist, 1150 Wien, Sechshauserstr. 36–38, T. 0699/10 83 49 27 9.10., 17.00, Graz FrauenStadtSpaziergänge 2010 – erzählte Frauengeschichte: „Frauenbildung – der lange Weg auf die Universität”. Eine Veranstaltungsreihe von Verein FRAUENSERVICE Graz, Teilnahme ist kostenlos Treffpunkt: 17.00, 8010 Graz, Schloßbergplatz, T. 0316/71 60 22, www.frauenservice.at 9.10., 11–13.30, Wien „Heraus mit dem Wahlrecht!” Spaziergang durch den 1. Bezirk anlässlich der Wiener Wahl am 10.10.: Warum Frauen wählen (sollten), wie sie gewählt wurden u. was für Frauen durchgesetzt werden konnte. Treffpunkt: vor dem Parlament am Brunnen, Endpunkt: Judenplatz, ca. 13.30, bei jedem Wetter, Kosten: 10 Euro, Anm. unter office@petra-unger.at 10.10., 11–12.30, Wien „... und am Wahltag? Kunst ist politisch!” Museumsrundgang über Provenienzforschung, Restitution, Kunst & Politik u. die Künstlerinnen in der Sammlung Leopold. Führung: 10 Euro, Eintritt: 7,50 Euro ab 10 Personen, sonst 11 Euro, Anm. unter office@petra-unger.at 13.10., 18–21.00, Wien Offenes Plenum im Verein Frauenhetz – feministische Bildung, Kultur und Politik


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M.I.A. in Concert Die 1972 in London geborene, in Sri Lanka aufgewachsene und in den Londoner Clubs erwachsen gewordene Sängerin M.I.A., in deren Biografie es vor Schlagworten wie Paramilitär, politischer Flüchtling und Kunststudium nur so wuchert, geht mit ihrer jüngst erschienen Platte „Maya” auf Welttournee. Zu hören und sehen ist sie auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Wer zuletzt kommt, die bestraft das Leben, daher: Tickets! Sichern! Sofort!

10 Jahre spaceFEMfm Unter diesem hübsch imperativischen Titel feiert die Frauenradio-Redaktion von „spaceFEMfm” ihren ersten zweistelligen Geburtstag. Das Line-up der 10-Jahres-Feier schmückt ein Poetry Slam mit der Schriftstellerin Nadja Bucher, ein Konzert der Elektro-Musikerin Cherry Sunkist sowie eine DJ-Line mit LA OONA aka Lady Oona Montana, DJ Ozed und Electric Indigo. Da möchte man Linz dieser Tage doch glatt wieder zur Kulturhauptstadt erklären. 8.10., 19.00, Stadtwerkstatt, 4040 Linz, Kirchengasse 4, Eintritt: Solidaritätsabgabe für Frauenradio „Palabra de Mujer“ in Nicaragua, www. stwst.at, www.fro.at, www.spacefemfm.at Frauenhetz, 1030 Wien, Obere Weißgerberstr. 41, T. 01/715 98 88, www.frauenhetz.at 22.10., 19–24.00, Wien Orientalischer Badeabend für Frauen 12,90/erm. 8,60 Euro, Anm. u. Information: T. 01/988 98-120 od. badehaus@sargfabrik.at Sargfabrik, Badehaus, 1140 Wien, Goldschlagstr. 169, T. 01/988 98-111, www.sargfabrik.at 22.10.–7.11., Salzburg Herbst.Tanz 2010 – tanzimpulse Salzburg. Workshop 22.10.–7.11., internationaler Mix, Floating Body, Bollywood Dance u. Flamenco Oriental, Anm.: workshops2010@

XL Recordings Gruppe für lesbische und bisexuelle Frauen: Das zufriedene les-bi-sche Ich bin Ich, 14-tägig jeweils Do, Kosten: 48 Euro pro Abend, Anm.: T. 01/585 69 66 Beratungsstelle COURAGE, 1060 Wien, Windmühlg. 15/1/7, www.courage-beratung.at

jeden 2. u. 4. Sa, 14–18.00, Wien Frauen-Lesben-Theatergruppe, für Frauen und Mädchen jeden Alters, Infos: Regina Stierschneider, T. 0664/186 06 13, regina@elektrobox.com FZ – Autonomes FrauenLesbenMädchenZentrum, 1090 Wien, Währinger Str. 59/Stiege 6

4.–28.10., an verschiedenen Orten in Vorarlberg FEMAIL-Sprechtage in den Regionen, kostenlose u. vertrauliche Information u. Beratung zu Themen wie Beihilfen, Karenz, Wiedereinstieg, Bildung, Gesundheit, Trennung u. Pension, Beraterin: Claudia Bernard, 4.10., 16.–18.00, Wolfurt, Rathaus; 7.10., 9–11.00, Tschagguns, Alte Gemeinde; 11.10., 16–18.00, Ludesch, Daläus-Seminarraum; 14.10., 9–11.00, Lochau, Gemeindeamt; 18.10., 16–18.00, Götzis, Rathaus; 28.10., 9–11.00, Doren, Gemeindeamt. Sprechtage in türkischer Sprache siehe www.femail. at, T. 05522/31002, www.femail.at

