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Publikumssieger Verbundenheit Althaus Architekten+ haben in Bern einen denkmal­ geschützten Wohnstock mit angrenzendem Ökonomieteil aus dem 19. Jahrhundert in ein Drei-Parteien-Haus umgebaut. Das Gebäude wurde durch diesen Eingriff zu einem Ort, in dem Gemeinschaft gelebt wird. Text: Britta Limper, Fotos: Alexander Gempeler

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1 Offenheit Die offene Tenndurchfahrt, typisch für Berner Bauernhäuser, dient heute der Erschliessung der drei Wohnungen und ist Durchgang zum dahinter liegenden Stöckli. 2 Erhaben Das mächtige Gebäudeensemble thront auf einer natürlichen Anhöhe. 3 Unter einem Dach Der Wohnstock ist über die Tenndurchfahrt mit dem Ökonomieteil verbunden. Im EG des Ökonomieteils befindet sich das gemeinsam genutzte Atelier.

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4 Weitergebaut Die rohen Eichentreppen und Tannenverschalungen im Aussenbereich werden sich schnell mit Patina in die Grundstimmung einfügen. Die Holzlamellen sind beweglich und bieten so Witterungsschutz. 5 Stimmungsvoll Der alte Ofen wurde restauriert und ist nach wie vor in Betrieb. 6 Mehrwert Die Lauben im 1. OG haben eine Breite von 2,20 Metern und sind nicht isoliert. Ein Raum zur offenen Nutzung.

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uf einer Anhöhe in einem ruhigen Einfamilienhaus­ quartier bei Bern steht ein ganz besonderes Ge­ bäudeensemble. Der stolze Wohnstock mit ange­ bautem Ökonomieteil und einem Stöckli wurde 1845 erbaut und entspricht mit seinem Grundriss, der Kons­ truktionsweise und den architektonischen Formen regiona­ len Bauernhäusern. Gleichzeitig trägt das Gebäude Elemen­ te der klassizistischen Architektursprache, wie sie laut einem Bericht der Kantonalen Denkmalpflege Bern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hauptsächlich für repräsentati­ ve Wohnbauten und Landhäuser des Bürgertums üblich war. Vor allem der Wohnteil mit seinen zehn Zimmern befand sich weitestgehend im Originalzustand. Ein Glücksfall für die neue Eigentümerschaft, die das Hauptgebäude im Baurecht übernehmen konnte, und für das von ihr beauftragte Team von Althaus Architekten+. Das grosse Gebäudevolumen kam dem Bedürfnis der Bauherrschaft, mit anderen Parteien in einer sozialen Ge­ meinschaft zu leben, sehr entgegen. Bereits zu Beginn der Projektphase war klar, dass im Wohnhaus und dem auszu­ bauenden Ökonomieteil mehr als nur eine Wohneinheit ent­ stehen sollte. Schon frühzeitig wurde die Denkmalpflege mit ins Boot geholt, um gemeinsam die Möglichkeiten auszu­ loten. Mit dem Wissen und Können der Bauberater, der ­Architekten und der Handwerker*innen konnte der Wunsch umgesetzt werden, die drei Wohnungen, die pro Volumen in dieser Bauzone erlaubt sind, in das Gebäude zu integrie­ ren – mit dem gebührenden Respekt der Geschichte und der Bausubstanz gegenüber.

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«Die möglichst natürlichen, offenporigen Materialien werden sich bald mit schöner Patina in die Grundstimmung einbinden.» UELI KRAUSS, ARCHITEKT

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7 Reiche Ausstattung Das erste Obergeschoss verfügt als Beletage über eine für die Bauzeit moderne Ausstattung mit Knietäfer und Gipsplafonds mit Stuckatur. 8 Japanische Wandmalerei Die Blumen- und Insekten­motive an der Wand in Wohn- und Esszimmer verzaubern durch ihre mysteriöse Transparenz. Sie sind eine Reminiszenz an die alten Blumentapeten. 9 Erhalten Die originalen Doppelfenster wurden wieder instand gesetzt und mit einer eingefrästen Gummilippe aufgerüstet. 10 Wie früher Die Küchen in EG und OG befinden sich am selben Standort wie ihre Vorgänger. Die marokkanischen Zementfliesen werden sich dank ihrer Offenporigkeit nach und nach dem Bestand anpassen.

