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Möriken
Konfrontation, Partizipation und Interaktion Drei Einfamilienhäuser von Ken Architekten Die zeitliche Koinzidenz der drei in den Jahren 2006 und 2007 von Ken Architekten fertiggestellten Einfamilienhäuser ist dem Zufall geschuldet; weder stehen die Auftraggeber zueinander in Kontakt, noch sind die Projekte Resultate einer spezifisch typologischen Recherche oder einer bewussten Hinwendung zum Thema «Einfamilienhaus». Die drei Bauten unterscheidet denn auch mancherlei: Sie befinden sich in unterschiedlichen Regionen der Schweiz, in unterschiedlichen Landschaften. Und sie sind unterschiedlich materialisiert: in Sichtbeton, in Holz und Stein oder mit einer Putzfassade über der Aussenisolation. Doch manches verbindet sie auch: Alle drei Häuser wurden für Ehepaare mit zwei Kindern errichtet, alle besitzen ein vergleichbares Raumprogramm mit gleich grosser Wohnfläche und alle drei waren hinsichtlich der Baukosten ungefähr gleich teuer. Schliesslich mussten in allen drei Fällen in einer ebenso von suburbaner Bebauung wie von starker naturräumlicher Prägung definierten Umgebung Strategien entwickelt werden, die zwischen Konfrontation, Partizipation und Interaktion oszillieren. Ausgehend von den Gegebenheiten entwickeln die Architekten eine Versuchsanordnung, die zu jeweils spezifischen Lösungen führt. Es ist eine durchaus spielerische, experimentelle Herangehensweise, die auf dem Entwickeln und Verwerfen von Konzepten und Entwurfsansätzen basiert und schliesslich in eigenständige und einzigartige Projekte mündet. Block und Versehrung Das wohl bekannteste – und radikalste – der drei Projekte steht im aargauischen Möriken. Was üblicherweise Einfamilienhäuser charakterisiert, ist hier nicht vorhanden: kein biederer Vorgarten, keine Lochfenster, kein Satteldach. Ken Architekten nennen
Wettingen
Ennetmoos
das Projekt «Findling», und tatsächlich steht das Volumen wie ein erratischer Block in der Landschaft. Ein Betonmantel umgibt das Gebäude, birgt als harte Schale die Räume des Inneren. Die artikulierte Härte und Stereometrie lassen sich zunächst als bewusste Setzung gegenüber der ästhetischen Beliebigkeit und Beiläufigkeit der suburban-vernakulären Bebauung des Einfamilienhausquartiers ringsum verstehen: Es gilt, Abstand zu bewahren. Doch auch wenn das Haus seinen sich in vordergründiger Gefälligkeit erschöpfenden Nachbarn die kalte, betonierte Schulter zeigt, ist es keineswegs ein brachiales Objekt, das sich einzig in Verweigerung übt. Ken Architekten haben die klare kubische Form durch zweierlei Interventionen gemildert und damit der typischen Sichtbetonoberfläche der «Swiss Box» entgegengearbeitet. Da ist zunächst die Behandlung der Oberfläche durch eine mehrschichtige Acryllasur mit metallischen Pigmenten, welche den Eindruck je nach Lichtsituation verändert. Mal wirkt das Haus erdverbunden und lastend, mal – wenn die Sonne scheint – gewinnt die Haut einen seidigschimmernden und gleissenden Glanz. Die zweite, deutlich markantere Intervention stellt die Versehrung der starken Geometrie durch zwei sich diagonal gegenüberliegende Einschnitte dar. Der vordere Einschnitt überhöht die Eingangssituation und verbindet das Haus mit der Strasse; der rückwärtige lässt einen Gartensitzplatz entstehen und erlaubt Blicke in die freie Landschaft, das Bünztal, und setzt das Schloss Wildegg in Szene. Erst die über eine Diagonale ins Werk gesetzte Einschnürung gibt dem Volumen seine Ausrichtung und verankert es in der Umgebung. Und überdies erlaubt sie es, die Idealgeometrie eines quadratischen Grundrisses in eine bewohnbare Struktur zu überführen. So stringent und kalkuliert sich das Äussere zeigt, so differenziert wurde die innere Organisation gehandhabt. Die über die gegenläufige Diagonale entwickelte Bipolarität von Wohn-