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Nachhilfe in Sachen Abspritzen Altbekannt und trotzdem immer wieder neu zu erforschen: Die aktuelle Informationskampagne der Berliner Sexologin Laura Méritt beschäftigt sich mit dem Phänomen der weiblichen Ejakulation. In einem Vortrag und einem Workshop zeigt die Initiatorin des feministischen Porno-Preises „PorYes” Anatomie, Funktionsweise und Geschichte der Paraurethraldrüsen auf. Viva la vulva! 8.10., 18.00, Vortrag „Freudenfluss – Geschichte der weiblichen Ejakulation“, Exclusivitäten, 10961 Berlin, Fürbringerstr. 2, 9.10., 14–18.00, Workshop „Weibliche Ejakulation und Genuss-Fläche“, Dojo Aikido am Gleisdreieck, 10963 Berlin, Tempelhofer Ufer 36, www.weiblichequelle.de

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radio fixtermine Mo 18–19.00, Wien Khorschid Khanum – Die persischsprachige Frauensendung Orange 94.0 MHz, jeden 1. Mo Mo 19–20.00, Kärnten Frauenstimmen – Glas zena Radio Agora 105.5 MHz (Dobrac), wöchentlich Mo 21–22.00, Schweiz K-Punkt Kalila – Feminine und feministische Themen Kanal K 94.9 MHz (Aargau), Livestream auf http://kanalk.ch, wöchentlich

die ganze Frau Orange 94.0 MHz, jeden 2. Mi Fr 18–19.00, Wien Radio UFF – Sendung des Unabhängigen FrauenForums Orange 94.0 MHz, jeden 1. Fr Fr 19–20.00, Oberösterreich SPACEfemFM Frauenradio Radio FRO 105.0 MHz (Linz), jeden 1., 3. u. 4. Fr Sa 18–19.00, Deutschland Rainbow City – Radio für Lesben und Schwule 97.2 MHz (Berlin), Livestream auf www.radiorainbowcity.de, wöchentlich Sa 19–20.00, Steiermark Bertas Bücherstunde – Das feministische Literaturmagazin Radio Helsinki 92.6 MHz (Graz), jeden 4. Sa So, 19–20.00, Tirol Weibertalk – Sendung des Autonomen FrauenLesbenZentrums Innsbruck FREIRAD 105.9 MHz (Innsbruck), jeden 1. So

Di, 13–14.00, Wien Globale Dialoge – Women on air Orange 94.0 MHz, wöchentlich Di, 18–19.00, Wien Weibertalk – Sendung des Autonomen FrauenLesbenZentrums Innsbruck Orange 94.0 MHz, jeden 2. Di Di, 20–21.00, Deutschland Mrs. Pepsteins Welt – FeminismusAllüren und Musik, Musik, Musik Radio Blau 99,2 MHz (Leipzig), www.mrspepstein.de, alle 4 Wochen Di, 21.–20.00, Wien female:pressure – Feministisches Magazin zu Musik- und Clubkultur Orange 94.0 MHz, jeden 2. Di Mi 18–18.30, Salzburg Frauenzimmer – Plattform für eine frauenspezifische Information Radiofabrik 107.5 MHz (Salzburg Stadt), wöchentlich Mi 18–19.00, Wien Bauch, Bein, Po – Die Sendung für

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Vorschau auf die November-Ausgabe:

Wie kommt das Geschlecht in den Körper?

Status Quo und Kritik (an) der Gender Medizin

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1., 21.0 auf OK 0 TO web wwws.otrkeam: to.tv

an.schläge-tv präsentiert: Zur Diskussionsreihe von SYNEMA „Frauen Arbeit Film”: Gespräche mit Brigitte Mayr u.v.m. über innovative RoleModels und neue Frauenbilder.

an.schläge-Abopreise: Schnupperabo (3 Hefte): 10/12* Euro Jahresabo (10 Hefte): 35/ermäßigt 29/45* Euro Unterstützungsabo (10 Hefte): 43/53* Euro * Gültig für Europa, weitere Auslandspreise auf Anfrage. Weitere Infos unter abo@anschlaege.at oder auf www.anschlaege.at.

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Good Night, Daddy’s Pride!

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an.schläge Nr. 10/10, 24. Jahrgang, € 3,80 (Ö) € 4,80 (D) sfr 9,00 , ISSN 1993-3002, P.b.b. Erscheinungsort Wien, Verlagspostamt 1010 Wien, envoi à taxe réduite, GZ 02Z031419 M


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