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Rekonstruieren, bewahren und hinzufügen Damit alle Parteien von der südlichen Ausrichtung des Wohnhauses und der Aussicht auf die Aare und die Alpen profitieren, entschied man sich für eine horizontale Einteilung. Dies bringt einen weiteren Vorteil mit sich: Die Wohnungen im ersten und zweiten Obergeschoss erstrecken sich über das Wohnhaus und den Ökonomieteil und bieten dadurch ganz unterschiedliche Raumerfahrungen. Eine entscheidende Aufgabe kommt der unverändert offenen Tenndurchfahrt zu. Sie nimmt die Hauserschliessung und zwei Brücken in sich auf, die den vorderen und hinteren Teil der Obergeschosswohnungen miteinander verbinden. «Die Brücken spielen mit der Direktheit des pragmatisch materialisierten Ökonomieteils und machen ihn wieder auf die ganze Höhe erlebbar», erklärt Ueli Krauss von Althaus Architekten+. «Partielle Durchblicke kreuzen sich hier mit den vom Staub gezeichneten Strahlen des spärlich einfallenden Sonnenlichts und erinnern an das einst hier gelagerte Heu.» Gleichzeitig bildet die Tenndurchfahrt den Durchgang zum Stöckli. Sie wurde zur Begegnungszone, in der die Kinder spielen oder auch mal Velos untergestellt werden können. «Diese nicht ganz klar definierten Orte, die wir geschaffen oder auch belassen haben, tragen entscheidend zum Zusammenleben in dem Gebäudeensemble und darüber ­ ­hinaus im Quartier bei», sagt Ueli Krauss. Zu diesen Orten zählen auch die gemeinschaftlich genutzte Vorfahrt und ein Atelier.

Der Ausbau im Ökonomieteil wurde als frei stehendes, gedämmtes Volumen in die bestehende Struktur eingefügt. Die Raumstimmung, angelehnt an die Stimmung im Estrich, wird durch zeitgenössisches Täfer aus hellgrau lasierten Dreischichtplatten bestimmt sowie durch einen geölten Tannenboden. «Diese möglichst natürlichen, offenporigen Materialien werden sich bald mit schöner Patina in die Grundstimmung einbinden», erläutert Ueli Krauss. Im historischen Wohnteil wurde der Bestand integral belassen oder restauriert, vorgefundene Dekorationen wurden wiederhergestellt. Ein kleines, aber feines Detail sind die Wandmalereien von Yasuo Imai im ersten Obergeschoss. Wo ursprünglich farbige Blumentapeten die Wohnräume der Beletage schmückten, beleben heute ­zarte, mysteriös transparente Motive die Wände. «Mit den Mitteln der traditionellen japanischen Malerei wird das ­Blumenmotiv in unsere Zeit geführt», sagt der Architekt. Trotz einschneidender Veränderungen merkt man dem Gebäude an, dass sämtliche Entscheidungen im Sinne des Bestandes getroffen wurden und sehr sorgfältig abgewogen wurde, was entfernt oder hinzugefügt werden durfte. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass auch während des ­Bauprozesses immer wieder Anpassungen am Konzept vorgenommen wurden, um auf Erkenntnisse aus den A ­ rbeiten am Bau reagieren zu können. «Wir haben unsere Entscheide ständig hinterfragt», sagt Ueli Krauss. «Ich bin überzeugt davon, dass diese Grundhaltung richtig ist, um sensibel auf einen Bestand eingehen zu können.» ——