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Findling Einfamilienhaus in Möriken AG, 2006
Das Gebäude bricht aus der bestehenden Baulinie entlang der Erschliessungsstrasse aus und ist gegenüber der Nachbarbebauung zurückgesetzt; hinsichtlich der Platzierung, der Massstäblichkeit und der Materialisierung zeigt es sich dem Landschaftsraum zugeordnet. Die quaderförmige, hermetisch anmutende Betonschale ist an zwei diagonal sich gegenüberliegenden Ecken aufgeschnitten. Der zur Strassenseite hin gelegene Einschnitt fasst den Eingang, der Einschnitt zur Bünz rahmt den Ausblick in die Landschaft und auf das Schloss Wildegg. Darüber hinaus strukturieren die beiden Einschnitte auch den Grundriss: Im offenen Erdgeschoss trennen sie die verschiedenen Wohnzonen und erlauben die diagonale Durchsicht, im Obergeschoss definieren sie drei exakt gleich grosse Schlafräume, welche jeweils unterschiedlich orientiert sind. Die Betonfassaden wurden mit einer mehrschichtig aufgetragenen, mit metallischen Pigmenten angereicherten Acryllasur versehen, die je nach Lichtverhältnis in der Farbigkeit und dem Glanzgrad stark changiert. Dies verstärkt die Skulpturalität des Hauses, veredelt den Baukörper und vermag ihn zeitweise mit der Landschaft zu verbinden. Das Gebäude ist mehr Skulptur als Haus – ein Findling im Bünztal. Der Garten ist konzipiert als ein Ausschnitt der Landschaft. Ein Raster aus asphaltähnlichen Betonbändern lotet die Grenzen des Areals aus und vermittelt zwischen der Landschaft und dem Gebäude. Der Raster umgrenzt vertieft liegende Pflanzflächen und dient zugleich der Erschliessung des Gebäudes.
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Voralpenkalk Einfamilienhaus in Ennetmoos NW, 2007
Die Landschaft des Mueterschwandenbergs besitzt voralpinen Charakter. Das zur Verfügung stehende Grundstück liegt am östlichen Rand des Vorderen Vorsässes, einer weilerartigen Bebauung. Das felsige Terrain fällt Richtung Südosten ab. Besonders beeindruckend ist die Aussicht zum Stanserhorn und auf die Alpen. Das Konzept wurde aus der Auseinandersetzung mit dem felsigen Untergrund sowie den traditionellen, ortstypischen Gebäuden entwickelt. Im Aussenraum wurde der felsige Untergrund inszeniert, der durch die Terraingestaltung stärker als ursprünglich in Erscheinung tritt. Das Bild des traditionellen Wohnhauses bestimmt den Holzbau über dem unbewohnten Steinsockel. Im Inneren verteilen sich die Wohnräume über alle drei aus dem Terrain ragenden Geschosse; deren sichtbare Hülle wurde in Holz materialisiert. Die Plastizität der Fassaden und die Schichtung der Holzschalung wecken die Erinnerung an Stein und Fels. Dieser Eindruck wird durch die Farbbehandlung mit metallischen und in Leinöl gebundenen Pigmenten noch verstärkt. Steinsockel und Holzbau sind zu einer neuen, eigentümlichen Fassade verbunden und lassen sich als Interpretation des traditionellen Wohnhauses im voralpinen Raum verstehen. Auch im Inneren bleibt das raue Umfeld wirkungsbestimmend. Die Grundrisse sind einfach organisiert, grosszügige Öffnungen erlauben Blicke in die Umgebung. Zu einem dezenten räumlichen Reichtum führt die Umkehrung von Kern und Umraum zwischen Erd- und Obergeschoss.