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11 Spürbar Die Fassadenbretter des Ökonomieteils ziehen sich auch vor den Fenstern durch und sorgen für eine ganz besondere Stimmung. 12 In der Höhe Die Brücken durch die Tenndurchfahrt verbinden den alten Wohnteil mit dem neuen Wohnteil im Ökonomiegebäude. 13 Spiegelbild Die Ründe der Fassade spiegelt sich im Wohnbereich der Wohnung im 2. OG wider. 14 Zusätzliche Qualitäten Der Wohnraum im 2. OG ist nach Norden ausgerichtet und bietet einen direkten Zugang zum Aussenraum.

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2. Obergeschoss

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1 Schlafzimmer 2 Kinderzimmer 3 Bad 4 Wohnraum und Küche

Althaus Architekten+, Bern Ueli Krauss übernahm 2007 das Architekturbüro, das 1935 von seinem Grossvater Willi Althaus gegründet worden war, von seinem Onkel Jürg ­Althaus. Heute führt Krauss das Büro Althaus Architekten+ gemeinsam mit Michael Zwygart und ­Nicolaj Bechtel. Das Team, das derzeit aus etwa zehn Mitarbeitenden besteht, bearbeitet ein breites Spektrum an Projekten im öffentlichen und privaten Bereich. Eine sensible, vorausschauende und von vertieften Kenntnissen geprägte Herangehensweise an Neu- und Umbauten zeichnet das Werk des traditionsreichen Berner Architektur­ büros aus. Ihr Aufgabenbereich reicht von Neubauten über Umbauten bis hin zur Sanierung von denkmalgeschützten Gebäuden. Im Bild (v.l.): Michael Zwygart, Monika Bangerter (Projektleitung), Ueli Krauss, Nicolaj Bechtel

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6 Arbeitszimmer 7 Schlafzimmer 8 Bad 9 Kinderzimmer

1 Laube 2 Esszimmer 3 Wohnzimmer 4 Küche 5 WC mit Dusche

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1 Wohnzimmer 2 Zimmer 3 Esszimmer 4 Küche

5 Bad 6 Schlafzimmer 7 Waschküche 8 Atelier

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Architektur & Bauleitung Althaus Architekten+ Seidenweg 8a, 3012 Bern T 031 350 14 60 www.aa-plus.ch Holzbau Beer Holzbau AG, www.beer-holzbau.ch Metallbau Taroni Metallbau AG, www.taroni.ch Historische Fenster Antikschreinerei Max Büchi www.antikschreinerei-buechi.ch Neue Fenster Schreiner Kilchenmann AG www.freudeamholz.ch Sanitär Mächler AG, www.maechler-bern.ch Elektro Gasser + Bertschy Elektro AG, www.gb-ag.ch Schreiner Joss Schreinerei GmbH, www.joss-schreiner.ch Holzböden Kühni AG, www.kuehni.ch

Porträtfotos: Matthias Dietiker

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1 Strassenansicht Ein Gneissockel und Fenstereinfassungen sowie Ziergesimse in Kunststein strukturieren die Sichtbacksteinfassade des Stadthauses. 2 Doppelt funktional Neue Fenster tragen zur optimierten Gebäudedichte bei und lassen dank schlanker Profile viel Tageslicht in die Räume. 3 Damals wie heute Die restaurierten Holzöfen sind die Pro­tagonisten des Hauses und stellen weiterhin die Beheizung sicher.

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Besondere Nennung Wissen macht Sinn Atelier M Architekten überzeugen durch ihre engagierte, umsichtige Herangehensweise an Projekte wie dieses Mehrfamilienhaus in Zürich Seebach nicht nur die Jury. Zweifellos wird das Projekt auch Energieexpert*innen, Denkmalpflege und Bauherrschaften hellhörig machen. Text: Raya Hauri, Fotos: Frank Blaser, Redaktion: Britta Limper

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Foto: Daniel Sutter

4 Ursprünglichkeit Aus der Bauzeit erhaltene Terrazzoböden und filigrane Malereien bilden einen gepflegten Zugang zu den Wohnungen.

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rchitekt und Bauherr Daniel Minder von Atelier M Architekten will es genau wissen: Nicht nur die ­Sanierung des historischen Stadthauses in Zürich Seebach basierte auf exakten Messungen. Vier Jahre nach Bauvollendung wird nun in einer Studie der ­Hochschule Luzern (HSLU) neben dem Energiebedarf auch der Grauenergie-Verbrauch dieses Umbaus erhoben und mit ­einem konventionellen Umbau verglichen. Nach vier Jahren Vermietung: Was sagen die Bewohner und Bewohnerinnen über ihre historischen Stadtwohnungen? Die Rückmeldungen sind erfreulicherweise sehr positiv. Die Mietenden schätzen die Atmosphäre im alten Haus, zu der wir in dem Sinne nur so viel beigetragen haben, dass wir sie einerseits erhalten und gepflegt haben und sie andererseits unter vielen Schichten jüngeren Datums hervorgeholt und erlebbar gemacht haben. Das Heizsystem mit Holzzimmeröfen wird als besonders schön empfunden. Der Fakt, dass wir fast keine Mieterwechsel haben, bestätigt uns in unserer Arbeit. Neben den alten Holzöfen verfügt das Haus heute über eine ausgeklügelte Haustechnik, wobei das Anfälligste bisher die Elektronik war. Das heisst, die Sensoren und die Algorithmen funktionieren gut. Aber die Ausführung der ­ ­Befehle, zum Beispiel ob ein Fenster aufgrund der Temperatur- und Feuchtigkeitsmessungen schliessen oder geöffnet bleiben soll, ist noch zu verbessern. Deshalb ersetzen wir ­zurzeit die Schnittstelle zwischen den Komponenten.

Foto: Daniel Sutter

«Unsere Herangehensweise besteht darin, zu messen und zu simulieren, um herauszufinden, was wirklich Sinn macht.» DANIEL MINDER