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Ken Architekten BSA AG, www.ken-architekten.ch Ken Architekten haben sich in den 13 Jahren ihres Bestehens als eines der bemerkenswerten und überdies erfolgreichen Schweizer Architekturbüros der jungen Generation etabliert. Das Thema «Wohnen» bildet ohne Zweifel den Schwerpunkt der beruflichen Tätigkeit – Ken haben Ein- und Mehrfamilienhäuser realisiert, beschäftigen sich aber auch mit Siedlungsprojekten im grösseren Massstab sowie mit der Transformation bestehender Bauten. Daneben widmet sich das Büro einer Reihe anderer Bauaufgaben, handele es sich um Ausstellungsarchitektur oder zwei an eine Festungsmauer angebaute Kindergärten in Dietikon, eines ihrer bekanntesten Projekte. Ken ist keine Abkürzung, sondern ein mehrdeutiger Begriff aus der traditionellen japanischen Baukunst – er bezeichnet das absolute Mass sowie das Regulativ, welches das Kleine zum Grossen ins Verhältnis setzt. Für die drei Partner – Jürg Kaiser, Lorenz Peter, Martin Schwager – ist Ken ein Label, das ihre Arbeitsweise charakterisiert: Ken Architekten entwickeln Versuchsanordnungen, die zu jeweils spezifischen Lösungen führen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seit 1995: Hanne Andreesen, Roland Auer, Kerstin Behrens, Severin Berchtold, Christian Baier, Eveline Bolliger, Martin Broder, Stefan Cuber, Daisy Dewanto, Marc Doberstein, Daniela Dreizler, Andreas Edelmann, Marcus Fendt, Marius Förster, Petra Gerhard, Anja Günther, Flavio Hagenbuch, Claudia Hofer, Astrid Hobi, Hidir Ilter, Benjamin Jakob, Nora Kantorski, Anthoula Katsiana, Simon Koch, Ivo Kuhn, Klaus Kühne, Léon Leuba, Marilena Marsicovetere, Verena Meissner, Michael Metzger, Björn Morgenegg, Attila Morocz, Yukako Räuber, Mareike Richter, Patrick Rinderknecht, Andrea Ringli, Donat Rogenmoser, Stefan Roovers, Monika Rudschewski, Gabriele Ruesch, Daniel Schatzmann, Natascha Sommer, Kathrin Stang, Lea Stocker, Patrik Stocker, Daniel Strolz, Bettina Victor, Uwe Wiengarten, Friederike Wisler, Thomas Wölfel, Simone Wörner, Charles Wülser Landschaftsarchitektur: Müller Illien Landschaftsarchitekten, Zürich Tragwerksplanung: Heyer Kaufmann Partner, Baden und Zürich Farbgestaltung (Möriken und Ennetmoos): Philipp Wyrsch, Zürich Mit der Unterstützung von: Jansen AG, Oberriet W. Christen AG Metall- und Stahlbau, Strengelbach Biene Fenster, Winikon Regent Lighting, Zürich Fotografie: S. 2, 6, 15-17, 18 unten, 19-22, 35-41, 43: Hannes Henz, Zürich; S. 4, 25-27, 29, 32/33: Roger Frei, Zürich; S. 8/9: swissimage © swisstopo (BA081403); S. 10, 11 rechts, 13, 18 oben u. Mitte, 28, 31, 42, 44-47: Ken Architekten; S. 11 links: aus: Andy Warhol – The late Work: Paintings & Wallpapers, New York 2004, S. 126; S. 12: aus: Edwin Huwyler (Hrsg.), Die Bauernhäuser der Kantone Obwalden und Nidwalden, Basel 1993, S. 57 S. 48: Gaëtan Bally, Zürich Text und Redaktion: Hubertus Adam, Zürich Lektorat: Miriam Seifert-Waibel, Annika Greuter Gestaltung: Bernet & Schönenberger, Zürich Litho und Druck: Heer Druck AG, Sulgen Bindearbeit: Eibert AG, Eschenbach © 2008 by Verlag Niggli AG, Sulgen | Zürich, www.niggli.ch ISBN 978-3-7212-0665-4