Daniel Minder, Architekt

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Wie kommen die Mietenden mit der modernen Technik im alten Haus zurecht? Bei aller Technik war es uns immer wichtig, dass sie möglichst unsichtbar bleibt und sie von den Bewohner*innen ­jederzeit übersteuert werden kann. Zudem geben kleine LEDDioden direktes Feedback, zum Beispiel ob sich die Messwerte im grünen Bereich befinden. Dies scheint dazu beigetragen zu haben, dass sich die Mieter*innen schnell mit der Automatisierung angefreundet haben und ihren Service insbesondere dort schätzen, wo sie Denkarbeit abnimmt. Sie finden es beispielsweise sehr angenehm, dass sich das Badezimmerfenster nach dem manuellen Öffnen automatisch wieder schliesst. Genau das wollten wir erreichen, denn das Wärmemanagement war der Knackpunkt der Sanierung. Wir mussten sicherstellen, dass möglichst wenig Wärme verloren geht. Nur so war es möglich, weiterhin mit den historischen Holzöfen zu heizen. Ein Fenster, das im Winter den ganzen Tag auf Kipp steht, gibt es in diesem Haus nicht. Was untersucht die aktuelle Studie der Hochschule Luzern (HSLU)? Die Studie ist zweiteilig: Im ersten Teil wird der reine Energiebedarf nach der Sanierung gemessen, ausgewertet und mit gängigen Labels wie Minergie etc. verglichen. Im zweiten Teil wird die Grauenergie-Bilanz unserer Sanierung berechnet und verglichen mit Annahmen aus dem Nachbarhaus, ein gespiegelter Zwillingsbau, der konventionell renoviert wurde. Hier erfolgte sozusagen eine normale Sanierung mit Eingriffen wie neuen Oberflächen an allen Bauteilen, neuen Türen, teils Versetzen und Erstellen neuer Wände mit Gipskarton und der Einbau einer Zentralheizung. Die graue Energie wird pro eingebautem Bauteil berechnet inklusive eines Transportanteils und der prognostizierten Abschreibung auf die Lebensdauer. Bereits jetzt ist klar, dass unsere Sanierung hinsichtlich grauer Energie um Welten besser ist – und dies trotz Erfüllung heutiger Komfortbedürfnisse und unter dem Bewahren historisch wertvoller Bausubstanz. Wie kann die graue Energie eines Umbaus reduziert werden? Oft werden bei Sanierungen einzig die Energiekennwerte betrachtet, während der Grauenergie wenig Beachtung entgegengebracht wird. Die Studie der HSLU bestätigt uns in unserem Ansinnen des weitestgehenden Erhalts des Bestandes als zentralem Faktor für die Reduktion von grauer Energie. Voraussetzung ist natürlich eine Substanz, die sich auch zu erhalten lohnt. Dann ist der Bestand, gerade bei historischen Liegenschaften, auch ihr Reichtum und ihre Qualität. Für mich ist es wichtig, den Charakter und die Patina zu erhalten, die den feinen Unterschied eines Hauses ausmachen. Das sind dann vielleicht alte Parkette, wie in einem anderen Projekt in Zürich Hottingen, wo eine aufgeschlossene Bauherrschaft unseren Empfehlungen gefolgt ist und alle alten Holzböden erhalten hat, obwohl diese zum Teil sehr abgenutzt und teilweise von Wurmfrass beschädigt waren. Zum Glück hatten wir einen hervorragenden Bodenleger, der die Freude und das Wissen mitbrachte, diese wunderbar breiten Schlossdielen lokal wo nötig zu flicken. Auch er vermittelte der Bauherrschaft, dass es sich um Raritäten handelte, die rauszureissen eine Schande wäre. Wenn die Leute erkennen, dass gewisse Bauteile einzigartig sind, fangen sie an, diese zu schätzen, und später sind sie oft stolz drauf, auch wenn sie nicht perfekt oder neu sind. Dies ist ein sehr schöner Prozess. Aber er ist auch aufwendig. Es braucht zu Beginn und manchmal sogar während des Bauprozesses eine Zustands-

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5 Feinfühlig Der sorgfältige Entwurf der neuen Küchen ist von alten Küchenbuffets inspiriert und fügt sich harmonisch in die gegebene Raumstruktur ein.

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analyse und eine Triage, was erhalten werden soll und was nicht. Einfach alles zu ersetzen, ist meistens der Weg des geringeren Widerstands und wird deshalb auch oft praktiziert. Welche Massnahmen lohnen sich bei einer energetischen Sanierung praktisch immer, und wie kompliziert ist Ihr ­Vorgehen mit der Simulation? Das Dämmen von Estrichboden und Kellerdecke sowie der Fensterersatz von Isoliergläsern, die älter als dreissig Jahre sind, lohnen sich praktisch immer. Das Erstellen einer genauen Simulation zur Überprüfung der Relevanz von weiteren Massnahmen ist anspruchsvoll und benötigt die Mitarbeit ­eines Spezialisten. Man muss diverse Messungen machen und die Energiedaten der letzten Jahre als Referenzwerte auswerten. Dann werden diese Daten zusammen mit den bauphysikalischen Eigenschaften der Bauteile in einem 3D-Modell ­eines Simulationsprogramms hinterlegt. Zur Kontrolle erfolgt zuerst eine Simulation im unsanierten Zustand, um zu überprüfen, ob man auf die gemessenen Energiedaten kommt. Ist das Resultat innerhalb eines plausiblen Abweichungs­ spektrums, können dann verschiedene Sanierungsszenarien betrachtet werden. Spannend ist nun, an unterschiedlichen

Boiler mit Luft-Wasser WP

DANIEL MINDER, ARCHITEKT

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Heizungsplaner seiner Verantwortung zu entheben, falls es zu einem Rechtsstreit käme, weil die Bauherrschaft bemängeln könnte, es sei keine nach Norm gerechnete Wärme verfügbar. Umso mehr freut es uns, dass die Bewohner*innen melden, es sei immer zu warm im Haus.

Küche Miniboiler

Dusche mit WRG

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Steigzone Bad

Steigzone Küche

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Zu welchem Ergebnis kam die Simulation beim Haus in Zürich Hottingen? Im Unterschied zum Stadthaus in Zürich Seebach, ergab ­diese Simulation, dass das frei stehende Haus von 1861 nicht ohne Zentralheizung funktionieren würde. Mithilfe der dynamischen Betrachtung konnten jedoch beim Heizsystem und der Wärmeerzeugung im Vergleich zum statischen Berechnungsmodell des SIA markante Einsparungen gemacht werden. So wurden die Bohrlöcher für die Wärmepumpe von drei auf zwei reduziert, es wurde eine kleinere Wärmepumpe gewählt, und die Leitungen und die Radiatorenfläche wurden wesentlich reduziert. Neben der Dach- und Kellerdeckendämmung erhielt einzig die Nordfassade eine Aussendämmung. Obwohl wir nicht ganz auf das errechnete Minimum gegangen sind, konnte die Bauherrschaft Tausende Franken einsparen, die Investition in die Simulation miteinberechnet. Allerdings mussten wir einen Sondervertrag machen, um den

«Oft werden bei Sanierungen einzig die Energiekennwerte betrachtet, während der Grauenergie wenig Beachtung entgegengebracht wird.»

Schema

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­ ebeln anzusetzen und Varianten durchzuspielen. So kann H ein Projekt passgenau geschnürt und Einsparmöglichkeiten berechnet werden. Die Bauherrschaft kann genau entscheiden, wo das Geld am effektivsten investiert wird.

0 Luftwechsel Dämmung Dichtigkeit

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Steuerung (Pelletofen neu) Manuell (Historischer Holzofen)

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Sollten solche Messungen und Simulationen nicht viel ­häufiger angewendet werden? Die Herangehensweise macht insbesondere bei der Beurteilung und Sanierung von historisch wertvollen Häusern ­extrem viel Sinn. Sicher liesse sie sich auch bei Neubauten anwenden, und ich bin überzeugt, dass wir die Normen in diese Richtung anpassen werden müssen. Grundsätzlich geht es um eine Denkweise. Viel zu oft wird etwas einfach gemacht, weil alle es so machen. Es ist heute aufwendig, sich von Standards und Normen zu lösen, insbesondere wenn man unter Zeitdruck steht. Zeit ist ein wesentlicher Faktor und die Verantwortung ist ein weiterer. Bei unserem ersten Projekt in Zürich Seebach hatten wir Zeit, da wir am Anfang ein Jahr lang Messungen machten und das Projekt parallel dazu entwickeln konnten. Und wir konnten als Teil der Bauherrschaft die Verantwortung übernehmen. Das Resultat unserer Analysen war für die Denkmalpflege von grossem Interesse. Nach ­Abschluss der Arbeiten konnten wir das Haus unter Denkmalschutz stellen und dadurch Subventionen für Massnahmen,

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Nachhaltigkeit, die über Normen und Standards hinausgeht Angesichts der wertvollen historischen Bau­ substanz dieses Stadthauses von 1899 mit vier Wohnungen und ebenerdigem Geschäftslokal, wollten es die Architekten und die Eigentümerschaft genau wissen. Mittels neuster Messtechniken und Analysen wurde der B ­estand erschlossen, Wärmebrücken lokalisiert und präzise Bedarfsberechnungen erstellt. Immer klarer zeichnete sich ab: Eine Sanierung würde ohne tief greifende Massnahmen wie Aussendämmung oder Zentralheizung funk­ tionieren. Die Fenster aus den 1980er-Jahren wurden ersetzt und das Dach sowie der Keller gedämmt. Geheizt werden die Periferieein­heiten mit Pelletöfen und die mittleren Wohnungen weiterhin mit den historischen Holzöfen – inklusive regelmässiger Grossanlieferung von Brennholz mitten in der Stadt. Unter Wahrung der historischen Bausubstanz erreichte das Haus mit unkonventionellen, aber passgenauen Mass­ nahmen vorbildliche Energiewerte, während die graue Energie der Sanierung, für die kein Baugesuch nötig war, minimal blieb. www.am-arch.ch Einen ausführlichen Report über das Haus finden Sie in Umbauen + Renovieren 3/19.

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6 Rückseite Die schlichte Hoffassade mit feinkörnigem Kellenwurfputz und Holz-Jalousieläden hatte keinen repräsentativen Anspruch.

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Z F die dem Erhalt von historischer Bausubstanz dienen, beantragen. Ich empfehle deshalb Eigentümer*innen von Inventarobjekten immer, diese Option mit der Denkmalpflege zu prüfen. Neben Subventionen kann die Denkmalpflege auch wertvolle Tipps betreffend Unternehmen oder früherer Techniken geben. Wie teuer ist eine solche Simulation? Bei einem weiteren Mehrfamilienhaus in Zürich Unterstrass kostete die Studie für Messungen und Simulation rund 10 000 Franken. Dort stand die Entscheidung für eine Aussendämmung auf Messers Schneide, denn es herrschten sehr enge Verhältnisse für Erdsondenbohrungen sowie eine Bohrtiefenbeschränkung auf 222 Meter. Die involvierten Planer ­waren zuerst überzeugt, mit einer Erdsonden-Wärmepumpe würde es ohne Aussendämmung nicht gehen. Wir wollten es aber genau wissen, denn das Haus von 1928 ist zwar kein Inventarobjekt, aber es hat einen schönen Verputz und ist Teil eines Ensembles von fünf Häusern mit gleichem Verputz und Bauschmuck. Die Simulation ergab, dass eine Aussendämmung nicht notwendig war. Die dafür projektierten 150 000 Franken konnten somit eingespart werden. Für diese Herangehensweise braucht es eine offene Bauherrschaft, die bereit ist, ihre Entscheide auf die Studie abzustützen. Beim konven-

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tionellen Vorgehen nach Schema F wäre das Haus zweifellos eingepackt worden. Die Architekt*innen hätten auch gar ­keine andere Möglichkeit gehabt, da die Normen und das zugängliche Know-how einfach nichts anderes zulassen. ­ ­Unsere Arbeit ist präziser, aber man muss sehr sorgfältig arbeiten und die Menge an Daten, die produziert werden, auch bewerten und interpretieren können. Bisher haben sich alle Studien ausbezahlt. Beim erwähnten Projekt interessieren sich nun auch die Nachbarn für diese Herangehensweise, was sehr schön ist, denn so kann das Ensemble erhalten bleiben. Bedeutet dies, dass Heizsysteme, die einfach auf den gängigen Normen basieren, hoffnungslos überdimensioniert sind? Ja, absolut. Und da stellt sich dann wirklich die Frage der Nachhaltigkeit. Die Energieexpert*innen, mit denen wir die ­Simulationen erstellen, bestätigen, dass gemäss Normen ausgelegte Heizsysteme eigentlich immer rund zweifach überdimensioniert seien. Unsere Herangehensweise besteht darin, zu messen und zu simulieren, um herauszufinden, was wirklich Sinn macht, und vor allem entsprechend zu handeln. Zusätzlich muss die graue Energie eines Umbaus hinzugerechnet werden bzw. möglichst klein gehalten werden. Nur dann kann —— man von einer zukunftsfähigen Sanierung sprechen.

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